HOME

<< Zurück
|
Vorwärts >>

[Pause von 10 Minuten.]

PROF. DR. EXNER: Diese Methoden der Isolierungen, von denen ich gerade sprach, sind deshalb interessant, weil sie oft mit einem Grundgedanken des Nationalsozialismus, dem Führerprinzip, in Konflikt kommen mußten, aber auch ihm gegenüber durchgesetzt wurden. So zum Beispiel, wenn die Zuständigkeit zweier Stellen auf dasselbe Territorium Bezug hatte, etwa die Zuständigkeit des Militärbefehlshabers und Himmlers im selben besetzten Gebiet. Was der eine befahl, ging den anderen nichts an, obgleich die Ausführung des Befehls in die Ordnung eingreifen mußte, für die der andere verantwortlich war. So war der Militärbefehlshaber keineswegs Herr in seinem Gebiet. Ähnlich übrigens in der Zivilverwaltung: Das Nebeneinander von Landrat als Staatsfunktionär und Kreisleiter als Parteifunktionär; Statthalter einerseits und Gauleiter andererseits – überall ein Dualismus der Machtverhältnisse und dadurch eine Zersplitterung der Macht. Darin liegt die Methode: Sie verhütet ein Übermächtigwerden unterer Organe und sichert die Macht der obersten Führung. Zugespitzt kann man sagen, das Führerprinzip war nur im Führer verwirklicht.

Wie steht es nun mit der Zuständigkeit Jodls innerhalb dieses ganzen Getriebes? Er war Chef des Wehrmachtführungsstabes, dieser war ein Amt des OKW, das Keitel unterstand. Jodls Hauptaufgabe war, wie der Name des Amtes sagt, den Obersten Befehlshaber bei der operativen Führung der Wehrmacht zu unterstützen. Er war Berater des Führers in allen operativen Fragen, in gewissem Sinn Generalstabschef der Wehrmacht. Die Aufgabe dieses Generalstabschefs ist in allen Ländern, die diese Einrichtung kennen, nicht eine befehlende, sondern eine beratende, helfende und ausführende. Schon daraus geht hervor, daß Jodls Stellung im Lauf des Prozesses mehrfach mißverstanden worden ist.

Erstens: Er war nicht Stabschef Keitels, sondern er war Chef des wichtigsten Amtes des OKW, hatte aber mit den übrigen Ämtern und Abteilungen des OKW nichts zu tun.

Nun werde ich etwas einführen, das abweicht von meinem Manuskript. Er war auch nicht Stellvertreter Keitels. Keitel wurde in Berlin durch den ältesten Amtschef vertreten, das war Admiral Canaris. Im Führerhauptquartier befand sich nur der Wehrmachtführungsstab, für den Jodl dem Führer direkt Vortrag hielt. Mit den anderen Ämtern des OKW hatte er nichts zu tun.

Zweitens: Falsch ist ferner, wenn Jodl in der Anklage als Befehlshaber dieses oder jenes Feldzuges bezeichnet wird. Er hatte keine Befehlsgewalt, geschweige denn, daß er ein Heerführer war.

Drittens: Falsch ist auch, wenn wiederholt gesagt wurde, Warlimont sei bei der Sitzung vom 23. Mai 1939 als Jodls »Vertreter« oder als sein Gehilfe anwesend gewesen. Warlimont war damals im OKW, Jodl war im Oktober 1938 aus dem OKW ausgeschieden und hatte im Mai 1939 mit Warlimont nichts mehr zu tun.

Was folgt nun aus allem für die Verantwortlichkeit Jodls für die wirklichen oder angeblichen Angriffskriege?

Im allgemeinen kann man nur verantwortlich gemacht werden für das, was man schuldhaft tut, obgleich man es unterlassen sollte, und für das, was man schuldhaft unterläßt, obgleich man es tun sollte. Was ein Offizier oder ein Beamter zu tun und zu unterlassen hat, ist eine Frage seiner Zuständigkeit. Hier also bekommt das Problem der Zuständigkeit seine Bedeutung für uns. Sehen wir näher zu: Man wirft Jodl vor, daß er gewisse Kriege geplant und vorbereitet hat, die völkerrechtswidrig waren. Dieser Vorwurf ist nur dann berechtigt, wenn es zu seiner Zuständigkeit gehörte, vor Ausführung seiner Aufgabe die Rechtmäßigkeit des eventuell zu unternehmenden Krieges zu prüfen und seine Mitarbeit von dieser Entscheidung abhängig zu machen.

Das ist auf das schärfste zu bestreiten. Das »Ob« des Krieges ist eine politische Frage und geht den Politiker an. Nur das »Wie« des Krieges ist die Frage, die das Militär betrifft. Das Militär kann geltend machen, daß der Krieg bei der Stärke des Gegners zu riskant, daß er bei der derzeitigen Jahreszeit nicht durchführbar ist; die endgültige Entscheidung ist aber eine politische.

Ich könnte mir allerdings vorstellen, daß der Chef des Wehrmachtführungsstabes – wenigstens moralisch – mitschuldig würde an einem Angriffskrieg, wenn er an der entscheidenden Stelle zum Krieg gehetzt oder unter Hinweis auf eigene militärische Überlegenheit der politischen Führung den Rat gibt, den Augenblick zu nützen, um weitgespannte Eroberungspläne auszuführen. In solchen Fällen konnte man ihn mitschuldig nennen, weil er über seine militärische Aufgabe hinaus eingreift in die Politik und die kriegerische Entscheidung provoziert. Aber wenn er eventuell, das heißt für den Fall, daß die politische Führung sich für den Krieg entscheidet, den Kriegsplan entwirft und dann ausführt, tut er nichts anderes als seine selbstverständliche Pflicht.

Man bedenke die außerordentlichen Konsequenzen, die sich bei einer gegenteiligen Auffassung ergeben: Die zuständige Stelle erklärt den Krieg, und der Generalstabschef, der ihn für völkerrechtswidrig betrachtet, macht nicht mit. Oder der Generalstabschef ist glücklicherweise derselben Anschauung wie das Oberhaupt, aber einer der Armeeführer hat Bedenken und weigert sich zu marschieren, der andere zweifelt und muß es sich erst überlegen. Läßt sich da überhaupt ein Krieg führen, sei es ein Verteidigungskrieg oder ein Angriffskrieg?

Solch eine Rechtsauffassung käme für die Zukunft zu Ergebnissen, die gar nicht zu verantworten wären. Der Sicherheitsausschuß der Alliierten Nationen hat die Aufstellung einer Weltpolizei beschlossen, welche die Aufgabe hat, den Weltfrieden gegen Aggressionen zu schützen. Und auch ein Weltgeneralstab ist in Erwägung gezogen, der diesen Exekutionskrieg zu planen und zu führen hätte. Nun stelle man sich vor: Der Sicherheitsausschuß beschließt einen Exekutionskrieg, und der Generalstabschef erwidert, nach seiner Anschauung liege keine Aggression vor. Würde da nicht die ganze Sicherheitsapparatur von der subjektiven Anschauung einer einzelnen noch dazu unpolitischen Persönlichkeit abhängen, das heißt überhaupt illusorisch werden?

Nur nebenbei sei noch bemerkt: Dränge diese Anschauung durch, welcher tüchtige Mann würde sich noch entschließen, den Offiziersberuf zu ergreifen, wenn er bei Erreichung einer hohen Stelle riskieren müßte, im Falle der Niederlage wegen Verbrechens gegen den Frieden vor ein Gericht gestellt zu werden? Übrigens ist es schon aus rein tatsächlichen Gründen abwegig, einem General die Verpflichtung aufzuerlegen, die Rechtmäßigkeit eines Krieges zu prüfen. Ob der von ihm anzugreifende Staat seine Neutralität gebrochen hat oder ob er mit einem Angriff droht oder nicht, das wird der General nur selten zu beurteilen in der Lage sein. Und ferner: Der Begriff des Angriffs- und rechtswidrigen Krieges ist, wie Professor Jahrreiss geschildert hat, unter, den Praktikern und Theoretikern des Völkerrechts noch völlig ungeklärt und bestritten. Und da soll nun ein General, der fernab steht von allen diesen Erwägungen, eine rechtliche Prüfungspflicht für sich anerkennen?

Aber selbst wenn er den Krieg als rechtswidrig erkannt hätte, bedenke man die geradezu tragische Lage, in der sich dieser General befindet. Auf der einen Seite seine selbstverständliche Pflicht dem eigenen Staat gegenüber, von ihm als Soldat besonders beschworen, auf der anderen Seite diese Pflicht, keinen Angriffskrieg zu unterstützen, eine Pflicht, die ihn zu Hochverrat, Fahnenflucht und Eidbruch zwingt. Er muß in der einen oder anderen Weise zum Märtyrer werden.

In Wahrheit liegen die Dinge so: Solange es nicht eine überstaatliche Autorität gibt, die unparteiisch feststellt, ob im konkreten Fall eine derartige Verpflichtung für den einzelnen besteht, solange es nicht eine überstaatliche Macht gibt, die den, der diese Pflicht befolgt, vor Bestrafung gegen Hochverrat und Fahnenflucht schützt, kann ein Offizier für Friedensbruch strafrechtlich nicht verantwortlich sein. Unter allen Umständen muß hier auf einen Widerspruch verwiesen werden: Auf der einen Seite wirft die Anklage den Generalen vor, daß sie nicht reine Soldaten, sondern auch Politiker gewesen sind, auf der anderen Seite verlangt sie von ihnen, daß sie gegen die politische Führung demonstrieren, deren Beschlüsse sabotieren, kurz – daß sie nicht reine Soldaten, sondern Politiker sein sollten.

Die Ankläger anerkennen dies übrigens bis zu einem gewissen Grade. Sie sagen, man wolle die Generale nicht bestrafen, weil sie den Krieg geführt hätten, das sei nun einmal ihre Aufgabe, sondern man werfe ihnen vor, daß sie den Krieg herbeigeführt hätten.

Und das zweite Argument, das öfters wiederkehrt: Ohne die Generale als Helfer hätte Hitler die Kriege nicht führen können, und das mache sie mitverantwortlich.

Diese Argumentation widerspricht sich. Denn die Hilfe, welche die Generale Hitlers leisteten, bestand ja gerade im Planen und Durchführen der militärischen Operationen, also in dem Führen des Krieges, was ihnen auch nach Ansicht der Ankläger strafrechtlich nicht vorgeworfen werden kann.

Sehen wir näher zu: Jodl soll Kriege herbeigeführt haben. Daß er an der Entfesselung des Polenfeldzuges völlig unbeteiligt war, ist ausreichend bewiesen. Und dieser Feldzug war es ja gerade, der alles weitere mit strategischer Notwendigkeit nach sich zog.

Übrigens braucht man gar nicht die Vorgeschichte der einzelnen Kriege zu untersuchen, um nach allem, was wir jetzt wissen, sagen zu können: In jener Behauptung liegt eine ungeheuere Überschätzung der Macht Jodls im Hitler-Staat.

Der Entschluß zum Krieg war seinem Einfluß entzogen. Ratschläge der Generale wurden gerade in diesem Punkt nicht gehört. Höchstens rein militärische Erwägungen konnten angebracht werden. Und der norwegische Feldzug war der einzige unter all diesen Feldzügen, der von einem Militär dem Führer als strategische Notwendigkeit angeraten wurde. Das war aber nicht Jodl. Was ihn betrifft, wäre die Behauptung, er habe Kriege herbeigeführt, durch nichts begründet. Man zeige das Protokoll, man zeige die Vertragsnotiz oder ein sonstiges Dokument, nach welchem Jodl irgendwann einmal zum Kriege gehetzt oder auch nur den Kriegsbeschluß anempfohlen hätte. Da wird nun seine Gauleiterrede gegen ihn ins Feld geführt. Jodl zeigt darin, rückwärtsblickend, wie sich die Ereignisse auseinander entwickelt haben. So zum Beispiel, wie durch den Anschluß Österreichs das Vorgehen gegen die Tschechoslowakei erleichtert wurde, durch die Besetzung der Tschechoslowakei die Aktion gegen Polen. Allein ist es eine schlechte Psychologie, daraus zu schließen, es habe deshalb von vornherein ein Gesamtplan für all dies bestanden. Wenn ich mir ein Buch kaufe und durch seine Lektüre aufmerksam werde auf ein anderes und nun auch dieses Buch kaufe, folgt daraus, daß ich beim ersten Ankauf schon die Absicht hatte, auch das zweite zu erwerben? Falls Hitler von Anfang an weitgespannte Pläne gehabt haben sollte, Jodl hat sie nicht gekannt, geschweige gebilligt. Sein rein defensiver Aufmarschplan von 1938 ist allein schon ein Beweis dafür.

Freilich hat er jedesmal, wenn der Feldzug beschlossen war, das Seinige getan, um ihn erfolgreich durchzuführen. Diese unterstützende Tätigkeit ist es nun, was das zweite der früher genannten Argumente im Auge hat.

Und es ist wahr: Ohne seine Generale hätte Hitler die Kriege nicht führen können. Doch nur ein Laie kann darauf eine Verantwortlichkeit aufbauen. Wenn die Generale ihre Arbeit nicht tun, gibt es keinen Krieg, aber man muß hinzufügen, wenn der Infanterist nicht marschiert, wenn sein Gewehr nicht losgeht, wenn er nichts zum Anziehen und Essen hat, so gibt es auch keinen Krieg. Ist darum der Soldat, der Büchsenmacher, der Schuster, der Bauer, mitschuldig am Kriege? Dem Argument liegt eine Verwechslung zugrunde von Verschuldung und Verursachung. All diese Personen und noch viele andere haben wirksam mitgeholfen an der Kriegführung. Aber kann man ihnen darum eine Schuld anrechnen? Ist Henry Ford mitschuldig an den Tausenden von Unfällen, die seine Wagen jährlich verursachten? Mit der Bejahung der Verursachung ist eben die Frage des Verschuldens noch nicht beantwortet. Die Anklage unterläßt es sogar, sie auch nur zu stellen.

Über die Frage der Schuld wird noch später zu sprechen sein. Hier sei nur folgendes vorweggenommen: Eine schuldhafte Teilnahme am Planen und Führen eines Angriffskrieges setzt zweierlei voraus:

Erstens, daß der Täter gewußt hat, daß dieser Krieg ein rechtswidriger Angriffskrieg ist,

zweitens, daß er auf Grund dieses Wissens verpflichtet war, von einer Mithilfe abzusehen.

Das letztere berührt sich mit dem schon Gesagten: Jodl war kraft seiner Stellung verpflichtet, Pläne zu entwerfen. Ob sie benutzt wurden oder unbenutzt blieben, hing nicht von ihm ab. Charakteristisch ist, daß Jodl eine ganze Reihe von Aufmarschplänen entworfen hat, die nie zur Ausführung gekommen sind. Alle Generalstabsarbeiten sind eben nur für einen Eventualfall verfaßt, für den Fall, daß die politische Führung »auf den Knopf drücken sollte«. Oft hat sie es getan, oft nicht.

Das war nicht mehr Sache des Generalstabsoffiziers.

Die andere Voraussetzung des Schuldvorwurfs ist, daß der Täter den Krieg als Angriffskrieg erkennt. Es handelt sich also darum, wie die Dinge sich in seinen Augen darstellen. Wie sie wirklich waren, das interessiert den Historiker. Für den Strafrechtler ist die entscheidende Frage: Welche Meldungen lagen Jodl über das Verhalten des Gegners vor? War diesen Meldungen zu entnehmen, daß der Gegner seiner Neutralität entgegenhandelte, daß er einen Angriff auf uns vorbereitete, et cetera, et cetera?

Nicht, ob die Meldungen wahr gewesen sind, sondern ob sie von Jodl für wahr gehalten wurden, ist das Maßgebende. Ich muß dies unterstreichen, weil hier gelegentlich gesagt wurde: »Ob ein Angriffskrieg vorlag, entscheidet das Gericht.«

Das ist selbstverständlich richtig, denn wenn das Gericht den Angriffskrieg verneint, scheidet eine Verurteilung wegen Angriffskrieg von vornherein aus. Wenn aber das Gericht annimmt, der Krieg sei tatsächlich rechtswidrig entfesselt worden, so ist irgendwessen Schuld damit noch nicht bejaht. Wer eine fremde Uhr wegnimmt im Glauben, sie sei seine eigene, ist kein Dieb. Es fehlt ihm die Schuld, denn wenn es wirklich seine eigene gewesen wäre, so wäre er nicht zu bestrafen. Wenn also Jodl Tatsachen für gegeben angenommen hat, die – wenn sie wahr gewesen wären – den Krieg zu einem rechtlich zulässigen Krieg gemacht hätten, so entfällt eine Verurteilung wegen Verbrechens gegen den Frieden.

Nun haben die Ankläger wiederholt an die Generale die ironische Frage gestellt, wie es sich mit dem Ehrenkodex des Offiziers vereinbare, Hilfe zu leisten bei einem Kriege, den sie als rechtswidrig erkannt hätten.

Nehmen wir an, Jodl sei überzeugt gewesen, der Krieg sei rechtswidrig und hätte aus Gewissensgründen seine Arbeit verweigert. Welcher Unterschied bestünde sodann zwischen ihm und einem Soldaten, der in der Schlacht sein Gewehr wegwirft und sich zurückzieht? Beide wären wegen Gehorsamsverweigerung im Kriege des Todes schuldig. Zwar weiß ich, daß die Vereinigten Staaten großzügig genug sind, einem Soldaten, der aus religiösen Gründen die Waffe zu nehmen ablehnt, zu respektieren und nicht wie wir zu behandeln. Doch das gilt nur für einen religiösen Grund, nicht für einen, der aus völkerrechtlichem Bedenken den von der politischen Führung beschlossenen Krieg nicht mitmacht. Man würde ihm entgegenhalten, es sei nicht seine Sache, nicht Sache seines Gewissens, die Zulässigkeit des Krieges zu prüfen, sondern das sei Sache der zuständigen Stellen. Nach kontinentalem Recht wäre eine derartige Begründung für die Gehorsamsverweigerung von vornherein indiskutabel.

Übrigens sehe ich in jener ironischen Frage an die Generale nur den Versuch einer moralischen Herabsetzung, nicht aber einen Vorwurf, der zum Gegenstand dieses Gerichtsverfahrens gehört. Der Internationale Militärgerichtshof ist kein Ehrengericht, das über ehrenrühriges Verhalten der Beschuldigten erkennt, sondern ist ein Strafgericht, das bestimmte, nach der Charte für strafbar erklärte Handlungen, zu beurteilen hat. Die Ankläger scheinen mir das wiederholt aus den Augen gelassen zu haben.

Bevor ich zum letzten, dem elften Punkt des englischen und amerikanischen Trial-Briefes übergehe, zu den Verbrechen gegen Kriegsrecht und Menschlichkeit, muß ich einiges vorausschicken.

Zunächst sei ein Mißverständnis aufgeklärt. Die Anklage sagt, wir hätten einen totalen Krieg führen wollen und versteht dabei unter totalem Krieg einen Krieg, der mit allen Mitteln geführt wird, gleichgültig, ob rechtswidrig oder rechtmäßig, – kurz, einen Krieg unter rücksichtsloser Vergewaltigung des Kriegsrechts. Ich war nicht wenig erstaunt, als ich dies las. Wir haben allerdings in den letzten sieben Jahren genug vom totalen Krieg gesprochen, aber darunter etwas gänzlich anderes verstanden. Als »totalen Krieg« bezeichneten wir einen Krieg, der mit allen geistigen, personellen und materiellen Mitteln geführt wird, der die ganze Volkskraft mobilisiert; also Umstellung der gesamten Wirtschaft auf Kriegsbedarf, Einziehung des letzten waffenfähigen Mannes, der letzten arbeitsfähigen Frau und womöglich auch der Jugendlichen, und so weiter. Deutsche Soldaten vom Osten, die das Beispiel Rußlands kannten, spotteten, wenn wir vom »totalen Krieg« sprachen, bei uns wären ja in jeder Straße noch drei Gemüsehändler, an jeder Ecke noch Tabakläden. Das sei kein totaler Krieg, in dem so viele Arbeitskräfte für nicht-kriegerische Zwecke eingereiht seien, – in dem noch ganze Fabriken Dinge fabrizierten, die mit dem Krieg nichts zu tun hätten, und so weiter. Der Krieg müsse wirklich ein totaler Krieg sein, wenn er gewonnen werden solle. Mit Verachtung des Kriegsrechts hat das nicht das geringste zu tun. Nie habe ich das Wort, in diesem Sinne aufgefaßt, gehört.

Im englisch-amerikanischen Trial-Brief werden Jodl im ganzen drei Schriftstücke zur Last gelegt. (Sie betreffen: Kommandobefehl und Kapitulation Leningrad. Ein viertes (886-PS) ist später von der Anklagebehörde ihm gegenüber zurückgezogen worden.)

Die französischen und russischen Ankläger haben allerdings Weiteres beigefügt.

Wir müssen uns zunächst wiederum die Frage vorlegen: Worauf bezog sich Jodls Zuständigkeit als Chef des Wehrmachtführungsstabes? Jodl war, wie wir wissen, vor allem der Berater des Führers in der operativen Führung der Wehrmacht. Sein Stab hatte aber neben den Operationsabteilungen der drei Wehrmachtsteile noch andere Abteilungen. Als im Winter 1941/1942 die operativen Aufgaben sich unerhört mehrten, trat eine Arbeitsteilung zwischen dem Chef OKW und Jodl ein, wonach Jodl nur die militärischen Operationen und die Abfassung des Wehrmachtsberichtes hatte, der Chef OKW alles übrige mit der Quartiermeisterabteilung und der Organisationsabteilung des Wehrmachtführungsstabes bearbeitete. Aus alledem folgt: Jodl hatte nichts zu tun mit den Kriegsgefangenen, für die eine besondere Abteilung im OKW zuständig war, nichts zu tun mit der Verwaltung der besetzten Gebiete, daher auch nichts mit den Geiselmaßnahmen und Deportationen et cetera. Über UK-56 wird noch zu sprechen sein. Jodl hatte nichts zu tun mit polizeilichen Aufgaben im Operationsraum oder im rückwärtigen Heeresgebiet. Der Wehrmachtführungsstab hatte keine Befehlsgewalt, trotzdem gilbt es viele Befehle, welche Jodl entweder »im Auftrag« unterschrieben oder mit seinem »J« abgezeichnet hat.

Wir müssen nun diese Befehle und die Verantwortlichkeit für sie durchsprechen:

Erstens: Es sind da Befehle, die mit den Worten »Der Führer hat befohlen« beginnen und von Jodl unterschrieben sind oder auch von Keitel unterschrieben und von Jodl paraphiert. Es handelt sich hier um Befehle, die vom Führer mündlich gegeben wurden, mit dem Auftrag an Jodl, sie zu stilisieren beziehungsweise schriftlich niederzulegen. Für die Verantwortlichkeit gilt hier grundsätzlich nichts anderes als für die vom Führer unterschriebenen Befehle. Denn zur Feststellung der Verantwortlichkeit muß man die Frage stellen: Was war die Aufgabe des Beauftragten? Was zu tun war sein Recht und seine Pflicht?

Wenn der Inhalt der Anordnung in allen wesentlichen Punkten festlag, war die Aufgabe Jodls nur eine formale: Er hatte das bereits Feststehende zu formulieren, in die übliche militärische Befehlsform zu bringen, ohne an dem Inhalt etwas ändern zu dürfen. Man darf nicht übersehen, daß das Schuldhafte des Befehls nur in seinem Inhalt gelegen sein kann und daß hier gerade auf den Inhalt der Untergebene keinen Einfluß hat. Hier liegt nicht der Grund für die Straflosigkeit des Untergebenen etwa in dem Befehl des Vorgesetzten, so und so zu handeln, sondern in der mangelnden Zuständigkeit, an den gegebenen Tatsachen etwas zu ändern. Wenn die Anklage also in der Formulierung des Befehls eine strafbare Beihilfe sieht, so kann dem nicht beigepflichtet werden. Zunächst weil es eben ein Führerbefehl ist, der Recht schafft und an dem eine strafbare Beihilfe nicht möglich ist. Aber auch, wenn man dies nicht anerkennt, vielmehr auch einen Führerbefehl als rechtswidrig und strafwürdig betrachtet, kommt man doch nicht darum herum, daß es nicht Sache Jodls war, die Rechtmäßigkeit zu prüfen, sondern lediglich den Befehl richtig, das heißt dem Willen des Befehlenden entsprechend auszufertigen. Wenn er dies und nur dies getan hat, trifft ihn keine Verantwortung. Der Vorgesetzte hat hier, der Sache nach, den Befehl selbst gegeben, der Untergebene hat ihn lediglich in Worte gefaßt.

Nun freilich wird man einen Unterschied machen wollen, ob ein Schreiber den Auftrag erhält, den Befehl niederzuschreiben oder ein hoher General. Dieser wird zwar nicht die rechtliche, aber vielleicht die moralische Pflicht haben, dem Vorgesetzten gegenüber seine Bedenken zu äußern. Jodl hat dies in der Tat stets getan; es war die mindeste seiner verschiedenen Methoden, um eine Rechtswidrigkeit zu verhüten, wovon noch zu sprechen ist.

Zweitens: Ein weiterer sehr häufiger Fall ist, daß Jodl seinen Befehl »I. A.«, das heißt »Im Auftrag« unterschrieb, oder auch Befehle, die von Keitel unterschrieben waren, mit seinem »J« paraphiert hat. Wie steht es hier mit der Verantwortlichkeit? Hier werden wir zwischen militärischer und strafrechtlicher Verantwortlichkeit zu unterscheiden haben. Militärisch verantwortet den Befehl der Vorgesetzte, dessen Auftrag unterschrieben ist. Das Strafrecht legt aber auf das Verschulden den Ton, will also den wirklich Schuldigen, nicht den militärisch Verantwortlichen treffen. Da nun aber der Träger des Initials und der, welcher »Im Auftrag« unterzeichnet, meist der Verfasser des Schriftstückes ist, so kann sein, daß dieser strafrechtlich haftet, obwohl er militärisch nicht verantwortlich ist. Darum ist hier die tatsächliche Beteiligung der beiden Unterzeichner in jedem Falle festzustellen und danach über Verschulden zu entscheiden.

Drittens: Wenn Jodl seine Initiale nicht rechts unter dem letzten Wort des Schriftstückes, sondern auf der ersten Seite rechts oben hinsetzte, so bedeutet dies lediglich, daß das Schriftstück ihm zur Einsicht vorgelegt worden ist. Ob er es wirklich gelesen hat und ob er es gebilligt hat, ist damit nicht gesagt. Eine derartig gesetzte Initiale bringt daher für sich allein den Paraphierenden in keinen strafrechtlich erheblichen Zusammenhang mit dem Befehl.

Viertens: Es werden nun auch gewisse Notizen Jodls ihm zum Vorwurf gemacht, teils sogenannte »Vortragsnotizen«, teils handschriftliche Bemerkungen, die er auf Entwürfe und andere Schriftstücke gesetzt hat. Wie steht es mit der rechtlichen Bedeutung derartiger Sätze?

Es wurde schon im Fall »Grün« im Zusammenhang mit dem Vorschlag, eventuell einen Zwischenfall zu konstruieren, folgendes von mir dargelegt: Eine Vortragsnotiz enthält Erwägungen, Tatsachenmitteilungen, Meinungsäußerungen des Verfassers oder anderer Stellen und so weiter. Es ist kein Befehl, sondern die Unterlage, auf Grund derer der Vorgesetzte sich entschließen kann, ob er einen Befehl und welchen Befehl er erlassen wird. Solange solch eine Notiz bleibt, ist es ein rein interner Akt ohne jede völkerrechtliche Bedeutung und kann nie als ein Vergehen gegen die Gesetze und Gebräuche des Krieges betrachtet werden, wie das im Artikel 6 b des Statuts ausdrücklich zur Voraussetzung einer Strafe gemacht wird. Gleiches gilt von den Randbemerkungen, die so oft in den Akten des OKW zu finden sind: »Ja«, »nein«, »das geht nicht« und so weiter. Allerdings können derartige Vortragsnotizen oder Randbemerkungen auch rechtliche Bedeutung erlangen. Enthält eine Notiz einen Vorschlag, der dem Völkerrecht widerspricht und beeinflußt sie den Vorgesetzten derart, daß er einen Befehl gleichen Inhalts erläßt, so könnte das eventuell als Teilnahme an einem völkerrechtlichen Delikt betrachtet werden. Ergeht aber kein Befehl oder ein Befehl, der dem Vorschlag widerspricht, so ist dieser Vorschlag wirkungslos geblieben, eine rein interne Sache und unter allen Umständen straflos.

Ferner kann eine Notiz oder Randbemerkung ein Symptom sein für die Gesinnung des Schreibers. Es kann ihr zu entnehmen sein, daß er völkerrechtsfreundlich eingestellt ist oder auf völkerrechtliche Bedenken keinerlei Rücksichten nimmt. Das mag oft zur Beurteilung seiner Persönlichkeit eine wichtige Handhabe bieten. Aber die Gesinnung bestrafen wir nicht. Mordabsichten werfen zwar ein übles Licht auf das Subjekt, sind aber straflos. Freilich ist bei der Beurteilung derartiger Bemerkungen Vorsicht geboten: Sie sind oft salopp hingeworfen, ohne viel Überlegung, nur für den betreffenden Leser berechnet und so weiter.

Wenn wir das alles in Rücksicht ziehen, entfallen von vorneherein einige der Vorwürfe, welche die Ankläger gegen Jodl erheben:

Erstens entfällt als strafbar sein Verhalten in der Sache der Tiefflieger, 731-PS, 735-PS. Es war vorgeschlagen worden, Tiefflieger, die in wahrhaft verbrecherischer Weise die Zivilbevölkerung angreifen, wie es immer und immer wieder vorkam, der Lynchjustiz des Volkes zu überlassen. Jodl war gegen diese Idee, da sie zu einem Massenmord an allen abspringenden Fliegern führen mußte. Jodl machte in Form von Randbemerkungen Einwendungen und wieder Einwendungen. Es gelang ihm, dadurch den Befehl zu sabotieren. Die Wehrmacht hat nie einen derartigen Befehl erlassen. Das sollte Jodl zum Verdienst angerechnet werden, aber offenbar wird ihm übelgenommen, daß er nicht auch Worte moralischer Entrüstung gefunden hat, um den Vorschlag abzulehnen. Das wäre in der damaligen Lage wahrscheinlich sogar zweckwidrig gewesen. Jedenfalls liegt keine Straftat vor.

Zweitens: Der Kommissarbefehl – 884-PS. Auf diesen grausamen Befehlsentwurf, es ist nur ein Entwurf, der schon vor dem russischen Kriegsausbruch verfaßt wurde, machte Jodl die Bemerkung, er würde Vergeltungen gegen unsere Soldaten hervorrufen; man ziehe die Sache lieber als Repressalie auf, das heißt, man warte ab, wie sich die Kommissare wirklich verhalten, um dann eventuell Gegenmaßnahmen zu ergreifen. Wieder wird ihm nicht zum Verdienst angerechnet, daß er sich dagegen ausspricht, sondern vorgeworfen, wie er es tut. Rechtlich ist das bedeutungslos. Jodl ist später mit dieser Sache nicht mehr befaßt worden. Er erfuhr auch nichts über den Erfolg seiner Einwendungen.

Drittens: Genfer Konvention – D-606. Hier hat Jodl nicht nur eine Vortragsnotiz, sondern ein ausführliches Gutachten Hitler vorgelegt, weil er dessen Plan, diese Konvention zu kündigen, unter allen Umständen durchkreuzen wollte. Darin bringt er alle Gründe gegen die Kündigung vor und beruhigt dann Hitler, indem er sagt, man könne sich ja auch ohne Kündigung der Konvention über mancherlei Bestimmungen hinwegsetzen. Auch dies ist keine völkerrechtswidrige Tat, sondern zeugt höchstens von völkerrechtswidriger Gesinnung. Richtiger: Es scheint so. In Wahrheit war dies nichts als eine bewährte Taktik, Hitler von seinem schändlichen Plan abzubringen. Die Kündigung unterblieb. Wenn man Jodl die unmoralische Argumentation vorwirft, übersieht man, daß Jodl nach fünfjähriger Erfahrung besser wußte als wir, mit welchen Argumenten sein Chef zu überzeugen war.

Viertens: Befehl betreffend Leningrad – C-123.

Unter dem 7. Oktober 1941 hat Jodl dem Oberbefehlshaber des Heeres mitgeteilt – und es ist nichts als eine Mitteilung –, daß Hitler einen schon früher erlassenen Befehl wiederholt habe, wonach ein Kapitulationsangebot weder von Leningrad noch von Moskau angenommen werden dürfe. Es ist aber nie solch ein Angebot gemacht worden; der Befehl hätte daher überhaupt nie ausgeführt werden können. Die ganze Angelegenheit ist auf dem Papier stehengeblieben und begründet schon deshalb keine Völkerrechtswidrigkeit. Auch sie kann höchstens als Symptom für die Gesinnung des Urhebers gewertet werden, aber gehört nicht in eine Anklage wegen Verdachts einer strafbaren Handlung.

Zur Erklärung der Sache sei jedoch folgendes beigefügt:

Jodl legte in diesem Schreiben die unbestreitbare Zwangslage dar, die Hitler zu seinem Befehle veranlaßte:

a) ein Kapitulationsangebot würde nur scheinbar gemacht werden. Leningrad nämlich war unterminiert und würde bis zum letzten Mann verteidigt werden, wie der russische Rundfunk bereits angekündigt hatte. Die bösen Erfahrungen, die man mit den planmäßig vorbereiteten Spätzündungen in Kiew, Odessa und Charkow gemacht hatte, lehrten die deutsche Führung, wessen man sich zu versehen hatte.

b) Dazu kam die schwere Seuchengefahr, die auch bestünde, wenn wirklich kapituliert würde. Deutsche Truppen dürften schon deshalb die Stadt nicht betreten. Die Annahme einer Kapitulation war somit technisch gar nicht durchführbar.

c) Dazu kam ferner die einfache Unmöglichkeit, eine halbverhungerte städtische Millionenbevölkerung durch deutsche Truppen zusätzlich zu ernähren. Die Eisenbahngeleise waren noch nicht auf deutsche Spurweite verlegt – schon der Nachschub für die eigenen Truppen bereitete größte Sorge. Und endlich die militärische Gefahr für die deutschen Operationen, über die der Feldmarschall Leeb dem Angeklagten Keitel geklagt hatte.

Das alles zwang dazu, die Bevölkerung der Städte nicht durch die deutschen Linien nach Westen und Süden fliehen zu lassen, sondern ihr die Flucht nach Osten zu ermöglichen, ja, dieses zu begünstigen. Darum die Anordnung, im Osten Lücken in der Front zu lassen.

Außerhalb der militärischen Erwägungen stand es, daß Hitler erkennen ließ, wie er die militärisch-technische Zwangslage im Rahmen seiner Ostpläne ausnützen wollte. Das hat mit dem Befehl selbst nichts zu tun. Es kommt nur darauf an, ob er militärisch unvermeidlich war, und das war er in der Tat aus den oben erwähnten Gründen. Ob der Befehl von Jodl erneut mitgeteilt wurde oder nicht, konnte an der Lage nichts ändern.

In folgendem habe ich einzelne Kriegsverbrechen zu erörtern, die Jodl zur Last gelegt werden:

a) Der Kommandobefehl:

Zwei von Hitler Wort für Wort verfaßte und unterschriebene Befehle vom 18. Oktober 1942 haben im Prozeß eine besondere Rolle gespielt: Der sogenannte Kommandobefehl an die Truppe – 498-PS – und der dazugehörige Erläuterungsbefehl an die Befehlshaber – 503-PS.

Diese Befehle liegen nach ihrem Gegenstand außerhalb von Jodls Arbeitsbereich. Wenn Jodl mit der Angelegenheit überhaupt befaßt wurde, dann aus einem besonderen Grunde: Diese Befehle sind Ausführungsanordnungen zu einem elf Tage vorher von Hitler gegebenen, ebenfalls von ihm persönlich verfaßten und an den Wehrmachtsbericht vom 7. Oktober 1942 angefügten Befehl. Jodl hat, wie sonst, auch diesen Wehrmachtsbericht abgefaßt und darum auch den Zusatz über die Vorgeschichte des Befehls, den dann Hitler als Schlußstück an den Wehrmachtsbericht setzen ließ. Hitler hat ihn dann aufgefordert, Entwürfe für den Ausführungsbefehl auszuarbeiten. Jodl hat es nicht getan; hat auch einen Entwurf, den sein Stab aus eigenem Antrieb verfaßt hatte, Hitler nicht vorgelegt. Vielmehr ließ er Hitler – mit dem er damals in stärkster Spannung lebte – sagen, er sei außerstande, dem Verlangen nachzukommen. Darauf hat Hitler diese zwei Befehle selbst verfaßt.

Jodl wird nun zweierlei zur Last gelegt:

Er hat die von Hitler verfaßten Befehle im Geschäftsgang verteilt und hat den zweiten, den Erläuterungsbefehl, an die Kommandeure mit einer besonderen Geheimhaltungsbestimmung versehen.

Entstanden ist der Befehl aus der Erregung Hitlers über zwei Arten der Verschärfung des Krieges, die etwa gleichzeitig im Herbst 1942 auftraten. Die eine war die verhängnisvolle Wirksamkeit von hervorragend ausgerüsteten, von See her oder aus der Luft abgesetzten Sabotagetrupps; die andere war eine besondere Verwilderung der Kampfmethoden von Feinden, die einzeln oder in kleinen Gruppen tätig wurden.

Jodl hat hier im Zeugenstand geschildert, wie diese Verwilderung nach den Meldungen und Lichtbilderaufnahmen der Truppe aussahen. Die Praxis zeigte, daß die gegen alles Soldatische verstoßenden Methoden besonders bei den Sabotagetrupps angetroffen wurden. Hitler wollte nun diese unsoldatischen Methoden treffen und die für die deutsche Kriegführung so gefährliche Sabotagetätigkeit unterbinden, wußte aber freilich, daß Sabotage, ausgeführt von normalen Soldaten, völkerrechtlich nicht zu beanstanden war.

So erklärt sich dann der erste Befehl Hitlers, derjenige im Wehrmachtsbericht, ganz einfach: Gegenüber feindlichen Soldaten, die in Sabotagetrupps auftreten und sich »wie Banditen« benehmen, also sich in ihrer Kampfführung außerhalb des Soldatischen stellen, soll es keinen Pardon geben.

Die Ausführungsanordnungen hätten nun die Maßstäbe für das Soldatische präzisieren müssen. Hitlers Ausführungsanordnung hat nicht diese Präzision, hat aber im Entscheidenden überhaupt keine Präzision, und das ermöglichte es, den Befehl im Sinn des unbestreitbar berechtigten Kerngedankens anzuwenden und dort nicht anzuwenden, wo auch nur Zweifel auftreten, ob man es mit »Banditen« zu tun habe.

Jodl fand nach allem, was damals an Meldungen über feindliches Verhalten eingelaufen war, die Grundtendenz der Anordnung Hitlers im Wehrmachtsbericht verständlich und die von Hitler im Kommandobefehl vom 18. Oktober 1942 getroffenen und in gewissen Punkten unklaren Anordnungen zum Teil völkerrechtlich erlaubt, zum Teil völkerrechtlich vielleicht bedenklich. Er wisse heute so wenig wie damals genau, ob und wie weit jene Anordnungen völkerrechtswidrig gewesen seien. Sicher sei nur, daß die unpräzise Fassung des Befehls es den Befehlshabern ermöglicht hat, den Befehl nur gegenüber Menschen anzuwenden, die sich schlechthin außerhalb des Soldatischen gestellt hatten.

Jodl hat diese Anwendungsmethode erhofft und, soweit er nur konnte, gefördert, wie die Beweisaufnahme ergeben hat. Er hat nach Kräften dazu geholfen, daß die praktische Anwendung des Kommandobefehls im Rahmen dessen blieb, was zweifelsfrei zulässig war. Er hat überdies dafür gesorgt, daß in großen Territorien – Italien nämlich – die Anwendbarkeit des Befehls wegfiele, nämlich im größten Teil Italiens, sobald sich Hitler nur überhaupt eine örtliche Einschränkung abringen ließ, 551-PS.

Die Geheimhaltung wird als Zeichen für Jodls Schuldbewußtsein gedeutet. Allein diese Geheimhaltung hatte triftige Gründe anderer Art. Die Feinde durften nach Möglichkeit nicht erfahren, welche schweren Schäden ihre banditenhaft vorgehenden Sabotagetrupps anrichteten. Darum die besondere Geheimhaltungsanordnung nur im Befehl 503-PS, der über die Schäden Aufschluß gibt, während der Hauptbefehl durch den Wehrmachtsbericht aller Welt bekannt war. Jodl hat freilich auch aus einem zweiten Grund die besondere Geheimhaltung des Erläuterungsbefehls verfügt. Er wollte die Schlußbestimmung nicht verbreitet sehen, wonach gefangene Kommandoangehörige nach ihrer Vernehmung zu erschießen waren. Dies stieß ihn menschlich ab, mochte es völkerrechtlich zulässig sein oder nicht, unsoldatische Kämpfer aus dem Bereich der Genfer Konvention auszuschließen. Die Kommandeure würden, so hoffte er, Wege finden, durch eine gesunde Auslegung im Einzelfall Unmenschlichkeiten zu vermeiden. Und Unberufene sollten die Bestimmung nicht wissen.

Der Grundgedanke, über den ja die Praxis nicht hinauszugehen brauchte, entsprach dem Völkerrecht, das nur den soldatisch kämpfenden Menschen schützen will. Das ist ja die Tendenz des gesamten Kriegsrechtes, das einen ritterlichen Kampf voraussetzt. Es mußte in der Tat etwas geschehen, um den Gebrauch solcher verwilderter Methoden für die Feinde zu einem Risiko zu machen. Gegen Sabotagetrupps, die soldatisch kämpften, war gar nichts zu sagen. Die Feinde brauchten nur von jenen radikal völkerrechtswidrigen Methoden zu lassen.

Im übrigen ist zu betonen: Die Weitergabe eines Befehls begründet nicht Verantwortlichkeit für seinen Inhalt. Es ist hier ja nicht, wie in anderen Fällen, daß Jodl den Befehl angeraten oder verfaßt hätte, im Gegenteil: Er hat sich geweigert, ihn zu verfassen. Er hat ihn lediglich auftragsgemäß im normalen Geschäftsgang verteilt. Aber nicht deshalb oder besser, nicht nur deshalb, weil die Weitergabe aufgetragen war, ist er straflos, sondern weil er keinerlei Einfluß hatte auf die weiterzugebende Anordnung. Sie zu prüfen, lag außerhalb seiner Zuständigkeit, seines Rechtes. Seine Tätigkeit war eine rein technische, vom Inhalt des Schreibens unabhängig. Theoretisch war er nicht einmal verpflichtet, es zu lesen. Man nehme an, Hitler hätte nach Abfassung des Befehls irgendeinem Leutnant gesagt, er solle ihn an die Oberbefehlshaber weitertelephonieren. Hätte dann der Leutnant auch das Recht und die Pflicht, den Inhalt des Schriftstückes auf seine rechtliche Zulässigkeit zu prüfen und dann zu sagen: »Das tue ich nicht« oder »Da muß ich erst die Haager Landkriegsordnung zu Rate ziehen, ob ich das darf«? Man käme zu grotesken Konsequenzen. Und in diesem Falle ist der Generaloberst auch nichts anderes als der Bote, der ihm Übergebenes weitervermittelt. Bezeichnend ist für die militärische Auffassung der Situation, was Jodl auf meine Frage antwortete, was geschehen wäre, wenn er die Weitergabe verweigert hätte: »Da wäre ich sofort abgeführt worden – und mit Recht.«

b) Der Bandenkampf.

Was den Bandenkampf betrifft, könnte man nur in zwei Fällen gegen Jodl einen Vorwurf erheben...

GENERAL R. A. RUDENKO, HAUPTANKLÄGER FÜR DIE SOWJETUNION: Herr Vorsitzender! Der Verteidiger nennt eine patriotische Bewegung, die, wie bekannt, aus Millionen von Patrioten besteht, die aufgestanden sind, um gegen die deutschfaschistischen Eindringlinge zu kämpfen, »Banden«. Ich finde, ein solcher Ausdruck des Verteidigers muß als eine Beleidigung gegen die Partisanen angesehen werden, die ungeheuer viel dazu beigetragen haben, die Hitler-Eindringlinge zu besiegen, und ich protestiere dagegen.

VORSITZENDER: Der Einwand scheint sich auf das eine russische Wort zu beziehen, das ich natürlich selbst nicht verstehe. Aber ich glaube, es besteht kein Einwand gegen das englische Wort »Partisan«; ich weiß nicht, wie das deutsche Wort heißt. Aber mir scheint, daß der Gerichtshof dagegen nichts einzuwenden hat.

PROF. DR. EXNER: Herr Vorsitzender! Es zweifelt niemand auf unserer Seite, daß Hunderttausende oder Millionen wirklicher Patrioten unter diesen sogenannten »Banden« waren. Ich gebrauche den Ausdruck, weil er der offizielle Ausdruck der deutschen Befehle war, nämlich sie sprachen von einer »Bandenvorschrift«. Wir gebrauchen den Ausdruck »Banden« nicht in einem abfälligen Sinn des Wortes; keineswegs. Es liegt darin kein Werturteil, wenn wir von einer »Bande« sprechen, oder, es muß kein Werturteil darin liegen, wenn wir von einer »Bande« sprechen.

VORSITZENDER: Dr. Exner! Gibt es ein anderes deutsches Wort für das englische Wort »Bandit« und das englische Wort »Partisan«?

PROF. DR. EXNER: Ja, wir gebrauchen auch das Wort »Partisan«; das ist für uns ein Fremdwort, aber wir gebrauchen es auch; und dann sprechen wir von »Banden« in einem nicht notwendig abfälligen Sinn des Wortes und sprechen von »Banditen«, das sind Verbrecher.

VORSITZENDER: Warum beschränken Sie sich nicht einfach auf den Gebrauch des Wortes »Partisan«?

PROF. DR. EXNER: Ich kann ebensogut das Wort »Partisan« gebrauchen, Herr Vorsitzender. Ich habe nur von »Banden« gesprochen, weil wir eine »Bandenvorschrift« haben und das der offizielle Ausdruck ist. Aber ich habe nichts dagegen, von »Partisanen« zu sprechen.

VORSITZENDER: Wenn Sie einen Befehl zitieren, müssen Sie natürlich den Befehl mit den Worten des Befehls verlesen.

PROF. DR. EXNER: Gut. Dann der Partisanenkampf.

Der Partisanenkampf. Was diesen betrifft, könnte man nur in zwei Fällen gegen Jodl einen Vorwurf erheben:

Erstens: Wenn er zugelassen hätte, daß der Kampf ungeregelt oder »chaotisch« vor sich ginge, wie ein Zeuge behauptet hat, oder

zweitens, wenn er Kampfvorschriften zwar erlassen hätte, aber diese dem Völkerrecht widersprächen.

Keines von beiden trifft zu. Jodl war an sich für diese Angelegenheit nicht zuständig, er mußte sich aber für die Partisanen interessieren, als sie einen Umfang annahmen, der die militärischen Operationen zu stören begann. Er erließ 1942 die Bandenvorschrift, die dann 1944 durch eine zweite ersetzt wurde. Keine Rede also davon, daß für diesen Kampf keine Regeln bestanden hätten.

Auch im zweiten Punkt trifft Jodl kein Vorwurf. Obwohl Hitler gegen diese gefährlichen Gegner einen Kampf geführt wissen wollte, der von Moral und Völkerrecht wenig kannte, erließ Jodl – ohne sein Wissen – ein Merkblatt für diesen Kampf, das rechtlich nicht zu bemängeln ist. Er ging so weit, Partisanen in Zivil als Kriegsgefangene behandeln zu lassen und das Niederbrennen von Dörfern nur auf Befehl eines Divisionskommandeurs zu gestatten, was Verstöße gegen Artikel 50 der Haager Landkriegsordnung verhüten sollte und konnte. Ich verweise auf Dokument F-665 in meinem Dokumentenbuch Band II, Jo-44.

Nicht aber kann man Jodl zum Vorwurf machen, wenn der Kampf gegen die Partisanen trotzdem übel ausartete. Es ist nicht Sache des Chefs des Wehrmachtführungsstabes, auf vier Kriegsschauplätzen die Einhaltung seiner Vorschriften zu beaufsichtigen.

c) Das Niederbrennen von Häusern in Norwegen – 754-PS. Im Kreuzverhör hat die Anklagebehörde Jodl vorgeworfen, er habe die Zerstörung norwegischer Dörfer anbefohlen. Gemeint ist das Fernschreiben vom 28. Oktober 1944 an das Gebirgs-Armeeoberkommando 20. Die Anklage verkennt die Rolle, die Jodl dabei zugefallen ist.

Die militärische Lage war damals so: Die Deutschen zogen sich zurück auf die noch nicht fertig ausgebaute Lyngenstellung. Und es bestand die Gefahr, daß die Rote Armee noch im Winter folgen und damit die viel schwächeren deutschen Verbände vernichten würde, wenn sie beim Vormarsch auf der einzigen zu dieser Jahreszeit benutzbaren Reichsstraße 50 die Wohnstätten und die ortskundige Bevölkerung vorfand. Ohne diese Unterkünfte und ohne diese Unterstützung durch die Bevölkerung war der russische Vormarsch unmöglich. Der Abtransport der Bevölkerung und die Vernichtung der Wohnstätten würden die Gefahr bannen und überdies einen Partisanenkrieg gegen die deutschen Truppen unmöglich machen. Der Abtransport der Bevölkerung war aber auch nötig im Interesse der Bevölkerung selbst.

In dieser Lage nun hat Hitler auf die Vorschläge nicht der Soldaten, sondern des Reichskommissars für die besetzten norwegischen Gebiete den Befehl erlassen, den Jodl im Auftrag dem Gebirgs-Armeeoberkommando 20 mit allen militärischen und moralischen Erwägungen Hitlers geschäftsordnungsmäßig mitgeteilt hat. Man hört ordentlich Hitlers radikale Sprache. Jodl, der durch ein Telephongespräch mit dem Stabe des Generals Rendulic wußte, daß die Gebirgstruppen einen so weitgehenden Befehl militärisch nicht brauchten und infolgedessen nicht wollten, war gegen den Befehl und suchte, als er ihn nicht verhindern konnte, nach einem Weg, der praktisch zum richtigen Ergebnis führte. Er wollte, daß der Befehl nur im Rahmen des militärisch unumgänglich Notwendigen und nach der Haager Landkriegsordnung Erlaubten von der Truppe ausgeführt würde, Artikel 23g Haager Landkriegsordnung. Er wußte, daß sein Bruder, der im Norden den Befehl hatte, genau wie er dachte, er kannte überhaupt den soldatischen Geist der Gebirgstruppen und wußte gerade in diesem Fall im voraus, daß dieser Befehl den Truppen zu weit ging. Damit er von vorneherein bei allen Stellen richtig verstanden würde, machte er am Eingang des Fernschreibens nicht nur klar, daß ein »Führerbefehl« vorlag – der zweite Absatz gebraucht das Wort ausdrücklich –, sondern ließ die Soldaten erkennen, daß der Führer auf Vorschlag des Reichskommissars, nicht der Soldaten, den Befehl erlassen hat. Sie wußten nun Bescheid und sind danach verfahren. Keine militärisch ungerechtfertigte Zerstörung ist vorgekommen. So sind unter anderem die drei Städte Kirkenes, Hammerfest und Alta unzerstört geblieben. Bei wörtlicher Anwendung des Befehls hätten sie zerstört werden müssen.

d) Die. Deportation der Juden aus Dänemark – UK-56.

Die Anklage will Jodl verantwortlich machen für die Deportation der Juden aus Dänemark. Sie stützt sich dabei auf ein Fernschreiben, das Jodl im Auftrag an den Befehlshaber der deutschen Truppen in Dänemark geschickt hat. Dieser Vorwurf der Anklage ist besonders schwer zu begreifen. Denn aus den verschiedenen von der Anklagebehörde vorgelegten Urkunden ergibt sich eindeutig, daß die Deportation der Juden aus Dänemark auf eine Anregung des Dr. Best, also auf eine Anregung der zivilen Behörde und gegen die Bedenken des Befehlshabers der deutschen Truppen von Hitler beschlossen und dem Reichsführer-SS übertragen worden ist. Das OKW hat mit der ganzen Angelegenheit überhaupt nur deshalb zu tun bekommen, weil damals in Dänemark der militärische Ausnahmezustand verhängt war und der Befehlshaber der deutschen Truppen, also als oberste Vollzugsbehörde im Lande, von seiner vorgesetzten Stelle über die von Hitler befohlene und an Himmler übertragene Aktion informiert sein mußte, um Reibungen zwischen den deutschen Stellen in Dänemark zu verhüten.

Am 20. September 1943 hatten Keitel und Jodl durch ein Fernschreiben des deutschen Befehlshabers die erste Kunde von den zwischen Hitler, dem Auswärtigen Amt und Himmler gepflogenen Erörterungen erhalten. Jodl hatte nur den einen Wunsch, die Wehrmacht aus der Sache herauszuhalten. Sein temperamentvoller Vermerk auf dem Fernschreiben des Generals von Hanneken vom 3. Oktober 1943 – D-647 – zeigt das auch. Er schrieb da: »Ist für uns auch ganz gleichgültig« – nämlich, ob der Reichsführer-SS die Anzahl der verhafteten Juden bekanntgibt oder nicht. Das zeigt nur zu gut: mit moralischen Erwägungen hat das überhaupt nichts zu tun, weder positiv noch negativ.

Die Wehrmacht ging die ganze Sache nichts an. Nun aber konnten aus der Aktion Himmlers Schwierigkeiten erwachsen, weil ja die Wehrmacht für Ruhe und Ordnung in Dänemark verantwortlich war. Solchen Schwierigkeiten mußte vorgebeugt werden. An der von Hitler in dieser polizeilichen Angelegenheit getroffenen Entscheidung konnte die Wehrmacht nichts ändern und hätte sie nichts ändern können, auch dann nicht, wenn sie für die Sache überhaupt zuständig gewesen wäre.

Mit dem Fernschreiben UK-56 unterrichtete Jodl lediglich den Befehlshaber von der Entscheidung, die Hitler auf dem polizeilichen Gebiet getroffen hatte. Und der Reichsführer-SS, das Auswärtige Amt und der Befehlshaber des Ersatzheeres wurden von Jodl gleichzeitig benachrichtigt, daß er den Befehlshaber in Dänemark informiert habe. Nun war klare Linie, Reibungen zwischen deutschen Stellen ausgeschlossen, und nur darauf hatte das OKW zu sehen. Man kann nun nicht etwa sagen, daß die Benachrichtigung, die Jodl gab, die Ausführung des Befehls, den Hitler abseits von der Wehrmacht beschlossen hatte, erleichtert hätte. Wer nur etwas von Hitlers Machtstellung weiß, ist sich klar darüber, daß Reibungen zwischen deutschen Stellen die Ausführung keinesfalls verhindert, sondern allenfalls etwas verzögert und ganz gewiß für die Betroffenen nicht erfreulicher gemacht hätten.

Meine Herren Richter! Es ist ein alter Satz des Strafrechts, ein Satz, den ich auch in ausländischen Entscheidungen immer wieder zitiert finde: »Actus non facit reum nisi mens sit rea.« Zu einem Verbrechen gehört zweierlei: der Actus, die objektive Seite des Verbrechens: die Tat. Und die Mens rea, die subjektive Seite: die Schuld. Die Anklage bewegt sich da in einem merkwürdigen Widerspruch: In einigen Fällen legt sie den Ton auf die Mens rea und übersieht, daß der verbrecherische Actus fehlt. Ich habe dies bei den erwähnten Randbemerkungen gezeigt, die keinerlei rechtswidrige Taten darstellen, sondern höchstens auf rechtswidrige Gesinnung schließen lassen könnten. In anderen Fällen sieht die Anklage nur auf den Actus, fragt aber nicht, ob auch eine Mens rea vorhanden ist. Dieser zweite Fehler ist gefährlicher, weil hier die äußere Seite des Verbrechens allen sichtbar vorliegt und oft nur eine feine psychologische Untersuchung zu dem Schluß kommt, daß dem Actus keine Mens rea entspricht. Davon wird später zu sprechen sein.

Was die Tat betrifft, ist gemeint, ein von der Charte als strafbar erklärtes Verhalten. Dieses Verhalten kann in einem positiven Handeln bestehen oder auch in einem Unterlassen. Wenn ein Vater sein Kind beim Baden ertrinken läßt und nichts tut, um es zu retten, obgleich er es könnte, so erklären wir ihn je nach seinem Verschulden des Mordes oder der fahrlässigen Tötung schuldig. Diese Begehung eines Verbrechens durch Unterlassen wird nun auch in diesem Prozeß bedeutsam. Die Anklage nämlich betont immer wieder, Jodl sei bei dieser oder jener Rede anwesend gewesen. Auf einer einzigen Seite des englisch-amerikanischen Trial-Briefes lese ich sechsmal: »Jodl was present at...« Was bedeutet das rechtlich? Anwesenheit und Anhören kann für die Bewertung einer späteren Tat von großer Wichtigkeit sein, denn der Täter kann sich nicht ausreden, »ich habe es nicht gewußt«, wenn er etwa bei der Besprechung dieses Planes beteiligt gewesen ist. Aber die Anwesenheit an sich macht noch nicht mitschuldig. Nach englischem Recht macht Anwesenheit sogar unmittelbar bei der Begehung eines Verbrechens nur dann mitschuldig, wenn eine »encouragement« dazu kommt, eine »Ermutigung«. So ist das auch bei uns. Soweit derlei aber nicht in Frage kommt, kann die Betonung der Anwesenheit etwa bei der Besprechung eines verbrecherischen Vorhabens nur den Vorwurf bedeuten: Er hat es gewußt und geduldet.

Diesen Vorwurf des Duldens, diesen Vorwurf hören wir jetzt oft, nicht nur in diesem Gerichtssaal. Dem ganzen deutschen Volk wird vorgeworfen, es habe ein verbrecherisches Regime, es habe die Vernichtung von Millionen von Juden geduldet. Zweifellos kann ein Verbrechen auch durch ein Dulden begangen werden. Um jemandem aber daraus einen schweren kriminellen Vorwurf zu machen, zum Beispiel der vorsätzlichen Tötung, müssen zwei Voraussetzungen erfüllt sein; erstens: die subjektive Seite: er muß gewußt haben, daß der Tod des Opfers bevorsteht, wenn er nicht eingreift; zweitens: er muß die Verpflichtung und die Möglichkeit gehabt haben, den Tod zu verhindern.

Herr Vorsitzender! Ist nicht vielleicht jetzt ein geeigneter Moment, eine Pause zu machen?

VORSITZENDER: Ja.