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[Zum Zeugen gewandt:]

Haben Sie aber nicht am 5. Mai eine derartige Verordnung erlassen?

VON NEURATH: Das kann ich Ihnen heute nicht mehr sagen... aber es wird wohl stimmen, ich will es nicht bestreiten. Ich weiß es nicht mehr.

STAATS JUSTIZRAT RAGINSKY: Gut. Ich danke Ihnen, Herr Vorsitzender. Ich glaube, daß wir jetzt vertagen könnten. Ich werde morgen noch ungefähr 40 Minuten benötigen.

VORSITZENDER: Sehr gut.

[Das Gericht vertagt sich bis

26. Juni 1946, 10.00 Uhr.]

Einhundertvierundsechzigster Tag.

Mittwoch, 26. Juni 1946.

Vormittagssitzung.

[Der Angeklagte von Neurath im Zeugenstand.]

VORSITZENDER: Morgen, Donnerstag nachmittag, wird keine öffentliche Gerichtssitzung, sondern eine geschlossene Sitzung stattfinden, das heißt, der Gerichtshof wird morgen von 10.00 Uhr bis 1.00 Uhr in öffentlicher und dann am Nachmittag in geschlossener Sitzung tagen.

Am Samstag vormittag wird der Gerichtshof von 10.00 Uhr bis 1.00 Uhr öffentlich tagen.

STAATSJUSTIZRAT RAGINSKY: Herr Vorsitzender! Ich habe erfahren, daß gestern, als ich dem Gerichtshof das Dokument USSR-494 vorlegte, nicht genügend Kopien dieses Dokuments vorhanden waren. Ich bedauere diesen Vorfall sehr und bitte den Gerichtshof, diese Kopien jetzt anzunehmen.

[Zum Zeugen gewandt:]

Angeklagter! Wir wollen jetzt auf Ihre Warnung vom August 1939 zurückkommen. Wenn ich Sie richtig verstanden habe, so haben Sie vor dem Gerichtshof erklärt, daß diese Warnung im Zusammenhang mit der damaligen militärischen Lage herausgegeben wurde. Ist das richtig?

VON NEURATH: Bezüglich der militärischen Lage hat sich damals nichts ereignet, inzwischen hat sich überhaupt keine politische Spannung bemerkbar gemacht, also nicht direkt mit der militärischen Lage. Es war ja damals noch nichts los.

STAATSJUSTIZRAT RAGINSKY: Also unabhängig Von der militärischen Lage, gut. Geben Sie zu, daß Sie durch diesen Erlaß oder diese Warnung das System des Geiselwesens einführten?

VON NEURATH: Ich habe die Frage nicht verstanden.

STAATSJUSTIZRAT RAGINSKY: Ich werde die Frage wiederholen. Ich frage Sie: Geben Sie zu, daß Sie durch diese Warnung vom August 1939 – ich lege dieses Dokument als USSR-490 vor – das Geiselsystem eingeführt haben?

VON NEURATH: Ich habe es nicht verstanden.

STAATJUSTIZRAT RAGINSKY: Hat man es Ihnen falsch übersetzt? Die Übertragung ist sehr schlecht.

VON NEURATH: Ja, die Übersetzung ist nicht durchgekommen; nur der letzte Satz nicht. Ich habe den letzten Satz nicht verstanden.

STAATSJUSTIZRAT RAGINSKY: Aber mir scheint, das Dokument ist Ihnen durchaus bekannt.

VON NEURATH: Jawohl; aber ich habe den letzten Satz Ihrer Frage nicht verstanden.

STAATSJUSTIZRAT RAGINSKY: Ich werde mich bemühen, es Ihnen so zu sagen, daß Sie es verstehen. In diesem Ihrem Befehl heißt es im vorletzten Absatz:

»Die Verantwortlichkeit für alle Sabotage-Akte trifft nicht nur die einzelnen Täter, sondern die gesamte tschechische Bevölkerung.«

Das bedeutete doch, daß nicht nur die Schuldigen selbst bestraft werden, sondern daß sich die Bestrafung auch auf Unschuldige erstrecken sollte. Dieser Befehl diente dem Anfang des Massenterrors gegen die tschechische Bevölkerung.

VON NEURATH: Keineswegs. Das bedeutete nur, daß die moralische Verantwortung für die eventuellen Taten dem tschechischen Volk zur Last gelegt werden sollten.

STAATSJUSTIZRAT RAGINSKY: Wurde dieser Ihr Befehl nicht in Lidice in die Praxis umgesetzt? Ging es da lediglich um die moralische Verantwortung?

VON NEURATH: Ja.

STAATSJUSTIZRAT RAGINSKY: In diesem Befehl sagen Sie folgendes:

»Wer diesen Notwendigkeiten nicht Rechnung trägt, gibt sich als Feind des Reiches zu erkennen...«

Haben Sie wirklich mit den Feinden des Reiches nur so abgerechnet, daß Sie ihnen die moralische Verantwortung auferlegten?

VON NEURATH: Ja, wenn einer die Befehle nicht befolgte, so wurde er selbstverständlich bestraft.

STAATSJUSTIZRAT RAGINSKY: Das möchte ich eben feststellen und habe Ihnen deshalb die Frage gestellt: Mit Ihrer Bekanntmachung vom August 1939 haben Sie den Anfang mit dem Massenterror und mit der Bestrafung schuldloser Menschen gemacht.

VON NEURATH: Ich weiß nicht, wie Sie diese Folgerung aus dieser Warnung ziehen wollen.

STAATSJUSTIZRAT RAGINSKY: Wir werden sofort auf die Begründung für einen derartigen Rückschluß eingehen. In dem Bericht der Tschechoslowakischen Regierung, der dem Gerichtshof als Dokument USSR-60 vorliegt und der das Untersuchungsergebnis über die von Ihnen und Ihren Mitarbeitern begangenen Verbrechen ist, sind die Gründe hierfür angegeben. Allen diesen dokumentarischen Beweismitteln stellen Sie ein unbegründetes Ableugnen gegenüber.

Ich habe nicht die Absicht, mit Ihnen über dieses Dokument zu streiten, ich will Ihnen aber einige Zeugenaussagen verlesen und bitte Sie zu sagen, ob Sie diese Aussagen bestätigen oder ob Sie sie ableugnen. Ich verlese Ihnen einen Auszug aus den Aussagen des früheren Finanzministers Josef Kalfus vom 8. November 1945.