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[Zum Zeugen gewandt:]

Und hinsichtlich des Reichsbankpräsidenten haben wir ja schon gesprochen. Nun möchte ich an Sie die Frage richten: Wenn nun diese ganzen Minister so behindert waren in ihren Zuständigkeiten, was waren denn nun die Männer und die Instanzen, die in die Ressorts hineinregierten und die die eigentliche Amtsgewalt hatten?

Das ist meine Frage. Ich darf erwähnen, daß im Komplex Frank die Einmischungen von Himmler ja bereits erwähnt waren, aber diese Frage muß noch vertieft werden, damit das Tribunal klarsieht. Bitte?

LAMMERS: Die Eingriffe in die Machtstellung der einzelnen Minister war gegeben durch eine Reihe Institutionen, die der Führer, ich möchte sagen, als Gegenspieler für die einzelnen Minister offenbar bewußt geschaffen hat. Das ist das eine Moment, und zweitens durch höhere Stellen, die im Interesse einer gewissen Einheit auf gewissen Gebieten allein die Macht haben sollten. Um bei der letzteren Kategorie zu bleiben, ist das typischste Beispiel dafür in erster Linie der Vierjahresplan. Der Führer wünschte hier eine umfassende einheitliche Lenkung die nicht abhängig war von den Wünschen der Ressortminister und hat infolgedessen den Vierjahresplan geschaffen. Auf anderen Gebieten wurde den Ministern ein Gegenspieler gesetzt, zum Beispiel dem Arbeitsminister wurde durch Einsetzung eines Reichswohnungskommissars in der Person von Herrn Ley das wichtige Gebiet des Wohnungswesens einfach abgenommen. Es wurde ihm eine Hauptaufgabe abgenommen durch Einsetzung des Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz, Herrn Sauckel, auf dem Gebiete des Arbeitseinsatzes. In der Wirtschaft war der Wirtschaftsminister, wie ich schon erwähnt habe, stark beschränkt durch die Einsetzung, durch die Befugnisse des Vierjahresplans, nachher aber auch durch die Befugnisse, die auf den Reichsminister für Rüstung und Kriegsproduktion übergingen. Im Innenministerium war die tatsächliche Gewalt des Chefs der Deutschen Polizei...

VORSITZENDER: Dr. Dix! Der Gerichtshof ist der Ansicht, daß, wenn die allgemeinen Seiten dieser Frage von den Zeugen einmal erklärt worden sind, sie durch die Angeklagten selbst von ihren besonderen Gesichtspunkten aus erklärt werden können. Der Zeuge erklärt uns jetzt, und vermutlich wird er dazu einige Zeit brauchen, zum Beispiel mit Bezug auf den Vierjahresplan, daß dort eine einheitliche Führung eingerichtet werden sollte, in die die Minister sich nicht einzumischen hatten. Damit wird das allgemeine System erklärt, und wenn es sich jetzt um die einzelnen Angeklagten handelt, können sie doch selbst erklären, in welcher Beziehung sie selbst betroffen waren. Deshalb ist es nicht nötig, dies lange und in allzugroßen Einzelheiten zu verhandeln.

DR. DIX: Ich werde das berücksichtigen und nur noch einige wenige konkrete Fragen stellen.

Es handelt sich nicht nur darum, Euer Lordschaft, daß der Minister gewisse Gebiete seines Ressorts abgeben mußte an Dritte, sondern es handelt sich auch darum, daß dritte Stellen in ein Gebiet, wofür er zuständig war, kraft eigener Zuständigkeit tatsächlich hineinregierten. Und nun gebe ich dem Zeugen das Stichwort.

Wie war es denn zum Beispiel mit der Stellung des Reichsleiters Bormann?

LAMMERS: Der Reichsleiter Bormann war der Nachfolger des Reichsministers Heß...

DR. DIX: Also nur unter dem Gesichtspunkt: Einmischung in die Ressorts.

LAMMERS:... und wurde vom Führer zum Sekretär des Führers ernannt, womit er auch in den staatlichen Sektor unmittelbar eingeschaltet war. Denn als Leiter der Parteikanzlei war er ja lediglich Nachfolger des Reichsministers Heß, der die Wünsche und Auffassungen der Partei vertreten sollte. Dadurch, daß der Führer ihn zum Sekretär des Führers ernannte und insonderheit bestimmte, daß auch auf staatlichem Sektor ein großer Teil der Dinge durch die Hand von Bormann gehen sollte, erfolgte seine starke Einschaltung in das staatliche Gebiet. Das habe ich persönlich reichlich erfahren müssen, indem ich, der ich früher wenigstens gelegentlich allein zum Vortrag kommen konnte, nachher das nicht mehr erreichen konnte, sondern nur auf dem Weg über Bormann. Die Mehrzahl meiner Vorträge fand nur im Beisein von Bormann statt, und alles, was früher abgegeben werden konnte an den Führer auf dem unmittelbaren Wege, mußte nunmehr auch in rein staatlichen Angelegenheiten den Weg über den Sekretär des Führers, über Bormann, gehen.

DR. DIX: Damit ergab sich ein Einfluß Bormanns in die einzelnen Ressorts?

LAMMERS: Ja, er bekam damals den Einfluß, denn all die Dinge aus den Ressorts, die ich nicht unmittelbar durch Vortrag beim Führer oder durch Entscheidung des Führers erledigen konnte, mußte ich schriftlich auf dem Wege über Bormann leiten und bekam von Bormann eine Nachricht, der Führer habe so oder so entschieden. Die Möglichkeit des persönlichen Vortrags, bei der ich mich für den mich angehenden Minister hätte einsetzen können, die fehlte. Meine eigenen Angelegenheiten waren es ja nicht, es waren ja immer Beschwerden, Proteste und Meinungsverschiedenheiten unter den Kabinettsmitgliedern, die konnte ich aber dann letzten Endes nicht mehr persönlich vortragen.

DR. DIX: Danke schön, das genügt. Und was Sie von Bormann ausführen, gilt das nicht in einem gewissen Grade auch für die Gauleiter, die auch hineinregierten in die Ministerien?

LAMMERS: Die Gauleiter hatten als solche selbstverständlich den Weg über die Parteikanzlei. Das war der für sie vorgeschriebene Weg. Da die Gauleiter aber in der Regel in Personalunion gleichzeitig Reichsstatthalter oder Oberpräsident waren, wurden diese beiden Stellungen natürlich miteinander verwischt und es gingen viele Angelegenheiten statt den vorgeschriebenen Weg über den zuständigen Minister und über mich unmittelbar von dem Gauleiter an Reichsleiter Bormann; ja, es gibt Fälle, in denen dieser Weg absichtlich gewählt worden ist.

DR. DIX: Danke schön. Über die Stellung Himmlers in der gleichen Richtung, der Errichtung einer neuen Macht, haben Sie Bekundungen gemacht bei dem Komplex Frank und Frick. Kann diese Bekundung nicht erweitert werden eigentlich auf alle Spitzenressorts, hinsichtlich einer Steigerung der Macht Himmlers, seiner Polizei und der SS?

LAMMERS: Ich habe die Frage nicht vollständig verstanden.

DR. DIX: Sie haben physisch nicht verstanden, was ich gefragt habe?

LAMMERS: Ich habe nicht vollständig verstanden.

DR. DIX: Also Schlagwort, Überschrift: Hineinregieren in die Ressorts. Sie haben jetzt Bormann behandelt, Sie haben Gauleiter behandelt, Sie behandelten gestern Himmler, seine Polizei, seine SS im Komplex Frick und Frank; nun frage ich Sie: Diese wachsende Macht Himmlers und der SS, wirkte sich diese nicht auch auf andere Ressorts in ähnlicher Richtung aus?

LAMMERS: Zum großen Teil auf den verschiedensten Gebieten.

DR. DIX: Damit ist diese Frage erschöpft.

Dann gehe ich zurück zu Schacht. Über die Entlassungsgesuche haben wir gesprochen. Nun kommen wir zu der tatsächlichen Entlassung. Solche Minister, die entlassen wurden, bekamen doch meistens ein Entlassungsschreiben von Hitler?

LAMMERS: Jawohl.

DR. DIX: Und dieses Entlassungsschreiben, nehme ich an, wurde von Ihnen entworfen und mit Hitler besprochen?

LAMMERS: Ja.

DR. DIX: Wurde auf die Textierung dieses Dankschreibens aus Anlaß der Entlassung eine besondere Sorgfalt verwendet – von Ihnen selbstverständlich –, ich meine jetzt von Hitler?

LAMMERS: Hitler sah sich diese Schreiben meist genau an und hat häufig auch persönliche Verbesserungen, Verschärfungen oder Milderungen in die Schreiben hineingebracht.

DR. DIX: Die beiden Entlassungsschreiben, meine Herren Richter die die Entlassung Schachts als Reichsbankpräsident und als Minister ohne Portefeuille betreffen, werden Sie in meinem Dokumentenbuch als Beweis finden. Ich will sie deshalb auch in extenso dem Zeugen nicht vorhalten. Nur zwei Sätze: In dem Entlassungsschreiben Hitlers an Schacht aus Anlaß seiner Entlassung als Reichsbankpräsident steht: »Ihr Name wird vor allem für immer mit der ersten Epoche der nationalen Wiederaufrüstung verbunden sein.« Schacht hat diesen Satz damals als eine Bewußtheit, einen leisen Tadel, eine einschränkende Feststellung des Lobes empfunden. Wie stellen Sie sich zu dieser Frage, der Sie doch den Entwurf dieses Entlassungsschreibens mit erledigt haben?

LAMMERS: Soweit ich mich entsinne, habe ich formuliert gehabt, daß Herrn Schacht der Dank ganz allgemein und generell ausgesprochen wird und diese Zufügung beruht auf einer persönlichen Einfügung des Führers, soweit ich mich dessen entsinne, denn mir hätte es nicht gelegen, hier eine Distanzierung zu machen.

DR. DIX: Und nun in einem weiteren späteren Entlassungsschreiben vom 22. Januar 1943, da steht, nicht mehr von Hitler unterschrieben, sondern von Ihnen im Auftrage: »Der Führer hat sich mit Rücksicht auf Ihre Gesamthaltung im gegenwärtigen Schicksalskampf des deutschen Volkes entschlossen, Sie zunächst aus Ihrem Amt als Reichsminister zu verabschieden.« Herr Schacht hat seinerzeit, glaube ich, keine sehr angenehmen Gefühle hinsichtlich seiner persönlichen Sicherheit gehabt, als er diesen Satz las.

Darf ich an Sie die Frage richten, nachdem Sie dieses Schreiber damals im Auftrag Hitlers textiert haben: War das so unberechtigt?

LAMMERS: Über die näheren Gründe, die den Führer bewogen haben, Schacht zu entlassen, weiß ich nur das eine, daß ein Brief von Herrn Schacht an den Reichsmarschall Göring dem Führer den Anlaß gegeben hat, Schacht aus seinem Amt zu entlassen. Der Führer hat mir nähere Gründe nicht mitgeteilt, war sehr heftig und hat mir diese Fassung befohlen, mit der Gesamthaltung; ja, ich möchte sagen, die Fassung, die der Führer wünschte, war noch etwas schärfer, ich habe sie dann noch in der in dem Schreiben enthaltenen Art in eine einigermaßen erträgliche Form gebracht; und was für weitere Maßnahmen gegenüber Schacht beabsichtigt waren, hat mir der Führer nicht gesagt, aber das Wort »zunächst« hatte er mir ausdrücklich aufgetragen.

DR. DIX: Nun eine letzte Frage: Ich hatte ursprünglich die Absicht, Sie als den besten Kenner der Entwicklung im einzelnen zu befragen nach der langsamen Entwicklung vom Jahre 1933 bis zur vollständigen Autokratie Hitlers. Diese Fragen sind durch Ihre Antworten, die Sie gestern meinen Kollegen gegeben haben, zum allergrößten Teil erledigt. Ich möchte sie nicht wiederholen. Nur zwei Fragen möchte ich zur Klarstellung stellen. Das Ermächtigungsgesetz vom Jahre 1933 – wir nennen Ermächtigungsgesetz das Gesetz, durch welches sich der Reichstag der Macht entkleidete –, ich frage Sie, erteilte dieses Gesetz die Ermächtigung – daher der Name – Hitler oder dem Reichskabinett, der Reichsregierung, glaube ich?

LAMMERS: Das Ermächtigungsgesetz gab die Ermächtigung zur Gesetzgebung, zur verfassungsändernden Gesetzgebung an die Reichsregierung, und die Reichsregierung ihrerseits hat von der Befugnis zur Verfassungsänderung Gebrauch gemacht, sowohl ausdrücklich wie auch stillschweigend, indem sie ein Staatsgewohnheitsrecht sich bilden ließ, das das bisherige Recht...

DR. DIX: Ja, danke schön, Herr Zeuge, das haben Sie gestern ausgeführt, das brauchen Sie nicht mehr zu sagen. Dann haben Sie schon darauf hingewiesen, daß die Reichsregierung durchaus nicht nur aus Nationalsozialisten bestand, sondern sogar in ihrer Mehrheit aus Angehörigen anderer Parteien. Sie nannten gestern nur Deutschnationale, wie Hugenberg, Dr. Dorpmüller und Gürtner und den Stahlhelm – der Chef davon war Seldte –, aber sie haben vergessen, und darum frage ich Sie, die Zentrumspartei zu nennen. Ist es richtig, daß Herr von Papen vom Zentrum herkam?

LAMMERS: Ja, ich will das durchaus zugeben, das ist richtig; ich weiß allerdings nicht, ob Herr von Papen Zentrumsmitglied war.

DR. DIX: Sie sprechen nach meiner Ansicht sehr gelehrt und euphemistisch von einem staatlichen Gewohnheitsrecht. Ich würde es anders nennen, aber darüber wollen wir uns nicht unterhalten. Ich möchte nur von Ihnen wissen, ob noch ein Gesetz oder mehrere auf dieser Bahn der langsamen Entwicklung zur völligen Autokratie Hitlers ergangen ist, das ein wichtiges Gesetz war und als solches Bedeutung hatte.

Betrachten Sie nicht das Gesetz nach Hindenburgs Tod, die Vereinigung der Ämter des Reichskanzlers und des Reichspräsidenten mit der gleichzeitigen Folge, daß der Träger dieses Amtes zugleich auch oberster militärischer Befehlshaber wurde, auf den die Wehrmacht den Eid leistete, betrachten Sie dieses Gesetz nicht als einen weiteren Markstein in der Entwicklung?

LAMMERS: Dieses Gesetz war einer der wichtigsten Marksteine auf dieser Entwicklung, und zwar ganz besonders deshalb, weil es ja nach einem Erlaß der Reichsregierung durch eine Volksabstimmung, die fast hundert Prozent erreicht hat, ausdrücklich bestätigt worden ist.

DR. DIX: Und weitere Gesetze wurden dann nicht erlassen zur Stützung dieser Entwicklung?

LAMMERS: Nein, ich kenne keine.

DR. DIX: Ich kenne auch keine. Das andere, ob man das ein Gewohnheitsrecht des Staates nennen kann, oder ob man es eine Vereinigung von List und Terror nennen will, das ist eine Frage, die ich in diesem Moment nicht auf werfen will; ich glaube, unsere Auffassungen gehen da auseinander.

Euer Lordschaft! Ich bin jetzt mit meinen Fragen an den Zeugen Lammers für meinen Klienten fertig. Aber mein Kollege Dr. Kubuschok ist abwesend wegen einer Dienstreise. Ich glaube nicht, daß das Flugzeug gestern abgeflogen ist; und deshalb glaube ich auch nicht, daß er zurück sein kann. Er hat mich aber gebeten, Fragen für Herrn von Papen an den Zeugen zu stellen, und ich wollte das Gericht fragen, ob ich dem Zeugen die Frage, es ist nur eine kurze Frage, stellen darf, oder ob ich warten soll, bis die Verteidigung von Papen in der Reihenfolge dran ist.

VORSITZENDER: Nein, jetzt, denn der Zeuge wird nicht wieder aufgerufen werden, außer aus besonderen Gründen.

DR. DIX: Nein, ich meinte nur, ob Sie mich heute, später, wenn von Papen an der Reihe ist in der Reihenfolge der Angeklagten, den Zeugen befragen lassen?

VORSITZENDER: Es ist besser, Sie fragen jetzt. Fahren Sie fort.

DR. DIX: Ich bitte Sie, sich an den Röhm-Putsch zu erinnern. Die Erlebnisse Papens während des Röhm- Putsches werden später erörtert werden. Erinnern Sie sich, daß von Papen, der damals Vizekanzler war, am 3. Juli 1934 seine Demission von Hitler gefordert und sie auch erhalten hat?

LAMMERS: Ja, ob das Datum richtig ist, da kann ich mich nicht festlegen, aber es war ungefähr um diese Zeit.

DR. DIX: Erinnern Sie sich ferner, ob einige Zeit danach, es sollen nur wenige Tage gewesen sein, nämlich zwischen dem 7. und 10 Juli, Sie im Auftrag Hitlers zu Herrn von Papen gekommen sind und ihn gefragt haben, ob er bereit sei, den Posten eines Botschafters am Vatikan anzunehmen?

LAMMERS: Ich kann mich entsinnen, daß ich bei Herrn von Papen damals gewesen bin und ihm im Auftrage des Führers eine weitere Verwendung in Aussicht stellen sollte, und daß dabei an eine Verwendung beim Heiligen Stuhl gedacht war. Aber ob ich Auftrag hatte, ihm unmittelbar ein Angebot dafür zu machen, daran kann ich mich nicht erinnern.

DR. DIX: Wissen Sie noch, was von Papen darauf geantwortet hat?

LAMMERS: Er hatte damals nicht viel Neigung zur Annahme eines solchen Postens.

DR. DIX: Danke, ich bin nun zu Ende.

DR. ROBERT SERVATIUS, VERTEIDIGER DES ANGEKLAGTEN SAUCKEL, VERTEIDIGER FÜR DAS KORPS DER POLITISCHEN LEITER: Herr Zeuge, Sauckel ist am 21. März 1942 zum Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz ernannt worden. Was waren die Gründe dafür, daß Sauckel für diese Stellung gewählt wurde?

LAMMERS: Der Führer war der Auffassung, daß der Arbeitseinsatz vom Reichsarbeitsminister nicht mit der nötigen Intensität gefördert worden war, und daß er diese Aufgabe deshalb in eine besonders energische Hand legen müsse.

DR. SERVATIUS: Hat der Führer den Einsatz der ausländischen Arbeiter mit Nachdruck verlangt?

LAMMERS: Er hat verlangt, daß alle Arbeitskräfte herangezogen werden, die nur irgendwie verfügbar gemacht werden konnten.

DR. SERVATIUS: Gerade die ausländischen Arbeitskräfte?

LAMMERS: Auch das Ausland ist dabei erwähnt worden, denn im Inland hatten wir ja alles ausgeschöpft.

DR. SERVATIUS: Erhielten Sie den Auftrag, die obersten Dienststellen in den besetzten Gebieten besonders zu unterrichten, mit der Aufforderung, sie möchten die Aufgabe Sauckels eingehend unterstützen?

LAMMERS: Das war erst viel später der Fall. Zunächst erfolgte der Einsatz des Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz, und das ist bekanntgegeben worden in allen maßgeblichen Dienststellen. Daran habe ich, glaube ich, eine besondere Aufforderung nicht geknüpft. Aber Anfang des Jahres 1944 fand eine Besprechung beim Führer statt, in der das Arbeitseinsatzprogramm für das Jahr 1944 besprochen wurde. Am Schluß dieser Besprechung, in der Sauckel eine ganze Reihe von Auflagen in bestimmten Zahlen für die Arbeitsbeschaffung bekommen hatte, habe ich den Auftrag erhalten, an alle beteiligten Stellen zu schreiben, sie möchten den Auftrag, den Sauckel bekommen hatte, mit allen zur Verfügung stehenden Kräften unterstützen.

DR. SERVATIUS: Sie sprechen von einer Sitzung Anfang Januar 1944. Darüber liegt ein größeres Protokoll vor, das von Ihnen gefertigt ist. Danach hat Sauckel in der Sitzung angegeben, daß er das Programm nur schwer oder vielleicht gar nicht erfüllen könne bezüglich der Zahlen der ausländischen Arbeiter. Was hat er als Grund dafür angegeben?

LAMMERS: Die Erklärung ist richtig und als Grund hat er angegeben, daß die nötige Exekutive für die Durchführung dieses Auftrages in den verschiedensten Gebieten fehle. Wenn er seinen Auftrag erfüllen solle, dann müsse er vor allen Dingen nicht angewiesen sein auf eine ausländische Exekutive, wie es zum Beispiel in Frankreich der Fall war, sondern dann müßte eine deutsche Exekutive einsetzen, die seine Aktion unterstütze.

DR. SERVATIUS: Sprach er nicht davon, daß die Erfüllung unmöglich sei, wegen der Partisanen- und Bandengefahr?

LAMMERS: Er hat auf diese Schwierigkeiten vielfach hingewiesen, namentlich auf die Partisanen- und Bandengefahr, und das wurde ja auch als selbstverständlich betrachtet, daß er Arbeitsanwerbungen nicht vornehmen kann in Gebieten, in denen noch Partisanenkämpfe stattfanden.

DR. SERVATIUS: Verlangte er die Befriedung dieser unruhigen Partisanen- und Bandengebiete? Verlangte er dafür Exekutivkräfte?

LAMMERS: Ja, das ist richtig.

DR. SERVATIUS: Wurde der Schutz der Behörden vor diesen Widerstandsbewegungen verlangt?

LAMMERS: Ja, er wünschte, daß die örtlichen Stellen sich dafür einsetzen, daß er eine freie Hand zum Arbeiten bekomme.

DR. SERVATIUS: Ich lese Ihnen aus dem Protokoll einen Satz vor und bitte um Ihre Erklärung, wie dieser Satz zu verstehen ist. Es heißt dort:

»Der Reichsführer-SS legte dar, daß die ihm zur Verfügung gestellten Exekutivkräfte außerordentlich gering seien, daß er aber versuchen werde, durch ihre Vermehrung und erhöhte Anspannung der Aktion Sauckel zum Siege zu verhelfen.«

Wie war das zu verstehen?

LAMMERS: Das hat sich in der Hauptsache bezogen auf die russischen Gebiete, in denen Partisanen da waren, und Herr Sauckel glaubte, daß er da ohne eine Säuberung dieser Gebiete nicht tätig werden könne.

Der anwesende Himmler sagte zu, er würde sein möglichstes tun, hatte aber Bedenken, ob er die genügenden Polizeibataillone oder anderen Kräfte zur Verfügung hätte.

DR. SERVATIUS: Verstehe ich Sie richtig, wenn es so zu verstehen ist, daß es sich um die Sicherung der Behörden handeln sollte, um die Sicherung der Gebiete, aber nicht um einen Übergang der Erfassung auf die SS.

LAMMERS: Ein Übergang der Erfassung auf die SS war an sich nicht vorgesehen, sondern mit der von Sauckel geforderten deutschen Exekutive war in jedem Fall gemeint die jeweilige Exekutive, die gerade verfügbar ist, das war zum Beispiel in Frankreich nicht die SS, sondern die Feldkommandantur, die das besorgen mußte, und in Rußland mußten zum Teil die Polizeibataillone die Partisanengegenden erst befrieden.

DR. SERVATIUS: Ich habe nun für die Politischen Leiter eine Frage. Es ist hier ein Dokument vorgebracht worden, das eingeführt worden ist als D-720. Es ist unterzeichnet von dem Gauleiter Sprenger, trägt kein Datum, aber es ist offenbar aus dem Frühjahr, also Anfang 1945. In diesem Schreiben ist die Rede von einem neuen Reichsgesundheitsgesetz, und zwar soll dies enthalten eine Anordnung über Lungen- und Herzkranke, die beseitigt werden sollen.

Es heißt hier, daß dieses Gesetz vorerst noch geheimgehalten wird. Auf Grund dieses Gesetzes werden diese Familien nicht mehr in der Öffentlichkeit bleiben können und dürfen keine Nachkommen mehr erzeugen. Ist Ihnen über ein solches Gesetz etwas bekannt?

LAMMERS: Ich habe das Wort nicht verstanden. Waren das Geisteskranke oder welche Kranke?

DR. SERVATIUS: Ein Reichsgesundheitsgesetz, das sich auf Lungen- und Herzkranke erstreckt.

LAMMERS: Mir ist nicht das geringste davon bekannt.

DR. SERVATIUS: Ich habe Sie nicht verstanden.

LAMMERS: Mir ist davon nicht das geringste bekannt.

DR. SERVATIUS: Hätte Ihnen das bekannt sein müssen?

LAMMERS: Ja, an sich müßte es dem Innenminister bekannt gewesen sein, denn Gesundheitssachen sind beim Innenminister bearbeitet worden. Es ist nie an mich gegangen.

DR. SERVATIUS: Danke, ich habe keine Frage mehr.

DR. GUSTAV STEINBAUER, VERTEIDIGER DES ANGEKLAGTEN SEYSS-INQUART: Herr Zeuge! Einen Tag nach dem Einmarsch der deutschen Truppen in Österreich ist ein Gesetz am 13. März 1938 erschienen, das die Überschrift trägt: »Gesetz zur Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich.« Seyß-Inquart und seine Regierung waren über den Inhalt dieses Gesetzes sehr überrascht. Ich stelle nun die Frage an Sie, ob Ihnen etwas Näheres bekannt ist, wieso dieses in Linz am 13. März 1938 erschienene Gesetz erlassen wurde?

LAMMERS: Ich habe den Einmarsch der deutschen Truppen in Österreich wie jeder Rundfunkhörer durch den Rundfunk gehört und bin infolgedessen, weil ich glaubte, daß ich benötigt werden könnte, nach Wien gefahren. Da war dieses Gesetz bereits fertig, unterschrieben und verkündet. Ich habe an diesem Gesetz nicht mitgewirkt. Dagegen hat wohl... also der Reichsinnenminister und der Staatssekretär Stuckart, die haben das Gesetz ausgearbeitet. Ich habe an dem Gesetz in keiner Weise mitgewirkt, weil ich ja auch nichts davon wußte, daß diese Aktion erfolgte.

DR. STEINBAUER: Haben Ihnen die Herren, die Sie jetzt genannt haben, vielleicht Mitteilung gemacht, warum dieses Gesetz in so überstürzter und rascher Weise publiziert wurde.

LAMMERS: Das war der Wunsch des Führers.

DR. STEINBAUER: Danke. Gleichzeitig wurde damals Dr. Seyß-Inquart zum SS-Obergruppenführer, nicht, wie die Anklage behauptet, SS-General, ernannt und ihm außerdem vom Führer in Aussicht gestellt, daß er innerhalb Jahresfrist zum Mitglied der Reichsregierung ernannt werden würde. Tatsache ist, daß er auch dann im Jahre 1939 zum Reichsminister ohne Geschäftsbereich ernannt wurde. Frage: Hat Seyß-Inquart in seiner Eigenschaft einerseits als SS-Obergruppenführer und andererseits als Minister ohne Geschäftsbereich irgendeine Funktion ausgeübt?

LAMMERS: Meines Wissens ist Seyß-Inquart damals nicht Obergruppenführer, sondern erst Gruppenführer geworden. Das war ein bloßer Ehrenrang, den er bekam. Er hatte in der SS keine Befehlsgewalt, hatte in der SS, soviel ich weiß, keinerlei Dienst getan und hat lediglich diese Uniform getragen und ist später dann Obergruppenführer geworden.

DR. STEINBAUER: Also eine reine Etikette- und Uniformfrage, wie Sie richtig sagen.

LAMMERS: Eine Art Ehrenrang.

DR. STEINBAUER: Danke. Ein Jahr später wurde dann Seyß-Inquart zum Reichskommissar für die Niederlande ernannt, und im Verordnungsblatt für die Niederlande wurde auch diese Ernennung publiziert, gleichzeitig mit dem Reichsgesetzblatt. Ist Ihnen bekannt, ob nicht neben diesem publizierten Erlaß, womit er zum Reichsstatthalter bestellt wurde, ihm auch im Rahmen des Vierjahresplanes ein Auftrag gegeben wurde?

LAMMERS: Seyß-Inquart hat, mit dem Augenblick seiner Ernennung zum Reichskommissar in den Niederlanden, dieselben Einschränkungen erfahren, die ich gestern schon geschildert habe bei Herrn Frank und bei Herrn Rosenberg. Also, es war ein Vorbehalt da für den Beauftragten für den Vierjahresplan, der ja überall die umfassenden Weisungsbefugnisse hatte. Insofern war seine Stellung von vornherein beschränkt.

DR. STEINBAUER: Wie war denn die Stellung der deutschen Polizei in den Niederlanden? Ist die deutsche Polizei der direkten Befehlsgewalt des Angeklagten Seyß-Inquart unterstanden oder dem Reichsführer-SS Himmler?

LAMMERS: Hier sind die Verhältnisse genau so oder ähnlich, wie ich es gestern schon für das Generalgouvernement geschildert habe. Der Höhere SS- und Polizeiführer stand zwar dem Reichskommissar zur Verfügung, aber er erhielt seine fachliche Weisung von Himmler.

DR. STEINBAUER: Danke. Erinnern Sie sich, Herr Zeuge, daß Sie anfangs 1944 dem Angeklagten, in der damaligen Eigenschaft als Reichskommissar der Niederlande, einen Befehl des Führers übermittelt haben, daß er aus den Niederlanden 250000 Arbeiter beizustellen hat, und daß dies Seyß-Inquart Ihnen gegenüber abgelehnt hat?

LAMMERS: Es handelt sich hier um das Schreiben, das ich vorhin schon bei meiner Vernehmung für Sauckel erwähnt habe, ein Rundschreiben, in dem alle aufgefordert wurden, die Aktion Sauckel zu unterstützen und den einzelnen Stellen wurden Auflagen gemacht in der Zahl der zu beschaffenden Arbeiter. Aber daß es bei Seyß-Inquart 250000 Arbeiter gewesen sind, die Zahl, an die kann ich mich nicht erinnern. Das weiß ich nicht. Ich weiß aber, daß Herr Seyß-Inquart mir gegenüber gegen die Aufbringung dieser ihm auferlegten Zahl schwere Bedenken erhoben hat. Er hatte den Willen, sie an den Führer zu bringen.

DR. STEINBAUER: Danke. Ich habe keine weitere Frage mehr.

DR. HANS LATERNSER, VERTEIDIGER FÜR GENERALSTAB UND OBERKOMMANDO: Herr Zeuge! Ist Hitler 1933 mit Hilfe der Reichswehr an die Regierung gekommen, das heißt, hat irgendein militärischer Druck in dieser Zeit stattgefunden?

LAMMERS: Ich selbst habe an der Machtergreifung nicht unmittelbar mitgewirkt, kann also ganz Genaues nicht sagen. Mir ist aber nichts darüber bekannt, daß die damalige Reichswehr auf die Machtergreifung irgendwelchen Einfluß ausgeübt hat. Ich nehme an, wenn das der Fall gewesen wäre, so würde man das erfahren haben.

DR. LATERNSER: Im Jahre 1934 erfolgte die Zusammenlegung der Dienststellungen des Staatsoberhauptes und Reichskanzlers in der Person Hitlers. Hätten nun die militärischen Führer den Eid auf Hitler verweigern können, ohne gegen ein Gesetz zu verstoßen?

LAMMERS: Das Gesetz zum Übergang auf das Staatsoberhaupt ist verfassungsmäßig ergangen, damit war der Führer Oberster Befehlshaber der Wehrmacht. Irgendeine Möglichkeit, sich dagegen zu widersetzen, gab es gar nicht. Das wäre eine glatte Revolte gewesen, Meuterei.

DR. LATERNSER: Ist Ihnen etwas davon bekanntgeworden, daß militärische Führer Vorschläge gemacht hätten, Angriffskriege zu entfesseln oder vorzubereiten?

LAMMERS: Mir ist davon nicht das geringste bekannt.

DR. LATERNSER: Es ist bekannt, daß Hitler den militärischen Führern keinerlei Einfluß auf seine politischen Entschlüsse gewährte. Sind Ihnen Äußerungen Hitlers bekannt, daß er den Generalen ein politisches Urteil überhaupt absprach?

LAMMERS: Der Führer hat sich über die Persönlichkeiten der Generalität und auch einzelner Generale vom militärischen Gesichtspunkt aus sehr lobend geäußert, sehr günstig. In politischer Hinsicht war er immer der Auffassung, daß Generale von Politik nichts verstehen und daß man sie möglichst nicht an eine Stelle setzen soll, wo es politische Dinge zu entscheiden gibt.

DR. LATERNSER: Es ist weiter bekannt, daß Hitler keinerlei Widerspruch duldete. War nicht der tiefere Grund für die Entlassung Blombergs, Fritschs und Becks der, daß diese wiederholt widersprochen hatten?

LAMMERS: Ja, ich möchte annehmen, daß hier solche persönliche Differenzen letzten Endes den Ausschlag gegeben haben für die Entlassung von Schacht, von Blomberg, von Neurath und auch von Fritsch. Ich bin aber nie bei solchen Unterredungen dabeigewesen. Also inhaltlich kann ich nichts bekunden. Ich glaube aber, daß die Herren dem Führer häufig widersprochen haben.

DR. LATERNSER: Hegte überhaupt Hitler gegenüber den Generalen, insbesondere des Heeres, Mißtrauen?

LAMMERS: Das kann man nicht allgemein beantworten. Der Führer hatte gegen die meisten Leute eine gewisse Zurückhaltung gehabt, indem er immer jedem nur sagte, was ihn anging. Wenn man also darin ein Mißtrauen erblicken will, dann hat dieses Miß trauen gegenüber fast allen Ministern und Generalen vorgelegen denn es hat keiner mehr erfahren, als er erfahren sollte und erfahren durfte nach dem Willen des Führers.

DR. LATERNSER: Gab es überhaupt in demjenigen Personenkreis, der das uneingeschränkte Vertrauen Hitlers besessen hat, irgendeinen militärischen Führer?

LAMMERS: Das glaube ich nicht, ich kenne keinen.

DR. LATERNSER: Nun habe ich noch eine letzte Frage. Was war der Grund, die Masse der besetzten Gebiete unter Reichskommissare und nur wenige unter Militärverwaltung zu stellen?

LAMMERS: Der Führer wünschte in der Regel, daß besetzte Gebiete politisch verwaltet würden und hat Generale dafür für ungeeignet gehalten, weil er ihnen, na, ich möchte sagen, ihnen auf diesem Gebiete eine politische Instinktlosigkeit zur Last legte.

DR. LATERNSER: Sollte nicht schon vor 1944 die Militärverwaltung in Belgien durch einen zivilen Kommissar ersetzt werden?

LAMMERS: Das war schon lange vorgesehen. Die Vorbereitung dafür war schon getroffen, aber der Führer konnte sich nicht entschließen, sie in Kraft zu setzen, weil ihm auch immer gesagt wurde, es sprechen hier bei Belgien doch sehr starke militärische Gründe dagegen, dort eine Zivilverwaltung aufzumachen, da Belgien möglicherweise in irgendeiner Weise wieder Operationsgebiet werden könnte. Da ist das hinausgezögert worden, über ein Jahr und länger.

DR. LATERNSER: Danke schön. Ich habe keine weitere Frage.

VORSITZENDER: Wünscht die Anklagebehörde den Zeugen im Kreuzverhör zu vernehmen?

MAJOR F. ELWYN JONES, HILFSANKLÄGER FÜR DAS VEREINIGTE KÖNIGREICH: Herr Zeuge! Ich möchte Sie über eine Sache befragen, und zwar über die Machtbefugnisse der Reichsminister nach der Verfassung Nazi-Deutschlands. Aus Ihrer Aussage geht hervor, daß sie Männer mit sehr geringer Machtbefugnis oder irgendeiner Befehlsgewalt überhaupt, daß sie Strohmänner waren. Ist das tatsächlich der Fall?

LAMMERS: Ja, keine ist zuviel. Ich meine die große Politik...

MAJOR ELWYN JONES: Aber die Machtbefugnisse waren äußerst begrenzt, wollen Sie das sagen?

LAMMERS: Sie waren im wesentlichen Verwaltungschefs ihrer Ressorts. Sie waren aber keine politischen Minister, die in den großen politischen Fragen zur Mitbestimmung berufen waren.

MAJOR ELWYN JONES: Sie hatten weniger Befehlsgewalt, als Minister in Deutschland unter der vorhergehenden Verfassung besaßen?

LAMMERS: Das ist zweifellos der Fall, denn in der früheren Verfassung wurde ja abgestimmt und zumindest konnte der Minister dadurch, daß er im Kabinett seine Stimme gegen irgend etwas kundgab, seine Machtbefugnis zum Ausdruck bringen.

MAJOR ELWYN JONES: Ich lege Ihnen nunmehr einige Bemerkungen vor, die Sie im Jahre 1938 über die Machtbefugnisse der Minister im Führerstaat gemacht haben. Ich beziehe mich auf das Dokument 3863-PS:

»Aus dieser grundsätzlichen Totalkonzentration der obrigkeitlichen Gewalt in der Person des Führers folgt aber keinesfalls in der Staatspraxis eine übertrieben starke und unnötige Zentralisierung der Verwaltung in der Hand des Führers. Ich habe bereits in meinen allgemeinen Ausführungen über die Grundgedanken des Führerstaates darauf hingewiesen, daß die Wahrung der Autorität des Unterführers nach unten hin es verbietet, in jede einzelne seiner Handlungen und Maßnahmen hinein zu befehlen. Dieser Grundsatz wird vom Führer in seiner Regierungsführung in einer Weise gehandhabt, daß zum Beispiel die Stellung der Reichsminister tatsächlich eine viel selbständigere ist als früher, obgleich die Reichsminister heute der uneingeschränkten Befehlsgewalt des Führers für ihren gesamten Amtsbereich und hinsichtlich jeder einzelnen Maßnahme und Entscheidung auch in den nebensächlichsten Fällen unterworfen sind. Verantwortungsfreudigkeit, Entschlußkraft, vorwärtsdrängende Energie und wirkliche Autorität, das sind die Eigenschaften, die der Führer in erster Linie von seinen Unterführern verlangt. Er läßt ihnen daher größte Freiheit in der Führung ihrer Geschäfte und in der Art der Erfüllung ihrer Aufgaben. Nichts liegt ihm ferner als kleinliche oder gar nörgelnde Kritik.«

Dieses Bild der Machtbefugnisse der Reichsminister ist sehr verschieden von dem Bild, das Sie dem Gerichtshof gegeben haben, oder nicht?

LAMMERS: Ich bin der Ansicht, daß das nicht im geringsten widerspricht, denn ich habe hier nichts anderes gesagt, als daß jeder Minister in der großen Politik normalerweise nicht mitzureden hatte, dagegen in seinem Gebiet der oberste Verwaltungschef war, und hier ist es ausgeführt, daß er als Unterführer, soweit ihm der Führer Befugnisse gelassen hatte, auch andererseits die größten Machtvollkommenheiten hatte und daß ihm da der Führer in diese Machtvollkommenheiten nicht kleinlich hineingeredet hat. Das hat dem Führer ferngelegen. Es handelt sich hier nur um Angelegenheiten zweiter und dritter Ordnung, die große Politik ist hier nicht erörtert.

MAJOR ELWYN JONES: Sehen Sie, Ihr Bild von der Verwaltung dieses riesigen Staates Nazi-Deutschland ist ein Bild von einem Mann, der in allen grundsätzlichen Fragen selbst aus seinen intuitiven Kräften entscheidet. Wollten Sie dem Gerichtshof ein derartiges Bild entwerfen?

LAMMERS: Ja, der Minister war der oberste Führer seiner Sache und soweit er nicht beschränkt war, hat er da größere Machtvollkommenheiten gehabt als früher je ein Minister, weil der Führer in Kleinigkeiten nicht hineingeredet hat.

MAJOR ELWYN JONES: Im Falle des Angeklagten Funk zum Beispiel sagen Sie, daß er ein kleiner Mann ohne Machtbefugnisse, ohne Einfluß auf Entscheidungen war. Ist das richtig?

LAMMERS: Auf die großen politischen Entscheidungen hatte er keinen Einfluß gehabt. Aber in seinem Ressort hatte er einen großen Einfluß gehabt. Das waren aber die Dinge zweiter Ordnung und die Dinge dritter Ordnung.

MAJOR ELWYN JONES: Aber Entscheidungen... hinsichtlich wichtiger wirtschaftlicher Fragen, wie zum Beispiel die Höhe des Vermögens, das aus den besetzten Gebieten herausgezogen werden sollte, diese Entscheidungen des Führers stützten sich auf Vorstellungen oder Empfehlungen von Ministern wie Funk, oder nicht?

LAMMERS: Das ist mir nicht bekannt. Die Finanzpolitik in den besetzten Gebieten, die hat ja der Ostminister gemacht, beziehungsweise die Reichskommissare mit dem Finanzminister zusammen.

MAJOR ELWYN JONES: Aber bei Entscheidungen über wirtschaftliche Angelegenheiten, die die besetzten Gebiete betrafen, wie zum Beispiel Vorschläge über Besatzungskosten und die Technik der Aufkäufe auf dem schwarzen Markt, hatten Männer wie Funk Vorschläge für die Entscheidung der Politik in diesen Angelegenheiten abzugeben, oder nicht?

LAMMERS: Da hat er mitgewirkt. Er hatte ja als Reichskommissar in den besetzten Gebieten keine Befehlsgewalt. Der Reichskommissar unterstand ja dem Führer unmittelbar.

MAJOR ELWYN JONES: Aber alle diese Minister arbeiteten in ihrer Sphäre und waren unerläßlich für die Führung, des Nazi-Staates, oder nicht?

LAMMERS: Ja, selbstverständlich war eine Mitarbeit nötig. Aber daraus folgt ja noch nicht, daß Herr Funk in den besetzten Gebieten eine Befehlsgewalt hatte. Die hat er sicher nicht gehabt.

MAJOR ELWYN JONES: Soweit Funk in Frage kommt, haben Sie versucht, seine Stellung im Staat klarzustellen. Erinnern Sie sich, ob Funk dem Führer direkt unterstand oder nicht? Erinnern Sie sich daran?

LAMMERS: Ja, Funk war dem Führer unterstellt; selbstverständlich als Minister.

MAJOR ELWYN JONES: Und er hat den Führer selbst beraten oder nicht?

LAMMERS: Er ist sehr selten zum Führer gekommen.

MAJOR ELWYN JONES: Aber auf dem lebenswichtigen Gebiet der Finanzierung der Wiederaufrüstung zum Beispiel hatte er wichtige Entscheidungen dem Führer mitzuteilen und den Führer hierüber zu beraten, oder nicht?

LAMMERS: Ich weiß nicht, in welchem Umfange der Führer ihn hat kommen lassen, denn ich bin bei Unterredungen über Rüstungskredite und Aufrüstung nie zugegen gewesen.

MAJOR ELWYN JONES: Ich möchte noch eine weitere Frage mit Bezug auf ministerielle Angelegenheiten an Sie richten. Haben Minister ohne Geschäftsbereich immer die Mitteilungen des Reichskabinetts erhalten?

LAMMERS: Sie bekamen alle Vorlagen zugeschickt.

MAJOR ELWYN JONES: Der Angeklagte Frank, beispielsweise, war ein Minister ohne Geschäftsbereich?

LAMMERS: Ja.

MAJOR ELWYN JONES: Er erhielt alle Mitteilungen in seiner Eigenschaft als Minister ohne Geschäftsbereich?

LAMMERS: Er erhielt alle Vorlagen, die auch andere Minister bekommen haben, soweit eine Gesamtverteilung stattgefunden hat.

MAJOR ELWYN JONES: Und als er Generalgouverneur des Generalgouvernements war, unterhielt er ein Ministerialbüro, um sich mit den eingehenden Sachen des Reichskabinetts zu befassen?

LAMMERS: Wen meinen Sie jetzt, Frank?

MAJOR ELWYN JONES: Ich spreche jetzt von dem Angeklagten Frank, ja.

LAMMERS: Frank hatte ein Büro in Berlin, wo die Ministersachen für ihn abgeliefert wurden.

MAJOR ELWYN JONES: Das heißt, das Reichskabinett hat tatsächlich nicht getagt, aber es hat weiterhin bestanden?

LAMMERS: Das Reichskabinett existierte nur für das schriftliche Gesetzgebungsverfahren und für schriftliche Verwaltungssachen, die im Umlaufwege gemacht werden konnten.

MAJOR ELWYN JONES: Und die Mitglieder des Reichskabinetts wie Frank, erhielten Mitteilungen über Gesetzgebungsfragen und die Tätigkeit des Reichskabinetts, obwohl sie für Konferenzen oder Zusammenkünfte nicht zur Verfügung standen?

LAMMERS: Sie bekamen alles das zugestellt, was alle Minister bekamen.

MAJOR ELWYN JONES: Ich glaube, es ist Zeit abzubrechen.

VORSITZENDER: Ja.