[Der Zeuge verläßt den Zeugenstand.]
MR. DODD: Herr Vorsitzender! Ich habe diese Bescheinigung gefunden. Es ist so, wie ich es dem Gerichtshof dargestellt habe. Es ist eine Bescheinigung von Hauptmann Weber von der britischen Armee, in der bestätigt wird, daß er eine Kopie dieses Dokuments von der amerikanischen Abteilung erhalten habe. Es ist unterschrieben von Hauptmann H. Weber, IMT Corps der britischen Armee, Europäischer Sektor.
VORSITZENDER: Kommt nun Ihr Fall, Dr. Servatius?
DR. SERVATIUS: Ja. Es sind noch zwei Zeugen, Biedermann und Mitschke. Ich kann auf diese beiden Zeugen verzichten. Dann fehlen noch die eidesstattlichen Erklärungen, die Fragebogen von Dr. Voß, Dr. Scharmann, von einem Zeugen Marrenbach und noch von dem Zeugen Letsch, Sachbearbeiter in der Dienststelle Sauckel. Es sind eingegangen die Fragebogen der Zeugen Darré und Seldte, die aber noch nicht übersetzt sind. Ich lege sie dann vor, wenn die Übersetzung hergestellt ist.
VORSITZENDER: Gut.
DR. SERVATIUS: Dann bin ich am Ende meines Falles.
VORSITZENDER: Nun der Verteidiger für den Angeklagten Jodl, bitte!
PROF. DR. EXNER: Meine Herren Richter! Ich will mit Ihrer Erlaubnis meinen Fall in der Weise vorlegen, daß ich zunächst den Angeklagten Jodl in den Zeugenstand rufe und sämtliche Urkunden bis auf eine einzige bei seiner Vernehmung benütze und dem Gericht vorlege. Ich brauche dann die Herren Richter nicht mit weiteren langen Verlesungen zu langweilen. Ich habe drei Dokumentenbücher, die geordnet sind nach Nummern, und zwar Jo-1, Jo-2 fortlaufend und werde jeweils die Seite zitieren, welche bei den Übersetzungen links oben auf jeder Seite steht. Dieses ist nämlich die Seite des Originals, und diese stimmen überein. Leider muß ich sagen, sind die Dokumente nicht vollkommen in der Reihenfolge, in der ich sie zur Verlesung bringe, teils deshalb, weil sie verspätet eingelaufen sind, teils aus anderen Gründen. Es fehlen auch noch einige Fragebogen; einer, der mir wichtig wäre, vor allem. Ich hoffe, daß sie noch nachgebracht werden können. Ich habe fünf Zeugen bewilligt bekommen; es wird aber auf einen verzichtet werden können, und die vier anderen Zeugen sind Zeugen, die kurze Zeit in Anspruch nehmen werden.
Somit möchte ich, mit Erlaubnis des Gerichts, den Angeklagten Jodl in den Zeugenstand rufen.
VORSITZENDER: Jawohl.
[Der Angeklagte betritt den Zeugenstand.]
VORSITZENDER: Geben Sie Ihren vollen Namen an.
ALFRED JODL: Alfred Jodl.
VORSITZENDER: Wollen Sie folgenden Eid nachsprechen: »Ich schwöre bei Gott, dem Allmächtigen und Allwissenden, daß ich die reine Wahrheit sagen, nichts verschweigen und nichts hinzusetzen werde.«
[Der Zeuge spricht die Eidesformel nach.]
VORSITZENDER: Sie können sich setzen.
PROF. DR. EXNER: Herr Generaloberst Jodl! Im englisch-amerikanischen Trialbrief steht, daß Sie 60 Jahre alt sind. Das ist ein Irrtum, Sie sind kürzlich ja erst 56 geworden. Sie sind wann geboren?
JODL: Ich bin 1890 geboren, am 10. Mai.
PROF. DR. EXNER: Sie sind in Bayern geboren; auch Ihre beiden Eltern stammen aus altbayerischen Familien. Sie haben den Offiziersberuf sich gewählt; was war dafür der maßgebende Gedanke?
JODL: Ein Urgroßvater von mir war Offizier, mein Vater war Offizier, mein Onkel war Offizier, mein Bruder wurde Offizier, mein späterer Schwiegervater war Offizier. Ich kann wohl sagen der Soldatenberuf lag mir im Blute.
PROF. DR. EXNER: Ich möchte jetzt etwas über Ihre politische Einstellung hören. Welcher der politischen Parteien, die es vor 1933 in Deutschland gegeben hat, standen Sie geistig am nächsten?
JODL: Die ganze Parteipolitik lag mir als Offizier außerordentlich fern, insbesondere die Auswüchse der Nachkriegszeit. Wenn ich das Milieu betrachte, aus dem ich hervorgegangen bin, die Einstellung meiner Eltern, so muß ich sagen, daß ich der Nationalliberalen Partei und deren Auffassung am nächsten gestanden hätte.
Jedenfalls haben meine Eltern nie etwas anderes als nationalliberal gewählt.
PROF. DR. EXNER: Sagen Sie, wie standen Sie zur Weimarer Republik, mit ein paar kurzen Worten?
JODL: Ich habe dieser Republik ehrlich, meinem Eide getreu, ohne jeden Vorbehalt gedient. Wenn ich das nicht gekonnt hätte, dann hätte ich meinen Abschied genommen. Im übrigen war uns Süddeutschen ein demokratisches System, ebenso eine solche Verfassung, durchaus nichts innerlich Fremdes; denn auch unsere Monarchie war demokratisch.
PROF. DR. EXNER: Und wie standen Sie zu Hindenburg?
JODL: Hindenburg habe ich gekannt. Ich war ihm zugeteilt, als er nach seiner ersten Wahl zum Reichspräsidenten seinen ersten Urlaub in Dietramszell verbrachte, und ich war dann nachmals mit dem späteren Generalfeldmarschall von Manstein zusammen einen Tag im Kreise der Familie Hindenburg auf dem Gute Neudeck. Ich kann nur sagen, ich habe ihn verehrt und habe seine erste Wahl zum Reichspräsidenten als das erste Kennzeichen betrachtet der Wiederbesinnung des deutschen Volkes.
PROF. DR. EXNER: Und wie standen Sie zur Nationalsozialistischen Partei?
JODL: Die Nationalsozialistische Partei habe ich vor dem Münchener Putsch kaum gekannt und kaum beachtet. Erst dieser Putsch zog die Reichswehr zwangsweise in diese innenpolitische Entwicklung. Sie hat damals, mit wenigen Ausnahmen, diese Gehorsamsprobe bestanden, aber es trat nach diesem Putsch doch eine gewisse Spaltung der Auffassung des Offizierskorps ein. Es gab verschiedene Auffassungen über den Wert oder Unwert Hitlers. Ich war nach wie vor äußerst skeptisch und ablehnend. Beruhigt war ich erst, als Hitler damals im Leipziger Prozeß die Versicherung abgab, daß er jede Zersetzung der Reichswehr ablehne.
PROF. DR. EXNER: Haben Sie Versammlungen besucht, in denen Hitler gesprochen hat?
JODL: Nein, nie.
PROF. DR. EXNER: Sagen Sie, welche Führer der Partei kannten Sie vor 1933?
JODL: Ich habe nur solche gekannt, die vorher Offiziere waren, also Epp, Röhm und Hühnlein. Aber ich hatte keinerlei Verbindung oder Fühlung mehr mit ihnen, seit sie aus der Reichswehr ausgeschieden waren.
PROF. DR. EXNER: Haben Sie vor der Machtergreifung das Buch »Mein Kampf« gelesen?
JODL: Nein.
PROF. DR. EXNER: Später?
JODL: Später habe ich es stückweise gelesen.
PROF. DR. EXNER: Wie standen Sie zur Judenfrage?
JODL: Ich war kein Antisemit. Ich bin der Auffassung, daß keine Partei, kein Staat, kein Volk und keine Rasse, auch die Kannibalen nicht, an sich gut oder böse sind, sondern nur das einzelne Individuum. Mir war allerdings bekannt, daß das Judentum nach dem Kriege und in den moralischen Zerfallserscheinungen nach dem ersten Weltkriege in einer unerhört provozierenden Weise in Deutschland aufgetreten ist. Es war keine antisemitische Propaganda, sondern das waren Tatsachen, die gerade von Juden selbst außerordentlich bedauert wurden. Trotzdem habe ich jegliche staatliche Ächtung, jede Verallgemeinerung, jede Exzesse auf das schärfste abgelehnt.
PROF. DR. EXNER: Die Anklage behauptet, sämtliche Angeklagten hätten gerufen »Deutschland erwache, Juda verrecke«.
JODL: Was mich betrifft, so ist diese Behauptung falsch. Ich habe in allen Zeiten meines Lebens mit einzelnen Juden verkehrt. Ich bin bei Juden zu Gast gewesen, und einzelne Juden haben in meinem Hause verkehrt. Aber es waren Juden, die ein Vaterland kannten, und es waren Juden, deren menschlicher Wert unbestritten war.
PROF. DR. EXNER: Sind Sie gelegentlich auch für Juden eingetreten?
JODL: Auch das.
PROF. DR. EXNER: Wußten Sie, daß die Reichsregierung im Jahre 1932 mit der Möglichkeit von Umsturzversuchen gerechnet hat und sich in dieser Richtung zu salvieren trachtete?
JODL: Das wußte ich wohl; denn als ich um diese Zeit nach Berlin kam in die spätere Operationsabteilung, da traf ich dort keinerlei Kriegsvorbereitungen an; aber ich traf Vorbereitungen an für den Einsatz der Reichswehr im Innern, und zwar sowohl gegen die äußerste Linke wie gegen die äußerste Rechte, und es fanden auch Planspiele, also eine Art Kriegsspiele darüber statt, an denen ich selbst teilgenommen habe.
PROF. DR. EXNER: Wie standen Sie zur Ernennung Hitlers zum Reichskanzler im Jahre 1933?
JODL: Von der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler wurde ich völlig überrascht. Als ich an diesem Abend mit einem Kameraden durch die bewegten Massen nach Hause ging, da sagte ich zu ihm: Das ist mehr wie ein Regierungswechsel, das ist eine Revolution. Wohin sie führt, das wissen wir nicht; aber die Person Hindenburg, der ja diese Revolution legalisiert hatte, und auch Namen wie von Papen, von Neurath, Schwerin-Krosigk beruhigten mich, gaben mir eine gewisse Garantie gegen revolutionäre Entartungen.
PROF. DR. EXNER: Ich möchte hier einen Teil eines Fragebogens des Generals Vormann verlesen; das ist Seite 208 im dritten Band meines Dokumentenbuches. Ich mache darauf aufmerksam, daß links oben die von mir zitierte Seite 208 steht. – Ich lege das Original vor. Die Stelle bezieht sich auf die Zeit vom Jahre 1933 –. Jodl war damals im Truppenamt, nicht wahr, und Vormann war in seiner Gruppe. Ich lese unter Punkt 2:
»Der damalige Major i. G. Jodl war 1933 mein Gruppenleiter. Er schwamm völlig im Fahrwasser des damaligen Chefs der Heeresleitung, des Generals von Hammerstein, und lehnte Hitler und die Partei völlig ab.«
Ich lasse dann ein paar Zeilen aus, es ist nicht ganz so wichtig, und dann in der Mitte beginne ich wieder:
»Als Hitler am 30. Januar 1933 als Reichskanzler beru fen wurde, war Jodl bestürzt und erstaunt. Ich entsinne mich genau, daß ich in seinem Auftrage die Offiziere seiner Gruppe am 30. oder 31. Januar zu einer Besprechung zusammenrufen mußte. In dieser Besprechung führte er aus: Hitler ist der bestehenden Verfassung und den geltenden Gesetzen nach an die Spitze des Reiches berufen. Eine Kritik darüber, insbesondere eine Kritik an dem Verhalten des Reichspräsidenten, des Feldmarschalls von Hindenburg, steht uns nicht zu. Wir haben zu gehorchen und als Soldaten unsere Pflicht zu tun. Auch eine Kritik an den neuen Maßnahmen des neuen Kanzlers in der bisherigen Form hat als unvereinbar mit seiner und unserer Stellung in Zukunft zu unterbleiben.
Durch seine ganze Rede«, setzt der Zeuge fort, »schwang schwere Sorge und Besorgnis um die kommende Entwicklung der Dinge...« und so weiter.
VORSITZENDER: Wäre das ein passender Zeitpunkt, um zu vertagen?