[Das Dokument wird dem Zeugen überreicht.]
Sie haben dieses Dokument schon vorher gesehen?
ROSENBERG: Ja, ich habe es gesehen.
MR. DODD: Es ist eine für Sie verfaßte Aufzeichnung eines Ihrer Mitarbeiter, Dr. Markull, die Ihnen von Leibbrandt, ebenfalls einem Ihrer Mitarbeiter in leitender Stellung, am 19. August 1942 überreicht worden ist. Lesen Sie bitte mit, während ich einzelne Absätze zur Verlesung bringe. Die ersten Zeilen tragen das Datum des 5. September 1942 und sind gerichtet an den »Herrn Reichsminister im Hause«. Es heißt dann weiter, daß Ihnen in der Anlage eine Aufzeichnung mit Stellungnahme des Dr. Markull zum Bormann-Brief vom 23. Juli überreicht wird.
Bevor wir mit der Verlesung beginnen, möchte ich noch auf einen Punkt hinweisen: Sie haben gestern gesagt, daß Sie in einigen Fragen Meinungsverschiedenheiten mit Bormann hatten.
Stimmt das?
ROSENBERG: Ich habe gesagt...
MR. DODD: Beantworten Sie die Frage. Haben Sie das gestern gesagt?
ROSENBERG: Ich habe in entscheidenden Punkten mit Bormann nicht übereingestimmt. Ich habe erklärt, daß ich im Laufe der Jahre derart bestürmt wurde, daß ich das eine oder andere Mal beruhigende Erklärungen abgeben mußte. Meine ganze Politik war...
MR. DODD: Gut! Wir wollen uns jetzt die Aufzeichnung zum Bormann-Brief an Sie vom 23. Juli, ich nehme an 1942, ansehen:
»Am 23. Juli 1942 hat Reichsleiter Bormann ein Schreiben an den Minister gerichtet, das in 8 Punkten die Grundsätze wiedergibt, die der Minister in den besetzten Ostgebieten durchführen soll.«
Weiter heißt es dann, Sie hätten
»in einer Meldung an den Führer vom 11. August 1942 eingehend erläutert, inwieweit diese Grundsätze schon jetzt verwirklicht beziehungsweise der verfolgten Politik zugrundegelegt würden.«
Im nächsten Absatz steht:
»Wer diesen Briefwechsel liest, dem fällt als hervorstechendes Merkmal die vollkommene Übereinstimmung der Auffassungen ins Auge. Dem Minister sind offenbar zwei Punkte besonders wichtig gewesen: der erste betrifft die Sicherung der deutschen Herrschaft gegen den slawischen Volksdruck, der zweite die unumgänglich nötige Vereinfachung der Verwaltung. Hier handelt es sich in der Tat um entscheidende Fragen, auf die noch näher eingegangen werden muß.«
Und dann:
»Im übrigen erhebt der Minister« – das sind Sie – »nicht nur keinerlei Einwendungen gegen die Grundsätze oder auch nur die Formulierungen Bormanns, er nimmt sie vielmehr zur Grundlage seiner Antwort und bemüht sich um den Nachweis ihrer Verwirklichung. In einer Abteilungsleiterbesprechung jedoch, in der das Bormannsche Schreiben von Hauptmann Zimmermann mitgeteilt wurde, erhoben sich sofort schwere Sorgen sowohl wegen der Formulierung wie auch wegen der künftigen Ausrichtung unserer Ostpolitik.«
Und dann heißt es:
»Um die Berechtigung dieser Sorgen zu prüfen, geht man am besten von einer Fiktion aus, die deutlich zeigt, wie die Lage ist.«
Dann schreibt Markull unter Nummer 1:
»Man nehme an, das Bormannsche Schreiben ginge als Ministerialerlaß an die Reichskommissare. Da der Minister ja anscheinend die gleichen Anschauungen hat, ist diese Annahme« – der Minister sind wieder Sie – »keineswegs unwirklich. Da das Ostland ein Sonderfall ist, und im übrigen die Ukraine politisch auch das wichtigste Gebiet sein beziehungsweise werden dürfte, soll vor wiegend von den dortigen Verhältnissen ausgegangen werden.«
Dann heißt es weiter:
»Die Wirkungen eines solchen Ministerialerlasses zeigen sich am klarsten an den Menschen, die ihn in die Praxis umsetzen sollen.«
Und dann geht er weiter:
»Denkt man sich die Formulierungen des Bormannschen Schreibens übersetzt in die Sprache eines Angehörigen der deutschen Zivilverwaltung, so kommen etwa folgende Anschauungen heraus:
›Die Slawen sollen für uns arbeiten. Soweit wir sie nicht brauchen, mögen sie sterben. Impfzwang und deutsche Gesundheitsfürsorge sind daher überflüssig. Die slawische Fruchtbarkeit ist unerwünscht. Sie mögen Präservative benutzen oder abtreiben, je mehr desto besser. Bildung ist gefährlich. Es genügt, wenn sie bis 100 zählen können. Höchstens die Bildung, die uns brauchbare Handlanger schafft, ist zulässig. Jeder Gebildete ist ein künftiger Feind. Die Religion lassen wir ihnen als Ablenkungsmittel. An Verpflegung bekommen sie nur das Notwendige. Wir sind die Herren, wir kommen zuerst.‹«
Es heißt dann weiter:
»Diese Sätze sind keineswegs überspitzt, sie werden vielmehr Wort für Wort vom Geist und Text des Bormann-Briefes gedeckt. Schon hier erhebt sich die Frage, ob diese Auswirkung im Reichsinteresse erwünscht ist. Es dürfte nicht zweifelhaft sein, daß diese Auffassung im ukrainischen Volk bekannt wird. Ähnliche Meinun gen bestehen ja schon heute.«
Wir gehen dann weiter zum nächsten Absatz, Nummer 2:
»Indessen bedarf es der zu 1. gemachten Annahme gar nicht. Die obengenannten Ansichten über unsere Stellung im Osten sind schon jetzt lebendige Wirklichkeit.
Der Reichskommissar für die Ukraine hat in drei aufeinanderfolgenden Reden bei der Eröffnung... seine Auffassung über das von ihm regierte ukrainische Volk dargelegt.«
Dann zitiert er die dem Gerichtshof schon bekannten Reden.
Im nächsten Absatz heißt es, daß
»jeder Besucher und jeder Mitarbeiter der dortigen Zivilverwaltung dies aus eigener Ansicht bestätigen kann«,
unddaß es deutlich zeige,
»wie gut der Boden für den Bormann-Brief vorbereitet ist«.
Dann zitiert er weiter einige Redewendungen, die man hören konnte, wie zum Beispiel:
»Genau genommen sind wir ja hier unter Negern... Die Bevölkerung ist doch nur dreckig und faul«
und so weiter.
Dann sagt er:
»Hinzuzufügen wäre noch, daß zum Beispiel der Kreisleiter Knuth, den der Gauleiter trotz schwerster Angriffe gegen seine geschäftliche Sauberkeit immer noch hält, zur Kiewer Frage in Gesprächen erklärt hat, Kiew müßte durch Seuchen entvölkert werden. Es wäre überhaupt am besten, wenn der überflüssige Bevölkerungsteil verhungerte.«
Und dann weiter in Punkt 3:
»Vollends unter den Gebietskommissaren sind mindestens 80 % gegen die geschilderten Auffassungen. In vielen Besprechungen bei den Generalkommissaren ist von ihnen zum Ausdruck gebracht worden, daß man das Volk anständig und verständnisvoll behandeln müsse.«
Erklärungen, die zu der erwähnten Politik in Widerspruch stünden, würden zu einem Unglück führen.
Und dann fährt Markull fort:
»Die falschen Auffassungen vom Herrenmenschentum sind im übrigen nur geeignet, die Disziplin der eingesetzten Männer zu lockern.«
Ich will das hier nicht alles verlesen, Sie werden es sicherlich selbst lesen. Ich komme jetzt zu dem bedeutungsvollen Absatz 5:
»Es bedarf immerhin der Prüfung, ob eine Übereinstimmung der bisherigen Politik mit dem Bormann-Brief nicht insofern festzustellen wäre, als die angeführten Erlasse und sonstigen Weisungen des Ministeriums lediglich taktisch zu verstehen seien, während im Grunde die gleichen Auffassungen bestünden. Auch das Antwortschreiben des Ministers« – das sind immer Sie – »vom 11. August würde ja in die gleiche Richtung weisen.«
Und dann erklärt er:
»daß der Minister« – das sind Sie – »sehr wohl weiß, daß man einen Kontinent von dem Gewicht des russischen nicht mit politischen Taktiken und vorgespiegeltem Befreiertum, sondern nur mit einer staatsmännischen Konzeption neuordnen kann.« – –
Und zum Schluß sagt er, daß »die bloß taktische Auslegung der Ministerpolitik« sich auch wegen ihrer Inkonsequenz verbiete:
»Dann hätte niemals von Befreiung gesprochen werden dürfen. Es durfte kein Theater offen bleiben, keine Fachschule, kein ukrainisches Universitätsinstitut arbeiten.«
Zum Schluß möchte ich noch den bedeutsamen Punkt 6 verlesen. Vielleicht darf ich diese Stelle zusammenfassen. Es heißt darin, daß dieses Schreiben Bormanns, das aus dem Feldquartier stamme, offenbar nicht als Ministerialerlaß herausgehen könne, weil dies die gesamte bisher verfolgte Politik des Ministers – das sind Sie – desavouieren würde.
Und in Verbindung hiermit schreibt Markull einige Sätze weiter:
»Hier muß nochmals auf die augenfällige Übereinstimmung zwischen den Auffassungen Kochs und den Weisungen des Bormann-Briefes hingewiesen werden.«
Und dann heißt es ungefähr in der Mitte des Absatzes, daß nur Sie eine Entscheidung in dieser Frage treffen könnten, und er bringt im Hinblick auf verschiedene Schwierigkeiten gewisse Überlegungen zum Vorschlag, die von Nutzen sein könnten.
Und schließlich kommen wir zu dem zweiten Absatz der Ziffer II:
»Ohne an den Ausführungen des Reichsleiters Bormann irgendwelche Kritik üben zu wollen, muß doch trotzdem darauf hingewiesen werden, daß die Formulierungen seines Schreibens die Bedeutung des Einsatzes, um den es geht, nicht immer klar hervortreten lassen. Eine Wendung wie ›schwungvollen Handel mit Verhütungsmitteln‹ sollte besser nicht in Verbindung mit dem Namen des Führers gebracht werden! Auch die Abruptheit einiger anderer Formulierungen – ›Impfen der nichtdeutschen Bevölkerung kommt keinesfalls in Frage‹... dürfte der Schwere der hier auftauchenden geschichtlichen Fragen nicht voll entsprechen.«
Und schließlich möchte ich verlesen, was unter III steht; Markull sagt hier:
»Die vorstehenden Ausführungen mögen sehr scharf erscheinen. Sie sind jedoch diktiert von Sorge und Pflicht.«
Ich glaube nicht, daß es nötig ist, den letzten Absatz zu verlesen, er spricht lediglich über die politische Philosophie, die von dem japanischen Verbündeten in großartiger Form in seinen neuen Gebieten entwickelt werde.
Können Sie sich an diesen Bericht Dr. Markulls erinnern, der Ihnen von Ihrem Mitarbeiter Leibbrandt vorgelegt wurde? Sie können das übrigens mit Ja oder Nein beantworten. Das ist alles, was ich jetzt wissen will, nur, ob Sie sich daran erinnern oder nicht. Einen Augenblick bitte...
ROSENBERG: Ja, es ist dies ein Bericht von Dr. Leibbrandt, und ich möchte dazu folgendes erklären...
MR. DODD: Bevor Sie beginnen – Sie werden gleich dazu Gelegenheit haben. Ich möchte Ihnen nicht das Wort zu Ihren Erklärungen abschneiden, ich will dies nicht einmal versuchen. Ich möchte noch zu einem oder zwei Punkten an Sie Fragen stellen. Wenn Sie danach noch Erklärungen hierzu oder zu irgendeinem anderen Thema abgeben wollen, wird dies der Gerichtshof bestimmt zulassen.
Sie hatten doch diesen Brief Bormanns beantwortet, nicht wahr?
ROSENBERG: Ja, das ist richtig.
MR. DODD: Und Sie stimmten doch mit diesen, ich möchte sagen, schockierenden Vorschlägen Bormanns überein? In Ihrem Brief waren Sie doch mit diesen schockierenden Vorschlägen einverstanden? Ja oder nein?
ROSENBERG: Ich habe einen beruhigenden Brief geschrieben, um hier eine Pause eintreten zu lassen gegenüber dem dauernden Druck, unter dem ich gehalten wurde, und möchte gleich vorwegnehmen, daß meine Tätigkeit und die Erlasse, die ich nach diesem Brief herausgegeben habe, sich in keiner Weise verändert hatten, daß im Gegenteil Erlasse für den Aufbau eines Schulwesens, für die weitere Fortführung des Gesundheitswesens gekommen sind, auf die ich bei der Beantwortung noch eingehen werde.
MR. DODD: Sie haben diesen Brief an den Führer geschrieben, nicht an Bormann, nicht wahr? Ihre Antwort ging an Hitler?
ROSENBERG: Ich schrieb meine Antwort an den Führer, ja.
MR. DODD: Und Sie beruhigten den Führer ebenfalls, nicht wahr, als Sie diese Sätze wiedergekäut haben, wie sie in diesem Brief über den Gebrauch von Präservativen und Abtreibungsmitteln wiederholt sind?
ROSENBERG: Nein, außerdem...
MR. DODD: Warten Sie, bis ich fertig bin. Ich sagte, Sie wiederholten in Ihrem Brief an den Führer jene schrecklichen, schmutzigen Vorschläge Bormanns, nicht wahr? Sie erwähnten sie in dem Brief an den Führer, nicht wahr?
ROSENBERG: Ich habe dem Führer einen Brief geschrieben, habe mir aber nicht den Wortlaut des Bormann-Briefes zu eigen gemacht, sondern habe beruhigend geschrieben, daß ich nicht mehr tue, als getan werden kann und muß. Ich wünschte mich zu wehren gegen einen Angriff von dem Hauptquartier, denn ich wußte dieser würde kommen, weil ich mehr tat für die Ostvölker als für das deutsche Volk, daß ich dort mehr Ärzte verlangte, als das deutsche Volk für seine Kranken hatte, daß für das Gesundheitswesen und damit für die Ostvölker von mir als deutschem Ostminister mehr getan wurde, als die deutschen Ärzte für das deutsche Volk tun konnten. Soweit war nämlich der Angriff gekommen, daß schließlich Koch mir den Vorwurf machte, daß ich eine Immigrationspolitik fördere. Das war der Grund, warum diese Streitfrage kurz danach auftauchte und dem Führer vorgelegt wurde.
MR. DODD: Wir wollen die Sache klarstellen, ich möchte nicht, daß hier ein Mißverständnis herrscht. Leugnen Sie etwa, fast Wort für Wort die Ausdrücke aus Bormanns Brief wiederholt zu haben?
ROSENBERG: Ich habe den Brief ja nicht im Wortlaut hier.
MR. DODD: Aber Sie haben den Bericht Dr. Markulls hier, in dem es heißt, daß der Minister keinerlei Einwendungen gegen die Grundsätze oder auch nur gegen die Formulierungen Bormanns erhebe. Sicherlich würde keiner Ihrer Mitarbeiter es gewagt haben, Ihnen einen derartigen Bericht vorzulegen, wenn dieser nicht vollständig Ihren Äußerungen entsprochen hätte.
ROSENBERG: Ich habe es sehr begrüßt, daß meine Mitarbeiter immer den Mut gehabt haben, dort, wo es auch gegen das war, was ich selber von ihnen verlangte, mir ihre Meinung zu sagen. Dr. Leibbrandt ist zu mir gekommen und sagte voller Sorge: »Herr Reichsminister, das entspricht doch nicht dem, was wir hier zusammen arbeiten.« Ich sagte ihm: »Dr. Leibbrandt, beruhigen Sie sich. Ich habe eine beruhigende Erklärung geschrieben. Es wird nichts geändert und ich werde mit dem Führer später noch persönlich über diese Dinge sprechen.«
MR. DODD: Ihr Mitarbeiter hatte also keine Angst, Ihnen die Abfassung eines Briefes zu unterstellen, in dem Sie Wort für Wort mit Bormann übereinstimmen? Darüber will ich nicht mit Ihnen streiten. Mehr sollen Sie vor dem Gerichtshof hierüber gar nicht aussagen, es entspricht nämlich den Tatsachen, daß Sie in Ihrer Antwort diese Sätze Wort für Wort wiederholt haben.
ROSENBERG: Das stimmt ja nicht, sondern der Verfasser... ich muß sagen, ich habe diese Denkschrift von Leibbrandt, als er sie mir in die Hand gab, flüchtig durchgelesen und sagte: Das ist nun wieder mal ein ängstlicher Herr, der glaubt nun, daß in dieser großen Auseinandersetzung, die ich da habe, ich, solange ich irgend kann, etwas anderes tun werde, als ich für richtig halte. Aber ich habe hier eine schwere Auseinandersetzung vor mir und werde meine Haltung auch weiter durchführen, und das ist ja durch die Dokumente, die ich gestern aus einer Zeit von drei Jahren verlesen habe, eindeutig erwiesen.
Darf ich jetzt zu diesem Dokument Stellung nehmen?
MR. DODD: Beantworten Sie folgende Frage: Wen suchten Sie zu beruhigen? Hitler, Bormann oder beide?
ROSENBERG: Erstens ich habe zunächst einmal meinem Mitarbeiter, Dr. Leibbrandt, zugestimmt in dem Sinne, daß nämlich Ministerialerlasse in dieser Weise niemals von mir erscheinen würden.
Zweitens habe ich eine Schulverordnung für die Ukraine erlassen mit dem Aufbau einer vierjährigen Grundschule, mit dem Aufbau von Fachschulen und Fachhochschulen.
VORSITZENDER: Einen Augenblick. Das ist doch keine Antwort auf die Frage. Sie sagten, daß Sie eine beruhigende Antwort gaben. Die Frage lautete: Wen wollten Sie beruhigen, Hitler, Bormann oder beide?
ROSENBERG: Ja, alle beide, jawohl.
MR. DODD: Herr Vorsitzender! Wäre dies nicht ein günstiger Zeitpunkt, eine Pause einzuschalten?
VORSITZENDER: Ja.