[Zum Zeugen gewandt:]
Haben Sie nun mit Hindenburg darüber gesprochen und ihm Ihre Abneigung, Ihre Bedenken gegen Ihren Eintritt in das Kabinett Hitlers geäußert?
VON NEURATH: Ja, ich habe ihm darüber keinen Zweifel gelassen.
DR. VON LÜDINGHAUSEN: Was hat Hindenburg darauf erwidert?
VON NEURATH: Er sagte mir, ich müßte dieses Opfer bringen, er hätte sonst keine ruhige Stunde mehr. Hitler habe noch keinerlei Erfahrung in außenpolitischen Dingen.
DR. VON LÜDINGHAUSEN: Haben Sie sich nun erst daraufhin und aus diesem Grunde zum Eintritt in das Kabinett Hitler entschlossen?
VON NEURATH: Ja. Der englische Anklagevertreter Sir David hat da in der Sitzung vom 1. März dieses Jahres behauptet, ich hätte durch diesen Eintritt in das Kabinett Hitler Ehre und Reputation verkauft. Ich nehme davon Abstand, hier weiter auf diese an sich schwere Beleidigung einzugehen.
DR. VON LÜDINGHAUSEN: Herr Präsident! Ich darf hierzu einen Satz zitieren aus dem »Tagebuch des Ambassador Dodd 1933/37«, das sich als Nummer 13 in meinem Dokumentenbuch befindet, und zwar möchte ich zitieren die Eintragung, die Sie unterm 6. April 1934 auf Seite 100, das ist Seite 55 des deutschen Exemplars, finden und die folgendermaßen lautet; es handelt sich um eine ausdrückliche Bemerkung von Dodd, die sich auf Herrn von Neurath bezieht:
»Es tut mir leid um diese klarersehenden Deutschen mit ganz guter Weltkenntnis, die für ihr Vaterland arbeiten müssen und sich doch der Unwissenheit und Selbstherrschaft von Hitler und Genossen fügen müssen.«
[Zum Zeugen gewandt:]
Haben Sie nun bei diesen Unterredungen mit Hindenburg diesem versprochen, so lange in dem Kabinett zu bleiben, als es Ihnen irgendwie möglich wäre, den außenpolitischen Kurs in friedlichen Bahnen zu halten und kriegerische Verwicklungen zu vermeiden – dies auch dann, wenn Hindenburg dereinst die Augen schließen würde?
VON NEURATH: Ja. Letzteren Wunsch hat er wiederholt bei mir zum Ausdruck gebracht.
DR. VON LÜDINGHAUSEN: Dies war ja auch wohl der Grund, weswegen Sie nach dem Tode Hindenburgs im Amt verblieben?
VON NEURATH: Ja. Und außerdem aber, weil ich inzwischen die Erfahrung gemacht hatte, daß Hitler sich in der Erregung durch sein Temperament sehr häufig zu unüberlegten Schritten hinreißen ließ und dadurch den Frieden gefährden konnte. Mehrfach hatte ich aber dabei auch die Erfahrung gemacht, daß er in solchen Fällen meinen Bedenken zugänglich war.
DR. VON LÜDINGHAUSEN: Die Anklage hat Ihnen, wie Sie ja wissen, aus Ihrem Eintritt und Ihrem Verbleiben im Amte als Reichsaußenminister in dem Kabinett Hitlers, vor allen Dingen auch aus Ihrem Verbleiben im Kabinett nach dem Tode Hindenburgs einen besonderen Vorwurf gemacht.
VON NEURATH: Wie mir da ein Vorwurf gemacht werden kann, ist mir völlig unerklärlich. Ich habe niemals einer Partei angehört, habe mich niemals auf Parteiprogramme einschwören lassen und habe auch den Parteiführern niemals etwa Treue geschworen. Ich habe unter der kaiserlichen Regierung gedient, bin von der sozialistischen Regierung unter Ebert zum Wiedereintritt in den diplomatischen Dienst aufgefordert und von ihr zum Gesandten und Botschafter ernannt worden. Ich habe demokratische, liberale und konservative Regierungen über mich ergehen lassen. Ohne mich mit ihren verschiedenen Programmen zu identifizieren, habe ich vielfach in Opposition zu den jeweiligen Parteiregierungen lediglich die Interessen meines Vaterlandes in Zusammenarbeit mit den anderen Mächten verfolgt.
Es lag für mich kein Grund vor, Hitler und der Nationalsozialistischen Partei gegenüber den Versuch nicht auch zu machen. Abweichende Ansichten konnte man zudem nur von innen heraus, das heißt als Mitglied der Regierung, mit Aussicht auf Erfolg zur Geltung bringen. Die Redefreiheit, die Benützung der Presse war in Deutschland verboten beziehungsweise erschwert. Die persönliche Freiheit war gefährdet. Im übrigen ist es in anderen Ländern auch nicht viel anders; ich meine damit die Teilnahme an der Regierung verschiedener Parteien, wie Reynaud zum Beispiel; und den mir persönlich gut bekannten Lord Vansittart, den ich im englischen Foreign Office sowohl in konservativen als auch Labor-Regierungen als maßgebenden Staatssekretär erlebt habe.
DR. VON LÜDINGHAUSEN: Warum sind Sie dann aber nun nach dem 30. Juni 1934 und den damaligen blutigen Ereignissen noch in der Regierung verblieben und haben nicht Ihre Demission gegeben? Sie wissen, daß die Anklage aus einem solchen Verbleiben in der Regierung anderen Angeklagten daraus einen Vorwurf gemacht hat.
VON NEURATH: Abgesehen davon, daß die Schilderung, die Hitler damals über die Vorfälle beim Röhm-Putsch gegeben hat und aus denen ich entnehmen mußte, daß es sich um eine ernsthafte Revolte handelte, habe ich ja auch eine Reihe von Revolutionen miterlebt, zum Beispiel auch die russische und, wie ich schon sagte, die faschistische in Rom und gesehen, daß bei solchen Revolutionen vielfach auch Unschuldige darunter leiden müssen. Ich stellte mich außerdem ganz auf die Haltung von Hindenburg damals ein, der mir, selbst wenn ich die Demission hätte nehmen wollen, niemals die Erlaubnis gegeben hätte.
Als Episode, daß ich die Ernsthaftigkeit dieser Revolte damals und die Schilderung, die Hitler davon gegeben hat, als wahr annehmen mußte, möchte ich nur kurz erwähnen, daß an diesem Tage, nämlich am 30. Juni, damals ein Bruder des Kaisers von Japan in Berlin war, den ich zu Tisch hatte einladen müssen. An diesem Essen nahm auch der Generaloberst von Fritsch und eine Reihe von anderen höheren Offizieren und Beamten des Auswärtigen Amtes teil. Der Prinz erschien nicht zum Essen, das heißt, er kam erst eine Stunde später. Als ich nach dem Grund fragte, stellte es sich heraus, daß auch mein Haus von der SA umstellt war und daß der Prinz von dieser aufgehalten worden war, in mein Haus hereinzukommen. Einige Tage später sagte mir der Generaloberst von Fritsch, nachdem er mir den Hergang auf der Seite des Militärs erzählt hatte, ob mir bekannt sei, daß sowohl er selbst als auch ich auf der Liste des Herrn Röhm gestanden hätten. Also ganz harmlos, so wie sie, ich glaube, vom Zeugen Gisevius hier geschildert wurde, war diese Revolte doch nicht.
DR. VON LÜDINGHAUSEN: Haben Sie nun, bevor Sie sich zum Eintritt in das Kabinett Hitlers entschlossen haben, mit Hitler selbst über die Grundsätze und die Linie der Tendenz der Außenpolitik sich ausgesprochen, die Sie zu verfolgen beabsichtigten?
VON NEURATH: Ja, eingehend. Ich habe ihm dargelegt, daß wir unsere Ziele nur auf dem Verhandlungswege und entsprechend der internationalen Situation erreichen könnten. Dies erfordere allerdings Geduld. Hitler schien dies damals auch einzusehen und denselben Eindruck hatte ich auch noch die folgenden Jahre. Ich bin überzeugt, daß er damals mit der Fortführung dieser Linie durchaus einverstanden war und es ehrlich meinte. Er betonte unter anderem immer wieder, er kenne den Krieg und wolle keinen neuen erleben.
DR. VON LÜDINGHAUSEN: Ich darf hierzu nochmals auf die eidesstattliche Erklärung, das Affidavit des Botschafters Prüfer verweisen, Nummer 4 meines Dokumentenbuches I, und mit Erlaubnis des Gerichts hierzu folgendes zitieren:
»Neuraths Politik war eine solche internationaler Verständigung und des Friedens...« – das ist Seite 29 – »diese Politik stand keinesfalls im Widerspruch dazu, daß auch Herr von Neurath eine Revision der Härten des Versailler Vertrages anstrebte. Er wollte dies jedoch ausschließlich auf dem Verhandlungswege, keineswegs durch Gewalt herbeiführen.«
Dann kommt auf derselben Seite...
VORSITZENDER: Haben Sie das nicht schon vorgelesen?
DR. VON LÜDINGHAUSEN: Ja. Ich wollte aber jetzt auch einen Passus im Anschluß daran vorlesen.
»Ich bin sicher,« – sagt Prüfer – »daß Freiherr von Neurath ebenso wie die anderen Berufsbeamten des Auswärtigen Amtes etwas Konkretes von etwaigen Gewalt plänen Hitlers nicht bekannt war. Im Gegenteil schenkte man allgemein in den ersten Jahren nach dem Umschwung den immer wiederholten Friedfertigkeitsbeteuerungen der nationalsozialistischen Führer Glauben. Ich bin sogar der Meinung, daß diese selbst, namentlich in den ersten Jahren, die Herbeiführung eines Krieges auch gar nicht wünschten. Man glaubte und hoffte vielmehr in den obersten Kreisen der Partei, zu denen Neurath keineswegs zählte, durch die bisher erfolgreich geübte Taktik von Bluff und Überrumpelung auch weiterhin ohne Krieg billige Lorbeeren pflücken zu können. Der durch den Erfolg entstandene Größenwahn, der durch schrankenloses Sykophantentum ins Mystische gesteigerte Glaube an das eigene Glück und die eigene Unfehlbar- und Unüberwindlichkeit verführten erst später Hitler und seine nächste Umgebung dazu, auch den Krieg in den Bereich ihrer politischen Machtmittel zu ziehen. Wir, die Beamten des Auswärtigen Dienstes, und mit ihnen ihr Chef, Baron Neurath, wurden uns als Outsider dieser Entwicklung erst ganz allmählich bewußt. Bis etwa zu Anfang des Jahres 1936 hatten nur ganz wenige Beamte Aufnahme in die Partei gefunden, die ihrerseits dem Stabe des Amtes einschließlich der neuaufgenommenen Mitglieder mit Mißtrauen und Argwohn begegnete.«
VORSITZENDER: Dr. von Lüdinghausen! Ist dies nicht alles Plädoyer? Sie haben sehr lange vorgelesen.
DR. VON LÜDINGHAUSEN: Ich bin nun fertig, Herr Präsident.