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JUSTICE JACKSON: Der Zelot Heß, ehe ihn die Wanderlust packte, war der Maschinist, der den Parteiapparat bediente, indem er Befehle und Propaganda in das Führerkorps hinunterleitete, die Parteitätigkeit nach allen Seiten überwachte und die Organisation als ein ergebenes und immer bereites Werkzeug der Macht aufrechterhielt. Immer wenn Besorgnis im Ausland den Erfolg der Eroberungspläne des Nazi- Regimes bedrohte, war es der doppelzüngige Ribbentrop, dieser Reisende in Betrug, der dazu ausersehen war, durch sein Predigen der Bibelworte von den begrenzten und friedlichen Absichten Öl auf die Wellen des Mißtrauens zu gießen. Keitel, das schwache und willige Werkzeug, lieferte die Wehrmacht, das Instrument zur Aggression, der Partei aus und leitete sie bei der Ausführung ihrer verbrecherischen Absichten.

Kaltenbrunner, der Großinquisitor, nahm das blutige Gewand Heydrichs auf, um die Opposition zu ersticken und Gefügigkeit mit Terror zu erzwingen; er baute die Macht des Nationalsozialismus auf einem Fundament von schuldlosen Leichnamen. Es war Rosenberg, der geistige Priester der »Herrenrasse«, der die Lehre des Hasses schuf, die den Anstoß zur Vernichtung des Judentums gab, und der seine gottlosen Theorien gegen die besetzten Ostgebiete in die Tat umsetzte. Seine verschwommene Philosophie fügte zur umfangreichen Liste der Greueltaten der Nazis noch die Langeweile hinzu. Der fanatische Frank, der die Nazi-Kontrolle durch Aufrichtung einer neuen Ordnung der Autorität ohne Recht befestigte, so daß der Wille der Partei der einzige Prüfstein der Rechtmäßigkeit wurde, ging dann dazu über, seine Rechtlosigkeit nach Polen zu exportieren, das er mit der Peitsche eines Cäsars regierte und dessen Bevölkerung er zu traurigen Überresten reduzierte. Frick, der rücksichtslose Organisator, half der Partei die Macht zu ergreifen, überwachte die Polizeibehörden, um sie an der Macht zu halten, und kettete die Wirtschaft von Böhmen und Mähren an die deutsche Kriegsmaschine.

Der giftig-vulgäre Streicher fabrizierte und verteilte obszöne Rassenschmähschriften, die die Bevölkerung aufreizten, die fortschreitend wilderen Aktionen bei der »Rassenreinigung« hinzunehmen und zu unterstützen. Als Wirtschaftsminister steigerte Funk das Tempo der Aufrüstung, und als Reichsbankpräsident hielt er in seiner Bank für die SS die Goldplomben der Konzentrationslageropfer verwahrt – wahrscheinlich die dämonischste Deckung in der Geschichte des Bankwesens. Es war Schacht, die Fassade steifer Ehrenhaftigkeit, der in der Anfangszeit das Aushängeschild, den Köder für den Zögernden abgab und dessen Hexenkunst es später Hitler ermöglichte, das kolossale Aufrüstungsprogramm im geheimen zu finanzieren.

Dönitz, Hitlers Erbe in der Niederlage, förderte den Erfolg der Nazi-Angriffe, indem er das Rudel seiner Unterseeboottöter anwies, den Krieg zur See mit der gesetzlosen Wildheit des Dschungels zu führen. Raeder, der politische Admiral, baute heimlich und unter Mißachtung des Versailler Vertrags die deutsche Marine auf und setzte sie dann in einer Reihe von Angriffen ein, an deren Planung er führenden Anteil genommen hatte. Von Schirach, der Vergifter einer Generation, führte die deutsche Jugend in die Nazi-Lehre ein, bildete sie in Legionen für den Dienst in der SS und der Wehrmacht aus und überlieferte sie der Partei als fanatische, bedingungslose Ausführer ihres Willens.

Sauckel, der größte und grausamste Sklavenhalter seit den ägyptischen Pharaonen, schaffte die verzweifelt nötigen Arbeitskräfte herbei, indem er fremde Völker in das Land der Knechtschaft trieb, in einem Ausmaß, das sogar in den alten Zeiten der Tyrannei im Königreich am Nil unbekannt war. Jodl, der Verräter an der Tradition seines Berufsstandes, führte die Wehrmacht unter Verletzung ihres eigenen Kodex der militärischen Ehre, um die barbarischen Ziele der Nazi-Politik auszuführen. Von Papen, der fromme Vertreter eines Regimes des Unglaubens, hielt den Steigbügel, als Hitler in den Sattel sprang, schmierte den österreichischen Anschluß und widmete seine diplomatische List dem Dienst der Nazi-Ziele im Ausland.

Seyß-Inquart, der Vorkämpfer der österreichischen Fünften Kolonne, übernahm die Regierung seines eigenen Landes nur, um es Hitler zum Geschenk zu machen; dann, nach Norden gehend, brachte er den Niederlanden Terror und Unterdrückung und plünderte ihre Wirtschaft aus zugunsten des deutschen Molochs. Von Neurath, der Diplomat der alten Schule, der die Perlen seiner Erfahrung vor die Nazis warf, leitete die Nazi-Diplomatie in den ersten Jahren, beschwichtigte die Besorgnis der in Aussicht genommenen Opfer und festigte als Reichsprotektor von Böhmen und Mähren die deutsche Stellung für den kommenden Angriff auf Polen. Speer, als Minister für Rüstung und Kriegsproduktion, beteiligte sich an der Planung und Durchführung des Programms, Kriegsgefangene und Fremdarbeiter in die deutsche Kriegswirtschaft hineinzuzwingen, die an Leistung zunahm, während die Arbeiterzahl durch Hunger abnahm. Fritzsche, der Radio- Propagandachef, stachelte durch die Manipulierung der Wahrheit die deutsche öffentliche Meinung zu einer frenetischen Unterstützung des Regimes auf und betäubte das unabhängige Urteilsvermögen der Bevölkerung, so daß sie, ohne zu fragen, dem Gebot ihrer Meister nachkam. Und Bormann, der unserer Einladung zu diesem Wiedersehen nicht Folge geleistet hat, saß am Hebel dieser umfangreichen und mächtigen Parteimaschine und lenkte sie bei der rücksichtslosen Durchführung der Nazi-Politik, angefangen von der Geißelung der Christlichen Kirche bis zum Lynchen von gefangenen alliierten Fliegern.

Die Tätigkeiten aller dieser Angeklagten waren trotz ihrer verschiedenartigen Herkunft und Fähigkeiten mit den Anstrengungen anderer Verschwörer verbunden, die jetzt nicht auf der Anklagebank sitzen, die aber andere wesentliche Rollen gespielt haben.

Sie vermischten sich zu einem übereinstimmenden militanten Plan, beseelt von dem gemeinsamen Ziel, die Landkarte Europas durch Waffengewalt umzuformen. Manche dieser Angeklagten waren glühende Anhänger der Nazi-Bewegung von ihrer Entstehung an. Andere, weniger fanatische, traten dem gemeinsamen Unternehmen später bei, nachdem der Erfolg die Teilnahme durch Versprechung von Belohnungen verlockend gemacht hatte. Diese Gruppe der Spätbekehrten schaffte Abhilfe von einem sehr wichtigen Mangel in den Reihen der ursprünglichen Rechtgläubigen, denn, wie Dr. Siemers in seinem Plädoyer aufgezeigt hat:

»Unter den Nationalsozialisten gab es für Sonderaufgaben keine Fachleute. Die meisten der nationalsozialistischen Mitarbeiter hatten früher keine Berufe mit fachlicher Bildung.«

Es war eine fatale Schwäche der Nazi-Bande in der Anfangszeit, daß ihr die technische Kompetenz fehlte. Sie konnte aus ihren eigenen Reihen heraus keine Regierung bilden, die imstande gewesen wäre, alle die zur Erreichung ihrer Ziele notwendigen Pläne zu verwirklichen. Hierin liegt das besondere Verbrechen und der Verrat von Leuten wie Schacht und von Neurath, Speer und von Papen, Raeder und Dönitz, Keitel und Jodl. Es ist zweifelhaft, ob der Meisterplan der Nazis ohne ihre fachmännischen Kenntnisse geglückt wäre, die sie so bereitwillig zur Verfügung stellten. Sie taten dies in Kenntnis der angekündigten Ziele und Methoden und dienten weiter, nachdem die Praxis die Richtung und Tendenz bestätigt hatte. Ihre Überlegenheit der durchschnittlichen Mittelmäßigkeit der Nazis gegenüber ist keine Entschuldigung für sie. Sie ist ihre Verdammung.

Die dominierende Tatsache, die aus den vielen tausend Seiten des Materials dieses Prozesses hervorgeht, ist, daß das zentrale Verbrechen in der ganzen Gruppe der Nazi-Verbrechen, nämlich der Angriff auf den Weltfrieden, klar und bewußt geplant war. Der Anfang dieser Angriffskriege war nicht ein unvorbereitetes und spontanes Zu-den-Waffen-greifen einer durch eine aktuelle Empörung erregten Bevölkerung.

Eine Woche vor dem Einfall in Polen sagte Hitler zu seinen militärischen Befehlshabern:

»Ich werde propagandistischen Anlaß zur Auslösung des Krieges geben, gleichgültig ob glaubhaft. Der Sieger wird später nicht danach gefragt, ob er die Wahrheit gesagt hat oder nicht. Bei Beginn und Führung des Krieges kommt es nicht auf das Recht an, sondern auf den Sieg.« (1014-PS.)

Der propagandistische Zwischenfall wurde dann auch geliefert, indem man Konzentrationslagerinsassen in polnische Uniformen steckte, um den Anschein eines polnischen Angriffs auf einen deutschen Radiosender an der Grenze zu erwecken. Der Plan, Belgien, Holland und Luxemburg zu besetzen, erschien zum erstenmal schon im August 1938 im Zusammenhang mit dem Angriffsplan gegen die Tschechoslowakei. Die Angriffsabsicht wurde im Mai 1939 zum Programm, als Hitler seinen Befehlshabern mitteilte:

»Die holländischen und belgischen Luftstützpunkte müssen militärisch besetzt werden. Auf Neutralitätserklärungen kann nichts gegeben werden.« (L-79.)

So wurden nachfolgende Kriege geplant, noch ehe der erste von Stapel gelaufen war. Es waren die am sorgfältigsten geplanten Kriege der ganzen Geschichte. In der schrecklichen Reihenfolge und in dem Ablauf dieser Kriege wurde bis lange nach Vollendung der Angriffsverbrechen kaum ein Schritt getan, der nicht nach dem Hauptentwurf oder einem Hilfsschema und einer Zeittafel ablief.

Ebensowenig waren die Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit ungeplante, isolierte oder spontane Vergehen. Abgesehen von unseren unbestreitbaren Beweisen für ihre Planung, genügt es zu fragen, ob man sechs Millionen Menschen aus der Bevölkerung mehrerer Nationen auf Grund ihres Blutes und ihrer Geburt absondern konnte, ob man sie vernichten und ihre Leichen wegschaffen konnte, wenn dieser Vorgang nicht in den allgemeinen Plan der Regierung hineingepaßt hätte. Hätte die Versklavung von fünf Millionen Arbeitern, ihre zwangsweise Dienstverpflichtung, ihr Transport nach Deutschland, ihre Zuteilung an das Arbeitsgebiet, wo sie am nützlichsten waren, ihr Unterhalt, wenn man das langsame Verhungern als Unterhalt bezeichnen kann, und ihre Bewachung durchgeführt werden können, wenn dies nicht in den gemeinsamen Plan hineingepaßt hätte? Hätte man in ganz Deutschland zur Aufnahme von Hunderttausenden von Opfern Hunderte von Konzentrationslagern errichten können, von denen jedes einzelne Bauarbeiter und Baumaterial erforderte, Personal zum Betrieb und zur Überwachung, sowie eine enge Eingliederung in die Wirtschaft... hätte man solche Anstrengungen in der deutschen Autokratie entfalten können, wenn sie nicht in den Plan hineingepaßt hätten? Ist die teutonische Leidenschaft für Organisation plötzlich für ihre Toleranz von außerplanmäßigen Tätigkeiten berühmt geworden? Jeder Teil des Planes fügte sich in jeden anderen ein. Das Sklavenarbeiterprogramm war verstrickt mit dem Bedarf der Industrie und der Landwirtschaft, und diese wieder waren mit der Kriegsmaschine synchronisiert. Der fein durchgebildete Propagandaapparat war gemeinsam gesteuert mit dem Programm, das Volk zu beherrschen und aufzuhetzen zu einem Krieg, den seine Söhne auszukämpfen haben würden. Die Rüstungsindustrien wurden durch die Konzentrationslager gespeist. Nichts war unter der eisernen Nazi-Herrschaft erlaubt, was nicht im Einklang mit dem Programm stand. Was immer von Bedeutung in dieser organisierten Gesellschaft geschah, war nur eine Manifestation des vorbedachten und offenbaren Zweckes, dem Nazi-Staat einen Platz an der Sonne zu sichern, indem man alle anderen in die Finsternis stieß.

Gemeinsame Verteidigung gegen die Anklage der gemeinsamen Verantwortlichkeit.

Die Angeklagten begegnen diesem überwältigenden Anklagevorbringen, indem die einen eine begrenzte Verantwortlichkeit zugeben, die anderen, indem sie den Tadel auf andere abwälzen, und wieder andere, indem sie tatsächlich den Standpunkt einnehmen, daß zwar ungeheure Verbrechen begangen wurden, Verbrecher jedoch nicht vorhanden seien. Die Zeit erlaubt es mir nicht, jede individuelle und besondere Verteidigung zu untersuchen; es sind aber gewisse Verteidigungslinien so vielen Fällen gemein, daß sie eine nähere Betrachtung verdienen.

Die Verteidiger vieler Angeklagter suchen die Beschuldigung der Verschwörung oder der gemeinsamen Planung zu entkräften, indem sie behaupten, daß das Schema des Nazi-Planes dem im deutschen Recht anwendbaren Begriff der Verschwörung zu einem Raub oder einem Einbruch nicht entspricht. Ihr Begriff der Verschwörung verlangt eine heimliche Zusammenkunft im Dunkel der Nacht, in einem entlegenen Versteck, wo eine kleine Gruppe von Übeltätern alle Einzelheiten eines bestimmten Verbrechens aushecken. Das Statut nimmt die Flucht zu einer so engstirnigen und beschränkten, aus örtlichem Recht hergeleiteten Deutung des Verschwörungsbegriffes vorweg, indem es den zusätzlichen und nicht technischen Ausdruck »gemeinsamer Plan« benützt. Unter völliger Weglassung des alternativen Ausdrucks der »Verschwörung« sagt das Statut, daß »Führer, Organisatoren, Anstifter und Gehilfen, die an der Formulierung oder Ausführung eines gemeinsamen Planes zur Begehung eines« – der aufgezählten – »Verbrechens teilnehmen, verantwortlich sind für alle Handlungen, die von irgendwelchen Personen in Ausführung eines solchen Planes begangen wurden«.

Der im Statut enthaltene Begriff eines gemeinsamen Planes zeigt das Verschwörungsprinzip im internationalen Zusammenhang. Ein gemeinsamer Plan oder eine Verschwörung mit dem Ziel, sich des Staatsapparates zu bemächtigen, Verbrechen gegen den Weltfrieden zu begehen, eine Rasse vom Erdboden zu vertilgen, Millionen zu versklaven, ganze Nationen zu unterjochen und auszuplündern, kann nicht mit dem gleichen Maßstab wie das Komplott zu kleinen Verbrechen gemessen werden, obwohl die gleichen zugrunde liegenden Prinzipien anwendbar sind. Kleine Gangster mögen planen, wer von ihnen eine Pistole und wer ein Messer tragen wird, wer das Opfer von vorne und wer es von hinten angreifen wird und wo sie ihm auflauern werden. Bei der Planung eines Krieges wird die Pistole zur Wehrmacht, das Messer zur Luftwaffe. Die Stelle, wo losgeschlagen werden soll, wird nicht mehr in dunklen Gassen, sondern auf der Weltkarte gewählt. Das Unternehmen erstreckt sich auf die Steuerung der öffentlichen Meinung, auf Staatsrecht, Polizeigewalt, Industrie und Finanzwesen. Köder und Bluff werden in die Außenpolitik einer Nation übertragen. In gleicher Weise wird der Grad der Heimlichkeit, der auf einen schuldhaften Zweck in einer Verschwörung hinweist, von ihrem Objekt abhängen. Die heimlichen Vorbereitungen eines Staates gegen die internationale Gesellschaft können, wenn sie auch dem Ausland gegenüber getarnt sind, unter dem eigenen Volk vollkommen offen und wohlbekannt sein. Heimlichkeit ist jedoch kein wesentlicher Bestandteil einer solchen Planung. Teile des gemeinsamen Planes mögen von allen Dächern angekündigt worden sein, wie dies beim Antisemitismus der Fall war, andere Teile geheimgehalten, wie lange Zeit hindurch die Wiederaufrüstung. Es ist eine Frage der Strategie, wieviel von den Vorbereitungen bekanntgegeben werden soll, wie Görings Ankündigung der Schaffung einer Luftwaffe im Jahr 1935, und wieviel davon geheimgehalten werden soll, wie es bei dem Gebrauch von Schaufeln durch die Nazis der Fall war, um den Arbeitsdienst in der Handhabung von Waffen zu unterweisen. Die Formen dieser großen Type der Verschwörung sind amorph, ihre Mittel sind Gelegenheitsmittel, beide können jedoch das Recht davon abhalten, zu dem Wesentlichen der Dinge vorzudringen.

Die Angeklagten behaupten jedoch, daß keine Verschwörung zum Angriffskrieg vorgelegen haben konnte, da erstens keiner der Nazis den Krieg wollte, zweitens die Wiederaufrüstung nur in der Absicht durchgeführt wurde, Deutschland genügend stark zu machen, um seine Stimme innerhalb der Völkerfamilie zu Gehör zu bringen, und drittens, daß die Kriege eigentlich keine Angriffskriege, vielmehr Verteidigungskriege gegen die »bolschewistische Gefahr« waren.

Wenn wir das Argument untersuchen, daß die Nazis den Krieg nicht gewollt haben, kommen wir im wesentlichen zu folgendem Schluß: Das Material sieht objektiv betrachtet in der Tat übel aus, wenn Sie jedoch subjektiv meine Gesinnung betrachten, so haßte ich den Krieg. Ich kannte die Schrecken des Krieges, ich wollte den Frieden!

Ich bin dessen nicht so sicher, und ich bin noch weniger gewillt, Görings Beschreibung des Generalstabs als pazifistisch anzuerkennen. Es wird unserem Fall nicht schaden, wenn wir als abstrakte Stellungnahme zugeben, daß keiner der Angeklagten den Krieg wollte. Sie wollten jedoch Dinge, die sie bewußt ohne den Krieg nicht erlangen konnten. Sie wollten Land und Gut ihrer Nachbarn. Ihre Philosophie scheint die folgende gewesen zu sein: Wenn die Nachbarn nicht einwilligen, sind sie die Angreifer und sind sie für den Krieg verantwortlich zu machen. Die Tatsache ist jedoch, daß der Krieg für die Nazis erst schrecklich wurde, als er in ihre Heimat kam, als er ihre dem deutschen Volk gegebenen falschen Versicherungen bloßstellte, ihre Versicherungen, daß die deutschen Städte, wie zum Beispiel diese zerstörte Stadt, in der wir hier unsere Sitzung abhalten, unverwundbar seien. Von da an war der Krieg furchtbar.

Aber wieder behaupten die Angeklagten: Sicherlich, wir bauten Kanonen, doch nicht um zu schießen. Sie sollten nur dazu dienen, uns bei Verhandlungen Gewicht zu verleihen! Im besten Fall führt dieses Argument zur Behauptung, daß die militärischen Kräfte zur Erpressung und nicht für die Schlacht bestimmt waren. Die Drohung mit der militärischen Invasion, die den Anschluß Österreichs erzwang, die Drohungen, die München vorausgingen, und Görings Drohung, die schöne Stadt Prag zu bombardieren, falls der Präsident der Tschechoslowakei nicht in das Protektorat willige, sind Beispiele für das, was die Angeklagten im Sinne haben, wenn sie von Rüstungen zur Unterstützung der Verhandlungen sprechen.

Als natürliche Folge der deutschen Ansprüche mußte ja der Tag kommen, an welchem ein Staat sich weigern würde, seinen Frieden zu erkaufen, sich weigern würde, ein Kaufgeld zu zahlen, »denn das Ende dieses Spieles ist die Unterdrückung und die Schande, und die Nation, die das Spiel spielt, wird zur Beute«.

Haben diese Angeklagten dann beabsichtigt, die deutschen Ansprüche zurückzuziehen, oder wollte Deutschland sie mit Zwang durchsetzen und die Propaganda so führen, daß die Schuld an dem Krieg der Nation zugeschoben wurde, die so unvernünftig war, Widerstand zu leisten? Die Ereignisse haben diese Frage beantwortet, und Dokumente, wie die erwähnte Denkschrift des Admirals Carls, lassen keinen Zweifel, daß diese Ereignisse so eintraten, wie sie vorgesehen waren.

Einige der Angeklagten argumentieren, daß diese Kriege keine Angriffskriege gewesen seien und nur den Zweck hatten, Deutschland gegen die eventuelle Gefahr der »kommunistischen Drohung« zu schützen, von welchem Gedanken viele Nazis geradezu besessen waren.

Diese Behauptung von der Selbstverteidigung fällt sogleich, weil sie diese verwerfliche Kombination von Tatsachen unbeachtet läßt, die im Prozeßmaterial festgestellt wurden, nämlich erstens: die enormen und raschen deutschen Kriegsvorbereitungen, zweitens: die wiederholt gestandenen bereits erwähnten Angriffsabsichten der deutschen Führer, drittens: die Tatsache, daß eine Reihe von Kriegen stattfanden, in denen deutsche Truppen ohne Warnung den ersten Schlag führten und die Grenzen anderer Nationen überschritten.

Selbst wenn man zeigen könnte – was man nicht kann –, daß der russische Krieg tatsächlich ein Verteidigungskrieg war, so ist dies nachweisbar nicht der Fall bei den Kriegen, die ihm vorausgegangen sind.

Es muß auch unterstrichen werden, daß selbst jene, die Sie glauben machen wollen, daß Deutschland vom Kommunismus bedroht gewesen sei, in der Beschreibung ihres Widerstandes gegen das russische Abenteuer miteinander wetteifern. Ist es denkbar, daß sie diesem Krieg widerstrebt hätten, wenn er im guten Glauben der Selbstverteidigung geführt worden wäre?

Um den Charakter der Selbstverteidigungstheorie diesen Tatsachen gegenüber zu kompensieren, wird, wie dies Anwälte oft tun, Hilfe bei einer Rechtstheorie gesucht. Dr. Jahrreiss betont richtig in seiner gelehrten Beweisführung für die Verteidigung, daß keine Vertragsbestimmung und kein Rechtsprinzip Deutschland als einem souveränen Staat das Recht der Selbstverteidigung verwehrt hätte. Er setzt mit der Behauptung fort, die aus dem klassischen Völkerrecht stammt, daß jeder Staat allein Richter darüber ist, ob er in einem gegebenen Fall einen Verteidigungskrieg führt.

Es ist unnötig, die Gültigkeit eines abstrakten Prinzips zu prüfen, das für die Tatsachen unseres Falles nicht paßt. Ich zweifle nicht daran, daß, wenn ein Staat zu dem Urteil kommt, er müsse zu einem Verteidigungskrieg greifen, weil die Umstände vernünftige Gründe für eine solche ehrliche Beurteilung bieten, jedes Gericht dieser Erwägung großes und vielleicht entscheidendes Gewicht beilegen würde, selbst wenn spätere Ereignisse dieses Urteil als irrig erweisen sollten.

Jedoch die Tatsachen dieses Falles verlangen keine solche Rücksichtnahme auf eine ehrliche Beurteilung, da eine so geartete Beurteilung nie behauptet wurde und noch viel weniger ehrlich stattgefunden hat.

In allen Dokumenten, die die Planung und Rationalisierung dieser Angriffe enthüllen, wurde kein einziger Satz zitiert – und kann auch kein Satz zitiert werden –, der auf eine gutgläubige Furcht vor einem Angriff hinweist. Es mag sein, daß Staatsmännern anderer Nationen der Mut fehlte, geradewegs und völlig abzurüsten. Vielleicht vermuteten sie die geheime Wiederaufrüstung Deutschlands. Selbst wenn sie zögerten, ihre Waffen abzulegen, so haben sie nicht gezögert, sie zu vernachlässigen. Deutschland war sich voll bewußt, daß seine ehemaligen Feinde so wenig an einen neuen Krieg dachten, daß sie ihre Rüstungen verfallen ließen. Deutschland stand einem Europa gegenüber, das nicht nur unwillig war anzugreifen, sondern sogar zu schwach und zu pazifistisch gesinnt war, um sich angemessen zu verteidigen, und das so weit ging, seine Ehre, wenn nicht mehr, aufs Spiel zu setzen, um den Frieden zu erkaufen. Die Protokolle von den gemeinsamen Nazi-Konklaven, die wir Ihnen gezeigt haben, bezeichnen keinen möglichen Angreifer. Sie strotzten von Angriffsgeist und nicht von Verteidigung. Sie erwägen stets die territoriale Expansion und nicht die Erhaltung der territorialen Integrität.

Der Kriegsminister von Blomberg hat in seiner 1937 erlassenen Weisung für die einheitliche Kriegsvorbereitung der Wehrmacht diese schwachen Ansprüche der Selbstverteidigung Lügen gestraft. Er erklärte damals folgendes:

»Die allgemeine politische Lage berechtigt zu der Vermutung, daß Deutschland mit keinem Angriff von irgendeiner Seite zu rechnen hat. Hierfür sprechen in erster Linie neben dem fehlenden Kriegswillen bei fast allen Völkern, Insbesondere bei den Westmächten, auch die mangelnde Kriegsbereitschaft einer Reihe von Staaten, vornehmlich Rußlands.«

Trotzdem empfiehlt er:

»... eine stete Kriegsbereitschaft der deutschen Wehrmacht

a) um Angriffen jeder Art entgegenzutreten

b) und um etwa sich ergebende politisch günstige Gelegenheiten militärisch ausnützen zu können.« (C-175.)

Wenn sich diese Angeklagten nun in zynischer Weise auf Selbstverteidigung berufen, obwohl zu der Zeit keine gutgläubige Selbstverteidigung von einem der verantwortlichen Führer behauptet oder erwogen wurde, so werden doch die Nichtangriffsverträge zu rechtlichen Absurditäten herabgesetzt. Diese werden zusätzliche Instrumente der Täuschung in den Händen des Angreifers und zu Fallen für gutgläubige Nationen. Würden die Nichtangriffspakte eine Klausel enthalten, wonach jeder Staat bona fide die Notwendigkeit der Selbstverteidigung gegen unmittelbar drohende Angriffe selbst beurteilen kann, so könnten sie sicher nicht zum Schutze jener herangezogen werden, die überhaupt niemals zu einer solchen Beurteilung gekommen sind.

Zu Beginn dieses Prozesses wagte ich vorauszusagen, es werde zu keiner ernstlichen Leugnung der Tatsache, daß die hier angeklagten Verbrechen begangen worden sind, kommen; ich sagte voraus, daß es nur um die Verantwortlichkeit der einzelnen Angeklagten gehen werde. Die Angeklagten haben diese Prophezeiung erfüllt. Im allgemeinen leugnen sie nicht, daß diese Dinge geschehen sind, aber sie begnügen sich mit der Feststellung, daß sie sich »eben ereigneten« und keineswegs als Folge eines gemeinsamen Planes oder einer Verschwörung.

Einer der Hauptgründe, mit dem die Angeklagten erklären, daß es sich nicht um eine Verschwörung gehandelt habe, ist das Argument, daß eine Verschwörung mit einem Diktator unmöglich sei. Das Argument geht nun dahin, daß sie alle Hitlers Befehlen zu gehorchen hatten, die im deutschen Staat Gesetzeskraft besaßen und daß man daher den Gehorsam nicht zur Grundlage einer Anklage wegen Verbrechens machen könne. Auf diese Weise wird erklärt, daß, während Massentötungen stattgefunden hätten, es keine Mörder gegeben habe.

Diese Behauptung ist ein Versuch, dem Artikel 8 des Statuts auszuweichen, der festlegt, daß der Befehl der Regierung oder eines Vorgesetzten keinen Angeklagten von der Verantwortung freisprechen soll und nur als Milderungsgrund angesehen werden kann. Diese Bestimmung des Statuts entspricht der Gerechtigkeit und den Realitäten der Situation, wie sie der Angeklagte Speer in einer Beschreibung dessen, was er als die gemeinsame Verantwortlichkeit der Führer der deutschen Nation ansah, gegeben hat, daß es nämlich:

»... mit Hinblick auf entscheidende Dinge Gesamtverantwortung gibt und geben muß, soweit man einer der Führenden ist, denn wer soll denn sonst die Verantwortung für den Ablauf der Geschehnisse tragen, wenn nicht die nächsten Mitarbeiter um ein Staatsoberhaupt?«

Und wieder sagte er dem Gerichtshof:

»Es ist ausgeschlossen, sich nach der Katastrophe auch der Gesamtverantwortung zu entziehen. Bei einem gewonnenen Krieg hätte die Führung wahrscheinlich die Gesamtverantwortung selbst geltend gemacht.«

Wie so viele abstrakte Argumente des Verteidigers, stürzt die Behauptung, daß die absolute Macht Hitlers eine Verschwörung ausgeschlossen habe, angesichts des Tatsachenmaterials zusammen. Das Führerprinzip des Absolutismus war selbst ein Teil des gemeinsamen Planes, wie Göring erklärt hat. Die Angeklagten mögen Sklaven des Diktators geworden sein, er war jedoch ihr Diktator. Ihn dazu zu machen, war nach Görings Aussage von Anfang an das Ziel der Nazi- Bewegung. Jeder Nazi legte folgenden Eid ab:

»Ich gelobe meinem Führer Adolf Hitler Treue. Ich ver spreche ihm und den Führern, die er mir bestimmt, jederzeit Achtung und Gehorsam entgegenzubringen.« (1893-PS.)

Überdies zwangen sie, soweit ihre Macht reichte, alle, diesen Eid abzulegen. Dieser Eid war ungesetzlich im Sinn des deutschen Rechtes, das es als Verbrechen betrachtete, Teilnehmer einer Verbindung zu werden, in welcher »Gehorsam gegen unbekannte Obere oder unbedingter Gehorsam gegen bekannte Obere« geschworen wurde. Diese Männer zerstörten die freie Regierung in Deutschland und flehen nun, daß man ihre Verantwortlichkeit entschuldige, weil sie Sklaven geworden seien. Sie spielen die Rolle des Knaben im Roman, der Vater und Mutter ermordete und dann um Gnade bat, weil er ein Waisenkind sei.

Was diese Männer übersehen haben, ist, daß Adolf Hitlers Taten ihre Taten waren. Es waren diese Männer unter Millionen anderer, und es war die Führung von Millionen anderer durch diese Männer, die Adolf Hitler stärkten und seiner psychopathischen Person nicht nur unzählige kleinere Entscheidungen, sondern auch die letzte Entscheidung über Krieg und Frieden anvertrauten. Sie machten ihn trunken vor Macht und Vergötterung. Sie fachten seinen Haß an und erweckten seine Befürchtungen. Sie legten eine geladene Schußwaffe in seine zugreifenden Hände. Es wurde Hitler überlassen, den Hahn abzuziehen, und als er es tat, stimmten sie ihm damals alle zu. Seine Schuld wurde zugegeben, von einigen Angeklagten mit Zögern, von anderen aus Rachsucht. Seine Schuld aber ist die Schuld der ganzen Anklagebank und jedes einzelnen Angeklagten.

Es wird auch betont, daß diese Angeklagten nicht zu einem gemeinsamen Plan oder zu einer Verschwörung übereingekommen sein könnten, weil sie sich untereinander bekämpften oder weil sie verschiedenen Gruppen oder Cliquen angehörten. Selbstverständlich ist es nicht erforderlich, daß diese Männer in allen Dingen übereinstimmten, es genügt, wenn sie in so vielen Dingen übereinstimmen, wie dies für die Schuld an einer verbrecherischen Verschwörung notwendig ist. Fraglos gab es Verschwörungen innerhalb der Verschwörung und Intrigen und Rivalitäten und Kämpfe um die Macht. Die Meinungen von Schacht und Göring gingen auseinander, jedoch darüber, wer von ihnen beiden die Wirtschaft kontrollieren sollte, nicht darüber, ob die Wirtschaft für den Krieg organisiert werden sollte. Göring behauptet, er wäre vom Plan abgewichen, weil er durch Dahlerus einige Verhandlungen mit einflußreichen Männern in England kurz vor dem Polenkrieg geführt habe. Es ist jedoch ganz klar, daß dies nicht mit der Absicht geschah, die Aggression gegen Polen zu verhindern, sondern um die Aggression durch die Neutralität Englands erfolgreich und sicher zu machen (TC-90). Rosenberg und Göring mögen Meinungsverschiedenheiten darüber gehabt haben, wie die gestohlenen Kunstschätze verteilt werden sollten, nicht jedoch darüber, wie man sie stehlen sollte. Jodl und Göring mögen sich uneinig darüber gewesen sein, ob die Genfer Konvention gekündigt werden sollte; sie waren sich aber nie uneinig darin, sie zu verletzen. Und so geht es weiter durch die ganze lange und schmutzige Geschichte. Nirgends finden wir einen einzigen Fall, daß einer der Angeklagten gegen die übrigen aufgestanden wäre und gesagt hätte: Dies ist unrecht, und ich mache dabei nicht mit! Wo immer sie Meinungsverschiedenheiten hatten, handelt es sich um Meinungsverschiedenheiten über die Methoden oder um Streitigkeiten über die Zuständigkeit, immer aber im Rahmen des gemeinsamen Planes.

Einige der Angeklagten behaupten auch, daß es sich nicht um eine Verschwörung zur Begehung von Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit handeln könnte, da die Kabinettsmitglieder niemals mit den Militärs in Sitzungen zusammentraten, um diese Handlungen zu planen. Aber diese Verbrechen waren nur das unvermeidliche und zugehörige Resultat des Planes, Aggressionen zu begehen für die Gewinnung von Lebensraum. In einer Besprechung mit seinen Oberbefehlshabern sagte Hitler:

»Vernichtung Polens im Vordergrund, Ziel ist Beseitigung der lebendigen Kräfte, nicht die Erreichung einer bestimmten Linie.« (1014-PS.)

Frank griff die Melodie auf und schlug folgendes nach Erschöpfung ihrer Nützlichkeit vor:

»... dann kann meinetwegen aus den Polen und den Ukrainern und dem, was sich herumtreibt, Hackfleisch gemacht werden, es kann werden was will.« (2233-PS.)

Reichskommissar Koch in der Ukraine lieferte den Refrain dazu:

»Ich werde, das Letzte aus diesem Lande herausziehen. Ich bin nicht gekommen, um Segen zu spenden...« (1130-PS.)

Dies war die Schattenseite des Lebensraumes. Können Männer von ihrer praktischen Intelligenz erwarten, daß ihnen Nachbarländer ohne Einspruch derjenigen, die dort leben, zufallen würden und ohne daß dabei Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen würden?

Die letzte Behauptung jedes Angeklagten geht dahin, daß er, sogar wenn es eine Verschwörung gegeben hat, nicht zu ihr gehört habe. Es ist deshalb wichtig, bei der Untersuchung ihrer Versuche, der Verantwortlichkeit zu entgehen, vor allem zu wissen, was alles die Verschwörungsanklage umfaßt und straft.

Bei der Verschwörung bestrafen wir nicht den einen Mann für das Verbrechen eines anderen Mannes. Wir bemühen uns, einen jeden wegen seines eigenen Verbrechens zu bestrafen, das darin bestand, sich einem gemeinsamen, verbrecherischen Plan angeschlossen zu haben, an dem auch andere beteiligt waren. Das Maß der verbrecherischen Natur des Planes und damit der Schuld jedes Teilnehmers ist selbstverständlich die totale Summe der Verbrechen, die von allen bei der Ausführung des Planes begangen wurden. Der Kern des Vergehens liegt in der Beteiligung an der Ausarbeitung oder Ausführung des Planes. Dies sind Regeln, wie sie von jeder Gesellschaftsordnung für nötig befunden worden sind, um solche Männer wie diese Angeklagten zu treffen, die niemals Blut an ihren eigenen Händen hatten, die aber Pläne machten, die in Blutvergießen endeten. In ganz Deutschland, in jeder Besatzungszone, werden heute die kleinen Leute, die diese verbrecherische Politik auf Befehl ausführten, verurteilt und bestraft. Es würde eine große, nicht zu vergebende Verzerrung der Gerechtigkeit sein, wenn die Männer, die diese Methoden planten und diese kleinen Leute leiteten, der Bestrafung entgehen sollten.

Die Männer auf der Anklagebank standen, wie dieses Prozeßmaterial beweist, diesem Programm von Verbrechen nicht fremd gegenüber, noch war ihre Verbindung damit weitläufig oder dunkel. Wir finden sie gerade im Mittelpunkt. Die von ihnen bekleideten Stellungen zeigen, daß wir Angeklagte wählten, deren Verantwortlichkeit selbstverständlich ist. Sie sind die höchsten noch am Leben befindlichen Autoritäten in ihren respektiven Gebieten und im Nazi-Staat. Es ist niemand am Leben, der – wenigstens bis zu den letzten Augenblicken des Krieges – Göring an Stellung, Macht und Einfluß überragte. Kein Soldat stand über Keitel und Jodl und kein Seemann über Raeder und Dönitz. Wer kann für die doppelzüngige Diplomatie verantwortlich sein, wenn nicht die Außenminister von Neurath und Ribbentrop und der diplomatische Handlanger von Papen? Wer sollte für die Verwaltung der Unterdrückung in den besetzten Gebieten Antwort stehen, wenn nicht die Gauleiter, Protektoren, Gouverneure und Kommissare wie Frank, Seyß- Inquart, Frick, von Schirach, von Neurath und Rosenberg? Wo sollen wir diejenigen suchen, die die Wirtschaft für den totalen Krieg mobilisierten, wenn wir Schacht und Speer und Funk übersehen wollen? Wer war der Meister des großen Sklavenunternehmens, wenn nicht Sauckel? Wo sollen wir die Hand finden, die die Konzentrationslager leitete, wenn es nicht die Hand Kaltenbrunners war? Und wer fachte den Haß und die Furcht der Öffentlichkeit an, wer steuerte die Parteiorganisationen so, daß sie zu Verbrechen aufreizten, wenn nicht Heß, von Schirach, Fritzsche, Bormann und der unaussprechliche Julius Streicher? Die Liste der Angeklagten besteht aus Männern, die in dieser Tragödie unentbehrliche und sich ergänzende Rollen spielten. Photographien und Filme zeigen sie wieder und wieder beisammen bei wichtigen Anlässen. Dokumente beweisen ihre Eintracht hinsichtlich der Verfahren und Methoden und ihre gemeinsame aggressive Arbeit für die Expansion Deutschlands durch Waffengewalt.

Jeder dieser Männer leistete einen wirklichen Beitrag zum Nazi-Plan. Jeder hatte seine Schlüsselrolle. Entziehen wir dem Nazi-System die Tätigkeiten eines Schacht, eines Sauckel, eines von Papen oder eines Göring, und ein anderes System steht vor Ihnen. Blicken Sie auf die Reihen dieser gestürzten Männer und vergegenwärtigen Sie sie sich so, wie photographische und dokumentarische Beweise sie in den Zeiten zeigten, da sie an der Macht waren. Gibt es einen einzigen, der der Verschwörung auf ihrem blutigen Weg zu ihrem blutigen Ziel nicht erheblich geholfen hat? Kann man annehmen, daß die großen Lebensanstrengungen dieser Männer auf Ziele gerichtet waren, die sie niemals vermuteten.

Um der aus ihren Stellungen erwachsenden Verantwortlichkeit und der aus ihren Tätigkeiten entstehenden Schuldvermutung zu entgehen, sind die Angeklagten einer Meinung in einem Verteidigungspunkt. Der Refrain ist immer wieder zu hören: Diese Männer waren ohne Autorität, ohne Kenntnis, ohne Einfluß, ohne Bedeutung. Funk hat die allgemeine Selbsterniedrigung der Anklagebank in seiner Wehklage zusammengefaßt:

»Ich bin oft an der Türe gestanden, aber nie hineingelassen worden.«

Aus der Aussage jedes Angeklagten kam man zu irgendeinem Zeitpunkt zu der bekannten weißen Mauer: Niemand wußte irgend etwas von dem, was vor sich ging. Immer und immer wieder haben wir aus der Anklagebank den Chor gehört: Ich erfahre von diesen Dingen hier zum ersten Male.

Diese Männer sahen nichts Böses, sprachen nichts Böses, und in ihrer Gegenwart wurde nichts Böses geäußert. Diese Behauptung würde vielleicht plausibel erscheinen, wenn sie von einem einzigen Angeklagten aufgestellt würde. Aber wenn wir alle ihre Geschichten zusammensetzen, so ist der Gesamteindruck, den man vom Dritten Reich gewinnt, das tausend Jahre dauern sollte, geradezu lächerlich. Wenn wir nur die Erzählungen der vorderen Reihe der Angeklagten zusammenstellen, so bekommen wir folgendes lächerliche Gesamtbild von Hitlers Regierung; sie setzte sich zusammen aus:

Einem Mann Nummer 2, der nichts von den Ausschreitungen der von ihm selbst eingerichteten Gestapo wußte, und nie etwas vermutete von dem Ausrottungsprogramm gegen die Juden, obwohl er der Unterzeichner von über 20 Erlassen war, die die Verfolgung dieser Rasse ins Werk setzten.

Einem Mann Nummer 3, der nur ein unschuldiger Mittelsmann war, der Hitlers Befehle weitergab, ohne sie überhaupt zu lesen, wie ein Briefträger oder ein Botenjunge.

Einem Außenminister, der von auswärtigen Angelegenheiten wenig und von der auswärtigen Politik gar nichts wußte.

Einem Feldmarschall, der der Wehrmacht Befehle erteilte, jedoch keine Ahnung hatte, zu welchen praktischen Ergebnissen diese führen würden.

Einem Chef des Sicherheitswesens, der unter dem Eindruck war, daß die polizeiliche Tätigkeit seiner Gestapo und seines SD im wesentlichen derjenigen der Verkehrspolizei gleichkam.

Einem Parteiphilosophen, der an historischen Forschungen interessiert war und keinerlei Vorstellung von den Gewalttaten hatte, zu denen im 20. Jahrhundert seine Philosophie anspornte.

Einem Generalgouverneur von Polen, der regierte, aber nicht herrschte.

Einem Gauleiter von Franken, der sich damit beschäftigte, unflätige Schriften über die Juden herauszugeben, der jedoch keine Ahnung hatte, daß sie irgend jemand jemals lesen würde.

Einem Innenminister, der nicht wußte, was im Innern seines eigenen Amtes vor sich ging, noch viel weniger etwas wußte von seinem eigenen Ressort und nichts von den Zuständen im Innern Deutschlands.

Einem Reichsbankpräsidenten, der nicht wußte, was in den Stahlkammern seiner Bank hinterlegt und was aus ihnen herausgeschafft wurde.

Und einem Bevollmächtigten für die Kriegswirtschaft, der geheim die ganze Wirtschaft für Rüstungszwecke leitete, jedoch keine Ahnung hatte, daß dies irgend etwas mit Krieg zu tun hätte.

Das mag wie eine phantastische Übertreibung klingen, aber zu diesen Schlußfolgerungen müßte man tatsächlich gelangen, wenn man diese Angeklagten freisprechen wollte.

Sie protestieren zuviel. Sie leugnen die Kenntnis von Dingen ab, die allgemein bekannt waren. Sie leugnen es, Pläne und Programme gekannt zu haben, die ebenso allgemein bekannt waren wie »Mein Kampf« und das Parteiprogramm. Sie leugnen sogar die Kenntnis des Inhalts von Dokumenten, die sie erhalten haben und auf Grund welcher sie gehandelt haben.

Fast alle Angeklagten nehmen zwei oder mehrere widerstreitende Standpunkte ein. Wir wollen die Unvereinbarkeit ihrer Stellungnahmen mit Hilfe der Laufbahn eines dieser Angeklagten erläutern, eines Mannes, der, wenn man ihn dringend bäte, sich selbst das Zeugnis ausstellen würde, daß er der intelligenteste, ehrenwerteste und unschuldigste Mann auf der Anklagebank sei. Das ist Schacht. Und das ist das Ergebnis seiner eigenen Zeugenaussagen,... aber wir wollen nicht vergessen, daß ich dies nicht gegen ihn allein vorbringe, sondern weil die meisten seiner Widersprüche in sich auch in den Aussagen mehrerer anderer Angeklagter zu finden sind:

Schacht trat erst offen der Nazi-Bewegung bei, als sie zur Macht gekommen war, und verließ sie offen erst, als sie das Spiel verloren hatte. Er gibt zu, daß er nie öffentlich Widerstand gegen sie geleistet hat, versichert aber, daß er ihr privat nie die Loyalität hielt. Wenn wir ihn fragen, warum er den. verbrecherischen Kurs dieser Regierung, in der er Minister war, nicht aufhielt, so sagt er, er habe keinerlei Einfluß besessen. Wenn wir ihn aber fragen, warum er Mitglied einer verbrecherischen Regierung blieb, so erzählt er uns, daß er das Programm dadurch zu mäßigen hoffte, daß er dabeiblieb. Wie ein Brahmane unter den Unberührbaren konnte er es nicht ertragen, mit den Nazis gesellschaftlich zu verkehren, aber er konnte es sich nie leisten, sich von ihnen politisch zu trennen. Unter allen Nazi-Angriffen, über die empört gewesen zu sein er jetzt behauptet, gibt es keinen einzigen, den er nicht vor aller Welt mit dem Gewicht seines Namens und seines Prestiges unterstützt hätte. Nachdem er Hitler die Waffen in die Hand gegeben hatte, um gegen einen ganzen Kontinent Erpressung zu üben, erklärt er jetzt, daß England und Frankreich zu tadeln seien, weil sie nachgegeben hätten.

Schacht kämpfte stets um seine Stellung in einem Regime, das zu verachten er jetzt vorgibt. Manchmal stimmte er mit seinen Nazi-Genossen nicht überein, wie man am wirksamsten ihr Ziel erreichen könnte, niemals jedoch wich er von dem Ziel selbst ab. Als er mit den Nazis bei dem Niedergang des Regimes brach, tat er dies aus taktischen und keineswegs grundsätzlichen Erwägungen. Von der Zeit an ließ er nicht davon ab, andere zu drängen, ihre Stellung und ihren Kopf zu riskieren, um seine Anschläge zu fördern, er setzte aber bei keiner Gelegenheit seine eigene Stellung und seinen eigenen Kopf aufs Spiel. Er prahlt jetzt damit, daß er Hitler persönlich erschossen hätte, wenn er Gelegenheit dazu gehabt hätte, aber die deutsche Wochenschau zeigt, daß er sogar nach dem Zusammenbruch Frankreichs, als er dem lebendigen Hitler gegenüberstand, aus der Reihe vortrat, um die Hand zu ergreifen, die zu verabscheuen er jetzt vorgibt, und an den Lippen jenes Mannes hing, von dem er heute behauptet, daß er unglaubwürdig gewesen sei. Schacht sagt, er habe die Hitler-Regierung stets »sabotiert«. Doch konnte der unbarmherzigste Geheimdienst der Welt nicht entdecken, daß er diesem Regime irgendwelchen Schaden zugefügt habe bis lange Zeit, nachdem ihm bekannt war, daß der Krieg verloren und das Schicksal der Nazis besiegelt war. Schacht, der sich sein ganzes Leben hindurch eine Hintertür geöffnet ließ, hielt sich stets in einer Position, die es ihm ermöglichte zu behaupten, daß er zu beiden Lagern gehöre. Seine Verteidigung erweist sich bei genauerer Untersuchung ebenso trügerisch, wie sie auf den ersten Blick überzeugend ist. Schacht stellt den gefährlichsten und verwerflichsten Typ des Opportunisten dar. Jenen Typ eines Mannes in einflußreicher Stellung, der bereit ist, einer Bewegung, von der er weiß, daß sie unrecht hat, beizutreten, weil er glaubt, daß sie den Sieg davontragen werde.

Diese Angeklagten, die nicht ableugnen können, daß sie die Männer an der Spitze waren, die nicht ableugnen können, daß die Verbrechen, die ich beschrieben habe, tatsächlich begangen wurden, sie wissen, daß ihrem Ableugnen kein Glauben geschenkt werden kann, es sei denn, daß sie den Schuldigen nennen.

Die Angeklagten waren einmütig, wenn es darauf ankam, die Schuld auf andere abzuwälzen, manchmal auf den einen, manchmal auf den anderen. Aber die Namen, die sie immer wieder heraussuchten, sind Hitler, Himmler, Heydrich, Goebbels und Bormann. Alle diese sind tot oder unauffindbar. Wie sehr wir auch die Angeklagten auf dem Zeugenstand bedrängten, so haben sie niemals mit dem Finger auf einen lebendigen Mann gewiesen. Man kommt in Versuchung, die wunderbare Fügung eines Schicksals zu bestaunen, das nur die Schuldigen sterben und nur die Unschuldigen am Leben ließ. Es ist beinahe zu merkwürdig.

Der Hauptbösewicht, auf den der Tadel abgeladen wird – manche Angeklagte wetteifern miteinander in der Erfindung geeigneter Beiwörter –, ist Hitler. Er ist der Mann, auf den fast jeder Angeklagte mit einem anklagenden Finger gezeigt hat.

Ich will weder von dieser allgemeinen Auffassung abweichen noch leugnen, daß alle diese Toten oder Abwesenden mitschuldig sind. Bei Verbrechen, die so abstoßend sind, daß die Grade der Schuld ihre Bedeutung verloren haben, mögen sie die verwerflichsten Rollen gespielt haben. Aber ihre Schuld kann den Angeklagten nicht die Schuld abnehmen. Hitler hat nicht alle Verantwortlichkeit mit ins Grab genommen. Nicht alle Schuld ist in Himmlers Leichentuch eingehüllt.

Es waren gerade jene Toten, die von diesen Lebenden zu ihren Partnern in der großen verschwörerischen Brüderschaft gewählt worden sind, und jeder einzelne von ihnen muß für die gemeinschaftlich begangenen Verbrechen büßen.

Man kann wohl sagen, daß Hitlers Hauptverbrechen gegen das Land begangen wurde, das er beherrscht hatte. Er war ein wahnsinniger Messias, der den Krieg ohne Ursache begann und ohne Grund verlängerte. Wenn er nicht herrschen konnte, kümmerte es ihn nicht, was Deutschland widerfuhr. Wie Fritzsche uns vom Zeugenstand aus gesagt hat, hat Hitler versucht, die Niederlage Deutschlands zur Selbstvernichtung des deutschen Volkes zu machen. Er setzte den Kampf fort, als er wußte, daß er nicht mehr gewonnen werden konnte und daß die Fortsetzung nur den Untergang bedeutete.

Speer hat dies in diesem Gerichtssaal folgendermaßen geschildert:

»... Die Opfer, die auf beiden Seiten ab Januar 1945 gebracht wurden, waren sinnlos. Die Toten dieser Periode werden den Verantwortlichen für die Fortsetzung des Kampfes, Adolf Hitler, ebenso anklagen wie die zerstörten Städte, die in dieser letzten Phase noch ungeheure Kulturwerte verlieren mußten und zahlreiche Wohnungen, die der Zerstörung anheimfielen... Das deutsche Volk hat Adolf Hitler bis zum Schluß die Treue gehalten. Er hat es wissentlich verraten. Er hat versucht, es endgültig in den Abgrund zu stürzen.«

Hitler befahl allen anderen, bis zum Ende zu kämpfen und flüchtete dann in den Tod durch eigene Hand. Aber er ging aus dem Leben, wie er gelebt hatte, als Betrüger. Er hinterließ die amtliche Meldung, daß er in der Schlacht gefallen sei.

Das war der Mann, den diese Angeklagten zum Führer erhoben hatten. Sie waren es, die konspirierten, um ihm die unumschränkte Macht in ganz Deutschland zu verschaffen. Am Ende brachte er und das System, das sie für ihn geschaffen hatten, für sie alle den Untergang. So wie es Speer im Kreuzverhör gesagt hat:

»Aber die ungeheure Gefahr, die in diesem autoritären System liegt, wurde eigentlich erst recht klar in dem Moment, in dem es dem Ende entgegenging. In diesem Moment konnte man sehen, was das Prinzip bedeutet hat, daß jeder Befehl ohne jede Kritik durchzuführen war. Daß, wie es hier im Prozeß vorkam, Befehle, die ohne jede Rücksicht durchgeführt wurden, sich letzten Endes... als ein Fehler... erwiesen haben. Durch den Abschluß dieses Systems ist erwiesen worden, welche ungeheuren Gefahren in einem derartigen System an sich lagen... Die Verbindung Hitlers mit diesem System hat dann diese ungeheure Katastrophe über die Welt gebracht.«

Aber lassen Sie mich einen Augenblick lang den Advocatus diaboli spielen. Ich gebe zu, daß Hitler der Hauptübeltäter war. Aber es ist von den Angeklagten weder männlich noch wahrhaft, allen Tadel auf ihn zu lenken. Wir wissen, daß selbst ein Staatsoberhaupt den gleichen Beschränkungen hinsichtlich seiner Sinne und hinsichtlich der Stunden seines Tages unterliegt wie geringere Leute. Er muß sich auf andere verlassen, für ihn Auge und Ohr zu sein für das meiste von dem, was in einem großen Reich vor sich geht. Andere Beine müssen seine Aufträge erfüllen gehen; andere Arme müssen seine Pläne ausführen. Auf wen hat sich Hitler in diesen Dingen mehr verlassen als auf diese Männer auf der Anklagebank? Wer, wenn nicht Göring, machte ihn glauben, daß er eine unbesiegbare Armada in der Luft besitze? Wer hat ihm unangenehme Nachrichten vorenthalten? War es nicht Göring, der Feldmarschall Milch verbot, Hitler zu sagen, daß seiner Ansicht nach Deutschland einem Krieg gegen Rußland nicht gewachsen sei? War es nicht Göring, der nach Speers Aussage General Galland seines Luftwaffenkommandos enthob, weil er über die Schwächen und Pfuschereien der Luftwaffe gesprochen hatte? Wer, wenn nicht Ribbentrop, von Neurath und von Papen, veranlaßte Hitler, der selbst nie Reisen unternommen hatte, an die Unentschlossenheit und Furchtsamkeit demokratischer Völker zu glauben? Wer nährte seine Illusion von der deutschen Unbesiegbarkeit, wenn nicht Keitel, Jodl, Raeder und Dönitz. Wer schürte seinen Haß gegen die Juden mehr als Streicher und Rosenberg? Wer, so würde Hitler sagen, täuschte ihn über die Konzentrationslager, wenn nicht Kaltenbrunner, ebenso wie er auch uns täuschen möchte. Diese Männer hatten Zutritt zu Hitler, sie konnten oft die Informationen kontrollieren, die ihn erreichten und auf die er seine Politik und seine Befehle gründen mußte. Sie waren die Prätorianergarde, und obwohl sie den Befehlen des Cäsars unterstanden, befand sich der Cäsar stets in ihrer Gewalt.

Wenn diese toten Männer im Zeugenstand erscheinen und auf das antworten könnten, was gegen sie ausgesagt Worden ist, dann hätten wir vielleicht ein weniger verzerrtes Bild von der Rolle, die diese Angeklagten gespielt haben. Stellen Sie sich die Erregung vor, die bei den Angeklagten entstehen würde, wenn sie Adolf Hitler dem Zeugenstand zuschreiten sehen würden, oder Himmler mit, einem Arm voll Akten, oder Goebbels, oder Bormann mit den Berichten seiner Parteispione, oder die ermordeten Röhm und Canaris! Die leichenschänderische Verteidigung, daß die Welt nur berechtigt sei, Vergeltung an Leichen zu üben, ist ein Argument, der Verbrechen würdig, auf die es sich bezieht.

Wir haben diesem Gerichtshof eine klare Anklage vorgetragen, gegründet auf belastende Urkunden, die genügen würden, ohne jede weitere Erklärung zu einem Schuldspruch nach Punkt 1 der Anklage für jeden Angeklagten zu führen. Bei der schließlichen Untersuchung ist die einzige Frage die, ob dem eigenen Zeugnis der Angeklagten gegenüber den Dokumenten und anderen Beweisen für ihre Schuld Glauben geschenkt werden soll. Welchen Wert haben also ihre Aussagen?

Tatsächlich entzieht die Nazi-Gewohnheit, sich der Wahrheit nur äußerst sparsam zu bedienen, ihrer eigenen Verteidigung die Fundamente. Die Lüge ist stets eine hochgeschätzte Technik der Nazis gewesen. Hitler hat in »Mein Kampf« das Lügen als Politik empfohlen. Von Ribbentrop gibt den Gebrauch von »diplomatischen Lügen« zu. Keitel riet, daß die Tatsachen der Wiederaufrüstung geheimgehalten werden sollten, damit sie in Genf abgeleugnet werden könnten (EC-117). Raeder vollführte Täuschungsmanöver bei dem Wiederaufbau der deutschen Kriegsmarine in Verletzung des Versailler Vertrags. Göring drängte Ribbentrop dazu, dem britischen Außenamt eine »legale Lüge« über den Anschluß zu erzählen, und indem er es tat, wies er ihm den Weg, den er selbst ging (2947-PS). Göring gab den Tschechen sein Ehrenwort und brach es dann (TC-027). Selbst Speer schlug vor, die Franzosen zu täuschen, um sie zur Bekanntgabe der besonders ausgebildeten Kriegsgefangenen zu veranlassen (R-124).

Aber die direkte Lüge ist nicht ihr einziges Mittel zur Falschheit. Sie alle sprechen mit einer Nazi-Doppelzüngigkeit, um die Unachtsamen zu täuschen. In dem Lexikon der Nazis von zynischen Euphemismen bedeutete der Ausdruck »Endlösung der Judenfrage« die Ausrottung, »Sonderbehandlung« von Kriegsgefangenen bedeutete Tötung, »Schutzhaft« war gleichbedeutend mit Konzentrationslager, »Arbeitsdienstpflicht« bedeutete Sklavenarbeit, und ein Befehl, eine »feste Haltung einzunehmen« oder »positive Maßnahmen zu ergreifen« hieß, mit zügelloser Grausamkeit vorzugehen. Bevor wir ihre Worte als das gelten lassen, was sie auf den ersten Eindruck zu sein scheinen, müssen wir immer erst nach ihrer verborgenen Bedeutung suchen. Göring hat uns unter Eid versichert, daß der Reichsverteidigungsrat »als solcher« niemals zusammengetreten ist. Als wir die stenographischen Protokolle der Sitzung, bei der er den Vorsitz führte und am meisten redete, vorlegten, erinnerte er uns an die Worte »als solcher« und erklärte, daß es sich nicht um eine Sitzung des Rates »als solchen« gehandelt habe, weil auch andere Personen anwesend waren. Göring leugnet, die Tschechoslowakei »bedroht« zu haben, er hat nur dem Präsidenten Hácha erklärt, daß es ihm »leid täte, wenn er das schöne Prag bombardieren müßte«.

Neben völlig falschen Erklärungen und Doppelzüngigkeiten gibt es auch andere Umgehungen der Wahrheit in Gestalt von phantastischen Auslegungen und absurden Bekenntnissen. Streicher hat feierlich erklärt, daß sein einziger Gedanke hinsichtlich der Juden gewesen sei, sie auf die Insel Madagaskar umzusiedeln. Seine Gründe für die Zerstörung von Synagogen, so erklärte er gelassen, seien der Umstand gewesen, daß sie architektonisch anstößig wirkten. Rosenberg, so berichtete sein Verteidiger, habe immer eine »ritterliche Lösung« der Judenfrage vorgeschwebt. Ribbentrop wollte uns glauben machen, daß der österreichische Kanzler Schuschnigg, als es notwendig geworden war, ihn nach dem Anschluß zu entfernen, sich in einer »Villa« aufgehalten habe. Es blieb dem Kreuzverhör vorbehalten, zu enthüllen, daß die »Villa« das Konzentrationslager Buchenwald war. Das Protokoll ist gefüllt mit anderen Beispielen von Heucheleien und Ausreden. Selbst Schacht zeigte, daß auch er sich die Nazi-Ansicht zu eigen gemacht hatte, daß Wahrheit alles das ist, was Erfolg hat. Als ihm im Kreuzverhör eine längere Liste von gebrochenen Eiden und falschen Versprechungen vorgehalten wurde, sagte er zu seiner Rechtfertigung wörtlich, ich zitiere:

»Ich glaube, Sie können sehr viel mehr Erfolge erzielen, wenn Sie jemanden leiten wollen, wenn sie ihm nicht die wahren Gründe sagen, als wenn Sie sie ihm sagen.«

Das war die Philosophie der Nationalsozialisten. Kann es irgend jemanden überraschen, daß sie ihre lebenslange Gewohnheit hier auf der Anklagebank beibehalten, nachdem sie Jahre hindurch die Welt getäuscht und Falschheit mit dem Schein der Wahrheit maskiert hatten? Die Glaubwürdigkeit ist einer der wichtigsten Punkte dieses Verfahrens. Nur diejenigen, die die bitteren Lehren der letzten Dekade nicht beherzigt haben, können daran zweifeln, daß Männer, die sich immer die verdachtlose Leichtgläubigkeit großmütiger Gegner zunutze gemacht haben, zögern würden, heute das gleiche zu tun.

Angesichts dieses Hintergrundes verlangen diese Angeklagten heute von diesem Gerichtshof sie für nichtschuldig zu erklären an der Planung, Ausführung oder Verschwörung zur Begehung dieser langen Liste von Verbrechen und Unrecht. Sie stehen vor dem Material dieses Prozesses wie der blutbefleckte Gloucester an der Bahre seines erschlagenen Königs. Er bat die Witwe, wie die Angeklagten Sie bitten: Sage, daß ich sie nicht erschlagen habe!, und die Königin antwortet: Dann sage, sie seien nicht erschlagen worden! Aber sie sind tot!

Wenn Sie von diesen Männern sagen sollten, daß sie nicht schuldig seien, so wäre es ebenso wahr zu sagen, daß es keinen Krieg gegeben habe, daß niemand erschlagen und kein Verbrechen begangen worden sei.

VORSITZENDER: Ich rufe den Hauptankläger für das Vereinigte Königreich von Großbritannien.

JUSTICE JACKSON: Wäre es dem Gerichtshof angenehm, daß Sir Hartley Shawcross seine Ansprache nach der Pause beginnt?

VORSITZENDER: Ja. Dann werden wir wieder um Viertel vor 2.00 Uhr die Sitzung fortsetzen.

JUSTICE JACKSON: Für das Protokoll möchte ich noch folgendes hinzufügen: Ich habe dem Gerichtshof und den Anwälten Kopien des Plädoyers mit Fußnoten zu den Akten überreicht. Diese Fußnoten sind natürlich dazu bestimmt, die Aufmerksamkeit der Gegenpartei und des Gerichtshofs nochmals auf die zur Unterstützung herangezogenen Daten aus dem Prozeßmaterial zu lenken. Ich dachte, daß sie bei der Lektüre nützlich sein würden.

VORSITZENDER: Ich danke Ihnen. Der Gerichtshof wird nunmehr die Sitzung unterbrechen.