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[Keine Antwort.]

OBERST POKROWSKY: Ich höre keine Antwort.

JODL: Ich sagte schon, daß er hie und da mal einen Tag an der Front war und daß er öfter einige Tage in Berlin war, aber da war er Ja gerade bei den Ämtern, die ihm unterstanden sind. Und ich war mit meinem Führungsstab allein, und mit meinem Führungsstab konnte ich ja machen, was ich wollte. Besprechungen anderer Ämter habe ich den ganzen Krieg über in Vertretung von Feldmarschall Keitel niemals einberufen. Von diesen Sachen verstand ich gar nichts.

OBERST POKROWSKY: Sie haben ziemlich viel Worte gemacht, aber Sie gaben mir keine klare Antwort auf meine einfache und kurze Frage. Bestätigen Sie die Richtigkeit der Aussage Keitels oder nicht? Es ist doch sehr einfach, das zu beantworten.

JODL: Das ist dem Sinne nach richtig, aber wie es niedergeschrieben ist, ist es eine Lächerlichkeit.

OBERST POKROWSKY: Nun gut. Wir werden es später bewerten. Es geht mir darum, die Tatsache festzustellen.

Ich übergebe dem Gerichtshof noch ein Dokument USSR-263.

Sie werden jetzt das Vergnügen haben, es selbst durchzulesen, Herr Angeklagter. Es sind Auszüge aus den Aussagen eines anderen Offiziers, mit dem Sie gearbeitet haben, und zwar General Warlimont. Machen Sie sich mit der Stelle vertraut, die bei Ihnen bezeichnet ist, während ich sie jetzt laut verlese. Das wird schneller gehen. Die Frage, die an Warlimont gestellt wurde, ist folgende:

»Wann hat das OKW zum erstenmal die Weisungen für die Vorbereitungen des Angriffs auf die Sowjetunion erhalten?«

Haben Sie die Stelle gefunden?

JODL: Das, was ich hier vor mir habe und was rot umrandet ist, das enthält eine Aussage von Warlimont, wie die Ämter des OKW gegliedert waren. Auf der nächsten Seite kommt dann etwas über die Vorbereitungen des Angriffs auf die Sowjetunion.

OBERST POKROWSKY: Haben Sie es jetzt gefunden?

JODL: Ja.

OBERST POKROWSKY: Sehr gut.

»Wann hat das OKW zum erstenmal die Weisungen für die Vorbereitungen des Angriffs auf die Sowjetunion erhalten?«

Antwort Warlimonts:

»Ich persönlich erfuhr von diesem Plan am 29. Juli 1940. An diesem Tage ist Generaloberst Jodl in dem Extrazug in Bad Reichenhall eingetroffen, wo sich auch die Abteilung ›L‹ des Wehrmachtführungsstabes befand.«

Haben Sie diese Stelle gefunden?

JODL: Jawohl.

OBERST POKROWSKY: Herr Vorsitzender! Ich halte es nicht für notwendig, einen großen Teil der Aussage Warlimonts zu verlesen, weil es sich um eine bekannte Tatsache handelt, um die Einberufung jener Besprechung, bei welcher Jodl seinen Mitarbeitern den Auftrag gab, einen Plan für den Überfall auf die Sowjetunion vorzubereiten. Dieses Dokument wurde vom Gerichtshof bereits als Beweisstück angenommen.

Warlimont sagt dann:

»Jodl überraschte uns mit dieser Mitteilung, auf die wir gar nicht vorbereitet waren.«

[Zum Zeugen gewandt:]

Haben Sie die Stelle gefunden?

Sehen Sie sich bitte das Dokument an. Jodl, bitte nehmen Sie das Dokument zur Hand, und sehen Sie, ob es richtig verlesen wurde.

VORSITZENDER: Kommt es nicht richtig durch? Warten Sie einen Augenblick.

PROF. DR. EXNER: Ich wollte das Gericht nur darauf hinweisen, daß die Übersetzung und die Übertragung zu uns so schlecht ist, daß ich fast nichts verstanden habe. Ich höre immer nur die halbe Frage. Mich wundert nur, daß der Angeklagte überhaupt hat antworten können.

VORSITZENDER: Verstehen Sie jetzt besser? Kommt die Übersetzung jetzt besser durch?

PROF. DR. EXNER: Ich habe den Eindruck, daß die Übersetzung selbst schlecht ist, nicht nur die technische Übertragung. Man versteht oft die Frage nicht. Die Frage ergibt keinen Sinn, wie mir eben auch mein Kollege Stahmer bestätigt. Darum tun wir uns schwer.

VORSITZENDER: Gut, wir wollen jetzt fortfahren; vielleicht wird es jetzt besser gehen.

OBERST POKROWSKY: Ich möchte, daß Sie noch den einen Satz durchlesen. Das ist die Stelle, in der Warlimont sagt, wem die Durchführung dieser Aufgaben aufgetragen wurde und wie die Offiziere darauf reagierten. Er sagt aus:

»Jodl überraschte uns mit dieser Mitteilung...«

Es ist dieselbe erste Seite, ungefähr in der Mitte. Haben Sie es gefunden?

JODL: Ich habe nur den Satz nicht gefunden, den Sie eben vorgelesen haben.

»Jodl überraschte uns...«

OBERST POKROWSKY: Dann werde ich mit dem vorhergehenden Satz beginnen; vielleicht wird das für Sie leichter:

»Außer mir hat er auch den drei höheren Offizieren befohlen, zu erscheinen... dem Oberst von Loßberg, Oberstleutnant... von Falkenstein und Kapitän Junge...«

Haben Sie es gefunden?

JODL: Ja.

OBERST POKROWSKY:

»Jodl überraschte uns mit dieser Mitteilung, auf die wir gar nicht vorbereitet waren.«

Und dann heißt es etwas weiter unten:

»Jodl erklärte, daß sich der Führer für die Vorbereitung des Krieges gegen Rußland entschieden hätte. Der Führer begründete dies damit, daß der Krieg mit Rußland früher oder später kommen müsse und daß es besser sei, diesen Feldzug in Verbindung mit dem jetzigen Kriege durchzuführen...« und so weiter.

Haben Sie die Stelle gefunden?

JODL: Jawohl, das habe ich.

OBERST POKROWSKY: Jetzt möchte ich, daß Sie noch einen Absatz auf der ersten Seite des Dokuments USSR-476, das man Ihnen eben gegeben hat, durchlesen. Es ist die Stelle, Jodl, welche Sie bereits angefangen hatten zu lesen und bei der ich sagte, wir werden später darauf zurückkommen.

Keitel wurde gefragt, ob er etwas von dieser Konferenz wisse, und er sagte:

»Mir ist nichts darüber bekannt« – von einem Angriff auf die Sowjetunion –. »Ich habe davon erstmalig nach meiner Inhaftierung gehört.«

Haben Sie die Stelle gefunden?

JODL: Ich habe das nicht mehr, aber ich erinnere mich, ich habe das vorhin gelesen.

OBERST POKROWSKY: Ich möchte, daß Sie dieses Dokument vor sich haben. Wir wollen keine Unklarheiten. Sehen Sie, daß er weiter unten davon spricht, Sie hätten ihm auch später von dieser Stabsbesprechung keine Mitteilung gemacht? Stimmt das? Bestätigen Sie dies oder nicht? Hat Keitel richtig ausgesagt?

JODL: Eine Konferenz gibt es überhaupt in diesem militärischen Rahmen nicht; die gibt es im parlamentarischen Rahmen oder in Zivil. Bei uns gibt es keine Konferenzen. Meine Generalstabsoffiziere sprach ich, so oft es mir beliebte. Es ist infolgedessen...

OBERST POKROWSKY: Entschuldigen Sie, daß ich Sie unterbreche. Sie können später hinzufügen, was Sie sagen wollten. Ich möchte eine direkte Antwort auf meine Frage haben. Hat Keitel richtig ausgesagt, daß Sie ihm von dieser Besprechung nichts gemeldet haben? Stimmt das oder nicht?

JODL: Von der Besprechung selbst habe ich ihm sicher nichts gemeldet, das spielte auch gar keine Rolle. Aber von dem, was mir der Führer sagte, glaube ich bestimmt, daß ich es ihm gemeldet habe, denn das war ja eine wichtige Angelegenheit; und er hat später wegen dieser Angelegenheit eine Denkschrift geschrieben. Also hat er sicher was davon erfahren. Aber das ist ja auch nur eine Vermutung, die ich damit ausspreche, eine ziemlich sichere Vermutung.

OBERST POKROWSKY: Gut, ich bin mit Ihrer Antwort vollauf zufrieden. Zum Schluß meiner ersten Gruppe von Fragen möchte ich Ihnen jetzt noch die letzte Frage in dieser Angelegenheit stellen:

Sind Sie nicht der Ansicht, daß nur der Stellvertreter des Chefs des OKW und nicht ein beliebiger Mitarbeiter selbständig und ohne Wissen Keitels, ohne seine Weisung, ohne ihm – wenn auch post factum – Bericht zu erstatten, solche Entscheidungen treffen konnte, wie die Vorbereitung eines Angriffsplanes auf ein fremdes Land? Haben Sie mich verstanden?

JODL: Wörtlich habe ich Sie verstanden, dem Sinne nach nicht. Erstens haben Sie eine falsche Behauptung in Ihre Frage gelegt. Sie haben nämlich behauptet, ich hätte die Vorbereitung des Angriffs auf ein neutrales Land dem Feldmarschall Keitel nicht gemeldet. Das ist eine Behauptung von Ihnen, die ich gestern unter Eid bereits widerlegt habe. Es drehte sich nicht um den Angriff auf die Sowjetunion bei dieser Besprechung; es drehte sich um die Abwehr eines sowjetischen Angriffs auf das rumänische Ölgebiet; und das liegt im Dokument C-170, im Tagebuch der Kriegsmarine, dokumentarisch fest.

OBERST POKROWSKY: Ist das alles, was Sie zu dieser Frage sagen wollten?

JODL: Ich glaube, daß das genügend ist.

OBERST POKROWSKY: Ich möchte mit Ihnen nicht streiten; aber ich will nur sagen, daß wir zwei Beweise haben, die sich mit dieser Besprechung befassen. Erstens Ihre Aussage, in der Sie die Tatsache der Vorbereitung eines Planes zum Angriff auf die Sowjetunion leugnen, und zweitens die Aussage eines anderen Teilnehmers an der Besprechung, Warlimont, welcher unumwunden erklärt, daß man sich gerade mit der Vorbereitung des Planes für den Angriff auf die Sowjetunion befaßte und daß diese Weisung alle in Erstaunen setzte.

Ich werde mich mit dieser Frage nicht weiter beschäftigen, möchte aber fragen...

JODL: Ich könnte den Unterschied erklären, wenn es Sie interessiert.

OBERST POKROWSKY: Nein, es interessiert mich jetzt nicht.

Wäre es richtig zu sagen, daß Sie der führende oder einer der führenden Stabsoffiziere Hitler-Deutschlands waren, die sich mit der Vorbereitung der Maßnahmen zum Angriff auf die Sowjetunion schon seit Sommer 1940 beschäftigten?

Darauf möchte ich gern Ihre Antwort hören. Ist Ihnen die Frage klar?

JODL: Die Frage ist klar. Die Antwort darauf lautet: Ich war wahrscheinlich der erste, der von den Sorgen des Führers bezüglich der politischen Einstellung Rußlands erfahren hat. Ich war aber nicht der erste, der Vorarbeiten für einen Angriff auf die Sowjetunion gemacht hat. Ich habe zu meiner Überraschung durch den Zeugen Paulus hier erfahren, daß lange bevor wir überhaupt uns befehlsmäßig mit so etwas befaßten, im Generalstab des Heeres Angriffsentwürfe bearbeitet wurden. Woher das kommt, kann ich mit absoluter Bestimmtheit nicht sagen. Vielleicht weiß es der Generaloberst Halder. Ich kann nur eine Vermutung ausdrücken.

OBERST POKROWSKY: Vermutungen interessieren uns wenig. Wir beschäftigen uns lieber mit Tatsachen. Sie haben vorgestern, am 5. Juni, erklärt, daß der Angriff auf die Sowjetunion, durch welchen Deutschland seinen Nichtangriffsvertrag mit der Sowjetunion brach, den Charakter eines Präventivkrieges hatte. Das haben Sie doch gesagt?

JODL: Ja, das habe ich behauptet. Es war ein Präventivkrieg.

OBERST POKROWSKY: Sehr gut, das ist Ihre Ansicht. Erinnern Sie sich an die Aussagen von Milch, Raeder, Göring, Paulus und Keitel, daß sie alle gegen einen Angriff auf die Sowjetunion waren?

Ich werde Ihnen einen Satz aus den Aussagen Keitels hier vor dem Gerichtshof vorlesen, damit Sie sich leichter daran erinnern können. General Rudenko, der Hauptankläger für die Sowjetunion, stellt beim Kreuzverhör Keitels folgende Frage:

»Sie haben ebenfalls erklärt, daß Sie Hitler aufsuchten, um ihm den Vorschlag zu machen, er möge seine Pläne hinsichtlich der Sowjetunion abändern. Stimmt das?«

Antwort Keitels:

»Ja, nicht nur abändern, sondern diesen Plan fallen lassen und keinen Krieg gegen die Sowjetunion zu füh ren.«

Können Sie sich an diese Aussage Keitels erinnern?

JODL: Ja, ich erinnere mich. Ich kenne auch die Denkschrift.

OBERST POKROWSKY: Sehr schön. Finden Sie es nicht sonderbar, daß ein Mann – in diesem Falle Sie selbst –, der auf jede Art und Weise bestrebt ist, sich von der Tatsache loszusagen, daß er der Stellvertreter Keitels war, vor Hitler und hier vor dem Gerichtshof behauptet, daß er über die Sachlage besser als Keitel informiert war und deshalb es wagen konnte, Behauptungen aufzustellen, die den Auffassungen Keitels, Paulus', Raeders, Görings und Milchs widersprachen?

JODL: Das habe ich nicht verstanden.

OBERST POKROWSKY: Ich werde es gern genauer erklären. Keitel hat anscheinend keine Notwendigkeit für einen – wie Sie es nennen – Präventivkrieg gesehen. Auch alle, deren Aussagen ich aufgeführt habe, haben ebenfalls keinen Grund für die Durchführung eines sogenannten Präventivkrieges gesehen. Sie glaubten nicht, daß die Sowjetunion Deutschland angreifen wollte. Sie haben jedoch behauptet, daß der Krieg präventiver Art war.

Haben Sie jetzt meine Frage verstanden?

JODL: Jawohl, jetzt habe ich sie verstanden.

OBERST POKROWSKY: Sehr gut. Wollen Sie darauf eine Antwort geben?

JODL: Ja, ich kann eine Erklärung dafür geben. Erstens ist es nicht sicher, welche Stellung der Feldmarschall Keitel im Februar 1941 zu dieser Frage eingenommen hat. Zweitens, der Oberbefehlshaber der Kriegsmarine und der Oberbefehlshaber der Luftwaffe, bei allem Respekt vor den beiden Persönlichkeiten, sahen das Gesamtproblem doch im wesentlichen nur vom Standpunkt der luftstrategischen oder seestrategischen Lage aus, und sahen von seiten der russischen Luftwaffe und von seiten der russischen Kriegsmarine gar keine Gefahr. Was sich an Land abspielte, das interessierte sie naturgemäß weniger, und so ist es zu erklären, daß der Hauptwiderstand von Marine und Luftwaffe geleistet wurde und daß in diesem Falle das Heer sehr viel mehr geneigt war, die Riesengefahr zu sehen, die vor ihm stand. Aber es gibt trotzdem keinen Menschen – mich eingeschlossen – der den Führer nicht ungeheuerlich eindringlich vor diesem Experiment gewarnt hat, das man wirklich nur, unternehmen darf, wenn es gar keinen anderen Ausweg gibt; ich will mich nicht vermessen zu beurteilen, ob es nicht vielleicht eine politische Möglichkeit gegeben hätte, die man nicht ausgeschöpft hat. Das kann ich nicht beurteilen.

OBERST POKROWSKY: Gut. Ich bin mit Ihrer Antwort zufriedengestellt und besonders damit, daß Sie den Bruch dieses Vertrages und den Angriff auf die Sowjetunion mit dem Wort »Experiment« charakterisieren. Sehen Sie sich bitte das Dokument...

VORSITZENDER: Oberst Pokrowsky! Sie sollten derartige Bemerkungen nicht machen. Sie müssen Fragen stellen und nicht Kommentare abgeben.

OBERST POKROWSKY: Meine Bemerkung steht im Zusammenhang mit meiner nächsten Frage, Herr Vorsitzender.