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[Das Gericht vertagt sich bis

7. Juni 1946, 10.00 Uhr.]

Einhundertneunundvierzigster Tag.

Freitag, 7. Juni 1946.

Vormittagssitzung.

[Der Angeklagte Jodl im Zeugenstand.]

VORSITZENDER: Der Gerichtshof wird sich heute nachmittag um 4.00 Uhr vertagen und eine geschlossene Sitzung abhalten.

Der Gerichtshof wird morgen eine öffentliche Sitzung abhalten, und zwar von 10.00 bis 1.00 Uhr.

OBERST J. W. POKROWSKY, STELLVERTRETENDER HAUPTANKLÄGER FÜR DIE SOWJETUNION: [zum Zeugen Jodl gewandt] Sie haben ausgesagt, daß Sie der Chef des Wehrmachtführungsstabes waren; das war doch die wichtigste Abteilung des OKW, nicht wahr?

JODL: Ich habe den letzten Teil der Frage nicht ganz verstanden.

OBERST POKROWSKY: Ich frage Sie, ob der Wehrmachtführungsstab im OKW die wichtigste Abteilung war?

JODL: Durch die Bedeutung der Tätigkeit kann man sicher sagen, daß der Wehrmachtführungsstab eine der wichtigsten Abteilungen des OKW war.

OBERST POKROWSKY: Waren Sie auch aus diesem Grunde Keitels Stellvertreter während seiner Abwesenheit?

JODL: Das war ich meist nur in operativen Dingen; in den kriegsministeriellen Fragen war es der älteste Chef, in der Regel der Admiral Canaris.

OBERST POKROWSKY: Leugnen Sie, daß Sie Keitels Stellvertreter waren?

JODL: Wenn Keitel nicht im Hauptquartier war, dann hat selbstverständlich der Führer alles, was er dem OKW zu sagen hatte, zunächst mir gesagt. Denn ich war ja der älteste Offizier nach Keitel.

OBERST POKROWSKY: Erinnern Sie sich an die Aussagen des Zeugen Wagner, daß entweder Keitel oder Sie selbst das OKW bei allen wichtigen Stabstreffen vertreten hatten, bei welchen auch der Zeuge Admiral Wagner zugegen war? Erinnern Sie sich an diese Aussagen?

JODL: Ich habe auch diese Frage nur undeutlich verstanden wegen der Übersetzung.

OBERST POKROWSKY: Es ist möglich. Ich wiederhole: Am 13. Mai sagte der Zeuge Wagner vor dem Gerichtshof aus. Erinnern Sie sich daran?

JODL: An den Zeugen Wagner erinnere ich mich. Er hat bestätigt, daß Feldmarschall Keitel und ich bei jeder Lagebesprechung dabei waren, das ist unbestritten.

OBERST POKROWSKY: Er sagte, daß entweder Feldmarschall Keitel oder Generaloberst Jodl dabei waren. Ist das richtig? Sehen Sie den Unterschied in der Fragestellung?

JODL: In 99 Prozent aller Fälle waren wir beide da.

OBERST POKROWSKY: Kann man daraus – wenn man die formellen Erwägungen und Momente außer acht läßt – den Schluß ziehen, daß gerade Sie, Jodl, sowohl in den Augen Hitlers wie auch des ganzen Offizierskorps und der gesamten Militärmaschinerie des Deutschen Reiches, der Stellvertreter Keitels waren?

JODL: In einzelnen Fällen, wo der Feldmarschall gerade nicht da war und in unwichtigen Dingen, ja. Aber ich konnte ihn ja jederzeit in wichtigen Dingen telephonisch erreichen, also kam es praktisch kaum vor. Er war nie krank, war auch nie auf Urlaub, er war höchstens im Hauptquartier in Berlin.

OBERST POKROWSKY: Dann werde ich Sie an eine Tatsache erinnern, die Sie hier vor dem Gerichtshof am 6. Juni bestätigt haben, als Sie die Gründe darlegten, die Sie bewogen hatten, das Dokument RF-438 zu unterschreiben. Sie sagten, das Dokument habe in keiner Beziehung zu Ihrem Arbeitsbereich gestanden. Dort war die Rede von der Verschleppung der Juden aus Dänemark, und Sie unterschrieben dieses Dokument, obgleich es nicht zu Ihren Obliegenheiten gehörte. Haben Sie es deswegen unterschrieben, weil Keitel zu dieser Zeit abwesend war? Ist das richtig?

JODL: Das ist absolut richtig. Es war eine eilige Angelegenheit, und die mußte sofort unterschrieben werden.

OBERST POKROWSKY: Gut. Wir können viele solche Dokumente finden, ich halte es jedoch nicht für nötig, Zeit dafür zu verschwenden, diesen Punkt noch genauer klarzustellen.

Sagen Sie, kann es als zutreffend angenommen werden, daß Sie über alles, was das OKW durchführte, auf dem laufenden waren, daß Sie sehr gut wußten, mit welchen wichtigen Fragen sich das OKW damals befaßte?

JODL: Das gilt nur in beschränktem Maße, in einzelnen Angelegenheiten. Von allem, was sich in den vielen Ämtern in Berlin abspielte, hatte ich gar keine Vorstellung, das war einfach ganz unmöglich. Es ging mich auch nichts an. Ich habe schon ausgeführt, daß meine Zeit überreichlich ausgefüllt war. Ich hatte mehr Arbeit, als ich Zeit hatte.

OBERST POKROWSKY: Gut, Sie zwingen mich, zu einer Frage zurückzukehren, die ich wirklich als erledigt betrachtet habe. Sehen Sie sich bitte unser neues Beweisstück USSR-476 an. Es ist ein Auszug aus den Aussagen Keitels vom 9. November 1945. Dort steht folgendes geschrieben:

Frage:

»Könnte es der Fall gewesen sein, daß General Jodl eine solche Besprechung ohne Ihr Wissen einberufen konnte?«

Herr Vorsitzender, wir erörtern die Besprechung in Reichenhall.

Die Antwort des Feldmarschalls Keitel:

»Da ich sehr oft auf Dienstreise und der General Jodl berechtigt war, eine solche Besprechung einzuberufen, weil er in meiner Abwesenheit mich vertrat, ist es durchaus möglich.«

Haben Sie die Stelle gefunden? Haben Sie es gelesen?

JODL: Herr Oberst Pokrowsky! Sie tun sich natürlich sehr schwer, in diesen militärischen Dingen wirklich folgen zu können. Das ist ja eine Lächerlichkeit. Ich werde doch meine Generalstabsoffiziere fragen dürfen; da brauche ich doch keine Besprechung einzuberufen. Das waren meine Generalstabsoffiziere, die im Zug in Reichenhall gearbeitet haben. Zu denen werde ich doch wohl hinfahren dürfen, das ist doch mein Amt, mein Auftrag.

VORSITZENDER: Ich glaube, es ist ganz unnötig, derart laut zu sprechen.

OBERST POKROWSKY: Ich glaube, daß Sie zwei von meinen Fragen noch immer nicht beantwortet haben:

Erstens, haben Sie dieses Dokument jetzt durchgelesen? Ich will die Antwort hören, ob Sie es durchgelesen haben? Haben Sie die Stelle, die ich eben verlesen habe, auf der ersten Seite gelesen?

JODL: Ja, hier sagte Feldmarschall Keitel:

»Da ich sehr oft auf Dienstreise war...«

OBERST POKROWSKY: Sie brauchen es nicht noch einmal zu lesen, ich habe es schon getan. Ich will nur, daß Sie mir sagen, ob Sie das durchgelesen haben.

JODL: Ja, ich habe es durchgelesen und es heißt hier:

»... den Generaloberst Jodl zu fragen...«

OBERST POKROWSKY: Nein, Sie lesen etwas weiter als die Stelle, die mich augenblicklich interessiert. Wir werden noch zu der Stelle kommen »... den Generaloberst Jodl zu fragen«. Sie können sich beruhigen. Nun aber die Stelle, die besagt, daß Keitel oft auf Dienstreisen war und Sie ihn dann vertraten, stimmt das oder nicht?