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[Pause von 10 Minuten.]

DR. SIEMERS: Ich darf das Hohe Gericht bitten, den Zeugen Freiherrn von Weizsäcker zu rufen.

[Der Zeuge betritt den Zeugenstand.]

VORSITZENDER: Wollen Sie bitte Ihren vollen Namen sagen?

ZEUGE ERNST FREIHERR VON WEIZSÄCKER: Ernst von Weizsäcker.

VORSITZENDER: Wollen Sie mir folgenden Eid nachsprechen: Ich schwöre bei Gott, dem Allmächtigen und Allwissenden, daß ich die reine Wahrheit sagen, nichts verschweigen und nichts hinzufügen werde.

[Der Zeuge spricht die Eidesformel nach.]

DR. SIEMERS: Baron von Weizsäcker, Sie waren bei Kriegsausbruch Staatssekretär im Auswärtigen Amt. Ist das richtig?

VON WEIZSÄCKER: Ja.

DR. SIEMERS: Sie werden sich erinnern, daß am 3. September 1939, also am ersten Tage des Krieges zwischen England und Deutschland, das englische Passagierschiff »Athenia« nordwestlich von Schottland torpediert wurde. Auf diesem Schiff befanden sich amerikanische Passagiere. Die Versenkung erregte naturgemäß großes Aufsehen. Ich bitte Sie, dem Gericht mitzuteilen, wie die Angelegenheit politisch behandelt wurde, und zwar durch Sie.

VON WEIZSÄCKER: Ich erinnere mich an diesen Fall, bin jedoch nicht sicher, ob es ein britisches oder ein amerikanisches Schiff war. Jedenfalls hat dieser Fall mich damals sehr alarmiert. Ich erkundigte mich bei der Seekriegsleitung, ob irgendein deutsches Kriegsschiff ein Verschulden haben könnte bei der Versenkung. Nachdem das verneint war, habe ich den amerikanischen Geschäftsträger zu mir gebeten, Herrn Alexander Kirk, um ihm mitzuteilen, daß ein deutsches Kriegsschiff an dem Untergang der »Athenia« nicht beteiligt sein könne. Ich bat den Geschäftsträger, davon Kenntnis zu nehmen und alsbald entsprechend nach Washington zu kabeln mit der Bemerkung, daß eine solche Mitteilung sehr wichtig sei in unserem gemeinsamen, im deutschen und amerikanischen Interesse.

DR. SIEMERS: Herr von Weizsäcker, Sie hatten sich vorher mit der Marine in Verbindung gesetzt?

VON WEIZSÄCKER: Ja.

DR. SIEMERS: Haben Sie bei diesem ersten Gespräch mit Großadmiral Raeder selbst gesprochen oder irgendeinem anderen Offizier?

VON WEIZSÄCKER: Das wüßte ich nicht mehr zu sagen, jedenfalls habe ich die bindende Auskunft bekommen; dieses Detail könnte ich nicht mehr angeben. Ich habe aber die bindende Auskunft bekommen, daß ein deutsches Kriegsfahrzeug unbeteiligt sei. Das genügte mir.

DR. SIEMERS: Sind Sie anschließend am gleichen Tage oder kurz darauf zu einem Besuch bei Großadmiral Raeder gewesen und haben die Angelegenheit noch mit ihm besprochen?

VON WEIZSÄCKER: Ich glaube, mich dessen zu erinnern, jawohl.

DR. SIEMERS: Hat Raeder Ihnen bei dieser Gelegenheit gesagt, daß es kein deutsches U-Boot sein könne, weil die Meldungen der U-Boote dahingingen, daß die Entfernung des nächsten U-Bootes zu groß sei, nämlich etwa 75 Seemeilen betrug?

VON WEIZSÄCKER: Raeder hat mich dahin informiert, daß ein deutsches U-Boot nicht beteiligt sein könne. Die Details über den Abstand des Versenkungsortes von dem Aufenthalt der U-Boote mag er angegeben haben, ohne daß ich das heute noch bestimmt sagen könnte.

DR. SIEMERS: Haben Sie bei dieser Besprechung mit Raeder auch darüber gesprochen, daß alles getan werden müsse, um einen Krieg mit USA zu vermeiden oder gar Zwischenfälle, wie die der »Lusitania« im vorigen Kriege?

VON WEIZSÄCKER: Das habe ich ganz sicher mit Emphase getan, denn mir schwebte um diese Zeit die Erinnerung an vergangene, entsprechende Vorgänge aus dem ersten Weltkrieg noch sehr lebhaft vor. Ich habe ihn bestimmt auf die dringende Notwendigkeit aufmerksam gemacht, jede Seekriegshandlung zu vermeiden, die geeignet wäre, den Krieg noch weiter auszudehnen und, wie ich es damals immer nannte, die neutrale Substanz zu verringern.

DR. SIEMERS: War Raeder der gleichen Meinung wie Sie?

VON WEIZSÄCKER: Nach meiner besten Erinnerung, ja.

DR. SIEMERS: Sind Sie überzeugt, Herr von Weizsäcker, daß Raeder Ihnen wahrheitsgemäße Angaben über das machte, was er Ihnen über die »Athenia« sagte?

VON WEIZSÄCKER: Selbstverständlich.

DR. SIEMERS: Nun kehrte am 27. September 1939 das U-Boot Nummer 30 von seiner Feindfahrt zurück, also etwa drei Wochen nach der Versenkung, und der Kommandant meldete, daß er infolge eines Versehens die »Athenia« versenkt habe. Er hätte dies aber nicht gleich gemerkt, sondern erst nachträglich durch die verschiedenen Funkmeldungen. Nun erfuhr Ende September Raeder von dieser Tatsache und besprach es mit Hitler, um festzustellen, wie man sich nun verhalten sollte. Hitler gab den Befehl, zu schweigen. Dies alles ist hier schon besprochen. Ich bitte Sie, mir zu sagen, ob Sie von dieser nachträglich festgestellten Tatsache der Versenkung durch ein deutsches U-Boot Kenntnis erhalten haben?

VON WEIZSÄCKER: Nein, keinesfalls.

DR. SIEMERS: Haben Sie von dem Befehl Hitlers, zu schweigen, Kenntnis erhalten?

VON WEIZSÄCKER: Das natürlich auch nicht.

DR. SIEMERS: Ich lasse Ihnen nun das Dokument 3260-PS überreichen und darf Sie bitten, sich dieses Dokument anzusehen. Es ist der Artikel »Churchill versenkt die Athenia« aus dem »Völkischen Beobachter« vom 23. Oktober 1939. Erinnern Sie sich an diesen Artikel? Lesen Sie ihn erst bitte durch.

VON WEIZSÄCKER: Ja, vielleicht darf ich ihn erst durchsehen.

DR. SIEMERS: Herr Präsident! Zur Orientierung des Gerichts darf ich sagen, es ist GB-218 im britischen Dokumentenbuch 10a, Seite 97 – richtig, Seite 99.