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DR. SEIDL: Herr Präsident, meine Herren Richter!

Ein anderes Dokument, auf das die Anklagevertretung Bezug genommen hat und aus welchem sich ebenfalls die Strafbarkeit der Verwaltungsziele des Angeklagten Frank ergeben soll, ist Beweisstück US- 297 (EC-344-16). Gegenstand dieses Dokuments ist eine Besprechung, die der Angeklagte Frank am 3. Oktober 1939 mit einem Hauptmann Varain gehabt haben soll. Der Angeklagte Frank hat bei seiner Vernehmung im Zeugenstand ausgesagt, daß er derartige oder ähnliche Ausführungen zu einem Offizier niemals gemacht habe. Im übrigen ergibt sich schon bei einem Vergleich der Daten, daß diese Unterredung, auch wenn sie stattgefunden haben soll, in keinem Zusammenhang stehen kann mit dem Inhalt der Besprechung zwischen dem Führer und dem Chef des Oberkommandos der Wehrmacht, da diese erst am 17. Oktober 1939 stattgefunden hat, zeitlich also später erfolgte.

Zwar nicht im Rahmen der Beweisführung, deren Gegenstand die persönliche Verantwortlichkeit des Angeklagten Frank war, aber bei der Anklage über die sogenannte Germanisierung wurde ein Dokument unter der Beweisstück-Nummer US-300 vorgelegt (661-PS).

Es handelt sich um eine Denkschrift mit der Bezeichnung »Rechtsgestaltung deutscher Polenpolitik nach volkspolitischen Gesichtspunkten«. Nach einem Vermerk auf dem Titelblatt sollte der juristische Teil als Vorlage für den nationalitätenrechtlichen Ausschuß der Akademie für Deutsches Recht dienen. Diesem Dokument kann im Rahmen der persönlichen Verantwortlichkeit des Angeklagten Frank keine beweiserhebliche Bedeutung zukommen. Er hat bei seiner Vernehmung im Zeugenstand erklärt, zu dieser Arbeit keinen Auftrag erteilt zu haben und den Inhalt auch nicht zu kennen. Darüber hinaus dürfte dieser Urkunde für den Rahmen dieses Prozesses überhaupt kein materieller Beweiswert zuzuerkennen sein.

Die Denkschrift läßt weder den Verfasser erkennen, noch ergibt sich aus ihr, in welchem Auftrag sie verfaßt wurde. Nach dem ganzen Inhalt und der Form scheint es sich nicht um ein amtliches Dokument zu handeln, sondern um die Arbeit einer Privatperson. Als Fundort wurde das Justizministerium in Kassel angegeben. Tatsächlich aber gibt es seit vielen Jahrzehnten in Kassel kein Justizministerium mehr. Alle diese Umstände lassen den materiellen Beweiswert dieser Urkunde als mindestens sehr gering erscheinen.

Was immer auch der Beweiswert sein mag von Niederschriften über Besprechungen, die im Jahre 1939 anläßlich der Errichtung des Generalgouvernements stattgefunden haben. Für die Beurteilung des Verhaltens des Angeklagten Frank ist nicht so sehr von wesentlicher Bedeutung, was Hitler, was er selbst oder andere Personen bei dieser oder jener Gelegenheit gesagt haben, sondern welche Politik der Angeklagte Frank tatsächlich gegenüber dem polnischen und ukrainischen Volk betrieben hat. Und hier kann nun kein Zweifel möglich sein, und zwar auf Grund des gesamten Ergebnisses der Beweisaufnahme, insbesondere aber auf Grund der Eintragungen im Tagebuch des Angeklagten selbst, daß er alle auf eine Germanisierung gerichteten Tendenzen und Maßnahmen ablehnte. Aus den von mir dem Gericht vorgelegten Tagebuchauszügen ergibt sich das mit aller Deutlichkeit. So gebrauchte er auf einer Abteilungsleitersitzung am 8. März 1940, also vor den Männern, die als Leiter der verschiedenen Hauptabteilungen seine Richtlinien in die Wirklichkeit umzusetzen hatten, folgendes Zitat:

»... Vom Führer ist mir aufgegeben worden, das Generalgouvernement als Heimstätte des polnischen Volkes zu betrachten. Demnach ist keine irgendwie geartete Germanisierung möglich. Ich bitte Sie, in Ihren Ämtern strengstens auf die Zweisprachigkeit sehen zu wollen; ich bitte Sie auch, bei den Distrikten und Kreishauptmannschaften darauf hinzuweisen, daß dieser Sicherung des polnischen Eigenlebens nicht in gewalttätiger Weise entgegengetreten wird. Wir haben hier demnach vom Führer in gewissem Sinne die treuhänderische Pflege des polnischen Volkstums übernommen...«

Allein schon diese Erklärung läßt mit Sicherheit den Schluß zu, daß die in dem Dokument US-609 (864-PS) in der Besprechung zwischen Hitler und dem Chef des OKW am 17. Oktober 1939 aufgestellten Richtlinien unmöglich zum Gegenstand des dem Angeklagten Frank erteilten Auftrages gemacht worden sein können. Aus der gesamten Tätigkeit des Höheren SS- und Polizeiführers vom ersten Tag seiner Ernennung an kann vielmehr mit Sicherheit geschlossen werden, daß Hitler die in der Besprechung mit dem Chef des OKW niedergelegten Richtlinien dem Reichsführer-SS Himmler erteilt hat, wenn sie überhaupt erteilt worden sind.

In der gleichen Linie bewegt sich ein Tagebucheintrag vom 19. Februar 1940, in welchem sich der Angeklagte Frank für die Bildung eines polnischen Regierungs- oder Regentschaftsrates ausspricht.

In programmatischer Form hat der Angeklagte Frank die von ihm erteilten Richtlinien in der allgemeinen Verwaltung auf einer Arbeitstagung der Abteilungsleiter, Kreishauptmänner und Stadthauptmänner des Distrikts von Radom am 25. Februar 1940 verkündet. Der Angeklagte Frank erklärte dabei unter anderem folgendes:

»1. Das Generalgouvernement umfaßt den Teil der besetzten polnischen Gebiete, der nicht Bestandteil des Deutschen Reiches ist...

2. Dieses Gebiet ist vom Führer als Heimstätte des polnischen Volkes bestimmt worden. Es wurde mir in Berlin vom Führer und vom Generalfeldmarschall Göring immer wieder eingeschärft, daß das Gebiet nicht der Germanisierung ausgeliefert wird.

3. Nach den uns gegebenen Weisungen gelten jetzt auch hier nach der vom Führer gegebenen Verordnung die polnischen Gesetze weiter...«

Am 7. Juni 1942 erklärte der Angeklagte Frank wörtlich:

»Wir kommen und gehen in dieses Land nicht als Gewaltherrscher. Unsere Absichten sind nicht terroristischer oder unterdrückerischer Art. Wir behüten, wohlgefügt in die Interessen des Großdeutschen Raumes, die Lebensrechte auch der Polen oder Ukrainer in diesem Raum. Wir haben den Polen und Ukrainern weder ihre Kirchen noch ihre Schulen und ihre Erziehung genommen. Der Deutsche will nicht gewalttätig entnationalisieren; wir sind uns selbst genug, und wir wissen, daß man in unsere Gemeinschaft hineingeboren werden muß und daß es eine Auszeichnung ist, ihr anzugehören. Daher können wir auch mit diesem Werk vor der Welt bestehen.«

Diese Beispiele könnten noch durch viele vermehrt werden, die alle deutlich erkennen lassen, daß jedenfalls die Maßnahmen des Angeklagten Frank auf eine pflegliche Behandlung des polnischen Volkstums abgestellt waren und daß er jede Gewaltpolitik ablehnte.

Ich komme nunmehr zu der sogenannten außerordentlichen Befriedungsaktion. Als im September 1939 der Feldzug gegen Polen zu Ende gegangen war, war das nicht gleichbedeutend mit dem Aufhören jeden Widerstandes. Schon kurze Zeit später bildeten sich neue Widerstandszentren, und als am 9. April 1940 die deutschen Truppen Dänemark und Norwegen besetzten und am 10. Mai 1940 das deutsche Westheer zum Angriff angetreten war, glaubten die Führer der damaligen polnischen Widerstandsbewegung im Hinblick auf die allgemeine politische und militärische Lage, daß nunmehr die Zeit zum Losschlagen gekommen sei. Diese Widerstandsbewegung war um so gefährlicher, als in ihr versprengte und nicht unerhebliche Reste des früheren polnischen Heeres sich betätigten. Aus einer großen Anzahl von Eintragungen aus dem Tagebuch des Angeklagten Frank ergibt sich, daß sich die Sicherheitslage zu dieser Zeit von Tag zu Tag verschlechterte. So lautet eine Eintragung vom 16. Mai 1940 wie folgt:

»...die allgemeine Kriegslage zwingt zu ernstester Betrachtung der inneren Sicherheitslage des Generalgouvernements. Aus einer Fülle von Anzeichen und Handlungen kann man den Schluß ziehen, daß eine großorganisierte Widerstandswelle der Polen im Lande vorhanden ist und man unmittelbar vor dem Ausbruch größerer gewaltsamer Ereignisse steht. Tausende von Polen sind bereits in Geheimzirkeln zusammengefaßt, bewaffnet und werden in der aufrührerischsten Form veranlaßt, Gewalttätigkeiten aller Art zu verüben.«

Im Hinblick auf diese bedrohliche Gesamtlage wurde – und auch das ergibt sich aus dem Tagebuch – vom Führer selbst der Befehl erteilt, zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit alle Maßnahmen zur Niederschlagung des bevorstehenden Aufstandes durchzuführen. Dieser Auftrag war über Himmler dem Höheren SS- und Polizeiführer erteilt worden. Die Verwaltung des Generalgouvernements hatte damit zunächst nichts zu tun. Sie schaltete sich ein, um nach Möglichkeit Gewaltmaßnahmen der Sicherheitspolizei und des SD zu verhindern und unter allen Umständen zu erreichen, daß Unschuldige dabei nicht ums Leben kamen. Auf Grund der Angaben der Angeklagten Frank und Seyß-Inquart im Zeugenstand und der Bekundungen des Zeugen Dr. Bühler kann als festgestellt angesehen werden, daß Anstrengungen der Verwaltung des Generalgouvernements insofern erfolgreich waren, als alle von dieser außerordentlichen Aktion erfaßten Mitglieder der Widerstandsbewegung auf Grund einer im Jahre 1939 erlassenen Verordnung einem Standgerichtsverfahren unterzogen wurden und daß ferner die Urteile dieser Standgerichte vor ihrer Vollstreckung einem zu diesem Zweck eingerichteten Gnadenausschuß vorgelegt wurden, der in zahlreichen Fällen eine Abänderung des Urteils verfügte. Der Vorsitzende dieses Gnadenausschusses war bis zu seiner Ernennung zum Reichskommissar für die Niederlande der Angeklagte Dr. Seyß-Inquart. Wie sich aus seinen Aussagen ergibt, wurden nicht weniger als die Hälfte der von den Standgerichten ausgesprochenen Todesstrafen im Gnadenweg in Freiheitsstrafen umgewandelt. Im übrigen nehme ich, was die sogenannte außerordentliche Befriedungsaktion anlangt, Bezug auf die Zeugenaussagen und die von mir in das Protokoll gelesenen Auszüge aus dem Tagebuch des Angeklagten Frank.

Dem Angeklagten Frank wird im Rahmen der gegen ihn persönlich erhobenen Beschuldigungen der Vorwurf gemacht, die Umsiedlungspläne des Reichskommissars für die Festigung des deutschen Volkstums, Himmler, unterstützt und sich dadurch ebenfalls eines Kriegsverbrechens schuldig gemacht zu haben. Es ist keine Frage, daß Umsiedlungen und wenn sie noch so planmäßig und wohlvorbereitet durchgeführt werden, für die davon Betroffenen eine ungeheuer große Härte darstellen, kommt doch in vielen Fällen die Umsiedlung der Vernichtung der wirtschaftlichen Existenz gleich. Trotzdem erscheint es zweifelhaft, ob die Durchführung von Umsiedlungen den Tatbestand eines Kriegsverbrechens oder eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit erfüllt, und zwar aus folgenden Gründen:

Deutschland wird heute überflutet von Millionen von Menschen, die von Haus und Hof vertrieben wurden und die nichts mehr ihr Eigentum nennen, als was sie bei sich führten. Das dadurch verursachte Elend, das sich noch durch die Zerstörungen des Krieges ins Unermeßliche steigern muß, ist derart furchtbar, daß sich die Bischöfe der Kölner und Paderborner Kirchenprovinz am 29. März 1946 veranlaßt gesehen haben, auf diesen Sachverhalt die Augen der ganzen Welt zu lenken. Es heißt darin unter anderem:

»... Vor einigen Wochen schon sahen wir uns veranlaßt, Stellung zu nehmen zu den himmelschreienden Vorgängen im Osten Deutschlands, vor allem in Schlesien und im Sudetenland, wo mehr als zehn Millionen Deutsche aus der angestammten Heimat in brutaler Weise vertrieben werden, ohne daß untersucht wird, ob eine persönliche Schuld vorliegt oder nicht. Keine Feder kann das namenlose Elend schildern, das dort unter Mißachtung jeglicher Menschlichkeit und Gerechtigkeit sich vollzieht. All diese Menschen werden ohne jede Habe, ohne die Möglichkeit einer Existenzgründung im Restdeutschland zusammengepfercht. Es ist nicht abzuse hen, wie diese aus der Heimat vertriebenen Massen nicht zu friedlosen und friedenstörenden Elementen werden sollen.«

Meine Herren Richter!

Ich erwähne das nicht, um auf die ungeheuren Gefahren hinzuweisen, die mit derartigen Maßnahmen allein schon im Hinblick darauf entstehen müssen, daß unter Berücksichtigung der vorgesehenen Abtrennungen Deutschland auf einem im Verhältnis zu 1919 um 22 Prozent verminderten Gebiet eine um 18 Prozent vermehrte Bevölkerung zu ernähren hat und daß künftig auf den Quadratkilometer etwa 200 Einwohner kommen werden. Ich weise auf diesen Sachverhalt auch nicht hin, um darzulegen, daß bei einer Fortführung der gegenwärtigen Wirtschaftspolitik und bei Aufrechterhaltung des sogenannten Industrieplanes Deutschland einer Katastrophe entgegentreibt, deren Folgen sich nicht auf das deutsche Volk allein werden beschränken lassen. Die Beweiserheblichkeit dieser Tatsachen ergibt sich vielmehr aus folgendem:

Die Vertreibung von Millionen von Deutschen aus ihrer angestammten Heimat erfolgt auf Grund eines Beschlusses, welcher am 2. August 1945...

GENERAL RUDENKO: Herr Vorsitzender! Ich bitte um Entschuldigung, daß ich den Verteidiger unterbreche. Aber ich glaube nicht, daß seine Rechtsausführungen und die Kritik der Entschlüsse von Potsdam mit dem gegenwärtigen Fall etwas zu tun haben.

DR. SEIDL: Herr Präsident! Darf ich dazu kurz Stellung nehmen?

Es handelt sich für mich nicht darum, eine Kritik an den Beschlüssen der Potsdamer Konferenz zu üben, sondern es handelt sich für mich darum, ob unter Anwendung der Regeln des Statuts ein bestimmtes Verhalten, das dem Angeklagten Frank zur Last gelegt wurde, den Tatbestand eines Kriegsverbrechens oder eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit erfüllt. Nur im Rahmen der Prüfung dieser Frage sehe ich mich gezwungen, auf die Beschlüsse der sogenannten Potsdamer Konferenz zu sprechen zu kommen.

VORSITZENDER: Dr. Seidl! Der Gerichtshof ist der Ansicht, daß Ihre Hinweise auf die Potsdamer Konferenz unerheblich sind und daß der Einwand des Generals Rudenko deshalb berechtigt ist.

Sie werden angewiesen, zu einem anderen Teil Ihrer Ausführungen überzugehen.

DR. SEIDL: Herr Präsident! Ich nehme an, daß dem Gericht die Übersetzung meines Entwurfes zum Plädoyer vorliegt. Aber ich bin mir nun nicht klar, ob die auf Seite 38 gezogenen Schlußfolgerungen ebenfalls von der soeben getroffenen Entscheidung des Tribunals mitergriffen werden?

VORSITZENDER: Ja, sie sind auch mit einbegriffen. Ich glaube, Sie können auf Seite 40 fortfahren, wo Sie anfangen, sich mit der Judenfrage zu befassen. Das ist der zweite Absatz auf Seite 40.

DR. SEIDL: Gut, Herr Präsident!

Dem Angeklagten Frank wird ferner zum Vorwurf gemacht, in Verletzung der Kriegsgesetze und der Gesetze der Humanität ein Programm der Ausrottung von Juden polnischer Nationalität befürwortet und durchgeführt zu haben. Es ist richtig, daß in einer Reihe von Reden, die der Angeklagte Frank in seiner Eigenschaft als Generalgouverneur gehalten hat, er sich auch zur Stellung der Juden geäußert hat. Die von der Anklage im Zusammenhang mit dieser Frage vorgelegten Tagebuchauszüge stellen im wesentlichen alles dar, was sich im Tagebuch des Angeklagten Frank auf 10000 bis 12000 Schreibmaschinenseiten darüber findet. Trotzdem soll nicht bestritten werden, daß der Angeklagte Frank aus seiner antisemitischen Einstellung nie ein Hehl gemacht hat. Er hat sich zu dieser Frage bei seiner Vernehmung im Zeugenstand eingehend geäußert.

Davon scharf zu trennen ist jedoch die Frage, welche Bedeutung den von der Anklage in diesem Zusammenhang vorgelegten Tagebucheinträgen zukommt. Es handelt sich fast ausschließlich um Äußerungen des Angeklagten Frank, um Reden, ohne daß von der Anklagevertretung auch nur der Versuch gemacht worden wäre, einen Nachweis für das Bestehen eines ursächlichen Zusammenhangs zwischen diesen Äußerungen und den von der Sicherheitspolizei durchgeführten Maßnahmen gegen die Juden zu erbringen.

Denn auf Grund des Ergebnisses der Beweisaufnahme, insbesondere den Bekundungen der Zeugen Dr. Bilfinger und Dr. Bühler, kann im Zusammenhang mit dem geheimen Erlaß über die Zuständigkeit der Sicherheitspolizei und des SD aus dem Jahre 1939 und dem Erlaß über die Zuweisung von Aufgaben auf den Staatssekretär für das Sicherheitswesen als festgestellt angesehen werden, daß alle die Juden im Generalgouvernement betreffenden Maßnahmen ausschließlich von dem Reichsführer-SS Himmler und dessen Organen durchgeführt wurden. Das gilt sowohl für die Errichtung und Verwaltung der Ghettos, wie für die sogenannte Endlösung der Judenfrage.

Was die letztere Frage betrifft, so kann hier auf Grund der Bekundungen der Zeugen Wisliceny und Höß und auf Grund der von der Anklage vorgelegten Dokumente gesagt werden, daß diese Maßnahmen durchgeführt wurden auf Grund eines ausdrücklichen Befehls Hitlers und daß mit der Durchführung nur ein kleiner Personenkreis befaßt war, der sich im wesentlichen auf einige SS-Führer der Abteilung IV a 4b des Reichssicherheitshauptamtes und die Mannschaften der Konzentrationslager beschränkte, die für die Durchführung dieser Aufgabe bestimmt worden waren.

Die Verwaltung des Generalgouvernements hatte mit diesen Maßnahmen nichts zu tun. Es steht damit aber auch weiter fest, daß die von der Anklage vorgelegten judenfeindlichen Äußerungen des Angeklagten Frank in keinem ursächlichen Zusammenhang stehen mit der sogenannten Endlösung der Judenfrage. Da der Kausalzusammenhang festgestellt sein muß, bevor die Frage der Rechtswidrigkeit und der Schuld überhaupt nur in Erwägung gezogen werden kann, erscheint es nicht notwendig, näher auf diese Frage einzugehen. Dies um so weniger, als der Tatbestand irgendeiner strafbaren Handlung nur dann als erfüllt angesehen werden kann, wenn es wenigstens zum Versuch gekommen ist, wenn also mindestens mit der Ausführung ein Anfang gemacht worden war. Die im Tagebuch des Angeklagten Frank enthaltenen Äußerungen stellen bei Anwendung der Grundsätze, wie sie sich aus dem Strafrecht aller zivilisierten Nationen herleiten, nicht einmal Vorbereitungshandlungen dar.

Mit Rücksicht auf das manchmal bis zum Zerreißen angespannte Verhältnis zwischen dem Generalgouverneur auf der einen Seite und dem Reichsführer- SS Himmler und dem Höheren SS- und Polizeiführer Krüger auf der anderen Seite, erscheint es auch völlig ausgeschlossen, die Äußerungen des Angeklagten Frank als Anstiftungs- oder als Beihilfehandlung zu werten. Die Beweisaufnahme hat im Gegenteil ergeben, daß alle Bemühungen des Angeklagten Frank, den über die Vernichtung der Juden entstandenen Gerüchten wenigstens innerhalb seines Verwaltungsbereiches mit Erfolg nachzugehen, gescheitert sind. Nur der Vollständigkeit halber sei auch hier erwähnt, daß das Konzentrationslager Auschwitz sich nicht im Generalgouvernement befunden hat, sondern in dem Teil des früheren Staates Polen, der an Oberschlesien angeschlossen worden ist.

Im übrigen ist aus der Anklageschrift nicht klar ersichtlich, ob schon in der Errichtung und in der Verwaltung von Konzentrationslagern der Tatbestand eines Kriegsverbrechens oder eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit erblickt werden soll, oder ob die Anklage die Errichtung derartiger Lager lediglich als Teil des sogenannten gemeinsamen Planes betrachtet. Sieht man von den in den Konzentrationslagern begangenen Verbrechen ab, und erblickt man das Wesen der Konzentrationslager darin, daß in ihnen Menschen aus staats- oder sicherheitspolizeilichen Gründen wegen ihrer politischen Überzeugung verwahrt wurden, und zwar ohne die Möglichkeit zu haben, sich in einem ordentlichen Gerichtsverfahren zu verteidigen, so erscheint es zumindest zweifelhaft, ob nicht einer Besatzungsmacht das Recht zuerkannt werden müsse, derartige im Interesse der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit notwendigen Maßnahmen zu ergreifen. Davon abgesehen, daß es nicht Nationalsozialisten und überhaupt nicht Deutsche waren, die zum erstenmal derartige Lager eingerichtet haben, ist auf folgenden Tatbestand hinzuweisen:

Allein in der von den amerikanischen Truppen besetzten Zone Deutschlands wurden nach einer Mitteilung...

DR. ROBERT M. KEMPNER, HILFSANKLÄGER FÜR DIE VEREINIGTEN STAATEN: Wir erheben Einspruch. Diese Sache ist völlig unerheblich.

VORSITZENDER: Dr. Seidl! Wollen Sie etwas gegen den Einwand erwidern?

DR. SEIDL: Herr Präsident! Ich bitte, den Widerspruch der Anklagevertretung zurückzuweisen, und zwar darf ich kurz folgendes sagen:

Es handelt sich für mich nicht darum, Kritik an einer Besatzungsmacht zu üben, sondern es handelt sich für mich dabei nur um die Frage, ob ein bestimmtes Verhalten, das dem Angeklagten Frank von der Anklage vorgeworfen wird, den Tatbestand einer strafbaren Handlung erfüllt. Ich gehe davon aus, daß das, was für die eine Besatzungsmacht rechtens sein muß, auch der anderen Besatzungsmacht unter den gleichen Umständen zuerkannt werden muß, insbesondere, wenn es sich darum handelt, daß die Vorwürfe, die dem Angeklagten zur Last gelegt werden, Handlungen betreffen, die während des Krieges durchgeführt wurden, während ja der Kriegszustand gegen Deutschland spätestens mit dem 8. Mai 1945 sein Ende gefunden hat, diese zwingenden Notwendigkeiten also in dem Ausmaß vielleicht nicht mehr vorgelegen haben.

VORSITZENDER: Der Gerichtshof hält den Einwand aufrecht. Es liegt kein Beweismaterial vor, um Ihre Erklärungen zu unterstützen. Sie werden jedenfalls vom Gerichtshof als völlig unerheblich betrachtet.

DR. SEIDL: Ich nehme an, Herr Präsident, daß ich dann auf Seite 44 mit dem letzten Absatz fortfahren kann.

VORSITZENDER: Ja, das können Sie, mit dem letzten Absatz.

DR. SEIDL: Es ist nicht notwendig, näher auf diese Frage einzugehen, und zwar deshalb, weil die Beweisaufnahme ergeben hat, daß gerade der Angeklagte Frank vom ersten Tag der Machtübernahme durch den Nationalsozialismus gegen jedes System des Polizeistaates gekämpft und vor allem auch die Konzentrationslager als eine Einrichtung gebrandmarkt hat, die unter keinen Umständen mit der Idee des Rechtsstaates zu vereinbaren sind. Ich verweise in diesem Zusammenhang auf die Bekundungen des Zeugen Dr. Stepp, auf die eigenen Erklärungen des Angeklagten und vor allem auf die von mir im Beweisverfahren vorgelegten Auszüge des Tagebuches des Angeklagten. Im übrigen hat die Beweisaufnahme ferner ergeben, daß die Errichtung und Verwaltung der Konzentrationslager Aufgaben der Organisation des Reichsführer-SS Himmler waren. Sie unterstanden sowohl im Reichsgebiet als auch in sämtlichen von den deutschen Truppen besetzten Gebieten ausschließlich dem SS-Wirtschafts- und Verwaltungshauptamt beziehungsweise dem Generalinspekteur der Konzentrationslager. Weder der Generalgouverneur noch die allgemeine Verwaltung des Generalgouvernements hatten mit diesen Lagern irgend etwas zu tun.

Ein weiterer Anklagepunkt gegen Frank ist der Vorwurf, Gewalttätigkeit und wirtschaftlichen Zwang als Mittel zur Aushebung von Arbeitern zur Deportierung nach Deutschland unterstützt zu haben. Richtig ist, daß während des vergangenen Krieges viele Polen nach Deutschland zur Arbeitsleistung gekommen sind. Es ist dabei aber folgendes zu beachten:

Schon vor dem ersten Weltkrieg sind jährlich Hunderttausende von Polen als Wanderarbeiter nach Deutschland gegangen. Dieser Strom dar Wanderarbeiter hat auch zwischen dem ersten und zweiten Weltkrieg nicht zu fließen aufgehört. Infolge der unglücklichen Grenzziehung wurde das Generalgouvernement ein Gebiet, das ausgesprochen übervölkert war. Die landwirtschaftlichen Überschußgebiete waren an die Sowjetunion gekommen, während wichtige Industriegebiete dem Reich eingegliedert wurden. Unter diesen Umständen war infolge des Fehlens von Bodenschätzen das einzig wertvolle Produktionsmittel die Arbeitskraft der Bevölkerung. Diese konnte jedenfalls in den ersten Jahren infolge des Fehlens der anderen Produktionsfaktoren nicht ausreichend genug eingesetzt werden. Um eine Arbeitslosigkeit zu vermeiden und vor allem auch im Interesse der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit mußte es aus staatspolitischen Überlegungen schon das Bestreben der Verwaltung des Generalgouvernements sein, möglichst viele Arbeitskräfte nach Deutschland zu bringen. Tatsächlich kann nicht zweifelhaft sein, daß in den ersten Jahren der Verwaltung des Generalgouvernements weitaus die meisten polnischen Arbeiter freiwillig in das Reich gegangen sind. Als dann infolge der ununterbrochenen Fliegerangriffe in Deutschland selbst nicht nur die Städte, sondern auch die Fabriken in Trümmer sanken und ein nicht unerheblicher Teil der deutschen Produktionskapazität für Kriegsmaterial aus Sicherheitsgründen in das Generalgouvernement verlagert wurde, mußte es das Bestreben des Angeklagten Frank sein, eine weitere Abziehung von Arbeitskräften zu verhindern. Darüber hinaus hat aber der Angeklagte Frank von Anfang an alle Gewaltmaßnahmen bei der Erfassung von Arbeitskräften verurteilt und allein schon aus Sicherheitsgründen und, um nicht neue Unruheherde zu schaffen, sich dafür eingesetzt, daß von Zwangsmaßnahmen abgesehen und lediglich Werbemittel angewendet werden sollen. Dies steht fest auf Grund der Angaben der Zeugen Dr. Bühler und Dr. Böpple. Es ergibt sich das aber auch aus einer großen Zahl Eintragungen im Tagebuch. Ich habe bereits im Beweisvortrag auf mehrere derselben hingewiesen. So erklärte er zum Beispiel am 4. März 1940 unter anderem:

»... Den von Berlin geforderten Erlaß einer neuen Verordnung mit besonderen Zwangsmaßnahmen und Strafdrohungen lehne ich ab. Maßnahmen, die nach außen hin Aufsehen erregen, müssen unter allen Umständen vermieden werden. Das gewaltsame Verfrachten von Leuten hat alles gegen sich.«

Ähnlich hat er sich am 14. Januar 1944 dem Befehlshaber der Sicherheitspolizei gegenüber ausgesprochen:

»Der Herr Generalgouverneur wendet sich mit Ent schiedenheit dagegen, daß Polizeikräfte bei der Erfassung von Arbeitskräften in Anspruch genommen werden.«

Diese Zitate könnten noch durch viele vermehrt werden.

Ich nehme ferner Bezug auf das von mir vorgelegte Beweismaterial, das die Behandlung der polnischen Arbeiter in Deutschland betrifft. Der Angeklagte Frank hat nicht aufgehört, sich immer wieder für eine bessere Behandlung der polnischen Arbeiter im Reich einzusetzen.

Im übrigen scheint auch die Rechtslage in der Frage der Erfassung von ausländischen Arbeitskräften nicht völlig klar zu sein. Ich habe nicht die Absicht, näher auf die damit zusammenhängenden Rechtsfragen einzugehen. Der Verteidiger des Angeklagten Sauckel wird zu dieser Frage eingehend Stellung nehmen, und ich möchte dazu kurz folgendes sagen:

Im völkerrechtlichen Schrifttum ist unbestritten, daß der strafrechtlich anerkannte Begriff des Notstandes auch für das Gebiet des Völkerrechts die Rechtswidrigkeit der begangenen Verletzung ausschließt.

Droht den Lebensinteressen des Staates Gefahr, so darf er sie bei überwiegenden Interessen durch Verletzung der berechtigten Interessen Dritter schützen. Selbst diejenigen Schriftsteller, welche die Anwendbarkeit des Notstandsbegriffs im Völkerrecht bestreiten – sie befinden sich in der Minderheit –, gewähren dem bedrohten Staat das »Recht auf Selbsterhaltung« und damit das Recht, »Staatsnotwendigkeiten« auch auf Kosten berechtigter Interessen anderer Staaten durchzusetzen. Es ist ein im Völkerrecht anerkannter Grundsatz, daß der Staat nicht zu warten braucht, bis er vor der unmittelbar drohenden Gefahr des Unterganges steht. Es kann nicht zweifelhaft sein, daß nach dem Kriegseintritt der Vereinigten Staaten, mit dem praktisch die Produktionskraft und die militärische Macht fast der ganzen Welt zur Niederwerfung Deutschlands zusammengefaßt war, das Deutsche Reich sich einer Lage gegenübersah, die nicht nur den Staat als solchen mit Untergang bedrohte, sondern darüber hinaus die nackte Existenz des Volker in Frage stellte. Unter diesen Umständen mußte der Staatsführung das Recht zuerkannt werden, auch die in den besetzten Gebieten vorhandenen Arbeitskräfte in diesen Abwehrkampf einzuschalten.

Im übrigen soll eines ebenfalls nicht unerwähnt bleiben: Die Anklage behauptet, daß viele, wenn nicht die meisten der ausländischen Arbeiter unter Zwang nach Deutschland gebracht wurden, und daß sie dort unter unwürdigen Bedingungen schwere Arbeit hätten verrichten müssen. Wie immer man das Ergebnis der Beweisaufnahme in dieser Frage beurteilen will, ist auf der anderen Seite die Tatsache nicht aus der Welt zu schaffen, daß auch jetzt noch in Deutschland Hunderttausende ausländischer Arbeiter leben, die angeblich unter Zwang nach Deutschland verschleppt wurden. Sie weigern sich, jetzt in ihre Heimat zurückzukehren, obwohl niemand sie mehr daran hindert. Unter diesen Umständen muß angenommen werden, daß der Zwang nicht so groß und die Behandlung in Deutschland nicht so schlecht gewesen sein kann, wie von der Anklage behauptet wird.

Ein anderer Anklagepunkt befaßt sich mit der Schließung der Schulen. Es kann dahingestellt bleiben, ob das Internationale Recht irgendeinen Straftatbestand kennt, der die Schließung von Schulen als ein Kriegsverbrechen oder als ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit erscheinen lassen könnte. Dies erscheint jedenfalls für die Kriegszeit um so weniger wahrscheinlich, als bekanntlich nicht nur in Deutschland, sondern in vielen anderen kriegführenden Staaten während der Kriegszeit der Schulbetrieb erheblich eingeschränkt wurde. Eine nähere Prüfung dieser Frage kann schon deshalb unterbleiben, weil die Beweisaufnahme ergeben hat, daß die Schulen zum großen Teil bereits geschlossen waren als der Angeklagte sein Amt als Generalgouverneur antrat. Er hat während der ganzen Zeit seiner Tätigkeit kein Mittel unversucht gelassen, um neben den Volksschulen und Fachschulen auch das höhere Schulwesen wieder in Gang zu bringen. Ich erwähne in diesem Zusammenhang nur die von ihm eingerichteten Hochschullehrkurse.

Die Sowjetische Anklagevertretung hat unter Nummer USSR-335 als Beweismittel eine Verordnung des Angeklagten zur Bekämpfung von Angriffen gegen das deutsche Aufbauwerk im Generalgouvernement vom 2. Oktober 1943 vorgelegt. Es ist keine Frage, daß diese Standgerichtsverordnung nicht dem entspricht, was unter normalen Verhältnissen von einem Gerichtsverfahren verlangt werden muß. Diese Verordnung kann auch nur richtig gewürdigt werden, wenn man die Umstände berücksichtigt, die zu ihrem Erlaß geführt haben.

Ganz allgemein ist zunächst zu sagen, daß die Aufbauarbeit der Verwaltung des Generalgouvernements in einem Gebiet und unter Umständen geleitet werden mußte, die mit zu den schwierigsten gehörten, unter denen jemals überhaupt eine Verwaltung durchgeführt wurde. Nach dem Zusammenbruch des polnischen Staatswesens stand die deutsche Verwaltung organisatorisch und verwaltungsmäßig gewissermaßen vor einem leeren Raum. Es mußte auf allen Gebieten der Verwaltung völlig von vorne angefangen werden. Wenn es trotz der Schwierigkeiten verhältnismäßig schnell gelungen ist, die Kriegsschäden vor allem im Verkehrswesen wieder zu beseitigen, so ist das ein nicht zu bestreitendes Verdienst.

Das Jahr 1940 sollte aber auch das einzige sein, in welchem im Gebiete des Generalgouvernements wenigstens unter einigermaßen normalen Verhältnissen eine Aufbauarbeit durchgeführt werden konnte. Mit Beginn des Jahres 1941 setzte der Aufmarsch der deutschen Armeen gegen die Sowjetunion ein und damit begann eine Zeit der größten Beanspruchung der Verwaltung des Generalgouvernements. Das Generalgouvernement wurde die große Reparaturwerkstätte und das größte militärische Durchgangsland, das die Geschichte bis jetzt gesehen hat. Dies bedingte eine zunehmende Verschlechterung der Sicherheitslage. Die Widerstandsbewegung begann sich neu und in verstärktem Umfang zu organisieren. Die Sicherheitslage mußte aber vollends immer bedrohlicher werden, als die deutschen Armeen gezwungen waren, ihren Vormarsch in Rußland einzustellen, und als nach der Katastrophe von Stalingrad der Vormarsch sich in einen allgemeinen Rückzug verwandelte. Im Laufe des Jahres 1943 erreichte die Tätigkeit der Widerstandsbewegung und vor allem auch die Tätigkeit der zahlreichen Banden, in denen sich Tausende von asozialen Elementen zusammengefunden hatten, ein Ausmaß, das bald jede geordnete Verwaltung gefährdete.

Die Verwaltung des Generalgouvernements mußte sich mit dieser Frage immer wieder befassen. So fand am 31. Mai 1943 eine Arbeitssitzung der Regierung des Generalgouvernements statt, die sich mit der Sicherheitslage befaßte und in deren Verlauf der Präsident der Hauptabteilung »Innere Verwaltung« unter anderem folgende Feststellungen treffen mußte. Ich zitiere aus dem Tagebuch:

»... Die Banden zeigten bei ihrem Vorgehen eine immer stärker werdende Systematik. Sie gingen jetzt systematisch dazu über, Einrichtungen der deutschen Verwaltung zu zerstören, Gelder zu rauben, sich Schreibmaschinen und Vervielfältigungsapparate zu verschaffen, in den Gemeindeämtern die Kontingentlisten und die Arbeiterlisten zu vernichten, die Strafbücher und Steuerlisten mitzunehmen oder zu verbrennen. Auch mehrten sich die Überfälle auf wichtige Produktionsstätten im Lande, auf Sägewerke, Molkereien, Brennereien, auf Brücken, Bahnanlagen und Postämter. Die Organisation der Banden sei schon stark militärisch.«

Im Laufe des Sommers und des Herbstes 1943 wurde infolge der zunehmenden Tätigkeit der Partisanen und der Verbesserung ihrer militärischen Organisation und Ausrüstung die Sicherheit im Generalgouvernement in einem Umfang in Frage gestellt, daß es unter den damaligen Umständen vielleicht zweckmäßiger gewesen wäre, die gesamte Verwaltung des Generalgouvernements dem zuständigen Wehrmachtbefehlshaber zu übertragen und den Ausnahmezustand zu erklären. Denn in der Tat kann man die zu dieser Zeit im Generalgouvernement herrschenden Zustände nicht anders als Krieg bezeichnen. Es war die Zeit, in der jede Stunde damit gerechnet werden mußte, daß der allgemeine Aufstand im ganzen Land ausbrechen würde.

Trotzdem waren auch damals noch die Anstrengungen des Angeklagten Frank darauf gerichtet, unter allen Umständen Gewaltmaßnahmen der Sicherheitspolizei und des SD zu verhindern. Um wenigstens einen gewissen mäßigenden Einfluß auf die Sicherheitspolizei und den SD ausüben zu können und um wenigstens einige Garantien gegen Übergriffe zu schaffen, erklärte sich der Angeklagte Frank zum Erlaß der Standgerichtsordnung vom 9. Oktober 1943 bereit.

Wie sich aus dem Inhalt dieser Verordnung ohne weiteres ergibt, war ihr Zweck in erster Linie aber auch ein generalpräventiver. Mit dieser Verordnung sollten die Banden abgeschreckt werden, und es ist keine Frage, daß dies auch vorübergehend gelungen ist. Im übrigen hat die Beweisaufnahme ergeben, daß auch unter der Geltung dieser Standgerichtsverordnung die Gnadenausschüsse weitergearbeitet haben und daß viele Urteile dieser Standgerichte im Gnadenweg aufgehoben wurden.

Im gegenwärtigen Verfahren wurde wiederholt der Bericht des SS-Brigadeführers Stroop über die Vernichtung des Warschauer Ghettos aus dem Jahre 1943 erwähnt, Beweisstück US-275 (1061-PS). Sowohl aus diesem Bericht wie auch aus einer Reihe anderer Dokumente ergibt sich, daß alle im Zusammenhang mit dem Warschauer Ghetto durchgeführten Maßnahmen ausschließlich auf unmittelbare Weisung des Reichsführer-SS und Chef der Deutschen Polizei Himmler erfolgten. Ich nehme in diesem Zusammenhang auch Bezug auf die eidesstattliche Versicherung des SS-Brigadeführers Stroop vom 24. Februar 1946, welche die Anklagevertretung unter Nummer US-804 (3841-PS) vorgelegt hat und auf die eidesstattliche Versicherung des früheren Adjutanten des SS- und Polizeiführers von Warschau, Karl Kaleske, vom gleichen Tag, Beweisstück US-803 (3840-PS). Aus diesen Urkunden ergibt sich völlig eindeutig, daß auch diese Maßnahmen wie alle übrigen sicherheitspolizeilicher Art entweder auf unmittelbaren Befehl des Reichsführer-SS Himmler, des Höheren SS- und Polizeiführers Ost, oder auf Weisung des Reichssicherheitshauptamtes ausschließlich von der Sicherheitspolizei und dem Sicherheitsdienst durchgeführt wurden, und daß mit ihnen die allgemeine Verwaltung des Generalgouvernements nicht das geringste zu tun hatte.

Die Sowjetische Anklagevertretung hat ferner als Beweisstück USSR-93 im Rahmen des Artikels 21 des Statuts den Bericht der Polnischen Regierung als Beweismittel vorgelegt. Dieser Bericht macht keinen Unterschied zwischen den Gebieten, die dem Deutschen Reich eingegliedert wurden, und den Gebieten, des früheren polnischen Staates, die im Generalgouvernement zusammengefaßt wurden. Vor allem aber im Hinblick darauf, daß dieser Bericht keinerlei substantiierte Angaben über die persönliche Verantwortlichkeit des Angeklagten Frank enthält, erscheint es nicht notwendig, näher auf diesen umfangreichen Bericht einzugehen. Dieser Bericht ist, ebenso wie die Anklageschrift selbst, eine Generalanklage, ohne daß im einzelnen darin auf die Ermittlungen und die Beweismittel eingegangen wird, die die Schlußfolgerungen rechtfertigen könnten, die in diesem Bericht gezogen werden. Die gegen diesen Bericht geltend zu machenden Bedenken müssen um so beachtlicher erscheinen, als, um nur ein einziges Beispiel zu nennen, diesem Bericht als Anlage 1 Richtlinien für die kulturelle Politik als Beweismittel beigegeben sind, die offenbar die Weisungen des Generalgouvernements oder seiner Verwaltung darstellen sollen. Tatsächlich findet sich aber weder im Verordnungsblatt des Generalgouvernements noch in einer sonstigen Urkunde etwas Derartiges. Der Zeuge Dr. Bühler hat bei seiner Vernehmung erklärt, daß die Verwaltung des Generalgouvernements niemals derartige oder ähnliche Richtlinien herausgegeben habe. Allein schon im Hinblick auf diese Tatsache erscheint es höchstens zulässig, dem Beweisstück USSR-93 nur insofern einen materiellen Beweiswert zuzumessen, als die darin enthaltenen Feststellungen durch echte Urkunden und sonstige einwandfreie Beweismittel nachgewiesen sind.

Nach der Anklageschrift und insbesondere nach den Ausführungen in dem von der Anklage vorgelegten Trialbrief soll der Angeklagte Frank auch verantwortlich sein für die Unterernährung der polnischen Bevölkerung. Tatsächlich konnte aber die Anklage keinerlei Beweismittel dafür vorlegen, daß in dem vom Angeklagten Frank verwalteten Gebiet Hungerkatastrophen oder Epidemien ausgebrochen seien. Die Beweisaufnahme hat im Gegenteil ergeben, daß es auf Grund der Anstrengungen des Angeklagten Frank gelungen ist, im Jahre 1939 und 1940 das Reich zur Lieferung einer Getreidemenge von nicht weniger als 600000 Tonnen zu veranlassen. Es ist auf diese Weise möglich gewesen, die durch den Krieg bedingten Ernährungsschwierigkeiten zu überwinden.

Richtig ist, daß in den folgenden Jahren das Generalgouvernement einen nicht unerheblichen Beitrag für die Kriegführung durch Lieferung von Getreide geleistet hat. Es darf dabei nicht übersehen werden, daß diese Getreidelieferungen möglich waren auf Grund einer außergewöhnlichen landwirtschaftlichen Produktionssteigerung im Generalgouvernement. Diese wiederum wurde ermöglicht durch eine weitschauende Wirtschaftspolitik, insbesondere durch Zuteilung von landwirtschaftlichen Maschinen, von Saatgut und so weiter. Es darf ferner nicht außer Betracht bleiben, daß die Getreidemengen, die vom Jahre 1941 ab das Generalgouvernement zur Verfügung stellte, nicht zuletzt auch mit zur Ernährung der polnischen Arbeiter diente, die im Reichsgebiet eingesetzt waren, und daß diese Getreidelieferungen ganz allgemein auch dazu verwendet wurden, innerhalb der europäischen Verkehrswirtschaften einen entsprechenden Ausgleich durchzuführen.

Grundsätzlich ist jedoch zu dieser Frage folgendes zu sagen:

Die Anklage hat in einer Reihe von Anklagepunkten Beschuldigungen gegen die Verwaltungstätigkeit des Angeklagten Frank in seiner Eigenschaft als Generalgouverneur erhoben, ohne auch nur den Versuch zu machen, eine wenn auch nur einigermaßen zutreffende Schilderung der gesamten Tätigkeit des Angeklagten zu geben und auch auf die Schwierigkeiten hinzuweisen, mit denen die Erfüllung dieser Aufgabe verbunden war. Es kann keine Frage sein, daß eine derartige Betrachtungsweise gegen grundlegende Regeln jedes Strafverfahrens verstößt. Es ist ein anerkannter Grundsatz, und dieser leitet sich aus den Prinzipien des Strafrechts aller zivilisierten Nationen ab, daß nämlich ein einheitlicher natürlicher Vorgang in seiner Gesamtheit gewürdigt werden muß und daß der Beurteilung alle Umstände des Falles zugrundezulegen sind, die überhaupt als geeignet angesehen werden können, bei der Urteilsfindung Berücksichtigung zu finden. Dies erscheint in dem gegenwärtigen Fall um so mehr notwendig, als gegen den Angeklagten Frank der Vorwurf erhoben wird, er habe auf lange Sicht eine Politik der Unterdrückung, der Ausbeutung und der Germanisierung getrieben.

Meine Herren Richter! Wenn der Angeklagte Frank sich tatsächlich mit derartigen Absichten getragen hätte, dann hätte er dieses Ziel sicher einfacher erreichen können. Es wäre nicht notwendig gewesen, jährlich viele hundert Verordnungen zu erlassen; Verordnungen, wie sie zum Beispiel allein für das Jahr 1940 den Umfang eines Bandes erreichten, wie ich ihn hier in Händen halte. Der Angeklagte Frank hat vom ersten Tag seiner Verwaltung an die gesamten Wirtschaftskräfte des ihm unterstellten Gebietes zusammengefaßt und insbesondere eine Wirtschaftspolitik betrieben, die man nur als Aufbaupolitik bezeichnen kann. Er hat das sicher auch getan, um die Produktionskapazität des in einem Kampf um Leben und Tod sich befindenden deutschen Volkes zu stärken. Es kann aber ebenso keine Frage sein, daß die Erfolge dieser Maßnahmen auch dem polnischen und ukrainischen Volk zugute gekommen sind. Ich habe nicht die Absicht, im einzelnen auf diese Tatsache einzugehen. Ich bitte nur das Gericht, auch bei dieser Gelegenheit Kenntnis von dem Rechenschaftsbericht zu nehmen, den der Chef der Regierung anläßlich des vierjährigen Bestehens des Generalgouvernements am 26. Oktober 1943 erstattet hat.

Ich habe diesen Rechenschaftsbericht, der sich auf die Berichte der Ministerien stützte, in die von mir im Beweisverfahren vorgelegten Dokumentenbücher aufgenommen. Er befindet sich in Band IV, Seite 42. Dieser Bericht gibt eine gedrängte zusammenfassende Darstellung der Maßnahmen und der Erfolge der Verwaltungstätigkeit des Angeklagten in diesen vier Jahren, und zwar auf allen Gebieten der gewerblichen Wirtschaft, der Landwirtschaft, des Handels und des Verkehrs, der Finanzen, des Kreditwesens, der öffentlichen Gesundheitspflege und so weiter. Nur bei Berücksichtigung aller dieser Tatsachen ist es möglich, zu einer einigermaßen zutreffenden Beurteilung des gesamten Sachverhalts zu kommen. Nur am Rande sei erwähnt, daß es der Verwaltung des Angeklagten gelungen ist, die Seuchengefahr, insbesondere Fleckfieber und Typhus, in einem Umfang zurückzudrängen, wie es in den Jahrzehnten vorher in diesem Gebiet nicht möglich war.

Wenn vieles von dem, was unter der Leitung des Angeklagten Frank im Generalgouvernement geschaffen wurde, bei den folgenden Kampfhandlungen wieder zugrunde gegangen ist, so kann daraus jedenfalls der allgemeinen Verwaltung, die mit den militärischen Maßnahmen nichts zu tun hatte, kein Vorwurf gemacht werden.

Meine Herren Richter! Es soll selbstverständlich auch von mir nicht bestritten werden, daß in dem als Generalgouvernement bekannten Gebiet während des vergangenen Krieges ungeheuere Verbrechen begangen wurden. Konzentrationslager waren errichtet worden, in denen die Menschen massenweise vernichtet wurden. Geiseln wurden erschossen. Enteignungen fanden statt und so weiter. Der Angeklagte Frank ist der letzte, der das bestreiten wollte; hat er doch selbst einen fünfjährigen Kampf gegen alle Gewaltmaßnahmen geführt. Die Anklage hat als Beweisstück US- 610 (437-PS) ein Memorandum vorgelegt, das Frank am 19. Juni 1943 an den Führer gerichtet hatte. In diesem Memorandum hat er auf Seite 11 in neun Punkten scharf alle die Mißstände verurteilt, die infolge der Gewaltmaßnahmen der Sicherheitspolizei und des Sicherheitsdienstes und der Übergriffe verschiedener Reichsdienststellen sich ergeben hatten und die abzustellen alle seine bisherigen Anstrengungen vergeblich waren. Diese neun Punkte sind im wesentlichen auch die Anklagepunkte, die gegen Frank vor diesem Tribunal erhoben werden. Es ergibt sich aber aus dem Inhalt dieses Memorandums vom 19. Juni 1943 eindeutig, daß der Angeklagte die Verantwortung für diese Mißstände bestreitet. Aus diesem Bericht ergibt sich vielmehr völlig klar, daß für die dort geschilderten Mißstände weder der Angeklagte noch die allgemeine Verwaltung des Generalgouvernements verantwortlich gemacht werden können, sondern nur die bereits oben gekennzeichneten Institutionen, insbesondere aber die Sicherheitspolizei und der SD beziehungsweise der Höhere SS- und Polizeiführer. Hätte der Angeklagte Frank die Machtmittel gehabt, die von ihm verurteilten Mißstände abzuschaffen, dann hätte es nicht erst dieses Memorandums an Hitler bedurft. Er hätte dann selbst alles Erforderliche veranlassen können. Die Beweisaufnahme hat jedoch darüber hinaus ergeben, daß diese Denkschrift vom 19. Juni 1943 nicht die einzige war, die in dieser Angelegenheit an den Führer gerichtet wurde. Auf Grund der Bekundungen der Zeugen Dr. Lammers und Dr. Bühler und der eigenen Erklärungen des Angeklagten im Zeugenstand steht fest, daß letzterer, beginnend mit dem Jahre 1940, ununterbrochen in regelmäßigen Abständen von einigen Monaten sich mit Beschwerden und Denkschriften sowohl an Hitler persönlich als auch an den Chef der Reichskanzlei gewandt hat. Gegenstand dieser Beschwerdeschriften waren immer wieder die Gewaltmaßnahmen und Übergriffe des Höheren SS- und Polizeiführers und der Sicherheitspolizei einschließlich des SD. Allein alle diese Beschwerden hatten keinen Erfolg.

Darüber hinaus hat, wie ebenfalls auf Grund des Ergebnisses der Beweisaufnahme gesagt werden kann, der Angeklagte Frank bei Hitler laufend Vorschläge über eine Verbesserung des Verhältnisses zwischen der Verwaltung des Generalgouvernements und der Bevölkerung gemacht. Auch die Denkschrift vom 19. Juni 1943 ist in die Form eines umfassenden politischen Programms gekleidet. Es enthält übrigens im wesentlichen auch alle Beschwerdepunkte der Denkschrift, die der Leiter des ukrainischen Hauptausschusses im Februar 1943 dem Generalgouverneur auf dessen Wunsch überreicht hat und die von der Anklage als Beweisstück US-178 (1526-PS) vorgelegt wurde. Auch diese Vorschläge wurden durchwegs von Hitler abgelehnt.

Unter diesen Umständen muß man fragen, was der Angeklagte Frank sonst noch hätte tun können. Selbstverständlich hätte er zurücktreten sollen. Allein auch das hat er getan. Er hat nicht weniger als vierzehnmal seinen Rücktritt erklärt, und zwar zum erstenmal bereits im Jahre 1939. Dieser Rücktritt wurde von Hitler ebensooft nicht angenommen, als er erklärt worden ist. Der Angeklagte Frank hat ein weiteres getan: Er wandte sich an den Feldmarschall Keitel, um als Leutnant wieder in die Wehrmacht eintreten zu können. Das war im Jahre 1942. Auch die Erfüllung dieses Wunsches wurde von Hitler verweigert. Im Hinblick auf diese Tatsachen ist nur noch der Schluß möglich, daß Hitler in dem Angeklagten Frank einen Mann sah, hinter dessen Rücken er mit Hilfe Himmlers und der Organe der Sicherheitspolizei und des SD die Maßnahmen durchführen konnte, die er für die Erreichung seiner machtpolitischen Ziele für notwendig erachtete.

Meine Herren Richter! Als es immer offensichtlicher wurde, daß Hitler und der Reichsführer-SS Himmler im Begriffe standen, die letzten Reste des Rechtsstaates zu beseitigen, und als immer klarer in die Erscheinung trat, daß die Macht der Polizei keine Grenzen mehr kannte und die Entwicklung zum reinen Polizeistaat immer offener zutage trat, da sprang der Angeklagte Frank vor und wandte sich in vier großen Reden an die deutsche Öffentlichkeit mit einem letzten Appell zur Idee des Rechtsstaates. Er tat dies, als Hitler auf dem Höhepunkt seiner Macht stand. Er richtete diesen Appell an die deutsche Öffentlichkeit zu einer Zeit, als die deutschen Armeen auf Stalingrad und in den Kaukasus marschierten und die deutschen Panzerarmeen in Afrika bei El Alamein, 100 Kilometer vor Alexandria, standen. Ich habe im Beweisverfahren einige Auszüge dieser großen Reden, die der Angeklagte Frank in Berlin, in Heidelberg, in Wien und in München gehalten hat, verlesen. Diese Reden enthielten eine deutliche Absage an jede Form des Polizeistaates und ein Bekenntnis zum Rechtsstaat, zur Unabhängigkeit des Richters und zur Idee des Rechts an sich. Der Widerhall, den diese Reden in den Kreisen der Rechtswahrer gefunden haben, war ungeheuer. Leider hat sich dieser Widerhall nicht auf einen größeren Kreis erstreckt, und er fand insbesondere kein Echo bei den Männern, die allein die Machtmittel besessen hätten, um dem drohenden Verhängnis Einhalt zu gebieten.

Die Folgen dieses Versuches, den Untergang der Idee des Rechtsstaates in einer letzten großen Anstrengung abzuwenden, sind bekannt. Der Angeklagte Frank wurde seiner sämtlichen Parteiämter enthoben. Er wurde als Präsident der Akademie für Deutsches Recht abgesetzt. Die Leitung des Nationalsozialistischen Rechtswahrerbundes wurde in die Hände des Reichsjustizministers Thierack gelegt. Gegen Frank selbst wurde von Hitler ein Redeverbot erlassen. Obwohl der Angeklagte Frank auch bei dieser Gelegenheit seinen Rücktritt als Generalgouverneur erklärte, hat Hitler auch dieses Rücktrittsgesuch, wie alle übrigen, abgelehnt. Als Begründung wurde in einem Schreiben des Reichsministers und Chefs der Reichskanzlei dem Angeklagten mitgeteilt, daß außenpolitische Erwägungen den Führer veranlaßt hätten, auch diesem neuerlichen Rücktrittgesuch nicht stattzugeben. Nach allem, was in diesem Verfahren im Rahmen der Beweisaufnahme festgestellt wurde, kann mit Sicherheit gesagt werden, daß nicht nur und wahrscheinlich nicht einmal in erster Linie derartige Erwägungen Hitler veranlaßt haben, den Rücktritt Franks nicht anzunehmen.

Entscheidend bei diesem Entschluß war vielmehr offensichtlich die Überlegung, daß es zweckmäßiger sei, die Sicherheitspolizei und die übrigen Organe des Reichsführer-SS Himmler nicht offen den ihnen erteilten Auftrag erfüllen zu lassen, sondern auch weiterhin im stillen und unter Aufrechterhaltung einer zivilen und unter dem Generalgouverneur stehenden allgemeinen Verwaltung.

Selbstverständlich konnte dieser offene Bruch zwischen dem Angeklagten Frank auf der einen Seite und Hitler und den Vertretern des staatspolizeilichen Systems, repräsentiert durch den Reichsführer-SS Himmler und den Höheren SS- und Polizeiführer Ost auf der anderen Seite, nicht ohne Rückwirkung auf die Stellung des Angeklagten in seiner Eigenschaft als Generalgouverneur sein. In noch höherem Maße als früher begannen nunmehr die verschiedensten Reichsstellen in die Verwaltung des Generalgouvernements hineinzuregieren. Vor allem aber war es seit dem Sommer 1942 völlig klar, daß sich nunmehr der Höhere SS- und Polizeiführer und die von ihm geleiteten Organe der Sicherheitspolizei und des Sicherheitsdienstes um irgendwelche Weisungen des Generalgouverneurs und der allgemeinen Verwaltung überhaupt nicht mehr kümmerten.

Sowohl im Generalgouvernement als auch im Reich selbst traten die Institutionen des Rechts immer mehr in den Hintergrund. Der Staat verwandelte sich in einen reinen Polizeistaat und die Entwicklung nahm unaufhaltsam den Lauf, den der Angeklagte Frank vorausgesehen und befürchtet hatte und dem er auch bereits am 19. November 1941 auf einer Tagung der Hauptabteilungsleiter und Reichsgruppenwalter des Nationalsozialistischen Rechtswahrerbundes mit folgenden Worten Ausdruck verliehen hatte:

»Das Recht kann man nicht zum Handelsobjekt degradieren. Man kann es nicht verkaufen. Es ist da, oder es ist nicht da. Recht ist keine Börsenware. Wenn das Recht nicht gestützt wird, dann verliert auch der Staat den moralischen Halt, dann sinkt er in den Abgrund der Nacht und des Grauens.«

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