[Das Gericht vertagt sich bis 14.00 Uhr.]
Nachmittagssitzung.
DR. VON LÜDINGHAUSEN: Noch einmal hat dann im Herbst 1938 der Angeklagte von Neurath von sich aus Gelegenheit genommen, in den Gang der Dinge einzugreifen und eine dem deutschen Volk unmittelbar drohende Kriegsgefahr abzuwenden. Ich brauche die Einzelheiten über das Zustandekommen der Münchener Konferenz Ende September 1938 nach den übereinstimmenden Aussagen Görings und anderer Zeugen nicht näher zu schildern. Tatsache ist, daß ihr Zustandekommen und ihr Erfolg, das heißt die Verständigung mit England und Frankreich über die Sudetenfrage nicht zum wenigsten der Initiative und der Mitwirkung des Angeklagten zu verdanken ist. Daß er aber die Möglichkeit hierzu hatte, verdankte er gerade einem Umstande, der, in völliger Verkennung der Dinge, ihm von der Anklage ebenfalls zum Vorwurf gemacht wird, dem Umstande nämlich, daß er bei seinem Abschied als Außenminister zum Präsidenten des zu gleicher Zeit von Hitler neu geschaffenen Geheimen Kabinettsrats ernannt worden war. Ohne diese Stellung wäre es ihm im September 1938 gar nicht möglich gewesen, bis zu Hitler vorzudringen und ihn zur Zustimmung zu der Münchener Konferenz zu bewegen. Denn entgegen der Behauptung der Anklage war er, wenn er auch den Titel Reichsminister behielt, vom Tage seines Ausscheidens als Außenminister nicht mehr Mitglied der Reichsregierung, was allein schon aus der Tatsache erhellt, daß sein Gehalt von diesem Tage ab um ein Drittel herabgesetzt worden war. Von diesem Tage ab hörte also auch jedwede etwaige Mitverantwortlichkeit des Angeklagten für die Politik des Reiches auf. Denn entgegen der Behauptung der Anklage war er als Präsident des Geheimen Kabinettsrats nicht Mitglied der Reichsregierung, hatte er keinen Zutritt, geschweige denn Sitz und Stimme in den Kabinettssitzungen. Bereits aus dem Wortlaut des Erlasses Hitlers über die Schaffung dieses Geheimen Kabinettsrats geht dies einwandfrei hervor, denn es heißt dort ausdrücklich, daß dieser Geheime Kabinettsrat lediglich zur Beratung des Führers persönlich, also nur Hitlers, und auch nur in Angelegenheiten der Außenpolitik bestellt ist. Und gerade auch aus dem von der Anklage für ihre gegenteilige Behauptung zitierten Buch von Huber »Verfassungsrecht des Großdeutschen Reiches«, 1744-PS, geht hervor, daß der Geheime Kabinettsrat und sein Präsident mit der Reichsregierung nichts zu tun hat, kein Bestandteil oder Organ der Reichsregierung, sondern lediglich eines von den mehreren Büros des Führers persönlich ist. In Wirklichkeit ist der Geheime Kabinettsrat niemals in Funktion getreten und sollte auch von Anfang an nie in Funktion treten, wie durch die Aussagen von Göring, Lammers und anderer Zeugen bewiesen ist. Er sollte in Wirklichkeit nur eine besondere Ehrung des Angeklagten sein und den Eindruck verwischen, als ob zwischen Hitler und dem Angeklagten Differenzen entstanden seien. Daß er selbst diese Stellung auch nicht anders aufgefaßt hat, geht daraus hervor, daß der Angeklagte vom 4. Februar 1938 ab als Privatmann auf seinem Gut in Württemberg seinen persönlichen Neigungen lebte und nur höchst selten nach Berlin kam, auch dort aber keinerlei amtliche Tätigkeit ausübte, auch nicht ausüben konnte, da er geflissentlich von allen Informationen über die politischen Vorgänge durch das Außenministerium ferngehalten wurde. Und wenn die Anklage glaubt, aus den von ihr unter Nummer 3945-PS vorgelegten Dokumenten folgern zu sollen, daß er vom Reich beziehungsweise der Reichskanzlei Geldbeträge zur Beschaffung von diplomatischen Informationen erhalten habe, so wird dies, abgesehen von der eidlichen Aussage des Angeklagten selbst, schon durch das unter diesen Dokumenten befindliche Schreiben des Vorstehers des pro forma geführten Büros des Geheimen Kabinettsrats, des Amtsrats Köppen, vom 31. Mai 1939 widerlegt, aus dem einwandfrei hervorgeht, daß diese in großen Abständen an dieses Büro geleisteten nicht sehr hohen Zahlungen zur Deckung der Unkosten der Unterhaltung dieses Büros und nicht für irgendwelche geheimen Zwecke der Informationen bestimmt waren.
Und so wenig der Angeklagte bis auf dieses eine Mal im September 1938 von seiner Stellung als Präsident dieses Geheimen Kabinettsrats Gebrauch gemacht hat, so wenig ist er als Mitglied des Reichsverteidigungsrates tätig geworden, zu welchem er durch das Reichsverteidigungsgesetz bestellt worden war. Auch hier geht die Anklage fehl, wenn sie dem Angeklagten aus dieser Mitgliedschaft einen Vorwurf machen und aus ihr ihm kriegerische Absichten oder deren Unterstützung unterschieben will. Ich glaube, mir angesichts der mehrfachen Erörterungen über diesen Reichsverteidigungsrat im Laufe der Beweisverhandlungen ein näheres Eingehen auf diesen Versuch der Anklage versagen und mich mit dem Hinweis begnügen zu können, daß in diesen Reichsverteidigungsgesetzen keinerlei aggressive Tendenzen enthalten sind, diese vielmehr, wie auch Ihr Inhalt besagt, lediglich die erforderlichen Bestimmungen für den Fall, daß das Reich angegriffen oder sonst in einen Krieg verwickelt werden sollte, enthalten, wie dies in jedem Staat üblich ist, der mit der Möglichkeit eines Krieges rechnen muß. Wie man aber daraus kriegerische Absichten oder Pläne des Angeklagten folgern will, ist schlechterdings unverständlich. Der Angeklagte hat im übrigen auch keiner einzigen Sitzung dieses Rates beigewohnt, auch nie irgendwelche Mitteilungen über Beschlüsse dieses Rates zugesandt erhalten. Das als angeblicher Gegenbeweis von der Anklage vorgelegte Dokument 2194-PS war gar nicht an den Angeklagten, sondern an eine der Protektoratsregierung angegliederte Abteilung des Reichsverkehrsministeriums, nämlich die Verkehrsabteilung, gerichtet und für diese bestimmt. Ihr Absender war auch nicht der Verteidigungsrat, sondern das Sächsische Ministerium für Wirtschaft und Arbeit.
Mit allen diesen und ähnlichen Bemühungen wird es der Anklage niemals gelingen, dem Angeklagten nachzuweisen, daß er sich zu irgendeiner Zeit durch seine Politik direkt oder indirekt eines Verbrechens der Planung oder Vorbereitung eines Angriffskrieges oder auch nur der Billigung oder Unterstützung solcher schuldig gemacht hat. Das Gegenteil ist der Fall. Seine ganze Tätigkeit war ein einziges Bemühen, allein durch friedliche Mittel auf friedlichem Wege die schon von allen früheren demokratischen Regierungen seit 1919 erstrebten Ziele, die Beseitigung der Deutschland diskriminierenden, das Deutsche Reich zu einem Staat zweiter Klasse stempelnden Bestimmungen des Versailler Vertrags zu erreichen und eine allgemeine Befriedung Europas herbeizuführen. Keine einzige seiner diplomatischen Handlungen diente einem anderen Ziele oder enthielt eine andere Absicht, die ein Verbrechen im Sinne des Statuts darstellte.
Mit vollem Recht wurde daher sein Ausscheiden als Reichsaußenminister von der ganzen Welt, vom Ausland sowohl – ich verweise auf die Aussagen des Zeugen Dieckhoff – wie im Inland, und in diesem speziell von den konservativen Kreisen, mit Sorge und Bestürzung aufgenommen, womit allein schon die Behauptung der Anklage, er habe in diesen Kreisen als Fünfte Kolonne gewirkt, widerlegt wird. An all dem vermögen auch die Hinweise der Anklage auf die Ansprache Hitlers an seine Generale im November 1939 und noch weniger auf die Reden des Angeklagten selbst vom 29. August und 31. Oktober 1937 etwas zu ändern. Die Ansprache Hitlers ist gehalten in der Zeit der ersten militärischen Erfolge und war berechnet auf deren Inanspruchnahme als Erfolge seiner, Hitlers, Staatsführung und ist nur aus diesem Gesichtspunkt zu werten. Die Reden des Angeklagten aber besagen gerade das Gegenteil von dem, was die Anklage in sie hineininterpretieren möchte. Denn beide Reden, sie sind enthalten in meinem Dokumentenbuch 4, Nummer 126 und 128, betonen ganz ausdrücklich den erfolgreichen Friedenswillen der von dem Angeklagten geleiteten deutschen Außenpolitik und heben mit besonderer Betonung hervor, daß die erreichten Erfolge ausschließlich mit friedlichen Mitteln und nicht mit Gewaltmitteln erreicht sind. Besonders die Rede vom 31. Oktober 1931, die letzte öffentliche Rede des Angeklagten als Außenminister, stellt geradezu ein Resumé seiner Politik des Friedens dar. Und daß dieses Resumé richtig war und ist, hat auch die Anklagevertretung selbst hier in diesem Saal zugeben müssen, indem sie durch einen der Herren Anklagevertreter die von meinem Klienten zum Anlaß seines Rücktritts genommene Ansprache Hitlers vom 5. November 1937 ausdrücklich als den Wendepunkt in der deutschen Außenpolitik bezeichnete und damit unzweideutig anerkannte, daß die deutsche Außenpolitik bis zu diesem Tage keine aggressive, keine Politik der Gewalt war, keine kriegerischen Pläne oder Absichten verfolgte, sondern entsprechend dem politischen und menschlichen Glaubensbekenntnis des Angeklagten, wie es von allen hier vernommenen Zeugen und in allen meinen Dokumentenbüchern befindlichen Fragebogen und Affidavits einhellig bestätigt wird, eine durch und durch friedliche war und gar keine andere sein konnte.
Auf drei Grundpfeilern ruhte dieses Glaubensbekenntnis: Menschenliebe, Vaterlandsliebe und Friedensliebe, alle drei geboren und getragen von tiefstem Verantwortungsbewußtsein vor sich selbst, vor seinem Gott und vor seinem Volk.
Und aus diesem Verantwortungsbewußtsein fühlte er sich auch, als Hitler ihn wenige Tage nach der Besetzung der Tschechoslowakei aus seinem wohlverdienten Otium cum dignitate auf seinem Gut nach Wien rief und ihm eröffnete, daß er ihn zum Reichsprotektor von Böhmen und Mähren ausgewählt habe, verpflichtet, diese Berufung anzunehmen. Er hat sich zunächst dagegen gesträubt und lange schwer mit sich gerungen, war er doch seit jeher der schärfste Gegner einer Einmischung, geschweige denn einer mehr oder weniger gewaltsamen Angliederung anderer Völker an das Deutsche Reich und hatte aus diesem Grund auch die Angliederung der Tschechoslowakei und den mit dessen Präsidenten Hácha abgeschlossenen sogenannten Schutzvertrag verurteilt, und zwar ohne damals auch nur im geringsten zu ahnen, wie es in Wirklichkeit zu diesem gekommen war. Die wahren Einzelheiten des Vorganges hat er überhaupt erst hier in Nürnberg erfahren. Und so sehr es ihm widerstrebte, noch einmal und noch dazu in seinem Alter überhaupt wieder ein öffentliches Amt zu übernehmen und überdies wieder in den Dienst Hitlers und seines von ihm nichts weniger als gebilligten Regimes zu treten, kam er doch aus seinem Verantwortungsbewußtsein gegenüber seinem Volke und seiner humanitären Grundeinstellung zu der Überzeugung, daß er sich diesem Rufe nicht versagen dürfe. Als Hitler ihm erklärte, daß er gerade ihn als die allein dazu geeignete Persönlichkeit ausgewählt habe, die die von ihm beabsichtigte Aussöhnung des tschechischen Volkes mit dem neuen Zustand und mit dem deutschen Volk erfolgreich herbeiführen könne, konnte er sich der Erkenntnis nicht verschließen, daß ihm damit eine Aufgabe gestellt würde; der er sich sowohl im Interesse des deutschen Volkes wie auch der Humanität und der Völkerverständigung nicht entziehen dürfe. Und war es in der Tat nicht eine Aufgabe, des Schweißes der Edlen wert, durch eine humane und gerechte Regierung und Behandlung ein Volk, das jede Beschränkung und Beeinträchtigung seiner Freiheit und Selbständigkeit als das schlimmste ihm angetane Unrecht ansehen und mit blutigstem Haß und Erbitterung gegen das als unerträglichen Unterdrücker empfundene Volk erfüllen mußte, mit eben diesem Volk und den von diesem herbeigeführten Zuständen zu versöhnen? Lag dieses Ziel aber nicht auch gerade auf der gleichen Linie wie die seine ganze Außenpolitik klar und eindeutig durchziehende Tendenz der Sicherung und Erhaltung des Friedens? Und er durfte und mußte sich mit Recht sagen, daß, wenn er sich dieser Aufgabe versagte, mit größter Wahrscheinlichkeit aus dem Kreise um Hitler ein anderer Mann zum Reichsprotektor bestellt werden würde, der nicht geeignet und nicht gewillt war, durch eine humane und gerechte Behandlung das tschechische Volk zu versöhnen, vielmehr weit eher geneigt war, es mit Gewalt und Terror niederzuhalten, wie es denn ja auch zweieinhalb Jahre später tatsächlich geschehen ist. Nur aus diesen Gedankengängen und Überlegungen heraus entschloß er sich, unter Ausschaltung aller persönlichen Interessen und Beiseiteschieben selbst der Gefahr, daß ihm dies von manchen Seiten als eine Billigung und Unterstützung Hitlers und seines Regimes ausgelegt und zum Vorwurf gemacht werden könne, das ihm angetragene Amt anzunehmen, nachdem ihm Hitler ausdrücklich und fest zugesichert hatte, daß er seine, des Angeklagten beabsichtigte Politik der Befriedung und Aussöhnung des tschechischen Volkes durch eine humane und gerechte, den Interessen des tschechischen Volkes in weitestgehendem Maße gerecht werdende Behandlung jederzeit zu unterstützen gewillt sei.
Der Schwere dieser damit von ihm übernommenen Aufgabe war er sich bewußt. Ich stehe nicht an zuzugeben, daß es sich hier um einen Entschluß gehandelt hat, bei dem man bei einer anders gearteten, in ihrem Denken und Handeln anders eingestellten Persönlichkeit wie der des Angeklagten von Neurath von dem seitens des Herrn englischen Anklagevertreters hier vertretenen Standpunkt aus – es sei unmoralisch, in einer wegen ihrer Amoralität abzulehnenden Regierung zu bleiben – in Verlegenheit kommen könnte, ihn zu rechtfertigen, daß aber bei der Ihnen, wie ich hoffe, genügend deutlich geschilderten Persönlichkeit Herrn von Neuraths und seinem tiefen Verantwortungsbewußtsein dieser Entschluß der einzig gegebene und folgerichtige war. Es liegt eine geradezu antike Tragik darin, daß das Scheitern an dieser nur aus höchsten ethischen Motiven übernommenen Aufgabe den Angeklagten von Neurath hier auf diese Anklagebank führen sollte.
Schon hier aber möchte ich zu dem von der Anklagebehörde unternommenen Versuch, die Behauptung des Angeklagten, er halbe sein Amt als Reichsprotektor allein in der Absicht und zu dem Zweck übernommen, durch eine die Interessen und das Volkstum des tschechischen Volkes weitestgehend wahrende Behandlung und Politik zu befriedigen und auszusöhnen und damit auch diesem und seinem nationalen Wohlergehen zu dienen, durch die von ihr unter Nummer 3859-PS in Photokopie vorgelegten Dokumente – das Schreiben des Angeklagten an den Chef der Reichskanzlei Lammers vom 31. August 1940 und dessen angebliche Anlagen – als unglaubwürdig hinzustellen, folgendes erklären:
Ich glaube, durch die zweite, von dem Hohen Gericht mir entgegenkommenderweise ermöglichte nochmalige Vernehmung des Angeklagten den Beweis geführt zu haben, daß diesen Dokumenten, vor allem den beiden dem Schreiben an Lammers beigefügten Berichten, die in der Tat in der Frage der Germanisierung des tschechischen Volkes den oben dargelegten Absichten und Tendenzen des Angeklagten nicht entsprechen, keinerlei Beweiskraft innewohnt. Nicht nur entsprechen aber die Photokopien nach der bestimmten Erklärung des Angeklagten in keiner Weise dem Inhalt und der Form, das heißt der Länge der ihm zur Unterschrift vorgelegten beziehungsweise gutgeheißenen, dem Schreiben an Lammers beizufügenden Originalen, sie erwecken auch mehrmals berechtigte Zweifel daran, daß die photokopierten Schriftstücke wirklich identisch sind mit den dem Schreiben an Lammers beigefügten Anlagen, durch folgende Tatsachen:
Entgegen der bei allen Behörden üblichen Gepflogenheit tragen beide Photokopien nicht das Aktenzeichen des Briefes an Lammers, nicht einmal einen Vermerk, daß sie Anlagen eines dritten Schreibens, geschweige denn des Schreibens an Lammers sind. Und die Photokopie der ersten Berichte trägt auch nicht die Unterschrift des Angeklagten, die dieser nach seiner bestimmten Erklärung unter den in Reinschrift vorgelegten, von ihm selbst beziehungsweise von seinem Büro nach seinen Weisungen gefertigten, dem Brief an Lammers beigefügten Bericht bei der Unterzeichnung des Briefes an Lammers gesetzt hat. Sie zeigt vielmehr auffallenderweise nur einen von einem im Büro des Staatssekretärs Frank beschäftigten SS- Obersturmbannführer zu unterschreibenden, in Wirklichkeit aber auch nicht unterschriebenen Richtigkeitsvermerk der Abschrift. Diese Tatsachen lassen die Behauptung des Angeklagten als durchaus richtig erscheinen, daß, wenn die photokopierten Berichte tatsächlich dem Schreiben an Lammers beigefügt worden sein sollten, sie in dem mit der Absendung des Schreibens beauftragten Büro des Staatssekretärs Frank von diesem oder in dessen Auftrage gegen den Originalbericht des Angeklagten und gegen den von ihm im Entwurf gebilligten Bericht Franks vertauscht worden sind. Und es verdient weiter die Aussage des Angeklagten, die er für die Erklärung und den Zweck dieses Schreibens an Lammers und seiner Anlagen gegeben hat, vollen Glauben, daß er, ebenso wie er es durch den in dem unter US-65, L-150 vorgelegten Bericht des Generals Friderici vom 15. Oktober 1940 enthaltenen Plan versuchen wollte, Hitler an Hand der übersandten beiden Berichte durch seinen mündlichen Vortrag dazu bewegen wollte, von einer Aufteilung des Protektoratsgebietes und einer Germanisierung des tschechischen Volkes in welcher Form immer, die er aus allen Gründen, nicht zuletzt im Interesse des ihm anvertrauten tschechischen Volkes und seiner nationalen Eigenheit und Geschlossenheit, entschieden ablehnte, abzusehen und derartige Pläne überhaupt zu verbieten. Diese seine Behauptungen werden bestätigt durch die Aussagen des Zeugen von Holleben in dem von ihm beantworteten Fragebogen, Dokumentenbuch 5, Nummer 156, des Zeugen Dr. von Burgsdorff, sowie durch das in dem Affidavit der Baronin Ritter – Dokumentenbuch 1, Nummer 3 – wörtlich zitierte eigene Schreiben des Angeklagten an diese. Und tatsächlich hat er sich ja auch mit seinem Standpunkt durchgesetzt, wie der von der Anklagebehörde vorgelegte Bericht Ziemke über die Unterredung mit Hitler beweist. Solange er in Prag war, sind keinerlei Schritte zu einer Germanisierung des tschechischen Volkes erfolgt, selbst die Erörterung dieser ganzen Frage hat der Angeklagte verboten, wie das von der Anklagebehörde vorgelegte Dokument 3862-PS beweist. Gerade durch diese Verhinderung jeglicher Aufteilung des Protektoratsgebietes und jeglicher mehr oder weniger gewaltsamen planmäßigen Germanisierung des tschechischen Volkes wird wohl am einleuchtendsten bewiesen, wie ernst es dem Angeklagten war mit seiner Absicht und seinem Bestreben, das tschechische Volk und sein Volkstum in seiner nationalen Geschlossenheit und Eigenart zu schützen und zu erhalten, getreu den Grundsätzen und Absichten, wie er sie in seinem in der »Frankfurter Zeitung« vom 30. März 1939 wiedergegebenen Artikel – Dokumentenbuch 5, Nummer 143 – über die Neuordnung der europäischen Mitte als die Richtschnur für die Erfüllung seiner Aufgabe öffentlich niedergelegt hatte. Er selbst bezeichnete in diesem Artikel diese seine Aufgabe als eine schöne, aber auch als eine schwere. Wie schwer diese in Wirklichkeit war, wie fast unerfüllbar, sollte sich leider nur allzubald zeigen.
Der Grund hierfür lag in erster Linie darin, daß von Anfang an dem Reichsprotektor nicht nur nicht die volle Macht im Protektorat übertragen worden war, ihm, ganz abgesehen von seiner Unterstellung unter Hitler, nicht die allein maßgebende und alles beherrschende Stellung gegeben wurde, sondern auch seine Kompetenzen und Machtbefugnisse nicht scharf genug umrissen waren. Zwar war in dem das Protektorat begründenden Erlaß Hitlers vom 16. März 1939 und der diesen ergänzenden Verordnung vom 22. März 1939 – Dokumentenbuch 5, Nummer 144 und 145 – bestimmt, daß der Reichsprotektor dem Führer und Reichskanzler unterstellt sei, dessen und der Reichsregierung alleiniger Repräsentant sei und vom Führer und Reichskanzler seine Weisungen zu erhalten habe. Aber gleichzeitig waren nicht nur gewisse Verwaltungszweige, so die Wehrmacht, das Verkehrswesen, sowie das Post- und Fernmeldewesen von vornherein seiner Kompetenz entzogen, es waren vielmehr auch der Reichsregierung beziehungsweise dem Reich das Recht gegeben, an sich der Zuständigkeit des Reichsprotektors unterliegende Verwaltungszweige in eigene, vom letzteren unabhängige, sogenannte reichseigene Verwaltung zu nehmen und erforderlichenfalls reichseigene Behörden einzurichten, die der Zuständigkeit des Reichsprotektors nicht unterlagen. Dem Reich war auch das Recht beigelegt, die zur Sicherheit und Ordnung im Protektorat erforderlichen Maßnahmen über den Kopf des Reichsprotektors hinweg zu treffen. – Ferner wurde, und das ist das Allerbedeutsamste, auch jeder der vielen obersten Reichsbehörden, also nicht nur den Reichsministerien, sondern zum Beispiel auch der Reichsbank, dem Vierjahresplan, dem Ministerrat für die Reichsverteidigung und anderen das Recht beigelegt, völlig unabhängig vom Reichsprotektor selbständig Rechtsverordnungen und Organisationsmaßnahmen zu erlassen und damit in an sich der Zuständigkeit des Reichsprotektors unterstehende Verwaltungszweige einzugreifen, ohne daß dem Reichsprotektor das Recht oder die Möglichkeit gegeben wurde, gegen solche, wenn sie seinen eigenen Anordnungen und Maßnahmen, seiner eigenen Politik zuwiderliefen, zu protestieren und sie zu verhindern. Im Gegenteil war er verpflichtet, sie auf Verlangen nicht nur im Protektorat zu publizieren, sondern auch ihre Durchführung zu überwachen. Die Stellung des Reichsprotektors war also, um es an einem Beispiel klarzumachen, keineswegs dieselbe wie zum Beispiel die des britischen Vizekönigs in Indien, sondern entsprach, wenn auch in äußerlich etwas gehobener Form, viel eher derjenigen eines Reichsstatthalters oder Oberpräsidenten einer Provinz. Sie entsprach daher auch nicht dem, was man bisher staatsrechtlich unter einem Protektorat verstand, konnte dies auch nicht, weil dieses sogenannte Protektorat Böhmen und Mähren gemäß Artikel 1 des vorerwähnten Erlasses vom 16. März 1939, worauf ich an dieser Stelle mit ganz besonderem Nachdruck hinweisen muß, zum Gebiete des Deutschen Reiches gehörte, also ein Teil des Deutschen Reiches war und nur innerhalb des Reiches als Teil desselben eine gewisse Selbstverantwortung, eine beschränkte Autonomie besaß, wodurch die Einführung der im gesamten übrigen Reichsgebiet geltenden Gesetze und Vorschriften von vorneherein gegeben war.
Es liegt auf der Hand, daß aus dieser so unklaren und unbestimmten Umgrenzung der Befugnisse und Kompetenzen des Reichsprotektors sich sehr bald die größten Schwierigkeiten nicht nur für eine einheitliche, nach einheitlichen Gesichtspunkten und Richtlinien geleitete Politik, sondern auch für den Angeklagten selbst als Reichsprotektor bei der Durchführung der von ihm gewollten und eingeschlagenen Regierungsführung ergeben mußten, Schwierigkeiten und Widerstände, die sich im Laufe der Zeit immer verschärften. Auf der anderen Seite folgt hieraus aber noch, daß die Verantwortlichkeit des Angeklagten nur unter diesem Gesichtspunkt, nur unter Berücksichtigung dieser verschiedenen Zuständigkeiten aller möglichen anderen Behörden beurteilt werden kann.
Nie und nimmer kann er für Verordnungen, Maßnahmen und Handlungen verantwortlich gemacht werden, die er nicht selbst erlassen oder angeordnet hat, die vielmehr von anderen, seiner Machtsphäre, seinem Einfluß entzogenen Behörden oder sonstigen Stellen ohne sein Zutun, ohne sein Wissen, ja gegen seinen Willen angeordnet worden sind und die zu verhindern er weder das Recht noch die Macht hatte, für die er bestenfalls Durchgangsstelle war.
Dies gilt in erster Linie für die ihm von der Tschechischen Anklage – USSR-60(1) – zugeschobene Mitverantwortung für alle Handlungen Hitlers und der Reichsregierung vor und nach der Errichtung des Protektorats. Die Grundlage und Voraussetzung bildende Behauptung der Anklage hierfür, Herr von Neurath sei nach seinem Abschied als Reichsaußenminister Mitglied der Reichsregierung geblieben, ist objektiv unrichtig. Ich habe bereits an anderer Stelle einwandfrei nachgewiesen, daß er weder als inaktiver Minister noch als Präsident des Geheimen Kabinettsrats Mitglied der Reichsregierung gewesen ist, und ebensowenig war er als Reichsprotektor Mitglied der Reichsregierung. Auch dieses steht fest, ist auch nie von der Anklagebehörde vor diesem Gericht behauptet worden. Damit entfällt jede Mitverantwortung des Angeklagten für irgendwelche, der Errichtung des Protektorats voraufgegangene oder sie vorbereitende Handlungen oder Maßnahmen. Daß auch die ihm hier wieder als solche vorbereitende Handlung zum Vorwurf gemachte Erklärung gegenüber dem Tschechoslowakischen Gesandten am 12. März 1938 nicht unrichtig, nicht betrügerisch, also auch keine den Einmarsch in die Tschechoslowakei vorbereitende Handlung war, habe ich ebenfalls bereits an anderer Stelle nachgewiesen.
Wenn die Tschechische Anklage weiter aus Artikel 5 des vorerwähnten Erlasses vom 16. März 1939 die Folgerung zieht, daß er als Reichsprotektor für alles, was im Protektorat während seiner Amtszeit, das heißt vom 17. März 1939 bis 27. September 1941 geschehen ist, unterschiedslos verantwortlich ist, so ist auch dieser Schluß angesichts der vorstehend dargelegten tatsächlichen Zuständigkeitsverhältnisse im Protektorat objektiv unrichtig und falsch. Nach keinem Recht der Welt kann einem Menschen eine strafrechtliche Verantwortlichkeit aufgebürdet werden für Ereignisse und Handlungen dritter Personen, an denen er nicht beteiligt war, nicht mitgewirkt hat oder sie sogar gegen seinen Willen geschehen sind.
So kann er nicht für die Festlegung des Wechselkurses zwischen Reichsmark und Tschechenkrone verantwortlich gemacht werden, denn diese Festlegung war bereits erfolgt, als er sein Amt antrat, weder hat er dabei mitgewirkt noch hatte er die Macht oder das Recht, den Kurs abzuändern, wobei es ruhig dahingestellt bleiben kann, ab, wie die Anklage beweislos behauptet, dieser Kurs ein für das tschechische Volk nachteiliger war oder nicht. Daß im übrigen, selbst wenn letzteres der Fall war, hierin kein Verbrechen im Sinne des Statuts liegt, und nur als solches wäre es strafbar, braucht wohl nicht erst betont zu werden.
Ebensowenig kann er verantwortlich gemacht werden für die Schaffung der Zollunion und ihrer Durchführung. Diese war bereits im Artikel 9 des Erlasses vom 16. März 1939 bestimmt worden, in dem es wörtlich heißt:
»Das Protektorat gehört zum Zollgebiet des Deutschen Reiches und untersteht seiner Zollhoheit.«
Die Bestimmung war eine natürliche Folge der bereits betonten Tatsache, daß das Protektorat ein Teil des deutschen Reichsgebietes war. Es muß aber hier besonders darauf hingewiesen werden, daß der Angeklagte, da er diese Einbeziehung des Protektorats in das Zollgebiet, die Zollhoheit des Reiches für nachteilig und schädlich für die tschechische Wirtschaft hielt, ihre Durchführung und Verwirklichung trotz allen Drängens des deutschen Reichsfinanzministers anderthalb Jahre lang bis zum Oktober 1940 hinauszuschieben verstanden hat, ein klarer Beweis dafür, daß ihm die Interessen des ihm anvertrauten tschechischen Volkes über die Interessen des Deutschen Reiches gingen. Mit den wirtschaftlichen Maßnahmen der angeblichen Überführung tschechischer Banken und Industrieunternehmen, der angeblichen Besetzung ihrer Schlüsselstellungen mit Deutschen, hatte er überhaupt nichts zu tun. Diese Maßnahmen erfolgten durch andere Behörden, insbesondere die Reichsbank und den Beauftragten für den Vierjahresplan hinter seinem Rücken und ohne seine Mitwirkung. Sie waren im übrigen die natürliche Folge des Umstandes, daß bereits früher sehr erhebliche deutsche Kapitalien in diesen Banken und Unternehmungen investiert waren, die sich nach der Besetzung dadurch vergrößerten, daß die von dem übrigen Ausland gegebenen Kredite von diesen zurückgezogen und von reichsdeutschen Firmen übernommen wurden.
Nichts zu tun hatte er endlich mit der Gerichtsbarkeit. Diese Unterstand ausschließlich dem Reichsjustizministerium. Nur von diesem wurden die deutschen Gerichte einschließlich der Standgerichte und der Staatsanwaltschaft eingerichtet, von diesem die Richter und Staatsanwälte ernannt. Herr von Neurath selbst hatte hiermit und erst recht mit der Rechtsprechung der Gerichte nicht das geringste zu tun, wie dies aus den betreffenden sie errichtenden Verordnungen und Erlassen, insbesondere der Verordnung über die Ausübung der Strafgerichtsbarkeit vom 14. April 1939 – Dokumentenbuch 5, Nummer 147 – einwandfrei hervorgeht.
Auch hier aber muß nochmals darauf hingewiesen werden, daß weder die wirtschaftlichen Maßnahmen noch die Errichtung deutscher Gerichte in dem zum Gebiete des Deutschen Reiches gehörenden Protektorat auch nur im entferntesten unter die in diesem Statut unter Strafe gestellten Verbrechen fällt. Und ebensowenig fallen unter diese Verbrechen die dem Angeklagten von der tschechischen Anklageschrift zum Vorwurf gemachten angeblichen Eingriffe in das tschechische Schulwesen, die Einsetzung deutscher Schulinspektoren, Maßnahmen, die gleichfalls nicht von ihm ergriffen worden waren, sondern von dem deutschen Reichsministerium für Erziehung und Unterricht ausgingen. Und die Schließung einer größeren Anzahl von tschechischen Mittelschulen ist überhaupt nicht von dem Angeklagten, auch nicht im Auftrage des deutschen Reichsministeriums erfolgt, sondern von der Tschechischen Regierung selbst angeordnet worden, allerdings auf Anregung des Angeklagten. Die erwies sich deshalb als zweckmäßig und gerade im Interesse der tschechischen Jugend und damit der tschechischen Intelligenz und des Volkes liegend, um der Gefahr der Bildung und des Heranwachsens eines größeren Bildungsproletariats vorzubeugen. Diese Gefahr war dadurch akut geworden, daß nach der Eingliederung des sudetendeutschen Gebietes in das Deutsche Reich im Herbst 1938 eine sehr große Anzahl von tschechischen Beamten und Angehörigen der freien Berufe in das Protektoratsgebiet hereingeströmt waren, wodurch bei der Verkleinerung des Protektoratsgebietes durch die Abtrennung des Sudetenlandes und der Slowakei und der an sich schon bestehenden Überfüllung aller höheren Berufe die Beschäftigungs- und Verdienstmöglichkeiten der heranwachsenden Schüler der Mittelschulen noch mehr vermindert wurden. Hinzu kam die auf persönlichen Befehl Hitlers erfolgte Schließung der Hochschulen Mitte November 1939. Die Tschechische Regierung konnte sich der Richtigkeit dieser Überlegungen des Angeklagten nicht verschließen und verfügte selbst die Schließung einer ganzen Reihe von Schulen. Von dem Angeklagten wurde auf die Tschechische Regierung keinerlei Druck ausgeübt. Das hat die Beweisaufnahme erwiesen.
Die Auflösung tschechischer Turn- und Sportvereine und ähnlicher Organisationen aber erfolgte ohne Wissen und Mitwirkung des Angeklagten durch die ihm nicht unterstellte Polizei, ebenso wie die Beschlagnahme und Verwendung ihrer Vermögen. Es steht im übrigen nicht einmal fest, ob die Auflösung überhaupt noch während der Amtszeit des Angeklagten oder nicht erst nach seinem Fortgange erfolgt ist. Die Auflösung des Sokol aber war geradezu eine Staatsnotwendigkeit im deutschen Interesse und im übrigen auch eine im Interesse der Befriedung und Aussöhnung des tschechischen Volkes liegende Maßnahme, denn der Sokol bildete unstreitig die Zentrale aller deutschfeindlichen Bestrebungen und der Aufhetzung des tschechischen Volkes zu aktivem Widerstand gegen alles, was deutsch war.
Geht schon aus den vorstehenden Darlegungen hervor, wie vielfältig die Eingriffe anderer Behörden und Dienststellen in die Verwaltung des Protektorats und dadurch die Schwierigkeiten und Widerstände gegen eine einheitliche Politik des Angeklagten waren, so wurden diese auch nicht behoben, sondern sogar noch verschärft durch die Verordnung vom 1. September 1939 über den Aufbau der Verwaltung und die deutsche Sicherheitspolizei – Dokumentenbuch 5, Nummer 149. Diese Verordnung ist ohne vorherige Fühlungnahme mit dem Angeklagten vom Ministerrat für die Reichsverteidigung erlassen worden. Auch sie ist besonders in ihrem Teil I völlig unklar und irreführend. Sie unterstellt zwar sämtliche deutschen Verwaltungsbehörden und deren Beamten im Protektorat dem Reichsprotektor, aber diese Unterstellung war nur eine behördenmäßige, das heißt rein äußerliche, nicht aber auch eine sachliche hinsichtlich der von ihnen zu bearbeitenden Verwaltungsgebiete. In dieser Hinsicht blieb es nach wie vor bei dem bisherigen Zustand, wie er sich schon aus dem Recht der obersten Reichsbehörden gemäß Artikel 11 des Erlasses vom 16. März 1939 und der Verordnung vom 22. März 1939 ergeben hatte. Der Unterschied war nur der, daß nunmehr auch alle von anderen Stellen eingerichteten oder in Zukunft einzurichtenden Behörden und Dienststellen formell der Behörde des Reichsprotektorats angegliedert wurden und unter der behördenmäßigen Bezeichnung »Der Reichsprotektor von Böhmen und Mähren« als Abteilungen desselben in Erscheinung traten. Das hatte aber nicht etwa zur Folge, daß diese dergestalt angegliederten Abteilungen auch in sachlicher Beziehung dem Reichsprotektor persönlich, also dem Angeklagten unterstellt wurden, von diesem ihre sachlichen Weisungen und Befehle zu erhalten hatten und in seinem Sinne nach seinen Richtlinien arbeiten mußten. Vielmehr erhielten sie nach wie vor ihre Weisungen von ihren ursprünglichen Reichsbehörden und hatten nur diese zu beachten und zu befolgen. So unterstand zum Beispiel die dergestalt bei dem Reichsprotektor gebildete sogenannte Transportabteilung, die das bereits im Erlaß vom 16. März 1939 von der Zuständigkeit des Reichsprotektors ausgenommene Verkehrswesen zu bearbeiten hatte, nach wie vor dem Reichsverkehrsministerium und nicht dem Reichsprotektor, hatte nicht von diesem, sondern von dem Ministerium in Berlin ihre Weisungen zu erhalten. Und so war es auch auf anderen Gebieten, auch auf dem Gebiet der reinen inneren Verwaltung.
Durch diese Verordnung vom 1. September 1939 des Ministerrates für die Reichsverteidigung, nicht, wie die Tschechische Anklage fälschlich behauptet, durch eine Verordnung des Angeklagten wurde eine Neueinteilung des Protektoratsgebietes in Oberlandratsbezirke mit einem Oberlandrat an der Spitze vorgenommen, der nach Paragraph 6 der Verordnung die zwar dem Reichsprotektor behördenmäßig nachgeordnete Behördenstelle für sämtliche Verwaltungszweige der inneren Verwaltung ist und als solcher mit weitgehenden Vollmachten die Aufsicht auch über die tschechischen Behörden des Protektorats ausübt, und zwar nicht im Auftrage des Reichsprotektors, sondern des betreffenden Reichsministeriums in Berlin. Auch hieraus mußten sich schwerwiegende Differenzen und Gegensätze zwischen der von diesen Oberlandräten nach den ihnen von dem Reichsinnenministerium in Berlin erteilten Weisungen vorgenommenen Maßnahmen und der von dem Angeklagten verfolgten Politik ergeben. Wie weit aber durch diese die tschechischen Verwaltungsbehörden in Mitleidenschaft gezogen und beeinflußt wurden, kann dahingestellt bleiben, denn auch diese Verordnung und die aus ihr resultierende Einschaltung reichsdeutscher Beamter in die Tätigkeit der tschechischen Verwaltungsbehörden ist kein Verbrechen, wie es in dem Statut dieses Gerichts unter Strafe gestellt ist. Auch diese Verordnung ist nur eine Folge der Zugehörigkeit des Protektorats zum Deutschen Reich.
Klarheit wurde dagegen durch diese Verordnung geschaffen in der Frage der Stellung der Polizei, und zwar sowohl der politischen wie der Sicherheitspolizei innerhalb des Protektoratsgebietes. Diese Frage war bis zu dieser Verordnung völlig ungeklärt und hatte vom ersten Tage der Tätigkeit Herrn von Neuraths an zu Differenzen und Unzuträglichkeiten zwischen ihm und seinem Staatssekretär Frank geführt.
Als Hitler dem Angeklagten nach seiner Aussage das Amt des Reichsprotektors übertrug, hatte er ihm große Machtvollkommenheiten zugesichert, insbesondere den Schutz und die volle Unterstützung der vom Angeklagten beabsichtigten Politik der Versöhnung und des Ausgleiches gegen radikale Bestrebungen der Partei und sonstiger chauvinistischer Kreise. Der Angeklagte hat daraus entnommen, daß er als Vertreter des Führers im Protektorat bestimmenden Einfluß auch auf die Tätigkeit der Polizei haben müßte und haben werde. Daß ihm dadurch, daß die Polizei ihm nicht ausdrücklich und von Anfang an unterstellt wurde, ein großer Teil der von ihm angenommenen Wirkungsmöglichkeit von vornherein illusorisch gemacht wurde, hat der Angeklagte nach seiner eigenen Aussage damals nicht übersehen können. Aus dem Umstande aber, daß der zum Höheren SS- und Polizeiführer im Protektorat ernannte Frank gleichzeitig zu seinem Staatssekretär gemacht und ihm als solcher unterstellt wurde, konnte der Angeklagte sehr wohl das Bestreben Hitlers entnehmen, die Befehlsgewalt über die Polizei zwar nicht bei ihm, dem Angeklagten selbst, aber wenigstens bei seiner Behörde, nämlich seinem Staatssekretär zu zentralisieren. In der Praxis entwickelte sich dieses Verhältnis dann aber völlig anders, da der Staatssekretär Frank gar nicht daran dachte, seinen Behördenchef, den Angeklagten, irgendwie in die Tätigkeit der Polizei einzuschalten, sondern nur die Zuständigkeit und Befehlsgewalt Himmlers, seines Vorgesetzten als SS- und Polizeiführer beziehungsweise dessen Reichssicherheitshauptamtes anerkannte.
Dieser tatsächliche Zustand ist durch die Verordnung vom 1. September 1939 gesetzlich festgelegt worden. Denn diese bringt eindeutig zum Ausdruck, daß die deutsche Sicherheitspolizei und damit auch die Gestapo dem Reichsprotektor nicht unterstellt war. Das ergibt sich schon rein äußerlich aus der Tatsache, daß sie die beiden Sachgebiete Verwaltung und Polizei völlig voneinander trennt, indem sie in ihrem Teil I den Aufbau der deutschen Verwaltung im Protektorat, die dem Reichsprotektor untersteht, und in Teil II völlig getrennt davon die deutsche Sicherheitspolizei behandelt. Diese untersteht nicht dem Reichsprotektor, sondern wird in die eigene Verwaltung des Reiches übernommen, wie es schon in Artikel 5, Absatz 5 des Erlasses vom 16. März 1939 vorbehalten war, das heißt, sie erhält ihre Befehle vom Chef der Polizei in Berlin, das heißt Himmler direkt, zum Teil auch durch Einschaltung des Höheren SS- und Polizeiführers in Prag. Für das Verhältnis der Polizei zum Reichsprotektor ist maßgebend der zweite Satz des Paragraphen 11. Er lautet:
»Die Organe der deutschen Sicherheitspolizei haben die Ergebnisse ihrer Nachforschungen zu sammeln und auszuwerten, um danach den Reichsprotektor und die ihm nachgeordneten Dienststellen über wichtige Ereignisse zu unterrichten und ihn auf dem Laufenden zu halten und Anregungen zu geben.«
Dies bedeutet, daß der Reichsprotektor rechtlich wie tatsächlich nicht die Möglichkeit hatte, die Aktionen der Polizei in irgendeiner Form zu beeinflussen. Er konnte nicht ihren von Berlin ergangenen Befehlen vor ihrer Ausführung widersprechen. Ganz abgesehen davon, daß er sie gar nicht zu sehen bekam, hatte er aber auch dazu gar kein Recht. Er hatte nur einen Anspruch, nachträglich über bereits getroffene Maßnahmen von der Polizei unterrichtet zu werden, und auch dies geschah, wie durch die Beweisaufnahme erwiesen ist, nur in den seltensten Fällen. Das Recht oder die Möglichkeit, selbst der Polizei Befehle zu erteilen, hatte er überhaupt nicht.
Unweigerlich mußten sich bei der ganz anders gearteten Einstellung Franks wie der des Herrn von Neurath zum tschechischen Volk infolge dieser Trennung der Gewalten von Anfang an Gegensätze und schärfste Differenzen zwischen beiden ergeben. Denn Frank war als Sudetendeutscher und einer der Führer der Sudetendeutschen von Haß und Rachsucht gegen alles, was tschechisch war, erfüllt. Von einer Verständigung, einer Versöhnung und Aussöhnung zwischen dem deutschen und tschechischen Volk wollte er nichts wissen und hat vom ersten Tage seiner Tätigkeit an dieser seiner antitschechischen Gesinnung freien Lauf gelassen.
Zunächst, das heißt bis zum Ausbruch des Krieges, war allerdings die Tätigkeit der Polizei noch gering, so daß diese Gegensätzlichkeit noch nicht so sehr stark in Erscheinung trat und Herr von Neurath infolgedessen annehmen durfte, daß sich diese Gegensätze allmählich abschleifen und Frank sich seinen Wünschen und Bestrebungen anpassen und gefügig zeigen werde, und er, der Angeklagte, die Notwendigkeit einer gesetzlich fundierten Einflußnahme auf die Polizei durch ihn noch nicht erkannte. Als er dann aus der allmählich zunehmenden Aktivität der Polizei und ihren Ausschreitungen ersehen mußte, daß seine Erwartungen sich nicht erfüllten, ist er nach der übereinstimmenden Aussage des Zeugen Dr. Völckers und von Holleben immer und immer wieder bei Hitler schriftlich und mündlich dahin vorstellig geworden, diesen verhängnisvollen Zustand zu ändern und ihm und nur ihm die Polizei zu unterstellen. Doch alle Versprechungen und Zusicherungen Hitlers erwiesen sich als trügerisch; die Unterstellung der Polizei unter Herrn von Neurath erfolgte nicht. Aber er wollte den Kampf nicht so schnell aufgeben, wollte nicht an der von ihm übernommenen Aufgabe verzweifeln, nun gerade wollte er versuchen, sich und seine Politik doch noch durchzusetzen und wenn ihm dies nicht gelang, so doch wenigstens nachträglich die Folgen und Härten der polizeilichen Maßnahmen sowohl im großen wie im einzelnen abzuschwächen und zu mildern. Daß er sich zu diesem Zweck alle Fälle polizeilicher Maßnahmen und Taten, wie Verhaftungen und sonstige Ausschreitungen, soweit er von ihnen, zumeist von tschechischer Seite Kenntnis erhielt, persönlich genauestens Vortrag halten ließ und sich, wo er nur konnte, für die Freilassung der Verhafteten oder sonstige Milderungen einsetzte, geht aus den Aussagen aller von mir gestellten Zeugen hervor, vor allem der des Dr. Völckers, der als Leiter des Büros des Angeklagten dauernd mit Eingaben dieser Art zu tun hatte. Es ergibt sich im übrigen auch aus den von der Anklage selbst beigebrachten Dokumenten wie der Aufzeichnung des Angeklagten über seine Besprechung mit Staatspräsident Hácha vom, 26. März 1940 – Anlage 5 zu Zusatz Nummer 1, USSR-60 – und selbst aus der der Spezialanklage beigefügten Aussage Bienerts, der selbst von der Polizei verhaftet war und auf Intervention des Angeklagten hin binnen kürzester Frist wieder freigelassen wurde.
In der Frage der Verantwortlichkeit des Angeklagten für die Maßnahmen der Polizei stimmen sämtliche Aussagen überein mit der einen Ausnahme der während der Beweisaufnahme vorgelegten Aussage Franks vom 7. März 1946. Diese aber steht in direktem Widerspruch zu seiner eigenen früheren Aussage. Bei seiner Vernehmung am 30. Mai 1945 – Dokumentenbuch 5, Nummer 153 – hat Frank wörtlich ausgesagt:
»Die Polizei war indessen der Behörde des Reichsprotektors nicht unterstellt... Beide, Gestapo und Sicherheitspolizei, erhielten ihre Weisungen und Befehle direkt vom Reichssicherheitshauptamt in Berlin.«
Für die Art, wie die Polizei unmittelbar von Berlin und ohne Einschaltung des Reichsprotektors ihre Weisungen erhielt, ist auch typisch die Aussage Franks vom 5. Mai 1945 über die Studentenunruhen- Dokumentenbuch 5, Nummer 152. Frank spricht darin von dem Bericht, den er über die ersten Demonstrationen nach Berlin sandte: Er hätte um Weisungen gebeten und diese umgehend aus dem Führerhauptquartier erhalten, sie wären von Berlin direkt an die Sicherheitspolizei in Prag gesandt worden, und er, Frank, habe sie selbst von dieser erhalten. Von der Person oder auch nur von der Behörde des Reichsprotektors ist bei dem ganzen Vorgang überhaupt nicht die Rede, es ist eine interne Angelegenheit der Polizei unter Einschaltung des Höheren SS- und Polizeiführers Frank.
Ich möchte wegen der Wichtigkeit dieses Punktes ausdrücklich noch Bezug nehmen auf die Aussagen der Zeugen von Burgsdorff und Völckers, die beide auf Grund ihrer Dienststellung während der ganzen Amtszeit des Angeklagten mit dieser Frage genau vertraut waren. Burgsdorff hat ausgesagt, die Polizei habe Frank unterstanden, der seine Befehle direkt von Himmler bekam. Völckers sagt, der Angeklagte hätte keinen Einfluß auf die Tätigkeit Franks und damit der Polizei gehabt. In der Praxis wäre von Anfang an die Polizei und damit auch der Staatssekretär Frank mit ihren Maßnahmen völlig unabhängig von dem Angeklagten gewesen, was später durch die Verordnung vom 1. September 1939 auch gesetzlich bestätigt worden wäre. Über das Verhältnis des Angeklagten zu Frank sagen sämtliche Zeugen auch in den schriftlichen Aussagen, es sei denkbar schlecht gewesen.
Bei dieser Sachlage ist es ganz ausgeschlossen, daß der Chef des SD und der Sicherheitspolizei als politischer Referent des Angeklagten tätig gewesen sein soll. Eine Verfügung über die Ernennung dieses Mannes vom Mai 1939, auf die in dem Schreiben des Chefs der Sicherheitspolizei – USSR-487 – Bezug genommen wird, ist dem Angeklagten überhaupt nicht erinnerlich. Jedenfalls ist er nach seiner bestimmten Aussage niemals in Funktion getreten. Das Dokument USSR-487 erscheint demgegenüber nicht beweiskräftig. Die mir von der Anklage übergebene Kopie trägt das Datum vom 21. Juli 1943. Schon daraus ergibt sich von selbst, daß die Ernennung des SD-Führers, wenn sie überhaupt erfolgt ist, während der ganzen Amtszeit des Angeklagten nicht durchgeführt worden ist. Unabhängig von der Datierung aber ergibt sich aus dem Betreff des Schreibens, daß es sich bei dieser Ernennung gar nicht um einen politischen Referenten beim Reichsprotektor persönlich, sondern bei dem Staatssekretär für das Sicherheitswesen, also bei Frank, handelte. Die Anrede »Der Herr Reichsprotektor« ist nur so zu verstehen, daß damit nicht die Person, sondern die Behörde gemeint ist. Es war im deutschen Behördenleben üblich, vom »Herrn« Reichsminister und so weiter zu sprechen, auch wenn man ihn nicht persönlich meinte, sondern irgendeine Abteilung seiner Behörde. Daß der SD-Führer als politischer Referent des Staatssekretärs, der gleichzeitig der Staatssekretär der Behörde des Angeklagten und selbständiger Staatssekretär für das Sicherheitswesen war, eingesetzt wurde, ist durchaus glaubwürdig und wahrscheinlich.
Wie mein Klient selbst aber über die Art und Weise der Beruhigung der Stimmung der Bevölkerung und der Verhinderung beziehungsweise Vorbeugung von Gewalttaten und Widersetzlichkeiten dieser dachte, ergibt sich gerade aus der ihm von der Anklage zum Vorwurf gemachten sogenannten »Warnung« vom Ende August 1939. Mit dieser bezweckte der Angeklagte nach seiner eidlichen Aussage gerade die Abschreckung der Bevölkerung von der Begehung von Gewalttaten und eine Verhinderung insbesondere von Sabotageakten, mit denen in dieser Zeit politischer Hochspannung vor dem Kriege gerechnet werden mußte und damit eine Vermeidung von scharfen polizeilichen oder gerichtlichen Maßnahmen, die die Bevölkerung nur noch mehr erbittern mußten. Es ist ohne Zweifel humaner, eine solche Warnung zu erlassen, um damit die Begehung von Verbrechen überhaupt zu verhindern, als sie ohne vorherige Warnung geschehen zu lassen und sie dann hart zu bestrafen. Daß Sabotageakte, wenn es nicht gelang, sie zu verhüten, in solchen Zeiten hart bestraft werden mußten, würde sicher auch in jedem anderen Lande anerkannt worden sein und ist eine Selbstverständlichkeit. Die Warnung hat, wie der Angeklagte ausgesagt hat, ihren Zweck erfüllt. Besondere Strafen sind in ihr überhaupt nicht angedroht oder festgesetzt worden; sie enthält gar keine besondere Strafdrohung, sondern bezog sich, wie der Wortlaut ergibt, nur auf bereits vorhandene Strafbestimmungen.
Der Satz »Die Verantwortung für alle Sabotageakte treffen nicht nur den Täter, sondern die ganze tschechische Bevölkerung« bezieht sich selbstverständlich, wie auch der Angeklagte bestätigt hat, nur auf die moralische Verantwortung und nicht auf die strafrechtliche. Er bedeutet, daß im Falle der Begehung von wiederholten schweren Sabotageakten in den betreffenden Gebieten allgemeine Maßnahmen eingeführt werden würden, wie zum Beispiel Beschränkung der Polizeistunde, Ausgehverbote oder allgemeine Verkehrs- oder Stromsperren, unter denen dann die gesamte Bevölkerung zu leiden haben würde. Eine strafrechtliche Verantwortung hätte wesentlich konkreter gefaßt werden müssen. Im Anfang der Proklamation ist ausdrücklich bestimmt, daß jeder, der die angeführten Handlungen begeht, sich damit als Feind des Reiches zeigt und entsprechend bestraft werden muß. Gerade dieser Satz zeigt, daß die strafrechtliche Behandlung eines solchen Sabotageaktes eben durchaus individuell erfolgen sollte. Es wäre zu dieser Zeit niemand in Prag, nicht einmal der Chef der Polizei, auf den Gedanken gekommen, hier Gesamtstrafen zu statuieren oder gar, wie die Anklage ohne jede Begründung behauptet, damit das Geiselsystem einzuführen. Ich möchte in diesem Zusammenhang auch noch auf die Aussage des Zeugen von Holleben verweisen – Dokumentenbuch 5, Nummer 158 – in der er sagt:
»Neurath hat es daher stets abgelehnt, einen Menschen für die Handlungen eines anderen verantwortlich zu machen.«
Nach allem vorher Gesagten ergibt sich weiter, daß auch für die Verhaftungen zur Zeit der Besetzung des tschechischen Gebietes und für die bei Ausbruch des Krieges erfolgten Verhaftungen von, wie die Anklage behauptet, 8000 prominenten Tschechen als Geiseln und deren Verbringung in Konzentrationslager beziehungsweise Hinrichtung, der Angeklagte von Neurath nicht verantwortlich gemacht werden kann. Diese Verhaftungen sind nach der Aussage des Angeklagten, mit der auch die Aussagen von Frank übereinstimmen, auf direkten Befehl von Berlin ohne Wissen und ohne Verständigung nicht nur des Angeklagten, sondern auch von Frank selbst erfolgt. Die von der Anklage vorgelegte gegenteilige Aussage Bienerts ist objektiv unrichtig und beruht auf völlig unlogischen und unrichtigen Schlußfolgerungen. Seine Schlußfolgerung, daß diese ganze Aktion unter Leitung des Angeklagten gestanden habe, weil dessen Befehl zur Entlassung Bienerts bereits vier Stunden nach seiner Verhaftung ergangen sei, entbehrt jeder Schlüssigkeit und ist objektiv falsch.
Unumstößlich fest steht schließlich auf Grund der Beweisaufnahme, daß der Angeklagte auch nicht für den Befehl zur Erschießung von neun Studenten und Verhaftung von zirka 1200 Studenten in der Nacht vom 16. zum 17. November 1939 verantwortlich ist, daß diese tatsächlich nur als Terrorakte zu bezeichnenden Maßnahmen ohne sein Wissen und in seiner Abwesenheit von Prag von Hitler persönlich angeordnet und auf dessen direkten Befehl von Frank erfolgt sind und daß auch die sie veröffentlichende Bekanntmachung vom 17. November 1939 von ihm weder erlassen noch unterschrieben, sein Name unter derselben vielmehr mißbraucht worden ist. Wie durch die Aussagen des Angeklagten selbst, durch diejenige des Zeugen Dr. Völckers, der den Angeklagten auf seiner Reise nach Berlin vom 16. November 1939, dem Tage nach den Studentenunruhen begleitet hat und mit ihm zusammen erst am 17. November nachmittags aus Berlin nach Prag zurückgekehrt ist, ferner durch die schriftliche Aussage des Herrn von Holleben und schließlich durch die Affidavits der Sekretärin des Angeklagten, Fräulein Friedrich, Dokumentenbuch 5, Nummer 159 und der Baronin Ritter einhellig bestätigt wird, war der Angeklagte in der Nacht vom 16. zum 17. November, als die Erschießungen und Verhaftungen erfolgten, überhaupt nicht in Prag, sondern in Berlin, und auch die Bekanntmachung dieser Vorgänge war bereits an den Häusermauern von Prag angeklebt, als der Angeklagte wieder in Prag eintraf. Den Angeklagten trifft nicht die geringste Verantwortung für diese Scheußlichkeiten. Der Befehl zu ihnen war vielmehr, ebenso wie der gleichzeitige Befehl zur Schließung der Hochschulen, direkt von Hitler in Berlin an Frank gegeben worden, und zwar, wie der Zeuge Völckers ausdrücklich bestätigt, in Abwesenheit und ohne Wissen des Angeklagten. Welcher Wert demgegenüber der von der Anklage vorgelegten Aussage des Dr. Havelka beigelegt werden kann, ergibt sich von selbst.
Die Glaubwürdigkeit dieses Zeugen Havelka wie auch aller anderen von der Anklage vorgelegten tschechischen Zeugenaussagen muß überhaupt mit allergrößter Vorsicht geprüft werden. Sie unterliegen von vornherein zwei schwerwiegenden Bedenken. Einmal handelt es sich bei allen diesen Zeugen um Mitglieder der ehemaligen autonomen Tschechischen Regierung, also um sogenannte Kollaborationisten, die heute deswegen in Haft sind und ihrer Aburteilung entgegensehen. Es ist menschlich nur allzu verständlich, wenn sie heute nicht nur die damaligen Verhältnisse unter einem anderen Licht sehen, anders beurteilen, als sie in Wirklichkeit waren, und sie unwillkürlich in ihrer Erinnerung die furchtbaren Dinge, die nach dem Weggange Herrn von Neuraths aus Prag geschehen sind, mit den Ereignissen unter diesem vermischen und sich dadurch eine Trübung ihrer Erinnerung ergibt. Auch darf nicht übersehen werden, daß sie sich in einem ganz natürlichen Bestreben durch eine Belastung Herrn von Neuraths selbst zu entlasten hoffen. Des weiteren kommt hinzu – und das ist fast noch wichtiger –, daß sie gar keine Kenntnis von den inneren tatsächlichen und rechtlichen Verhältnissen und Zuständigkeiten innerhalb der Behörde des Reichsprotektors hatten und haben konnten und daher gar nicht zu beurteilen vermögen, wie weit in Wirklichkeit der Angeklagte selbst derjenige war, der die einzelnen Anordnungen und Befehle erlassen oder veranlaßt hat. Ein Beispiel zeigt dies ganz klar: In der Aussage des Zeugen Kalfus wird behauptet, daß der Angeklagte für den Zollanschluß des Protektorats an das Deutsche Reich verantwortlich sei. Dazu verweise ich nur darauf, daß bereits in dem Erlaß Hitlers vom 16. März 1939 ausdrücklich bestimmt ist, daß das Protektorat zum Zollgebiet des Reiches gehört. Wenn weiter der Zeuge Bienert behauptet, daß Herr von Neurath derjenige gewesen sei, der die politische Verwaltung Böhmens und Mährens, und zwar sowohl die staatliche wie die Gemeindeverwaltung, den Deutschen unterstellte, so ist auch das objektiv unrichtig, denn wie ich bereits nachgewiesen habe, erfolgte diese Unterstellung durch die Verordnung vom 1. September 1939, die nicht von dem Angeklagten, sondern von dem Ministerrat für die Reichsverteidigung erlassen worden ist. Diese Beispiele mögen genügen, um zu zeigen, wie wenig glaubwürdig die ganzen Aussagen sind und wie wenig die Zeugen über die tatsächlichen Organisations- und Befehlsverhältnisse innerhalb der Behörde des Reichsprotektors orientiert waren. So ist zum Beispiel die immer wiederkehrende Behauptung der Zeugen, daß die Verhaftungen und vielfachen sonstigen Zwangsmaßnahmen der Gestapo gegen die tschechische Bevölkerung auf Befehl oder Anweisung des Angeklagten persönlich erfolgt seien, entweder eine bewußte Unwahrheit oder ein Beweis für ihre Unkenntnis selbst der veröffentlichten und im tschechischen Verordnungsblatt bekanntgemachten amtlichen Verordnungen. Denn, wie ich bereits nachgewiesen habe, unterstand die Gestapo überhaupt nicht der Befehlsgewalt des Angeklagten. Die Schlußfolgerungen hieraus für die Glaubwürdigkeit aller Zeugen ergeben sich von selbst. Daß demgegenüber die eidlichen Aussagen des Angeklagten und der von mir beigebrachten Zeugen in Verbindung mit den dazu vorgelegten Verordnungen eine ganz andere Glaubwürdigkeit verdienen, liegt auf der Hand.
So ist denn auch die Behauptung der tschechischen Anklageschrift und der ihr zugrunde liegenden Zeugenaussagen, daß Herr von Neurath Mitte November 1939 die Schließung der Hochschulen angeordnet habe, als objektiv unrichtig widerlegt: Die Schließung der Hochschulen erfolgte vielmehr auf ausdrücklichen Befehl Hitlers. Gegen sie hat der Angeklagte, wie die Beweisaufnahme einwandfrei ergeben hat, bei Hitler sofort protestiert und erreicht, daß dieser ihm zusagte, die Hochschulen nach Ablauf von einem Jahr statt erst nach drei Jahren wieder zu eröffnen. Daß Hitler dann sein Versprechen nicht gehalten hat, kann dem Angeklagten nicht zur Last gelegt werden. Die Tatsache seiner Bemühungen um die Zurücknahme der Schließung der Hochschulen beweist aber, wieviel ihm an der Erhaltung des Bildungsniveaus und der Intelligenzschichten des tschechischen Volkes gelegen war.
Und wie in diesem Fall hat sich der Angeklagte, wo er nur konnte, für das tschechische Volk in seiner Gesamtheit und im einzelnen eingesetzt. Dies gilt in besonderem Maße auf dem Gebiet der unheilvollen Tätigkeit der Polizei und der Gestapo, soweit er von dieser Kenntnis erhielt. So hat er auch nach seiner eigenen Aussage, die durch diejenige des Zeugen Dr. Völckers bestätigt ist, sich sofort nach der Verhaftung der Studenten Mitte November 1939 mit aller Energie und unausgesetzt für ihre Wiederfreilassung eingesetzt, und es ist ihm, wie wir nicht nur aus seinem Munde, sondern auch von Dr. Völckers gehört haben, bis zu seinem Fortgang aus Prag am 27. September 1941 gelungen, fast alle Studenten wieder freizubekommen. Und in gleicher Weise hat er sich auch unausgesetzt für die Freilassung der bei Kriegsausbruch verhafteten zirka 8000 prominenten Tschechen eingesetzt. Auch diese Verhaftungen waren ja, wie durch seine eidliche Aussage erwiesen ist, nicht, wie von den tschechischen Zeugen Bienert, Krejci und Havelka wahrheitswidrig behauptet wird, von ihm, nicht einmal von Frank oder einem anderen Höheren SS- oder Polizeiführer im Protektorat, sondern auf direkten Befehl von Berlin erfolgt. Dem Angeklagten ist es übrigens auch zu danken, daß der im Jahre 1941 auf Betreiben von Frank und Himmler ergangene Befehl Hitlers zur Absetzung und Verhaftung des damaligen tschechischen Ministerpräsidenten General Elias auf seine persönliche Intervention von Hitler zurückgezogen wurde. Erst nach seinem Fortgang ist Elias von Heydrich verhaftet und später vom Volksgericht zum Tode verurteilt worden.
Positiv unrichtig ist die Behauptung des tschechischen Zeugen Bienert, daß der Angeklagte die Verschickung von tschechischen Arbeitern in das Reich bewerkstelligt, das heißt tschechische Arbeiter zwangsweise nach Deutschland deportiert habe. Wahr ist vielmehr, daß während der ganzen Amtstätigkeit des Angeklagten nicht ein einziger tschechischer Arbeiter zwangsweise nach Deutschland verschickt worden ist. Bis zum 27. September 1941 hatten im übrigen noch in keinem der von Deutschland besetzten Gebiete zwangsweise Deportationen von Arbeitern stattgefunden. Dies geschah erst später. Wohl aber sind viele tschechische Arbeiter freiwillig und gern ins Reich gegangen und haben dort Arbeit genommen, denn dort verdienten sie gerade infolge des festgesetzten Wechselkurses der Reichsmark und infolge höherer Löhne erheblich mehr als in Prag und konnten recht erhebliche Teile ihres Verdienstes an ihre Angehörigen im Protektorat senden.
Wenn die tschechische Anklageschrift weiter den Angeklagten für die Verbringung von verhafteten Personen in Konzentrationslager durch die Gestapo und für in diesen an ihnen begangene Mißhandlungen verantwortlich machen will, so muß dazu mit aller Schärfe festgestellt werden einmal, daß bis zum 27. September 1941, dem Ende der amtlichen Tätigkeit des Angeklagten im Protektorat, nicht ein einziges Konzentrationslager im Protektorat existierte. Sie sind alle erst unter seinem Nachfolger nach seinem Fortgang errichtet worden. Auch die Verordnung über die Schutzhaft und Vorbeugungshaft, die ihm die tschechische Anklageschrift anscheinend ebenfalls zur Last legen will, ist, wie die dem tschechischen Bericht – USSR-60 – beigefügte Abschrift ergibt, erst nach seinem Abgang, nämlich am 9. März 1942 ergangen.
Was schließlich die Beschuldigungen der Anklage bezüglich der angeblichen Maßnahmen des Angeklagten gegen die Juden anbetrifft, so entspricht auch hier die Darstellung der Anklage nicht den Tatsachen und erweist sich bei näherer Prüfung der von der Anklagebehörde selbst dazu vorgelegten Dokumente als unrichtig. Von den sämtlichen in dem britischen Dokumentenbuch Nummer 12 B enthaltenen 21 Verordnungen sind im ganzen nur vier von dem Angeklagten selbst unterschrieben, sechs vom Reichsministerium direkt erlassen und zehn von dem Staatssekretär Frank beziehungsweise dem diesen direkt unterstellten Dr. von Burgsdorff herausgegeben worden, eine ist von dem tschechischen Staatspräsidenten Hácha erlassen. Die erste von Herrn von Neurath selbst unterschriebene Verordnung vom 21. Juni 1939, welche nichts anderes enthielt als die Einführung der im ganzen Deutschen Reich geltenden Vorschriften über die Behandlung des jüdischen Vermögens in dem seit dem 16. März 1939 ebenfalls zum Deutschen Reich gehörenden Protektorat, war dem Angeklagten bereits gleich bei Antritt seines Amtes von Berlin aus vorgeschrieben worden. Die Tatsache, daß sie aber erst am 21. Juni 1939, also drei Monate später, von dem Angeklagten herausgegeben wurde, beweist die Richtigkeit seiner Erklärung, daß er den Juden Zeit geben wollte, sich auf die Einführung der reichsdeutschen Judengesetzgebung vorzubereiten. Ihre Hinausschiebung bis zu diesem Tage erfolgte im ausgesprochenen Interesse der Juden. Die zweite von dem Angeklagten selbst erlassene Verordnung vom 16. September 1940 schrieb lediglich eine Deklarationspflicht über im Besitz von Juden befindliche Sicherheiten, das heißt Pfändern vor und entsprach den im Deutschen Reich ebenfalls vorgeschriebenen mannigfachen Verordnungen für alle deutschen Staatsangehörigen gleicher oder ähnlicher Art. Die dritte von ihm selbst erlassene und unterschriebene Verordnung vom 5. März 1940 bezweckte, ebenso wie die vierte vom 14. September 1940, wie ihr Inhalt ganz eindeutig ergibt, den Juden die durch die Entwicklung der Dinge im Deutschen Reich unvermeidlich gewordene Auswanderung zu ermöglichen und zu erleichtern. Beide Verordnungen waren also gerade im Interesse der Juden erlassen worden und beweisen, daß der Angeklagte nicht judenfeindlich eingestellt war. Daß er die Maßnahmen gegen die Juden, vor allem gewaltsame Maßnahmen gegen sie, nicht billigte, sondern bekämpfte, geht aus allen hierzu von mir vorgelegten Dokumenten, unter anderm dem Zeitungsbericht über den Judenboykott im Frühjahr 1933 – Dokumentenbuch 1, Nummer 9 – und den beigebrachten Zeugenaussagen hervor. Derartige Maßnahmen würden seiner ganzen christlichen und humanen Einstellung und Lebensauffassung zuwider gewesen sein, wie sie sich insbesondere aus der Aussage des Zeugen Dr. Köpke ergibt. Feststeht, daß bis zu seinem Weggang aus Prag keine einzige Synagoge geschlossen worden ist und auch keine Einschränkungen in religiöser Hinsicht gegen die Juden erfolgt sind. Daß der Angeklagte nicht verantwortlich gemacht werden kann für die sechs vom Reichsinnenministerium erlassenen Verordnungen, bedarf keines besonderen Beweises. Aber auch für die von Frank und Herrn von Burgsdorff unterschriebenen Verordnungen trägt er angesichts der geschilderten selbständigen Stellung des Staatssekretärs Frank und der Zuständigkeit der Polizei für die Behandlung aller Judenfragen keine Verantwortung. Besonderer Betonung aber bedarf gegenüber den Behauptungen der Anklageschrift die Tatsache, daß nach seiner eigenen eidlichen Aussage während seiner ganzen Amtsführung keine Judenverfolgungen vorgekommen sind.
Seine vorerwähnte humane christliche Lebens- und Weltanschauung läßt aber auch die in dem tschechischen Bericht vom 4. September 1945 – 998-PS – aufgestellten Behauptungen über eine angeblich antikirchliche Haltung des Angeklagten von vorneherein wenig wahrscheinlich erscheinen. Dieser Bericht ist allerdings in der tschechischen Anklageschrift vom 14. November 1945 – USSR-60 – nicht zum Gegenstand der Anklage gemacht, aber ich möchte trotzdem kurz darauf eingehen.
Nach der Beweisaufnahme steht fest, daß das Verhältnis zwischen Herrn von Neurath und dem Erzbischof von Prag ein recht gutes, ja freundschaftliches war, und letzterer sich ausdrücklich bei ihm für seine Unterstützung der Kirchen bedankt hat, was bestimmt nicht der Fall gewesen wäre, wenn er kirchenfeindlich eingestellt gewesen oder die Kirchen und deren Organisationen und Geistliche von ihm unterdrückt oder sonstwie verfolgt worden wären. Daß es dabei auch zu Differenzen in dienstlichen Angelegenheiten gekommen sein mag, wie es offenbar nach dem von der Anklage hierzu vorgelegten Schreiben des Erzbischofs der Fall gewesen ist, ist gewiß nichts Ungewöhnliches – Staat und Kirche haben immer und zu allen Zeiten und in allen Ländern Differenzen miteinander gehabt – kann aber unter keinen Umständen als ein Beweis für eine kirchenfeindliche Politik des Angeklagten angesehen werden. Daß Geistliche verhaftet worden sind, mag richtig sein; aber dann sind erstens einmal die Verhaftungen nicht vom Angeklagten, sondern von der ihm nicht unterstehenden Polizei angeordnet worden, und zweitens, soweit der Angeklagte von ihnen Kenntnis bekommen hat, nicht wegen ihrer kirchlichen Betätigung, sondern wegen ihrer politischen Umtriebe. Es ist aus dem angezogenen tschechischen Bericht auch nicht ersichtlich, daß die in ihm behaupteten Aktionen gegen die Kirche, deren Organisationen und Geistliche überhaupt während der Amtszeit des Angeklagten erfolgt sind. Von ihm sind, das steht nach der Beweisaufnahme fest, keinerlei kirchen- oder religionsfeindliche Maßnahmen veranlaßt worden; Wallfahrten zu den tschechischen religiösen Heiligtümern zum Beispiel sind von ihm ausdrücklich gestattet worden.
An dieser Stelle möchte ich noch besonders erwähnen, daß der Angeklagte sich auch keinerlei Verletzungen des tschechischen Nationalgefühls schuldig gemacht hat. Entgegen der Behauptung der Anklage sind von ihm keine Masaryk-Häuser zerstört oder geschlossen worden, wie die Anklage ihm vorwerfen will. Soweit Schließungen von Masaryk-Häusern vorgekommen sind, sind hierfür verantwortlich ausschließlich die ihm nicht unterstehende Polizei und die SS. Wie er zu der Frage des tschechischen Nationalgefühls stand, geht wohl am besten aus der Tatsache hervor, daß er die üblichen Kranzniederlegungen an den Masaryk-Denkmälern ausdrücklich gestattet hat.
Ebensowenig sind von dem Angeklagten trotz aller diesbezüglichen Versuche radikaler Elemente irgendwelche kulturfeindlichen Schritte unternommen worden. Das tschechische Theaterleben blieb völlig unangetastet und frei, auch das tschechische Schrifttum und die tschechische Literatur wurde bis auf das selbstverständliche Verbot deutschfeindlicher oder hetzender Werke in keiner Weise unterdrückt oder beeinträchtigt. Auch die Presse, die im übrigen nicht von ihm, sondern vom Reichspropagandaministerium kontrolliert und zensiert wurde, ist keinen anderen Beschränkungen unterworfen worden als die reichsdeutsche Presse, wie es überhaupt das Bestreben des Angeklagten war, das tschechische Kulturleben in seiner Eigenart und Selbständigkeit zu erhalten und zu fördern. Ich glaube, mich hierüber nicht des näheren verbreitern zu müssen, sondern möchte mich mit dem Hinweis auf seine eigenen diesbezüglichen Aussagen und der darüber vernommenen deutschen Zeugen begnügen. Aus diesen Aussagen ist aber auch deutlich ersichtlich, mit welchen Schwierigkeiten und Widerständen seitens gewisser radikaler Kreise und Behörden, nicht zum wenigsten seitens seines eigenen Staatssekretärs Frank er bei diesen seinen Bemühungen in seiner ganzen Politik gegenüber dem tschechischen Volk zu kämpfen hatte.
Wenn man ein Resumé seiner amtlichen Tätigkeit ziehen will, so war sein ganzes Leben in Prag ein einziger Kampf, ein Kampf gegen die von Himmler inspirierten und geleiteten Kräfte, ein Kampf, der um so schwieriger war, als ihm eben tatsächlich nicht die volle Macht im Protektorat zustand, ihm gerade die auf innenpolitischem Gebiet wichtigsten und einflußreichsten Stellen und Behörden, die gesamte Polizei und die Gestapo, nicht unterstanden. Trotzdem hat er diesen Kampf nicht aufgegeben, ist er nicht müde geworden, immer wieder bei Hitler zu protestieren und Abhilfe zu fordern, in vielen Fällen mit Erfolg, in anderen Fällen ohne Erfolg. Bis zum letzten hat er gekämpft, hat er sich auch durch Mißerfolge nicht abschrecken lassen, ist er der von ihm verfolgten, auf Versöhnung und Ausgleich, auf Befriedung und Erhaltung des tschechischen Volkes und seiner nationalen Eigenheit gerichteten Politik treu geblieben. Und als, er auch hier wieder im Herbst 1941 erkennen mußte, daß sein weiterer Kampf aussichtslos war, daß der Einfluß Himmlers auf Hitler größer war als der seine, daß Hitler nunmehr zu einer Politik der Gewalt und des Terrors überzugehen und zu diesem Zwecke den als Bluthund bekannten Heydrich nach Prag zu entsenden sich entschlossen hatte, da hat er ebenso wie im Winter 1937/1938 als Außenminister sofort die Konsequenzen gezogen und sein Amt niedergelegt, Prag verlassen und, sich endgültig ins Privatleben zurückgezogen.
VORSITZENDER: Vielleicht machen wir jetzt eine Pause.