[Sir David Maxwell-Fyfe verlas sodann Auszüge aus dem Dokument, die am 16. August aus dem Protokoll gestrichen wurden.]
DR. STAHMER: Der Verwertung dieser Urkunde habe ich zu widersprechen, weil ich ihre Echtheit nicht anerkennen kann. Ich habe das Original noch nicht gesehen. Die Zweifel an ihrer Echtheit werden insbesondere daraus hergeleitet, da hier eine Reihe von Ausdrücken verwendet sind, die in der deutschen Sprache völlig ungewöhnlich sind.
GÖRING: Ich wollte dieselben Einwendungen machen. Es handelt sich um kein Original, sondern darüber steht »Abschrift«, und keine Originalunterschrift, sondern mit Schreibmaschine steht darunter: »Sprenger, Gauleiter«.
DR. STAHMER: Es wird hier zum Beispiel der Ausdruck »Gerichtlichkeiten« gebraucht. Das ist in der deutschen Sprache ein völlig ungewöhnlicher und unbekannter Ausdruck. Ich kann mir nicht denken, daß in einem amtlichen Schreiben, das wirklich von einem Gauleiter herausgegeben wird, eine solche Bezeichnung verwendet worden wäre.
GÖRING: Ich kann auf einen weiteren Punkt hinweisen, daß es sich scheinbar um kein Originaldokument handelt, denn von dieser Erhöhung, wie sie der Führerschaft oder sonstwie, von der von Fleisch oder Fett... hätte ich etwas erfahren müssen. Kein einziges Wort dieser beiden Dokumente ist mir bekannt. Es ist auch nicht abgestempelt. Alles ist nur Schreibmaschinenschrift, einschließlich der Unterschriften. Ich kann daher dieses Dokument nicht anerkennen.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Dies ist eine Aktenkopie, die, nach meinem besten Wissen, im Amt der Gauleitung so, wie es vermerkt ist, gefunden wurde. Sie wurde uns von der britischen Armee des Rheins zugesandt. Ich werde Untersuchungen hierüber einleiten. Es scheint dem Inhalt nach eine Aktenkopie zu sein. Ich habe das Originaldokument, das eine Aktenkopie ist, dem Zeugen vorlegen lassen.
[Eine kleine Pause tritt ein.]
VORSITZENDER: Herr Dr. Stahmer; ich habe das Originaldokument jetzt in meinen Händen, sowie eine Beglaubigung eines Offiziers der britischen Armee. Sie besagt, daß das Dokument ihm in der obenerwähnten Eigenschaft auf dem Dienstwege zugegangen ist. Es handelt sich um ein Originaldokument, das in deutschen Archiven gefunden wurde, die von alliierten Militärstreitkräften unter dem Befehl des Oberbefehlshabers erbeutet wurden. Unter diesen Umständen fällt es in dieselbe Gruppe wie alle erbeuteten Dokumente. Die Verteidigung kann natürlich alle ihr gutdünkenden Beweise erbringen, um die Echtheit des Dokuments in Zweifel zu stellen. Das Dokument steht auf der gleichen Basis wie die anderen erbeuteten Dokumente und ist jeder Kritik unterworfen, die Sie durch Ihnen zur Verfügung stehende Beweise bekräftigen können.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Herr Zeuge, ich bitte Sie, sich mit dem Satz im Abschnitt 6 zu beschäftigen.
Dieser Absatz richtet sich sicherlich an alle Verwaltungsorgane hinunter bis an die Kreisleiter und Ortsgruppenleiter der Nazi-Partei, vorwegnehmend, daß sie alle über die Führung der Konzentrationslager Bescheid wußten. Wollen Sie nun dem Gerichtshof gegenüber behaupten, daß Sie, der bis zum Jahre 1943 der zweite Mann im Reich war, nichts über die Konzentrationslager wußten?
GÖRING: In erster Linie erwähne ich noch einmal, daß ich dieses Dokument nicht anerkenne, daß ich dieses Dokument in seiner ganzen Fassung nicht kenne und mir auch dieser Paragraph ungewöhnlich erscheint.
Ich hatte keine... wie es in den Konzentrationslagern später, nach meiner Zeit, zuging, nicht gewußt.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Darf ich Sie an die Beweise erinnern, die vor diesem Gerichtshof erbracht wurden, insbesondere bezüglich Auschwitz allein, wo vier Millionen Menschen ausgerottet wurden. Erinnern Sie sich daran?
GÖRING: Das habe ich nur aus Behauptungen hier gehört. Für mich ist sie keinesfalls erwiesen, diese Zahl.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Wenn Sie dies nicht als erwiesen betrachten, lassen Sie mich auf die eidliche Aussage Höttls verweisen, der der stellvertretende Gruppenführer der Auslandsabteilung des Reichssicherheitshauptamtes IV war. Er sagt, daß ungefähr vier Millionen Juden in Konzentrationslagern getötet wurden, und daß weiterhin zwei Millionen auf andere Weise den Tod fanden. Nehmen wir an, daß diese Zahlen – die eine ist eine russische, die andere ist eine deutsche – nehmen wir an, daß nur 5 % richtig ist, somit waren es zwei Millionen und eine Million. Wollen Sie immer noch diesem Gerichtshof gegenüber behaupten, daß ein Minister mit Ihrer Machtstellung im Reiche in Unkenntnis dieser Vorgänge verbleiben konnte?
GÖRING: Das behaupte ich, und gerade deshalb, weil das so war, wurden diese Sachen vor mir geheimgehalten. Ich bin sogar der Meinung, daß nicht einmal der Führer annähernd von diesem Ausmaß etwas gewußt hat. Das spricht auch dafür, daß Himmler diese Sachen außerordentlich geheimgehalten hat. Es sind uns niemals Zahlen oder irgend etwas in dieser Richtung zugestellt worden.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Aber Zeuge, haben Sie denn nicht Zutritt zur ausländischen Presse gehabt, zur Presseabteilung in Ihrem Ministerium, zu ausländischen Sendungen? Es ist bewiesen, daß insgesamt, Juden und andere Personen eingeschlossen, ungefähr zehn Millionen Menschen kalten Blutes ermordet wurden, abgesehen von denen, die im Kampfe getötet wurden; ungefähr zehn Millionen Menschen. Sie wollen behaupten, daß Sie niemals aus der ausländischen Presse oder aus Sendungen erfahren haben, daß sich derartiges ereignete?
GÖRING: Erstens mal ist mir die Zahl von zehn Millionen in keiner Weise erwiesen. Zum zweiten habe ich während des ganzen Krieges keine Auslandspresse gelesen, weil ich das doch nur für Propaganda gehalten habe. Zum dritten war ich an sich berechtigt, für meine Person Auslandssender zu hören, habe sie aber niemals benutzt, weil ich ebenfalls diese Propaganda nicht hören wollte. Ich habe auch inländische Propaganda nicht angehört. Erst in den letzten vier Tagen des Kriegs habe ich zum ersten Male, das könnte ich unter Beweis stellen, den Auslandssender eingeschaltet.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Sie haben Herrn Jackson gestern gesagt, daß verschiedene Vertreter in den Ostgebieten waren, und daß Sie die Filme über die Konzentrationslager gesehen haben, seitdem dieser Prozeß begann, nicht wahr? Sie wissen, daß Millionen von Kleidungsstücken, Millionen von Schuhen, 20952 kg goldener Eheringe, 35 Waggonladungen von Pelzen vorhanden waren. Alle diese Dinge wurden von den Menschen, die in Maidanek oder Auschwitz umgebracht wurden, hinterlassen. Ist Ihnen niemals von jemandem während der Entwicklung des Vierjahresplans oder von anderer Seite Mitteilung gemacht worden, daß sie diese Unmassen von menschlichen Gebrauchsstücken erhielten? Erinnern Sie sich an den polnisch-jüdischen Herrn, der aussagte, daß alles, was er von seiner Familie, seiner Frau, Mutter und Tochter zurückerhielt, ich glaube, ihre Ausweiskarten waren? Seine Arbeit bestand darin, Kleider aufzulesen. Er sagte uns, daß die Henker Ihres Freundes Himmler so gründlich waren, daß es fünf Minuten länger dauerte, Frauen zu ermorden, weil man ihnen ihre Haare abschneiden mußte, die für die Herstellung von Matratzen benutzt wurden. Ist Ihnen niemals etwas über den Zuwachs deutschen Materials gesagt worden, das von den Effekten dieser ermordeten Menschen stammte?
GÖRING: Nein, und wie stellen Sie sich bitte das vor: Ich habe große Richtlinien für die deutsche Wirtschaft gegeben. Dazu gehörte nicht die Matratzen- oder sonstwie Anfertigung aus Frauenhaaren oder die Verwendung alter Schuhe und Kleider. Ich lasse mal die Zahl einmal vollständig dahingestellt.
Ich möchte auch hier einen Einspruch gegen diesen Ausdruck erheben: »Mein Freund Himmler.«
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Gut, ich will sagen »Ihr Feind Himmler« oder einfach »Himmler«. Sie wissen, wen ich meine, oder nicht?
GÖRING: Jawohl.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich möchte Sie auf einen weiteren Punkt verweisen:
Am 14. April 1943 schrieb der Angeklagte Sauckel an Hitler, Dokument 407-PS – V, US-228:
»... darf ich Ihnen melden, daß vom 1. April v. Js. bis zum 31. März ds. Js. der deutschen Kriegswirtschaft 3638056 neue fremdvölkische Arbeitskräfte zugeführt werden konnten.« »... Außer den fremdvölkischen Zivilarbeitern werden noch 1622929 Kriegsgefangene in der deutschen Wirtschaft beschäftigt.«
Nun hören Sie dem zu:
»Von den 5 Millionen ausländischen Arbeitern, die nach Deutschland gekommen sind, sind keine 200000 freiwillig gekommen.«
Dies ist dem Protokoll der Zentralen Planung vom 1. März 1944 entnommen. Wollen Sie behaupten, daß Sie, in Ihrer Stellung im Staate, als der große Baumeister der deutschen Wirtschaft, nicht wußten, daß Sie 4800000 ausländische Arbeiter für Ihre Wirtschaft erhielten, die gezwungen wurden, zu kommen? Wollen Sie dies dem Gerichtshof sagen?
GÖRING: Ich habe niemals dem Gerichtshof das gesagt. Ich habe gesagt, daß ich genau weiß, daß diese Arbeiter hereingeholt wurden, und zwar nicht immer freiwillig. Ob die Zahl 200000 stimmt, weiß ich nicht. Ich glaube sie auch nicht. Die Freiwilligenzahl war hoher, aber das ändert nichts an der Tatsache, daß auch die Arbeiter unter Zwangsauflagen in das Reich geholt wurden. Das habe ich nicht bestritten und habe ich auch gesagt.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Sie geben zu, und ich will Sie ganz fair fragen, daß eine große Anzahl von Arbeitern gezwungen wurde, in das Reich zu kommen, um dort zu arbeiten?
GÖRING: Jawohl.
VORSITZENDER: Sir David, wollen Sie jetzt unterbrechen?
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Jawohl.