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[Das Gericht vertagt sich bis

29. Juli 1946, 10.00 Uhr.]

Einhundertneunundachtzigster Tag.

Montag, 29. Juli 1946.

Vormittagssitzung.

VORSITZENDER: Ich rufe den Hauptanklagevertreter der Provisorischen Regierung der Französischen Republik, Herrn Champetier de Ribes.

M. AUGUSTE CHAMPETIER DE RIBES, HAUPTANKLÄGER FÜR DIE FRANZÖSISCHE REPUBLIK: Herr Präsident, meine Herren Richter! Bevor ich mit der Schlußansprache der Französischen Anklagebehörde beginne, möchte ich dem Gerichtshof die Bewunderung und den Dank meines Landes zum Ausdruck bringen für die Objektivität und die Ruhe, mit welcher diese Verhandlungen durchgeführt worden sind.

Seit neun Monaten werden mehr als 15 Jahre Geschichte in diesem Gerichtssaal wachgerufen.

Die Archive Deutschlands, jene, die die Nazis vor ihrer Niederlage nicht verbrannt haben, haben uns ihre Geheimnisse enthüllt.

Wir haben zahlreiche Zeugen gehört, deren Erinnerungen ohne diesen Prozeß für die Geschichte verloren gewesen wären.

Alle Tatsachen sind mit strenger Objektivität dargelegt worden, die niemals Platz gelassen hat für die Leidenschaft, ja nicht einmal für das Gefühl. Der Gerichtshof hat alles, was ihm ungenügend bewiesen erschien und alles, was als vom Geist der Rache diktiert hätte erscheinen können, von der Verhandlung ausgeschlossen.

Die Bedeutung dieses Prozesses liegt vor allem in seiner historischen Wahrheit.

Dank ihm wird der Historiker der Zukunft wie der Chronist der Gegenwart die Wahrheit über die politischen, diplomatischen und militärischen Ereignisse der tragischsten Epoche unserer Geschichte erfahren; er wird sowohl die Verbrechen des Nazismus wie das Zaudern, die Schwächen und das Zurückweichen der friedliebenden Demokratien kennenlernen.

Er wird erfahren, daß das Werk von 20 Jahrhunderten einer Zivilisation, die sich für ewig erachtete, durch die Rückkehr einer neuen wilderen und wissenschaftlicheren Form der antiken Barbarei beinahe zusammengestürzt ist.

Er wird wissen, daß die Fortschritte der Technik, die modernen Propagandamittel, die satanischen Verfahren einer Polizei, die die elementarischen Regeln der Menschlichkeit mißachtete, einer Minderheit von Verbrechern erlaubt haben, innerhalb einiger Jahre das Kollektivgewissen eines großen Volkes zu deformieren und die Nation, von der Dr. Sauter am Schluß seines Plädoyers für Schirach erklärt hat, daß sie treu, anständig und reich an Tugenden sei, die Nation Goethes und Beethovens in die Nation Hitlers, Himmlers und Goebbels' zu verwandeln, um nur die Toten zu erwähnen.

Er wird erfahren, daß das Verbrechen dieser Männer hauptsächlich in dem gigantischen Plan einer Weltherrschaft liegt und in dem Willen, sie mit allen Mitteln zu verwirklichen.

Mit allen Mitteln, das heißt ohne Zweifel durch Wortbrüchigkeit und durch Entfesselung des schrecklichsten aller Angriffskriege, vor allem jedoch durch die methodische, wissenschaftliche Vernichtung von Menschen, namentlich bestimmter nationaler oder religiöser Gruppen, die der Hegemonie der germanischen Rasse im Wege waren.

Ein so ungeheuerliches, bis zur Entstehung des Hitlerismus in der Geschichte unbekanntes Verbrechen, daß zu seiner Charakterisierung das neue Wort »Genocidium« geschaffen und zu seiner Glaubhaftmachung Dokumente und Aussagen angehäuft werden mußten.

Daß dieses Verbrechen zur Schande der Zeit, in der wir leben, möglich war, hat die vollkommene Zusammenarbeit der vier Anklagebehörden bewiesen, und im Rahmen der Anklagepunkte, die es sich vorbehalten hatte, glaubt Frankreich, seinen Beitrag zu dem gemeinsamen Werke geleistet zu haben.

Während vor dem Gerichtshof die Angeklagten und ihre Verteidiger sehr ausführlich über den der unschuldigen Zivilbevölkerung zustehenden Schutz als einem selbstverständlichen Grundsatz gesprochen haben, konnten wir feststellen, daß die Angeklagten diesen Grundsatz mit Überlegung verletzt haben, indem sie diese Zivilbevölkerung mit der vollkommensten Mißachtung des menschlichen Lebens behandelten.

Ist es nötig, an das schreckliche Wort des Angeklagten Keitel zu erinnern, »daß das menschliche Leben in den besetzten Gebieten weniger als nichts gilt«?

In Anknüpfung an eine Tradition, die die primitivsten Kriegsgebräuche symbolisiert, haben die Angeklagten das Geiselsystem wieder zu Ehren gebracht. Sie haben allgemeine Befehle zur Gefangennahme und Exekution von Tausenden von Märtyrern unterzeichnet und erteilt. In Frankreich allein sind 29000 Geiseln erschossen worden.

Wir wissen, daß die Kämpfer der Widerstandsbewegung, deren Patriotismus die Angeklagten heute bewundern, massakriert, gefoltert und zu ihrer allmählichen Vernichtung interniert worden sind. Daß man unter dem Vorwand der Repressalie, sei es in Ausführung von Befehlen, sei es in Ausführung von individuellen Grausamkeitsakten, die von der Mittäterschaft der Befehlshaber gedeckt wurden, willkürlich ausgesuchte Zivilpersonen exekutierte, und daß man ganze Dörfer niederbrannte:

Oradour-sur-Glane, Maillé in Frankreich, Putten in Holland, sind nicht wieder aus den Ruinen erstanden.

Vor unserem geistigen Auge sind heute noch die grauenhaften Befehle im Operationssektor des Feldmarschalls Kesselring lebendig, die der Bekämpfung der Partisanen durch Terror dienten.

Wir haben gesehen, daß ein Offizier unter dem Titel der Repressalie die Vernichtung von 50, von 100 oder von allen Männern eines Gebietes befahl als Antwort auf Einzelhandlungen, die gegen die deutsche Wehrmacht gerichtet waren. Die Ausführung dieses Befehls erfolgte auf Grund von Anweisungen seitens des Befehlshabers des Kriegsschauplatzes, der seinerseits wieder nach allgemeineren Anweisungen des Angeklagten Keitel handelte. Dieses Beispiel zeigt die vollkommene Zusammenarbeit zwischen den nationalsozialistischen Organisationen und dem Staat und spricht, wenn dies überhaupt noch nötig ist, für die solidarische Verantwortlichkeit der Leiter des Regimes.

Wir wissen, daß Tausende von Menschen von ihrem Heim weggerissen und gezwungen wurden, die Waffen gegen ihr eigenes Land zu schmieden.

Die schlechte Behandlung, welche die Kombattanten erfuhren, hat uns noch schmerzlicher verletzt, denn Deutschland – wenn es sich um das traditionelle Deutschland handelt, um Nazi-Deutschland an der Macht, oder um Deutschland, das seine armseligen Verteidigungsargumente von der Bank der Angeklagten aus darlegt – hat stets die allgemein gültigen Regeln der soldatischen Ehre und die allen Kombattanten zustehende Achtung für sich in Anspruch genommen. Und doch haben wir gesehen, daß Keitel selbst, der Verfechter dieser Ideen, als er sie am Ende seiner Erklärungen im Zeugenstand in Erinnerung rief, die Wilhelmstraße und seinen Mitangeklagten Göring drängte, seine verbrecherischen Vorschläge über die Behandlung der in ihre Macht gefallenen Flieger gutzuheißen.

Dokumente wie die Aussagen von Grunner lassen keinen Zweifel darüber, daß die verbrecherischen Befehle, die auf Vernichtung oder Lynchen von Fliegern hinzielten, tatsächlich in regelrechter Form an die mit ihrer Durchführung beauftragten Organe übermittelt worden sind.

Es besteht keinerlei Zweifel mehr über die Grundsätze, die bei der Abfassung des Befehls über die Kommandos vorherrschend waren, noch über die Durchführung dieses Befehls auf den verschiedenen Kriegsschauplätzen. Die Anklage hat zu diesem Punkt ein Bündel von schlagenden Beweisen geliefert.

Unsere Bestürzung ist noch größer gewesen, als wir die Gewißheit erlangten, daß grausame Befehle erteilt wurden, um Menschen zu exekutieren oder zur Ausrottung zu internieren, die schon durch ihre Haft in den Gefangenenlagern auf Gnade oder Ungnade ausgeliefert waren. Die dunkle Affäre von Sagan, die im Laufe dieser Verhandlungen oft erwähnt wurde, ist uns in lebhafter Erinnerung. Die Angeklagten selbst beschränken sich auf den Versuch, ihre persönliche Verantwortung abzubiegen, ohne weder die Scheußlichkeit und die Wirklichkeit der Tatsachen zu verkennen. Wir haben gezeigt, wie die sich widersetzenden flüchtigen Offiziere oder Unteroffiziere, deren früheres Verhalten und deren Haltung ihre moralische Stärke offenbarten, durch die »Kugel-Aktion« vernichtet wurden.

Schließlich hat Nazi-Deutschland durch die systematische Organisation der Ausrottung der Bevölkerung in den besetzten Gebieten seinen Expansions- und Weltherrschaftsplan enthüllt.

Diese Politik verwirklichten sie, wie wir bewiesen haben, vor allem durch politische, wirtschaftliche und moralische Vernichtung der besetzten Nationen. Die Mittel dazu waren die brutale oder graduelle Ergreifung der Souveränität oder die minuziöse Einmischung der deutschen Behörden auf allen Gebieten, die Aufstellung und unerbittliche Durchführung eines Programms wirtschaftlicher Plünderung, um die Erschöpfung des besetzten Landes herbeizuführen und seine völlige Auslieferung an die Besatzungsmacht, schließlich die Nazifizierung des Staates und der Menschen, verbunden mit der Zerstörung der kulturellen und moralischen Werte.

Aber diese methodische Ausrottung vollzog sich auch auf dem konkreten Gebiet des systematischen Mordes an Menschen.

Ist es erforderlich, in das Gedächtnis zurückzurufen die gigantischen Vernichtungen ganzer Gruppen, die als nichtassimilierbar für die nationalsozialistische Welt angesehen wurden, den ungeheueren Friedhof der Konzentrationslager, wo 15 Millionen Menschen umgekommen sind, das abscheuliche Werk der Einsatzgruppen, von General Ohlendorf mit unwiderlegbarer Genauigkeit beschrieben.

Wir glauben, auch den Beweis für jene Versuche einer verderblichen Ausrottung erbracht zu haben, die bei näherer Prüfung eine der vollkommensten Ausdrucksformen der von den Angeklagten verfolgten Politik sind. Ich spreche von dem gewollten Zustand der Unterernährung, der die Nicht-Deutschen, die aus irgendeinem Grunde unter die Nazi-Herrschaft geraten waren, unterworfen wurden, von der Aushungerung ganzer Völker als Vergeltungsmaßnahme, von der im Rahmen der Plünderung eines Gebietes durchgeführten harten Lebensmittelrationierung, der die Zivilpersonen in den besetzten Gebieten ausgesetzt wurden. Der Gerichtshof wird sich der Ansprache Görings an die Gauleiter erinnern, die unter der Nummer USSR- 170 vorgelegt worden ist.

»Es ist mir dabei gleichgültig, ob Sie sagen, daß Ihre Leute wegen Hungers umfallen. Mögen sie das tun, solange nur ein Deutscher nicht wegen Hungers umfällt.«

Und weiter in Bezug auf Holland:

»Aber wir haben nicht die Aufgabe, ein Volk, das uns innerlich ablehnt, auch mitzuernähren. Wenn dieses Volk so schwach ist, daß es keine Hand mehr heben kann, wo wir es nicht zur Arbeit gebrauchen, – um so besser.«

Die Hungersnot, das physiologische Elend und die dadurch bedingte Herabminderung der Lebenskraft, alles das reiht sich wie die langsame Erschöpfung der politischen Internierten und der Kriegsgefangenen ein in den Plan für die Ausrottung der Bevölkerung zur Freimachung des deutschen Lebensraumes.

Den gleichen Zweck verfolgte die völlige oder teilweise Gefangenhaltung der deportierten Arbeitskräfte, junger und gesunder Menschen, deren Anwesenheit im Interesse der Zukunft ihres Landes erforderlich war.

Alles das ist uns durch die Ergebnisse der letzten Volkszählung bestätigt worden.

Sie zeigen einen Bevölkerungsrückgang von 5 bis 25 Prozent in allen von Deutschland besetzten Ländern, während Deutschland selbst das einzige Land Europas ist, dessen Bevölkerung zugenommen hat.

Alle diese Verbrechen haben wir bewiesen. Nach Vorlage unserer Dokumente, nach Vernehmung der Zeugen, nach der Vorführung der Filme, der selbst die Angeklagten nicht ohne Schaudern beigewohnt haben, wird niemand auf der Welt mehr behaupten können, daß die Vernichtungslager, die erschossenen Gefangenen, die massakrierte Bevölkerung, die Berge von Leichen, die Scharen von an Leib und Seele geschädigten Menschen, die Folterwerkzeuge, Gaskammern und Verbrennungsöfen, niemand wird behaupten können, daß alle diese Verbrechen nur in der Einbildung der antideutschen Propagandisten bestanden haben.

Auch hat keiner der Angeklagten die Wahrhaftigkeit der Tatsachen, die wir angeführt haben, bestritten. Da sie sie nicht leugnen konnten, versuchen sie lediglich, die Verantwortung abzuwälzen, indem sie das Andenken an jene ihrer Mitschuldigen belasten, die sich selbst gerichtet haben.

Wir haben von den Greueltaten nichts gewußt, sagen sie, oder wir haben alles getan, um sie zu verhindern, aber Hitler, allmächtig, befahl sie und duldete nicht, daß man ungehorsam war oder auch nur sein Amt niederlegte.

Armselige Verteidigung! Wen wollen sie glauben machen, daß nur sie allein keine Ahnung hatten von all dem, was die ganze Welt wußte, und daß ihre Horchposten ihnen niemals von den feierlichen Warnungen gesprochen haben, die die führenden Männer der Vereinten Nationen über den Rundfunk an die Kriegsverbrecher gerichtet haben?

Sie konnten den Befehlen Hitlers nicht ungehorsam sein und nicht einmal ihr Amt niederlegen? Aber nicht doch. Hitler konnte wohl über ihren Körper verfügen, jedoch nicht über ihren Willen. Sie würden durch Ungehorsam vielleicht ihr Leben verloren haben, aber sie hätten zumindest ihre Ehre bewahrt. Feigheit ist niemals eine Entschuldigung, nicht einmal ein mildernder Umstand gewesen.

Die Wahrheit ist, daß alle die Lehre des Nationalsozialismus, weil sie an ihrer Ausarbeitung teilgenommen hatten, genau kannten, ebenso Hitlers Streben nach der Weltherrschaft, von dem sie sehr gut wußten, zu welch ungeheuerlichen Verbrechen es in fataler Weise die Anhänger und Ausführenden hinriß und daß sie die Verantwortung dafür ebenso übernommen hatten, wie sie die materiellen und moralischen Vorteile genossen, die ihnen in reichlichem Maße von dem Regime dargeboten wurden. Sie glaubten sich jedoch der Straflosigkeit versichert, weil sie des Sieges sicher waren und annahmen, daß angesichts der triumphierenden Gewalt die Frage nach einer Gerechtigkeit nicht gestellt werden würde. Sie waren davon überzeugt, daß sie von keiner internationalen Gerichtsbarkeit jemals belangt werden könnten, wie dies auch nach dem Krieg von 1914 der Fall gewesen war. Sie glaubten, daß das pessimistische Urteil Pascals über die menschliche Gerechtigkeit in den internationalen Beziehungen stets wahr bleiben würde:

»Über die Gerechtigkeit läßt sich streiten. Die Gewalt ist leicht erkennbar und kann nicht bestritten werden. Da man also das Gerechte nicht stark machen konnte, hat man das Starke gerecht gemacht.«

Sie haben sich getäuscht. Seit Pascal haben sich die Begriffe Moral und Gerechtigkeit langsam aber sicher entwickelt und in den internationalen Gebräuchen der zivilisierten Völker Gestalt angenommen, und um die Welt vor der Barbarei zu retten, hat der Sieg der Vereinten Nationen nunmehr bewirkt, daß sich heute die Macht und die Gerechtigkeit begegnen. Die Gerechtigkeit, die das Statut, durch das Ihr Gerichtshof eingesetzt ist, fordert und die Ihr Urteil verwirklichen wird.

Der Gerichtshof erinnert sich zweifellos daran, daß die Französische Anklagebehörde am Ende ihres Anklagevorbringens die Verantwortlichkeit aller Angeklagten festgestellt hat.

Sie sind schuldig in ihrer Eigenschaft als oberste hitlerische Führer des deutschen Volkes, Morde und andere unmenschliche Taten erdacht, gewollt und befohlen oder auch nur stillschweigend geduldet zu haben, Taten, die entweder systematisch begangen wurden, indem man Kriegsgefangenen oder Zivilisten systematisch Gewalt antat oder indem man systematisch ungerechtfertigt Verwüstungen anrichtete als vorbedachtes Mittel zur Durchführung des Planes einer Beherrschung Europas und der ganzen Welt mit Hilfe von Terror und zur Ausrottung ganzer Bevölkerungen, um den Lebensraum des deutschen Volkes zu erweitern.

Es bleibt uns nur noch zu beweisen, daß die Verhandlungen, die sich vor uns abgerollt haben, die Anschuldigungen und Bewertungen nur bestätigt und verstärkt haben, die wir zu Beginn des Prozesses gegen die Hauptverbrecher bereits vorgebracht haben, welche die Vereinten Nationen Ihrem Gerichtshof in Befolgung des Statuts und zur Befriedigung der Forderungen der Gerechtigkeit überantwortet haben.

Ich bitte den Gerichtshof nunmehr, dem Herrn Ankläger Dubost zu gestatten, seine Ausführungen vorzubringen.

M. CHARLES DUBOST, STELLVERTRETENDER HAUPTANKLÄGER FÜR DIE FRANZÖSISCHE REPUBLIK: So sind die Tatsachen, die von der Französischen Delegation dargelegt worden sind. Ihre Erwähnung war notwendig, um unseren Beitrag zu diesem Prozeß aufzuzeigen. Wir wollen aber unser Werk von dem Ganzen, wie es aus den Vorträgen der drei anderen Delegationen und den Verhandlungen hervorgeht, nicht abtrennen. Indem wir uns auf dieses Ganze stützen, wollen wir unser Anklagevorbringen fortsetzen und die persönliche Verantwortlichkeit der Angeklagten untersuchen.

Im einzelnen betrachtet können die Vorgänge, für die sie verantwortlich sind, auf Mord, Diebstahl und andere schwere Vergehen gegen Personen und Güter zurückgeführt werden, die in allen zivilisierten Ländern stets der Bestrafung unterliegen. Herr de Menthon hat dies schon in seiner einleitenden Rede dargelegt.

Die Angeklagten haben diese Verbrechen nicht materiell begangen; sie haben sich damit begnügt, sie anzuordnen. Sie sind also Mittäter im technischen Sinn des Wortes im französischen Recht. Abgesehen von einigen Formunterschieden werden in den meisten Ländern für schwere Verbrechen die Täter und auch ihre Komplicen mit der Todesstrafe oder anderen sehr schweren Strafen, wie Zwangsarbeit oder Gefängnis, bestraft. So ist der angelsächsische Brauch beschaffen. Dies ergibt sich auch in Frankreich aus der Anwendung der Artikel 221 und folgende, 379 und folgende, 59 und folgende des französischen Strafgesetzbuches. Artikel 211 des deutschen Strafgesetzbuches bestraft in Deutschland den Mord, Artikel 212 den Totschlag, die Artikel 223 bis 226 die Folterungen, Artikel 229 die Vergiftung und den Mord durch Gase, Artikel 234 die Versklavung, die Herabwürdigung zur Dienstleistung und Einziehung zu einem Militärdienst im Ausland, die Artikel 242 und 243 die Diebstähle und Plünderungen, und Artikel 130 die Aufhetzung der Bevölkerung zur Gewalt. Der Fall der Komplicen und Mittäter ist in den Artikeln 47 und 49 vorgesehen.

Analoge Bestimmungen bestehen in der sowjetischen Gesetzgebung. Daß diese Männer als führende Personen des Reiches, als Komplicen des Führers, alle verantwortlich sind für die Verbrechen, die unter ihrer Herrschaft verübt wurden, und daß vor dem Weltgewissen ihre Verantwortung schwerer wiegt als die der einfachen Ausführenden, haben zwei Angeklagte zugegeben: Frank und von Schirach; Frank sagte: Ich habe niemals Judenvernichtungslager eingerichtet oder gefördert, aber wenn Adolf Hitler persönlich diese furchtbare Verantwortung auf sein Volk gewälzt hat, dann betrifft sie auch mich, denn wir haben den Kampf gegen das Judentum jahrelang geführt, und wir haben uns in Äußerungen ergangen...

Und diese letzten Worte Franks verurteilen mit ihm alle jene, die in Deutschland oder anderswo den Hetzfeldzug gegen die Juden durchführten.

Beachten wir noch die Antwort Franks auf die Frage seines Verteidigers bezüglich der durch die Anklageschrift gegen ihn erhobenen Beschuldigungen. Sie spricht gegen alle Angeklagten und noch mehr gegen alle diejenigen, die Hitler noch näher standen als er:

»Zu diesen Beschuldigungen habe ich nur zu sagen«, sagte Frank, »daß ich das Gericht bitte, das Ausmaß meiner Schuld am Ende der Gesamtverhandlungen über meinen Fall festzustellen.

Ich selbst möchte aber hier ganz aus der Tiefe meines Empfindens und das dem Erleben der fünf Monate dieses Prozesses heraus sagen, daß ich, nachdem ich nunmehr den letzten Einblick gewonnen habe in all das, was an furchtbarem Grauen geschehen ist, das Gefühl einer tiefen Schuld in mir trage.«

Von Schirach seinerseits hat gesagt:

»Es ist meine Schuld, die ich fortan vor Gott, vor meinem deutschen Volk und vor unserer Nation trage, daß ich die Jugend dieses Volkes für einen Mann erzogen habe, den ich lange, lange Jahre als Führer und als Staatsoberhaupt als unantastbar ansah, daß ich für ihn eine Jugend bildete, die ihn sah wie ich. Es ist meine Schuld, daß ich die Jugend erzogen habe für einen Mann, der ein millionenfacher Mörder gewesen ist...

Wer aber nach Auschwitz noch an der Rassenpolitik festhält, macht sich schuldig. Das ist, was ich zum Fall Höß zu erklären für meine Pflicht halte.«

Solche Schreie des Gewissens waren selten im Verlaufe dieses Prozesses; viel öfter versuchten die Angeklagten, in Nachahmung des eitlen Redeschwalls Görings, sich im Namen eines politischen Neo-Machiavellismus, der die Staatshäupter von jeder persönlichen Verantwortung entbinden soll, zu rechtfertigen. Wir stellen fest, daß nichts dergleichen und an keiner Stelle in der Gesetzgebung irgendeines zivilisierten Landes geschrieben steht und daß im Gegenteil die willkürlichen und gegen die persönliche Freiheit, die bürgerlichen Rechte oder die Verfassung gerichteten Handlungen um so schwerer bestraft werden, wenn sie von einem öffentlichen Funktionär oder einem Regierungsbeamten von höherem Range begangen wurden, und daß die schwerste Strafe die Minister selbst trifft. (Artikel 114 und 115 des französischen Strafgesetzbuches.)

Aber wir wollen uns auf diesen Punkt beschränken. Wir wollen nur daran erinnern, daß die hauptsächlichen Taten, die den Angeklagten zur Last gelegt werden, einzeln als Verletzungen der Strafgesetze jedes positiven inneren Rechtes jedes zivilisierten Landes angesprochen werden können oder als Verletzungen des von Herrn de Menthon bereits entwickelten gemeinsamen internationalen Rechtes, das hier als Wurzel des internationalen Brauchs vorgeschlagen worden ist; deshalb ist die Züchtigung für jede dieser Taten nicht unbegründet, im Gegenteil, wenn man sich an diese erste analytische Betrachtung hält, sind die schwersten Strafen schon verdient.

Es ist jedoch notwendig, darüber hinauszugehen, denn obwohl diese Anklage keine strafbare Tat als solche übergeht, ist die Analyse der Verantwortlichkeit der Angeklagten im Licht der Gesetze nur eine erste Schätzung, die uns ermöglichen würde, die Angeklagten als Mittäter, nicht jedoch als Hauptschuldige zu zeigen. Und wir wollen rasch den Beweis erbringen, daß sie tatsächlich die Hauptschuldigen gewesen sind.

Wir hoffen, das zu erreichen, indem wir die drei folgenden Sätze entwickeln:

Erstens, die Handlungen der Angeklagten bilden die Elemente eines verbrecherischen politischen Planes.

Zweitens, die Koordinierung der verschiedenen Dienstzweige, an deren Spitze diese Männer standen, schließt ihre enge Zusammenarbeit bei der Verwirklichung ihrer verbrecherischen Politik in sich.

Drittens, sie sollen kraft dieser verbrecherischen Politik gerichtet werden.

Die Handlungen der Angeklagten bilden die Elemente eines verbrecherischen politischen Planes.

Die Angeklagten haben die verschiedensten Tätigkeiten ausgeübt. Als Politiker, Diplomaten, Militärs, Seeleute, Wirtschafts- und Finanzleute, Juristen, Publizisten oder Propagandisten vertreten sie fast alle Formen der freien Tätigkeit. Ohne Zögern erkennt man jedoch das Band, das sie vereint. Alle haben sie ihr Bestes oder ihr Schlechtestes in den Dienst des hitlerischen Staates gestellt. Sie repräsentieren gewissermaßen das Gehirn dieses Staates. Wohl bildeten sie allein nicht den ganzen Staat. Nichtsdestoweniger ist es für niemanden zweifelhaft, daß sie einen wichtigen Bestandteil darstellten. Sie haben die Politik dieses Staates ausgedacht. Sie wollten, daß ihre Gedanken in die Tat umgesetzt werden und haben alle in fast gleichem Maße zu dieser Verwirklichung beigetragen. Dies gilt für Heß und Göring, Berufspolitiker, die gestehen, nie einen anderen Beruf ausgeübt zu haben als den eines Agitators oder Staatsmannes, für Ribbentrop, Neurath und Papen, die Diplomaten des Regimes, für die Militärs Keitel, Jodl, Dönitz oder Raeder, für Rosenberg, Streicher, Frank oder Frick, die Denker der Ideologie des Systems, wenn man sie als Denker bezeichnen kann, für Schacht und Funk, die Finanzleute, ohne welche das Regime Bankrott gemacht hätte und unter der Inflation noch vor der Aufrüstung zusammengebrochen wäre, für Juristen wie Frank, für Publizisten und Propagandisten wie Fritzsche und Streicher, die sich der Verbreitung des gemeinsamen Gedankengutes gewidmet haben, für Techniker wie Speer und Sauckel, ohne die diese Gedanken nie hätten in die Tat umgesetzt werden können, wie dies geschehen ist, für Polizisten wie Kaltenbrunner, die die Geister durch Terror unterwarfen, oder für einfache Gauleiter wie Seyß-Inquart, Schirach und noch einmal Sauckel, Verwalter, Funktionäre der Behörden und gleichzeitig Politiker, die die gemeinsame, von dem gesamten Staats- und Parteiapparat entworfene Politik im Konkreten gestalteten.

Ich weiß wohl, daß der Schatten der Abwesenden über diesem Apparat schwebt und daß die Angeklagten von heute uns daran ohne Unterlaß erinnern. Hitler wollte, Himmler wollte, Bormann wollte, sagen sie. Ich habe nur gehorcht, und ihre Verteidiger überbieten sie. Hitler, der wunderbare und erleuchtete Tyrann, der seinen Willen mit unwiderstehlicher, magnetischer Gewalt aufzuzwingen wußte. Das ist zu einfach. Das ist zu summarisch. Es gibt wohl keinen Menschen, der unzugänglich ist für Vorschläge, Schmeicheleien und Einflüsse, und Hitler entging diesem Gesetz genau so wenig wie irgendein anderer Mensch. Alles, was uns in diesem Prozeß die Kämpfe der Einflüsse, die sich in der Umgebung des »großen Mannes« abspielten, ahnen ließ, zeugt unwiderleglich dafür. Perfide und verschlagen waren die Verleumdungen und Intrigen, die uns während gewisser Phasen dieses Prozesses an die kleinen Höfe der italienischen Renaissance denken ließen. Da gab es alles bis zum Mord. Hat sich nicht Göring nach der Erzählung von Gisevius auf diese Weise, bevor er selbst in Ungnade fiel, Röhms und Ernsts entledigt, die nicht gegen ihren Herren, sondern gegen ihn konspiriert hatten? Soviel Einbildungskraft, soviel Beharrungsvermögen im Übel, aber auch eine derartige Wirksamkeit zeigen uns, daß Hitler den Handlungen und Intrigen seiner Umgebung gegenüber keinesfalls gefühllos war. Warum haben sich diese Intrigen nicht zum Guten ausgewirkt? Für die Zugänglichkeit Hitlers gegenüber Einflüssen haben wir gerade von Schacht ein direktes Zeugnis, das über den Rahmen dieser Männer hinaus die deutschen Massen anklagt, die alle mitgearbeitet haben an der Fälschung des Urteils und an der Aufstachelung krankhafter Leidenschaften.

Hat nicht Schacht über Hitler den Zuhörern gesagt:

»Ich glaube, daß er ursprünglich nicht nur schlechte Absichten hatte. Zweifellos hat er geglaubt, etwas Gutes zu wollen, aber er ist nach und nach diesem Zauber, den er auf die Massen ausübte, selbst erlegen, denn wer sich in die Massenverführung hineinbegibt, wird letzten Endes von der Masse geführt und verführt, und so hat ihn dieses Wechselspiel von Führern und Geführten meines Erachtens mit auf die schlechte Bahn der Masseninstinkte gezogen, von der sich jeder politische Füh rer freihalten sollte.«

Welches war also der große Gedanke aller?

Unabstreitbar der der Eroberung von Lebensraum mit allen Mitteln, auch mit den verbrecherischsten.

Zu einer Zeit, da Deutschland noch entwaffnet ist, wo Vorsicht geboten erscheint, verlangt Schacht, der sich an der Seite Hitlers befindet, Kolonien. Wir erinnern uns der Zeugenaussage Hirschfelds, aber er verschleiert, er maskiert teilweise den großen Gedanken des Staatsapparates, dem er angehört, und diesen Gedanken bloßzustellen, fiel uns wohl weniger leicht, ohne die entwaffnende Naivität des »großen Mannes«, der zehn Jahre früher der Welt alle seine Schlachtpläne enthüllt hatte.

Auszug aus »Mein Kampf«, französischer Text, Seite 641:

»So wird das deutsche Volk seine Zukunft nur als Weltmacht vertreten können. Durch fast zweitausend Jahre war die Interessenvertretung unseres Volkes, wie wir unsere mehr oder minder glückliche außenpolitische Betätigung bezeichnen sollten, Weltgeschichte. Wir selbst sind Zeugen dessen gewesen: denn das gigantische Völkerringen der Jahre 1914-1918 war nur das Ringen des deutschen Volkes um seine Existenz auf dem Erdball; die Art des Vorganges selbst bezeichnen wir aber als Weltkrieg.

In diesen Kampf schritt das deutsche Volk als vermeintliche Weltmacht. Ich sage hier vermeintliche, denn in Wirklichkeit war es keine. Würde das deutsche Volk im Jahre 1914 ein anderes Verhältnis zwischen Bodenfläche und Volkszahl gehabt haben, so wäre Deutschland wirklich Weltmacht gewesen und der Krieg hätte, von allen anderen Faktoren abgesehen, günstig beendet werden können.«

Auszug Seite 647:

»Vorwegnehmen möchte ich dabei folgendes: Die Forderung nach Wiederherstellung der Grenzen des Jahres 1914 ist ein politischer Unsinn von Ausmaßen und Folgen, die ihn als Verbrechen erscheinen lassen. Ganz abgesehen davon, daß die Grenzen des Reiches im Jahre 1914 alles eher als logische waren. Denn sie waren in Wirklichkeit weder vollständig in Bezug auf die Zusammenfassung der Menschen deutscher Nationalität noch vernünftig in Hinsicht auf ihre militär-geographische Zweckmäßigkeit. Sie waren nicht das Ergebnis eines überlegten politischen Handelns, sondern Augenblicksgrenzen eines in keinerlei Weise abgeschlossenen politischen Ringens, ja zum Teil Folgen eines Zufallspieles.«

Auszug Seite 649:

»Die Grenzen des Jahres 1914 bedeuten für die Zukunft der deutschen Nation gar nichts. In ihnen lag weder ein Schutz der Vergangenheit, noch läge in ihnen eine Stärke für die Zukunft. Das deutsche Volk wird durch sie weder seine innere Geschlossenheit erhalten, noch wird seine Ernährung durch sie sichergestellt, noch erscheinen diese Grenzen, vom militärischen Gesichtspunkt aus betrachtet, als zweckmäßig oder auch nur befriedigend, noch können sie endlich das Verhältnis bessern, in dem wir uns zur Zeit den anderen Weltmächten oder, besser gesagt, den wirklichen Weltmächten gegenüber befinden.«

Auszug Seite 650:

»Demgegenüber müssen wir Nationalsozialisten unverrückbar an unserem außenpolitischen Ziele festhalten, nämlich dem deutschen Volk den ihm gebührenden Grund und Boden auf dieser Erde zu sichern. Und diese Aktion ist die einzige, die vor Gott und unserer deutschen Nachwelt einen Bluteinsatz gerechtfertigt erscheinen läßt: Vor Gott, insofern wir auf diese Welt gesetzt sind mit der Bestimmung des ewigen Kampfes um das tägliche Brot, als Wesen, denen nichts geschenkt wird und die ihre Stellung als Herren der Erde nur der Genialität und dem Mute verdanken, mit dem sie sich diese zu erkämpfen und zu wahren wissen; vor unserer deutschen Nachwelt aber, insofern wir keines Bürgers Blut vergossen, aus dem nicht tausend andere der Nachwelt geschenkt werden. Der Grund und Boden, auf dem dereinst deutsche Bauerngeschlechter kraftvolle Söhne zeugen können, wird die Billigung des Einsatzes der Söhne von heute zulassen, die verantwortlichen Staatsmänner aber, wenn auch von der Gegenwart verfolgt, dereinst freisprechen von Blutschuld und Volksopferung.«

Auszug Seite 687:

»Ein Staat, der im Zeitalter der Rassenvergiftung sich der Pflege seiner besten rassischen Elemente widmet, muß eines Tages zum Herrn der Erde werden.«

Auszug Seite 135:

»Ein stärkeres Geschlecht wird die Schwachen verja gen, da der Drang zum Leben in seiner letzten Form alle lächerlichen Fesseln einer sogenannten Humanität der einzelnen immer wieder zerbrechen wird, um an seine Stelle die Humanität der Natur treten zu lassen, die die Schwäche vernichtet, um der Stärke den Platz zu schenken.«

Und dann wuchsen die Kräfte des Staats- und Parteiapparates weiter an. Die heimlich neu aufgestellte Armee war bald stark genug, um Deutschland die offene Wiederaufrüstung zu gestatten. Wer hätte damals die ungeheuerliche Entwicklung dieses biologischen Materialismus zu unterbrechen gewagt? Hitler erläuterte seine Gedanken in kleinem Kreise, und es waren nicht alle Nazis, die seine Erläuterungen anhörten. Aufgeklärt über die Absichten ihres Herrn und Meisters blieben sie an seiner Seite, und dies verurteilt sie. Nicht wahr, Raeder?

»Es handele sich nicht um die Gewinnung von Menschen, sondern von landwirtschaftlich nutzbarem Raum«

sagte Hitler in seiner Besprechung mit von Blomberg, von Fritsch und Raeder vom 5. November 1937.

»Daß jede Raumerweiterung nur durch Brechen von Widerstand und unter Risiko vor sich gehen könne,...« (386-PS).

Nachdem von Fritsch und von Blomberg in Ungnade gefallen waren, hatten Keitel und Jodl, die wegen ihrer Servilität dem Regime gegenüber gewählt worden waren, ein starkes Kriegswerkzeug in Händen. Kurz vor dem Konflikt wiederholte Hitler seinen Gedanken:

»Es heißt vielmehr, die Umstände den Forderungen anzupassen. Ohne Einbruch in fremde Staaten oder Angreifen fremden Eigentums ist dies nicht möglich.

Der Lebensraum, der staatlichen Größe angemessen, ist die Grundlage für jede Macht. Eine Zeitlang kann man Verzicht leisten; dann aber kommt die Lösung der Probleme, so oder so. Es bleibt die Wahl zwischen Aufstieg und Abstieg, in 15 oder 20 Jahren wird für uns die Lösung zwangsweise notwendig. Länger kann sich kein deutscher Staatsmann um die Frage herumdrücken.

Z. Zt. befinden wir uns im Zustand nationalen Hochgefühls in gleicher Gesinnung mit 2 anderen Staaten: Italien und Japan.

Die zurückliegende Zeit ist wohl ausgenutzt worden. Alle Schritte waren folgerichtig auf das Ziel ausgerichtet. Nach 6 Jahren ist die heutige Lage folgende:

Nationalpolitische Einigung der Deutschen ist erfolgt außer kleinen Ausnahmen.

Weitere Erfolge können ohne Bluteinsatz nicht mehr errungen werden....

Danzig ist nicht das Objekt, um das es geht. Es handelt sich für uns um Arrondierung des Lebensraumes im Osten und um die Sicherstellung der Ernährung....

Die Bevölkerung nichtdeutscher Gebiete tut keinen Waffendienst und steht zur Arbeitsleistung zur Verfügung.

Das Problem ›Polen‹ ist von der Auseinandersetzung mit dem Westen nicht zu trennen.« (L-79.)

Das sind Auszüge aus dem Protokoll einer am 23. Mai 1939 in der Reichskanzlei abgehaltenen Besprechung, bei welcher Hitler, Göring, Raeder, Keitel und andere zugegen waren, Dokument L-79, Beweisstück US-27.

Dann kam der Krieg, der in einigen Monaten ganz Deutschland glauben ließ, daß seine Macht unwiderstehlich wäre und daß es zur Welteroberung ausziehen könnte. All das Grausame und Ungeheuerliche lag in Hitlers Worten:

»Demgegenüber müssen wir Nationalsozialisten unverrückbar an unserer Außenpolitik festhalten, nämlich dem deutschen Volk den ihm gebührenden Grund und Boden auf dieser Erde zu sichern. Und diese Aktion ist die einzige, die vor Gott und unserer deutschen Nachwelt einen Bluteinsatz gerechtfertigt erscheinen läßt.« (»Mein Kampf«.)

Und dies wurde entwickelt. Hitler sagte in einer Ansprache über die Ostgebiete am 16. Juli 1941, L-221:

»Wir werden also wieder betonen, daß wir gezwungen waren, ein Gebiet zu besetzen, zu ordnen und zu sichern;... Es soll also nicht erkennbar sein, daß sich damit eine endgültige Regelung anbahnt! Alle notwendigen Maßnahmen – Erschießen, Aussiedeln, etc. – tun wir trotzdem und können wir trotzdem tun.«

Und weiter:

»Dieser Partisanen-Krieg hat auch wieder seinen Vor teil: er gibt uns die Möglichkeit, auszurotten, was sich gegen uns stellt.«

Dasselbe Thema wurde aufgegriffen und zynisch verkündet durch die Wortführer des Staates:

Dieser Prozeß hat dazu das Echo abgegeben: Eine Rede Himmlers, Dokument 1919-PS:

»Das, was in den Völkern an gutem Blut unserer Art vorhanden ist, werden wir uns holen, indem wir ihnen, wenn notwendig, die Kinder rauben und sie bei uns großziehen. Ob die anderen Völker in Wohlstand leben oder ob sie verrecken vor Hunger, das interessiert mich nur soweit, als wir sie als Sklaven für unsere Kultur brauchen, anders interessiert mich das nicht. Ob bei dem Bau eines Panzergrabens zehntausend russische Weiber an Entkräftung umfallen oder nicht, interessiert mich nur soweit, als der Panzergraben für Deutschland fertig wird.«

Aus derselben Rede:

»Wenn mir einer kommt und sagt: Ich kann mit den Kindern oder den Frauen den Panzergraben nicht bauen, das ist unmenschlich, denn dann sterben sie daran! Dann muß ich sagen: Du bist ein Mörder an deinem eigenen Blut, denn, wenn der Panzergraben nicht gebaut wird, dann sterben deutsche Soldaten, und das sind Söhne deutscher Mütter!«

Und über die Ausrottung der Juden:

»Wir wollen nicht am Schluß, weil wir einen Bazillus ausrotteten, an dem Bazillus krank werden und sterben.«

»Wir hatten... die Pflicht gegenüber unserem Volk, dieses Volk, das uns umbringen wollte, umzubringen.«

»Und wir haben keinen Schaden in unserem Innern, in unserer Seele, in unserem Charakter daran genommen.«

Eroberung des Lebensraumes, das heißt von Gebieten, die unter Anwendung aller Mittel, auch der Ausrottung von ihrer Bevölkerung, geleert worden sind. Dies ist die große Idee der Partei, des Regimes, des Staates und somit dieser Männer, die an der Spitze der hauptsächlichen Staats- und Parteistellen standen.

Hier die große Idee, in deren Dienst sie sich gestellt, für die sie gearbeitet haben. Um sie zu verwirklichen, waren ihnen alle Mittel gut: die Verletzung von Verträgen, Invasionen und die Unterjochung schwacher und friedlicher Nachbarn im tiefen Frieden, Angriffskriege, totale Kriege mit allem Grauen, das dieses Wort beinhaltet. Sie haben geistig und materiell daran teilgenommen; Göring und Ribbentrop haben es zynisch eingestanden, und die Generale und Admirale haben mit allen Kräften vorwärtsgetrieben.

Speer nutzte die Arbeitskräfte, die ihm Sauckel, Kaltenbrunner, die Gauleiter und die Generale beschafften, bis zur Entkräftung und bis zum Tode aus. Kaltenbrunner betrieb die Gaskammern, für die Frick, Schirach, Seyß-Inquart, Frank, Jodl, Keitel und die anderen Opfer lieferten. Diese Gaskammern waren dadurch möglich geworden, weil eine ihnen günstige politische Ideologie entwickelt worden war, und hier finden Sie ineinandergreifend Verantwortlichkeit aller, von Göring, Heß, Rosenberg, Streicher, Frick, Frank, Fritzsche bis zu Schacht selbst, ja, bis zum Philosemiten Schacht. Hat er nicht Hirschfeld gesagt: Ich will die Größe Deutschlands, und um sie zu erreichen, bin ich bereit, mich mit dem Teufel selbst zu verbünden!

Dieses Bündnis, er hat es mit dem Teufel und mit der Hölle abgeschlossen... Bis zu Papen, der sieht, wie rings um ihn seine Sekretäre, seine Freunde hingemordet werden und der fortfährt, offizielle Missionen nach Ankara, nach Wien anzunehmen, weil er glaubt, Hitler durch seine Dienste besänftigen zu können.

Und nicht alle sind hier, es gibt Tote und Lebendige, zum Beispiel die Industriellen, die die Arbeitskraft der unterjochten Länder ausgebeutet haben, nachdem sie Hitler und sein Regime dadurch an die Herrschaft gebracht hatten, daß sie das Geld zur Verfügung stellten, ohne das nichts hätte gemacht werden können, die Hitler und sein Regime ebensosehr aus fanatischem Nationalsozialismus wie vor allem, weil sie sich vom Nazismus die Bewahrung ihrer Privilegien versprachen, an die Macht gebracht hatten.

Alles hielt sich gegenseitig, alles war untrennbar vereinigt, denn die totalitäre Politik, der totale Krieg, die Vorbereitung und die Führung des gegen die anderen Völker gerichteten Vernichtungsplanes zur Eroberung des Lebensraumes setzen eine Koordinierung, eine enge Verbindung zwischen allen an der Macht befindlichen Einrichtungen voraus: Polizei und Wehrmacht – Auswärtige Angelegenheiten und Polizei und Wehrmacht, Justiz und Polizei – Wirtschaft und Justiz – Universitäten und Propaganda und Polizei.

Und damit sind wir bei der zweiten These angelangt, die wir Ihnen auseinandersetzen wollen.

Die Koordinierung der verschiedenen Dienstzweige, an deren Spitze sich diese Männer befanden, setzt eine enge Zusammenarbeit zwischen ihnen voraus.

Die Verteidigung bemüht sich, zwischen den verschiedenen Elementen des deutschen Staates dichte Scheidewände aufzustellen. Will man ihr glauben, so hat es eine Parallelität ohne horizontale Verbindung gegeben zwischen den verschiedenen Einrichtungen des Staates und der Partei, zwischen den Verwaltungstätigkeiten der Ministerien und zwischen den nationalsozialistischen Organisationen. Nur in der Spitze, nur in der Person des Oberhauptes sei die Verbindung hergestellt gewesen. Nach der Verteidigung sei das die deutsche Struktur beherrschende Prinzip die Personalunion gewesen und nicht das Prinzip der Koordinierung und der Zusammenarbeit.

Das ist falsch. Das widerspricht den Grundsätzen des Nazi-Staates, ebenso den Notwendigkeiten eines Staates, in welchem alle Kräfte nach demselben Ziel ausgerichtet sind, und schließlich der Wirklichkeit des deutschen Lebens, wie es sich aus den Verhandlungen hier ergibt.

Gemäß der nationalsozialistischen Konzeption soll die Partei die Demokratie ersetzen. Die Partei ist der politische Ausdruck der Nation, der sich in der politischen Aktion des Staates verwirklicht und durch die Tätigkeit der Verwaltungseinrichtungen durchgeführt wird. Das Gesetz vom 1. Dezember 1933 zur Einheit von Partei und Staat erklärt die Partei zur einzigen Stütze der Staatsidee und vereinigt Partei und Staat unlösbar miteinander.

Hitler sagte bei dem Parteitag 1934: Es ist nicht der Staat, der uns geschaffen hat, wir haben vielmehr den Staat geschaffen. Vielleicht bedeuten wir für die einen eine Partei, für andere Organisation, für andere wieder etwas anderes, in Wirklichkeit aber sind wir das, was wir sind!

Das von der Partei verfolgte Ziel bestand also darin, eine immer vollkommenere Einheit zwischen Staat und Partei zu erreichen. So erklärt sich jene Gesetzgebung, in der bestimmt wird, daß der Chef der Parteikanzlei bei der Ernennung der höheren Beamten gehört werden muß, daß die Führer der Partei in die Gemeindeverwaltung mit eingeschlossen werden sollen, daß die SS in die Polizei eingegliedert und die SS den Polizisten angeglichen werden sollen, daß aus der Leitung der Hitler-Jugend eine staatliche Dienststelle zu machen sei, daß die Dienststellen der Partei im Ausland in die Dienststellen des Auswärtigen Amtes eingebaut und daß die Soldaten der Partei mehr und mehr mit den Soldaten der Wehrmacht verschmolzen werden sollen. Das Kriegstagebuch des Generals von Brodowsky, das wir dem Gerichtshof vorgelegt haben, zeigt, daß diese Verschmelzung im Augenblick der Landung in Frankreich verwirklicht war. Hitler hält jedoch weiterhin an dem Parallelsystem von Staats- und Parteiorganisationen fest, denn diese kontrollieren und überwachen sich gegenseitig. Er verpflichtet die beiden Teile zur engen Zusammenarbeit, um der Wirksamkeit der Kontrolle sicher zu sein.

Andererseits vertreten alle Angeklagten mit Ausnahme von Heß staatliche Stellen. Sie können sich nicht hinter die Allmacht der Partei verschanzen, denn Partei und Staat haben sich in die Macht geteilt. Die von der Partei aufgestellte Lehre soll die Tätigkeit des Staates leiten, aber andererseits trägt der Staat durch seine Tätigkeit zur Entwicklung der Lehre der Partei bei. Zahlreiche Punkte des Parteiprogramms vom 24. Februar 1920 sind nie verwirklicht worden und gerieten vollständig in Vergessenheit, nachdem eine gewisse Erfahrung der Machtausübung gewonnen worden war. Die nicht durch Arbeit erworbenen Einkommen wurden nicht abgeschafft, Punkt 11; die Trusts wurden nicht verstaatlicht, Punkt 13; die Bodenreform wurde keineswegs im Sinne des Punktes 17,1 durchgeführt; die Grundrente, die Bodenspekulation blieben bestehen.

Schließlich wurde das gesamte deutsche Leben einer Resultante der Kräfte des Staates und der Partei unterstellt. Alle Staatsstellen, alle Parteistellen, haben zur Schaffung der Zusammensetzung beigetragen.

An Beispielen fehlt es nicht, und zwar in allen Dienstzweigen des Staates.

Nehmen wir die Auswärtigen Angelegenheiten. Sie stellen eine jener Staatseinrichtungen dar, die nach orthodoxer Auffassung am allermeisten von jeder politischen Lehre ferngehalten werden muß. Anders jedoch im Nazi-Deutschland. Zur Ausrottung der Juden arbeiten die Missionen im Ausland Hand in Hand mit dem Reichssicherheitshauptamt durch Vermittlung der Wilhelmstraße; dies beweisen Dokumente RF-1206, RF-1220, RF-1502 und RF-1210 und US- 433. Die Funktionäre der Wilhelmstraße müssen die Militärpolizei und die Geheime Staatspolizei beraten, Dokument RF-1061. Best ist es, der Vertreter Ribbentrops in Dänemark, der dem Chef der Deutschen Polizei, Mildner, den Befehl zur Deportierung der Juden übermittelt, Dokument RF-1503. Das Dokument RF-1501 zeigt Ribbentrop, wie er Mussolini gegenüber den Antisemitismus rechtfertigt und die Mitarbeit Italiens verlangt.

In alle gegen die Eliten gerichteten terroristischen Maßnahmen sind Ribbentrop und Kaltenbrunner verwickelt. SD und Wilhelmstraße sind in die Organisation des Anschlags gegen den Sender Gleiwitz verwickelt, der einen Vorwand für den Angriff auf Polen liefern sollte. Der Bericht der deutschen Militärverwaltung über die Plünderung der Kunstschätze Frankreichs stellt sowohl eine Beschuldigung des Einsatzstabes Rosenberg wie der Deutschen Botschaft in Paris dar, Dokument RF-1505. Die Wilhelmstraße und die Wehrmacht sind mit der Polizei verquickt in die Frage der Geiseln, der Repressalien und der Deportationen.

Die Beispiele könnten vermehrt werden. Wir behaupten nicht, die Frage zu erschöpfen, sondern nur eine Meinung zu illustrieren.

Prüfen wir nun die Tätigkeit der Organisationen Rosenbergs. Rosenberg vereint bereits auf Grund seiner Funktionen mehrere Zweige des deutschen Staates. Seine außenpolitische Dienststelle ist in das Auswärtige Amt eingegliedert worden. Er ist ferner der Philosoph des Regimes, Minister für die besetzten Ostgebiete und Chef des Einsatzstabes, der sich mit den Kunstschätzen befaßt. Der SD und die Geheime Polizei arbeiten in Verbindung mit ihm, Dokument L-188 und 946-PS.

Dieselbe Verbindung, dieselbe Koordinierung findet man innerhalb des Staatsapparates, was die Zwangsarbeit angeht.

Alle Minister und alle höheren führenden Beamten, wie zum Beispiel die Gauleiter, sind darin verwickelt, ob sie nun die Operation ausgedacht oder vorbereitet, oder nur einfach unterstützt, oder aus ihr Nutzen gezogen haben.

Wir erinnern uns an die interministeriellen Besprechungen dazu in Berlin, sowie an die Konferenz zwischen Sauckel, Kaltenbrunner, Speer, Funk und den Vertretern des OKW, die Gegenstand des Dokuments 3819-PS ist, sowie an die von Sauckel geführte Besprechung in Paris, an der Vertreter der Wehrmacht, der Polizei und der Botschaft teilgenommen haben, Dokument RF-1517.

Auch die Wirtschaftsgebiete sind nicht unabhängiger. Während des Krieges arbeiten unter Funk die Wirtschafts- und Verwaltungsstellen der Wehrmacht eng mit jenen der Wirtschaft zusammen, Dokument RF-3 bis. Das Wirtschaftsministerium wandte sich an die Polizei zur Entwicklung wirtschaftlicher Germanisierungspläne, Dokumente RF-803 und RF-814. Das Finanzministerium subventionierte die SS für wissenschaftliche Forschungen an Internierten, die unfreiwillige Versuchsobjekte waren, Dokument 002-PS. Lange vor dem Kriege und unter Schacht verbanden mehr als in irgendeinem anderen Land der Welt zunächst im geheimen und dann vor aller Öffentlichkeit dieselben Bande die Politik, die Finanzen und die Wirtschaft mit der Wehrmacht. In einer Rede vom 29. November 1938 gab Schacht folgendes Urteil über sein Werk ab:

»Es ist möglich, daß noch keine Notenbank in Friedenszeiten eine so wagemutige Kreditpolitik getrieben hat wie die Reichsbank seit der Machtergreifung durch den Nationalsozialismus. Mit Hilfe dieser Kreditpolitik aber hat sich Deutschland eine Rüstung geschaffen, die der keines anderen Staates nachsteht, und diese Rüstung wiederum hat die Erfolge unserer Politik ermöglicht.« (EC-611.)

Auch die Justiz ist nicht unabhängiger. Man findet sie als Genossin der Polizei bei den verbrecherischsten Unternehmungen. Das Dokument 654-PS berichtet über eine Besprechung zwischen Thierack, Himmler und anderen, in deren Verlauf beschlossen wurde, daß alle asozialen Elemente und alle Insassen der Konzentrationslager, die Juden, Zigeuner, Russen, Ukrainer oder Polen, die zu mehr als drei Jahren Gefängnis verurteilt waren, seitens der Verwaltung an Himmler zur Ausrottung durch Arbeit übergeben werden sollten und daß in Zukunft die diesen Kategorien angehörenden Personen nicht mehr vor ordentliche Gerichte gestellt, sondern direkt den Dienststellen Himmlers überstellt werden sollten.

Schließlich verschmolzen während des Krieges die terroristischen Tätigkeiten der Wehrmacht und der Polizei, des Staates und der Partei. Zuweilen war die Polizei der Wehrmacht unterstellt, obwohl sie mit einer gewissen Autonomie nach den Befehlen des Reichssicherheitshauptamtes handelte. Dies war in Belgien der Fall. Obwohl in Frankreich die Polizei von der Wehrmacht getrennt war, arbeitete sie doch eng mit ihr zusammen. Die Wehrmacht nahm gemeinsam mit Sipo und SD an den Judenverfolgungen, an der Verwaltung des Internierungslagers von Compiègne, an der Auswahl der Geiseln, RF-1212 und RF-1212 bis, und ihrer Exekution, RF-1244, teil. Wehrmacht und Polizei, wie wir gesehen haben, verbanden sich zu Terrorhandlungen gegen die Bevölkerung. Ebenso waren Marine und Polizei an der Niedermachung von Kommandos beteiligt, und obwohl alle Kriegsgefangenen ausnahmslos dem OKW unterstellt waren, war es die Polizei, die die Niedermetzelung bestimmter Kategorien von Kriegsgefangenen durchführte, 1165-PS.

Man könnte noch viele Beispiele über die enge Verbindung zwischen Parteiapparat und staatlichen Dienststellen anführen, über ihre Koordinierung, die manchmal bis zur Symbiose ging. Alle verfolgten, sei es auf dem einen oder dem anderen Weg, die Verwirklichung des gemeinsamen politischen Gedankens: Eroberung von Raum mit allen Mitteln.

Daraus ergibt sich augenscheinlich das Zusammenwirken der Angeklagten. Außer den klaren Beispielen der Zusammenarbeit, welche wir hier vorbringen, führt uns auch unsere Kenntnis des allgemeinen Funktionierens dieses mit dem Schicksal der Partei verbundenen Staates und die Kenntnis von seinem heftigen Zugreifen gegen die Abtrünnigen, für welche die Konzentrationslager mit ihren Gaskammern bereitstanden, zu der Behauptung, daß die Angeklagten als Minister, Würdenträger oder hohe Funktionäre der staatlichen oder der Parteibehörden ein Ganzes bildeten, zusammen mit anderen, die nicht hier sind – tot oder für andere Prozesse vorgesehen. Und dieses Ganze war die Regierung des Reiches, es war der Staat als Partei oder die Partei als Staat, eine Einheit vielleicht, aber eine bewußte und verbrecherische Einheit, die Millionen Menschen hinschlachten ließ, um das Reich unmäßig zu vergrößern.

Die Taten der Angeklagten bestehen nicht nur aus den Einzelhandlungen, die wir soeben im Lichte der nationalen Strafgesetzgebung unserer Länder oder ihres eigenen Landes analysiert haben. Sie sind auch in ihrer Gesamtheit die des deutschen Staates, für dessen Rechnung sie handelten, jenes deutschen Staates, dem sie Leben, Bewußtsein, Gedanken und Willen gegeben haben und für den sie auch jetzt bis zu den letzten Folgerungen die Verantwortung übernehmen müssen, da sie sich von seinen Verbrechen persönlich nicht loslösen konnten.

Und nun kommen wir zu unserer dritten These:

Die Angeklagten müssen gerichtet werden gemäß der verbrecherischen Politik, deren Förderer und Werkzeuge sie gewesen sind.

War es nicht Dr. Seidl in der Verteidigung Franks, der sagte, Seite 55:

»Es ist ein anerkannter Grundsatz, und dieser leitet sich aus den Prinzipien des Strafrechts aller zivilisierten Nationen ab, daß nämlich ein einheitlicher natürlicher Vorgang in seiner Gesamtheit gewürdigt werden muß und daß der Beurteilung alle Umstände des Falles zugrunde zu legen sind, die überhaupt als geeignet angesehen werden können, bei der Urteilsfindung Berücksichtigung zu finden.«

Alle Verbrechen der Angeklagten liegen in ihrem politischen Leben. Diese Verbrechen sind, wie wir wissen, die Elemente einer verbrecherischen Staatspolitik. Die Angeklagten als Verbrecher des gewöhnlichen Rechts zu betrachten, zu vergessen, daß sie im Namen des Deutschen Reiches und für die Rechnung dieses Staates gehandelt haben, für sie dieselben Normen wie für Gauner und Mörder anzuwenden, hieße die Bedeutung des Verfahrens einschränken, den Charakter selbst ihrer Verbrechen verkennen. Die Verbrechen, die von den Gerichten unseres Landes gewöhnlich verfolgt werden, stellen den Verbrecher in Gegensatz zu der sozialen Ordnung. Es sind dies individuelle Handlungen. Ihre Tragweite ist beschränkt. Ihre Folgen sind begrenzt. Diese Verbrechen treffen immer nur wenige Opfer, und es ist unmöglich, in den Annalen unserer Länder Beispiele für methodische durch terroristische Organisationen begangene Morde zu finden, die mehr als einige hundert Opfer gefordert hätten. Dies ist der Höchstpreis eines verbrecherischen Komplotts innerhalb unserer nationalen Gesellschaft.

Denn mit einer Organisation, einer Hierarchie, mit öffentlichen Machtmitteln und mit juristischen Institutionen versehen, können unsere nationalen Gesellschaften die Delinquenten ausschließen, bevor sie das volle Maß ihrer bösen Absichten verwirklicht haben.

Diese Angeklagten jedoch haben ihre verbrecherische Tätigkeit im Schoße der Gesellschaft der Staaten entwickelt, einer unorganisierten Welt, die soeben erst beginnt, sich auf sich selbst zu besinnen und die damals weder über eine bewaffnete Macht noch über Richter verfügte.

Diese Angeklagten bemächtigten sich des deutschen Staates, machten aus ihm einen Staat von Banditen, indem sie die gesamte staatliche Exekutivgewalt in den Dienst ihrer verbrecherischen Ziele stellten. Sie handelten als Häupter oder als Leiter der politischen, diplomatischen, juristischen, militärischen, wirtschaftlichen und Finanz-Generalstäbe. Normalerweise sind in jedem Lande die Tätigkeiten dieser Generalstäbe koordiniert, da sie ein gemeinsames Ziel, ausgedrückt durch eine gemeinsame politische Idee, verfolgen. Im nationalsozialistischen Deutschland wurde jedoch, wie wir wissen, diese Koordinierung durch die gegenseitige Durchdringung der Organe der Partei und der Verwaltung noch verstärkt. Die Einzelverbrechen wurden die Verbrechen aller, indem sie zu Staatsverbrechen wurden. Auch waren sie die Frucht des politischen Gedankens jedermanns: »Eroberung von Raum um jeden Preis.«

Die Verbrechen des Staates, die von jemandem begangen wurden, der einen der großen Dienstzweige kontrollierte, konnten nur durchgeführt werden, weil alle diejenigen, die alle übrigen großen Dienstzweige leiteten, dazu beitrugen. Hätten sich nur einige und ihre Ämter zurückgehalten, so wäre dies der Zusammenbruch des Staates gewesen, die Zerstörung seiner verbrecherischen Macht, schließlich das Ende der Gaskammern oder die Unmöglichkeit, sie herzustellen. Aber niemand hielt sich zurück oder wünschte sich zurückzuhalten, denn die Gaskammern, die Ausrottung zur Gewinnung von Lebensraum waren oberster Leitsatz des Regimes, und sie selbst waren das Regime.

Wird nicht der Beweis der Einheit im Verbrechen durch die Erklärungen der Angeklagten selbst erbracht, durch ihre und ihrer Anwälte ständigen Bemühungen, um die Autonomie ihrer Dienststellen aufzuzeigen, um die Verantwortung der Wehrmacht der Polizei zuzuschieben, die des Außenministeriums dem Regierungschef, die des Arbeitsdienstes dem Vierjahresplan, die der Gauleiter den Generalen, kurz und gut, durch den Versuch, uns glauben zu machen, daß in Deutschland alles in geschlossenen Kreisen vor sich gegangen sei, während doch die gegenseitige Abhängigkeit der Verwaltungen und der Partei und die Vielzahl der Verbindungs- und Kontrollorgane zwischen Staat und Partei in ihrer kunstvollen Verzahnung gerade das Gegenteil beweisen. Alle Franzosen, die im besetzten Frankreich gelebt haben, entsinnen sich einer Ankündigung an den Mauern der Ortskommandanturen, die die Ziegel einer Mauer darstellte mit der Aufschrift: »Teneo quia teneor«.

Dies war die Devise des Regimes. Es hätte genügt, einige Ziegel zu entfernen, um die ganze Mauer zum Einsturz zu bringen. Keiner von diesen Männern hat dies getan, im Gegenteil, jeder hat seinen Ziegelstein für das Gebäude beigesteuert.

So erbringen wir Ihnen außerhalb jedes juristischen Begriffs einer Verschwörung oder einer Mitschuld, der vielleicht je nach der Ausbildung der Juristen Gegenstand der Diskussionen sein könnte, durch Tatsachen den Beweis für die solidarische Verbundenheit und die gleiche verbrecherische Schuld aller Angeklagten.

Um das Verbrechen begangen zu haben, genügt es, daß sie als Chefs oder höhere Funktionäre der Partei oder eines der hauptsächlichen Organe des Staates, im Namen des Staates handelnd, und zwar mit dem Ziel, beizutragen zu der Ausdehnung des deutschen Raumes, mit allen Mitteln geplant, gewollt, angeordnet oder nur durch ihr Stillschweigen zugelassen haben, daß Verträge, die die Unabhängigkeit anderer Länder versprachen, verletzt, daß Angriffskriege vorbereitet oder erklärt, daß Massenmorde und andere Greueltaten systematisch durchgeführt und Verwüstungen und Plünderungen ohne Rechtfertigung systematisch begangen wurden.

Dies ist das Verbrechen des Deutschen Reiches, und alle Angeklagten haben an seiner Begehung mitgewirkt.

Wir werden das mit Hilfe von Beispielen aus den Verhandlungen für jeden der Angeklagten beweisen.

Für jeden der Angeklagten sind die drei Hauptthesen dieser Beweisführung folgende:

Erstens, der Angeklagte nahm innerhalb des Apparates des Staates und der Partei eine hervorragende Stellung ein, die ihm Gewalt über einen ganzen Verwaltungszweig oder über mehrere Dienste gab.

Zweitens, der Angeklagte hat die Idee des Regimes, nämlich die »Eroberung von Raum mit allen Mitteln« gebilligt, wenn nicht sogar geplant.

Drittens, er hat persönlich an der politischen Entwicklung dieser Idee durch seine eigene Tätigkeit teilgenommen.

Bezüglich Görings und Heß' wird mir der Gerichtshof ohne Zweifel längere Ausführungen erlassen. Sie waren die designierten Nachfolger des Führers. Sie haben der Bewegung seit Beginn angehört. Heß übernahm die Verantwortung für die Rassengesetze. Sie haben beide an der Gestaltung der politischen Idee des Regimes mitgewirkt, die sie in den Augen der Massen verkörperten. Durch ihre Reden und Vorträge haben sie diese Idee in alle Kreise eindringen lassen.

Göring hat aktiv und wesentlich zu der militärischen und wirtschaftlichen Vorbereitung beigetragen.

Göring ist der Schöpfer der Gestapo und der Konzentrationslager, in denen Millionen von angeblichen Feinden des Regimes den Tod fanden, und wo das Genocidium fast total durchgeführt wurde.

Ein großer Teil seiner verbrecherischen Tätigkeit steht mit der Anwendung des Vierjahresplanes in Verbindung, der, wie bewiesen wurde, völlig auf die Vorbereitung des Krieges gerichtet war. Zusammen mit anderen ist er für die Deportierung von Arbeitern, für die an ihnen begangenen Brutalitäten und für ihre Verwendung in gegen ihr eigenes Land gerichteten Produktionszweigen verantwortlich. Außerdem war er an der Verwendung von Kriegsgefangenen und politischen Internierten bei Arbeiten, die unmittelbar mit den Kriegsanstrengungen des Reiches in Verbindung standen, beteiligt. Er hat die Vernichtung der Wirtschaft und die Ausplünderung der besetzten Nationen organisiert.

Er hat auch die Plünderung von Kunstwerken mit Hilfe des Einsatzstabes in großem Maßstab, meist zur Bereicherung seiner eigenen Sammlungen, organisiert.

Heß hatte durch Erlaß des Führers vom 21. April 1933 Vollmacht in allen die Leitung der Partei betreffenden Fragen erhalten. Er nahm an der Vorbereitung von Gesetzen und Verordnungen im allgemeinen und sogar an der der Führerbefehle teil. Er nahm an den Ernennungen der Funktionäre der Regierung und der Führer des Arbeitsdienstes teil. Er sicherte den Einfluß der Partei auf das innere Leben Deutschlands. Er hatte unmittelbaren Einfluß auf die Wehrmacht und die Außenpolitik. Die Rolle, die er in der Entwicklung des Antisemitismus spielte, verwickelt ihn in die verbrecherischen Folgen der Bewegung.

Ribbentrop war einer der Hauptbestandteile des Apparats von Partei und Staat. Von Hitler, der den Diplomaten »alten Stils« mißtraute, in die Wilhelmstraße gesetzt, arbeitete er mit allen Kräften an der Schaffung günstiger diplomatischer Voraussetzungen für einen Angriffskrieg, diesem wesentlichen Mittel zur Verwirklichung der Eroberung des Raumes.

Wir erinnern uns an das von unseren britischen Kollegen vorgelegte Dokument, das beweist, daß Ribbentrop im August 1939 Ciano gegenüber erklärt hat, Deutschland werde selbst dann Krieg führen, wenn ihm Danzig und der Korridor abgetreten würden. Er ist ferner, wie bereits bewiesen, mit seinen Dienststellen in die Terror- und Vernichtungshandlungen in den besetzten Ländern verwickelt.

Was Keitel angeht, werden meine Ausführungen ebenfalls kurz sein. Die Umstände, unter denen er es akzeptierte, von Hitler an Stelle von von Fritsch und von Blomberg an die Spitze des Oberkommandos der Wehrmacht gesetzt und zu den Kabinettssitzungen zugezogen zu werden, und seine politische Tätigkeit in diesen Stellungen, die durch seine Gegenwart an der Seite des Führers in Godesberg und später bei den Besprechungen mit Pétain und Horthy bewiesen wird, und die ihren Ausdruck fand in Befehlen, die er unterzeichnete und unter denen die Ausführungsbestimmungen zu dem »Nacht-und-Nebel«-Erlaß nicht die wenigst berühmten sind, zeigen, daß es sich nicht nur um einen einfachen Militär, sondern um einen politischen General handelt. Seine Rolle bei den Verhaftungen und Ermordungen von Patrioten verdammt ihn. Er hat zweifellos an den Vernichtungen teilgenommen, sei es auch nur, indem er bestimmte Kategorien von Kriegsgefangenen der Polizei zur Sonderbehandlung überließ. Überdies erinnern wir uns an die Verbindung seiner Dienststelle zur Polizei und zur bewaffneten Macht der Partei.

VORSITZENDER: Ich glaube, es würde jetzt passen, eine Pause einzuschalten.