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[Das Gericht vertagt sich bis

11. Juli 1946, 10.00 Uhr.]

Einhundertsechsundsiebzigster Tag.

Donnerstag, 11. Juli 1946.

Vormittagssitzung.

VORSITZENDER: Der Gerichtshof wird sich heute nachmittag um 4.00 Uhr vertagen, um dann eine geschlossene Sitzung abzuhalten.

Herr Dr. Seidl! Möchten Sie nun den Fall des Angeklagten Frank vortragen?

DR. ALFRED SEIDL, VERTEIDIGER DER ANGEKLAGTEN HESS UND FRANK: Herr Präsident, meine Herren Richter!

Der Angeklagte Dr. Hans Frank wird in der Anklageschrift beschuldigt, seine Stellungen innerhalb der Partei und im Staat, seinen persönlichen Einfluß und seine Beziehungen zum Führer dazu benutzt zu haben, die Machtergreifung der Nationalsozialisten und die Festigung ihrer Kontrolle über Deutschland gefördert zu haben. Er wird ferner beschuldigt, die in Anklagepunkt 3 der Anklageschrift genannten Kriegsverbrechen und die in Anklagepunkt 4 erwähnten Verbrechen gegen die Humanität, insbesondere Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Humanität bei Verwaltung besetzter Gebiete genehmigt, geleitet und an ihnen teilgenommen zu haben.

Ebenso wie im Falle des Angeklagten Heß läßt die Anklageschrift jede Substantiierung dieser Beschuldigungen in tatsächlicher Hinsicht vermissen. Auch im Falle des Angeklagten Frank enthält die Anklageschrift keine Darstellung der Einzelheiten in tatsächlicher Beziehung, in denen der Tatbestand der Beschuldigung gefunden wird.

Wie sämtliche übrigen Angeklagten wird der Angeklagte Frank beschuldigt, an einem gemeinsamen Plan teilgenommen zu haben, der darauf abgezielt haben soll, Angriffskriege zu planen und zu führen und im Verlaufe dieser Kriege unter Verletzung der Kriegsregeln und Kriegsgebräuche Verbrechen zu begehen.

Die Beweisaufnahme hat ergeben, daß der Angeklagte Frank im Jahre 1928 der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei beigetreten ist. Sowohl vor als auch nach der Machtübernahme hat er sich fast ausschließlich mit Fragen des Rechts befaßt. Als Reichsleiter der Partei unterstand ihm bis zum Jahre 1942 das Reichsrechtsamt. Nach der Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler wurde er bayerischer Staatsminister der Justiz. Noch im gleichen Jahre wurde er zum Reichskommissar für die Gleichschaltung der Justiz ernannt. Diese Aufgabe beschränkte sich im wesentlichen auf die Überleitung der Justizverwaltungen der Länder auf das Reichsjustizministerium. Sie fand mit dem Jahre 1934 ihren Abschluß. Mit der Überleitung der Geschäfte des bayerischen Staatsministeriums der Justiz auf das Reich fand auch die Tätigkeit des Angeklagten Frank als bayerischer Justizminister ihr Ende. Im Dezember 1934 wurde er zum Reichsminister ohne Geschäftsbereich ernannt. Daneben war er seit 1934 Präsident der von ihm selbst gegründeten Akademie für Deutsches Recht und Präsident der Internationalen Rechtskammer. Endlich war er Leiter des Nationalsozialistischen Rechtswahrerbundes. Allein schon diese Aufzählung der verschiedenen Ämter, die der Angeklagte Frank in Partei und Staat innegehabt hat, läßt ohne weiteres erkennen, daß Gegenstand seiner Tätigkeit fast ausschließlich Fragen des Rechts waren. Seine Aufgaben beschränkten sich im wesentlichen auf die Durchsetzung des Punktes 19 des Parteiprogramms, der ein deutsches Gemeinrecht forderte. In der Tat befassen sich fast sämtliche Reden und Veröffentlichungen des Angeklagten Frank, und zwar sowohl vor als auch nach der Machtübernahme durch den Nationalsozialismus, mit Rechtsfragen in weitestem Sinn.

Der Angeklagte Frank hat bei seiner Vernehmung im Zeugenstand bekundet, daß er alles in seinen Kräften stehende getan hat, um Adolf Hitler an die Macht zu bringen und um die Gedankengänge und das Programm der Nationalsozialistischen Partei zu verwirklichen. Was immer aber auch von dem Angeklagten in dieser Richtung geschehen ist, es ist offen geschehen. Das Ziel der Nationalsozialisten vor der Machtübernahme kann mit wenigen Worten ausgedrückt werden: Befreiung des deutschen Volkes von den Fesseln des Versailler Vertrags, Beseitigung der infolge dieses Vertrags und der unvernünftigen Reparationspolitik der ehemaligen Feinde Deutschlands entstandenen ungeheuren Arbeitslosigkeit und den damit verbundenen Verfallserscheinungen auf politischem, wirtschaftlichem, sozialem und moralischem Gebiet und die Wiederherstellung der Souveränität des Deutschen Reiches auf allen Gebieten. Die Anklagevertretung konnte keinerlei Beweis dafür erbringen, daß die Revision des Versailler Vertrags gegebenenfalls auch unter Anwendung von Gewaltmitteln und durch einen Krieg herbeigeführt werden sollte. Die Lage, in der sich Deutschland in den Jahren vor der Machtübernahme politisch, militärisch und wirtschaftlich befand und wo es sich nur darum handeln konnte, die furchtbaren Folgen des wirtschaftlichen Zusammenbruchs zu beseitigen und sieben Millionen Arbeitslose wieder in den Wirtschaftsprozeß einzuschalten, mußte jede ernsthafte Erwägung auf einen Angriffskrieg als gegenstandslos erscheinen lassen.

Die Beweisaufnahme hat aber auch nichts ergeben, was auf das Bestehen des von der Anklagevertretung in Anklagepunkt 1 der Anklageschrift behaupteten gemeinsamen Planes schließen ließe, sofern man darunter einen bestimmten, fest umrissenen Plan zwischen einem engen, gleichbleibenden Personenkreis versteht.

Soweit die Beteiligung des Angeklagten Frank an diesem gemeinsamen Plan in Frage kommt, so kann hier im Gegenteil als Ergebnis der Beweisaufnahme und insbesondere der Bekundungen des Zeugen Dr. Lammers und der eigenen Angaben des Angeklagten im Zeugenstand als festgestellt angesehen werden, daß Frank nicht zu dem engeren Mitarbeiterkreis um Adolf Hitler gehörte. Die Anklage konnte kein einziges Dokument dem Gericht vorlegen, das sich mit wichtigen politischen oder militärischen Entscheidungen befaßte und bei denen der Angeklagte Frank beteiligt gewesen wäre. Der Angeklagte Frank hat insbesondere an keiner Besprechung mit Hitler teilgenommen, die die Anklagevertretung als besonders wichtig für den Nachweis des von ihr behaupteten gemeinsamen Planes bezeichnet und deren Niederschriften sie als Beweisstücke US Nummer 25 bis 34 vorgelegt hat.

Das einzige in diesem Zusammenhang wichtige Gesetz ist das Gesetz über die Wiedereinführung der allgemeinen Wehrpflicht vom 16. März 1935. Es wurde bereits ausgedrückt und wird noch ausgedrückt werden, wie es zum Erlaß dieses Gesetzes gekommen ist und aus welchen Gründen hierin kein Verstoß gegen den Versailler Vertrag erblickt werden kann. Der Angeklagte Frank hat dieses Gesetz in seiner Eigenschaft als Reichsminister wie alle übrigen Mitglieder der Reichsregierung unterschrieben. Dieses Gesetz hat zum Gegenstand die Wiederherstellung der Souveränität des Deutschen Reiches, wenigstens auf militärischem Gebiet. Es wurde mit diesem Gesetz keinem anderen Volk etwas genommen. Sowohl der Inhalt dieses Gesetzes als auch die Umstände, unter denen es zustande gekommen ist, lassen keinerlei Schluß dahin zu, daß dieses Gesetz Teil eines gemeinsamen, auf den Beginn eines Angriffskrieges gerichteten Planes gewesen sei. Das deutsche Volk hatte in den vergangenen 17 Jahren erkennen müssen, daß ein Volk ohne militärische Macht und in der geographischen und militärischen Lage Deutschlands im Kreise der Völker nicht gehört wird, wenn es nicht zugleich über entsprechende Machtmittel verfügt. Aus dieser Erkenntnis hat die Regierung des Deutschen Reiches die Folgerung gezogen, nachdem 14 Jahre lang vorher dem deutschen Volk die Gleichberechtigung zwar immer wieder versprochen, dieses Versprechen aber nicht eingelöst wurde und nachdem insbesondere in den Jahren 1933 und 1934 es offenbar geworden war, daß die Abrüstungskonferenz die ihr gestellten Aufgaben nicht werde erfüllen können. Im übrigen nehme ich auch Bezug auf die Proklamation der Reichsregierung an das deutsche Volk, die im Zusammenhang mit der Verkündung dieses Gesetzes erlassen wurde.

Die Tätigkeit des Angeklagten Frank beschränkte sich auch nach der Machtübernahme bis zum Beginn des Krieges fast ausschließlich auf die Erfüllung der Aufgaben, die ihm im Rahmen der Leitung der Akademie für Deutsches Recht und des Nationalsozialistischen Rechtswahrerbundes erwuchsen. Die Aufgaben der Akademie für Deutsches Recht ergeben sich aus dem Gesetz über die Errichtung dieser Akademie vom 11. Juli 1933. Sie sollte die Neugestaltung des deutschen Rechtslebens fördern und in enger, dauernder Verbindung mit den für die Gesetzgebung zuständigen Stellen das nationalsozialistische Programm auf dem gesamten Gebiete des Rechts verwirklichen. Die Akademie stand unter der Aufsicht der Reichsminister der Justiz und des Innern. Die Aufgaben der Akademie waren gesetzvorbereitender Art. Die Gesetzgebung selbst lag ausschließlich bei den für die einzelnen Gebiete zuständigen Reichsministerien. Eine der Aufgaben dieser Akademie war, die Funktionen der Rechtsausschüsse des früheren Reichstages zu erfüllen. Tatsächlich vollzog sich die Arbeit der Akademie fast ausschließlich in ihren zahlreichen, von dem Angeklagten gegründeten Ausschüssen. Die Parteizugehörigkeit war dabei keine Bedingung für die Aufnahme in die Akademie. Der überwiegende Teil der Mitglieder der Akademie bestand aus Vertretern der Rechtswissenschaft und angesehenen Praktikern des Rechts, die nicht Mitglieder der Partei waren. Im übrigen ist bekannt, daß die Akademie für Deutsches Recht enge Beziehungen zu ähnlichen Einrichtungen des Auslandes hatte und daß zahlreiche Vertreter der ausländischen Rechtswissenschaft Vorträge in der Akademie gehalten haben. Diese Tatsachen schließen die Annahme völlig aus, daß diese Akademie irgendeine maßgebliche Bedeutung im Rahmen des von der Anklage behaupteten gemeinsamen Planes hätte halben können. Das gleiche gilt für die Stellung des Angeklagten Frank als Leiter des Nationalsozialistischen Rechtswahrerbundes.

Die Einstellung Adolf Hitlers zur Idee des Rechtsstaates ist, sofern darüber überhaupt noch ein Zweifel bestehen konnte, durch die Beweisaufnahme in diesem Prozeß völlig klar geworden. Hitler war ein Revolutionär und ein Gewaltmensch. Er betrachtete das Recht als hemmend und als Störungsfaktor für die Verwirklichung seiner machtpolitischen Pläne. Er hat übrigens über diese seine Einstellung keinen Zweifel gelassen und in einer Reihe von Reden zur Frage des Rechtsstaates sich geäußert. Er stand grundsätzlich allen Rechtswahrern mit Vorbehalt gegenüber, und allein schon aus diesem Grunde war es von vorneherein ausgeschlossen, daß sich ein engeres Verhältnis zwischen Hitler und dem Angeklagten Frank hätte bilden können. Der Angeklagte Frank sah seine Lebensaufgabe darin, die Idee des Rechtsstaates auch im nationalsozialistischen Reich zu verwirklichen und vor allem die Unabhängigkeit des Richters sicherzustellen.

Diese Grundsätze hat der Angeklagte Frank noch im Jahre 1939 vor Ausbruch des Krieges auf der Abschlußkundgebung des Tages des Deutschen Rechts in Leipzig vor 25000 Rechtswahrern in einer großen Rede verkündet und dabei unter anderem erklärt:

»1. Niemand soll verurteilt werden, der nicht Gelegenheit hat, sich zu verteidigen.

2. Niemand soll der von ihm in volksgenössisch einwandfreier Weise benutzten Güter verlustig gehen, es sei denn durch den Spruch des Richters. Die Ehre, die Freiheit, das Leben, der Arbeitsertrag sind solche Rechtsgüter.

3. Jedem, der unter Anklage steht, gleichgültig in welchem Verfahren, muß die Möglichkeit gegeben sein, sich einen Verteidiger zu nehmen, der für ihn Rechtserklärungen abzugeben vermag, er muß rechtliches, erkenntnismäßig objektives Gehör finden. Wenn diese Grundsätze in einer Gemeinschaft vollendet Anwendung finden, dann ist das germanische Rechtsideal erfüllt.«

Diese Grundsätze stellen eine eindeutige Absage an alle polizeistaatlichen Methoden dar und beinhalten zugleich eine eindeutige Ablehnung des Systems der Konzentrationslager. In der Tat hat aber nicht erst zu dieser Zeit der Angeklagte Frank sich gegen die Errichtung von Konzentrationslagern ausgesprochen. Die Beweisaufnahme hat ergeben, daß er bereits in seiner Eigenschaft als bayerischer Justizminister im Jahre 1933 gegen das Konzentrationslager Dachau Stellung genommen hat, daß er für die Durchsetzung des sogenannten Legalitätsprinzips, also die Verfolgung aller strafbaren Handlungen von Amts wegen auch in diesen Lagern kämpfte und daß er darüber hinaus die Auflösung des Konzentrationslagers Dachau forderte. Das letztere steht fest auf Grund der Bekundungen des kommissarisch vernommenen Zeugen Dr. Stepp.

Die Anklage scheint auch in dem Satz »Recht ist, was dem Volke nützt« ein Argument für die Teilnahme des Angeklagten Frank an dem behaupteten gemeinsamen Plan zu erblicken. Dieser Schluß kann nur bei einer völligen Verkennung dessen gezogen werden, was der Angeklagte Frank mit diesem Satz ausdrücken wollte. Er bedeutet nichts anderes als eine Kampfansage an das individualistisch überspitzte Rechtsbewußtsein. Wie mit dem Satz »Gemeinnutz geht vor Eigennutz« sollte auch mit ihm die Forderung nach einem Recht ausgedrückt werden, das mehr als früher gemeinrechtliche und sozialistische Tendenzen berücksichtigte. Er ist in Wirklichkeit nichts anderes als eine andere Formulierung des Satzes: Salus publica suprema lex.

Allein schon aus diesen sachlichen Gegensätzen heraus wäre es undenkbar gewesen, daß der Angeklagte Frank zu dem engeren Mitarbeiterkreis um Hitler hätte gehören können. Die Verschiedenheit der Auffassung über die Funktionen des Rechts mußte während des Krieges noch stärker in Erscheinung treten. Es konnte daher nicht überraschen, daß nach dem Tode des früheren Reichsjustizministers Dr. Gürtner nicht der Angeklagte Frank zu dessen Nachfolger ernannt wurde, sondern der Präsident des Volksgerichtshofs Dr. Thierack.

Zusammenfassend kann gesagt werden, daß keine tatsächlichen Anhaltspunkte für die Annahme vorliegen, der Angeklagte Frank wäre Teilnehmer eines gemeinsamen Planes gewesen, der auf die Führung eines Angriffskrieges und im Zusammenhang damit auf die Begehung von Verbrechen gegen die Kriegsgesetze abzielte. Bevor ich zu den Anklagepunkten übergehe, die dem Angeklagten Frank im Rahmen seiner Tätigkeit als Generalgouverneur zum Vorwurf gemacht werden, will ich kurz auf seine strafrechtliche Verantwortlichkeit als Mitglied der als verbrecherisch angeklagten Organisationen eingehen.

Soweit die Verantwortlichkeit Franks als Mitglied der Reichsregierung zu untersuchen ist, kann ich hier im wesentlichen Bezug nehmen auf meine späteren Ausführungen zum Falle des Angeklagten Heß. Ein Unterschied ist lediglich darin zu erblicken, daß der Angeklagte Heß zwar auch nur Reichsminister ohne Geschäftsbereich war, daß ihm aber auf Grund des Führererlasses vom 27. Juli 1934 in seiner Eigenschaft als Stellvertreter des Führers eine maßgebliche Beteiligung an der Vorbereitung von Gesetzen zustand. Dies war bei dem Angeklagten Frank nicht der Fall. Er hatte auf die Reichsgesetzgebung fast keinen Einfluß. Daraus erklärt sich die Tatsache, daß er nur außerordentlich wenige Reichsgesetze mitunterzeichnete.

Mit Ausnahme des Gesetzes vom 16. März 1935, durch welches die allgemeine Wehrpflicht wieder eingeführt wurde, steht sein Name unter keinem der Gesetze, die die Anklage als erheblich für den Nachweis der verbrecherischen Natur der Reichsregierung als Organisation dem Tribunal unterbreitet hat.

Der Angeklagte Frank war in seiner Eigenschaft als Reichsleiter und Leiter des Reichsrechtsamtes auch Mitglied des Korps der Politischen Leiter der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei. Eine Untersuchung dieses Anklagepunktes erscheint um so weniger veranlaßt, als dem Angeklagten Frank insoweit keine Handlungen zur Last gelegt werden, die den Tatbestand irgendeines Strafgesetzes erfüllen. Im übrigen kann ich auch hier Bezug nehmen auf die im Falle des Angeklagten Heß noch zu machenden Ausführungen.

Im Anhang A der Anklageschrift wird behauptet, daß der Angeklagte Frank General der SS gewesen sei. Die Beweisaufnahme hat ergeben, daß Frank zu keiner Zeit der SS angehört und daß er auch nicht den Ehrenrang eines Generals der SS innegehabt hat. Dagegen war er Obergruppenführer der SA. Hinsichtlich des Antrags der Anklage, auch diese Organisation als verbrecherisch zu erklären, gilt das gleiche wie in Bezug auf den Antrag, das Korps der Politischen Leiter als verbrecherische Organisation zu erklären. Das Statut und die Anklagevertretung verlassen auch hier einen Grundsatz, der bis jetzt als unabdingbarer Bestandteil jeder neuzeitlichen Strafrechtspflege gegolten hat, daß nämlich ohne Feststellung der Schuld in jedem einzelnen Fall auch keine Strafe zulässig sei.

Meine Herren Richter!

Ich komme nun zu den Anklagepunkten, die sich auf die Tätigkeit des Angeklagten Frank als Generalgouverneur beziehen. Als nach dem militärischen Zusammenbruch Polens die Polnische Regierung das Land verlassen hatte, sah sich die deutsche Besatzungsmacht der Aufgabe gegenüber, ohne auf eine parlamentarische Vertretung oder auf die Repräsentanten des früheren polnischen Staates zurückgreifen zu können, wieder eine Verwaltung aufzubauen. Die sich daraus ergebenden Schwierigkeiten mußten um so größer sein, als trotz der verhältnismäßig kurzen Dauer des Feldzugs die Kriegsschäden vor allem auf dem Gebiete des Verkehrswesens nicht unerheblich waren. Vor allem aber wurde der Aufbau einer geordneten Verwaltung dadurch behindert, daß das einheitliche Wirtschaftsgebiet des früheren polnischen Staates aufgeteilt wurde in drei Teile. Von dem 388000 qkm umfassenden Gebiet des früheren polnischen Staates kamen etwa 200000 qkm an die Sowjetunion, 97000 qkm bildeten das Generalgouvernement, während der Rest in das Deutsche Reich eingegliedert wurde. Eine Änderung trat mit dem 1. August 1941 ein. An diesem Tage wurde als neuer Distrikt Galizien dem Generalgouvernement angeschlossen, wodurch sich das Generalgouvernement auf eine Fläche von zirka 150000 qkm mit einer Einwohnerzahl von zirka 18 Millionen Menschen vergrößerte. Diese Grenzziehung bedingt für die Verwaltung des Generalgouvernements um so mehr Schwierigkeiten, als die landwirtschaftlichen Überschußgebiete an die Sowjetunion fielen, während auf der anderen Seite zum Beispiel eine so wichtige Industriestadt wie Lodz und vor allem die Kohlenfelder von Dombrowa an das Reich kamen.

Nach dem militärischen Zusammenbruch Polens wurde zunächst eine Militärverwaltung eingerichtet, die die vier Militärbezirke Ostpreußen, Posen, Lodz und Krakau umfaßte und an deren Spitze der Oberbefehlshaber Ost, Generaloberst von Rundstedt, stand. Der Angeklagte Frank war innerhalb dieser Militärverwaltung Oberverwaltungschef. Die Militärverwaltung fand mit dem am 26. Oktober 1939 in Kraft getretenen Erlaß des Führers und Reichskanzlers über die Verwaltung der besetzten polnischen Gebiete vom 12. Oktober 1939 ihr Ende. Mit diesem Erlaß wurde der Angeklagte Frank zum Generalgouverneur für die besetzten polnischen Gebiete bestellt, die nicht dem Reich eingegliedert wurden und die kurze Zeit später die Bezeichnung »Generalgouvernement« erhielten.

Im Hinblick auf die Kürze der mir zur Verfügung stehenden Zeit will ich davon absehen, im einzelnen zu der Frage Stellung zu nehmen, ob bei der Verwaltung der unter der Bezeichnung Generalgouvernement zusammengefaßten Gebiete des früheren polnischen Staates die Grundsätze anzuwenden waren, die bei der Besetzung feindlichen Gebiets (occupatio bellica) zu beachten sind oder ob hier nicht vielmehr davon ausgegangen werden muß, daß nach dem Untergang des früheren polnischen Staates nach den Grundsätzen über die debellatio zu verfahren war.

Ich komme nunmehr zu der Frage, welche Vollmachten der Angeklagte Frank in seiner Eigenschaft als Generalgouverneur hatte. Nach Artikel 3 des Führererlasses vom 12. Oktober 1939 unterstand der Generalgouverneur unmittelbar dem Führer. Dem Generalgouverneur wurden nach der gleichen Bestimmung sämtliche Verwaltungszweige zugewiesen.

Tatsächlich hatte jedoch der Generalgouverneur bei weitem nicht die Machtvollkommenheiten, wie es zunächst erscheinen möchte. Der Führererlaß selbst sah in Artikel 5 vor, daß auch der Ministerrat für die Reichsverteidigung für den Bereich des Generalgouvernements Recht setzen konnte.

Die gleiche Befugnis stand dem Beauftragten für den Vierjahresplan zu. In Artikel 6 war bestimmt, daß darüber hinaus alle Obersten Reichsbehörden Anordnungen, die für die Planung des deutschen Lebens- und Wirtschaftsraumes erforderlich waren, auch mit Wirkung für das Generalgouvernement treffen konnten.

Außer diesen im Führererlaß vom 12. Oktober 1939 vorgesehenen Einschränkungen der Machtbefugnisse des Generalgouverneurs gab es noch Vollmachten jüngeren Datums, die nicht weniger den Grundsatz der Einheit der Verwaltung durchbrochen haben. Das gilt insbesondere für die Stellung des Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz. Ich nehme hier Bezug auf die von der Anklage und von der Verteidigung vorgelegten einschlägigen Dokumente, insbesondere auf den Erlaß des Führers vom 21. März 1942, in welchem ausdrücklich bestimmt ist, daß sich die Befugnisse des Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz auch auf das Gebiet des Generalgouvernements erstrecken. Die gesamte Rüstungswirtschaft im Generalgouvernement unterstand zunächst dem Oberkommando der Wehrmacht und wurde nach Errichtung des Reichsministeriums für Rüstung diesem Ministerium unterstellt. Auf Grund der Beweisaufnahme steht weiterhin fest, daß noch auf anderen Gebieten der Grundsatz der Einheit der Verwaltung weitgehend durchbrochen war. Ich nehme hier insoweit Bezug auf die Angaben der Zeugen Dr. Lammers und Dr. Bühler und auf den Inhalt der von mir vorgelegten Dokumente, insbesondere auf das Dokument US-135. Es handelt sich dabei um die Richtlinien auf Sondergebieten zu Weisung Nummer 21 (Fall Barbarossa), in welchem ausdrücklich bestimmt ist, daß der Oberbefehlshaber des Heeres berechtigt sein sollte, »diejenigen Maßnahmen im Generalgouvernement anzuordnen, die zur Durchführung seines militärischen Auftrags und zur Sicherung der Truppe notwendig sind«, und in denen der Oberbefehlshalber ermächtigt wird, seine Befugnisse auf die Heeresgruppen und Armeen weiter zu übertragen.

Alle diese Durchbrechungen des Grundsatzes der Einheit der Verwaltung und alle Sondervollmachten müssen jedoch zurücktreten vor der Sonderstellung, die dem Reichsführer-SS Himmler auch für das Gebiet des Generalgouvernements eingeräumt worden war. Auf Grund der Beweisaufnahme und insbesondere auf Grund der Aussagen des Oberregierungsrates im Reichssicherheitshauptamt, Dr. Bilfinger, steht fest, daß bereits im Jahre 1939 bei Gelegenheit der Ernennung des Angeklagten zum Generalgouverneur ein geheimer Erlaß herausgegeben wurde, in welchem bestimmt war, daß der Höhere SS- und Polizeiführer Ost seine Weisungen unmittelbar vom Reichsführer- SS und Chef der Deutschen Polizei Himmler empfangen solle. Ebenso ist in dem Erlaß des Führers und Reichskanzlers zur Festigung des deutschen Volkstums bestimmt, daß der Reichsführer-SS unmittelbar berechtigt sein sollte, die Gestaltung neuer deutscher Siedlungsgebiete durch Umsiedlung durchzuführen.

Diese beiden Erlasse räumten dem Reichsführer-SS Himmler Vollmachten ein, die, vom ersten Tag des Bestehens des Generalgouvernements an, die Verwaltung in diesem Gebiet vor fast unüberwindliche Schwierigkeiten stellen sollte. Denn sehr bald zeigt sich, daß die unter dem Generalgouverneur stehende allgemeine Verwaltung über keine Exekutivorgane im eigentlichen Sinne verfügte. Dadurch, daß der Höhere SS- und Polizeiführer Ost seine Weisungen und Befehle unmittelbar vom Reichsführer-SS Himmler erhielt und er sich weigerte, Weisungen des Generalgouverneurs auszuführen, ergab sich sehr bald, daß im Generalgouvernement in Wirklichkeit zwei Gewalten herrschten. Die dadurch bedingten Schwierigkeiten mußten um so größer werden, als der Höhere SS- und Polizeiführer Krüger, der nicht weniger als vier Jahre lang der unmittelbare Vertreter Himmlers im Generalgouvernement war, die Verwaltung des Generalgouvernements vor der Durchführung polizeilicher Maßnahmen nicht einmal verständigte.

Es ist im staatlichen Leben eine allgemein bekannte Erfahrungstatsache, daß jede Verwaltung ohne polizeiliche Exekutivorgane auf die Dauer nicht in der Lage ist, die ihr gestellten Aufgaben zu erfüllen. Dies trifft schon auf normale Verhältnisse zu, muß aber vor allem für die Verwaltung besetzter Gebiete gelten. Hält man sich dann noch vor Augen, daß nicht nur der Reichsführer-SS Himmler seine Weisungen unter Umgehung des Generalgouverneurs unmittelbar an den Höheren SS- und Polizeiführer erteilte, sondern daß darüber hinaus auch die Ämter III, IV, V und VI des Reichssicherheitshauptamtes ebenfalls unmittelbar Befehle erteilten, und zwar an den Befehlshaber der Sicherheitspolizei und des SD in Krakau, so wird man ermessen können, mit welchen Schwierigkeiten jeden Tag die zivile Verwaltung des Generalgouvernements zu kämpfen hatte.

Unter diesen Umständen blieb dem Generalgouverneur nichts anderes übrig, als immer wieder zu versuchen, nach Möglichkeit irgendeine Form der Zusammenarbeit mit der Sicherheitspolizei zu erreichen, wenn er nicht überhaupt den Versuch aufgeben wollte, im Generalgouvernement eine zivile Verwaltung aufzubauen. Und in der Tat ist die mehr als fünfjährige Geschichte der Verwaltung des Generalgouvernements zu einem wesentlichen Teil nichts anderes als eine Aufzählung der ununterbrochenen Kämpfe zwischen dem Generalgouverneur und der Verwaltung auf der einen Seite und der durch den Reichsführer-SS Himmler und dem Höheren SS- und Polizeiführer Ost verkörperten Sicherheitspolizei einschließlich des SD auf der anderen Seite.

Das gleiche gilt für die Tätigkeit Himmlers und dessen Organe auf dem Gebiete der Umsiedlungen. Als Reichskommissar für die Festigung des deutschen Volkstums führte Himmler mit seinen Organen Umsiedlungsmaßnahmen durch, ohne vorher mit der Verwaltung des Generalgouvernements auch nur Fühlung zu nehmen und den Generalgouverneur zu verständigen.

Die bereits durch die Beweisaufnahme festgestellten zahlreichen Beschwerden des Generalgouverneurs beim Reichsminister und Chef der Reichskanzlei Dr. Lammers über die Maßnahmen des Reichsführers und des Höheren SS- und Polizeiführers Ost und die dadurch bedingten Schwierigkeiten in der Verwaltung dieses Gebietes führten im Jahre 1942 zu dem Versuch, das Verhältnis zwischen der Verwaltung und der Polizei neu zu regeln. Bei rückschauender Betrachtung kann auf Grund des Ergebnisses der Beweisaufnahme heute gesagt werden, daß auch dieser Versuch von Seiten Himmlers und der Sicherheitspolizei nur dazu benützt wurde, um auch nach außen hin die Stellung des Generalgouverneurs und seiner zivilen Verwaltung zu untergraben.

Durch den Erlaß des Führers vom 7. Mai 1942 wurde im Generalgouvernement ein Staatssekretariat für das Sicherheitswesen errichtet und zum Staatssekretär der Höhere SS- und Polizeiführer ernannt.

Nach Artikel II dieses Erlasses war der Staatssekretär für das Sicherheitswesen zugleich der Vertreter des Reichsführer-SS in dessen Eigenschaft als Reichskommissar für die Festigung des deutschen Volkstums. Die entscheidende Bestimmung dieses Erlasses ist in dem Artikel IV enthalten, worin unter anderem bestimmt ist:

»Der Reichsführer-SS und Chef der Deutschen Polizei kann dem Staatssekretär für das Sicherheitswesen auf dem Gebiet des Sicherheitswesens und der Festigung des deutschen Volkstums unmittelbar Weisungen erteilen.«

Damit wurde ausdrücklich und nun auch öffentlich der Inhalt des geheimen Erlasses bestätigt, der bereits im Jahre 1939 anläßlich der Errichtung des Generalgouvernements ergangen und in welchem ebenfalls bestimmt worden war, daß der Höhere SS- und Polizeiführer Ost unmittelbar seine Weisungen von den Berliner Zentralstellen, vor allem aber vom Reichsführer-SS persönlich bekommen sollte. Zwar ist im Artikel V des Führererlasses vom 7. Mai 1942 vorgesehen, daß bei Meinungsverschiedenheiten zwischen dem Generalgouverneur und dem Reichsführer-SS und Chef der Deutschen Polizei die Entscheidung des Führers und Chef der Reichskanzlei einzuholen sei.

Der Chef der Reichskanzlei, Dr. Lammers, wurde vor diesem Gericht auch in dieser Frage als Zeuge vernommen. Er hat bekundet, daß, soweit es ihm überhaupt möglich war, den Führer mit diesen Fragen zu befassen, dieser grundsätzlich immer die Auffassung Himmlers gebilligt hat. Dies kann nicht überraschen, wenn man sich die Stellung Himmlers im deutschen Regierungssystem, vor allem während der letzten Kriegsjahre, vor Augen hält. Damit war dem Angeklagten Frank auch jede Möglichkeit genommen, in irgendeiner Form auf die Maßnahmen Himmlers und des Höheren SS- und Polizeiführers Ost Einfluß zu nehmen.

Auf Grund des Artikels I, Absatz 3 des Führererlasses vom 7. Mai 1942 mußte der Geschäftsbereich des Staatssekretärs für das Sicherheitswesen neu festgelegt werden. Sowohl der Höhere SS- und Polizeiführer und hinter ihm stehend der Reichsführer-SS versuchten im Zusammenhang mit der Neuordnung des Geschäftsbereichs des Staatssekretariats für das Sicherheitswesen soviel wie möglich in ihre Zuständigkeit zu bekommen, während umgekehrt selbstverständlich der Generalgouverneur im Interesse der Aufrechterhaltung einer einigermaßen geordneten Verwaltung bestrebt war, wenigstens bestimmte Gebiete der Ordnungspolizei und der Verwaltungspolizei zu bekommen. Aus diesen Kämpfen ist eindeutig die Polizei als Sieger hervorgegangen.

Am 3. Juni 1942 mußte sich der Generalgouverneur bereit erklären, in einem Erlaß über die Überweisung von Dienstgeschäften auf den Staatssekretär für das Sicherheitswesen sämtliche Sachgebiete der Sicherheitspolizei und der Ordnungspolizei auf diesen Staatssekretär zu übertragen. Ich habe im Beweisverfahren als Beweisstück Frank Nummer 4 diesen Erlaß mit seinen Anlagen A und B dem Gericht vorgelegt. Die beiden Anlagen enthalten alle Sachgebiete der Ordnungs- und Sicherheitspolizei, die es im deutschen Polizeiwesen überhaupt gegeben hat. In der Anlage A, die die Sachgebiete der Ordnungspolizei umfaßt, wurden in 26 Ziffern aber nicht nur ordnungspolizeiliche Sachgebiete auf den Staatssekretär für das Sicherheitswesen übertragen, sondern darüber hinaus auch das gesamte Gebiet der sogenannten Verwaltungspolizei. Ich erwähne als eines von zahlreichen Beispielen nur die Ziffer 18, mit welcher sämtliche Angelegenheiten auf dem Gebiet der Preisüberwachung der Ordnungspolizei und damit dem Höheren SS- und Polizeiführer übertragen wurden. Was für die Ordnungspolizei gilt, trifft in noch höherem Maße für die Sachgebiete der Sicherheitspolizei zu. Eine Änderung gegenüber dem früheren Zustand ist insofern nicht eingetreten, als die gesamte politische Polizei und die Kriminalpolizei, der politische Nachrichtendienst, die Judenangelegenheiten und ähnliche Zuständigkeiten dem Höheren SS- und Polizeiführer unterstellt wurden. Diese Aufgaben erfüllte er als Leiter der Sicherheitspolizei und des Sicherheitsdienstes völlig unabhängig von der allgemeinen Verwaltung des Generalgouvernements schon auf Grund des geheimen Erlasses aus dem Jahre 1939. Auch darüber hinaus sind dem Staatssekretär für das Sicherheitswesen auch Sachgebiete übertragen worden, die mit den Aufgaben der Sicherheitspolizei nur in sehr entferntem Zusammenhang stehen, wie das gesamte Feiertagsrecht und ähnliches. Von nicht unerheblicher Bedeutung sind die beiden letzten Ziffern in den Anlagen A und B, in denen ausdrücklich vorgesehen ist, daß die Vertretung des Generalgouvernements – nicht etwa des Gouverneurs – bei Besprechungen und Sitzungen, namentlich bei den Reichszentralbehörden auf allen Gebieten der Ordnungs- und Sicherheitspolizei beim Höheren SS- und Polizeiführer liegen sollte. Damit war endgültig jede Zuständigkeit des Generalgouverneurs, auch auf den an sich unbedeutenden Gebieten der Verwaltungspolizei, auf die Organe des Reichsführers-SS Himmler übergegangen, und die Verwaltung des Generalgouvernements war damit auch der letzten Reste einer eigenen Exekutive beraubt.

Nur bei Berücksichtigung dieser Tatsachen und der Entwicklung des Verhältnisses zwischen Verwaltung und Polizei im Generalgouvernement kann eine auch nur einigermaßen zutreffende Beurteilung dessen erfolgen, was sich im Generalgouvernement ereignete und das zum Teil den Gegenstand der Anklage in diesem Verfahren bildet.

Meine Herren Richter! Die von der Anklage gegen den Angeklagten Dr. Frank erhobenen Beschuldigungen werden im wesentlichen durch Zitate aus dem Tagebuch des Angeklagten zu beweisen versucht. Hierzu ist grundsätzlich folgendes zu sagen:

Dieses Tagebuch wurde von dem Angeklagten Frank nicht persönlich geführt, sondern von Stenographen verfaßt, die bei den Regierungssitzungen und anderen Besprechungen des Generalgouverneurs zugegen waren. Es umfaßt in 42 Bänden nicht weniger als 10000 bis 12000 Schreibmaschinenseiten. Die Eintragungen erfolgten, von einer einzigen Ausnahme abgesehen, nicht auf Grund des Diktats des Angeklagten, sondern in Form von Niederschriften der Stenographen. Zum großen Teil – und das ergibt sich aus dem Tagebuch selbst – haben die Verfasser dieses Tagebuches nicht die einzelnen Reden und Äußerungen wörtlich niedergelegt, sondern mit eigenen Worten zusammengefaßt. Die Eintragungen im Tagebuch wurden von dem Angeklagten nicht nachgelesen und – wiederum von einer einzigen Ausnahme abgesehen – auch nicht unterschrieben. Die in verschiedenen Bänden des Tagebuches eingehefteten Anwesenheitslisten – sie sind nur in den Bänden über die Regierungssitzungen enthalten – vermögen einen Bestätigungsvermerk über die Richtigkeit nicht zu ersetzen. Es steht ferner auf Grund der Beweisaufnahme fest, daß sehr viele Eintragungen im Tagebuch nicht auf Grund eigener Wahrnehmungen zustande gekommen sind, sondern dadurch, daß die Verfasser des Tagebuches sich nachträglich von den Teilnehmern einer Regierungssitzung oder einer anderen Konferenz den wesentlichen Inhalt der Besprechungen berichten ließen und dann mit eigenen Worten im Tagebuch zum Ausdruck brachten.

Darüber hinaus kann bei einer Durchsicht des Tagebuches leicht festgestellt werden, daß die Eintragungen nicht vollständig sein können.

Alle diese Tatsachen zwingen zu dem Schluß, daß der materielle Beweiswert dieses Tagebuches nicht überschätzt werden darf. Der Beweiswert dieses Tagebuches steht auf keinen Fall in einem Verhältnis zu dem Beweiswert von Eintragungen, die von der in Frage kommenden Person selbst gemacht werden.

Wesentlich erscheint mir aber vor allem folgendes zu sein: Der Inhalt jeder Urkunde hat nur insoweit materiellen Beweiswert, als die Urkunde in ihrer Gesamtheit der Beurteilung unterzogen wird. Das Tagebuch des Angeklagten Frank ist mit seinen 10000 bis 12000 Seiten eine einheitliche Urkunde. Es geht nicht an, einzelne Eintragungen für sich allein zum Gegenstand des Beweisverfahrens zu machen, ohne den Zusammenhang herzustellen, in welchem die Eintragungen zum Teil nur verstanden werden können. Es geht aber vor allem nicht an und verstößt gegen die Grundsätze jeder Beweisführung, aus einem einheitlichen Vorgang, wie ihn zum Beispiel eine lange Rede darstellt, nur einzelne Sätze zum Gegenstand des Beweisverfahrens zu machen. Ich habe im Dokumentenbuch Nummer II einige derartige Beispiele aufgeführt, und ich nehme darauf Bezug.

Wie der Angeklagte Frank im Zeugenstand mit Recht selbst betont hat, stellt das Tagebuch ein einheitliches Ganzes dar und kann auch nur in seiner Gesamtheit als Beweismaterial Gegenstand des Beweisverfahrens sein. Ich habe das mehr als 10000 Seiten umfassende Tagebuch durchgelesen und kann diese Auffassung nur bestätigen. Dies war auch der Grund, warum ich nicht etwa einzelne Eintragungen zum Gegenstand der Beweisaufnahme gemacht habe, sondern das gesamte Tagebuch.

Wenn ich selbst im Beweisverfahren einzelne Eintragungen des Tagebuches verlesen habe, und wenn ich im Rahmen der gegenwärtigen Darstellung noch einige Zitate aus diesem Tagebuch geben werde, dann kann ebenso wie den Auszügen, die die Anklage vorgelegt hat, selbstverständlich auch diesen Zitaten ein Beweiswert nur im Rahmen des ganzen Tagebuches zuerkannt werden.

Auf Grund der Beweisaufnahme kann ferner folgendes als festgestellt angesehen werden: Wie sich aus den Tagebüchern und insbesondere aus den Bekundungen der Zeugen Bühler, Böpple und Meidinger ergibt, hat der Angeklagte Frank in seiner Eigenschaft als Generalgouverneur an einem Tag oft zwei oder drei Reden aus dem Stegreif gehalten. Die von der Anklage vorgelegten Auszüge aus dem Tagebuch sind zum größten Teil einzelne Sätze aus solchen Reden. Berücksichtigt man nun das Temperament des Angeklagten und seine Neigung zu zugespitzten Formulierungen, so ist auch das mit ein Grund, der den Beweiswert dieser Tagebuchauszüge herabzusetzen geeignet ist. Und tatsächlich finden sich viele Tagebucheintragungen, die in offenem Widerspruch stehen zu den Eintragungen über den gleichen Gegenstand, die kurz vorher oder wenig später erfolgt sind.

Bei den vielen Reden, die der Angeklagte Frank gehalten hat, darf auch folgendes nicht außer Betracht bleiben, und auch das kann auf Grund der Beweisaufnahme als festgestellt angesehen werden: Als offener Verfechter der Idee des Rechtsstaates und der Unabhängigkeit des Richters konnte es nicht ausbleiben, daß der Angeklagte Frank in immer höherem Maße in einen scharfen Gegensatz zu den Repräsentanten des Systems des Polizeistaates geriet, wie es im Laufe des Krieges immer mehr in Erscheinung getreten ist, und zwar sowohl innerhalb des Reichsgebietes als auch in den besetzten Gebieten. Die Repräsentanten dieses Polizeistaates waren aber der Reichsführer-SS Himmler und für das Gebiet des Generalgouvernements der Höhere SS- und Polizeiführer Ost, und hier vor allem wieder der SS-Obergruppenführer und General der Polizei Krüger. Das Verhältnis zwischen dem Angeklagten Frank auf der einen Seite und dem Reichsführer-SS Himmler und dessen Vertreter, Obergruppenführer Krüger, auf der anderen Seite war schon bei Errichtung des Generalgouvernements denkbar schlecht. Es mußte noch mehr leiden, als die Verschiedenheit der Auffassungen über die Aufgaben der Polizei immer offener zutage trat und der Angeklagte Frank gezwungen war, wegen der Gewaltmaßnahmen der Sicherheitspolizei und des SD sich immer wieder und immer schärfer mit Beschwerden an den Chef der Reichskanzlei, Dr. Lammers, und an den Führer selbst zu wenden.

Wie ich bereits eingangs ausgeführt habe, blieb auf der anderen Seite dem Generalgouverneur infolge des Fehlens einer eigenen Exekutive nichts anderes übrig, als immer wieder den Versuch zu machen, die Aufgaben der allgemeinen Verwaltung und die der Polizei zu koordinieren, um überhaupt noch eine Verwaltungstätigkeit durchführen zu können. Diese Absichten bedingten aber selbstverständlich wenigstens nach außenhin ein gewisses Eingehen auf die allgemeine Einstellung der Sicherheitspolizei und vor allem des Höheren SS- und Polizeiführers Ost. Darüber hinaus hat aber die Beweisaufnahme weiterhin ergeben, daß die zwischen dem Generalgouverneur und dem Höheren SS- und Polizeiführer bestehende Spannung oft ein Ausmaß erreichte, daß der Angeklagte Frank sich bedroht fühlen mußte und, um mit den Worten des Zeugen Dr. Bühler zu sprechen, er nicht mehr frei und Herr seiner eigenen Entschließungen war.

In der Tat sind die Bekundungen des Zeugen von dem Bach-Zelewsky und des Zeugen Dr. Albrecht in diesem Punkt völlig eindeutig. Mit Recht hat daher der Zeuge Dr. Bühler auch darauf hingewiesen, daß der Angeklagte Frank sich immer dann in besonders scharfen Äußerungen erging, wenn der Höhere SS- und Polizeiführer oder der Befehlshaber der Sicherheitspolizei und des SD an den Besprechungen teilnahmen und daß seine Ausführungen in einem durchaus anderen Ton gehalten waren, wenn er nur vor den Männern der Verwaltung sprach. Eine auch nur flüchtige Durchsicht des Tagebuches bestätigt dies auch. Alle diese Umstände werden bei der Beurteilung des materiellen Beweiswertes des Tagebuches des Angeklagten Frank mit zu berücksichtigen sein. Dabei soll auch nicht unerwähnt bleiben, daß diese Tagebücher das einzige waren, was Frank von seinem persönlichen Eigentum aus der Burg in Krakau retten konnte. Er hat sämtliche Tagebücher bei seiner Festnahme den ihn verhaftenden Offizieren übergeben. Es wäre für ihn ein leichtes gewesen, diese Tagebücher zu vernichten.

Meine Herren Richter!

Ich komme nunmehr zu den einzelnen gegen den Angeklagten erhobenen Beschuldigungen und zu ihrer rechtlichen Würdigung. Der Angeklagte Frank wird beschuldigt, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Humanität bei der Verwaltung besetzter Gebiete genehmigt und an ihnen teilgenommen zu haben.

Das geltende Recht geht grundsätzlich davon aus, daß Subjekt des Völkerrechts nur der souveräne Staat, nicht aber dar Einzelmensch ist. Eine völkerrechtliche Verpflichtung eines Einzelmenschen würde nur dann vorliegen, wenn das Völkerrecht selbst einen Tatbestand mit einer Unrechtsfolge verknüpfen und anordnen würde, daß diese Normen unmittelbar auf den von einem Menschen gesetzten Tatbestand anzuwenden sind. Erst dadurch würden die Einzelpersonen, die nach geltendem Recht nur dem staatlichen Strafrecht unterworfen sind, ausnahmsweise unmittelbar durch das Völkerrecht selbst verpflichtet werden.

In Abweichung von dieser Regel läßt das geltende Völkerrecht nur ausnahmsweise zu, daß ein Staat einen in seine Gewalt gefallenen Angehörigen des Feindes bestrafen kann, wenn er sich vor der Gefangennahme einer Verletzung des Kriegsrechtes schuldig gemacht hat. Eine Bestrafung ist aber auch hier ausgeschlossen, wenn die Tat nicht aus eigenem Antrieb begangen wurde, sondern ausschließlich dem Heimatstaat zugerechnet werden kann. Im übrigen sind der Begriff des Kriegsverbrechens und seine Tatbestandsmerkmale sowohl in der Rechtsprechung als auch in der Literatur äußerst umstritten.

Auch die Haager Landkriegsordnung, die als Anlage zu dem IV. Abkommen betreffend die Gesetze und Gebräuche des Landkrieges eine Kodifikation einzelner Materien des Kriegsrechts bringen sollte, enthält keine Tatbestände, die als Grundlage für eine strafrechtliche Haftung von Einzelpersonen herangezogen werden könnten. In Artikel 3 dieses Abkommens ist vielmehr ausdrücklich bestimmt, daß nicht Einzelpersonen, sondern der Staat, welcher die Bestimmungen der Ordnung verletzt, gegebenenfalls zum Schadenersatz verpflichtet und auch für alle Handlungen verantwortlich sei, die von den zu seiner bewaffneten Macht gehörenden Personen begangen werden.

Im übrigen ist zu der Haager Landkriegsordnung aus dem Jahre 1907 folgendes zu sagen:

Die in ihr niedergelegten Grundsätze beruhen auf den Erfahrungen der Kriege des 19. Jahrhunderts. Diese Kriege beschränken sich im wesentlichen auf die unmittelbar daran beteiligten bewaffneten Streitkräfte.

Bereits der erste Weltkrieg hat diesen Rahmen verlassen, und zwar nicht nur im Hinblick auf die räumliche Ausdehnung der kriegerischen Auseinandersetzungen. Der Krieg wurde vielmehr zu einem Vernichtungskampf der einzelnen Völker, bei dem jede Kriegspartei ihr gesamtes Kriegspotential und ihre sämtlichen materiellen und immateriellen Kräfte einsetzte. Der zweite Weltkrieg mußte im Hinblick auf die Vervollkommnung der Kriegstechnik den in der Haager Landkriegsordnung für die Kriegführung vorgesehenen Rahmen vollends sprengen. Das kann durch den Augenschein bewiesen werden: Der heutige Zustand Europas zeigt es. Hält man sich dann noch vor Augen, daß allein in Deutschland infolge von Fliegerangriffen nicht nur fast alle Städte zum größten Teil zerstört wurden, daß dabei erheblich mehr als eine Million Menschen der Zivilbevölkerung ihr Leben eingebüßt haben, daß bei einem einzigen Großangriff auf die Stadt Dresden 300000 Menschen ihr Leben verloren haben, dann wird man ermessen können, daß die in der Haager Landkriegsordnung niedergelegten Regeln jedenfalls auf weiten Gebieten des Kriegsrechts kein zutreffender Ausdruck mehr sein können für die im Kriege zu beachtenden Gesetze und Gebräuche. Sollte darüber aber noch irgendein Zweifel bestehen, dann werden diese sicher behoben durch die Folgen der zwei Atombomben, die Hiroshima und Nagasaki dem Erdboden gleich machten und Hunderttausende von Menschen töteten.

Unter diesen Umständen können die Bestimmungen der Haager Landkriegsordnung auch nicht im übertragenen Sinn und in entsprechender Anwendung zur Begründung einer persönlichen strafrechtlichen Verantwortlichkeit herangezogen werden.

Bei dieser Sachlage muß es als ausgeschlossen angesehen werden, die Tatbestandsmerkmale des sogenannten Kriegsverbrechens allgemein und eindeutig zu bestimmen. Im Hinblick darauf, daß auch Artikel 6 des Statuts für das Internationale Militärtribunal nur eine beispielhafte Aufzählung geben will, kann die Frage, ob in einem bestimmten Verhalten der Tatbestand eines Kriegsverbrechens zu erblicken ist oder nicht, nur von Fall zu Fall beantwortet werden und auch hier nur unter Berücksichtigung aller Umstände.

Im Rahmen der Beweisführung für die persönliche Verantwortlichkeit des Angeklagten Frank hat die Anklagevertretung als Beweisstück US-609 (864-PS) eine Niederschrift über die Besprechung des Führers mit dem Chef des Oberkommandos der Wehrmacht über die künftige Gestaltung der polnischen Verhältnisse zu Deutschland vorgelegt. Diese Besprechung hat am 17. Oktober 1939 stattgefunden. Es wird behauptet, daß allein schon dieses Protokoll, in welchem die Verwaltungsziele des Angeklagten Frank im Generalgouvernement niedergelegt sein sollen, einen mit den Gesetzen der Kriegführung und der Menschlichkeit im Gegensatz stehenden Plan oder Verschwörung darstelle. Diese Schlußfolgerung ist, jedenfalls soweit der Angeklagte Frank in Betracht kommt, nicht zulässig. Die Anklagevertretung konnte nicht den Nachweis erbringen, daß dem Angeklagten Frank vom Führer ein Auftrag erteilt worden wäre, der in Übereinstimmung stand mit den in dieser Besprechung geforderten Verwaltungszielen. Dies erscheint auch deshalb sehr unwahrscheinlich, weil die in dieser Besprechung aufgestellten Richtlinien sich in der Hauptsache auf Maßnahmen bezogen, die nicht von der allgemeinen Verwaltung, sondern nur von der Sicherheitspolizei, dem Sicherheitsdienst und den übrigen Organen und Ämtern des Reichsführer-SS Himmler durchgeführt werden konnten. Es ist in diesem Zusammenhang vor allem auf die Vollmachten hinzuweisen, die dem Reichsführer-SS Himmler schon vor dieser Besprechung in seiner Eigenschaft als Reichskommissar für die Festigung deutschen Volkstums erteilt worden waren. Tatsächlich ist nun in der Urkunde US-609 am Schluß verwiesen auf einen an Himmler erteilten Auftrag. Im Hinblick darauf, daß der Angeklagte Frank bereits Mitte September 1939 in einer sehr kurzen Besprechung von Hitler den Auftrag bekommen hatte, als Oberverwaltungschef die zivile Verwaltung der besetzten polnischen Gebiete zu übernehmen, und da er Hitler sehr lange Zeit nicht mehr gesehen hat, muß mit Sicherheit angenommen werden, daß die in der Besprechung zwischen Hitler und dem Chef des Oberkommandos der Wehrmacht aufgestellten Richtlinien nicht für den Angeklagten Frank, sondern für den Reichsführer-SS Himmler bestimmt waren, der allein über die erforderlichen Vollzugsorgane verfügte.

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