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[Der Gerichtshof berät sich.]

Fahren Sie bitte fort.

PROF. DR. EXNER: Auch die Anklage steht nicht auf diesem Standpunkt, sonst hätte sie nicht den Angeklagten ganz bestimmte Taten als Verbrechen gegen das geltende Kriegs- und Neutralitätsrecht vorwerfen können.

Die ganze Anklage nach Punkt 3 wäre unverständlich. Im übrigen hat Professor Jahrreiss diese Frage auf Seite 32 bis 35 seines Plädoyers grundsätzlich behandelt.

Ich setze nun fort auf Seite 30, letzter Absatz, meines Manuskripts:

Jodl hörte im November 1939 erstmals, und zwar von Hitler selbst, von den Befürchtungen der Marine, daß England die Absicht habe, nach Norwegen zu gehen. Er erhielt dann Nachrichten, die keinen Zweifel ließen, daß diese Befürchtungen im Kern richtig waren. Ferner hatte er fortlaufend Berichte, wonach die norwegischen Küstengewässer immer mehr und mehr unter englischen Herrschaftsbereich kamen, somit Norwegen tatsächlich nicht mehr neutral war.

Jodl war fest überzeugt und ist es heute noch, daß die deutschen Truppen noch in letzter Minute die englische Landung verhütet haben. Wie auch immer die Entscheidung Hitlers rechtlich beurteilt werden mag, Jodl hat sie nicht beeinflußt, hat sie für rechtmäßig gehalten und mußte sie für rechtmäßig halten.

Selbst wenn man also Hitlers Entschluß als Neutralitätsbruch ansehen wollte, so hat Jodl ganz sicher durch seine Generalstabsarbeit nicht schuldhafte Beihilfe geleistet.

b) Belgien, Niederlande, Luxemburg.

Jodl wußte wie jeder militärische Fachmann: Wenn Deutschland den Krieg im Westen durchfechten mußte, blieb kein anderer Weg als derjenige der militärischen Offensive. Angesichts der unzulänglichen Hilfsmittel der damaligen deutschen Rüstung und angesichts der Stärke der Maginot-Linie war aber militärisch keine andere Möglichkeit zur Offensive gegeben als durch Belgien. Hitler stand also aus rein militärischen Gründen vor der Notwendigkeit, durch Belgien zu operieren. Jodl wußte aber auch wie jeder Deutsche, der den August 1914 erlebt hatte, genau, welcher schwere politische Entschluß damit ins Auge gefaßt wurde, sofern Belgien neutral war, das heißt, gewillt und imstande war, dem Krieg fernzubleiben.

Die Meldungen, die Jodl zu Gesicht bekam und gegen deren Richtigkeit keine begründbaren Bedenken aufkommen konnten, zeigten nun, daß die Belgische Regierung neutralitätswidrig bereits mit den Generalstäben der Feinde Deutschlands zusammenarbeitete. Dies kann jedoch hier bei der Verteidigung Jodls dahingestellt bleiben. Es genügt zu wissen, und das ist unbestreitbar, daß Belgien mit einem Teil seines Staatsgebietes, nämlich mit dem Luftgebiet, von den Westgegnern Deutschlands für ihre militärischen Zwecke fortgesetzt in Anspruch genommen wurde.

Und vielleicht noch stärker gilt dies von den Niederlanden. Seit den ersten Tagen des Krieges durchflogen die englischen Maschinen nach Gefallen niederländischen und belgischen Luftraum. Nur in einem Teil der zahllosen Fälle protestierte die Reichsregierung, und das waren 127 Fälle.

VORSITZENDER: Herr Dr. Exner! Möchten Sie dem Gerichtshof den Beweis mitteilen, den Sie für diese Behauptung haben?

PROF. DR. EXNER: Welche meinen Sie, Herr Präsident?

VORSITZENDER: Daß die Reichsregierung in 127 Fällen protestierte.

PROF. DR. EXNER: Da berufe ich mich auf die Zeugenaussage von Ribbentrop, er hat gesagt 127 Protestfälle.

VORSITZENDER: Fahren Sie fort.

PROF. DR. EXNER: Die Anklage stellt die Rechtsfrage nicht richtig. Bevor der Luftkrieg zu seiner heutigen Bedeutung aufstieg, war es so: Ein Staat, der neutral bleiben wollte, konnte sein Gebiet der ständigen und beliebigen militärischen Benutzung durch einen der Kriegführenden vorenthalten, oder es gab die klare Beendigung des Neutralitätsstandes. Seit der Luftkriegsmöglichkeit kann ein Staat den Luftteil seines Gebietes einem der Kriegführenden preisgeben oder preisgeben müssen und dabei äußerlich diplomatisch neutral bleiben. Den Schutz der Neutralität kann aber nach dem Wesen des Gedankens nur derjenige Staat in Anspruch nehmen, dessen ganzes Staatsgebiet objektiv außerhalb des Kriegstheaters bleibt.

Die Niederlande und Belgien waren längst vor dem 10. Mai 1940 tatsächlich nicht mehr neutral, denn ihr Luftgebiet stand mit oder gegen ihren Willen dem Gegner Deutschlands praktisch zur freien Verfügung. Welchen Beitrag sie damit zur militärischen Stärke Englands, das heißt eines der Kriegführenden leisteten, weiß jedermann. Man braucht nur an Deutschlands »Achillesferse« denken, an das Ruhrgebiet.

Unsere Gegner standen offenbar auf dem Standpunkt: Soweit die Barriere Hollands und Belgiens unser Industriegebiet gegen Flieger schützt, ist ihre Neutralität unbeachtlich, soweit sie aber Frankreich und England schützt, ist Bruch dieser Neutralität ein Verbrechen.

Jodl erkannte selbstverständlich die Lage. Seine Meinung über die Rechtsfrage war freilich für Hitler völlig gleichgültig. Seine Tätigkeit blieb auch hier die normale Tätigkeit eines Generalstabsoffiziers.

VORSITZENDER: Einen Augenblick bitte, Herr Dr. Exner! Behaupten Sie, daß es im Einklang mit dem Völkerrecht wäre, daß, wenn das Luftgebiet über einem bestimmten neutralen Land von einer der kriegführenden Mächte benützt würde, dann die andere kriegführende Macht in diesen neutralen Staat einfallen kann, ohne diesen vorher davon zu unterrichten?

PROF. DR. EXNER: In dieser Hinsicht möchte ich sagen, daß dieses fortdauernde Benützen des Luftgebietes eines neutralen Staates, und zwar zum Zweck von Angriffshandlungen – nicht wahr, diese Flieger sind durchgeflogen, um Deutschland anzugreifen – ein Neutralitätsbruch war. Und dieser Neutralitätsbruch berechtigte dazu, Belgien seitens Deutschlands nicht mehr als neutral zu betrachten. Und so kann daher also vom Standpunkt des Kellogg-Paktes, vom Standpunkt einer etwaigen vorherigen Zusicherung der Neutralität, Deutschland nicht ein Vorwurf gemacht werden.

Ob man ihm einen Vorwurf machen kann daraus, daß es den Krieg nicht vorher angekündigt hat, das möchte ich dahingestellt sein lassen. Schließlich war es auch so, daß vermutlich die Durchfliegungen von seiten der englischen Flieger nicht vorher angekündigt worden sein dürften.

VORSITZENDER: Sie sind nicht vorbereitet, um auf meine Frage zu antworten?

PROF. DR. EXNER: Ja, Ihre Frage war dahingehend, ob eine vorherige Ankündigung notwendig gewesen wäre, nicht wahr, Herr Vorsitzender?

VORSITZENDER: Ob man ein neutrales Land angreifen könne ohne vorherige Warnung, das heißt: Ob es mit dem Völkerrecht im Einklang steht, ein neutrales Land ohne vorhergehende Warnung unter solchen Umständen anzugreifen, das ist die Frage.

PROF. DR. EXNER: Die Behauptung geht dahin, daß das kein neutraler Staat mehr war, nicht wahr, als er angegriffen wurde.

VORSITZENDER: Dann ist Ihre Antwort bejahend. Sie sagen, daß man ohne Warnung angreifen könne. Ist das richtig?

PROF. DR. EXNER: Es besteht eine völkerrechtliche Vereinbarung, daß überhaupt ein Krieg vorher anzusagen ist, und so weitgehend wäre auch die Verpflichtung Deutschlands gewesen, den Krieg vorher anzusagen. Aber darüber hinaus, weil gerade das kein neutraler Staat war, glaube ich, besteht keine weitere Verpflichtung. Ich wüßte nicht, warum gerade eine Verpflichtung gegenüber diesem Staat bestünde, weil er einmal neutral war.

VORSITZENDER: Sie sagen also, es bestehe eine allgemeine Verpflichtung, den Krieg zu erklären, bevor man wirklich einfällt. Sie sägen doch nicht, daß die Tatsache, daß Holland neutral war, Sie von dieser Pflicht entbinde?

PROF. DR. EXNER: Das will ich nicht annehmen; eine allgemeine Verpflichtung, ja. Ich glaube nicht, daß eine besondere Verpflichtung wegen der ehemaligen Neutralität Hollands und Belgiens vorlag. Ich wüßte nicht, wie sie zu begründen wäre.

VORSITZENDER: Fahren Sie fort.

PROF. DR. EXNER: Ich komme zu c) Griechenland.

Hitler wollte den Balkan aus dem Kriege heraushalten, aber Italien hatte Anfang Oktober 1940 gegen seinen Willen Griechenland angegriffen. Als die Italiener in Bedrängnis kamen, wurde deutsche Hilfe erbeten. Jodl riet ab, weil dann mit einem Eingreifen Englands auf dem Balkan gerechnet werden mußte und damit jede Hoffnung auf Lokalisierung des italienisch-griechischen Konflikts verlorenginge. Hitler befahl dann, alles für die doch vielleicht auftretende Notwendigkeit vorzubereiten, daß deutsche Hilfe für Italien und gegen Griechenland unvermeidlich würde. Das sind die Befehle vom 12. November und 13. Dezember 1940.

Wenn es nicht gelang, den griechisch-italienischen Konflikt zu lokalisieren, war es klar, daß Griechenland in den deutsch-englischen Großkampf hineingerissen würde. Die Frage war nun, ob Griechenland innerhalb des britischen oder innerhalb des deutschen Kriegskontrollbereichs liegen würde. Und so wie im Falle Norwegen, Belgien und Holland ein Teil des Staatsgebietes dieser Länder schon vor Beginn des offenen Krieges bereits England zur Verfügung gestanden hatte, sie also – mindestens objektiv – nicht mehr neutral waren, vielleicht nicht mehr neutral sein konnten, so war es auch mit Griechenland. Die griechische Anklage stellt fest, daß englische Truppen am 3. März 1941 auf dem griechischen Festland gelandet sind, nachdem Kreta schon einige Zeit vorher in den englischen Kontrollbereich gekommen war. Hitler hat erst am 24. März 1941 den Luftkampf bei Kreta und am 6. April die Landangriffe eröffnet.

Jodl hatte auch hier auf die Entschlüsse Hitlers keinen Einfluß. Es konnte für ihn nicht zweifelhaft sein, daß Hitlers Entschluß unvermeidlich war, so wie sich der Krieg der Weltmächte nun einmal entwickelt hatte. Es war keine Wahl; das griechische Staatsgebiet wäre immer weiter in die englische Machtsphäre gezogen worden und zum Absprunghafen für Bombengeschwader gegen das rumänische Erdölgebiet geworden, wenn Deutschland dies nicht aufgehalten hatte. Überdies schreckten die Erfahrungen des ersten Weltkrieges. Von Saloniki war damals der Todesstoß geführt worden.

d) Jugoslawien:

Hitler wollte auch Jugoslawien aus dem Krieg heraushalten. Die deutschen Truppen auf dem Balkan hatten strengste Anweisung, dessen Neutralität rigoros zu respektieren. Hitler lehnte sogar den Antrag des Chefs des Generalstabs des Heeres ab, von der Jugoslawischen Regierung die Erlaubnis zur Durchführung plombierter deutscher Nachschubzüge durch ihr Gebiet zu erbitten.

Den Simowitsch-Putsch in Belgrad in der Nacht nach dem Beitritt Jugoslawiens zum Dreimächte-Pakt hat Hitler als heimtückischen Verrat empfunden. Er war der Meinung, daß der Belgrader Regierungswechsel, der das außenpolitische Steuer um 180 Grad herumwarf, nur möglich war, weil England oder die Sowjetunion Rückendeckung gegeben hatten. Nunmehr war für ihn gewiß, daß der Balkan völlig in die Kriegswirren einbezogen wurde. Es war für ihn gewiß, daß die deutschen Truppen in Bulgarien aufs äußerste gefährdet waren und desgleichen die deutsche Nachschublinie, die ganz nahe der jugoslawischen Grenze verlief.

In dieser Lage hat Hitler am Morgen nach dem Belgrader Putsch den Kriegsbeschluß gefaßt, zu dem jede Vorbereitung fehlte. Die Vorschläge Jodls und später auch Ribbentrops, durch ein Ultimatum die Dinge eindeutig zu klären, wurden gar nicht erwogen. Er wollte sicherstellen, daß Jugoslawien und Griechenland nicht in die englische, sondern in die deutsche Kontrollzone fielen.

Die Nachrichten der nächsten Tage über das Freundschaftstelegramm Moskaus an die Belgrader Putsch-Regierung und über den schon im Gange befindlichen jugoslawischen Aufmarsch – bestätigt durch den Zeugen Greiffenberg, Dokument III, AJ- 12 –, endlich der russisch-jugoslawische Freundschaftspakt sind für Jodl unwiderlegliche Zeichen dafür gewesen, daß Hitler die Zusammenhänge richtig gesehen hatte.

Der Entschluß zum Kampf wurde von Hitler, und nur von Hitler gefaßt.

Punkt 9 betrifft Krieg gegen die Sowjetunion.

Was jede der beiden Regierungen, die Berliner und die Moskauer, mit dem Vertrag vom 23. August 1939 eigentlich erreichen wollten, das steht heute nicht fest. Sicher ist aber: Diese bisherigen feindlichen Partner schlossen nicht eine Liebesehe. Und die Sowjetunion war für den deutschen Partner eine völlig rätselhafte Größe und ist es geblieben. Wer diese Tatsache nicht beachtet, kann den Entschluß Hitlers zum militärischen Angriff überhaupt nicht beurteilen, vor allem nicht die Schuldfrage.

Wenn je, so hat Hitler im russischen Fall seine Entscheidung getroffen, ohne von irgend jemandem auch nur den geringsten Rat anzuhören, geschweige anzunehmen. Er schwankte durch viele Monate in seiner Meinung über die Absichten der Sowjetunion.

Das Verhältnis der beiderseitigen Truppen an der Demarkationslinie war von Anfang an reich an Zwischenfällen. Die Sowjets besetzten die Gebiete der Ostseestaaten und Polens sofort mit unverhältnismäßig starken Kräften.

Im Mai und Juni 1940, als nur noch fünf bis sechs deutsche Sicherungsdivisionen im Osten standen, machte der von Canaris gemeldete russische Aufmarsch gegen Bessarabien mit mindestens 30 Divisionen und der Aufmarsch im Baltikum schwere Sorge. Am 30. Juni 1940 war die Auffassung wieder beruhigt, so daß Jodl sogar, wie das Dokument 1776-PS gezeigt hat, auf Rußland als Helfer beim Kampf gegen das Britische Weltreich zählen zu können glaubte. Im Juli aber: erneute Sorgen. Der russische Einfluß drang im Balkan und im Baltikum energisch vor.

Hitler begann, russische Angriffsabsichten zu fürchten, wie er Jodl am 29. Juli sagte.

Die Entsendung einiger Divisionen aus dem Westen, wo sie nicht mehr gebraucht wurden, hatte damit freilich nichts zu tun. Sie geschah auf Antrag des Oberbefehlshabers im Osten, der mit seinen schwachen Kräften die Sicherungsaufgabe nicht mehr erfüllen konnte. Hitlers Sorge galt vor allem den rumänischen Ölquellen. Am liebsten hätte er diese Bedrohung noch im Jahre 1940 durch eine überraschende Aktion ausschalten wollen. Jodl erwiderte, daß wegen der schlechten Aufmarschmöglichkeit im deutschen Ostbereich vor dem Winter daran nicht zu denken sei. Hitler verlangte Nachprüfung dieses Urteils, und Jodl veranlaßte in einer von der Russischen Anklagebehörde offensichtlich verkannten Besprechung mit seinem Stab in Reichenhall die nötigen Untersuchungen. Am 2. August befahl Hitler die Verbesserung der Aufmarschmöglichkeiten im Osten, eine Maßnahme, die für eine Verteidigung nicht weniger unerläßlich war als für eine Offensive.

Gegen Ende August, das ist die Weisung vom 27. August, wurden zehn Infanteriedivisionen und zwei Panzerdivisionen in das Generalgouvernement gebracht für den Fall, daß eine Blitzaktion zum Schutz der rumänischen Ölfelder notwendig würde. Die deutschen Truppen, nunmehr im ganzen 25 Divisionen, sollten freilich stärker erscheinen als sie waren, damit eine Aktion sich überhaupt erübrige.

Dies ist der Sinn von Jodls Anweisung für die Gegenspionage, 1229-PS. Hätten damals offensive Absichten bestanden, dann hätte man die eignen Kräfte lieber kleiner erscheinen lassen, als Sie waren.

Um die gleiche Zeit scheint Hitler, ohne daß Jodl etwas davon erfuhr, dem Generalstab des Heeres den Auftrag gegeben zu haben, einen Operationsplan für alle Fälle gegen Rußland vorzubereiten. Jedenfalls hat seit Herbst 1940 der Generalstab des Heeres Operationspläne dieser Art bearbeitet, General Paulus.

Ungünstige Nachrichten häuften sich dann nach dem Wiener Schiedsspruch vom 30. August 1940. Bei Hitler verfestigte sich, wenn Jodl seinen Äußerungen glauben durfte, die Überzeugung, die Sowjetunion sei fest entschlossen, Deutschland, wenn es gegen England engagiert ist, durch Überfall zu vernichten. Die Führung der Roten Armee hatte nach einer Meldung vom 18. September den deutsch-russischen Krieg für unvermeidlich erklärt, Dokument C-170. Dazu kamen Meldungen über fieberhafte russische Vorbereitungen längs der Demarkationslinie. Hitler rechnete mit dem russischen Angriff für Sommer 1941 oder Winter 1941/1942. So entschloß er sich für den Fall, daß die Besprechungen mit Molotow die Lage nicht günstig klären sollten, für das Prävenire. Denn dann war die einzige Chance für Deutschland die offensive Verteidigung. Für diesen Eventualfall wurden am 12. November 1940 vorbereitende Maßnahmen von Hitler angeordnet, 444-PS.

Der Fehlschlag der Besprechungen mit Molotow entschied die Frage. Am 18. Dezember 1940 befahl Hitler die militärischen Vorbereitungen. Sollten die kommenden Monate die Lage aufhellen, um so besser. Aber bereit mußte man sein, um spätestens im Frühsommer 1941 den Schlag zu führen. Es war voraussichtlich der letztmögliche Zeitpunkt, aber auch der früheste, denn für den Aufmarsch werden mehr als vier Monate gebraucht.

Jodl hat als Fachmann Hitler nachdrücklichst auf das ungeheure militärische Risiko hingewiesen, zu dem man sich nur entschließen dürfe, wenn wirklich jede politische Möglichkeit der Abwendung des russischen Angriffs ausgeschöpft sei. Jodl gewann damals die Überzeugung, daß Hitler jede Möglichkeit ausgenutzt habe.

Die Lage verschlechterte sich. Nach den Meldungen, die der Generalstab des Heeres erhielt, waren Anfang Februar 1941 150 russische Divisionen, das heißt zwei Drittel des uns bekannten Gesamtbestandes der russischen Kräfte gegenüber Deutschland aufmarschiert. Der deutsche Aufmarsch aber hatte gerade mit der ersten Staffel begonnen.

Das Freundschaftstelegramm der Sowjetregierung an die Belgrader Putschisten am 27. März 1941 brachte Hitler um die letzte Hoffnung. Er entschloß sich zum Angriff, der allerdings wegen des Balkankrieges um mehr als einen Monat hinausgeschoben werden mußte. Der Aufmarsch wurde dabei so vorgenommen, daß die schnellen deutschen Verbände, ohne die ein Angriff überhaupt nicht zu führen war, erst in den letzten zwei Wochen, nämlich seit dem 10. Juni an die Front gebracht wurden.

Der echte Präventivkrieg gehört zu den unerläßlichen Mitteln der Selbsterhaltung. Er war aber auch nach dem Kellogg-Briand-Pakt unbestreitbar erlaubt. So ist das Verteidigungsrecht von allen Unterzeichnerstaaten begriffen worden.

Die deutschen militärischen Führer sind, wenn die Lage irrig aufgefaßt worden sein sollte, wegen ihres Irrtums nicht zu tadeln. Sie hatten glaubwürdige Meldungen über russische Vorbereitungen, die nur dann Sinn hatten, wenn sie Angriffsvorbereitungen waren.

Die Meldungen wurden später bestätigt; denn als der deutsche Stoß die russischen Heere traf, war er nach dem Eindruck der deutschen Frontführung ein Stoß in einen gigantischen Aufmarsch gegen Deutschland. General Winter hat das hier in Ergänzung der Angaben Jodls, vor allem für die ungeheuere Anzahl von neuen Flugplätzen nahe der Demarkationslinie, eingehend dargetan mit besonderem Hinweis auf die Ausstattung der russischen Stäbe mit Karten von deutschen Gebietsteilen. Feldmarschall von Rundstedt hat es als Zeuge vor der Kommission ebenfalls bestätigt. Das wird im weiteren Verlauf des Prozesses vor das Gericht kommen.

Jodl glaubte fest, daß Hitler nie und nimmer den Krieg gegen Rußland geführt hätte, wenn er nicht felsenfest davon überzeugt gewesen wäre, daß ihm überhaupt kein anderer Weg blieb. Jodl wußte, daß Hitler das Risiko eines Zweifrontenkrieges genau kannte und nur in unausweichlicher Not den – wie er meinte – gar nicht mehr fraglichen Sieg über England aufs Spiel setzte.

Jodl hat nur seine Aufgaben als Generalstabsoffizier erfüllt. Er war überzeugt und ist es auch heute noch, daß wir einen echten Präventivkrieg geführt haben.

Nun komme ich zu Punkt 10 des Trial-Briefes, betreffend Krieg gegen USA.

Daß Jodl nicht den Willen hatte, die Zahl unserer Feinde um eine Weltmacht zu vermehren, ist selbstverständlich, überdies durch Dokumente erwiesen.

Wie steht es nun mit der Verantwortlichkeit für diese Feldzüge? Eine Kriegserklärung ist eine außenpolitische Entscheidung, die wichtigste der gesamten Außenpolitik.

Wer diese Entscheidung zu verantworten hat – politisch, strafrechtlich, moralisch –, hängt von dem staatsrechtlichen Aufbau des konkreten Staates ab, von der Art, wie verfassungsgemäß die außenpolitische Willensbildung in diesem Staate sich gestaltet. Professor Dr. Jahrreiss hat darüber gesprochen; im Führerstaat ist es ausschließlich der Führer, der diese Entscheidung zu treffen hat. Wer ihn darin berät, kann nicht verantwortlich sein, denn wenn das, was der Führer befiehlt, recht ist, kann der, der diesen Befehl beeinflußt, nicht unrecht tun. Die Charte vertritt offenbar den Standpunkt, auch derjenige, der an der Führerentscheidung irgendwie mitwirkt oder sie beeinflußt, ist mitverantwortlich. Unterstellen wir diese Rechtsauffassung als maßgebend, so stüzt sich die Frage der Verantwortlichkeit auf ein Problem der Zuständigkeit.

In jedem Gemeinwesen muß der Aufgabenkreis seiner Organe abgegrenzt sein, muß eine Zuständigkeitsordnung herrschen, die regelt, was der einzelne Funktionär zu tun und zu lassen berufen ist. So ist in allen Staaten selbstverständlich das Verhältnis zwischen Militär und Zivilverwaltung geordnet, und auch innerhalb des Militärs und innerhalb der Verwaltung sind die Aufgabenbereiche und Beziehungen zwischen ihren Tausenden von Dienststellen geregelt. Wäre es anders, so gäbe es ein Chaos. Besonders im Kriege wird das Problem der Zuständigkeit im Verhältnis zwischen politischer und militärischer Führung wichtig. Denn das Militär ist das bedeutsamste Instrument der Politik, und nahe liegt es, daß der Gehilfe sich zum Herren zu machen sucht, das Militär sich in die Politik einmischt. Deutsche Tradition war es, dies zu vermeiden. Mit großer Konsequenz suchte schon das Bismarcksche Reich den Offizier von aller Politik fernzuhalten. Er hatte kein Wahlrecht, durfte nicht in politische Versammlungen gehen, jede politische Äußerung eines Offiziers wurde mit scheelen Augen angesehen. Sie konnte ja irgendwie als Parteinahme betrachtet werden; Parteinahme aber war auf das schärfste verpönt. Das Militär sollte politisch blind, absolut neutral sein und nur einen Standpunkt kennen, den der Legitimität, das heißt Unterordnung unter den legitimen Herrscher. So war es denn auch in den Jahren der Kriegsgefahr 1866 und 1870 nicht Moltke, sondern Bismarck, der die politische Entscheidung dem König anriet. Dies hat sich während der letzten Jahre des ersten Weltkrieges geändert. General Ludendorff wurde durch die Kraft seiner Persönlichkeit und die Schwäche seiner politischen Gegenspieler der mächtigste Mann im Reich. Man spricht gerne vom preußischen Militarismus; für jene Zeit, in der der Soldat die politische Macht an sich gerissen hatte, war das berechtigt. Der Weimarer Staat hat damit gründlich aufgeräumt. Mit aller Schärfe wurde der unpolitische Charakter der Reichswehr betont, das Militär wieder auf sein eigenstes Gebiet beschränkt. Das ging so weit, daß man zum Kriegsminister, der die Reichswehr politisch im Reichstag zu vertreten hatte, einen Zivilisten machte. Die längste Zeit war es ein liberaldemokratischer Minister, der peinlich besorgt war, jeden politischen Einfluß der Generale zu unterbinden.

Adolf Hitler hat bei der Begründung der Wehrmacht diese scharfe Scheidung von Politik und Militär aufrechterhalten, ja in gewissem Sinne noch betont. Er, der das ganze Volk zu politisieren trachtete, wollte eine unpolitische Wehrmacht. Der Soldat war politisch entrechtet, er durfte nicht wählen, keiner Partei angehören, nicht einmal der NSDAP, solange das alte Wehrgesetz galt. Folgerichtig hielt er auch seine Generale und höchsten militärischen Berater von jeder Einmischung in politische Belange fern. Er blieb auch gegenüber der eigenen Partei konsequent. Als nach Abgang von Fritsch ein neuer Oberbefehlshaber des Heeres zu ernennen war, wäre es nahe genug gelegen, den nationalsozialistisch eingestellten von Reichenau zu wählen, allein er ernannte von Brauchitsch. Er wollte keine politischen Generale, auch keine nationalsozialistischen. Sein Standpunkt war: Er sei der Führer, er der Politiker, die Generale hätten sich um ihre eigenen Geschäfte zu kümmern, von Politik verstünden sie nichts. Nicht einmal einen Ratschlag duldete er, wenn es sich um Politik drehte. Zwar wagten die Generale wiederholt, Bedenken gegen seine politischen Pläne zu äußern, aber mußten sich dabei streng auf rein militärische Gesichtspunkte beschränken.

Diese scharfe Scheidung von politischer und militärischer Zuständigkeit ist übrigens nicht charakteristisch deutsch. Sie gilt, wenn ich recht sehe, ebenso in den angelsächsischen Demokratien, und zwar besonders streng.

Jedenfalls war es unter Hitler so: Die politische Entscheidung hatte er, nur auf ihre militärische Ausführung hatten die Generale Einfluß. Ihre Aufgabe war es, für alle politischen Eventualitäten die nötigen Vorbereitungen zu treffen. Aber Hitler war es, der auf den Knopf drückte, um die Maschine in Gang zu setzen. Das »Ob« und »Wann« entschied der Führer. Sie hatten nicht die Zweckmäßigkeit, die politische Möglichkeit oder rechtliche Zulässigkeit zu erwägen.

Psychologisch verschärft sich dieser Standpunkt des Führers durch das kaum faßliche Mißtrauen, das er gegenüber seinen Generalen hegte. Eine merkwürdige Erscheinung – wer sie übersieht, kann nie zu einem Verständnis der Atmosphäre gelangen, die das Führerhauptquartier beherrschte. Es war ein Mißtrauen gegenüber der, wie er meinte, reaktionären Einstellung des Offizierkorps. Daß die Reichswehr 1923 auf Nationalsozialisten geschossen hat, hat er nie vergessen. Es war ferner das natürliche Mißtrauen des militärischen Dilettanten, der doch Stratege sein wollte, gegenüber dem militärischen Fachmann und wohl auch das Mißtrauen des politischen Fachmannes gegenüber den politischen Dilettanten in Offiziersuniform.

Dieses Mißtrauen in den politischen Blick seiner militärischen Umgebung war übrigens keineswegs unbegründet. Hatten ihn doch die Generale bremsen wollen in seinen Aufrüstungsplänen, zurückhalten wollen von der Besetzung des Rheinlandes, Bedenken geäußert gegen den Einmarsch in Österreich, gegen die Besetzung des Sudetenlandes. Und doch waren alle diese Aktionen ohne Blutvergießen glatt gelungen. Die Generale kamen sich bei ihrer Durchführung wie Hasardeure vor, Hitler war seiner Sache sicher. Kann man sich wundem, daß ihr politisches Urteil bei ihm nicht allzuviel Gewicht hatte, und kann man sich wundern, daß auf der anderen Seite die scheinbare Unfehlbarkeit seines politischen Urteils mehr und mehr Anerkennung fand?

So also duldete Hitler keine Einmischung in seine politischen Pläne, und das Ergebnis war, wie es uns hier drastisch geschildert wurde: Wenn ein General Bedenken gegen Hitlers politische Entscheidung erhoben hätte, so hätte man ihn zwar nicht erschossen, aber man würde an seinem Verstand gezweifelt haben.

Sich beraten zu lassen, war überhaupt nicht Sache dieses Machtmenschen. So wurden bei Beginn militärischer Unternehmungen die Chancen des Planes fast nie in gemeinsamen Besprechungen erwogen. Keine der wichtigsten Entscheidungen seit 1938 erfolgte auf Grund von Beratungen, vielmehr kam die Entscheidung der militärischen Führung oft völlig überraschend. So zum Beispiel beim Einmarsch in Österreich, von dem Jodl zwei Tage zuvor erfuhr, oder gar bei dem Angriff auf Jugoslawien, der von Hitler abrupt beschlossen und ohne jede Vorbereitung innerhalb weniger Tage in die Tat umgesetzt wurde. Die angeblichen Besprechungen beim Führer, deren Verlauf der Zeuge Milch anschaulich schilderte, waren nichts anderes als eine »Befehlsausgabe«.

Selbstverständlich waren auch innerhalb der Wehrmacht die Zuständigkeiten der einzelnen Dienststellen scharf abgegrenzt, und interessant ist die Methode, die Hitler anwandte, um diese Grenzen möglichst unübersteigbar zu machen. Das geschah durch die Methode der Geheimhaltung. Von ihr war ja genug die Rede, insbesondere von dem sogenannten »Scheuklappenbefehl«, der jedem verbot, in die Arbeit des anderen Einblick zu gewinnen. So kam es, daß jede Dienststelle isoliert und streng auf ihren Aufgabenkreis beschränkt wurde. Offenbar wollte Hitler mit diesem System erreichen, daß er der einzige war, der allseits informiert wurde und daß er als der allein Informierte die Zügel in der Hand behielt.

Ja, noch mehr: Er verstärkte dieses System noch, indem er nur zu oft die einzelnen Persönlichkeiten, Gruppen und Dienststellen gegeneinander ausspielte, um jeglicher Conspiracy zwischen ihnen vorzubeugen.

Herr Präsident, ich wäre beim Absatz angelangt.

VORSITZENDER: Wir vertagen uns jetzt.