[Pause von 10 Minuten.]
VORSITZENDER: Das Gericht wird in offener Sitzung Samstag vormittags bis 13.00 Uhr tagen.
DR. VON LÜDINGHAUSEN: Welch einen Eindruck aber diese Niederlegung seines Postens im tschechischen Volk, selbst in den deutschfeindlichsten Kreisen gemacht hat und als was sie empfunden worden ist, das geht mit kaum zu überbietender Deutlichkeit aus der Tatsache hervor, daß der wirklich nicht von Deutschfreundlichkeit oder Liebe zu meinem Klienten diktierte tschechische Bericht – USSR-60 – diesen Fortgang meines Klienten als einen, wie es im deutschen Text heißt, »gehörigen Schlag«, im englischen Text als »a heavy blow« bezeichnet und damit im Grunde genommen seine eigenen Anklagen gegen Herrn von Neurath desavouiert. Und in der Tat glaube ich, bewiesen zu haben, daß der Angeklagte sich während und durch seine Amtsführung persönlich nicht eines einzigen der im Statut dieses Hohen Gerichts unter Strafe gestellten Verbrechen gegen die Humanität – und nur ein solches könnte ja hier in Frage kommen – schuldig gemacht hat.
Und es erhebt sich nun auch hier die eigentliche Kernfrage dieses Prozesses, ob der Angeklagte sich durch die Annahme des Amtes als Reichsprotektor und sein Verbleiben in diesem, trotz des wenige Monate nach seinem Amtsantritt von Hitler entfesselten Krieges, trotz der Ereignisse im November 1939 und manch anderer Dinge, einer nach dem Statut strafbaren Unterstützung oder Beihilfe Hitlers und seiner Helfershelfer bei der Begehung ihrer Verbrechen schuldig gemacht hat. Die Anklage bejaht diese Frage.
Kann aber eine objektiv unvoreingenommene Beurteilung der Dinge diese Frage wirklich bejahen?
Eines dürfte nach allem, was wir hier von dem Angeklagten selbst und den von mir darüber gefragten Zeugen und beigebrachten Affidavits vernommen haben, unangreifbar feststehen:
Ebensowenig wie Herr von Neurath seinerzeit als Außenminister in die Regierung Hitlers eingetreten und in ihr verblieben ist aus äußeren, materiellen Gründen, ebensowenig hat er auch aus solchen Gründen das Amt als Reichsprotektor übernommen. Der Beweis dafür liegt allein schon in der Tatsache, daß er die von Hitler ihm zu seinem 70. Geburtstag im Jahre 1943 zugedachte Dotation abgelehnt und, als dies nicht durchführbar war, diese Dotation, wie ich Ihnen durch die Schreiben seiner Bank – Dokumentenbuch 5, Nummer 160 und 161 – nachgewiesen habe, auf seine Bank gelegt und nicht einen Pfennig davon angerührt hat. Und wie wenig ihn auch die pomphaft aufgemachte Stellung des Reichsprotektors gereizt oder ihm gar behagt hat, geht eindeutig aus seinem Schreiben an den Zeugen Dr. Köpke vom 14. Oktober 1939 – Dokumentenbuch 5, Nummer 150 – hervor, in dem er sie geradezu als sein Gefängnis bezeichnet. In beiden Fällen war, wie die Aussagen nicht nur des Angeklagten selbst, sondern auch alle von mir gestellten Zeugen und vorgelegten Dokumente bewiesen haben, das Motiv und der Grund für die Annahme seiner Stellungen und seines Ausharrens in ihnen nicht etwa der, daß er die Ideologie und das ganze Nazi-Regime mit seinen Methoden billigte und unterstützen wollte, sondern im Gegenteil seine, einem tiefen Verantwortungsbewußtsein als Mensch und als Staatsmann seinem Volk gegenüber entsprungenen höchsten ethischen und sittlichen Überzeugungen, die ihn dazu veranlaßten. Da er nicht in der Lage war, nicht die Macht dazu hatte, Hitler und die Nazi-Herrschaft zu beseitigen, hielt er sich für verpflichtet, wenigstens zu einem kleinen Teil im Rahmen und in den Grenzen seiner Kraft auf dem seiner Führung unterstellten Gebiet diese auch von ihm verabscheuten Tendenzen der Nazis zu bekämpfen und ihre Verwirklichung zu verhindern, soweit seine Kräfte dazu reichten. Kann man, so frage ich, Herrn von Neurath wirklich hieraus einen Vorwurf machen, kann man ihn deshalb verurteilen, weil diese von ihm aus sittlichem Pflichtgefühl und Verantwortungsbewußtsein übernommene Aufgabe seine Kräfte überstieg und er an ihr scheiterte?
Machen Sie sich, meine Herren Richter, einmal frei von allen juristischen und politischen Voreingenommenheiten, von aller retrospektiven Betrachtung der Dinge mit ihren auf jeden Fall sehr unsicheren Schlüssen und denken Sie sich in die Seele dieses Mannes, in die Gedankenwelt, die Lebensanschauung dieses Mannes hinein. Aufgewachsen in einem christlichen, von humanen und grundanständigen Ideen, aber auch von Verantwortungsbewußtsein gegenüber seinem deutschen Volk erfüllten Elternhaus, war er groß geworden und 60 Jahre alt geworden in einer Beamtenlaufbahn unter den verschiedensten Regierungen, erst unter der kaiserlichen, dann unter den wechselnden Regierungen der Republik. Ohne nach ihren politischen Richtungen zu fragen, ohne zu fragen, ob sie konservativ, demokratisch oder sozialdemokratisch waren, hatte er ihnen gedient, hatte er die ihm in seinem Arbeitsgebiet übertragenen Aufgaben erfüllt. Ihm als Diplomat, als Beamten des Auswärtigen Dienstes des Reiches lag das Gebiet der Innenpolitik völlig fern. Er betrachtete es als seine alleinige Pflicht, seinem Volke als solchem zu dienen, ohne Rücksicht auf dessen jeweilige Regierungen und deren innerpolitische Einstellung. Und so übernahm er sehr gegen seine persönlichen Wünsche auf den Ruf Hindenburgs in der Stunde der Not das Außenministerium und trat damit in die Regierung des Reiches ein und blieb in dieser auch nach der Berufung Hitlers nicht als der Vertreter einer bestimmten politischen Partei, sondern als der ausgesprochene Vertrauensmann Hindenburgs auf dem Gebiet der Außenpolitik. Er war der Garant der Friedenspolitik des Reiches, der Rocher de bronze auf diesem Gebiet.
Seiner ganzen Erziehung, seinem Verantwortungsbewußtsein gegenüber seinem Volk nach konnte er gar nicht anders handeln, als auf diesem Posten auszuharren, als er in den Wirbel und die Dynamik der nationalsozialistischen Bewegung hineingerissen wurde und nun sehen mußte, wie diese Bewegung Wege einschlug und sich Mittel bediente, die auch er nur verurteilen konnte. Aber genau so, wie es andere anständige und vaterländisch gesinnte Deutsche aus Verantwortungsbewußtsein und Pflichtgefühl gegenüber dem eigenen Volk zu dem Entschluß getrieben hat, Hitler und die Nazi-Herrschaft mit Gewalt zu beseitigen, genau so hat den Angeklagten sein Verantwortungs- und Pflichtbewußtsein nicht nur vor sich selbst, sondern auch vor seinem Volk gezwungen, seinen persönlichen Abscheu vor der Unmoral dieses Regimes zurückzustellen und gegen diese Unmoral aktiv durch sein Verbleiben im Amt und dessen Weiterführung nach seinen Grundsätzen anzukämpfen und so wenigstens auf dem seiner Führung unterstellten Gebiet diese Unmoral fernzuhalten und sein deutsches Volk vor dieser Unmoral des Regimes und ihren Folgen, vor einem Kriege zu bewahren, solange ihm dies möglich war.
Und als dann eineinhalb Jahre später nach seinem Abschied abermals der Ruf an ihn erging, wieder eine Stellung, diesmal als Reichsprotektor von Böhmen und Mähren zu übernehmen und ihm Hitler erklärte, daß er gerade ihn für diese Stellung ausgewählt habe, weil er ihn für die allein geeignete Persönlichkeit hielte, die von ihm beabsichtigte Politik einer wirklichen Aussöhnung des tschechischen Volkes mit dem neuen Zustand und dem deutschen Volk durchzuführen, da zwang ihn eben dasselbe Verantwortungs- und Pflichtbewußtsein, diesem Ruf Folge zu leisten – mußte er doch aus der Tatsache, daß Hitler ihn trotz Kenntnis seiner Ablehnung des nazistischen Regimes, seiner Politik und seiner Mittel mit dieser Aufgabe betrauen wollte, entnehmen, daß es Hitler wirklich ehrlich um eine Aussöhnung und Befriedung des tschechischen Volkes zu tun war. Hier stand eine Aufgabe vor ihm, deren Erfüllung nicht nur seinem eigenen Volk, sondern auch dem fremden Volk von höchstem Nutzen sein mußte, eine Aufgabe, die dem Ideal der Versöhnung zweier Völker nicht nur, sondern auch dem Ideal der Humanität, christlicher Menschenliebe diente, die aber auch das tschechische Volk vor den verderblichen Mitteln des Nazi-Regimes schützen sollte.
Und nun frage ich: Ist es nicht zum mindesten ebenso moralisch und sittlich, sich und seine Person für ein solches Ziel einzusetzen, selbst durch eine scheinbare, äußerlich als solche erscheinende Mitarbeit, aktiv dem als verderblich und unmoralisch erkannten und abgelehnten Regime auf einem, wenn auch beschränkten Gebiet, entgegenzuarbeiten, die Anwendung der Mittel dieses Systems zu verhindern und dadurch unschuldige Menschen vor Not und Tod zu retten, als sich aus persönlichem Abscheu grollend zurückzuziehen und untätig zuzusehen, wie dieses Regime hemmungslos gegen die Menschheit wütet? Nicht jeder ist eine Gewaltnatur, ein Revolutionär, der zur Gewalt gegen das verabscheute System und dessen Träger greift. Und vergessen Sie nicht, meine Herren Richter, daß es damals unter dem autoritären Regime Hitlers nur diese beiden Möglichkeiten gab, wirklich aktiv und positiv dem Nazi-Regime und seinen Schrecken entgegenzuarbeiten. Unter diesem Regime gab es nicht wie in demokratischen freien Staaten mit frei und unabhängig gewählten Parlamenten tausend andere Möglichkeiten, eine verhaßte und fluchwürdige Regierung zu bekämpfen. Im Hitler- Deutschland bedeutete jede Art aktiver oder gar öffentlicher Bekämpfung nur ein völlig nutzloses Opfer.
Und ich bitte Sie deshalb, meine Herren Richter, machen Sie sich bei der Beurteilung der Dinge und der Beantwortung der von mir gestellten Frage frei von den Ihnen zur Selbstverständlichkeit gewordenen demokratischen Zuständen und Verhältnissen, die völlig unvergleichbar sind mit den damaligen deutschen Zuständen unter Hitler – eine Tatsache, deren Nichtberücksichtigung bis in die neueste Zeit schon so manches Unheil angerichtet hat.
Und hat der Angeklagte von Neurath nicht gerade dadurch, daß er das Amt des Reichsprotektors übernahm und in ihm verblieb, trotzdem er erkennen mußte, daß er die mit diesem übernommene Aufgabe ohne sein Verschulden nicht erfüllen konnte, daß ihm nicht die zu ihrer Durchführung erforderlichen Mittel zur Verfügung standen, daß er aber trotz alledem seinen Kampf gegen den Terror des Nazi-Regimes fortsetzte, Tausenden von Menschen Freiheit und Leben gerettet, deren Freiheit und Leben ohne ihn unrettbar verloren gewesen wäre? Ist das nicht tausendmal mehr wert, nicht weit moralischer und ethischer, als wenn er sich nun gleich voll Abscheu und moralischer Entrüstung zurückgezogen hätte?
Ich stehe nicht an, auch diese Frage ebenso wie meine erste Frage zu bejahen und meiner Überzeugung Ausdruck zu geben, daß mich niemand deswegen verdammen kann. Oder soll sich hier in dem Schicksal des Angeklagten geradezu eine Tragödie des Sophokles vor uns abrollen, in der der Mensch ohne seine Schuld schuldig wird, weil er seinem Gewissen, seinem Verantwortungsbewußtsein gehorchte?
Meine Herren Richter! Ich glaube, mit meinen vorstehenden Ausführungen gezeigt und den Beweis erbracht zu haben, daß nicht eine einzige der meinem Klienten von der Anklage vorgeworfenen Handlungen verbrecherisch im Sinne des Statuts ist und daß nicht eine dieser Handlungen seitens des Angeklagten willensmäßig auf die Begehung eines Verbrechens im Sinne des Statuts dieses Hohen Gerichts abzielte, daß also weder objektiv noch subjektiv eine strafbare Handlung vorliegt. Aber darüber hinaus glaube ich auch gezeigt zu haben, daß alle Handlungen meines Klienten in ihrer Gesamtheit gerade das Gegenteil von dem bezweckten, was die Anklage ihnen unterstellt, nämlich nicht die Begehung, sondern die Verhinderung gerade solcher Handlungen, die das Statut als strafwürdige Verbrechen bezeichnet, sei es als Verbrechen der Planung, Vorbereitung oder Führung von Angriffskriegen, sei es als Kriegsverbrechen, sei es als Verbrechen gegen die Humanität.
Es bleibt mir aber noch eines zu tun übrig: aus alledem die Schlußfolgerungen zu ziehen, wie unmöglich, ja wie widersinnig die Anwendung der Grundsätze der Conspiracy auf meinen Klienten sind, denn die Conspiracy hat die unerläßliche Voraussetzung, daß jeder Beteiligte nicht nur das verbrecherische Ziel will, sondern auch mit seinem Eintritt in die Conspiracy, seiner Beteiligung an ihr, von vornherein die die Erreichung dieses verbrecherischen Zieles vorbereitenden oder mit ihm in irgendwelchem Zusammenhang stehenden Handlungen der übrigen Mitglieder billigt und billigen will. Wenn man aber, wie es die Anklage bewußt tut, diese Billigung des verbrecherischen Zieles und aller zu dessen Erreichung vorbereitenden Handlungen jedes einzelnen der übrigen Mitglieder auch im staatlichen Leben, im Völkerrecht allein durch die Tatsache der Übernahme oder des Verbleibens in einem Amt schlechthin trotz Kenntnis des verbrecherischen Zieles als bewiesen ansieht und aus dieser Tatsache allein eine strafrechtliche Mitverantwortung jedes einzelnen herleitet, so ergibt sich hieraus unerbittlich mit zwingender Logik die Folge, daß die Anwendung des Grundsatzes der Mitverantwortlichkeit aus der Annahme eines Amtes oder dem Verbleiben in demselben schlechthin – ohne jede Rücksicht auf dessen noch so sittliche und ethische Gründe, Ursachen und Zwecke – zur Bestrafung nicht nur desjenigen zwingt, der diese verbrecherischen Absichten, Pläne und Taten der anderen ablehnt, sondern sogar aktiv bekämpft und nur zu diesem Zweck sein Amt übernommen hat oder in seiner Stellung verblieben ist, wie es bei dem Angeklagten von Neurath der Fall gewesen ist. Daß ein solches Ergebnis das Gegenteil nicht nur jedes natürlichen, sondern auch jedes juristischen Rechtsgefühls und Rechtsdenkens ist, daß es das Gegenteil von dem ist, was dieses Hohe Gericht erstreben soll und erstrebt, daß es das Gegenteil jeden sittlichen und ethischen Postulates ist, das, meine Herren Richter, habe ich bei Ihnen zu beweisen nicht nötig. Bei einem Gericht, das hier nicht nur die Gerechtigkeit, das rechtliche moralische Gewissen aller Kulturvölker der Erde verkörpert, sondern auch den kommenden Geschlechtern den Weg weisen soll zum Frieden unter den Völkern.
Nur dann kann dieser Aufgabe Erfüllung werden, wenn Sie den Menschen wieder zeigen, daß jede Verallgemeinerung, jede Nivellierung, jede Behandlung, also auch jede Beurteilung und Verurteilung von Menschen und ihren Handlungen nur nach korporativen, nach, ich möchte sagen, herdenmäßigen Normen, nicht nach der Persönlichkeit, dem Willen und den Absichten des einzelnen, von Übel ist. Eine solche Behandlung verneint die Heiligkeit des Einzelindividuums und führt letzten Endes unweigerlich zur Anbetung der Macht. Diese Anbetung der Macht, dieser Glaube an die Macht aber war ja gerade der Urgrund des furchtbaren Geschehens, das hier noch einmal vor uns sich abgerollt hat.
Der zwiefachen Aufgabe aber, dort zu strafen, wo Strafe nach göttlichem und menschlichem Recht am Platze ist und zugleich der Menschheit die Wege zum Frieden unter den Völkern zu weisen, können Sie nur dann gerecht werden und sie erfüllen, wenn Sie durch Ihren Spruch der Menschheit den Glauben an die Macht nehmen und den Völkern der Erde, und nicht zuletzt dem deutschen Volk, statt dieses Glaubens an die Macht den Glauben an die Ehrfurcht vor der Heiligkeit des Einzelmenschen wieder geben, den Gott der Herr einst schuf zu seinem Ebenbild.
Durchdrungen von der Wahrheit dieser Erkenntnis, lege ich nun hiermit vertrauensvoll das Schicksal meines Klienten, des Angeklagten Freiherrn von Neurath, in Ihre Hände!
VORSITZENDER: Dr. Fritz, Verteidiger für den Angeklagten Fritzsche, hat das Wort.
DR. HEINZ FRITZ, VERTEIDIGER DES ANGEKLAGTEN FRITZSCHE: Herr Präsident, meine Herren Richter!
Im Falle Fritzsche ist das Beweisergebnis ein verhältnismäßig klares. Obwohl ich an so später Stelle plädiere, läßt es sich aber nicht vermeiden, auf Rechtsprobleme näher einzugehen. Diese ergeben sich vor allen Dingen daraus, daß Fritzsche von der Anklagebehörde in besonders auffälliger Weise als Gehilfe gekennzeichnet worden ist.
Zunächst aber muß ich beleuchten, welche Stelle Fritzsche im Propagandaministerium eingenommen, welche Rolle er in der deutschen Propaganda im allgemeinen gespielt hat. Daraus sollen sich ja die Schlußfolgerungen ergeben für seine behauptete Teilnahme an der angeblichen Verschwörung.
Mr. Albrecht hat zu Beginn des Prozesses als Beweisstück den Organisationsaufbau der Regierung des Dritten Reiches nach dem Stande vom März 1945 in Form eines Schemas vorgelegt. Mr. Albrecht gestand selbst zu, daß darin der Name Fritzsche nicht in der Stellung eines der Hauptführenden des Propagandaministeriums erscheine. Er fügte freilich hinzu, daß seine Bedeutung größer gewesen sei, als seine in diesem Schema bezeichnete Position erkennen lasse. Er schloß mit der Feststellung, daß Beweise dafür dem Gerichtshof vorgelegt würden (Sitzung vom 21. November 1945).
Ist dies nun geschehen, und hat die Beweisaufnahme wirklich eine größere Bedeutung Fritzsches erbringen können?
Sir David Maxwell-Fyfe hat in der Sitzung vom 28. Februar 1946 eine »Zusammenfassung der schuldigen Elemente« in den Prozeß eingeführt, die in besonders eindrucksvoller Weise anschaulich macht, inwieweit die einzelnen Angeklagten im Zusammenhang mit den Tatsachen stehen, für die sie nach Ansicht der Anklagebehörde schuldig sein sollen. Aus der dieser Zusammenfassung als Anlage A beigefügten Tabelle ergibt sich die Klassifizierung der einzelnen Angeklagten. Das Gericht wird festgestellt haben, daß der Angeklagte Fritzsche der einzige ist, der in der Tabelle überhaupt nicht erscheint. Das ergibt sich daraus, daß er zu keiner der Organisationen gehört, die hier für verbrecherisch erklärt werden sollen.
Ein Blick auf den Organisationsplan des Propagandaministeriums, welcher im Schriftsatz E von der Anklagebehörde vorgelegt worden ist (Sitzung vom 23. Januar 1946), ergibt besonders augenfällig, daß Fritzsche selbst in seiner letzten Stellung als Ministerialdirektor und Leiter der Abteilung Rundfunk nur einer von zwölf Beamten gleichen Ranges gewesen ist. Schon eine solche Position schließt von vorneherein die Annahme aus, er hätte die Richtlinien der Politik, die Richtlinien der Nachrichtengebung und die Grundsätze dessen, was Deutschland und der Welt bekannt werden dürfe oder nicht, bestimmen können. Captain Sprecher wies – offenbar um die Bedeutung Fritzsches zu heben – zwar darauf hin, der Leiter der Abteilung »Deutsche Presse« habe eine »einzigartige« Stellung innegehabt, hat aber auch nicht verschwiegen, daß er Vorgänger und Nachfolger in dieser angeblich einzigartigen Position gehabt hat.
Als Fritzsche im November 1942 von Goebbels zum Leiter der Abteilung »Rundfunk« ernannt wurde, erlangte er damit in der Beamtenhierarchie keine höhere Stellung. Seine Tätigkeit war insoweit ein reines Verwaltungsgeschäft. Dieses bezog sich auf technisch-organisatorische Fragen. Mein Mandant nennt in seinem Affidavit vom 7. Januar 1946 die damit verbundene Verwaltungstätigkeit, zählt dort auch seine zahlreichen Vorgänger auf... Ist jemand auf den Gedanken gekommen, auch diese vielen Personen als Hauptkriegsverbrecher anzuklagen oder als oberste Kommandeure eines Propagandainstrumentes zu bezeichnen? Da dies nicht der Fall ist, muß wohl die Folgerung gezogen werden, daß es nicht die amtliche Stellung Fritzsches war, die eine Grundlage für die Anklage gebildet hat.
Auch Justice Jackson hat darauf hingewiesen (Sitzung vom 28. Februar 1946), daß im Rahmen der hier angeklagten Organisationen nicht alle Verwaltungsbeamten und Abteilungsleiter oder Staatsbeamte schlechtweg vertreten seien, nur die Reichsregierung sei genannt. Fritzsche kann deswegen auch nicht unterstellt werden – wie das angeblich bei den Mitgliedern der Organisationen möglich sei –, seine Position allein und die enge Verbindung der einzelnen Mitglieder der Organisationen ergäben, daß ihnen die Pläne der behaupteten Verschwörung schon auf Grund ihrer Zugehörigkeit bekannt und völlig klar gewesen sein müßten.
Auch von der Russischen Anklagevertretung ist während des Kreuzverhörs Fritzsches der Versuch gemacht worden, Fritzsches Stellung zu vergrößern. Sie führte drei Protokolle in die Verhandlung ein, und zwar die Vernehmungen der Zeugen Schörner, Voß und Stahel (Dokumente USSR-472, USSR-471, USSR-473). In diesen Dokumenten können aber Beweisstücke nicht gesehen werden. Diese Niederschriften wurden allerdings nur benutzt, um einzelne Teile daraus dem Angeklagten vorzuhalten. Wegen dieser Einschränkung habe ich auf die Vernehmung dieser drei Personen, die diese Protokolle unterzeichnet haben, im Wege des Kreuzverhörs verzichten können. Zu den Teilen aber, die dem Angeklagten Fritzsche während seiner Vernehmung im Zeugenstand vorgehalten wurden, hat er es an einer Stellungnahme nicht fehlen lassen. Ich habe hierzu noch auf folgendes hinzuweisen: Keine dieser drei Personen hat auch nur behauptet, einen Einblick gehabt zu haben in die innere Organisation des Propagandaministeriums. Keine der drei Niederschriften enthält irgendeine bestimmte Äußerung Fritzsches. Diese Niederschriften enthalten vielmehr reine Urteile, Urteile, die wir von Zeugen nicht wissen wollen, zumal dann nicht, wenn sie keinerlei substanziierte Tatsachen angeben können. Schon deshalb muß ihnen jeder Beweiswert aberkannt werden. Es sind aber darüber hinaus völlig falsche Urteile. Sie können auf keinen Fall den in diesem Verfahren von der Anklagebehörde vorgelegten eigenen Äußerungen Fritzsches – nämlich seinen Rundfunkansprachen – entnommen werden.
Wenn gegen den Angeklagten Fritzsche Beweise im Sinne dieser bloßen Urteile hätten vorgelegt werden können, dann hätte es wohl angesichts des Umstandes, daß die Anklagebehörde sich in den Besitz aller seiner Rundfunkansprachen hätte setzen können, näher gelegen, hier solche Äußerungen von ihm vorzulegen, die dem Gericht ermöglicht hätten, sich selbst ein Urteil zu bilden. Die Vernehmungsniederschriften enthalten die bloß summarische Behauptung, Fritzsche sei der »Stellvertreter« Goebbels' gewesen. Ich habe diese Behauptung dem Zeugen von Schirrmeister vorgehalten, und er hat sie als glatten Unsinn bezeichnet. Das gleiche hat Fritzsche im Zeugenstand sagen müssen. Es kann kein Zweifel bestehen, daß die übereinstimmende Bekundung beider Zeugen richtig ist Schließlich gibt es ja noch Hunderte von früheren Mitarbeitern dieses Ministeriums, die die Richtigkeit dieser Aussagen aus eigener Kenntnis nachkontrollieren können.
Es kann deswegen von mir festgestellt werden, daß der Versuch, Fritzsches Stellung entgegen den Angaben im Organisationsaufbau des Propagandaministeriums, die Mr. Albrecht vorgelegt hat, zu vergrößern, durchaus mißlungen ist.
Darüber hinaus hat die Beweisaufnahme ergeben, daß Fritzsche auch nicht der Schöpfer des großen Kontrollapparates für die deutsche Presse war, wie es die Anklage weiter behauptet (Sitzung vom 23. Januar 1946). Das war vielmehr Dr. Goebbels und andere seiner Mitarbeiter. Fritzsche kann das schon zeitlich gesehen nicht gewesen sein.
Zunächst war er jahrelang bloßer Angestellter, dann Referent, und erst ab Winter 1938/1939 einer von den zwölf Abteilungsleitern des Ministeriums. Als er Leiter der Abteilung »Deutsche Presse« wurde, lag die Führung der Pressepolitik in der Hand des Reichspressechefs Dr. Dietrich. Leiter der Abteilung »Rundfunk« wurde er – wie bereits gesagt – erst im November 1942 und hat auch dort grundlegend Neues nicht geschaffen. Die Führung der deutschen Presse und des deutschen Rundfunks haben sich weder Goebbels noch Dietrich jemals aus der Hand nehmen lassen. Hinsichtlich der Einzelheiten hierzu darf ich auf die Aussage des Zeugen von Schirrmeister verweisen.
Daß Fritzsche weder der Schöpfer der Presseabteilung noch überhaupt ein Führer der deutschen Propaganda, soweit sie amtlich vom Ministerium ausging, gewesen sein kann, ergeben auch die zahlreichen sonstigen Hinweise sowohl Fritzsches, als er hierüber im Zeugenstand befragt wurde, als auch des Zeugen von Schirrmeister.
Tatsächlich hat Fritzsche während seiner gesamten Tätigkeit niemals eine Befehlsgewalt darüber gehabt und schon seiner Beamtenstellung nach nicht haben können, um als Schöpfer oder Führer der Presse und des Rundfunks im Dritten Reich angesprochen werden zu können. Im Gegenteil, zwischen Dr. Goebbels, Dr. Dietrich und ihm waren noch eine ganze Reihe anderer vorgesetzter Stellen eingebaut. Ich kann in diesem Zusammenhang auch darauf verweisen, was Leutnant Meltzer allgemein über die Bedeutung eines Staatssekretärs im Reichspropagandaministerium und des Reichspressechefs unter Hinweis auf ein Affidavit Amanns vom 19. Dezember 1945 erklärt hat: Er hat darauf hingewiesen, daß die Inhaber dieser Position die umfassende Kontrolle über die Nachrichtenmittel in Deutschland ausgeübt haben (Sitzung vom 11. Januar 1946; Dokument 3501-PS). Eine dieser Stellungen hat Fritzsche niemals innegehabt. Das Propagandaministerium hatte übrigens nicht nur einen, sondern drei Staatssekretäre. Dr. Goebbels hatte sich auch mit einem Ministeramt umgeben. Ich glaube, es ist auch angemessen, auf diesen niedrigen Rang hinzuweisen, weil die Anklagebehörde in anderen Fällen – zum Beispiel bei dem Angeklagten Göring – unter Hinweis auf einen hohen Rang, also allein aus der äußeren Stellung des Angeklagten, auf eine besondere Verantwortlichkeit schließen zu können glaubt. Es kann also keinesfalls davon ausgegangen werden, daß Fritzsche auf die Leitung der Propaganda im allgemeinen, auf die Politik, die durch Presse und Rundfunk betrieben wurde, irgendeinen entscheidenden Einfluß gehabt habe.
Die Aufgaben, die Fritzsche im technischen Nachrichtenwesen erfüllt hat, betreffen ihn nur als Journalisten und Fachmann. Sie haben mit dem Inhalt der Propaganda, die von der Staatsführung betrieben wurde, nichts zu tun. Auch insoweit war er nur Ausführender. Richtig ist, daß er die journalistischen Nachrichtenbüros technisch durchorganisiert hat. Er hat sie damit modernisiert und vervollkommnet. Es ist ferner richtig, daß dieses Nachrichtenwesen später im Kriege eine sehr bedeutungsvolle Rolle gespielt hat. Insoweit ist Fritzsche nur in den Jahren 1933 bis 1938 tätig geworden. Es steht aber fest, daß er in diesen Jahren nicht den geringsten Einfluß auf Inhalt und politische Tendenz der Nachrichten gehabt hat, zumal er in jener Zeit bloßer Angestellter war.
Diese Hinweise auf die amtliche Position Fritzsches innerhalb des Propagandaministeriums erfolgen noch aus einem anderen Grunde. Wenn Fritzsche sich hier zu seinen Taten und Worten bekannt hat und sie voll verantworten will – er hat Gelegenheit gehabt, zu allen ihm vorgelegten Auszügen aus seinen Rundfunkansprachen Anlaß und Inhalt eingehend zu erläutern –, so kann er doch nicht für Riesen einstehen, die von anderen Stellen des staatlichen Propagandaapparates, auch innerhalb seines Ministeriums, vertreten wurden. Erst recht kann er nicht für die unorganisierte Propaganda der Partei einstehen. Fritzsche hat die verschiedenen geregelten und ungeregelten Arten der Propaganda des Dritten Reiches dargestellt und auf deren Auswirkungen hingewiesen. Ich darf das Hohe Gericht daran erinnern, daß der Zeuge von Schirrmeister bekundet hat, selbst Goebbels habe für die Propaganda mit der »Parteidogmatik« und mit dem »Mythus« nichts anfangen können. Das seien für ihn keine Dinge gewesen, mit denen man Massen fangen könne. Der Angeklagte Speer hat bei Erwähnung der geheimen Agitation mit den Wunderwaffen auf andere Quellen unorganisierter Parteipropaganda hinweisen können. Für alles das trägt Fritzsche keine Verantwortung. Seine amtliche Stellung war nicht einflußreich genug, um alle Mißstände und Mißbräuche wirksam bekämpfen zu können. Deswegen blieb auch sein wiederholter Versuch, den »Stürmer« verbieten zu lassen – er hielt die Zeitung für ein ausgezeichnetes antideutsches Propagandamittel – erfolglos. Die Parteipropaganda hat in ihrer praktischen Auswirkung eine viel größere Rolle gespielt als diejenige, die Fritzsche mit seinen demgegenüber sehr beschränkten Funktionen jemals hätte ausüben können. Ich erinnere daran, daß nach der Bekundung Fritzsches als Zeuge selbst Dr. Goebbels vor Bormann Angst hatte. Das hing mit jenem verhängnisvollen Satze zusammen, wonach nicht der Staat der Partei, sondern umgekehrt die Partei dem Staate zu befehlen habe.
Die Beweisaufnahme – insbesondere die Vernehmung des Zeugen von Schirrmeister – hat deswegen zweifelsfrei ergeben, daß die entscheidenden Weisungen für die Propaganda des Dritten Reiches von anderen Stellen kamen. Goebbels, zu dem Fritzsche eine persönlich durchaus distanzierte Stellung hatte, hat sich in seine Pläne von keinem untergeordneten Beamten seines Ministeriums hineinreden lassen. Es hat sich gezeigt, daß er mit der Autorität seiner Stellung, mit der Gewandtheit seiner Argumente, die die Welt kennt, und notfalls mit den Mitteln des Betruges seine Pläne durchsetzte. Die Führung der deutschen Pressepolitik – betrachten wir nur diesen engeren Rahmen- hatten und behielten Dr. Goebbels und Dr. Dietrich. Ähnlich war es, wie der Zeuge von Schirrmeister bekundete, mit dem Rundfunk, als Fritzsche im November 1942 dessen Leitung übernahm. Dr. Goebbels, einer der ältesten und engsten Mitarbeiter Hitlers, und Dr. Dietrich, der ständige Begleiter Hitlers – er war während des Krieges fast ohne Unterbrechung in dessen Hauptquartier anwesend –, ließen sich niemals die Führung von Presse und Rundfunk aus der Hand nehmen, zumal nicht von einem Manne, der wie Fritzsche über keinerlei Beziehungen zu Hitler verfügte, ja, mit diesem nicht eine einzige Besprechung gehabt hat. Letztlich war Hitlers Wille auch hier entscheidend.
Wir haben ferner gehört, welchen Einfluß – ob von Hitler, Goebbels oder Dietrich veranlaßt, kann dahingestellt bleiben – auch andere staatliche Stellen auf Presse und Rundfunk mit Erfolg ausgeübt haben. Ich erwähne hier das Auswärtige Amt, das Oberkommando der Wehrmacht und sonstige Ministerien, deren Leiter den drei genannten Personen viel enger verbunden waren als etwa Fritzsche.
Zur Vermeidung eines Mißverständnisses darf ich darauf hinweisen, daß die Behauptung in der Anklageschrift, Fritzsche habe dem Apparat der Parteipropaganda, zum Beispiel der sogenannten Reichspressestelle der NSDAP oder der Rundfunkabteilung der Partei irgendwie nahegestanden, im Laufe des Verfahrens von der Anklagebehörde ausdrücklich zurückgezogen worden ist.
Ich glaube, damit die Verantwortung des Angeklagten genügend abgegrenzt zu haben. Aus dieser Abgrenzung ergibt sich die Unrichtigkeit der weitverbreiteten Meinung, Fritzsche habe eine sehr bedeutende und einflußreiche Stellung in dem »riesigen Propagandaapparat« des Dritten Reiches gehabt. Diese Abgrenzung trägt nicht nur rechtlich, sondern auch moralisch den Tatsachen Rechnung, die in der Beweiserhebung völlig klargestellt worden sind.
Damit habe ich schon in gewisser Weise Stellung genommen zu dem Vorwurf, Fritzsche sei ein Mitglied der behaupteten Verschwörung gewesen. Die Anklagebehörde hat mehrfach versucht, die Arbeit Fritzsches in ihren verschiedenen Stadien in die angebliche Verschwörergruppe einzuordnen und hat daraus die so weitgehenden Folgerungen gezogen, Fritzsche sei damit auch verantwortlich für Kriegsverbrechen, für Verbrechen gegen die Humanität und sogar für Verbrechen gegen den Frieden (Sitzung vom 23. Januar 1946). Diese Versuche schienen schon bei der Anklagebegründung sachlich kaum gerechtfertigt. Und es ist wohl keine unangemessene Kritik, wenn ich hier erkläre, daß es der Anklagebehörde eine gewisse Verlegenheit bereitet hat, die untergeordnete Beamtenstellung Fritzsches als so bedeutungsvoll und wichtig darzustellen. Heute, nach Schluß der Beweiserhebung, erscheint mir der Versuch gescheitert, Fritzsche in den Kreis der Planschließenden einzubeziehen.
Fritzsche ist in keiner einzigen der Sitzungen zu finden, in denen Hitler sich mit dem engeren oder weiteren Kreis seiner Mitarbeiter über irgendwelche Pläne oder Aktionen besprach. Er war auch sonst tatsächlich niemals an irgendwelchen Erörterungen, die geeignet gewesen sein mögen, die Welt in das Blutbad der Angriffskriege zu stürzen, beteiligt. Er war weder ein »alter Kämpfer«, noch hat er später das goldene Parteiabzeichen verliehen bekommen. Er gehörte, wie ich besonders zu betonen hatte, keiner einzigen derjenigen Organisationen an, die hier für verbrecherisch erklärt werden sollen. Er erfüllte bis zuletzt eine Beamtenfunktion in einem Ministerium, er empfing Weisungen wie jeder andere Beamte. Er konnte niemals politischer Ratgeber sein.
Die Brücke von ihm zur angeblichen Verschwörung hätte nach Lage der Dinge nur die Person des Dr. Goebbels bilden können. Der Zeuge von Schirrmeister hat eine solche Annahme widerlegt. Nach dessen Bekundung hat Fritzsche noch nicht einmal zu dem engeren Kreis Dr. Goebbels' gehört. Ja, von Schirrmeister konnte sogar aussagen, daß Fritzsche sich oft an ihn wenden mußte, weil er die Ansicht von Dr. Goebbels über irgendeine Frage nicht anders zu erfahren vermochte als über ihn, den persönlichen Pressereferenten von Goebbels. Ein Verkehr über die Staatssekretäre – beispielsweise Dr. Dietrich, Dr. Naumann, um nur einige zu nennen – war ebenfalls mit Schwierigkeiten verbunden. Das ist nicht die Methode, wie Verschwörer miteinander zu verkehren pflegen.
Der Zeuge von Schirrmeister hat es weiterhin als ausgeschlossen bezeichnet, daß Fritzsche mit Goebbels überhaupt in einen planenden Gedankenaustausch hätte treten können. Es wäre nun Sache der Anklagebehörde gewesen, dem Angeklagten Fritzsche nachzuweisen, worin seine Beteiligung an der Verschwörung erblickt werden könnte. Ich behaupte, daß der Nachweis für keinen Punkt der Anklage als geführt angesehen werden kann.
Ich glaube, daß es überhaupt nicht die amtlichen Stellungen Fritzsches sind, die zur Erhebung einer Anklage gegen ihn geführt haben. Vielmehr nehme ich an, daß dies allein zurückzuführen ist auf seine Rundfunkansprachen, die ihn und seinen Namen – aber nur während des Krieges – in Deutschland und vielleicht auch in einem Teil der übrigen Welt bekanntgemacht haben.
Alle ernsthaften Vorwürfe, die gegen ihn erhoben werden, gehen deshalb auch nur auf diese Ansprachen zurück. Die sonstigen Behauptungen über seine Stellung im Staats- oder gar Parteiapparat gründen sich nur auf Vermutungen und Kombinationen ohne sachliche Grundlage, wie dies zum Beispiel aus den rein persönlichen und widerlegten Urteilen von Schörner, Voß und Stahel besonders deutlich hervorgeht. Sein Name ist aber ausschließlich wegen des technischen Mittels, dessen er sich bediente, so bekanntgeworden. Nur die große Bedeutung des Radios für die moderne Nachrichtenübermittlung ließ ihn in einem besonderen Licht erscheinen. Es soll damit nicht bestritten werden, daß er damit einen großen Einfluß auf das deutsche Volk gehabt hat. Ich kann aber wohl aus unseren eigenen Erfahrungen im Deutschland der Nazi- Herrschaft darauf hinweisen, daß jeder Gauredner, mancher Kreisleiter, sich einer viel weitergehenden Sprache bedient hat. Deren Ausführungen erschienen aber in der Kegel nur in der Lokalpresse.
Hinsichtlich dieser Ansprachen war die Verteidigung insofern behindert, als diese ihr nicht sämtlich in vollem Wortlaut zur Verfügung gestellt werden konnten. Die von der Russischen Anklagebehörde im Kreuzverhör zitierten Auszüge konnten leider ebenfalls nicht ergänzt werden durch den vollen Wortlaut der jeweiligen Rede. Damit entfiel die Möglichkeit, den Sinn wieder herzustellen, den die jeweilige Ansprache in der Zeit hatte, in der sie gehalten wurde. Ich komme auf ein Beispiel hierfür noch zurück. Die Methode, nur einzelne Stellen oder Zitate dem Gericht bekanntzumachen, ist hier deshalb besonders unzulänglich, weil damit nicht erkennbar werden kann, daß Fritzsche in seinen Ansprachen stets die aktuellen Ereignisse in den Vordergrund gestellt hat. Allgemeinere Schlußfolgerungen ideologischer Art sind von ihm darin selten und nur beiläufig gezogen worden. Aber schon aus dem, was Fritzsche hinsichtlich seiner Ansprachen, die ihm durch die Anklagevertretung in vollem Texte vorgelegt werden konnten, ausgesagt hat, ergibt sich ein ganz anderes Bild über Anlaß und Beweggründe seiner Rundfunkreden. Diese waren in den Jahren 1932 – also schon vor der Machtergreifung durch den Nationalsozialismus – bis zum Jahre 1939 zunächst nur eine politische Zeitungsschau. Sie hießen auch so. Sie waren demnach eine Sammlung von Zitaten aus in- und ausländischen Zeitungen.
Fritzsche bestreitet nicht, daß diese Sammlungen orientiert waren nach den Interessen des nationalsozialistischen Staates. Erst im Kriege wurden diese Ansprachen – aber weiterhin bis zuletzt auf der Grundlage von Zitaten auch der ausländischen Presse – zu der Plattform der polemischen Auseinandersetzung, die im Kriege nun einmal von beiden Seiten aus getrieben wurde. Zweifellos trugen sie viel bei zur politischen Meinungsbildung in Deutschland, zweifellos haben aber auch viele Leute in Deutschland Fritzsches Ansprachen gehört nicht wegen seiner Polemiken, sondern um aus seinen Zitaten wenigstens etwas von den Meinungsäußerungen des Auslandes zu erfahren. Diese Reden waren zunächst jahrelang reine Privatarbeiten neben seiner amtlichen Stellung. Erst im Kriege wurden sie wegen ihrer steigenden publizistischen Bedeutung als offiziös angesehen. Sie bekamen damit – um die Sache deutlicher zu machen – etwa den Charakter von Leitartikeln einer Zeitung, die – wie man zu sagen pflegt – der Regierung nahesteht. Es wäre der Verteidigung ein leichtes gewesen, dem Gericht Bände von Zeitungen aus der gleichen Zeit vorzulegen, deren Leitartikel die gleiche Tendenz trugen, ja, wie hier mit allem Nachdruck behauptet werden kann, eine viel heftigere Sprache geführt haben.
Fritzsche hat auf das entschiedenste – und nach meiner Überzeugung durchaus zu Recht – bestreiten können, daß diese Ansprachen etwa aufgehetzt hätten zu Rassenhaß, zu Mord oder Gewalttat, zu Völkerhaß oder zu Angriffskriegen. Wenn eine solche Wirkung durch diese Ansprachen wirklich hätte verursacht werden können, dann müßte jedem Schriftleiter des Dritten Reiches, der die »Tagesparolen« des Reichspressechefs empfing, genau der gleiche Vorwurf gemacht werden können. Vor diesem Tribunal erscheint der Vorwurf eben nur deswegen gegen Fritzsche erhoben worden zu sein, weil er durch ein technisches Mittel weit hörbar gewesen ist. Es liegt aber – besonders im Kriege, und erst seit 1939 hatten seine Reden überhaupt eine publizistische Bedeutung – in der Natur der Sache, daß der Polemiker selbst Gegenstand der Polemik wird; derjenige natürlich im besonderen Maße, dessen publizistische Wirkung technisch weitergegangen ist als die Wirkung eines Artikels, der in der Lokalzeitung stand. Nur damit wird sein Name für den Außenstehenden bekannter als der Name selbst von Leuten, die viel mächtiger sind als der Publizist.
Wie weitgehend die Vorwürfe der Anklage gegen Fritzsche als Publizist gegangen sind, ergibt sich daraus, daß er nicht nur zu der planschließenden Verschwörergruppe gehört haben soll, sondern daß er auch des Verbrechens gegen den Frieden angeklagt ist. Wenn ein Propagandist sich diesem Vorwurf ausgesetzt sieht, erhebt sich unmittelbar die Frage, ob öffentliche Rundfunkansprachen nicht am allerwenigsten geeignete Mittel sein müßten, verbrecherische Ziele einer geheimen Verschwörung durchzusetzen. Ansprachen, die aller Welt hörbar sind, könnten höchstens geeignet sein, solche Ziele zu tarnen und die Welt zu täuschen. Tatsächlich aber wird Fritzsche gerade der gegenteilige Vorwurf gemacht. Er soll ja andere aufgehetzt haben.
Hiermit dürfte das Wesen und die Eigenart dieser Ansprachen genügend charakterisiert sein. Ihre Bedeutung mußte gegenüber den so weitgehenden Schlüssen der Anklage auf das richtige Maß gebracht werden.
Bevor ich näher auf den Vorwurf eingehe, Fritzsche habe durch Rundfunkansprachen oder sonstige Mittel zu einzelnen Angriffskriegen beigetragen, ist es in einem Falle, wo einem Publizisten in dieser Hinsicht Vorwürfe krimineller oder völkerrechtlicher Art gemacht werden, erforderlich, ein Rechtsproblem zu behandeln.
An keiner Stelle – soweit ich sehe – hat die Anklagebehörde die Frage erörtert, ob und inwieweit die Propaganda, das heißt der Versuch der geistigen Beeinflussung besonders im Kriege überhaupt unter völkerrechtlicher Regelung gestanden hat oder noch steht. Vielleicht ist dieses Problem nur deshalb nicht zur Sprache gebracht worden, weil die Frage, einmal gestellt, klar hätte verneint werden müssen. Die Anklageschrift stellt zwar den »riesigen Propagandaapparat« während der Diktatur Hitlers fest, der mit der Folge der Aufsicht und Kontrolle jeder kulturellen Tätigkeit geschaffen worden ist, zieht daraus für eine völkerrechtliche Beurteilung aber keine Schlüsse. Denn tatsächlich sind keinerlei allgemein oder speziell gültige Bestimmungen, die dieses Gebiet berühren, jemals getroffen worden; auch irgendein Gewohnheitsrecht hat sich hier nicht herauszubilden vermocht. In diesem Zusammenhang ist interessant, daß die Lehrbücher des Völkerrechts diesem Problem – soweit ich feststellen konnte – überhaupt keine Beachtung schenken. Allerdings enthält eine Anzahl Lehrbücher, insbesondere naturrechtlicher Färbung in den Katalogen von völkerrechtlichen Grundrechten, auch regelmäßig einen Abschnitt über Staatenehre oder Staatenwürde. In diesen Kapiteln wird dann aus der Gleichheit der Staaten und ihrem Zusammenleben innerhalb der Völkerrechtsgemeinschaft die Forderung abgeleitet, daß sie sich gegenseitig mit Respekt zu behandeln hätten. Demgemäß wird weiter gefordert, auch Beschimpfungen, die durch Privatpersonen aus ihrem Machtbereich gegen andere Staaten gerichtet werden, zu verhüten, begangene derartige Ausschreitungen zu bestrafen. Seinen positiv rechtlichen Ausdruck hat dieser Gedanke aber nur in einer Reihe von nationalen Strafgesetzbüchern gefunden, welche etwa die Beschimpfung fremder Staatshäupter – natürlich nur im Frieden – unter Strafe stellen.1 Eine andere, weniger naturrechtlich gerichtete Lehre geht dahin, daß es sich hier nicht um Rechtspflichten, sondern nur um Pflichten internationaler Courtoisie handelt. Sei dem wie dem sei, ein irgendwie festgefügtes Völkerrecht besteht nicht einmal für Friedenszeiten. Insbesondere nicht, soweit es sich um private Propaganda durch Presse und Schrifttum handelt. Und nun: Was den Krieg anlangt, fehlt, wie bereits angedeutet, jegliche Vorschrift in dieser Hinsicht. Es gibt im Kriege nach geltendem Völkerrecht keinerlei Schranken für Propaganda gegen andere Staaten. Für diese Propaganda besteht demgemäß nur eine einzige Schranke, nämlich die große Schranke, die das gesamte Kriegsrecht beherrscht, daß alles und nur das erlaubt ist, quod ad finem belli neccessarium est.
Bei der ungeheueren Bedeutung, welche geistige Beeinflussung für die Willenshaltung von Individuen und Völkern besitzt, kann es keinem Zweifel unterliegen, daß die Propaganda ein wichtiges, ja gegebenenfalls sogar entscheidendes Kriegsmittel sein kann. Nicht weniger wichtig als etwa Wirtschaftskrieg oder gar der Kampf der Waffen. Die Propaganda hat hier eine doppelte Aufgabe: einmal um als Mittel zur Hebung der Widerstandskraft des eigenen Volkes zu dienen, zum andern zur Zersetzung der kämpferischen Kräfte des Gegners. Diese Beeinflussung – Schönfärben auf der einen Seite, Schlechtmachen auf der anderen, Verschleiern von Tatbeständen und so weiter – ist in ihrem Wesen nichts anderes als eine Kriegslist, die im Bereiche des Landkriegsrechts gemäß Artikel 24 der Haager Landkriegsordnung ausdrücklich für ein erlaubtes Kriegsmittel erklärt worden ist. Um diesen Gedanken weiterzuführen, mag darauf hingewiesen werden, daß die Spionage – auch eine Form der Kriegslist – ebenfalls durch die Haager Landkriegsordnung zum erlaubten Kriegsmittel erklärt worden ist.
Das hier Gesagte stimmt voll mit der Staatenpraxis überein. Verunglimpfung des Gegners und seiner Staatsmänner, seine Verächtlichmachung, Verfälschung der gegnerischen Motive und Absichten, verleumderische Unterstellung, Aufstellung unbewiesener Behauptungen, gehören leider zu denjenigen Propagandamitteln, die allseitig, und zwar in steigendem Maße, im Verlaufe eines Krieges angewandt zu werden pflegen.
Geringfügige Ansätze, aber nur zum Zwecke einer Kriegsverhütung, sind aus der Zeit vor dem ersten Weltkrieg vorhanden. Damals hatten diese ein noch weitergehendes Ziel, nämlich zur Völkerverständigung im allgemeinen beizutragen, und zwar durch eine allgemeine geistig-moralische Abrüstung (désarmement moral).
Es ist aber vor dem ersten Weltbrand dieses Jahrhunderts nicht erreicht worden. Es erhielt allerdings gerade als Reaktion auf die schweren kriegerischen Verwicklungen nach dem Jahre 1918 einen stärkeren Impuls und wurde auf der Welt bekannt durch die Aufgaben, die in dieser Hinsicht dem Völkerbund vorgelegt wurden. Dies war allerdings ein erster welcher Versuch, eine geistige Abrüstung in Angriff zu nehmen. Auf der fünften Völkerbundstagung im Jahre 1925 in Paris wurde die Errichtung eines Instituts für geistige Zusammenarbeit (Coopération intellectuelle) beschlossen. Die weiteren jahrelangen Untersuchungen ergaben zahlreiche Vorschläge, die Gründung von General- und Unterkommissionen, von Sektionen und Sachverständigen-Komitees mit einer unübersehbaren Fülle von Material. Aber alle diese großen Anstrengungen führten den idealistischen Schwung und die Sehnsucht der Völker auch zur »geistigen Abrüstung« und zur geistigen Zusammenarbeit doch nicht herab zu nüchterner und konkreter Rechtsgestaltung, die den einzelnen Staaten sowohl als auch deren Angehörigen gesetzliche Bindungen auferlegt hätten. Es kam nicht zu einem Ergebnis, um im Kriege Haß, Hetze, Entstellung von Tatsachen, Aufreizung gegen andere Völker oder gegen Angehörige anderer Staaten in allen nur möglichen modernen Äußerungsformen unterbinden zu können. Selbst so bestimmte und umfassende Vorschläge zu einer moralisch-geistigen Abrüstung, die von der Polnischen Regierung dem Völkerbund in zwei Memoranden vom 17. September 19312 und vom 13. Februar 19323 vorgelegt wurden, erlitten das gleiche Schicksal. Diese Vorschläge wollten jede Propaganda, soweit sie gefährlich für den Frieden werden könne, und sogar jede Propaganda, die auf eine bloße Störung der guten Beziehungen zwischen den Völkern hinzielte, auch durch nationale Gesetzgebung verbieten lassen. Es sollte nicht nur auf die großen öffentlichen Nachrichtenmittel Einfluß genommen werden, sondern auch auf die weitverzweigten Verwaltungen jedes modernen Staates bis zur Überprüfung der Schulbücher. Diese Vorschläge, die den Mitgliedstaaten empfahlen, auch vor Zensur- und Verbotsmaßnahmen nicht zurückzuschrecken, scheiterten aber schließlich an einer damals bestehenden Antinomie: Diesen Vorschlägen gegenüber standen die tief verwurzelten Anschauungen, daß an der Freiheit der Meinungsäußerung in geistigen Dingen nicht durch so außerordentlich weitgehende polizeiliche Maßnahmen gerüttelt werden könne; diese freie Meinungsäußerung sollte als ein vom Schöpfer verliehenes »unveräußerliches Recht« erhalten bleiben. Und bei dieser Polarität der Grundanschauungen ist es geblieben. Wir haben hier im Gerichtssaal einen besonderen Anschauungsunterricht gehabt, wohin Zensur und Kontrolle von Presse, Rundfunk und Film auch führen können.
Die wenigen bilateralen Abkommen, die nach dem Scheitern der polnischen Vorschläge aus den Jahren 1931 und 1932 zum Abschluß kamen, sind hier nicht erwähnenswert. Sie beschränkten sich nur auf Teilgebiete propagandistischer Mittel und nur auf die Zeit gutnachbarlicher Beziehungen.
Wir können deshalb hier nur der Hoffnung Ausdruck geben, daß auf einem Fundament der internationalen Solidarität auch diese noch gegensätzlichen Thesen in der Zukunft auf einer höheren Ebene, in einer Synthese aufgehoben werden können.
In diesem Prozeß wurde ein Geheimerlaß des Oberkommandos der Wehrmacht vom 1. Oktober 1938 vorgelegt (Dokument C-2). Dessen Völkerrechtsabteilung hatte für den Fall kriegerischer Verwicklungen eine Tabelle zusammenstellen lassen. Aus dieser sollten die Grundsätze abgelesen werden können, wie einer möglichen Verletzung des Kriegsrechts durch Freund und Feind zu begegnen sei. In Kenntnis des rechtlichen Vakuums auf dem Gebiete der Propaganda im weitesten Sinne wird darin ausgeführt, daß es völkerrechtlich völlig erlaubt sei, den Gegner verächtlich zu machen und zu versuchen, ihn zu zersetzen, »wenn dabei auch noch so sehr gelogen und gefälscht wird«, und es konnte sogar vom Rechtsstandpunkt aus für die Zukunft die Anordnung getroffen werden, daß, falls vom Feinde eine solche Propaganda angewendet werde, Abhilfe durch »Gegenangriffe« rechtlich möglich sei, wobei »natürlich ebenfalls von der Verbreitung von Greuellügen« Gebrauch gemacht werden müsse. Das mag zynisch und brutal klingen. Leider aber stimmte es mit den Kriegsgebräuchen überein oder besser: Es entsprang diese ungeschminkte Feststellung den tatsächlichen Rechtslücken in völkerrechtlichen Abkommen und im Gewohnheitsrecht. Dr. Kranzbühler hat hier mit Recht gesagt: »Im Kriege gibt es keine Pflicht zur Wahrheit.«
Unser jetziger Abstand zu den gegenseitigen Propagandamethoden im ersten Weltkrieg erlaubt uns, das damalige Geschehen heute als historisch zu bezeichnen. Auch damals ließen sich alle Kriegführenden davon leiten, die Zersetzung des Gegners auch mit den Mitteln der Propaganda zu versuchen. Aber die Legende der von den deutschen Soldaten abgehackten Kinderhände – wie Arthur Ponsonby in seinem Buche »Falsehood in War-Time«4 nachgewiesen hat, eine Kriegslüge – hat sogar noch im tiefsten Frieden, nämlich beinahe zehn Jahre nach dem ersten Weltkrieg in einem französischen Schulbuch nachgespukt.5 Schrifttum aller kriegführenden Staaten, Zeichnungen, Karikaturen sind allein aus der Zeit des ersten Weltkrieges in Legionen in allen Bibliotheken vorhanden. Vielen wird noch heute jener Film in Erinnerung sein, der fürchterliche Greuel zeigte und den Namen trug »Die apokalyptischen Reiter«. Ein Film, der zur Zeit des ersten Weltkrieges fast um die ganze Welt ging. Und leider mußte es bis heute bei dieser rechtlichen Unordnung bleiben. Kann man aus dem von Justice Jackson für diesen Prozeß erstrebten Ziele, auch neues Völkerrecht zu schaffen, den Fall des Angeklagten Fritzsche als Publizist im Nazi-Staat rückwirkend einbeziehen? Kann der Wunsch der Anklagebehörde, Fritzsche als Kriegsverbrecher bestraft zu sehen, mit der Behauptung einer logischen Weiterentwicklung von Gesetzen6 begründet werden, wenn auf dem Gebiete der Propaganda bisher nichts, aber auch gar nichts gesetzlich und rechtlich geregelt ist und sich auch keinerlei fruchtbare Ansätze in dieser Richtung gezeigt haben? Hier handelt es sich bestimmt nicht um eine nur scheinbare Rechtslücke (Sitzung vom 4. Dezember 1945).
Das Gesagte umfaßt selbstverständlich nicht die Fälle, in denen im Wege der Propaganda tatsächlich zu Verbrechen im einzelnen aufgefordert wird. Ich komme deshalb nunmehr auf die Vorwürfe der Anklage im einzelnen, um darzutun, daß sich Fritzsche solcher Taten nicht schuldig gemacht hat.
Was das angebliche Verbrechen gegen den Frieden anlangt, so geht die Anklage davon aus, vor jedem größeren, politischen und militärischen Angriff der deutschen Staatsführung habe erst ein Pressefeldzug eingesetzt. Die Nazi-Verschwörer hätten deswegen auch die Presse als Mittel der auswärtigen Politik und als Manöver für nachfolgende Angriffshandlungen benutzt. Aus dieser ganz allgemeinen, vielleicht sogar zutreffenden Schilderung solcher Absichten wird der so weitgehende Schluß gezogen, daß Fritzsche auch hierfür mit verantwortlich sei. Eine solche Verantwortung ergäbe sich allein aus dem zeitlichen Umstand, daß er von Dezember 1938 bis zum Frühjahr 1942 innerhalb des amtlichen Propagandaministeriums der Leiter der Abteilung »Deutsche Presse« gewesen ist. Dieser Folgerung fehlt aber die Prämisse. Nur dann könnte sie berechtigt sein, wenn auch der Nachweis gelungen wäre, daß Fritzsche wirklich der Schöpfer und Inspirator aller dieser Pressekampagnen gewesen wäre. Fritzsche aber konnte schon wegen seiner untergeordneten Stellung nicht nur im Behördenaufbau, sondern auch im Verhältnis zu den wirklichen Führern der Propaganda – Hitler, Goebbels, Dietrich und andere – nur dasjenige wissen, was ihm ebenso wie anderen Beamten von ihren Vorgesetzten als die historische Wahrheit unterbreitet wurde. Ich erinnere daran, daß alle Zeugen, die über den Einfluß der auswärtigen Politik auf die Pressegestaltung etwas bekundet haben, darauf hinweisen, daß vor Beginn jeder politischen, besonders aber der militärischen Aktion das Auswärtige Amt mit dort fertiggestellten Weißbüchern die Schritte der hohen Politik vor der Öffentlichkeit begründet habe. Wie bei anderen Absichten und Zielsetzungen der obersten Führer des Dritten Reiches, so wurde auch in solchen Fällen gerade der Presse nur das bekanntgegeben, was die Öffentlichkeit hierüber erfahren, aber das verschwiegen, was nicht für sie bestimmt sein sollte.
Wie vollzog sich nun nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme tatsächlich die von Fritzsche vermittelte Propaganda zu den einzelnen militärischen Angriffshandlungen, und was hat er von den Hintergründen gewußt?
Bei der Besetzung von Böhmen und Mähren sind ihm erst kurze Zeit vor dem entscheidenden Schritt vom 15. März 1939 Anweisungen des Reichspressechefs erteilt worden. Diese bestanden wie auch in allen anderen Fällen in den sogenannten »Tagesparolen«, die in den Pressekonferenzen ausgegeben wurden (Dokument 3469-PS). Solche Tagesparolen kamen damit in den Schlagzeilen deutscher Zeitungen zum Ausdruck. Es mag hier erwähnt werden, daß das bekannteste Organ der Partei, nämlich der »Völkische Beobachter«, infolge seiner unmittelbaren Beziehungen zum Reichspressechef – und während des Krieges zum Führerhauptquartier – von solchen Tagesparolen unabhängiger war, zumal es noch über einen eigenen auswärtigen Informationsdienst verfügte. Was im »Völkischen Beobachter« stand, gibt deswegen nicht dasjenige wieder, was Fritzsche als Leiter der deutschen Presse gutgeheißen hatte. Fritzsche hatte nämlich – und diese Einstellung hat für seine gesamte Tätigkeit die allergrößte Bedeutung – damals schon den Grundsatz für seine Presseinformationen aufgestellt, daß unwahre Nachrichten der Presse auf keinen Fall zugeleitet werden dürften. Der äußere Anlaß hierfür war die Tatsache, daß sein Vorgänger in der Abteilung »Deutsche Presse«, Berndt, während der Sudetenkrise alle möglichen Nachrichten hatte verbreiten lassen, wodurch er das Vertrauen der deutschen Schriftleiter verlor. Fritzsche hat im Zeugenstand, ebenso wie der Zeuge von Schirrmeister, die Einzelheiten hierzu angegeben.
Es ist nicht ersichtlich, inwiefern Fritzsche bei dem Einmarsch deutscher Truppen in die Tschechoslowakei mehr beteiligt gewesen sein soll als andere Beamte oder Offiziere. Was in diesem Prozeß über die damaligen geheimen Absichten Hitlers bekanntgeworden ist, hat Fritzsche genau so wenig gewußt, wie ihm der Plan »Fall Grün« bekannt gewesen sein konnte. Als Leiter der Inlandspresse hat er auch keinerlei Einfluß nehmen können auf die Propagandamöglichkeiten, die innerhalb der Tschechoslowakei ausgenutzt werden sollten (Dokument 998-PS).
Das gleiche gilt für den Polenfeldzug; auch hier hat Fritzsche durchaus nicht einer kriegerischen Verwicklung das Wort geredet oder vorsätzlich etwa Nachrichten vermittelt, die kriegerische Absichten hätten unterstützen können. Gerade in seiner Rundfunkansprache vom 29. August 1939 (Dokument USSR- 493), die ihm im Kreuzverhör vorgehalten worden ist (Sitzung vom 28. Juni 1946), weist er ausdrücklich darauf hin, daß an der Tatsache des deutschen Friedenswillens kein ernsthafter Zweifel möglich sei. Jene und viele andere Stellen sind besonders geeignet, den guten Glauben Fritzsches darzutun. Er hat hier seiner und des deutschen Volkes Enttäuschung, daß dieser von Hitler immer wieder betonte Wille zum Frieden eine Lüge, sogar eine Hinterlist war, Ausdruck gegeben. Wenn man alle sonstigen Rundfunkansprachen Fritzsches aus der Zeit kurz vor und während des Polenfeldzuges im vollen Wortlaut nachprüft, wird keine seiner Äußerungen als eine Begünstigung dieses Angriffskrieges ausgelegt werden können. Die amtlichen Begründungen überzeugten damals Fritzsche – ebenso wie Millionen anderer Deutscher –, daß Deutschland das Recht auf seiner Seite gehabt habe. Daß Fritzsche in jener Zeit zu einer solchen Überzeugung gebracht worden war, war der Anlaß, daß er hier im Zeugenstand erklärte, auch er fühle sich von Hitler betrogen.
Auch im Falle Jugoslawien war es nicht anders. Hier hat Fritzsche ebenfalls nur dasjenige erfahren können, was über den Reichspressechef ihm und den vielen Schriftleitern an Tatsachen mitgeteilt worden war, die zu überprüfen er schon wegen der Schnelligkeit, mit der sich diese Ereignisse abspielten, keine Gelegenheit hatte – falls ihm im Zuge der Ereignisse der Gedanke überhaupt hätte kommen können, die Presse werde dazu ausgenutzt, kriegerische Maßnahmen zu produzieren.
Die Rolle der Presse vor dem überraschenden Angriff auf die Sowjetunion ist in diesem Prozeß besonders eindringlich klargestellt worden; schon aus strategischen Gründen durfte der gesamte Propagandaapparat – und damit auch Fritzsche als Leiter der Inlandspresse – vorher nicht das geringste wissen. Gerade dieser Feldzug ist auch von Goebbels durch die Vortäuschung einer beabsichtigten deutschen Invasion Englands geschickt verheimlicht worden. Seine engsten Mitarbeiter hat Goebbels persönlich damals bewußt auf diese falsche Fährte gelenkt, wie der Zeuge von Schirrmeister hier bekundet hat.
Fritzsches Bekundung, daß er auch von den geheimen Vorbereitungen durch die Errichtung eines sogenannten Ostministeriums nichts wußte, ist nicht widerlegt worden durch den sogenannten Bericht Rosenbergs (Dokument 1039-PS), der ihm im Kreuzverhör vorgelegt, wurde. Es ist dies ein Dokument, das wegen der vielen darin enthaltenen Namen im Prozeß auch anderweitig eine Rolle gespielt hat. Es ist gleichzeitig das einzige Dokument, in dem der Name Fritzsche im Zusammenhang mit irgendwelchen geheimen Plänen enthalten ist. Aus diesem Dokument, das nach den getroffenen Feststellungen etwa am 28. oder 29. Juni 1941 – also nach Beginn des Feldzuges – von Rosenberg und einigen seiner Mitarbeiter entworfen worden ist, ist die Behauptung nicht abzuleiten, daß Rosenberg den Angeklagten Fritzsche vor dem entscheidenden Zeitpunkt gesprochen habe. Der Entwurf trägt kein Datum und keine Unterschrift. Fritzsche wird überdies darin erwähnt mit dem Titel »Ministerialdirektor«, den er erst im Herbst 1942 verliehen bekommen hat. Hiernach erscheint die Bekundung Fritzsches im Zeugenstand keinesfalls widerlegt, er habe von Rosenberg niemals Mitteilung erhalten, weder über einen bevorstehenden Krieg gegen die Sowjetunion noch über die beabsichtigte Gründung eines Ostministeriums. Erst nach Beginn dieses Feldzuges und nach öffentlicher Bekanntgabe, daß ein neues Ministerium gegründet worden ist, sind ihm Wünsche Rosenbergs durch dessen Mitarbeiter übermittelt worden hinsichtlich der Behandlung der Ostfragen in der deutschen Presse.
Es bleibt also bei der Bekundung Fritzsches, daß er auch im Falle des Krieges gegen die Sowjetunion, ebenso wie in den anderen Fällen erst in dem Augenblick etwas erfuhr, als man ihm die Nachrichten hierüber zur Veröffentlichung übergab. Das läßt – wie man mir zugeben wird – nicht auf die Rolle eines irgendwie mitplanenden oder auch nur mitwissenden Verschwörers schließen. Und daß Fritzsche etwa von den Plänen des Oberkommandos der Wehrmacht vom Juni 1941 (Dokument C-26) oder gar von dem Bormann-Protokoll vom 16. Juli 1941 (Dokument L-221) – welche beiden Dokumente ihm im Kreuzverhör vorgelegt worden sind – gewußt habe, ist erst recht nicht anzunehmen. Diese Verhandlungen lassen erkennen, daß sie wirklich nur im engsten Kreise stattgefunden haben können. Darüber hinaus hat die Fritzsche nicht unmittelbar betreffende Beweisaufnahme ergeben, mit welchen auch militärischen Täuschungsmitteln die Absichten verheimlicht worden sind. Das ist von dem Zeugen Paulus bekundet worden und geht aus dem Bericht des deutschen militärischen Nachrichtendienstes hervor (Dokument 1229-PS). Alle diese Dinge waren besonders geeignet, einem Manne der Presse vorenthalten zu werden. Selbst der Zeuge Gisevius, der doch dauernd damit beschäftigt war, die geheimen Ziele auszukundschaften, mußte darauf hinweisen, welche Mühen es allein innerhalb des Oberkommandos der Wehrmacht gekostet hat, jeweils in Erfahrung zu bringen, ob Hitler einen Krieg plane oder nicht (Sitzung vom 25. April 1946).
Ich kann demnach hierzu abschließend feststellen, daß die emphatische Behauptung der Anklage, Fritzsche habe als Helfershelfer Goebbels' diesem geholfen, die Welt in das Blutbad von Angriffskriegen zu stürzen (Sitzung vom 23. Januar 1946), ungerechtfertigt ist. Fritzsche hat bei seiner Vernehmung durch mich demgegenüber darauf hingewiesen: Wie auch immer die Tatsachen in den einzelnen Fällen gelegen haben mögen, ihm und der deutschen Öffentlichkeit wurden in jedem Augenblicke, vom Einmarsch in Österreich bis zum Angriff auf Rußland, Informationen gegeben, welche die Notwendigkeit des deutschen Vorgehens gerechtfertigt erscheinen ließen.
Nun könnte man den Vorwurf eines Verbrechens gegen den Frieden auch dahin auffassen, daß Fritzsche während der Durchführung eines Angriffskrieges das deutsche Volk ständig zum Durchhalten aufforderte. Natürlich hat er auf dem Wege über seine Rundfunkansprachen keine defaitistische Propaganda getrieben.
Ich muß deshalb die Frage erörtern, ab diese oder überhaupt eine irgendwie geartete Beteiligung an einem Angriffskrieg, nachdem dieser ausgebrochen ist, als eine Teilnahme an dem Verbrechen gegen den Frieden zu erachten und demzufolge zu bestrafen wäre.
Der französische Hauptanklagevertreter, Monsieur de Menthon, hat – ausgehend von einer wörtlichen Auslegung des Artikels 6, Absatz 2 a des Statuts, ohne Beachtung des wirklichen Sinnes dieses Paragraphen – die Konsequenz ziehen wollen, daß die Soldaten und sonstigen Organe des Angreiferstaates überhaupt keine völkerrechtlich zu rechtfertigenden Kriegshandlungen vornehmen können. Er hat aber offenbar erkennen müssen, daß diese Auffassung in der Praxis zu unmöglichen Ergebnissen führen muß. So hat er zum Beispiel die Haager Landkriegsordnung als eine für Angreifer und Angegriffene in gleicher Weise nicht nur verpflichtende, sondern auch berechtigende Ordnung anerkannt. Damit hat er implizite klar zu erkennen gegeben, daß nach seiner Auffassung diese Bestimmung des Statuts restriktiv auszulegen ist.
Im Artikel 6, Absatz 2 a des Statuts werden als Verbrechen gegen den Frieden definiert: Das Planen, die Vorbereitung, die Einleitung und die – nach der deutschen Übersetzung – »Durchführung« eines Angriffskrieges. »Durchführung« ist die Übersetzung des englischen Wortes »waging«. Richtiger wohl wäre es zu übersetzen mit »Unternehmen«. Unternehmen aber bedeutet seinem natürlichen Wortsinne nach ungefähr das gleiche wie »beabsichtigen«; wer etwas unternimmt, betreibt, beabsichtigt, hat es noch nicht ausgeführt. Das Wort »durchführen« könnte die Meinung entstehen lassen, daß das Verbrechen gegen den Frieden mit dem Ausbruch des Krieges noch nicht abgeschlossen sei, sich also über seine ganze Dauer erstrecken konnte. Diese Auffassung würde zur Folge haben, daß auch alle die Personen, die sich an der Kriegführung beteiligt haben, zum Beispiel die Heerführer, alle Wehrmachtsangehörigen und darüber hinaus alle Personen, die den Krieg irgendwie – auch durch Lieferung von Kriegsmaterial und durch Rundfunkansprachen – unterstützt haben, nach dieser Bestimmung zu bestrafen seien. Sie hätten damit mindestens Beihilfe zu der Führung des Krieges geleistet. Diese Personen könnten Verbrecher gegen den Frieden selbst dann sein, wenn sie vor Kriegsbeginn in keiner Weise an der Planung oder Vorbereitung irgendwie beteiligt waren. Ja, auch dann, wenn sie keine Ahnung hatten, daß es sich um einen Angriff gehandelt hat.
Demgegenüber muß festgestellt werden: Als Durchführende eines Angriffskrieges können nur die in Frage kommen, die ihn selbst geplant haben. Sie führen eben ihren gemeinsamen Plan aus, indem sie den Krieg – mit oder ohne Kriegserklärung – beginnen. Die »Ausführung« ist also dem Beginnen gleichzusetzen. Der Vorwurf des Verbrechens gegen den Frieden kann nur die treffen, die ihn auch geplant haben.
Dafür sprechen folgende Gründe:
Die Strafnorm will den Frieden gegen Angriffskriege, das heißt gegen unrechtmäßige Kriege, schützen. In dem Augenblick, in dem diese unrechtmäßigen Kriege beginnen – wie die Anklageschrift sagt »entfesselt« sind –, ist das Rechtsgut des Friedens verletzt, das Verbrechen gegen den Frieden abgeschlossen und vollendet. Dem Wort »durchführen« oder »unternehmen« – »waging« – kann daher keine andere Bedeutung zukommen, als »herbeiführen«, »zur Ausführung des Planes schreiten«.
Mit dieser Auslegung stimmt auch überein die geschichtliche Entwicklung des Begriffs »Verbrechen gegen den Frieden« im Völkerrecht. Das Völkerrecht unterscheidet seit Jahren zwischen »Kriegsverbrechen« im engeren Sinne und »Schuld am Kriege« im weiteren. Kriegsverbrechen sind Verstöße gegen vertraglich oder gewohnheitsrechtlich festgelegte Regeln des Kriegsrechts, gegen die Kriegsgebräuche und weitergehend auch die Verstöße gegen die Menschlichkeit. Kriegsschuld ist die schuldhafte Herbeiführung eines Krieges, im besonderen des ungerechtfertigten Angriffskrieges.
Diese Unterscheidung ist auch bei den Verhandlungen über der. Friedensvertrag nach dem ersten Weltkrieg in Erscheinung getreten. In Artikel 227 und folgende des Versailler Vertrags hat dies seinen Niederschlag gefunden. Es kann keinem Zweifel unterliegen, daß der Begriff des Verbrechens gegen den Frieden im Sinne des Statuts mit dieser Kriegsschuld im bisherigen völkerrechtlichen Sinne identisch sein soll. Paragraph 6, Absatz 2 a, soll die Kriegsschuldigen treffen, also die, die einen rechtswidrigen Krieg herbeiführen.
Die Ansicht, die weitere Unterstützung eines schuldhaft herbeigeführten Krieges sei ebenfalls ein Verbrechen gegen den Frieden, müßte zu völlig unhaltbaren Resultaten führen. Kaum ein Angehöriger des Staates, von dem der Angriffskrieg ausgeht, wäre dann schuldlos. Der Krieg im heutigen Sinne ist nicht mehr wie in früheren Zeiten auf den Waffengang der Heere beschränkt. Er hat sich – wie gerade die beiden Weltkriege gezeigt haben – auf die Gesamtheit der kriegführenden Völker und auf alle ihre Lebensbezirke erweitert. Er hat sich zum totalen Krieg ausgeweitet. Total in dem Sinne, daß alle daran beteiligt sind; auch die Frau, die in einer Fabrik Schrauben dreht, ist mitbeteiligt am totalen Krieg. Und wie Professor Exner in seinem Plädoyer so anschaulich ausgeführt hat, wäre im Angriffskrieg jede Gefangennahme eine Freiheitsberaubung, jede Requisition ein Raub und jeder Schuß ein Mord. Alle Glieder eines Volkes als Verbrecher gegen den Frieden zur Verantwortung ziehen zu wollen wäre absurd. Eine Abstufung nach dem Grade und der Art eines Beitrages zum ausgebrochenen Kriege wäre überdies praktisch unmöglich.
Verbrechen gegen den Frieden können also nur diejenigen begehen, die am Friedensbruch beteiligt gewesen sind – Herr Präsident, ich habe noch eine Seite –, während die unübersehbare Masse, die nicht daran beteiligt war, nicht darunter fallen kann.
Der hier entwickelte Standpunkt wird meines Erachtens auch in der Anklageschrift vertreten. Diese sieht das Verbrechen des Friedensbruches verwirklicht mit der »Entfesselung«. An keiner Stelle ist auch nur angedeutet, daß in der Teilnahme am Kriege oder in seiner Unterstützung durch Leistungen oder Lieferungen irgendwelcher Art das Verbrechen selbst oder seine Fortsetzung erblickt wird. Auch nach der Konstruktion der Anklage kommen vom Zeitpunkt des Kriegsbeginns an ausschließlich die Verbrechen der zweiten und dritten Gruppe in Frage, also die Kriegsverbrechen im engeren völkerrechtlichen Sinne und die Verbrechen gegen die Menschlichkeit.
Meiner Überzeugung nach hat auch Justice Jackson in seiner grundlegenden Rede vom 21. November 1945 den hier vertretenen Standpunkt eingenommen, worauf er in der Sitzung vom 1. März 1946 hingewiesen wurde: Justice Biddle machte ihn darauf aufmerksam, daß er damals angedeutet habe, der Beginn des Krieges sei das Wesen des Verbrechens und nicht das Betreiben des Krieges selbst. Das heißt mit anderen Worten, mit dem Beginn des Angriffskrieges sei das Verbrechen gegen den Frieden im Sinne des Paragraphen 6, Absatz 2 a des Statuts vollendet – breach of peace.
Aus diesen Ausführungen folgt, daß irgendeine kriegsfördernde Tätigkeit während des Krieges keine strafbare Handlung darstellen kann, auch nicht die Rundfunkansprachen Fritzsches, die er im Kriege gehalten hat.
VORSITZENDER: Wir werden uns nun vertagen.