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[Der Zeuge betritt den Zeugenstand.]

VORSITZENDER: Wollen Sie Ihren vollen Namen angeben?

ZEUGE KARL KAUFMANN: Karl Otto Kurt Kaufmann.

VORSITZENDER: Wollen Sie folgenden Eid ablegen und mir nachsprechen: »Ich schwöre bei Gott, dem Allmächtigen und Allwissenden, daß ich die reine Wahrheit sagen, nichts verschweigen und nichts hinzufügen werde.«

[Der Zeuge wiederholt die Eidesformel.]

VORSITZENDER: Sie können sich setzen.

DR. SERVATIUS: Herr Zeuge! Sie waren Gauleiter von 1925 bis 1928 im Gau Ruhr und von 1928 bis 1945 im Gau Hamburg?

KAUFMANN: Jawohl.

DR. SERVATIUS: Wie viele Menschen lebten in diesen Gauen?

KAUFMANN: Im Gau Ruhr schätzungsweise sieben bis acht Millionen und im Gau Hamburg 1,8 Millionen.

DR. SERVATIUS: Haben Sie einen Überblick über die Verhältnisse in anderen Gauen?

KAUFMANN: Etwas, ja.

DR. SERVATIUS: Sie sind 1921 in die Partei eingetreten und nach der Auflösung der Partei erneut im Jahre 1925?

KAUFMANN: Jawohl.

DR. SERVATIUS: In der Zwischenzeit waren Sie Arbeiter von 1921 bis 1925 im Ruhrgebiet und in Oberbayern?

KAUFMANN: Nein, von 1923 bis 1925.

DR. SERVATIUS: Wann ist nach der nationalsozialistischen Terminologie jemand ein Politischer Leiter?

KAUFMANN: Ein Politischer Leiter ist er dann, wenn er dazu ernannt ist, im Besitze einer entsprechenden Urkunde ist und das Recht zum Tragen der Uniform besitzt.

DR. SERVATIUS: Gehörten die Block- und Zellenleiter zu den Politischen Leitern?

KAUFMANN: Jawohl.

VORSITZENDER: Dr. Servatius! Wollen Sie den Zeugen nach seinem Geburtsdatum fragen.

DR. SERVATIUS: Herr Zeuge! Wann wurden Sie geboren?

KAUFMANN: Ich bin geboren am 10. Oktober 1900.

DR. SERVATIUS: Waren die Block- und Zellenleiter nicht eine andere Art Politischer Leiter als die Politischen Leiter einer höheren Stelle?

KAUFMANN: Die Block- und Zellenleiter waren kleine ausführende Organe der Ortsgruppenleiter.

DR. SERVATIUS: Stand die Tätigkeit der Block- und Zellenleiter an Bedeutung unter der Tätigkeit der Amtsleiter in der Ortsgruppe, im Stab der Ortsgruppe?

KAUFMANN: Unter den Amtsleitern der Ortsgruppe gab es wesentliche Aufgaben und unwesentliche Aufgaben. Die Amtsträger der wesentlichen Aufgaben waren wichtiger als die Amtsträger der nicht so wesentlichen Aufgaben.

DR. SERVATIUS: Waren die Block- und Zellenleiter nicht Hoheitsträger und besonders wichtige Politische Leiter?

KAUFMANN: loh habe bereits gesagt, sie waren zwar Hoheitsträger, aber lediglich kleine ausführende Organe des Ortsgruppenleiters.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE, STELLVERTRETENDER HAUPTANKLÄGER FÜR DAS VEREINIGTE KÖNIGREICH: Euer Lordschaft! Darf ich dem Gerichtshof einen Vorschlag zur Erwägung machen. Ich glaube, es wäre besser, wenn der Übersetzer den deutschen Ausdruck benützen würde, da wir in diesem Zusammenhang alle daran gewöhnt sind, und das Wort »Ortsgruppenleiter« benützen würde an Stelle von »local group«. Denn wenn wir einen Ausdruck wie »local group« benützen, könnte es schwierig werden zu verstehen, worauf sich das bezieht. Dies ist nur ein Vorschlag. Es würde mir auch persönlich helfen. Ich weiß nicht, ob der Gerichtshof zustimmt.

VORSITZENDER: Ja, sicherlich.

DR. SERVATIUS: Worin bestand die allgemeine praktische Tätigkeit der Politischen Leiter? Wie war es vor dem Kriege und nach Beginn des Krieges?

KAUFMANN: Die Tätigkeit der Politischen Leiter richtete sich nach ihrem Amt. Es gab Politische Leiter, die rein fachlich ausgerichtet waren, und es gab Politische Leiter, die mehr politische Führungsaufgaben hatten. Die Aufgabe vor der Machtübernahme bestand wie bei jeder Partei im wesentlichen darin, für die Idee zu werben, die Partei zu organisieren und bei Wahlkämpfen in der Bevölkerung Stimmen für den Erfolg der Partei zu werben. Nach der Machtübernahme bestand die wesentliche Tätigkeit der Politischen Leiter zunächst in der sozialen Betreuung der Bevölkerung und in der Verwirklichung gestellter sozialer Ziele, daneben in Organisationsfragen, Schulungsaufgaben und Propagandafragen. Im Kriege wurden diese Aufgaben durch die Tatsachen des Krieges bestimmt und zu den sozialen Aufgaben des Friedens kamen die großen Betreuungsaufgaben, die der Krieg und seine Ereignisse bedingten.

DR. SERVATIUS: Wie groß war die Zahl der Politischen Leiter vor dem Kriege und im Kriege?

KAUFMANN: Darüber kann ich nur Zahlen aus meinem Gau nennen. Ich schätze die Zahl der Politischen Leiter in Hamburg vor dem Krieg auf etwa 10000 ohne Gliederungen. Diese Zahl ist durch die Einberufungen im Kriege wesentlich beschränkt worden.

DR. SERVATIUS: Wie groß war in Ihrem Gau der Prozentsatz der Politischen Leiter, die zum Wehrdienst einberufen wurden?

KAUFMANN: Wenn ich von der Rüstung absehe – denn viele Politische Leiter waren ja nur ehrenamtlich tätig –, waren von der Partei bei Beginn des Krieges im höchsten Fall zehn Prozent unabkömmlich gestellt.

DR. SERVATIUS: Die also im Gau geblieben sind?

KAUFMANN: Jawohl. 1944 betrug diese Zahl der Jahrgänge 1900 und jünger für die Gesamtpartei in Hamburg noch zwölf, ausgenommen Verwaltung und Rüstung.

DR. SERVATIUS: Wollen Sie sagen zwölf Prozent?

KAUFMANN: Nein, zwölf Mann.

DR. SERVATIUS: Wie in Prozenten ausgedrückt?

KAUFMANN: Ich schätze 6000 Politische Leiter.

DR. SERVATIUS: Zum Stab der Gau-, Kreis- und Ortsgruppenleiter gehörten auch die Leiter der Fachämter. Hatten diese Amtswalter der Fachämter politische Führungsaufgaben?

KAUFMANN: Nein, die große Masse der Politischen Leiter in Fachämtern war ausschließlich mit fachlichen Aufgaben ihrer Organisation beschäftigt.

DR. SERVATIUS: Nahmen die Amtsträger der Fachämter an allen Stabsbesprechungen teil, oder wurde zwischen engerem und weiterem Stab unterschieden?

KAUFMANN: Das richtete sich nach dem Besprechungsgegenstand. War er von politisch allgemeinem Interesse, wurde der Kreis groß gezogen, war es eine Besprechung, die nur spezielle Ämter anging, wurde der Kreis auf diese beschränkt.

DR. SERVATIUS: Erfolgte die Übernahme eines Amtes als Politischer Leiter freiwillig oder auf Grund einer Verpflichtung oder eines Zwanges?

KAUFMANN: Auch da muß man zwei Zeiten unterscheiden. Vor der Machtübernahme selbstverständlich freiwillig. Nach der Machtübernahme bestand an sich für jeden Parteigenossen die Verpflichtung, grundsätzlich mitzuarbeiten. Ich persönlich habe darauf Wert gelegt, das Prinzip der Freiwilligkeit im Gau unter allen Umständen aufrechtzuerhalten, weil ich mir verständlicherweise von einer erzwungenen Mitarbeit keinerlei politische Erfolge versprach. Ich weiß, daß es in anderen Gauen ähnlich gehandhabt worden ist.

DR. SERVATIUS: Warum lehnten Parteimitglieder die Übernahme von ehrenamtlichen Stellen als Politische Leiter ab? Geschah dies aus politischen Gründen oder aus persönlichen Gründen?

KAUFMANN: Die Gründe sind verschieden. Die einen lehnten ab, weil sie beruflich überlastet waren. Das galt vor allem für manche Berufe im Kriege. Andere lehnten ab, weil sie sich politisch nicht exponieren wollten.

DR. SERVATIUS: Worin bestand die Tätigkeit der Blockleiter?

KAUFMANN: Die Blockleiter waren die Assistenten der Ortsgruppenleiter. Wenn sich die Notwendigkeit erwies, im Frieden und im Kriege an die Bevölkerung heranzutreten – und das war im wesentlichen der Fall bei Betreuungsmaßnahmen –, bediente sich der Ortsgruppenleiter der Blockleiter. Im Gau Hamburg waren die Block- und Zellenleiter wie die ganze Partei im Krieg und Frieden mit dem Schwerpunkt auf soziale Arbeit und Betreuungstätigkeit ausgerichtet.

DR. SERVATIUS: Woher bekamen die Gauleiter ihre Anweisungen?

KAUFMANN: Die Gauleiter erhielten ihre Anweisungen vom Führer. Sie waren dem Führer direkt unterstellt. In seinem Auftrag vom Stellvertreter des Führers und in manchen Fällen von der Parteikanzlei im Auftrag des Führers.

DIR. SERVATIUS: Konnten die Reichsleiter den Gauleitern ebenfalls Anweisungen geben?

KAUFMANN: Nein, die Reichsleiter waren beschränkt auf ihre in den Gauen befindlichen Fachämter. Der Gauleiter hatte das Recht, Maßnahmen, die von den Reichsleitern auf diesem Wege kamen, anzuhalten, wenn er sie für unzweckmäßig hielt. Im Differenzfall entschied der Stellvertreter des Führers oder der Führer selbst.

DR. SERVATIUS: Wie erfolgte die Unterrichtung der Gauleiter über die politischen Absichten und Maßnahmen?

KAUFMANN: Die grundsätzlichen politischen Absichten und Maßnahmen des Führers waren uns durch Parteiprogramme und teilweise durch sein Buch »Mein Kampf« bekannt. In dieser Beziehung erfolgte auch die propagandistische und schulungsmäßige Unterrichtung unserer Mitarbeiter. Nach der Machtübernahme sind die Gauleiter von beabsichtigten politischen Aktionen, vor allen Dingen außenpolitischer, aber auch innenpolitischer Art, nur immer nach erfolgten Aktionen unterrichtet und informiert worden.

DR. SERVATIUS: Gab es Anordnungen, Anweisungen, Besprechungen; was können Sie darüber sagen?

KAUFMANN: Es gab Besprechungen, die verhältnismäßig sehr selten stattfanden.

DR. SERVATIUS: In welcher Form fanden diese Besprechungen statt?

KAUFMANN: Für die Parteiführung in der Form von Reichsleiter- und Gauleiterbesprechungen. Ich muß berichtigen: nicht Besprechungen sondern Tagungen.

DR. SERVATIUS: Worin bestand der Unterschied zwischen Besprechung und Tagung?

KAUFMANN: In der Besprechung sehe ich die Möglichkeit der Diskussion. Diese Diskussionsmöglichkeit auf Führerbesprechungen hat etwa bestanden uneingeschränkt bis zum Weggang von Strasser 1932, beschränkt bis zum Weggang von Heß und war ausgeschlossen, nachdem Heß nicht mehr da war. Von diesem Zeitpunkt an waren die Tagungen ausschließlich Befehlsausgaben, auf denen Möglichkeiten zur Diskussion oder zu Anfragen nicht mehr gegeben waren. Diese Tagungen wurden von Bormann geleitet.

Der andere Weg war der Weg der Rundschreiben. Auf diesem Wege der Rundschreiben, die zuerst über den Weg des Stellvertreters des Führers kamen, später über den Weg der Parteikanzlei, wurden uns entweder direkte Anordnungen des Führers oder solche im Namen des Führers übermittelt. Das war im wesentlichen der Befehlsweg, der bei uns üblich war.

DR. SERVATIUS: Fanden Besprechungen mit den Reichsleitern statt?

KAUFMANN: Ich entsinne mich keiner Besprechung, auf der alle Gauleiter anwesend waren, mit allen Reichsleitern.

DR. SERVATIUS: Hatten führende Politische Leiter besondere Aufgaben, die außerhalb ihrer Tätigkeit als Politische Leiter lagen?

KAUFMANN: Es gab höhere Funktionäre der Partei, die neben ihrem Parteiamt staatliche und andere Ämter hatten. Es gab auch solche, die ausschließlich auf ihr Parteiamt beschränkt waren.

DR. SERVATIUS: Welches war der Inhalt der Weisung, die die Politischen Leiter auf dem parteiamtlichen Wege erhielten? Muß man hier verschiedene Zeiten unterscheiden: Bis zur Machtergreifung, bis zum Krieg und im Krieg?

KAUFMANN: Die Frage habe ich zum Teil bereits beantwortet. Ich kann kurz zusammenfassen: Vor dem Krieg organisatorischer, propagandistischer Art, und im Krieg bedingt durch die Aufgaben des Krieges, im wesentlichen Betreuungsaufgaben.

DR. SERVATIUS: Haben die Politischen Leiter Anweisungen zu Punkt 1 des Parteiprogramms erhalten, das praktisch den Anschluß Österreichs an Deutschland mitenthielt, und bezogen sich solche Anweisungen auf die Vorbereitung des Angriffskrieges?

KAUFMANN: Die Politischen Leiter sind über den Anschluß Österreichs, über den Weg, wie er geschah, und über den Termin in keiner Weise unterrichtet gewesen. Der Anschluß Österreichs war natürlich ein Ziel der Partei, und zwar deshalb, weil der Anschlußwille Österreichs seit 1918 durch das Gesetz des damaligen Kanzlers Renner, durch das Abstimmungsergebnis 1921 der Bundesstaaten Salzburg und Tirol und dann später durch die österreichische Reaktion auf den Einmarsch beziehungsweise Anschluß den Politischen Leitern bekannt war oder geworden ist.

DR. SERVATIUS: Haben Sie Anweisungen zu Punkt 2 des Parteiprogramms erhalten, die sich auf die Kündigung des Versailler Vertrags bezogen? Bezogen sich diese Anweisungen auf die Vorbereitung eines Angriffskrieges?

KAUFMANN: Die Revision des Versailler Vertrags, und ich betone Revision, war ein Bestandteil der politischen Zielsetzung. Die Politischen Leiter waren vor dem Krieg und auch vor der Machtübernahme der festen Überzeugung, daß dieses Ziel auf revisionistischem Weg, daß heißt auf dem Verhandlungsweg erreicht werden müsse. Eine andere Instruktion über Methoden, dieses Ziel zu erreichen, haben die Politischen Leiter in der ganzen Zeit vor dem Krieg nie bekommen.

DR. SERVATIUS: Haben Sie Anweisung zu Punkt 3 des Parteiprogramms erhalten, der Land und Boden zur Ansiedlung fordert? Bezogen sich solche Anweisungen auf die Vorbereitung eines Angriffskrieges?

KAUFMANN: Dieser Programmpunkt – ich glaube, es ist ein Programmpunkt – ist von den Politischen Leitern verstanden worden, und sie sind auch dahingehend belehrt worden, daß hiermit verstanden sein soll die Rückgabe der deutschen Kolonien. Die Diskussionen über andere Gebiete sind nicht vor dem Krieg, sondern im Krieg entstanden. Ich betone: Diskussionen.

DIR. SERVATIUS: Welche Anweisungen haben Sie zur Judenfrage erhalten, die in den Punkten 4 bis 8 des Parteiprogramms behandelt wird. Bezogen sich solche Anweisungen auf Beseitigung der Juden, weil sie einem Angriffskrieg hinderlich waren?

KAUFMANN: Die Programmpunkte in der Judenfrage standen fest. Die Auffassungen über die Judenfrage waren sehr verschieden. Die Politischen Leiter, mit denen ich Verbindung gehabt habe, sind jedenfalls von mir in der Auslegung dieses Programmpunktes dahingehend unterrichtet worden, daß diese Frage nur auf einem konstruktiven Weg zu lösen sei, das heißt, durch eine grundsätzliche Änderung des bestehenden Systems. Mit Angriffskriegen haben Schulung und Propaganda über diesen Punkt nie etwas zu tun gehabt.

DR. SERVATIUS: Welche Anweisung erhielten Sie zur Kirchenfrage, Punkt 24 des Parteiprogramms? Bekamen Sie Anweisungen, die Kirche als Kriegsgegner auszuschalten?

KAUFMANN: Eine solche Anweisung und auch mit solcher Begründung habe ich niemals erhalten, auch meine Politischen Leiter nicht. Für meine Politischen Leiter ist bis zum Schluß trotz der Auslegung, die verschiedene Persönlichkeiten der Partei diesem Punkt gegeben haben, der Programmpunkt des Bekenntnisses zum positiven Christentum verbindlich gewesen. Das beweist, daß selbst die Masse der Politischen Leiter Mitglieder der Kirche waren und blieben.

DR. SERVATIUS: Welche Anweisungen erhielten Sie zu Punkt 25 des Parteiprogramms für die Auflösung der Gewerkschaften? Sollten diese als Kriegsgegner beseitigt werden?

KAUFMANN: Nein. Wir haben, das heißt meine Politischen Leiter auch, in der Auflösung der Gewerkschaften nur einen demonstrativen Akt einer organisch vor sich gehenden Entwicklung gesehen. Die Masse der Gewerkschaftsmitglieder war bereits vor Auflösung der Gewerkschaften Mitglieder der NSBO und damit der nationalsozialistischen Arbeiterorganisation geworden.

DR. SERVATIUS: Ich bitte, hier abbrechen zu dürfen. Der Zeuge Hupfauer wird zu diesem Thema näher vernommen werden.

Ist nicht tatsächlich der Anschluß Österreichs durch Einmarsch der deutschen Truppen erfolgt, und haben die Politischen Leiter diesen gebilligt?

KAUFMANN: Ich habe bereits erwähnt, daß die Politischen Leiter weder informiert noch befragt worden sind über den Einmarsch deutscher Truppen in Österreich, daß sie den Anschluß begrüßt haben, um so mehr als geschichtlich offenkundig der Wille der österreichischen Bevölkerung sich mit dieser Tatsache deckte.

DR. SERVATIUS: Ist nicht tatsächlich Elsaß-Lothringen wieder dem Deutschen Reich angegliedert worden, und haben die Politischen Leiter dies gebilligt?

KAUFMANN: Die Frage der Eingliederung von strittigen Gebieten ist eine Frage der Friedensverträge. Die Politischen Leiter waren der Überzeugung, daß Elsaß-Lothringen für die Dauer des Krieges unter einer besonderen deutschen Zivilverwaltung stand und daß nach siegreichem Krieg durchaus im Bereich der deutschen Forderungen die Angliederung dieses Gebietes an das Deutsche Reich ebenso erwogen werden könnte oder würde, wie dies nach dem ersten Weltkrieg im umgekehrten Falle geschehen war.

DR. SERVATIUS: Sind nicht tatsächlich im Osten die besetzten Gebiete als Lebensraum beansprucht worden, und haben die Politischen Leiter dies gebilligt?

KAUFMANN: Der Krieg gegen Rußland ist den Politischen Leitern von der Politischen Führung als Präventivkrieg geschildert worden. Aus dieser Tatsache geht hervor, daß eine solche Begründung, jedenfalls zu Beginn dieses Krieges, in der Information an die Politischen Leiter mit Annexionsabsichten nicht verbunden war.

DR. SERVATIUS: Sind nicht tatsächlich die Kirchen verfolgt worden, und haben die Politischen Leiter dies gebilligt?

KAUFMANN: Es ist durchaus möglich, daß trotz des Programmpunktes, daß sich die Partei zum positiven Christentum bekennt, in einzelnen Gauen von diesem Programmpunkt abgewichen wurde und die Kirche in diesen Gauen einigen Verfolgungen ausgesetzt war. Der Führer selbst ist in seinen Verlautbarungen von diesem Programmpunkt nie abgekommen.

DR. SERVATIUS: Sie haben daher diese Verfolgungen nicht gebilligt?

KAUFMANN: Ich habe diese Verfolgungen nicht nur nicht gebilligt, sondern für meinen Gau verboten.

DR. SERVATIUS: Sind nicht tatsächlich die Gewerkschaften beseitigt worden, und haben die Politischen Leiter dies gebilligt?

KAUFMANN: Die Politischen Leiter haben mit mir in der DAF die Entwicklung zu einer großen Einheitsgewerkschaft gesehen, und wenn irgendwelche Zweifel waren, da haben die sozialen Leistungen für den deutschen Arbeiter die Zweifler beruhigt.

DR. SERVATIUS: Waren die politischen Ziele, die so verwirklicht wurden, nicht bereits als Ziele in dem Buch »Mein Kampf« enthalten und somit als Ziele den Politischen Leitern allgemein bekannt und von ihnen gebilligt?

KAUFMANN: Das Buch »Mein Kampf« ist sicher einem Teil der Politischen Leiter bekannt, ebenso das Parteiprogramm. Die Auffassung zu beiden ist auch in der NSDAP so gewesen wie in allen anderen Parteien: Die einen Punkte bejaht man, sie sind der Grund des Beitrittes, die anderen Punkte interessieren nicht, und eine dritte Reihe von Programmpunkten können sogar abgelehnt werden. In jeder Partei und auch in der NSDAP ist um die letzte Zielsetzung und auch um die Wege geistig gerungen worden, und dieser Prozeß war keineswegs beendet.

DR. SERVATIUS: Gab es also in der Partei verschiedene Richtungen?

KAUFMANN: In wesentlichen Fragen der Auslegung der Programmpunkte, jawohl.

DR. SERVATIUS: Was für Gruppen waren das?

KAUFMANN: Ich möchte drei große Gruppen unterscheiden. Die sozialistische Gruppe, die nach meiner Auffassung die Masse der Mitglieder und Anhänger ausmachte. Eine mehr nationalistische Gruppe und eine negativ-antisemitische Gruppe.

DR. SERVATIUS: Was verstehen Sie unter der negativ-antisemitischen Gruppe? Ist das die Richtung Streicher?

KAUFMANN: Wenn Sie mich fragen, jawohl.

DR. SERVATIUS: Welcher politischen Richtung gehörten Sie an in der Partei?

KAUFMANN: Ich war und bin Sozialist.

DR. SERVATIUS: Und welcher Gruppe gehörten die Reichsleiter in der überwiegenden Mehrheit an?

KAUFMANN: Das ist sehr schwer zu sagen.

DR. SERVATIUS: Welcher Gruppe die Gauleiter?

KAUFMANN: Die Gauleiter aus den betonten Industriegebieten waren zum größten Teil Sozialisten.

DR. SERVATIUS: Welcher Gruppe die Kreisleiter?

KAUFMANN: Das hing im wesentlichen von der Struktur ihres Heimatgebietes ab.

DR. SERVATIUS: Dasselbe gilt auch für die Ortsgruppenleiter, Block- und Zellenleiter?

KAUFMANN: Das gilt für die Masse der Politischen Leiter und für die Masse der Parteigenossen.

DR. SERVATIUS: Welches war der politische Einfluß der verschiedenen Gruppen, und wo lag das Schwergewicht?

KAUFMANN: Das ist sehr schwer zu sagen. Wenn Sie von Einfluß sprechen, so unterstelle ich, daß die Masse der Parteigenossen wie ich an das sozialistische Wollen des Führers geglaubt hat. Daß in seiner Umgebung auch Männer waren, denen der Sozialismus weniger am Herzen lag als andere Ziele, das scheint mir wahrscheinlich.

DR. SERVATIUS: Waren Sie mit der Parteiführung einverstanden als Sozialist?

KAUFMANN: Ich war mit den sozialistischen Zielsetzungen des Führers durchaus einverstanden, dagegen mit manchen Männern in führenden Stellungen und deren Auffassungen nicht.

DR. SERVATIUS: Warum sind Sie und andere Politische Leiter, die mit diesen Zielen in manchen Belangen nicht einverstanden waren, im Amt verblieben, als Sie sahen, daß der Schwerpunkt der Politik von den sozialen Gebieten wegging und Kirchen- und Judenverfolgung einsetzte?

KAUFMANN: Ich habe zunächst in keinem Zeitpunkt bis zum Zusammenbruch und mit mir meine Mitarbeiter bemerkt, daß die sozialistische Zielsetzung aufgegeben war. Ich habe bereits betont, daß, wenn ein alter Nationalsozialist 25 Jahre fast für seine Partei gewirkt hat, es seine Pflicht ist, für die Durchsetzung der Ziele in seinem Sinn bis zur letzten Möglichkeit zu kämpfen. Und das ist nicht möglich außerhalb der Partei, sondern nur innerhalb der Partei. Das ist einer der bestehenden Gründe, warum ich in der Partei geblieben bin.

DR. SERVATIUS: Wie erfolgte die Unterrichtung der unterstellten Kreis- und Ortsgruppenleiter?

KAUFMANN: In der Beantwortung dieser Frage muß man einen Unterschied machen zwischen den Stadtgauen auf der einen Seite und den Provinzgauen auf der anderen Seite. Im Stadtgau Hamburg wurden die Politischen Leiter sehr häufig zusammengerufen und erhielten mündlich ihre Instruktionen und Ausrichtungen. Im Provinzgau geschah dies meist wegen seiner Ausdehnung schriftlich, das heißt ihre Ausrichtung und Unterrichtung geschah mündlich und schriftlich.

DR. SERVATIUS: Wurden die Kreisleiter im gleichen Umfange unterrichtet wie die Gauleiter, oder erhielten sie nur Kenntnis von weniger wichtigen Dingen?

KAUFMANN: Bis zum Beginn des Krieges entsinne ich mich auf keinen Fall, wo meine Kreisleiter – und ich nehme an, daß es bei den anderen Gauen ähnlich war – nicht alles erfahren haben, was ich wußte. Im Krieg war das aus Geheimhaltungsgründen etwas anderes.

DR. SERVATIUS: Haben die Politischen Leiter Anweisung erhalten, Kriegsverbrechen zu begehen oder zu dulden? Wie verhält es sich mit dem Lynchen von Tieffliegern?

KAUFMANN: Solche Befehle, wie Sie, Herr Rechtsanwalt, sie hier ansprechen, sind mir in direkter Form, das heißt in einer direkten Aufforderung nicht bekannt. Ich nehme an, Sie sprechen

1. von dem Zeitungsartikel des ehemaligen Reichsministers Dr. Goebbels,

2. von dem bekannten Erlaß des Reichsführer-SS an die Polizei und

3. von dem hier wiederholt erwähnten Rundschreiben des Reichsleiters Bormann.

DR. SERVATIUS: Jawohl.

KAUFMANN: Diese Befehle erhielten keine klare Formulierung im Sinne Ihrer Frage. Ich gebe zu, daß sie in ihrer Auslegung zu einer Entwicklung führen konnten, die dann zu den hier in Frage stehenden Taten im einzelnen geführt haben. Diese Befehle kamen über das Gaustabsamt und wurden dann vom Gaustabsamt an die zuständigen Kreisleiter weitergegeben. Der Befehl von Bormann beziehungsweise das Rundschreiben von Bormann ist in meinem Gau – ich nehme an, auch in anderen Gauen – von mir angehalten worden, und zwar im Hinblick darauf, daß ich angesichts des verschärften Luftkrieges und seiner Folgen meine Politischen Leiter vor einer gefährlichen Auslegung dieser Anordnung bewahren wollte. Außerdem habe ich im Hinblick auf den Goebbels-Artikel und auf den Himmlerschen Erlaß an die Kreisleiter und an den Polizeipräsidenten klare Gegenbefehle erteilt. Ich hoffe, daß das in anderen Gauen ähnlich geschehen ist.

DR. SERVATIUS: Wie verhält es sich mit der Behandlung von ausländischen Arbeitern? Haben Sie dort Anweisungen erhalten, die auf Kriegsverbrechen hinausgingen?

KAUFMANN: Alle Anweisungen, die ich auf diesem Gebiete kenne, beziehen sich ausschließlich auf eine geforderte Unterstützung der Betreuungsarbeit. Für mich war es als Sozialist selbstverständlich, meine Organe, das heißt in diesem Fall die Arbeitsfront und die Kreisleiter, auf positive Betreuungsarbeit, von der ich mich persönlich durch Lagerbesuche überzeugte, auch für die Ausländer auszurichten.

DR. SERVATIUS: Wie verhält es sich mit den Vorgängen in den Konzentrationslagern bezüglich der Ausländer? Hatten Sie Anweisungen, Ausländer in Konzentrationslager einzuliefern oder dabei behilflich zu sein? Kannten Sie die Vorgänge in den Konzentrationslagern?

KAUFMANN: Ich setze voraus, daß die Zuständigkeitsfrage für die Konzentrationslager dem Hohen Gericht bekannt ist. Als höchster Politischer Leiter des Gaues...

VORSITZENDER: Dr. Servatius! Ich weiß nicht, was der Zeuge meint, wenn er sagt, daß die Zuständigkeitsfrage für die Konzentrationslager dem Gerichtshof bekannt ist.

DR. SERVATIUS: Er wollte nicht so weit ausholen und darstellen, daß er an und für sich als Gauleiter nicht verantwortlich ist für das Konzentrationslager selbst, sondern er wollte nur erklären, daß er gleich zu seiner Verantwortung übergehen will und nicht eine lange Schilderung geben will über die Kompetenzen. Er sagt deshalb: Ich nehme an, daß das Gericht darüber unterrichtet ist.

VORSITZENDER: Also, sagen Sie, daß Sie mit den Konzentrationslagern beauftragt oder für sie verantwortlich waren?

KAUFMANN: Nein, keineswegs.

VORSITZENDER: Gut, was meinen Sie mit der Zuständigkeit für die Konzentrationslager?

KAUFMANN: Ich wollte damit andeuten oder aussprechen, ob ich voraussetzen darf, daß das Gericht diese Zuständigkeit kennt. Wenn nicht, bin ich bereit, das kurz zu tun.

VORSITZENDER: Gut, wollen Sie es kurz erklären?

KAUFMANN: Jawohl.

Die Konzentrationslager sind in ihrer ganzen Entstehungsgeschichte und ihrer Handhabung völlig außerhalb jeder Orientierung und jedes Einflusses der Politischen Leiter gewesen. Diese hatten also keinerlei Befugnisse gegenüber den Konzentrationslagern und keinerlei Einblick, was in denselben tatsächlich geschah. Ich selbst mußte, wenn ich ein Lager betreten wollte, eine besondere schriftliche Genehmigung des Reichssicherheitshauptamtes haben. Ich glaube, daß das ja als Erklärung genügt.

DR. SERVATIUS: Sind nicht tatsächlich Flieger gelyncht worden, und war das nicht so offenkundig, daß jeder Politische Leiter dies wußte und durch sein Verbleiben im Amt dies billigte?

KAUFMANN: Ich habe bereits erklärt, daß im Gaugebiet Hamburg solche Dinge nicht passiert sind. Und da ich selbst erst während meiner Gefangenschaft von solchen Fällen erfahren habe, muß ich ohne weiteres annehmen, daß meine Politischen Leiter gleich mir von diesen Dingen erst in der Gefangenschaft erfahren haben.

DR. SERVATIUS: War nicht die schlechte Behandlung der Fremdarbeiter im ganzen Reich so offenkundig, daß jeder Politische Leiter es wissen mußte und durch sein Verbleiben im Amt billigte?

KAUFMANN: Die Politischen Leiter waren, vor allen Dingen im Krieg, ortsgebunden. Sie konnten also ausschließlich nur ihren Tätigkeitsbereich übersehen, und das, was ich von diesen Lagern gesehen habe und meine Politischen Leiter in Hamburg, ist nur positiv gewesen. Die Kreisleiter waren ja verpflichtet, da, wo Mängel und Mißstände waren, mit der Arbeitsfront und den Betriebsführern dies sofort abzustellen.

DR. SERVATIUS: Wie war das Verhältnis der Politischen Leiter zu den Staatsorganisationen, -verwaltungen und -einrichtungen?

KAUFMANN: Die Funktionen waren, soweit nicht Personalunion für einzelne bestand, vollkommen voneinander verschieden und getrennt.

DR. SERVATIUS: In welchem Verhältnis standen die Politischen Leiter zur SA und zur Allgemeinen SS?

KAUFMANN: SA und Allgemeine SS waren selbständige Gliederungen mit eigenen Befehlsverhältnissen. Sie konnten von den Politischen Leitern zur Unterstützung ihrer Arbeit angefordert werden.

DR. SERVATIUS: Hatten die Politischen Leiter eine eigene Exekutivgewalt?

KAUFMANN: Keineswegs. Soweit sie keinerlei staatliche Funktionen hatten, waren sie, wie gesagt, ausschließlich auf das Parteigebiet beschränkt.

DR. SERVATIUS: Konnten die Politischen Leiter der Gestapo oder dem SD Weisungen geben?

KAUFMANN: Das ergibt sich schon aus der Beantwortung der vorigen Frage. Daß aber bei der Staatspolizei und dem SD die Wachsamkeit über die eigene Organisation noch stärker war als bei den übrigen Verwaltungen, war für alle selbstverständlich.

DR. SERVATIUS: Herr Zeuge! Wie standen Sie zum Führer?

KAUFMANN: Ich habe den Führer in den ersten Jahren verehrt, später verehrt, aber in vielem nicht mehr verstanden, und das, was heute als Maßnahmen dem Führer unterstellt wird, früher nicht für möglich gehalten.

DR. SERVATIUS: Kann man die Politischen Leiter im wesentlichen als gutgläubig bezeichnen, die an Hitler als ein Idealbild geglaubt haben und keine Kenntnis von den Judenausrottungen und anderem hatten?

KAUFMANN: In richtiger Beurteilung ihrer Funktionen, ihrer Gesinnung und dessen, was sie wissen mußten beziehungsweise wissen konnten, muß den Politischen Leitern diese Gutgläubigkeit nach meiner Auffassung unbeschränkt unterstellt werden.

DR. SERVATIUS: Ich habe keine Fragen mehr an den Zeugen.

VORSITZENDER: Der Gerichtshof vertagt sich jetzt.