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[Zum Zeugen gewandt:]

Sie haben diesen Artikel gelesen, Herr von Weizsäcker, und ich darf Sie bitten, mir zu sagen, erinnern Sie sich an den Artikel, daß Sie ihn seinerzeit gelesen haben?

VON WEIZSÄCKER: Ich erinnere mich, daß ein solcher Artikel damals erschienen ist.

DR. SIEMERS: Dann darf ich Sie weiter fragen, wie war Ihre Einstellung, als Sie von diesem Artikel seinerzeit Kenntnis erhielten?

VON WEIZSÄCKER: Ich habe ihn als eine perverse Phantasie betrachtet.

DR. SIEMERS: Sie haben also diesen Artikel verurteilt?

VON WEIZSÄCKER: Selbstverständlich.

DR. SIEMERS: Obwohl Sie seinerzeit noch nicht wußten, daß es ein deutsches U-Boot war?

VON WEIZSÄCKER: Die Frage, ob das ein deutsches U-Boot war oder nicht, konnte auf mein Urteil über den Artikel keinen Einfluß haben.

DR. SIEMERS: Sie halten den Artikel demnach auch für verwerflich, wenn es kein deutsches U-Boot gewesen war?

VON WEIZSÄCKER: Selbstverständlich.

DR. SIEMERS: Die Anklage behauptet nun, daß Großadmiral Raeder diesen Artikel veranlaßt hätte, und macht ihm daraus einen ganz besonders schweren moralischen Vorwurf, der besonders deshalb schwer wiegt, weil Raeder, wie wir gesehen haben, im Gegensatz zu Ihnen, zu dieser Zeit wußte, daß es ein deutsches U-Boot war, das die Versenkung vorgenommen hatte. Halten Sie eine solche Handlung Raeders für möglich? Daß er also den Artikel veranlaßt hat?

VORSITZENDER: Einen Augenblick, Dr. Siemers, Sie können den Zeugen nur darüber befragen, was er wußte und was er tat. Sie können aber nicht verlangen, daß er errät, was Raeder getan hat.

DR. SIEMERS: Entschuldigen Sie, Herr Präsident, ich dachte, mit Rücksicht auf das Affidavit von heute morgen sei besprochen, daß auch eine Meinungsäußerung möglich sei; aber ich sehe dann selbstverständlich davon ab.

VORSITZENDER: Von welchem Affidavit sprechen Sie?

DR. SIEMERS: Das Affidavit, bei dem ich heute morgen den Antrag stellte, die Meinungsäußerung zu streichen; das Affidavit von Dietmann.

VORSITZENDER: Das ist eine ganz andere Angelegenheit.

DR. SIEMERS: Herr von Weizsäcker, haben Sie seinerzeit gehört, daß Raeder diesen Artikel veranlaßt hat?

VON WEIZSÄCKER: Nein, das habe ich nicht gehört und hätte es auch nie geglaubt. Ich halte das für ganz ausgeschlossen, daß er einen derartigen Artikel veranlaßt oder geschrieben haben könnte.

DR. SIEMERS: Ist nach Ihrer Kenntnis dieser Artikel ausschließlich auf das Propagandaministerium zurückzuführen?

VON WEIZSÄCKER: Ich kann die Frage nur negativ beantworten, nicht auf Raeder und nicht auf das Auswärtige Amt.

DR. SIEMERS: Herr von Weizsäcker, können Sie beurteilen, hat es sich bei den geschichtsbekannten Verstößen der Marine gegen den Versailler Vertrag um erhebliche, schwerwiegende Punkte gehandelt?

VON WEIZSÄCKER: Die Frage kann ich nur indirekt beantworten. Die Details sind mir nicht bekannt. Ich halte es aber für kaum denkbar, daß es irgendwie wichtige oder schwere Verstöße gewesen sein könnten, denn gerade das Marinegebiet ist in Bezug auf die Innehaltung von vertraglichen Abmachungen besonders leicht kontrollierbar. Man kann nicht Schiffe bauen, ohne daß das gesehen wird. Ich muß also annehmen, daß diese Verstöße geringer Natur waren.

DR. SIEMERS: Herr von Weizsäcker, hat nach Ihrer Meinung der Angeklagte Raeder einen Angriffskrieg vorbereitet oder ist Ihnen ein Fall bekannt, aus dem sich die Einstellung Raeders...

VORSITZENDER: Herr Dr. Siemers: gerade das ist die Anklage gegen den Angeklagten Raeder, über die der Gerichtshof zu entscheiden hat.

DR. SIEMERS: Herr von Weizsäcker, haben Sie sich im Februar 1939 im Zuge von Hamburg nach Berlin mit Großadmiral Raeder unterhalten, aus welchem Anlaß war dies, und was wurde besprochen?

VON WEIZSÄCKER: Es stimmt, daß ich mit dem Admiral Raeder in dem Zuge von Hamburg nach Berlin zusammentraf, als in Hamburg ein Stapellauf stattgefunden hatte. Bei dieser Gelegenheit erzählte mir der Admiral, daß er soeben einen Vortrag bei Hitler gehalten habe. In diesem Vortrag habe er dargetan, daß der Rüstungsstand der Marine auf Jahre hinaus einen Krieg gegen England verbiete. Ich nehme an, daß die Beantwortung dessen bedeutet, was Sie von mir hören möchten.

DR. SIEMERS: Das war im Februar 1939?

VON WEIZSÄCKER: Es war der Stapellauf des Schiffes »Bismarck«.

DR. SIEMERS: Dann ist es gerichtsbekannt, weil der Stapellauf des »Bismarck« in den Akten vermerkt ist.

VON WEIZSÄCKER: Es muß im Frühjahr, im Februar oder März, gewesen sein.

DR. SIEMERS: Sind Sie damals durch diese Erklärung von Raeder beruhigt worden?

VON WEIZSÄCKER: Ich habe diese Erklärung von Raeder sehr gerne gehört, denn sie konnte keinen anderen...

VORSITZENDER: Gut, es interessiert uns nicht, ob es ihn beruhigt hat oder nicht.

DR. SIEMERS: Hat Raeder nach Ihrer Meinung und nach Ihrer Kenntnis als Marinefachmann oder als Politiker Einfluß auf Hitler gehabt?

VORSITZENDER: Dr. Siemers, der Zeuge kann uns sagen, was Raeder gesagt hat, aber er kann kaum sagen, in welcher Eigenschaft er sprach, als Admiral oder als Politiker. Wenn Sie wissen wollen, ob er in Uniform war...

DR. SIEMERS: Herr von Weizsäcker, haben Sie irgendwelche Unterhaltungen mit Raeder geführt oder mit anderen Persönlichkeiten?

VON WEIZSÄCKER: Worüber?

DR. SIEMERS: Über den Einfluß von Raeder auf Hitler?

VON WEIZSÄCKER: Es war bekannt, daß politische Argumente, von Soldaten vorgebracht, auf Hitler schwerlich Einfluß haben konnten, wohl dagegen militärisch-technische. Und in diesem Sinne mag ein Einfluß ausgeübt worden sein.

DR. SIEMERS: Herr von Weizsäcker, im Winter 1938/1939 fand das übliche große Diplomatenessen in Berlin statt, bei dem Sie – soweit ich weiß – zugegen gewesen sind. Hier hat Raeder mit Sir Nevile Henderson gesprochen, und zwar über die Frage der eventuellen Rückgabe der Kolonien.

VORSITZENDER: Dr. Siemers, warum fragen Sie ihn nicht, anstatt es ihm zu sagen. Sie sagen ihm ja, was passiert ist.

DR. SIEMERS: Nein.

VORSITZENDER: Doch, Sie tun es.

DR. SIEMERS: Nein, Verzeihung, dieses Gespräch war zwischen Raeder und Sir Nevile Henderson, nicht zwischen Herrn von Weizsäcker und Henderson.

Ich frage jetzt: Herr von Weizsäcker, haben Sie derartige Gespräche mit Sir Nevile Henderson geführt oder sonst mit britischen Diplomaten? Oder wissen Sie etwas über deren Einstellung?

VON WEIZSÄCKER: Ich kann mich nicht erinnern, mit britischen Diplomaten über die Kolonialfrage meinerseits gesprochen zu haben. Dagegen ist mir natürlich geläufig, daß in den Jahren 1934 bis 1939 die Kolonialfrage von der Britischen Regierung wiederholt offiziell oder offiziös oder halboffiziös behandelt und in einem entgegenkommenden elastischen Sinne erörtert wurde. Ich glaube mich zum Beispiel zu erinnern, in einem Protokoll über den Besuch zweier britischer Minister in Berlin gelesen zu haben, daß auch hierbei die Kolonialfrage in entgegenkommender Weise erörtert wurde.

DR. SIEMERS: Herr von Weizsäcker, können Sie etwas über das Verhalten der Marine und das Ansehen der Marine während der norwegischen Besetzung sagen?

VON WEIZSÄCKER: Eine Okkupationsmacht hat es immer schwer, populär zu sein. Aber mit dieser Reserve hat die Marine, soweit ich gehört habe, in Norwegen einen guten, oder sogar sehr guten Ruf genossen. Das ist mir von norwegischen Freunden während des Krieges wiederholt bestätigt worden.

DR. SIEMERS: Sie haben diese norwegischen Freunde aus Ihrer Zeit als Gesandter in Oslo. Wann war das?

VON WEIZSÄCKER: 1931 bis 1933 war ich Gesandter in Oslo.

DR. SIEMERS: Nun eine letzte Frage: Es ist gestern eine Urkunde vorgelegt worden, D-843. Sie ist unterzeichnet von Bräuer, der seinerzeit im März 1940 bei der Gesandtschaft in Oslo war. Ich darf Ihnen diese Urkunde eben zeigen.

VON WEIZSÄCKER: Soll ich sie ganz lesen?

DR. SIEMERS: Wenn Sie sie überfliegen würden, wird es, glaube ich, genügen. Hauptsächlich den mittleren Teil der Urkunde.

Herr Präsident! Es ist GB-466. Die Urkunde wurde gestern überreicht. Bräuer sagt nach dieser Urkunde, daß die Gefahr einer englischen Landung in Norwegen nicht so groß sei, wie von anderer Seite angenommen und spricht nur von Maßnahmen, durch die Deutschland provoziert werden soll.