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[Pause von 10 Minuten.]

DR. STEINBAUER: Wir sind also bis zur Abstimmung, die Schuschnigg plante, gekommen. Dieselbe ist bekanntgeworden, und wir kommen nun zum 11. März. Was haben Sie an diesem Vormittag gemacht?

SEYSS-INQUART: Ich muß bemerken, daß ich am Tag vorher oder zwei Tage vorher nach Rücksprache mit österreichischen Nationalsozialisten an Dr. Schuschnigg einen Brief geschrieben habe, in dem ich zur Abstimmung Stellung genommen habe, nunmehr schon im ablehnenden Sinne. Die Gründe lagen im wesentlichen darin, daß ein reguläres Abstimmungsergebnis nicht garantiert sei, weil es sich nicht um eine richtige Abstimmung im Sinne der staatlichen Gesetze handelte. Die Abstimmung ist ja auch nicht vom Ministerrat beschlossen worden, sondern von der Vaterländischen Front, also von der Partei angeordnet und auch von ihr durchzuführen gewesen. Der Vorschlag ging dahin, die Abstimmung zu vertagen und eine regelrechte Wahl durchführen zu lassen, mit allen Kautelen, die gesetzmäßig für eine Wahl gegeben sind. Am 10. März abends hatte ich in Gegenwart des Außenministers Schmidt noch eine ausführliche Besprechung mit Dr. Schuschnigg, und wir kamen überein, daß sowohl die Regierung als auch die Landesregierungen und so weiter durch Nationalsozialisten zu ergänzen sind, also praktisch eine Koalitionsregierung geschaffen wird, in welchem Fall dann die Nationalsozialisten auch mit Ja stimmen werden. Nur bezüglich der Erlaubnis der Partei beziehungsweise der Betätigung waren noch Differenzen. Ich machte hiervon den österreichischen Nationalsozialisten Mitteilung. Die waren aber nicht sehr interessiert daran. Denn aus Berlin war eine Nachricht gekommen, daß Hitler die Abstimmung ablehne. Man sagte mir, ich werde am nächsten Tag einen Brief von Hitler bekommen.

DR. STEINBAUER: Haben Sie so einen Brief bekommen?

SEYSS-INQUART: Jawohl, ich habe durch einen Kurier einen Brief Hitlers bekommen. Ich glaube, mit einiger Gewißheit sagen zu können, daß auch der Entwurf für ein Einmarschtelegramm bei dem Brief war. Ich kann mich aber nicht erinnern, ob auch der Entwurf für eine Radiorede enthalten war.

DR. STEINBAUER: Was haben Sie nun vormittags nach Erhalt dieses Briefes gemacht?

SEYSS-INQUART: Ich bin nach Erhalt dieses Briefes mit Minister Glaise zu Dr. Schuschnigg. Wir waren um 10.00 Uhr im Bundeskanzleramt, und ich habe Bundeskanzler Schuschnigg den gesamten Inhalt dieses Briefes rückhaltlos mitgeteilt. Ich habe insbesondere darauf verwiesen, daß Adolf Hitler für den Fall der Ablehnung mit Unruhen unter den österreichischen Nationalsozialisten rechnet und daß er bereit sei, wenn es zu Unruhen komme, auf einen Hilferuf einzumarschieren. Ich habe also Bundeskanzler Schuschnigg auf die Möglichkeit dieser Entwicklung ausdrücklich aufmerksam gemacht.

DR. STEINBAUER: Haben Sie von ihm eine Antwort verlangt?

SEYSS-INQUART: In dem Schreiben war eine Befristung bis 12.00 Uhr mittags. Da unsere Unterredung etwa bis 1/212.00 Uhr gedauert hat, habe ich Bundeskanzler Schuschnigg gebeten, mir um 2.00 Uhr Nachricht zukommen zu lassen. Ich weiß, daß er in der Zwischenzeit und schon am Tage vorher Sicherheitsmaßnahmen getroffen hat über Dr. Skubl, denen ich zugestimmt habe. Es wurden einige Jahrgänge des österreichischen Bundesheeres einberufen, die Polizei wurde überall konsigniert und am Abend ein Ausgehverbot verhängt.

DR. STEINBAUER: Was war dann nachmittags am 11. März?

SEYSS-INQUART: Ich bin mit Minister Glaise um 2.00 Uhr ins Bundeskanzleramt gekommen. Wir hatten zuerst eine Unterredung mit Dr. Schuschnigg. Bundeskanzler Dr. Schuschnigg lehnte eine Vertagung ab. Nahezu im selben Augenblick wurde ich zum Telephon gerufen. Am Telephon befand sich Feldmarschall Göring. Die Telephongespräche liegen hier unter der Zahl US-76 vor.

Und nun kam ein gegenseitiges Lizitieren und Nachlaufen. Als ich Feldmarschall Göring mitteilte, daß Bundeskanzler Schuschnigg die Vertagung ablehne, erklärte er im Namen des Reiches, die Demission Schuschniggs verlangen zu müssen, weil er das Übereinkommen vom 12. Feber gebrochen habe, das Reich kein Vertrauen zu ihm habe. Nun war Dr. Schuschnigg bereit zu vertagen, aber nicht zurückzutreten. Daraufhin hat Feldmarschall Göring nicht nur den Rücktritt Schuschniggs, sondern meine Ernennung zum Bundeskanzler verlangt. In einer Unterredung mit Bundeskanzler Schuschnigg um 1/24.00 Uhr nachmittags erklärte dieser, daß er dem Bundespräsidenten die Gesamtdemission des Kabinetts überreichen werde. Als ich das mitgeteilt bekam, habe ich das Bundeskanzleramt verlassen, weil ich meine Funktion als Mittelsmann im Sinne des Übereinkommens vom 12. Feber als beendet angesehen habe und in keiner Weise dafür eintreten und intervenieren wollte, selbst Bundeskanzler zu werden.

DR. STEINBAUER: Darf ich hier in diesem Zusammenhang auf meine Urkunde Nummer 58, Seite 134, verweisen. Es ist dies ein Auszug aus den Telephongesprächen Görings, wo Göring sich berichten läßt und wo Seyß-Inquart über sein Verhältnis Deutschland-Österreich eine Erklärung abgibt. Es heißt hier:

»Ja, er meint, daß die Unabhängigkeit Österreichs verbleibt...«

Nun, das war in den späten Nachmittagsstunden des 11. März?

SEYSS-INQUART: Es ist in diesen Telephongesprächen auch der Vorschlag gemacht worden, daß die Parteiformation, die emigrierte Legion, nach Österreich kommen soll. Aus dem gleichen Telephongespräch ergibt sich, daß ich das nicht haben wollte, sondern daß ich vor dem Einmarsch irgendeiner Formation in Österreich Wahlen oder eine Abstimmung durchführen wollte.

Im Laufe des Nachmittags ist dann Staatssekretär Keppler nach Wien gekommen. Er ersuchte mich, ihn zu informieren. Daraufhin kam ich wieder ins Bundeskanzleramt. Ich wurde wiederholt von Berlin aufgefordert, selbst beim Bundespräsidenten zu intervenieren, daß ich Bundeskanzler werde. Ich habe das immer abgelehnt.

DR. STEINBAUER: Und was hat die österreichische NSDAP damals gemacht?

SEYSS-INQUART: Die Partei in Österreich hat begonnen zu demonstrieren. Die Parteimitglieder sind auf die Straße gegangen, haben die Straßen gefüllt, und ob es nur Parteianhänger waren oder Mitläufer, aber es schwoll zu einer außerordentlich großen Demonstration gegen das System und für die Nationalsozialisten an.

DR. STEINBAUER: Wie war die Stimmung in den Bundesländern?

SEYSS-INQUART: Ich habe mit den Bundesländern keine Verbindung gehabt, sondern erst entweder ganz spät in der Nacht oder am nächsten Tag erfahren, daß dort noch viel stärker als in Wien große Demonstrationen ganz großer Volksmengen waren, die sich gegen die Vaterländische Front und für die Nationalsozialisten ausgesprochen haben.

DR. STEINBAUER: Welche Lösungsversuche hat Bundespräsident Miklas nun in dieser Situation versucht?

SEYSS-INQUART: Da kann ich aus eigener Wahrnehmung gar nichts sagen, denn ich bin bis abends 8.00 Uhr von überhaupt niemandem mit so etwas befaßt worden. Man hat nicht mit mir gesprochen über eine Bundeskanzlerschaft; man hat mit mir aber auch nicht über andere Lösungsmöglichkeiten gesprochen. Ich habe gehört, daß der Bundespräsident Dr. Ender aus Vorarlberg zum Kanzler machen wollte und mich zum Vizekanzler. Ich glaube, daß das durchaus ein brauchbarer Vorschlag gewesen wäre. Ich konnte mich damit aber gar nicht auseinandersetzen und noch weniger mit Berlin, weil man mir davon nichts gesagt hat.

DR. STEINBAUER: Als sich nun die Ereignisse überstürzten, Schuschnigg seine Demission angeboten hatte, haben Sie eine Kabinettsliste zusammengestellt?

SEYSS-INQUART: Es war im Verlaufe des Abends klar, daß Bundeskanzler Schuschnigg zurücktreten wird und daß das Reich eine andere Regierung als eine nationalsozialistische nicht dulden wird. Ich habe es daher als meine Aufgabe angesehen, um nicht überrascht zu werden, nachzudenken, wen ich in ein Kabinett nehmen soll. Ich bemerke, daß mir die Vorschläge, die in den Telephongesprächen erwähnt sind, überhaupt nicht übermittelt wurden. Ich habe meine Mitarbeiter vollständig frei, natürlich nach Rücksprache mit österreichischen Nationalsozialisten, gewählt. Darunter befanden sich auch absolut katholisch gebundene Leute, wie Professor Mengin, Dr. Wolff und andere.

Ich habe Außenminister Schmidt ersucht, in das Kabinett einzutreten. Er hat mich gefragt, warum. Ich habe ihm gesagt: Ich möchte Österreich selbständig und unabhängig halten und brauche einen Außenminister, der Beziehungen zu den Westmächten hat. Schmidt lehnte ab mit der Bemerkung, Bundeskanzler Schuschnigg habe ihn in die Politik eingeführt, und er werde Bundeskanzler Schuschnigg die Treue halten.

DR. STEINBAUER: Ich möchte nun hier einige Urkunden vorlegen. Es ist dies die Urkunde Nummer 50, Seite 115, aus Zernattos Buch über die Stellung Seyß- Inquarts, ferner Seite 125, Dokument Nummer 54, ebenfalls aus dem Zernatto-Buch, wo es heißt:

»Er« – Seyß-Inquart – »habe die Entwicklung nicht mehr in Händen.«

Und als nächstes die Urkunde Nummer 62, Seite 149, in der Zernatto ein Gespräch mit dem Zeugen Dr. Seyß-Inquart anführt:

»Er sagt mir, in zwei Hauptpunkten lasse er nicht mit sich handeln. Das eine sei die Selbständigkeit Österreichs und das zweite die Möglichkeit, für das konservativ-katholische Element sein Eigenleben zu entfalten.«

Nun kommen wir zu einer sehr wichtigen Frage. Sie haben dann eine Rundfunkrede gehalten, in der Sie sich als Minister bezeichnet haben, obwohl Schuschnigg schon seine Demission gegeben hatte.

SEYSS-INQUART: Die Situation ist folgende gewesen: Die Gesamtdemission des Kabinetts ist vom Bundespräsidenten nicht angenommen worden, das heißt, wir – und auch ich – sind Minister geblieben. Als Dr. Schuschnigg seine Abschiedsrede gehalten hat, hat er nicht von der Demission und Gesamtdemission gesprochen. Er hat nur davon gesprochen, »wir weichen der Gewalt«. Es war damals zwischen Dr. Schuschnigg und Bundespräsident Miklas besprochen worden, daß ich nicht ausdrücklich zum Bundeskanzler ernannt werde, sondern nach Maßgabe des Einmarsches der deutschen Truppen die Vollzugsgewalt auf mich übergehen soll. Ich war also de facto Innen- und Außenminister nach meiner Meinung.

DR. STEINBAUER: Die Anklage behauptet, daß Sie selbst auch einen Druck auf den Bundespräsidenten Miklas ausgeübt haben zu Ihrer Ernennung?

SEYSS-INQUART: Ich habe Bundespräsident Miklas überhaupt nicht gesehen bis vielleicht um 9.00 oder 10.00 Uhr abends nach der Rede Schuschniggs: »wir weichen der Gewalt«.

DR. STEINBAUER: Ich möchte diese Rede des Bundeskanzlers Dr. Schuschnigg vom 11. März 1938 dem Gericht vorlegen unter Nummer 53, Seite 122, wo Schuschnigg erklärt:

»Der Herr Bundespräsident beauftragt mich, dem österreichischen Volk mitzuteilen, daß wir der Gewalt weichen. Wir haben, weil wir um keinen Preis auch in die ser ernsten Stunde deutsches Blut zu vergießen gesonnen sind, unserer Wehrmacht den Auftrag gegeben, für den Fall, daß der Einmarsch durchgeführt wird, ohne Widerstand sich zurückzuziehen und die Entscheidung in den nächsten Stunden abzuwarten.«

Die Anklagebehörde, Herr Zeuge, sieht diesen Druck auch in dem Umstände, daß damals SS-Ableitungen in das Bundeskanzleramt gerufen wurden. Was sagen Sie dazu?

SEYSS-INQUART: Ich glaube, es war nach der Abschiedsrede Schuschniggs. Da habe ich in den Vorzimmern vielleicht 10 oder 15 junge Leute in schwarzen Hosen und weißen Hemden gesehen, das war nicht SS. Ich hatte, den Eindruck, daß sie Boten- und Ordonnanzdienste für Staatssekretär Keppler und die anderen machen. Als sie sich den Räumen näherten, in denen Bundeskanzler Schuschnigg und Präsident Miklas waren, habe ich Posten der Wachabteilung des österreichischen Gardebataillons angefordert und habe sie vor diese Räume hingestellt. Ich bemerke, das waren ausgesuchte vaterländische Männer, die nach österreichischen Begriffen bestens bewaffnet waren, während diese höchstens 40 SS-Männer vielleicht Pistolen gehabt haben. Aber darüber hinaus ist 50 Schritte vom Bundeskanzleramt entfernt die Kaserne des Gardebataillons gewesen, mit ein paar hundert ausgesuchten und gutbewaffneten Männern. Wenn Bundespräsident Miklas und Bundeskanzler Schuschnigg keine andere Sorge gehabt hätten als die, was sich im Bundeskanzleramt und der Straße davor abgespielt hat, so hätten sie mit Leichtigkeit durch Alarmierung des Gardebataillons dieser ganzen Angelegenheit ein Ende machen können.

DR. STEINBAUER: Die Anklagebehörde hat Ihnen ein Affidavit des Gauleiters von Oberösterreich, Eigruber, vorgehalten, wo behauptet wird, daß Sie schon bevor Sie Bundeskanzler geworden sind, die Machtergreifung in den einzelnen Bundesländern angeordnet haben?

SEYSS-INQUART: Das ist vollkommen unrichtig. Der Gauleiter von Oberösterreich behauptet auch nicht, daß er mit mir gesprochen hat. Ich glaube, er sagte, er hätte ein Telegramm mit meiner Unterschrift bekommen. Ich habe an keinen Gauleiter und überhaupt an niemanden ein Telegramm oder mündliche Aufforderung gerichtet, die Macht zu übernehmen.

Ich habe später von Globocznik erfahren, daß er die Machtergreifung durchgeführt habe. Er hat mir das mit den Worten gesagt: »Wissen Sie, ich habe für Sie die Macht ergriffen und Regierung gespielt, aber ich habe Ihnen nichts gesagt, denn Sie wären dagegen gewesen.«

DR. STEINBAUER: Weil Sie sagen, Sie wären dagegen gewesen – es ist ja mittlerweile der Einmarsch erfolgt, wie ihn der Angeklagte Göring geschildert hat: War die Bevölkerung dagegen, gegen diesen Einmarsch? Was ist Ihre Meinung?

SEYSS-INQUART: Man kann das nicht als einen Einmarsch bezeichnen. Das war ein stürmisch bejubelter Einzug deutscher Truppen. Es hat kein Dorf gegeben, selbst mit einer stockkatholischen Bevölkerung, das nicht in stürmischen Jubel ausgebrochen wäre, und keinen Arbeiterbezirk, in dem es nicht dasselbe gewesen wäre. Ich war mir übrigens mit Dr. Schuschnigg darüber vollkommen im klaren. Er hat einmal 1937 meinen Worten zugestimmt, der Einmarsch deutscher Truppen in Österreich könnte durch nichts aufgehalten werden als durch die Ovationen der Bevölkerung.

DR. STEINBAUER: Ich möchte in diesem Zusammenhang auf eine Urkunde verweisen, Nummer 37, Seite 86. Es ist dies ein Zitat aus dem Buch Sumner Welles »The Time for Decision«. Er schildert ein Gespräch zwischen ihm und dem italienischen Außenminister Graf Ciano und sagt folgendes:

»Vor der Besetzung Österreichs kam Dr. Schuschnigg nach Rom. Er gab offen zu, daß im Falle einer Besetzung Österreichs durch Deutschland die Mehrheit der Österreicher bei der Besetzung mitmachen werde und daß die Österreicher sich wie ein Mann mit den Deut schen zum Kampf gegen Italien zusammenschließen würden, wenn Italien Truppen nach Österreich schicken sollte, um die Besetzung zu verhindern.«

Wir gehen nun, Herr Zeuge, zum nächsten Tag, dem 12. März, über. Haben Sie nicht zu dieser Zeit mit Hitler ein Telephongespräch gehabt?

SEYSS-INQUART: Jawohl, und zwar habe ich den Führer angerufen. Das geht zurück auf die Tatsache des Einmarsches. Ich möchte noch wiederholen und nachholen, am Tage vorher, etwa um 7.00 Uhr, haben die Verhandlungen auf einmal aufgehört. Alles hat gewartet. Um 1/23.00 Uhr kam Staatssekretär Skubl mit der Meldung, der Einmarsch der deutschen Truppen hätte tatsächlich begonnen, wie ein Grenzposten gemeldet habe. Feldmarschall Göring hat ihn ja auch schon wiederholt angekündigt. In der Meinung, daß der Einmarsch tatsächlich im Gange ist, hat dann Schuschnigg seine Abschiedsrede gehalten. Damit ist das System der Vaterländischen Front zurückgetreten gewesen. Und ich erkläre ausdrücklich, bis zu diesem Augenblick habe ich nichts gemacht, was irgendwie die Inkontrollnahme Österreichs, wie es heißt, richtiger gesagt, was die Bestätigung der Nationalsozialisten und die Machtergreifung bewußt förderte.

Was ich getan habe, war lediglich die Vermittlung im Sinne des Vertrages vom 12. Februar. Und vom Augenblick an, wo das System der Vaterländischen Front abgetreten ist, habe ich in mir die Verantwortung gefühlt, handelnd einzugreifen. Ich habe zuerst selbst eine Rundfunkrede gehalten, aber nicht die, die man mir in der Frühe vorgeschrieben hat. Denn ich habe nicht von einer provisorischen Regierung gesprochen, sondern mich als Innenminister bezeichnet. Ich habe erst in diesem Augenblick die SA und SS als Hilfspolizei eingestellt und ebenso wie Schuschnigg den Befehl gegeben, dem Einmarsch keinen Widerstand entgegenzusetzen. In der weiteren Folge wurde ich zum Bundeskanzler ernannt und mein Ministerium genehmigt. Ich habe noch in derselben Nacht in meinem Wagen Dr. Schuschnigg nach Hause gebracht, weil ich die Sorge hatte, daß ihm etwas passieren könnte, allenfalls durch Provokateure, und habe Dr. Keppler gebeten den Führer anzurufen, daß der Einmarsch nicht durchgeführt werde. Darüber hat ja Herr Reichsmarschall Göring hier gesprochen. In der Frühe habe ich nochmals angerufen, habe den Führer am Flugplatz in Linz getroffen, und da der Einmarsch im vollen Gange war, habe ich ersucht, ob es nicht möglich wäre, daß auch österreichische Truppen ins Deutsche Reich einmarschierten, damit wenigstens symbolisch noch die Gleichberechtigung aufrechterhalten bleibe. Der Führer hat dem zugestimmt, und tatsächlich sind österreichische Truppenteile in München, Berlin und so weiter in österreichischen Uniformen einmarschiert.

DR. STEINBAUER: Nun, wie haben Sie sich die weitere Entwicklung der Lage in Ihrer Eigenschaft als neuernannter Bundeskanzler vorgestellt?

SEYSS-INQUART: Da das System der Vaterländischen Front zusammengebrochen war, konnte ich meine Idee einer Koalitionsregierung nicht mehr verfolgen. Es war mir also klar, daß eine nationalsozialistische Regierung mit einem sehr starken katholischen Einschlag die Geschäfte führt, aber nicht in Form eines sofortigen Anschlusses, sondern bei Durchführung entsprechender Wahlen und Abstimmung im Wege einer Wirtschafts- und allenfalls Militärunion mit dem Deutschen Reich.

DR. STEINBAUER: Herr Präsident! Ich möchte in diesem Zusammenhang eine außerordentlich wichtige Urkunde vorlegen, die nun ganz neu das Zustandekommen des Anschlußgesetzes darstellt. Es ist das eine beeidete Aussage des hier im Gefängnis befindlichen früheren Staatssekretärs im Innern, Dr. Stuckart. Ich überreiche sie dem Gerichtshof und möchte aus dieser Aussage zusammenfassend folgendes feststellen...

VORSITZENDER: Wo ist das Dokument?

DR. STEINBAUER: Das ist nicht im Dokumentenbuch, weil es nachträglich erst gekommen ist. Die Übersetzungen sind noch nicht angefertigt. Ich will nur ganz kurz, damit der Zusammenhang hergestellt wird – das Original habe ich dem Gericht vorgelegt –, daraus sagen, daß der Zeuge folgendes sagt...

VORSITZENDER: Sie werden dem Dokument doch eine Nummer geben?

DR. STEINBAUER: 92. Der Zeuge sagt darin, wahrscheinlich werde Hitler in Personalunion Präsident Österreichs werden. Er sagt, daß er von Frick diesbezüglich einen Auftrag bekommen hat, ein solches Gesetz auszuarbeiten, und daß er überraschend nach Linz beordert wurde.

VORSITZENDER: Einen Augenblick bitte, Dr. Steinbauer.

DR. STEINBAUER: Es bestehen auch in der holländischen Sache einige Affidavits, die noch nicht eingelangt sind oder respektive jetzt erst gekommen sind. Vielleicht ist es zweckmäßiger, die Urkunden dann vorzulegen, wenn sie übersetzt sind.

VORSITZENDER: Die Anklagebehörde wird doch das Affidavit auch haben?

DR. STEINBAUER: Sie hat es schon.

Wenn ich fortfahren darf – er sagt, daß er in Linz von Hitler überraschend den Auftrag bekommen hat, ein Gesetz zu entwerfen, das den direkten totalen Anschluß beinhaltet, das heißt, Österreich soll ein Land des Deutschen Reiches werden wie etwa Bayern und die übrigen deutschen Länder. Dieses Gesetz habe er auftragsgemäß ausgearbeitet, sei nach Wien geflogen und habe es dort den versammelten Ministern zur Annahme vorgelegt.

Den Eindruck des Anschlusses auf die Bevölkerung möchte ich durch drei Urkunden nachweisen, und zwar erstens, die Nummer 30. Es ist dies die Begrüßungsfeier des Führers auf dem größten Platz in Wien, dem Heldenplatz, durch die Wiener Bevölkerung. Bei dieser Gelegenheit, am 15. März, hat der Zeuge den Führer begrüßt und folgendes gesagt:

»Wonach Jahrhunderte deutscher Geschichte gerungen haben, wofür ungezählte Millionen der besten Deutschen geblutet haben und gestorben sind, was in heißem Ringen letztes Ziel, was in bittersten Stunden letzter Trost war –, heute ist es vollendet: Die Ostmark ist heimgekehrt!«

Hitler hat nun den Auftrag gegeben, daß dieses Anschlußgesetz durch eine Volksabstimmung seitens der österreichischen Bevölkerung nachträglich sanktioniert werde. Das Resultat dieser Abstimmung ist dem Gericht ja durch andere Urkunden, die schon früher vorgelegt wurden, bekannt. Ich möchte dazu nur noch auf weiteres verweisen; Erstens auf die Stellungnahme der katholischen Bischöfe – es ist dies das Dokument Nummer 32, Seite 73 – und des derzeitigen Bundespräsidenten Dr. Karl Renner zur Abstimmung – das Dokument Nummer 33, Seite 76. Über die Stellung der übrigen Mächte der Umwelt zu der Anschlußfrage werde ich den Zeugen Schmidt, der ja als Außenminister der berufene Mann war, anführen.

Ich möchte nur ein Dokument vorlegen, das ist das Dokument Nummer 38, Seite 89. Es ist dies die Unterhausrede des damaligen Ministerpräsidenten Chamberlain, der, zum Anschluß interpelliert, folgendes sagte;

»... daß nichts diese Handlung Deutschlands aufgehalten hätte, es sei denn, daß wir und andere bereit gewesen wären, Gewalt anzuwenden, um sie zu verhindern.«

Nun ist Österreich angeschlossen, ist ein Teil des Großdeutschen Reiches, Seyß-Inquart Bundeskanzler. Ich frage Sie, sind Sie Bundeskanzler geblieben, oder haben Sie nach der Machtübernahme eine andere staatliche Funktion erhalten?

SEYSS-INQUART: Als ich am 13. in der Nacht dem Führer das Anschlußgesetz gemeldet habe, habe ich Gelegenheit genommen, drei Fragen sofort zu erörtern. Das war allerdings nicht leicht; denn der Führer war sehr bewegt und hat geweint.

Ich habe zuerst gebeten, daß die österreichische Partei eine relative Selbständigkeit behalte unter einem Österreicher als Landesleiter; zweitens, daß Österreich als staatlicher Bereich auch eine gewisse Selbständigkeit bekomme. Der Führer sagte zum ersten »möglich«; zum zweiten sagte er »Ja«, es werde ein eigener Reichsstatthalter kommen. Bei dieser Gelegenheit bin ich aufgestanden und habe den Führer gebeten, wieder als Rechtsanwalt in meinen Privatberuf zurückgehen zu können. Und als drittes habe ich gebeten, daß das unrichtige Verrechnungsverhältnis zwei Schillinge zu einer Mark abgeändert werde in 1.50 Mark. Das hat der Führer auch zugesagt.

Am 15. März anläßlich der Kundgebung, die hier bereits erwähnt ist, hat der Führer dem Rundfunkansager den Auftrag gegeben: »Kündigen Sie an, es spricht der Reichsstatthalter Seyß-Inquart«. Das war eigentlich die erste Mitteilung an mich, daß ich Reichsstatthalter geworden bin. Ich bin dann Reichsstatthalter gewesen, und zwar bis Ende April 1939.

DR. STEINBAUER: Wer ist der eigentliche Leiter der Politik in Österreich geworden?

SEYSS-INQUART: Es ist sofort Bürckel nach Österreich geschickt worden mit dem Auftrag, die Partei zu reorganisieren und die Arbeiten für die Abstimmung zu machen. Das Eindringen Bürckels und seiner Mitarbeiter und verschiedene etwas welt- und österreichfremde Planungen haben mich veranlaßt, am 8. April in Gegenwart Bürckels den Führer auf diese Art der Gleichschaltung aufmerksam zu machen, und der Führer hat vor mir zu Bürckel gesagt: »Bürckel, das dürfen Sie nicht tun, sonst würde sich die Anschlußfreudigkeit der Ostmärker in eine Reichsmüdigkeit verwandeln.«

Dennoch hat er ihn wenige Wochen später zum Reichskommissar für die Wiedervereinigung gemacht. Er hatte die Partei, die gesamte Politik und Propaganda einschließlich der Kirchenpolitik und hatte mir gegenüber im staatlichen Bereich das Weisungsrecht.

DR. STEINBAUER: Sie wissen, daß Ihnen die Anklagebehörde nun Vorwürfe bezüglich der weiteren Politik in Österreich kurz nach dem Anschluß macht. Der erste Vorwurf ist der, daß Sie in der Judenfrage sich an dieser traurigen Behandlung der jüdischen Bevölkerung beteiligt hätten, respektive dafür verantwortlich sind.

Was können Sie dazu sagen?

SEYSS-INQUART: Ich kann das gar nicht leugnen; denn ich habe bestimmt in meinem Wirkungsbereich als Chef der zivilen Verwaltung Verordnungen erlassen, die auf dieser Linie gelegen sind. Die Behandlung der Judenfrage an sich hat Bürckel für sich beansprucht, der ja auch in einem hier vorliegenden Dokument die Judenfrage als eine Angliederungssache bezeichnet.

DR. STEINBAUER: Darf ich jetzt in diesem Zusammenhang wieder auf zwei Urkunden verweisen. Das eine ist die Urkunde Nummer 64, ein Erlaß auf Seite 154. Es ist der Erlaß des Führers über die gesetzliche Bestellung des Bürckel zum Reichskommissar für die Wiedervereinigung Österreichs mit dem Reich. Ich verweise hier insbesondere auf den Artikel 4, der dem Bürckel ein ausführliches Befehlsrecht gegenüber dem Zeugen einräumt. Als zweite Urkunde verweise ich auf die Urkunde Nummer 67, Seite 163. Sie ist dem Gericht ja bereits vorliegend. Es ist 2237-PS. Aus dieser umfangreichen Urkunde will ich nur festhalten, daß die ganze Durchführung der Judenfrage, insbesondere im November 1938, eine Sache war, mit der der Angeklagte nichts zu tun gehabt hat. Wie sich der Angeklagte selbst verhalten hat, möchte ich weiter durch ein Affidavit nachweisen, das mir unaufgefordert aus Australien zugeschickt wurde. Es ist dies die Urkunde Nummer 70, Seite 175. Mir ist der Standpunkt des Gerichts wohl bekannt, daß der Umstand, daß der eine oder andere Angeklagte Briefe von Juden vorgelegt habe, kein großer Beweis ist nach dem Sprichwort: »Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer.« Aber warum ich diese Urkunde vorlege, zeigt der Absatz Nummer 12 auf Seite 4, wo nämlich der Zeuge Dr. Walter Stricker, der aus einer sehr angesehenen jüdischen Familie von Linz stammt, folgendes sagt:

»Nach meiner Ausreise aus Österreich hörte ich von anderen Familien, wo Dr. Seyß ähnliche Hilfe an Juden gab und daß er im Mai 1938, wenn die Judenverfolgungen besonders arg waren, bei Gauleiter Bürckel protestierte.«

Also es ergibt sich zweifellos, daß diese radikale Politik von dem Angeklagten nicht mitgemacht wurde.

Herr Zeuge! Sie wissen aus dem Trialbrief, daß man Ihnen den Vorwurf des Doppelspiels gemacht hat. Wie war nun das Verhalten der Partei Ihnen gegenüber nach dem Anschluß?

SEYSS-INQUART: Ich weiß, daß dieser Vorwurf gegen mich erhoben wird und erhoben wurde. Er wurde auch in den radikalen Kreisen der Partei gegen mich erhoben, und ich will offen gestehen, ich finde diesen Vorwurf nicht unerklärlich. Ich habe den Versuch gemacht, zwei Gruppen zusammenzubringen, die, wie die Geschichte gezeigt hat, eben gar nicht zusammenzubringen waren. Es ist klar, daß die radikalen Flügel beider Gruppen in der Unvorstellbarkeit solcher Realisierungen zur Meinung kommen mußten, daß der, der das versuchte, es nicht ehrlich meinen kann; aber das Wichtigere ist etwas anderes. Die Lösung, die die österreichische Frage bekommen hat, das war ja nicht meine Lösung, sondern genau die Losung der Radikalen in der Partei, und ich selbst habe vom 11. März, 8.00 Uhr abends, diese Lösung mitgemacht. Infolgedessen ist es naheliegend, daß Leute sagen, ich hätte sie vorher auch schon mitgemacht und mitvorbereitet; das ist aber falsch. Erst 8.00 Uhr abends, nach Rücktritt Schuschniggs und des vaterländischen Systems, habe ich mich auf diesen Boden gestellt, weil ein anderer realpolitisch gar nicht gegeben war. Es war keine andere politische Macht mehr in Österreich als die nationalsozialistische oder der Bürgerkrieg.

Ich selber habe auch das Anschlußgesetz freudig angenommen und mein Entschluß war bestimmend für alle meine Mitarbeiter. Ich habe am 13. März selbstverständlich den Augenblick begrüßt. Es hätte sich höchstens darum handeln können zu fragen, ob Bedenken gegen die Durchführung bestehen. Ich habe mir die Frage vorgelegt. Außenpolitische Bedenken brauchte ich nach allen Mitteilungen nicht zu haben. Dieser Fall wird ruhig über die Bühne gehen. Innenpolitisch hat es einen derartigen Jubel in Österreich noch nie gegeben. Ich hatte das Bewußtsein, daß kein österreichischer Staatsmann oder verantwortlicher Mann je die gesamte Bevölkerung so hinter sich hatte wie ich. Aber es war auch gut und nützlich; denn in Wirklichkeit hätte ja doch das Reich regiert, und dann ist es schon besser, wenn es nach außen auch die Verantwortung trägt.

DR. STEINBAUER: Mir hat der Angeklagte Kaltenbrunner erzählt, daß er und Sie in diesem Zeitpunkt von Heydrich auf Schritt und Tritt überwacht wurden. Stimmt das?

SEYSS-INQUART: Zu den Kreisen, die uns – ich sage uns, nämlich auch Kaltenbrunner – mißtraut haben, gehörte besonders auch Heydrich. Heydrich hat Ende 1937 einen Geheimbericht gemacht, den ich später bekommen habe. Er sagte darin, daß die Losung der österreichischen Frage im Sinne der Partei unausweichlich sei. Das einzige Hindernis könnte die Politik des Staatsrates Seyß-Inquart sein, denn dieser wäre imstande, so etwas wie einen österreichischen Nationalsozialismus hervorzubringen. Nach dem Anschluß habe ich ein sogenanntes Begleitkommando bekommen, das gar keine andere Aufgabe hatte, als Heydrich ständig zu berichten, was ich mache. Ich habe dagegen ebensowenig gehabt wie gegen die Tatsache, daß ich als österreichischer Sicherheitsminister in meinen Telephongesprächen auch abgehört wurde.

DR. STEINBAUER: Sagen Sie, nachdem Sie angeblich die Hauptrolle in dieser Sache gespielt haben, welchen Lohn haben Sie für Ihre Tätigkeit bekommen? Hat man Ihnen auch ein Rittergut oder eine Gnadengabe von etlichen 100.000 Mark gegeben? Haben Sie jemals irgend so etwas bekommen?

SEYSS-INQUART: Nein, so was kommt ja auch gar nicht in Frage. Mein Lohn ist die Tatsache, bei Großdeutschland mitgewirkt zu haben.

DR. STEINBAUER: Nun möchte ich doch konkret fragen: Haben Sie jemals irgend etwas bekommen?

SEYSS-INQUART: Nein. Bei meinem 50. Geburtstag...

VORSITZENDER: Das Licht leuchtet sehr häufig auf.

DR. STEINBAUER: Sie haben aber einen Titel bekommen?

SEYSS-INQUART: Meinen Sie den »Gruppenführer der SS«? Am 15. März wurde ich zum Gruppenführer der SS, und zwar als Ehrenrang, ernannt. Ich möchte allgemein sagen, ich habe mich darum nicht beworben und auch keinerlei Prüfungen und sonstige Sachen durchgemacht. Allgemein ist der Ehrenrang der SS keine Mitgliedschaft der Allgemeinen SS. Man hat weder eine Befehls- noch eine Disziplinargewalt. Das habe ich selbst erfahren, als ich mich bei Himmler über Bürckel beschwerte – der Brief liegt ja vor – und ein Verfahren verlangt habe. Da hat mir. Himmler gesagt, er habe über Bürckel keine Disziplinargewalt Er wäre nur ein Ehrenrang. Ich selbst habe ja für die Allgemeine SS...

DR. STEINBAUER: Ich glaube, das genügt.

VORSITZENDER: Dr. Steinbauer! Soviel ich verstanden habe, sagte der Angeklagte, daß er einen untergeordneten Posten erhielt, um Berichte an Heydrich zu erstatten. Worin bestand dieser untergeordnete Posten? Haben Sie das gesagt?

SEYSS-INQUART: Heydrich hat einen Geheimbericht abgegeben gegen mich. Nein, Pardon, Heydrich hat ein Begleitkommando....

VORSITZENDER: Sie sagten, daß Heydrich im Jahre 1937 einen Geheimbericht über Österreich abgegeben habe, in dem er sagte, daß vorbehaltlich der Politik Seyß-Inquarts die Losung unvermeidlich wäre. War das nicht der wesentliche Inhalt?

SEYSS-INQUART: Ich habe das nicht ganz verstanden.

VORSITZENDER: Und danach habe ich Sie dahingehend verstanden, daß Sie einen untergeordneten Posten erhielten, um Heydrich Berichte zu erstatten.

SEYSS-INQUART: Nein. Heydrich hat vier oder fünf Männer zu mir geschickt, daß sie mich begleiten, so als eine Art Schutzwache, und diese Schutzwache hatte den Befehl, Heydrich zu berichten, was ich mache.

VORSITZENDER: Ich muß die Übersetzung falsch verstanden haben.

DR. STEINBAUER: Also zusammenfassend kann ich sagen, außer der Ernennung zum SS-Gruppenführer haben Sie keinerlei Auszeichnungen erfahren, mit Ausnahme der Zusage, daß Sie Reichsminister innerhalb Jahresfrist werden? Stimmt das?

SEYSS-INQUART: Diese Zusage ist Ende April 1938 gegeben worden. Ich komme auf eine Frage im Kreuzverhör des Herrn Reichsmarschalls zurück. Vor dem 13. März 1938 habe ich nicht die geringste Zusage vom Reich über irgend etwas erhalten und war im Reich auch niemandem gegenüber irgendwie verpflichtet oder befehlsgebunden.

DR. STEINBAUER: Damit kann ich das Kapitel Österreich abschließen und nur kurz die Frage Tschechoslowakei streifen.

Es wird Ihnen vorgeworfen, indem man ein Glückwunschschreiben Henleins an den Führer zitiert, daß Sie sich aktiv an dem Anschluß in der Tschechoslowakei beteiligten?

SEYSS-INQUART: Was den September 1938 betrifft, so bin ich in gar keiner anderen Weise beteiligt, als daß ich als Reichsstatthalter in Österreich die Flüchtlinge aus den Grenzgebieten aufgenommen und in Österreich untergebracht und versorgt habe. Henlein und einige Führer habe ich persönlich gekannt, ohne mich in ihre Politik einzumischen und ihre Beziehung zum Reich näher zu kennen,

DR. STEINBAUER: Was ist bezüglich der Slowakei zu sagen?

SEYSS-INQUART: Die Beziehungen zwischen Wien und Preßburg waren schon in der alten österreichischen Monarchie sehr gut. Ich selbst habe Verwandte in Preßburg gehabt. Wir kannten uns also, sowohl die Slowaken als auch die Deutschen. Wir kannten insbesondere die Beschwerde der Slowaken, daß die Zusage von Pittsburg nicht gehalten wurde, daß sie nicht die volle Autonomie der Slowakei erhalten haben. Pater Hlinka vertrat die volle Autonomie und wird in der Slowakei wie ein Heiliger verehrt. Hinter ihm stand mindestens dreiviertel der slowakischen Bevölkerung, und er verfolgte eine Unabhängigkeit vom Prager Parlament und die slowakische Staatssprache. Ich habe nach dem März 1938 – genau nach dem September 1938 – einige slowakische Politiker kennengelernt, Sidor, Dr. Tiso, Dr. Churchansky und vielleicht den einen oder anderen. Der Führer selbst hat mich einmal aufgefordert, ihn über die slowakischen Verhältnisse zu orientieren und zu berichten; ich habe mit diesen Informationserhebungen zwei meiner Mitarbeiter beauftragt, die sehr gute persönliche Beziehungen drüben hatten. Im März 1939 hatte ich mit Sidor und Dr. Tiso Besprechungen, als sich diese mit mir unterhalten wollten über die mögliche Entwicklung Berlin-Prag und über die anfälligen Folgen für die Slowakei. So sagten mir wenigstens meine Mitarbeiter, die mich eingeladen haben. Bei diesen Besprechungen war die Rede von der Möglichkeit eines Zusammenstoßes Prag-Berlin und von der Sorge und der Unversehrtheit des slowakischen Gebietes, weil ja die Gefahr bestand, daß die Ungarn, aber auch die Polen die Gelegenheit benützten, um slowakisches Gebiet zu besetzen. Die slowakischen Herren wollten eine Sicherheit, was Berlin beabsichtige und wie sie ihr eigenes Land unversehrt halten können. Ich habe mich mit den Herren sehr offen ausgesprochen, aber nicht in dem Sinne einer Aufforderung, sich unabhängig zu erklären, denn diese Entscheidung mußte den slowakischen Herren überlassen bleiben, aber in der Erörterung der Frage, ob es Differenzen zwischen slowakischen und deutschen Interessen gäbe und in der Feststellung, daß das nicht der Fall sei.

DR. STEINBAUER: Ich möchte in diesem Zusammenhang auf zwei Urkunden verweisen. Die eine ist die Nummer 71, Seite 181; es ist dies der Hinweis auf den Pittsburger Vertrag. Die zweite Urkunde ist Nummer 72, Seite 183, die von der Anklagebehörde unter US-112 vorgelegt wurde als Beweis, daß der Angeklagte mit den slowakischen Leuten in einer unerlaubten Verbindung gestanden sei.

Herr Zeuge! Ich halte Ihnen diese Urkunde vor, Sie kennen sie ja. Es ist ein Bericht des Viscount Halifax vom 21. März 1939. Wer war damals in Bratislava mit Ihnen, oder waren Sie überhaupt da dabei?

SEYSS-INQUART: Es wurde damals Staatssekretär Keppler von Berlin nach Wien geschickt mit dem Auftrag, an die Slowakische Regierung gewisse Fragen zu richten, als sowohl Bürckel wie ich es abgelehnt haben, einen solchen Auftrag zu übernehmen. Das war einer der wenigen Fälle, wo ich mit Bürckel einig war. Ich hatte als territorialer Verwaltungschef die Aufgabe, den Besuch in Preßburg vorzubereiten, und es wurde vereinbart, daß Staatssekretär Keppler in meinem Wagen nach Preßburg fährt. Ich und Bürckel haben Keppler begleitet. Generale der deutschen Wehrmacht waren nicht beteiligt, überhaupt niemand von der Wehrmacht. Die Niederschrift des Gespräches dürfte richtig sein.

DR. STEINBAUER: Es heißt in der Urkunde »und fünf deutsche Generale?«

SEYSS-INQUART: Das ist falsch.

DR. STEINBAUER: Das ist falsch. Ich möchte die Aufmerksamkeit des Gerichts darauf lenken, daß sowohl der slowakische Minister Sidor als auch der spätere Präsident Msgr. Tiso, beide übereinstimmend in dieser Urkunde erklären, nur mit Bürckel verhandelt zu haben. Der Name Seyß-Inquart kommt überhaupt nicht vor.

Zusammenfassend kann ich Sie also fragen, daß eine Tätigkeit Ihrerseits im Sinne der Anklagepunkte bezüglich der Tschechoslowakei oder Slowakei nicht erfolgt ist?

SEYSS-INQUART: Ich glaube jedenfalls nicht, daß ich in Verfolgung der Reichsinteressen jene Grenze überschritten habe, die in solchen Fällen nur als Interessenvertretung zugebilligt werden muß. Ich habe nicht mitgewirkt am 12. März, als Dr. Tiso von Bürckel...

Ich habe in Vertretung der Interessen des Deutschen Reiches die Grenzen nicht überschritten, die jemandem bei der Vertretung berechtigter Interessen eingeräumt sein müssen.

DR. STEINBAUER: Danke, das genügt. Sie sind dann im Jahre 1939, am 1. Mai 1939, Minister ohne Portefeuille geworden. Stimmt das?

SEYSS-INQUART: Ja.

DR. STEINBAUER: Haben Sie jemals an einer Kabinettssitzung teilgenommen oder an einer Sitzung des Geheimen Verteidigungsrates?

SEYSS-INQUART: Hat es keinen mehr gegeben.

DR. STEINBAUER: Haben Sie irgendwie Einfluß gehabt auf die Entscheidung, daß Polen mit Krieg überfallen werden sollte?

SEYSS-INQUART: In gar keiner Weise.

DR. STEINBAUER: Haben Sie, als dann tatsächlich der Krieg mit Polen anfing, irgendwie sich Hitler gegenüber dazu geäußert?

SEYSS-INQUART: Ich habe in der zweiten Septemberwoche an Hitler einen Brief geschrieben. Ich hoffe, daß auch dieser Brief in meinen Wiener Akten ist. Ich habe einen Durchschlag vor etwa eineinhalb Jahren gelesen und habe den Inhalt noch gut im Kopf. Ich habe Hitler darauf aufmerksam gemacht, daß im deutschen Volk gar keine Begeisterung ist, sondern im Gegenteil die ernsteste Sorge, daß es sich um einen Kampf auf Leben und Tod handeln wird. Ich habe meiner Meinung Ausdruck gegeben, daß der Krieg keine militärische Lösung finden werde, sondern daß er politisch gelöst werden muß und daß die Basis der politischen Losung das Bündnis mit den Sowjets ist, das womöglich zu einem Militärbündnis auszubauen ist. Hierbei müsse man Rücksicht nehmen, daß die Sowjets auf ihre Interessen im Balkan nie verzichten werden, ebensowenig wie die Russen und das zaristische Rußland, und daß auch der Panslawismus eine Rolle spielte, infolgedessen bei der tschechischen und polnischen Frage mit Rußland gerechnet werden muß. Ich bezeichnete es als notwendig, den Gürtel der neutralen Staaten unbedingt aufrecht zu erhalten. Dann werde der Krieg auf der schmalen Westfront von selbst aufhören, hingegen dürfe die italienische Politik nicht zu Lasten Deutschlands geführt werden, sondern man müsse zu einer Verständigung mit Griechenland und der Türkei kommen. England werde weder durch die Luft noch durch U-Boote niedergerungen werden, man müsse seine Mittelmeer-Position angreifen, um es zum Frieden zu zwingen.

DR. STEINBAUER: Haben Sie eine Antwort auf diesen Brief vom Führer erhalten?

SEYSS-INQUART: Ich habe keine direkte Antwort bekommen, aber er hat einmal in einem Gespräch eine Bemerkung gemacht, die es klar erkennen ließ, daß er den Brief in die Hand bekommen hat. Er sagte mir: »Ich will ja gar nicht das britische Weltreich vernichten«, wobei er allerdings zu verstehen gegeben hat, daß er meinen Brief mißverstanden hat.

DR. STEINBAUER: Herr Präsident! Ich bin der Meinung, wenn das Hohe Gericht einverstanden ist, jetzt zu vertagen.

VORSITZENDER: Jawohl.