[Dem Zeugen wird das Dokument überreicht.]
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»Verbrechen von Mitgliedern der Allgemeinen SS und der Waffen-SS.
Die von den Angehörigen der SS-Truppen gegen die Tschechoslowakei und gegen ausländische Staatsangehörige im Gebiete der Tschechoslowakischen Republik begangenen Verbrechen...«
VORSITZENDER: Herr Elwyn Jones! Ist es nicht etwas spät, jetzt Dokumente dieser Art vorzulegen, die allgemeine Berichte der Regierungen alliierter Länder sind? Der Fall ist von der Anklagevertretung schon vollständig vorgebracht worden. Jetzt ein neues Dokument dieser Art vorzulegen, das doch nur ein Bericht eines alliierten Landes ist, erscheint dem Gericht als ein ungewöhnlicher Vorgang.
MAJOR ELWYN JONES: Wenn Euer Lordschaft es gestatten, möchte ich darauf hinweisen, daß die Anklagevertretung das Recht hat, solche Dokumente als Gegenbeweis zu der Aussage dieses Zeugen vorzulegen. Die Vorstellung, daß ein Zeuge feierlich erklären würde, die SS-Wachmannschaften hätten keine Greueltaten begangen, hat nicht einmal die Anklagevertretung für möglich gehalten. Angesichts einer solchen Aussage hält die Anklagevertretung die Vorlage von Dokumenten für ihr gutes Recht, die nicht Einzelfälle, gegen die der Gerichtshof vielleicht Einspruch erheben könnte, sondern den ganzen Aussagenkomplex behandeln. Ich behaupte, daß die Anklagebehörde bis zum letzten Augenblick des Prozesses solche Dokumente vorlegen darf, wenn es auch vielleicht bedauerlich ist, daß solche Dokumente bisher nicht vorgelegt worden sind; ich behaupte aber, daß die Anklagebehörde dazu berechtigt ist.
Darf ich eine weitere Erklärung zu Euer Lordschafts Bemerkung hinzufügen: Die Verteidigung hat doch über 100000 eidesstattliche Versicherungen vorgelegt, und ich möchte vorbringen, daß es unter diesen Umständen, angesichts dieses Berges von Beweisstücken, nur recht und billig sein kann, wenn im Protokoll auch die Zeugnisse aller Aussagen zugunsten der Anklage vorliegen.
VORSITZENDER: Wie verhalten Sie sich zur Deutung des Artikels 21 in Zusammenhang mit diesem Dokument?
MAJOR ELWYN JONES: Euer Lordschaft! Ich unterstelle, daß die Bestimmungen des Artikels 21 den Gerichtshof zur Annahme derartiger Regierungsberichte, die von der Anklagebehörde vorgelegt werden, verpflichten.
VORSITZENDER: Auf welche Worte nehmen Sie in erster Linie Bezug?
MAJOR ELWYN JONES: »Der Gerichtshof...« Der zweite Satz: »Der Gerichtshof... soll... von Amts wegen zur Kenntnis nehmen... öffentliche Urkunden der Regierung und Berichte der Vereinten Nationen, einschließlich der Handlungen und Urkunden der in den verschiedenen alliierten Ländern für die Untersuchung von Kriegsverbrechen eingesetzten Komitees, sowie die Protokolle und Entscheidungen von Militär- oder anderen Gerichten irgendeiner der Vereinten Nationen.«
Nun, Euer Lordschaft, dieses Dokument enthält auf dem Titelblatt eine Beglaubigung des Tschechischen Innenministers, die es als Staatsdokument im Sinne des Artikels 21 beglaubigt. Es trägt die Unterschrift des Ministers des Innern selbst. Deshalb behaupte ich, daß es nach den Bestimmungen des Artikels 21 wohl zulässig ist und der Gerichtshof es daher zulassen sollte.
VORSITZENDER: Ist dieses Dokument von irgendeiner Kommission oder einem Ausschuß verfaßt worden?
MAJOR ELWYN JONES: Es ist ein Bericht des Tschechoslowakischen Ministeriums des Innern. Es ist ein Bericht einer Staatsstelle.
VORSITZENDER: Gerichtet an wen?
MAJOR ELWYN JONES: Weiterhin, Euer Lordschaft, hat mich mein Kollege, Sir Griffith-Jones, auf Artikel 19 des Statuts aufmerksam gemacht: »Der Gerichtshof ist an Beweisregeln nicht gebunden, er soll in weitem Ausmaß ein schnelles und nicht formelles Verfahren anwenden und jedes Beweismaterial, das ihm Beweiswert zu haben scheint, zulassen.«
Auch wenn Sie der Meinung sein sollten – was mir unwahrscheinlich scheint –, daß dieses Dokument nicht unter Artikel 21 fällt, dann wäre es unter Artikel 19 zulässig.
VORSITZENDER: Ja. Wollen Sie irgend etwas sagen, Dr. Pelckmann?
RA. PELCKMANN: Euer Lordschaft! Die Entscheidung des Gerichts über dieses Dokument sollte die gleiche sein wie über die beiden Dokumente, die gestern vergeblich versucht worden sind, eingeführt zu werden. Ob dieses Dokument der Formvorschrift des Artikels 21 entspricht, kann ich nicht beurteilen. Das wird das Gericht von sich aus prüfen. Aber ich verweise auf den anderen Gesichtspunkt, den Euer Lordschaft bereits angeschlagen hat. Es ist sehr spät, wenn diese Dokumente erst jetzt eingereicht werden. Der Artikel 21 ist ja nur so zu verstehen, daß solche Dokumente eingereicht werden können während des Vortrags der Anklage. Der Vortrag der Anklage ist geschlossen, und es kann nur im Wege des Vorhalts eingeführt werden an den Zeugen; dann muß aber der Verteidigung – da es sich um Hunderte, ja vielleicht Tausende von Fällen handelt – der Verteidigung Gelegenheit gegeben werden, dazu Stellung zu nehmen, denn alles dient ja nicht etwa nur der Prüfung der Glaubwürdigkeit des Zeugen, sondern stellt eine tatsächliche neue Anklagevorbringung dar, und dazu muß die Verteidigung Stellung nehmen. Ich glaube, das ist nicht der Sinn des Artikels 21, denn sonst würde das Verfahren ins Unendliche ausgedehnt werden.
VORSITZENDER: Der Gerichtshof wird sich vertagen und um 14.00 Uhr wieder zusammentreten.