HOME

<< Zurück
|
Vorwärts >>

[Das Gericht vertagt sich bis

26. Juli 1946, 10.00 Uhr.]

Einhundertsiebenundachtzigster Tag.

Freitag, 26. Juli 1946.

Vormittagssitzung.

VORSITZENDER: Ich erteile dem Hauptankläger für die Vereinigten Staaten von Amerika das Wort.

GERICHTSMARSCHALL: Hohes Gericht! Der Angeklagte Heß ist abwesend.

JUSTICE ROBERT H. JACKSON, HAUPTANKLÄGER FÜR DIE VEREINIGTEN STAATEN: Herr Präsident! Mitglieder des Gerichtshofs!

Ein Anwalt kann nur wenigen Arbeiten gegenübergestellt werden, die schwieriger sind als die Aufgabe, seine abschließenden Argumente auszuwählen, wenn ein so großer Unterschied zwischen der ihm zur Verfügung stehenden Zeit und dem vorliegenden Material besteht. In acht Monaten – eine kurze Zeit für einen Staatsprozeß – haben wir Beweismaterial vorgelegt, das einen so großen und verschiedengearteten Rundblick über die Ereignisse darstellt, wie er nur jemals im Rahmen eines Prozesses zusammenfassend gegeben worden ist. Es ist in der Zusammenfassung unmöglich, mehr zu tun, als mit kühnen Strichen die wichtigsten Punkte des düsteren und traurigen Materials dieses Prozesses zu skizzieren, das als der historische Text der Schande und Verderbtheit des 20. Jahrhunderts weiterleben wird.

Es ist üblich, unsere eigene Zeit als auf dem Höhepunkt der Zivilisation stehend anzusehen, von dem aus die Mängel der vergangenen Zeitalter in gönnerhafter Art und Weise im Licht des sogenannten Fortschritts betrachtet werden können. Die Wirklichkeit ist, daß das gegenwärtige Jahrhundert in der großen Perspektive der Geschichte keine bewundernswerte Stellung einnehmen wird, es sei denn, daß sein zweiter Teil für den ersten Wiedergutmachung leistet. Die verflossenen 40 Jahre dieses 20. Jahrhunderts werden in den Büchern der Geschichte zu den blutigsten aller Zeiten gerechnet werden. Zwei Weltkriege haben ein Vermächtnis von Toten hinterlassen, das an Zahl größer ist als alle Armeen, die an irgendeinem Krieg des Altertums oder des Mittelalters beteiligt waren. Kein halbes Jahrhundert hat je ein Hinschlachten in solchem Ausmaß, solche Grausamkeiten und Unmenschlichkeiten, solche Massendeportationen von Völkern in die Sklaverei, solche Ausrottungen von Minderheiten gesehen. Der Schrecken des Torquemada verblaßt gegenüber der Nazi-Inquisition. Diese Taten sind düstere historische Tatsachen, welche zukünftige Generationen an dieses Jahrzehnt erinnern werden. Wenn wir nicht in der Lage sind, die Ursachen dieser barbarischen Geschehnisse auszuschalten und ihre Wiederholung zu verhindern, dann ist es wohl keine verantwortungslose Prophezeiung, wenn man sagt, daß es diesem 20. Jahrhundert vielleicht noch gelingen wird, das Verhängnis für die Zivilisation herbeizuführen.

Durch diese Tatsachen angeregt, sind wir daran gegangen, den Gifthauch aus dem Protokoll unserer Zeit wieder zu beseitigen. Die Angeklagten beschweren sich, daß unsere Schritte zu rasch sind. Als wir das Statut dieses Gerichtshofs aufzeichneten, dachten wir, einen vollendeten Fortschritt im Völkerrecht zu vollziehen. Aber sie sagen jetzt, daß wir unserer Zeit vorgegriffen hätten, daß wir einen Fortschritt vorweggenommen hätten, der zwar erreicht werden sollte, aber bisher noch nicht erreicht worden ist. Das Abkommen von London, ob es jetzt neue Grundsätze aufstellt oder bloß alte niederlegt, bedeutet jedenfalls eine Änderung im Völkerrecht, die ungefähr der Entwicklung des örtlichen Rechtes entspricht, als die Menschen aufhörten, Verbrechen mit »Zetergeschrei« zu bestrafen und begannen, Vernunft und Untersuchung bei der Bestrafung herrschen zu lassen. Die Gesellschaft der Völker hat sich über das primitive »Zetergeschrei«, über das Gesetz des »Fangens und Tötens« herausgehoben. Sie versucht, Sanktionen anzuwenden, um die Befolgung des Völkerrechts zu erzwingen und ihre Anwendung mit Hilfe von Beweis, Gesetz und Vernunft und nicht mit Entrüstungsgeschrei zu leiten. Die Angeklagten verurteilen das Gesetz, mit dessen Hilfe von ihnen Rechenschaft verlangt wird, Ihre Abneigung für das Gesetz, welches sie verurteilt, ist nichts Neues. Es ist schon früher bemerkt worden, daß »kein Dieb, der den Strick um den Hals fühlt, dabei eine gute Meinung vom Gesetz hat«.

Ich will nun nicht näher auf das Recht dieses Prozesses eingehen. Die Stellung der Vereinigten Staaten wurde in meiner Eröffnungsrede dargelegt. Mein ausgezeichneter Kollege, der Hauptankläger für Großbritannien, wird auf den rechtlichen Angriff der Angeklagten im Namen aller Hauptankläger erwidern. In diesem Stand des Verfahrens will ich bei dem Recht für diese Verbrechen bleiben, wie es im Statut niedergelegt ist. Die Angeklagten, die ohne dieses Statut überhaupt kein Recht auf Gehör hätten, verlangen jetzt die Nichtigerklärung der rechtlichen Grundlage dieses Prozesses. Selbstverständlich hat dieses Tribunal nicht die Macht, das Abkommen zwischen den vier Mächten, dem noch 18 andere Nationen beigetreten sind, beiseite zu schieben oder abzuändern. Die Bestimmungen des Statuts sind für alle Parteien in diesem Verfahren endgültig.

Jedoch sollten wir bei der Auslegung des Statuts nicht den einzigartigen und hervorstechenden Charakter dieser Einrichtung als der eines Internationalen Militärgerichtshofs übersehen. Es ist kein Teil des verfassungsmäßigen Mechanismus des inneren Rechts einer der Signatarmächte. Deutschland hat sich bedingungslos ergeben, aber bisher ist kein Friedensvertrag unterzeichnet oder abgeschlossen worden. Die Alliierten befinden sich technisch immer noch in einem Kriegszustand mit Deutschland, obwohl die politischen und militärischen Einrichtungen des Feindes zusammengebrochen sind. Als ein Militärgerichtshof stellt dieser Gerichtshof eine Fortsetzung der Kriegsanstrengungen der Alliierten Nationen dar. Als ein Internationaler Gerichtshof ist er nicht durch die verfassungsmäßigen und materiellen Verfeinerungen unserer jeweiligen juristischen oder verfassungsmäßigen Systeme gebunden, noch werden seine Entscheidungen Präzedenzfälle in das innere System der Zivilgerichtsbarkeit irgendeines Landes einführen. Als Internationaler Militärgerichtshof steht er über den örtlichen und vorübergehenden Faktoren und sucht seine Leitsätze nicht nur im Völkerrecht, sondern auch in den grundsätzlichen Prinzipien der Rechtswissenschaft, die die Voraussetzungen der Zivilisation sind und schon lange in die Gesetzbücher aller Nationen eingegliedert waren.

Einer Sache können wir sicher sein. Die Zukunft wird niemals mit Mißbilligung fragen müssen, was die Nazis zu ihren Gunsten hätten sagen können. Die Geschichte wird wissen, daß, was immer gesagt werden konnte, ihnen zu sagen gestattet war. Ihnen wurde eine Form von Prozeß zugestanden, die sie in den Tagen ihres Prunkes und ihrer Macht niemals irgend jemandem zugestanden hätten.

Aber Fairheit ist nicht Schwäche. Die außerordentliche Fairheit dieser Verhöre ist ein Zeichen unserer Stärke. Das Vorbringen der Anklage schien an seinem Ende vollständig unangreifbar, weil es so stark auf deutschen Urkunden von unbestrittener Echtheit ruhte. Aber erst das wochenlange Bearbeiten eines Falles der Angeklagten nach dem anderen hat ihre wahre Stärke gezeigt. Tatsache ist, daß die Aussagen der Angeklagten jeden Zweifel an der Schuld beseitigt haben, der wegen des außerordentlichen Charakters und der Ungeheuerlichkeit dieser Verbrechen vielleicht noch bestanden haben mag, bevor sie gesprochen haben. Sie haben mitgeholfen, ihre eigene Verurteilung zu unterschreiben.

Die Gerechtigkeit hat aber in diesem Fall nichts mit einigen der Argumente zu tun, die von den Angeklagten oder ihren Verteidigern vorgebracht wurden. Wir haben die Verdienste aller ihrer dunklen und gewundenen Philosophien früher nicht diskutiert, und wir brauchen dies auch jetzt nicht zu tun. Wir verhandeln nicht gegen sie wegen ihrer widerwärtigen Ideen. Es ist ihr Recht, wenn sie es so haben wollten, auf das hebräische Erbteil der Zivilisation, zu der auch Deutschland einst gehörte, zu verzichten. Es ist ebenfalls nicht unsere Angelegenheit, daß sie desgleichen den hellenischen Einfluß abgelehnt haben. Der intellektuelle Bankrott und die moralische Perversion des Nazi-Regimes wären nicht zu einer Angelegenheit des Völkerrechts geworden, wenn sie nicht dazu verwendet worden wären, das Herrenvolk im Paradeschritt über internationale Grenzen marschieren zu lassen. Es sind nicht ihre Gedanken, sondern ihre öffentlichen Handlungen, die wir als Verbrechen anklagen. Ihr Glaube und ihre Lehren sind nur als Beweismaterial für ihr Motiv, ihren Zweck, ihr Wissen und ihre Absicht von Wichtigkeit.

Unsere Anklage richtet sich gegen die rechtswidrige Aggression, wir richten jedoch weder die Beweggründe noch die Hoffnungen oder Mißerfolge, die Deutschland dazu geführt haben, zum Angriffskrieg als zu einem Instrument der Politik zu greifen. Anders als die Politik befaßt sich das Recht nicht mit Gut oder Böse des Status quo noch mit dem Wert der Beschwerden dagegen. Es verlangt nur, daß der Status quo nicht durch Gewaltmaßnahmen angegriffen werde und daß der Krieg der Politik nicht vorausgehe. Wir können zugeben, daß die in den dreißiger Jahren geschaffenen Probleme sich überschneidender ethnologischer und kultureller Gruppen Wirtschaftsschranken und widerstreitende nationale Ambitionen auch weiterhin schwierige Probleme für Deutschland und die anderen Völker Europas bilden werden. Wir können auch zugeben, daß die Welt es versäumt hat, politische oder rechtliche Heilmittel zu finden, die eine ehrenhafte und annehmbare Alternative für diesen Krieg wären. Angesichts dieser Probleme unterstreichen wir weder die Ethik noch die Weisheit irgendeines Landes, einschließlich meines eigenen. Wir sagen jedoch, daß es jetzt ebenso gesetzwidrig und verbrecherisch ist, wie es dies in den letzten Jahren vor 1939 war, wenn Deutschland oder irgendein anderer Staat durch einen Angriffskrieg Mißständen abhelfen will oder Ausdehnung sucht.

Lassen Sie mich einen Kardinalpunkt betonen. Die Vereinigten Staaten haben kein Interesse, das durch die Verurteilung eines Angeklagten eine Förderung erfahren würde, wenn wir nicht seine Schuld mindestens in einem Punkte der Anklageschrift bewiesen haben. Jedes Resultat, das das ruhige und kritische Urteil der Nachwelt als ungerecht erklären könnte, würde nicht einen Sieg für irgendeinen der an dieser Anklage beteiligten Staaten bedeuten. Vor uns liegt jedoch die Zusammenfassung der überprüften Beweise eines Verbrechertums, und wir haben die fadenscheinigen Entschuldigungen und erbärmlichen Ausreden der Angeklagten gehört. Das schwebende Urteil, mit welchem wir diesen Prozeß begonnen haben, ist nun nicht mehr angemessen. Die Zeit ist gekommen, ein endgültiges Urteil zu fällen, und wenn der Fall, den ich hier vorbringe, hart und unnachgiebig erscheint, so ist er nur so, weil die Beweise ihn so gestalten.

Vielleicht kann ich keinen besseren Dienst leisten, als den Versuch zu machen, diesen Fall aus dem Morast der Einzelheiten, die die Protokolle füllen, herauszuheben und Ihnen nur die nackten Umrisse eines Falles zu unterbreiten, der in seiner Einfachheit eindrucksvoll ist. In der Tat, Tausende von Dokumenten und noch mehr Tausende Seiten von Zeugenaussagen beschäftigen sich mit einer Epoche und betreffen einen Kontinent und berühren beinahe jeden Zweig der menschlichen Bestrebungen. Sie beleuchten besondere Gebiete, wie Diplomatie, Marineentwicklung und Seekriegführung, Krieg zu Lande, die Entstehungsgeschichte des Luftkrieges, die Politik der Machterlangung der Nazis, die Finanzen und die Wirtschaft des totalen Krieges, Gesellschaftslehre, Strafrechtslehre, Massenpsychologie und Massenpathologie. Ich muß es den Fachleuten überlassen, die Beweisstücke durchzusieben und Bücher über ihre Spezialfächer zu schreiben; ich hingegen zeichne Ihnen in großen Zügen jene Vergehen auf, die, würden sie als rechtmäßig angenommen, den Fortbestand der Zivilisation bedrohten. Ich muß, wie Kipling sagte, eine zehn Meilen lange Leinwand mit einem Kometenhaarpinsel bespritzen.

Die Verbrechen des Nazi-Regimes.

Die Stärke der gegen die Beschuldigten wegen der Verschwörung erhobenen Anklage, die zu beweisen Pflicht der Vereinigten Staaten ist, liegt in ihrer Einfachheit. Sie umfaßt nur drei endgültige Fragen: Erstens, sind die in dem Statut als Verbrechen beschriebenen Taten begangen worden; zweitens, wurden sie auf Grund eines gemeinsam gefaßten Planes oder einer Verschwörung begangen; drittens, gehören diese Angeklagten zu jenen Personen, die strafrechtlich verantwortlich sind?

Die Anklage verlangt die Prüfung einer verbrecherischen Politik, nicht einer Vielheit von isolierten nicht geplanten oder bestrittenen Verbrechen. Die eigentlichen Verbrechen, auf die wir uns stützen, seien sie Ziele eines gemeinsamen Planes oder Mittel zu einer Erfüllung, sind zugegeben. Die Säulen, auf denen die Anklage der Verschwörung ruht, können in fünf Gruppen offener Taten gefunden werden, deren Charakter und Größe wichtige Faktoren bei der Wertung der Beweise für die Verschwörung bilden.

Erstens, die Machtergreifung und die Unterwerfung Deutschlands unter ein Polizeistaat-Regime.

Die Nazi-Partei bemächtigte sich der Kontrolle des deutschen Staates im Jahre 1933. »Machtergreifung«, eine Bezeichnung, die von den Angeklagten und den Verteidigungszeugen gebraucht wird, ist so passend, daß sie sowohl von der Geschichte als auch in den täglichen Sprachgebrauch aufgenommen worden ist.

In der ersten Zeit lebte die Nazi-Junta in dauernder Furcht vor einem Umsturz: 1934 verwies Göring darauf, daß die Zahl ihrer Feinde Legion sei und sagte:

»So entstanden die Konzentrationslager, in die wir zunächst Tausende von Funktionären der Kommunistischen und Sozialdemokratischen Partei einliefern mußten.« (2344-PS.)

1933 sagte Göring das ganze Programm zielbewußter Grausamkeit und Unterdrückungen voraus, als er folgendes öffentlich verkündete:

»Wer sich in Zukunft gegen einen Träger der nationalsozialistischen Bewegung oder des Staates vergreift, muß wissen, daß er binnen kürzester Frist sein Leben verliert.« (2494-PS.)

Zu diesem Zwecke wurden neue politische Verbrechen geschaffen. Eine andere politische Partei außer der Nazi-Partei zu organisieren oder zu unterstützen, wurde zum Verbrechen erklärt. Verbreitung einer falschen oder übertriebenen Behauptung oder einer Behauptung, die den Staat oder die Partei schädigen könnte, wurde zum Verbrechen erklärt (2548-PS). Gesetze von solcher Zweideutigkeit wurden erlassen, daß sie zur Bestrafung beinahe jeder unschuldigen Handlung Anwendung finden konnten. So wurde zum Beispiel jede »gemeingefährliche« Tat (1390-PS) zum Verbrechen erklärt(1652-PS).

Die Lehre von der Bestrafung auf Grund von Analogie wurde eingeführt, um dadurch die Verurteilung für Taten zu ermöglichen, die kein Gesetz verbot (1962-PS). Justizminister Gürtner erklärte, der Nationalsozialismus betrachte jede Verletzung der von der Gemeinschaft für sich aufgestellten Lebensziele als ein Unrecht per se, und daß Handlungen bestraft werden könnten, obwohl sie nicht dem bestehenden »formellen Recht« zuwiderliefen (2549-PS).

Die Gestapo und der SD waren Instrumente eines Spionagesystems, das das ganze öffentliche und private Leben durchdrang (1680-PS). Göring kontrollierte eine persönliche Telephonabhöreinrichtung. Jedes Geheimnis bei den Verbindungsmöglichkeiten wurde abgeschafft (2533-PS). Parteiblockleiter, die für je 50 Haushalte eingesetzt waren, spionierten ständig im Bereich ihres Gesichtskreises herum. Dank dieser Bespitzelung wurden Einzelpersonen in »Schutzhaft« genommen und ohne Gerichtsverfahren irgendwelcher Art und ohne Angabe der Gründe in Konzentrationslager abgeführt. Die parteimäßige politische Polizei wurde der gesetzmäßigen Verantwortlichkeit für ihre Handlungen enthoben (2344-PS).

Nachdem alle Verwaltungsbetriebe unter Nazi- Kontrolle gebracht und der Reichstag jeder Machtvollkommenheit beraubt war, blieb die Rechtsprechung das letzte Hindernis, das der Schreckensregierung im Wege stand (2469-PS). Aber ihre Unabhängigkeit wurde bald überwunden, und sie wurde zu einer käuflichen Rechtsprechung umgewandelt (784-PS). Richter wurden aus politischen oder rassischen Gründen ausgestoßen; man bespitzelte sie und setzte sie unter Druck, um sie zum Eintritt in die Nazi-Partei zu bewegen(2967-PS). Nachdem das Reichsgericht drei von den vier Männern, die die Nazis der Reichstag-Brandstiftung beschuldigten, freigesprochen hatte, wurde die Rechtsprechung in Hochverratsfällen einem neu eingesetzten »Volksgerichtshof« übertragen, der aus zwei Richtern und fünf Parteifunktionären bestand (2967-PS).

Der in diesem Gerichtssaal vorgeführte deutsche Film, der den »Volksgerichtshof« in Tätigkeit zeigte, enthüllt, wie der Vorsitzende Richter sprachlose Angeklagte mit parteilichen Schmähungen überhäufte (3054-PS). Besondere Gerichtshöfe wurden zur Aburteilung politischer Verbrechen eingerichtet, nur Parteimitglieder wurden zu Richtern ernannt (D-229). »Richterbriefe« instruierten diese Richtermarionetten über die »allgemeinen Linien«, die sie einzuhalten hatten (D-229).

Die Folge davon war die Abschaffung aller friedlichen Mittel, sich der Regierung zu widersetzen oder sie zu ändern. Nachdem sich die Nazis den Zutritt zur Macht erschlichen hatten, warfen sie die Tür vor der Nase aller derjenigen zu, die etwa den Plan hegten, ebenfalls einzutreten. Seitdem das Recht das geworden war, was die Nazis als solches bezeichneten, wurde jede Form des Widerstandes ausgerottet und jede abweichende Stimme erstickt. Deutschland befand sich in den Krallen eines Polizeistaates, der die Furcht vor dem Konzentrationslager als Waffe zur Erzwingung der Widerstandslosigkeit gebrauchte. Die Partei war der Staat, der Staat war die Partei, und Terror bei Tag und Tod in der Nacht waren die Politik beider.

Zweitens, die Vorbereitung und Führung von Angriffskriegen.

Von dem Augenblick an, da die Nazis die Macht ergriffen hatten, bemühten sie sich, unter Mißachtung des Vertrags von Versailles, fieberhaft und heimlich zum Krieg zu rüsten. 1933 fanden sie keine Luftwaffe vor. 1939 hatten sie 21 Geschwader, die aus 240 Staffeln oder ungefähr 2400 Flugzeugen der ersten Linie zusammen mit Schul- und Transportflugzeugen bestanden. 1933 fanden sie eine Armee vor, die aus drei Infanterie- und drei Kavalleriedivisionen bestand. 1939 hatten sie eine Armee von 51 Divisionen ausgehoben und ausgerüstet, von denen vier voll motorisiert und vier Panzerdivisionen waren. 1933 fanden sie eine Marine vor, die aus einem Kreuzer und sechs leichten Kreuzern bestand. 1939 verfügten sie über eine Marine mit einem Bestand von vier Schlachtschiffen, einem Flugzeugträger, sechs Kreuzern, 22 Zerstörern und 54 Unterseebooten. Während der gleichen Zeit hatten sie auch eine Rüstungsindustrie aufgebaut, die sich in Leistungsfähigkeit mit jeder anderen in der Welt messen konnte (EC-028).

Diese neuen Waffen wurden beginnend mit September 1939 in einer Reihe von nichterklärten Kriegen gegen Nationen, mit welchen Deutschland Schieds- und Nichtangriffsverträge hatte, in Gebrauch genommen, und zwar in Verletzung wiederholter Zusicherungen. Am 1. September 1939 griff dieses wieder aufgerüstete Deutschland Polen an. Der April des folgenden Jahres war Zeuge der Invasion und der Besetzung Dänemarks und Norwegens, und der Mai sah, wie Belgien, die Niederlande und Luxemburg überrannt wurden. Der nächste Frühling sah den Angriff auf Jugoslawien und Griechenland, und im Juni des Jahres 1941 kam die Invasion Sowjetrußlands. Danach schlug Japan, das von Deutschland als Bundesgenosse aufgenommen wurde, im Dezember 1941 ohne Warnung gegen Pearl Harbor los, und vier Tage später erklärte Deutschland den Vereinigten Staaten den Krieg.

Wir brauchen uns nicht zu bemühen um die vielen abstrakten Schwierigkeiten, die dafür angeführt werden könnten, was in zweifelhaften Fällen eine Aggression darstelle. Bei der Behandlung der Verschwörung werde ich Ihnen zeigen, daß nach Anwendung jeder Art von Prüfung, wie sie von einer verantwortlichen Autorität überhaupt angewandt werden kann, gestützt auf alle Vorschriften des gesunden Menschenverstandes, diese Kriege rechtswidrige Angriffskriege waren, die unter Bruch der Verträge und in Verletzung der Versicherungen durchgeführt wurden.

Die dritte Gruppe der Verbrechen war: Kriegführung unter Mißachtung des Völkerrechts.

Es ist nicht erforderlich, diesen Punkt auf Grund der Tatsachen weiter zu bearbeiten. Göring erklärte, daß die Bestimmungen für den Landkrieg hinfällig waren, daß keine Nation in ihrem Rahmen einen totalen Krieg führen könnte. Er sagte aus, daß die Nazis die Konventionen, deren Mitglied Deutschland war, gekündigt hätten, daß aber General Jodl wünschte, daß die Einhaltung dieser Bestimmungen seitens der Alliierten den gefangenen deutschen Soldaten weiter zugute kommen sollte.

Gegenüber dem Sowjetvolk und den Sowjetgefangenen kannte die teutonische Wut keine Grenzen mehr, und dies trotz der Warnung des Admirals Canaris, daß die Behandlung das Völkerrecht verletze.

Wir brauchen somit für den Anklagepunkt der Verschwörung nicht die empörenden Einzelheiten wieder aufzählen von Verhungern, Schlagen, Morden, Erfrieren und Massenausrottung, deren man sich zugegebenermaßen gegen die Soldaten aus dem Osten bediente. Wir können es ferner als erwiesen oder zugegeben ansehen, daß ein so rechtswidriges Vorgehen wie die Erschießung von britischen und amerikanischen Fliegern, die Mißhandlung westlicher Kriegsgefangener, der Zwang gegen französische Kriegsgefangene in der deutschen Kriegsindustrie zu arbeiten und andere absichtliche Verletzungen der Haager und Genfer Abkommen stattgefunden haben, und zwar in Ausführung von Befehlen der höchsten Autoritäten (R-110).

Die vierte Gruppe der Verbrechen ist die Versklavung und Ausplünderung der Bevölkerung in den besetzten Gebieten.

Der Angeklagte Sauckel, Generalbevollmächtigter für den Arbeitseinsatz (1666-PS), ist die Stelle, von der die Feststellung herrührt, daß »von den fünf Millionen ausländischen Arbeitern, die nach Deutschland gekommen sind, keine 200000 freiwillig gekommen sind«. (R-124.) Dem Angeklagten Rosenberg ist offiziell berichtet worden, daß in den ihm unterstehenden Gebieten »bei der ›Werbung‹ Methoden angewandt wurden, die wohl nur in dem schwärzesten Zeitalter des Sklavenhandels ihr Vorbild hatten«. (294-PS.) Sauckel selbst berichtete, daß männliche und weibliche Agenten auf die Jagd nach Menschen gingen, sie betrunken machten und sie nach Deutschland »schanghaiten« (220-PS). Diese Gefangenen wurden in ungeheizten Zügen, ohne Nahrung, ohne sanitäre Einrichtungen transportiert. Die Toten wurden auf den Stationen herausgeworfen und die Neugeborenen wurden während der Fahrt aus den Zugfenstern geworfen (054-PS).

Sauckel ordnete an, »daß alle Menschen so ernährt, untergebracht und behandelt werden müssen, daß sie bei denkbar sparsamstem Einsatz die größtmöglichste Leistung hervorbringen«. (016-PS.) Ungefähr zwei Millionen von diesen Menschen wurden unmittelbar in Rüstungs- und Munitionsbetrieben beschäftigt. Der Direktor der Kruppschen Lokomotivenfabrik in Essen beklagte sich bei der Gesellschaft, daß russische Zwangsarbeiter so unterernährt wären, daß sie zu schwach seien, um ihre Arbeit zu verrichten (D-316) und der Arzt der Krupp-Werke bestätigte ihren bedauernswerten Zustand. Sowjetische Arbeiter wurden in Lager unter die Bewachung von der Gestapo gesteckt, die die Erlaubnis hatte, Ungehorsam mit Haft in einem Konzentrationslager oder mit Erhängen an Ort und Stelle zu bestrafen (3040-PS).

Die Bevölkerungen der besetzten Länder wurden ausgenutzt und unbarmherzig unterdrückt. Terror war an der Tagesordnung. Zivilpersonen wurden ohne Belastung verhaftet, ohne Rechtsbeistand abgeurteilt und, ohne gehört worden zu sein, hingerichtet. Dörfer wurden zerstört, die männlichen Einwohner erschossen oder in Konzentrationslager gebracht, die Frauen zu Zwangsarbeiten verschickt und die Kinder in der Fremde zerstreut (3012-PS). Das Ausmaß des Schlachtens in Polen allein wird von Frank aufgezeigt, der berichtet; ich zitiere:

»Wenn ich für je sieben erschossene Polen ein Plakat aushängen lassen wollte, dann würden die Wälder Polens nicht ausreichen, das Papier herzustellen für solche Plakate.« (2233-PS.)

Man kann von Leuten, die Menschen versklaven, nicht erwarten, daß sie vor ihrer Ausplünderung Abstand nehmen. Prahlerische Berichte zeigen, wie gründlich und wissenschaftlich die Hilfsquellen der besetzten Gebiete in die deutsche Kriegswirtschaft eingesaugt wurden, wodurch Mangel, Hunger und Inflation über die Einwohner kamen (EC-317). Neben diesem großen Plan, die deutschen Kriegsanstrengungen zu unterstützen, gab es noch die schmutzige Tätigkeit des Einsatzstabes Rosenberg, der Kunstschätze für Göring und seine Mitbanditen raubte (014-PS). Es ist schwer zu sagen, ob man das Schauspiel, das Deutschlands Führer Nummer 2 darbot, indem er sein Volk dazu drängte, jede Bequemlichkeit aufzugeben und jede Nervenfaser für die wesentliche Kriegsarbeit anzustrengen, während er selbst herumsauste, um ganze Zugladungen von Kunstgegenständen zu beschlagnahmen, als Tragödie oder Komödie betrachten soll. In jedem Fall war es ein Verbrechen.

Das Völkerrecht hat sich zu allen Zeiten vor und während dieses Krieges mit Klarheit und Nachdruck über den Schutz der Zivilbevölkerung eines besetzten Gebietes ausgesprochen, und Sklavenhandel sowie Ausplünderung besetzter Länder waren zu allen Zeiten flagrant rechtswidrig.

Und die fünfte Gruppe der Verbrechen ist die Verfolgung und Ausrottung von Juden und Christen.

Die Nazi-Bewegung wird in der Geschichte stets in üblem Andenken bleiben wegen ihrer Verfolgung der Juden, der weitestreichenden und schrecklichsten Rassen Verfolgung aller Zeiten. Obgleich die Nazi-Partei den Antisemitismus weder erfunden noch für sich monopolisiert hat, haben ihre Führer ihn doch von Anfang an voll vertreten, zu ihm aufgereizt und ihn ausgenutzt. Sie benutzten ihn als »psychologischen Funken, der den Pöbel entflammen sollte«. Nach der Machtergreifung wurde er zur offiziellen Staatspolitik. Die Verfolgung begann mit einer Reihe von Ausnahmegesetzen, die die Juden vom Staatsdienst, von Berufen und aus dem Wirtschaftsleben ausschlossen. Als die Verfolgung intensiver wurde, schloß sie die Absonderung der Juden in Ghettos und ihre Verbannung in sich ein. Aufruhr wurde von den Parteiführern angezettelt, um jüdische Geschäfte zu plündern und Synagogen in Brand zu setzen. Jüdisches Eigentum wurde beschlagnahmt und eine Gesamtbuße von einer Milliarde Mark dem deutschen Judentum auferlegt. Das Programm steigerte sich zur Raserei und Verantwortungslosigkeit bis zur »Endlösung«. Diese bestand darin, alle arbeitsfähigen Juden als Sklavenarbeiter in Konzentrationslager zu schicken, während alle Arbeitsunfähigen, eingeschlossen Kinder unter zwölf und Erwachsene über fünfzig Jahre, sowie alle anderen, die von einem SS-Arzt als untauglich erklärt waren, in Konzentrationslager zur Vernichtung gebracht wurden (2605-PS).

Adolf Eichmann, diese finstere Gestalt, die mit dem Ausrottungsprogramm beauftragt war, schätzte, daß die antijüdischen Aktionen die Tötung von sechs Millionen Juden zum Ergebnis hatten. Davon wurden vier Millionen in Ausrottungsanstalten getötet und zwei Millionen wurden von den Einsatzgruppen getötet, mobilen Einheiten der Sicherheitspolizei und des SD, die die Juden in den Ghettos und in ihren Häusern verfolgten und sie in Gaswagen, durch Massenerschießung in den Panzergräben, und durch alle möglichen Vorrichtungen, die von den Nazi-Gehirnen erdacht werden konnten, hinschlachteten. So gründlich und unerbittlich war dieses Programm, daß die Juden Europas als Rasse nicht mehr vorhanden sind und daß somit die teuflische »Prophezeiung« Adolf Hitlers aus der Zeit des Kriegsbeginns in Erfüllung gegangen ist (2738-PS).

Natürlich mußte jedes Programm dieser Art mit der Opposition der christlichen Kirche rechnen. Dies wurde auch von Anfang an erkannt. Der Angeklagte Bormann schrieb 1941 an alle Gauleiter, daß der »Nationalsozialismus und christliche Auffassungen unvereinbar sind« und daß man das Volk den Kirchen fernhalten und deren Einfluß entziehen müßte (D-75). Der Angeklagte Rosenberg schrieb sogar langatmige Traktate, in welchen er eine neue, merkwürdige Nazi- Religion befürwortete (2349-PS).

Die Gestapo ernannte »Kirchensachbearbeiter«, denen man als Fernziel »die Zerschlagung der konfessionellen Kirchen« zugewiesen hatte (1815-PS). Das Aktenmaterial ist voll von Einzelbeispielen für die Verfolgung von Geistlichen (1164-PS, 1521-PS, 848-PS, 849-PS), von Beschlagnahme des Kircheneigentums (1481-PS), von Eingriffen in religiöse Veröffentlichungen (1498-PS), von der Losreißung der religiösen Erziehung (121-PS) und von Unterdrückung religiöser Organisationen (1481-PS, 1482-PS, R-145).

Das Hauptmittel für die Verfolgung und die Ausrottung war das Konzentrationslager, vom Angeklagten Göring ins Leben gerufen, und unter der Allmacht der Angeklagten Frick und Kaltenbrunner großgezogen.

Die Schrecken dieser Stätten des Frevels sind lebhaft durch Urkunden (2309-PS, 3870-PS) und Zeugenaussagen beschrieben worden. Der Gerichtshof dürfte von den scheußlichen Schilderungen in Wort und Bild mehr als genug haben. Aus dem Ihnen vorliegenden Material ist klar zu ersehen, daß die Konzentrationslager die erste und schlimmste Nazi-Waffe zur Unterdrückung waren, die der nationalsozialistische Staat anwandte, und daß sie die Hauptmittel waren, die man zur Verfolgung der christlichen Kirche und zur Ausrottung der jüdischen Rasse benutzt hat. Das wurde Ihnen selbst von einigen Angeklagten aus dem Zeugenstand zugegeben durch die Worte des Angeklagten Frank:

»Tausend Jahre werden vergehen, um diese Schuld von Deutschland noch nicht wegzunehmen.«

Dies waren also die fünf großen Hauptverbrechen des Nazi-Regimes. Ihre Begehung ist unleugbar erwiesen. Der Angeklagte Keitel, der ja den Sachverhalt kennen muß, hat dem Gerichtshof eine richtige Zusammenfassung des Falles hinsichtlich dieser Tatsachen gegeben; sein Anwalt sagte am 8. Juli:

»Der Angeklagte hat erklärt, daß er den objektiven, also tatsächlichen Sachverhalt der allgemeinen Anklage, also nicht jeden Einzelfall, unter Berücksichtigung des die sen Prozeß beherrschenden Verfahrungsrechtes als bewiesen hinnimmt. Es wäre also sinnlos, trotz der Möglichkeit, mehrere Urkunden oder auch einzelne Tatsachen zu widerlegen, den Versuch zu unternehmen, die Anklage in ihrer Gesamtheit erschüttern zu wollen.«

Ich gehe nun zu der Frage über, ob diese Gruppen von verbrecherischen Handlungen in dem allgemeinen Plan oder der Verschwörung eingeschlossen waren.

Die Anklagebehörde unterstellt, daß diese fünf Kategorien vorbedachte Verbrechen, keine einzelnen und unabhängigen Erscheinungen waren, sondern alle in der Verfolgung eines allgemeinen Planes oder einer Verschwörung begangen wurden. Die Verteidigung gibt zu, daß diese Klassen von Verbrechen begangen wurden, leugnet aber, daß sie als Teile eines einzigen Programms miteinander verbunden sind.

Das zentrale Verbrechen in diesem Muster von Verbrechen, der Knotenpunkt, der sie alle zusammenhält, ist der Plan des Angriffskrieges. Der Hauptgrund für die internationale Gerichtsbarkeit über diese Verbrechen liegt in dieser Tatsache. Haben wir nun den Plan oder die Verschwörung, Angriffskriege zu führen, festgestellt?

Bestimmte zugegebene oder klar bewiesene Tatsachen helfen uns die Frage beantworten. Zunächst steht fest, daß solch ein Angriffskrieg tatsächlich stattgefunden hat. Zweitens ist zugegeben, daß von dem Moment der Machtübernahme durch die Nazis an jeder von ihnen und jeder Angeklagte wie Biber daran arbeiteten, um irgendeinen Krieg vorzubereiten. Die Frage läuft also auf folgendes hinaus: Trafen sie Vorbereitungen für den Krieg, der tatsächlich stattfand, oder trafen sie Vorbereitungen für irgendeinen Krieg, der niemals ausbrach? Es ist wahrscheinlich wahr, daß zu Anfang keiner von ihnen wußte, in welchem Monat welchen Jahres der Krieg beginnen würde. Ebenso kannte noch keiner den genauen Streitfall, der diesen Krieg beschleunigen würde, noch wußte jemand von ihnen, ob der erste Stoß gegen Österreich, die Tschechoslowakei oder Polen erfolgen würde. Ich unterstelle jedoch, daß die Angeklagten entweder wußten oder wissen mußten, daß der Krieg, für den sie sich vorbereiteten, ein deutscher Angriffskrieg sein würde. Dies zum Teil, weil es keinen wirklichen Grund gab für die Annahme, daß irgendeine Macht oder irgendeine Verbindung von Mächten Deutschland angreifen würde, hauptsächlich jedoch, weil die innere Natur der deutschen Pläne eine solche war, daß sie mit Sicherheit darauf rechnen konnten, früher oder später Widerstand zu begegnen und daß die Pläne dann nur mit Hilfe einer Aggression zur Ausführung kommen konnten.

Adolf Hitlers Angriffspläne waren genau so geheim wie »Mein Kampf«, von dem mehr als sechs Millionen Exemplare in Deutschland veröffentlicht wurden. Er befürwortete nicht nur öffentlich die Beseitigung von Versailles, sondern stellte auch Forderungen, die weit über eine bloße Berichtigung des behaupteten Unrechts hinausgingen (128-GB). Er gestand die Absicht ein, Nachbarstaaten anzugreifen und sich ihrer Länder zu bemächtigen, die, wie er sagte, mit der Kraft des siegreichen Schwertes zu gewinnen seien. Hier, für jeden Deutschen hörbar, »prophezeiten die Stimmen der Ahnen den Krieg«.

In diesem Gerichtssaal hat Göring über sein erstes Zusammentreffen mit Hitler, lange vor der Machtergreifung ausgesagt, ich zitiere:

»Ich habe ausgeführt, daß mir aufgefallen ist, daß Hitler eine klare Auffassung hatte über den Zweck nutzloser Proteste, daß er zum zweiten die Auffassung vertrat, daß Deutschland von dem Diktat von Versailles freikommen mußte..., aber es wurde dabei nicht davon gesprochen, wir wollen einen Krieg machen und siegreich unsere Gegner schlagen, sondern es wurde das als Ziel gestellt, die Methoden den politischen Ereignissen anzupassen,...«

Als Göring gefragt wurde, ob dieses Ziel gegebenenfalls mit Krieg zu erreichen wäre, leugnete er diese Möglichkeit nicht, vermied jedoch eine direkte Antwort, indem er sagte: »Darüber wurde damals gar nicht debattiert.« Er fuhr fort, daß das Ziel, den Vertrag von Versailles abzuschaffen, ein offenes und allgemein bekanntes gewesen sei, und daß, ich zitiere:

»... jeder Deutsche nach meiner Auffassung für die Modifizierung sein mußte, und es ist kein Zweifel, daß dieses wohl ein sehr starkes Anziehungsmittel der Bewegung gewesen ist.«

Somit kann auch nicht die geringste Entschuldigung bestehen für alle diejenigen, die Hitler behilflich waren, die absolute Macht über das deutsche Volk zu erringen, oder die sich an seinem Regime beteiligten, wenn sie behaupten, die Natur der Forderungen, die er an Deutschlands Nachbarn richten würde, nicht gekannt zu haben.

Unmittelbar nach der Machtergreifung begannen die Nazis die Verwirklichung ihrer Angriffsabsichten, indem sie den Krieg vorbereiteten. Zuerst verpflichteten sie deutsche Industrielle zu einem geheimen Aufrüstungsprogramm. 20 Tage nach der Machtergreifung war Schacht Gastgeber Hitlers, Görings und etwa 20 führender Industrieller. Unter ihnen waren Krupp von Bohlen von den großen Kruppschen Rüstungswerken, Vertreter der I. G. Farben und anderer Schwerindustrien des Ruhrgebietes. Hitler und Göring erklärten den Industriellen ihr Programm, und diese waren so begeistert, daß sie sich vornahmen, drei Millionen Reichsmark aufzubringen, um die NSDAP zu stärken und in der Macht zu festigen (EC- 422). Zwei Monate später war Krupp damit beschäftigt, die neu organisierte Vereinigung der deutschen Industrie mit den politischen Zielen der Nazi-Regierung in Einklang zu bringen (D-157). Später prahlte Krupp über seinen Erfolg, die deutsche Rüstungsindustrie trotz der Abrüstungsbestimmungen des Vertrags von Versailles durch verschwiegene Tätigkeit am Leben und bereit gehalten zu haben und erinnerte an die begeisterte Aufnahme der »großen Intentionen des Führers« in der Wiederaufrüstungsperiode von 1933 bis 1939 durch die Industriellen (D-317).

Etwa zwei Monate, nachdem Schacht diese erste Sitzung zur Erlangung der Unterstützung der Industriellen abgehalten hatte, gingen die Nazis daran, die Industriearbeiterschaft in ihre Angriffspläne einzuspannen. Im April 1933 befahl Hitler Dr. Ley, »die Gewerkschaften zu übernehmen«, die etwa sechs Millionen Mitglieder zählten. Auf Anordnung der Partei beschlagnahmte Ley die Gewerkschaften, ihr Eigentum und ihre finanziellen Mittel. Gewerkschaftsführer, die von der SS und der SA in »Schutzhaft« genommen worden waren, wurden in Konzentrationslager gesteckt (2283-PS, 2271-PS, 2335-PS, 2334-PS, 2928-PS, 2277-PS, 2332-PS, 2333-PS). Die freien Gewerkschaften wurden dann durch eine Organisation, bekannt als Deutsche Arbeitsfront, ersetzt mit Dr. Ley an der Spitze. Sie dehnte sich aus, bis sie mehr als 23 Millionen Mitglieder kontrollierte (2275-PS). Kollektivverhandlungen wurden abgeschafft, die Stimme der Arbeiter konnte zu den Arbeitsbedingungen nicht mehr gehört werden, und der Arbeitsvertrag wurde durch von Hitler ernannte »Treuhänder der Arbeit« vorgeschrieben (405-PS). Der Kriegszweck dieses Arbeitsprogramms wurde durch Robert Ley fünf Tage nach Kriegsausbruch klar zugegeben, als er in einer Rede erklärte, die Nationalsozialisten hätten alle Rohstoffquellen und alle Energien während der letzten sieben Jahre monopolisiert, um für die höchste Anstrengung in der Schlacht gerüstet zu sein (1939-PS).

Die Nazis gingen auch sofort daran, die Regierung den Anforderungen eines Krieges anzupassen. Im April 1933 bildete das Kabinett einen Verteidigungsrat, dessen Arbeitsausschuß später häufig zusammentrat. In der Versammlung vom 22. Mai 1933, bei der der Angeklagte Keitel den Vorsitz führte, wurde den Teilnehmern folgendes mitgeteilt:

»Kein Schriftstück darf in Verlust geraten, da sonst der feindliche Nachrichtendienst Material in die Hände bekommen kann. Mündlich übermittelte Dinge sind nicht nachweisbar, sie können in Genf von uns abgestritten werden.« (EC-177.)

Im Januar 1934 – und, meine Herren Richter, Daten sind in diesem Zusammenhang wichtig – plante der Rat in Anwesenheit des Angeklagten Jodl einen Mobilmachungskalender und einen Mobilmachungsbefehl für ungefähr 240000 Industriebetriebe. Wiederum stimmte man darin überein, daß nichts schriftlich niedergelegt werden sollte, damit der militärische Zweck nicht herausgefunden werden könne (EC-404).

Am 21. Mai 1935 wurde das geheime Reichsverteidigungsgesetz erlassen. Der Angeklagte Schacht wurde zum Generalbevollmächtigten für die Kriegswirtschaft ernannt und hatte die Aufgabe, alle wirtschaftlichen Kräfte im geheimen für den Krieg vorzubereiten und den Krieg im Mobilisierungsfall zu finanzieren (2261-PS).

Schachts geheime Bemühungen wurden im Oktober 1936 unterstützt durch die Ernennung des Angeklagten Göring zum Beauftragten für den Vierjahresplan mit der Aufgabe, die gesamte Wirtschaft in vier Jahren in den Stand der Kriegsbereitschaft zu setzen (EC-408).

Ein geheimes Programm für die Ansammlung von Rohstoffen und Auslandskrediten, die für eine ausgedehnte Aufrüstung notwendig waren, wurde ebenfalls gleich nach der Machtübernahme aufgestellt. Im September 1934 beklagte sich der Reichswirtschaftsminister bereits darüber, daß die Aufgabe, Rohstoffe einzulagern, durch Mangel an Devisen unmöglich gemacht werde und daß der Zwang zur Tarnung eine wesentliche Erschwerung bedeute (EC-128).

Die Kontrolle für Devisen wurde sofort eingeführt. Die Finanzierung wurde dem Zauberer Schacht übertragen, der die MEFO-Wechsel heraufbeschwor, welche dem doppelten Ziel dienen sollten, den kurzfristigen Geldmarkt für Aufrüstungszwecke abzuzapfen und den Betrag dieser Ausgaben zu verbergen (EC- 436).

Der Geist der gesamten Nazi-Verwaltung wurde in einer Sitzung des Ministerrats vom 27. Mai 1936, bei der Schacht anwesend war, von Göring zusammengefaßt, als er sagte:

»Alle Maßnahmen sind vom Standpunkt der gesicherten Kriegführung aus zu betrachten.« (1301-PS.)

Der Generalstab mußte natürlich auch für die Kriegspläne verpflichtet werden. Die meisten Generale, die durch die Aussicht, ihre Armeen wieder aufbauen zu können, angezogen waren, wurden willige Komplicen. Der beibehaltene Kriegsminister von Blomberg und der Generalstabschef, General von Fritsch, begrüßten aber die wachsend kriegerische Politik des Hitler-Regimes nicht und wurden durch bösartige und schmutzige Intrigen diskreditiert und im Januar 1938 entfernt. Daraufhin übernahm Hitler das Oberkommando über die Wehrmacht, und die Posten von Blombergs und von Fritschs wurden mit anderen besetzt, die, wie Blomberg von Keitel sagte, »ein fügsames Werkzeug in der Hand Hitlers für jeden seiner Entschlüsse« (3704-PS) wurden. Die Generale beschränkten ihre Teilnahme nicht nur auf rein militärische Angelegenheiten. Sie nahmen an allen größeren diplomatischen und politischen Manövern teil, so zum Beispiel an der Konferenz am Obersalzberg, bei der Hitler flankiert von Keitel und anderen höchsten Generalen sein eindeutiges Ultimatum an Schuschnigg stellte (1780-PS).

Schon am 5. November 1937 hatte der Angriffsplan begonnen, hinsichtlich Zeitpunkt und Opfer bestimmte Formen anzunehmen. In einer Sitzung, die die Angeklagten Raeder, Göring und von Neurath einschloß, sprach Hitler das zynische Ziel aus:

»Für Deutschland laute die Frage, wo größter Gewinn unter geringstem Einsatz zu erreichen sei.« (386-PS.)

Er erörterte verschiedene Pläne für den Angriff gegen Österreich und die Tschechoslowakei und zeigte deutlich an, daß er diese Gebiete nicht als Selbstzwecke betrachtete, sondern als Mittel zu weiteren Eroberungen. Er hob hervor, daß der Besitz dieser Gebiete eine beträchtliche militärische und politische Hilfe bedeuten würde und untersuchte die Möglichkeit, aus ihnen neue Armeen bis zu einer Stärke von etwa zwölf Divisionen aufzustellen. Als Ziel legte er kühn und offen die Eroberung zusätzlichen Lebensraumes in Europa dar und sagte, daß »es zur Lösung der deutschen Frage nur den Weg der Gewalt geben könne«.

Sechs Monate später, durch die unblutige Eroberung Österreichs ermutigt, erwähnte Hitler in einer geheimen Weisung an Keitel seinen »unabänderlichen Entschluß, die Tschechoslowakei in absehbarer Zeit durch eine militärische Aktion zu zerschlagen« (388-PS). Am selben Tage trug Jodl in sein Tagebuch ein, der Führer habe seinen endgültigen Entschluß, die Tschechoslowakei bald zu zerstören, dargelegt und die militärischen Vorbereitungen in dieser Richtung begonnen. Im April war der Plan fertiggestellt, die Tschechoslowakei »mit blitzartigem Handeln auf Grund eines Zwischenfalls« anzugreifen.

Überall zeichneten sich Vorbereitungen für einen Expansionskrieg ab, und zwar mit der Annahme, daß er in einen weltweiten Konflikt münden würde. Im September 1938 bemerkte Admiral Carls offiziell zu einer »Entwurfsstudie Seekriegführung gegen England«:

»Dem Gedanken der Studie wird voll zugestimmt:

1. Wenn Deutschland nach dem Willen des Führers eine in sich gesicherte Weltmachtstellung erwerben soll, bedarf es neben genügendem Kolonialbesitz gesicherter Seeverbindungen und gesichertem Zugang zum freien Ozean.

2. Beide Forderungen sind nur gegen englisch-französische Interessen erfüllbar und schränken deren Weltmachtstellung ein. Sie mit friedlichen Mitteln durchsetzen zu können, ist unwahrscheinlich. Der Wille zur Ausgestaltung Deutschlands als Weltmacht führt daher zwangsmäßig zur Notwendigkeit entspr. Kriegsvorbereitung.

3. Der Krieg gegen England bedeutet gleichzeitig Krieg gegen das Empire, gegen Frankreich, wahrscheinlich auch gegen Rußland und eine große Reihe überseeischer Staaten, also gegen 1/2 bis 2/3 der Gesamtwelt.

Er hat innere Berechtigung und Aussicht auf Erfolg nur, wenn er sowohl wirtschaftlich wie politisch und militärisch vorbereitet und der Zielsetzung entsprechend geführt wird: Deutschland den Weg zum Ozean zu erobern.« (C-23.)

Dieser Gerichtshof weiß, welche kategorischen Versicherungen der alarmierten Welt nach dem »Anschluß«, nach »München« und nach der Besetzung von Böhmen und Mähren gegeben wurden, nämlich, daß die deutschen Bestrebungen verwirklicht seien und daß Hitler keine weiteren Territorialansprüche in Europa zu stellen habe. Das Material dieses Prozesses beweist, daß diese Versprechungen wohlüberlegte Irreführungen waren und daß diejenigen, die in der blutigen Brüderschaft des Nazismus an hohen Stellen saßen, das wußten.

Schon am 15. April 1938 betonte Göring Mussolini und Ciano gegenüber, daß der Besitz dieser Gebiete einen Angriff auf Polen möglich machen würde (1874-PS). Ribbentrops Ministerium schrieb am 26. August 1938 das folgende:

»Daß nach Liquidation der tschechischen Frage Polen an der Reihe ist, wird allgemein vermutet.« (TC-76.)

Nach der polnischen Invasion rühmte sich Hitler, daß es die österreichischen und tschechoslowakischen Triumphe waren, durch die »die Grundlage für die Eroberung Polens gelegt wurde« (789-PS). Göring paßte die Tat dem Ziel an und gab sofort die Anordnungen, zur weiteren Stärkung Deutschlands das Kriegspotential zuerst des Sudetenlandes und dann des ganzen Protektorats auszubeuten (R-133).

Im Mai 1939 waren die Nazi-Vorbereitungen zu dem Punkt gereift, daß Hitler den Angeklagten Göring, Raeder, Keitel und anderen anvertraute, er sei bereit, »Polen bei der ersten sich bietenden Gelegenheit anzugreifen«, obwohl er anerkannte, daß »weitere Erfolge nicht ohne Blutvergießen erzielt werden können« (L-79). Die diebischen Motive hinter dieser Entscheidung machte er mit den folgenden Worten klar, die den begehrlichen Inhalt von »Mein Kampf« wiederholten:

»Es heißt vielmehr, die Umstände den Forderungen anzupassen. Ohne Einbruch in fremde Staaten oder Angreifen fremden Eigentums ist dies nicht möglich.

Der Lebensraum der staatl. Größe angemessen ist die Grundlage für jede Macht.... Es handelt sich für uns um die Arrondierung des Lebensraumes im Osten...«

Während eine leichtgläubige Welt schlummerte und mit perfiden Versprechungen über friedfertige Absichten behaglich zugedeckt war, bereiteten sich die Nazis nicht nur wie vorher für einen Krieg vor, sondern nunmehr für den Krieg. Die Angeklagten Göring, Keitel, Raeder, Frick und Funk traten mit anderen im Juni 1939 als Reichsverteidigungsrat zusammen. Das Protokoll, das von Göring als echt anerkannt wurde, enthüllt den Beweis für die Art und Weise, wie jeder Schritt der Nazi-Planungen mit jedem anderen fest verbunden war. Drei Monate bevor die erste Panzereinheit in Polen eingedrungen war, machten diese fünf Hauptangeklagten Pläne für den »Einsatz der Bevölkerung im Kriege« und waren sogar so weit gegangen, die Industrie »nach Einziehung von fünf Millionen Soldaten« hinsichtlich der Priorität der Versorgung mit Arbeitskräften zu staffeln. Sie beschlossen Maßnahmen »zur Vermeidung von Unordnung bei der Mobilmachung« und erklärten als Zweck die »Gewinnung und Erhaltung eines Vorsprungs in den entscheidenden ersten Wochen eines Krieges«. Dann planten sie, Kriegsgefangene. Strafgefangene und Konzentrationslagerinsassen in der Produktion zu verwenden. Dann beschlossen sie die ›weibliche Arbeitspflicht im Kriege‹. Sie hatten bereits die Gesuche von 1172000 Facharbeitern, unabkömmlich gestellt zu werden, erledigt, und hatten 727000 davon bewilligt. Sie rühmten sich, daß die Aufforderungen für die Arbeiter, sich zur Dienstleistung zu melden, bei den Arbeitsämtern gebündelt bereit liegen. Und sie beschlossen, die Versorgung mit Arbeitskräften für die Industrie zu vergrößern, indem sie »Hunderttausende« aus dem Protektorat nach Deutschland bringen und sie dort »in Baracken zusammenfassen« ließen (3787-PS).

Es ist das Protokoll dieses bezeichnenden Konklave, an dem viele Hauptangeklagte teilnahmen, welches zeigt, wie der Plan, den Krieg zu beginnen, mit dem Plan, den Krieg mit Hilfe von ungesetzlichen Arbeitsquellen zur Erhaltung der Produktion zu führen, verbunden war. Mit der Ankündigung seines Planes, Polen anzugreifen, hatte Hitler bereits das Sklavenarbeiterprogramm als eine seiner Folgen vorangekündigt, als er den Angeklagten Göring, Raeder, Keitel und anderen im geheimen sagte, daß die polnische Bevölkerung »zur Arbeitsleistung zur Verfügung stehen wird« (L-79). Dies war der Teil des Planes, den Frank verwirklichte, der als Generalgouverneur Göring mitteilte, daß er dem Reich »mindestens eine Million Land- und Industriearbeiter und -arbeiterinnen bereitstellen« (1375-PS) würde, und auch der Teil, den Sauckel durchführte, Sauckel, dessen gewaltsame Anwerbungen in den besetzten Gebieten Zahlen erreichten, die der gesamten Bevölkerung einiger der kleineren Nationen Europas gleichkamen.

Hier kommt auch das Bindeglied zwischen Kriegsarbeit und Konzentrationslagern zum Vorschein, eine Quelle von Arbeitskräften, die wachsend und mit immer größerer Grausamkeit benutzt wurde. Ein Übereinkommen zwischen Himmler und dem Justizminister Thierack im Jahre 1942 sah die »Auslieferung asozialer Elemente aus dem Strafvollzug an den Reichsführer-SS zur Vernichtung durch Arbeit« (654-PS) vor. Ein SS-Befehl bestimmte, daß bettlägerige Gefangene zu einer Arbeit, die im Bett verrichtet werden könne, zu verwenden seien (1395-PS). Die Gestapo befahl die Verhaftung von 45000 Juden »im Zuge der... verstärkten Zuführung von Arbeitskräften in die Konzentrationslager« (1472-PS). 100000 Juden wurden von Ungarn geholt, um die Arbeitskräfte der Lager zu verstärken (R-124). Auf Veranlassung des Angeklagten Dönitz wurden Arbeitskräfte aus den Konzentrationslagern bei dem Bau von Unterseebooten verwendet (C-195). Auf diese Weise wurden die Konzentrationslager auf der einen Seite in die Kriegsproduktion und auf der anderen in die Vollziehung der Justiz und in die politischen Ziele der Nazis eingeschaltet.

Auch die Verwendung von Kriegsgefangenen als Arbeitskräfte, wie sie in dieser Sitzung geplant wurde, wuchs mit den deutschen Bedürfnissen. Zu einer Zeit, als jeder deutsche Soldat an der Front gebraucht wurde und keine Kräfte in der Heimat zur Verfügung standen, wurden russische Kriegsgefangene gezwungen, Luftabwehrgeschütze gegen alliierte Flugzeuge zu bemannen. Feldmarschall Milch spiegelte die Heiterkeit der Nazis über diese offene Verletzung des Völkerrechts wider, wenn er sagte:

»Das ist eine witzige Sache, daß Russen die Kanonen bedienen müssen.« (R-124.)

Die Befehle für die Behandlung der Sowjet-Kriegsgefangenen waren so grausam, daß Admiral Canaris darauf hinwies, daß sie »zu willkürlichen Mißhandlungen und Tötungen führen« würden, und beim OKW gegen sie als Verletzung des Völkerrechts protestierte. Keitels Antwort war eindeutig; er sagte:

»Die Bedenken entsprechen den soldatischen Auffassungen von ritterlichem Krieg! Hier handelt es sich um die Vernichtung einer Weltanschauung, deshalb billige ich die Maßnahmen und decke sie.« (EC-338.)

Das Genfer Abkommen wäre offen über Bord geworfen worden, wenn Jodl nicht dagegen protestiert hätte, weil er die Vorteile der Beachtung dieses Abkommens durch die Alliierten genießen wollte, während sich die Deutschen dadurch in keiner Weise Hindernisse auferlegen ließen.

Andere Verbrechen in der Kriegführung wurden mit derselben Sorgfalt geplant als Mittel zur Sicherung des Sieges der deutschen Waffen. Bereits im Oktober 1938, fast ein Jahr vor Anfang des Krieges, wurde die umfangreiche Verletzung der bestehenden Regeln der Kriegführung als Politik vorgesehen, und das Oberkommando ließ eine höchst geheime Liste von falschen Erklärungen umlaufen, die vom Propagandaminister in solchen Fällen abgegeben werden sollten (C-002). Sogar vor dieser Zeit wurden Wehrmachtsbefehlshaber instruiert, den Krieg mit allen Mitteln zu führen, die den Sieg ermöglichen (L-211). Nachdem der Krieg einmal im Lauf war, nahmen die Befehle an Barbarei zu. Ein typischer Befehl Keitels, die »allerbrutalsten Mittel« zu gebrauchen, sah vor:

»Die Truppe ist daher berechtigt und verpflichtet, in diesem Kampf ohne Einschränkung auch gegen Frauen und Kinder jedes Mittel anzuwenden, wenn es nur zum Erfolg führt.« (USSR-16.)

Die deutschen Marinestreitkräfte waren nicht immuner gegen diese Infektion als die Landstreitkräfte. Raeder befahl Verletzungen der anerkannten Regeln der Kriegführung in allen Fällen, in denen es notwendig war, um strategische Erfolge zu erzielen (C-157). Dönitz wies seine U-Bootmannschaften an, Überlebende von den torpedierten feindlichen Schiffen nicht zu retten, um die Handelsschiffahrt der Alliierten durch die Dezimierung ihrer Mannschaften zu lähmen (D-642).

Somit erscheinen die gegen die alliierten Streitkräfte und gegen die Menschlichkeit in den besetzten Gebieten begangenen Kriegsverbrechen unbestreitbar als ein Teil des Kriegführungsprogramms, weil diese nach deutschen Berechnungen für die Hoffnung auf Erfolg unabdingbar waren.

Ähnlicherweise fällt die ganze Reihe der Verbrechen vor dem Krieg einschließlich der Verfolgungen innerhalb Deutschlands in den Rahmen um den Plan zum Angriffskrieg, wie Steine in einem zierlich gearbeiteten Mosaik. Nirgends ist der ganze Katalog von Verbrechen der Nazi-Unterdrückung und des Terrorismus innerhalb Deutschlands so fest verbunden mit dem Verbrechen des Krieges als in der seltsamen Mischung von Wind und Weisheit, die die Aussage von Hermann Göring ausmacht. Bei der Beschreibung der Ziele des Nazi-Programms vor der Machtergreifung sagte Göring:

»... daß die erste Voraussetzung... war, daß Deutschland eine andere politische Struktur bekam, die es allein befähigen würde, gegen dieses Diktat«, nämlich Versailles, »Einwendungen zu erheben, und zwar nicht nur Einwendungen, sondern solche, die auch berücksichtigt werden würden.«

Mit diesen Zielen, gestand Göring, wurde der Plan gefaßt, die Weimarer Republik zu stürzen, die Macht zu ergreifen und das Nazi-Programm mit allen zweckdienlichen Mitteln, gleichgültig ob legal oder nicht legal, durchzuführen.

Aus Görings Kreuzverhör hörten wir, wie das ganze Programm von Verbrechen notwendigerweise folgte. Weil sie einen starken Staat für notwendig hielten, um den Vertrag von Versailles los zu werden, haben sie sich das Führerprinzip zu eigen gemacht. Nach der Ergreifung der Macht hielten es die Nazis für notwendig, sie durch Aufhebung der parlamentarischen Regierung und die Unterdrückung jeder organisierten Opposition seitens der politischen Parteien zu schützen (L-83). Dies spiegelte sich in der Philosophie Görings, daß die Oper wichtiger sei als der Reichstag. Sogar die Opposition jeder Einzelperson wurde nicht geduldet, es sei denn, daß sie eine unwichtige Angelegenheit betraf. Zur Unterdrückung der Opposition war eine geheime politische Polizei notwendig. Um unverbesserliche Gegner auszuschalten, war es notwendig, Konzentrationslager zu errichten und sich der Einrichtung der Schutzhaft zu bedienen. Schutzhaft bedeutete nach Görings Aussage, daß »Leute verhaftet worden sind in Schutzhaft, die noch kein Verbrechen begangen hatten, von denen man es aber erwarten konnte, wenn sie in Freiheit blieben...«

Derselbe Kriegszweck war auch in der Judenverfolgung beherrschend. Zu Anfang spielten Fanatismus und politischer Opportunismus eine Hauptrolle, denn der Antisemitismus und sein mit ihm verbündeter Sündenbock, die Mythologie, waren die Hilfsmittel, durch die die Nazis an die Macht gelangten. Dies war der Grund dafür, daß der schmierige Streicher und der blasphemische Rosenberg bei Parteiversammlungen begrüßt und zu Führern und Funktionären von Staat und Partei gemacht wurden.

Aber die Nazis betrachteten die Juden bald als ein Haupthindernis gegen den Polizeistaat, mit dem sie ihre Pläne der militärischen Aggression zu betreiben beabsichtigten. Furcht vor ihrem Pazifismus und ihre Ablehnung eines Radaunationalismus wurden als Gründe angegeben, weshalb man die Juden aus dem politischen und wirtschaftlichen Leben Deutschlands vertreiben müsse. Demgemäß brachte man sie wie Vieh in Konzentrationslager, wo sie als Zwangsarbeiter für Kriegszwecke verwendet wurden.

Bei einer Sitzung am 12. November 1938, zwei Tage nach den heftigen antijüdischen Pogromen, die von Goebbels angestiftet und von dem Führerkorps der Partei und der SA durchgeführt worden waren, wurde das Programm für die Ausschaltung der Juden aus der deutschen Wirtschaft durch Göring, Funk, Heydrich, Goebbels und andere höchste Nazis ausgearbeitet. Die angenommenen Maßnahmen umfaßten das Einsperren der Juden in Ghettos, die Herabsetzung ihrer Nahrungsmittelrationen, die »Arisierung« ihrer Geschäfte und die Beschränkung ihrer Bewegungsfreiheit (1816-PS). Hier hat sich noch ein anderer Zweck hinter die Judenverfolgungen eingeschlichen, denn die Masseneinziehung ihres Vermögens half der Finanzierung der deutschen Aufrüstung. Obwohl Schachts Plan, Devisen als Lösegeld für die ganze Rasse in Deutschland zu nehmen, nicht angenommen wurde, wurden die Juden in einem solchen Maß beraubt, daß Göring dem Reichsverteidigungsrat mitteilen konnte, daß die durch die Aufrüstung eingetretene kritische Lage der Reichsfinanzen durch die Buße von einer Milliarde Reichsmark, die den Juden auferlegt worden war, und durch Reichsgewinne bei der Arisierung jüdischer Unternehmungen erleichtert worden sei (3575-PS).

Ein Blick auf die Anklagebank zeigt, daß trotz innerer Streitigkeiten jeder der Angeklagten eine Rolle spielte, die mit allen anderen zusammenpaßte, und daß alle den gemeinsamen Plan vorwärtsgetrieben haben. Es widerspricht jeder Erfahrung, daß Leute von so verschiedenartiger Herkunft und Natur nur durch Zufall ihre gegenseitigen Ziele hätten fördern sollen.

Die große und vielfältige Rolle Görings war halb die eines Militaristen und halb die eines Gangsters. Er hatte seine fetten Finger in jedem Kuchen. Er benutzte seine SA-Muskelmänner, um die Bande an die Macht zu bringen. Um diese Macht zu festigen, heckte er den Plan aus, den Reichstag niederzubrennen, richtete die Gestapo ein und gründete die Konzentrationslager. Er war genau so behende, wenn es galt, Gegner abzuschlachten oder Skandale zu fabrizieren, um widerspenstige Generale los zu werden. Er baute die Luftwaffe auf und schleuderte sie gegen seine verteidigungslosen Nachbarn. Er war unter den ersten, die die Juden aus dem Lande hetzten. Durch die totale Mobilisierung der Wirtschaftsquellen Deutschlands ermöglichte er die Führung des Krieges, an dessen Planung er in größtem Maße teilgenommen hat. Er war der Mann, der nächst Hitler die Tätigkeit aller Angeklagten zu einer gemeinsamen Bestrebung zusammenfaßte.

Die Rollen der anderen Angeklagten, obwohl nicht ganz so umfassend und aufsehenerregend wie die des Reichsmarschalls, waren nichtsdestoweniger integrierende und notwendige Beiträge zu dem gemeinsamen Unternehmen, das bei Fehlen auch nur eines solchen Beitrags hinsichtlich seines Erfolges gefährdet gewesen wäre. Die Schuld dieser Menschen an vielen Einzeltaten ist erwiesen. Es wäre zwecklos – auch reicht die Zeit dazu nicht aus – alle Verbrechen, mit denen die Beweisführung sie belastet hat, noch einmal durchzugehen. Bei der Betrachtung der Verschwörung als ein Ganzes und als ein arbeitender Mechanismus mag es trotzdem gut sein, sich kurz an die hervorragenden Dienste zu erinnern, die ein jeder dieser Männer auf der Anklagebank der gemeinsamen Sache geleistet hat.

VORSITZENDER: Würde eine Pause jetzt passend sein?

JUSTICE JACKSON: Sicherlich, Herr Präsident.