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[Der Zeuge spricht die Eidesformel nach.]

VORSITZENDER: Sie können sich setzen.

RA. PELCKMANN: Herr Zeuge! Wegen der Bedeutung Ihrer Aussage frage ich Sie zunächst etwas eingehender über Ihre Persönlichkeit. Waren Sie SS- Richter der Reserve?

MORGEN: Jawohl.

RA. PELCKMANN: Bitte sprechen Sie langsam, und warten Sie nach jeder Frage etwas ab.

Welche Vorbildung hatten Sie?

MORGEN: Ich habe Jurisprudenz an den Universitäten Frankfurt am Main, Rom, Berlin, an der »Académie de Droit International« in Den Haag und an dem »Institut für Weltwirtschaft und Seeverkehr« in Kiel studiert. Ich habe das erste und das große juristische Staatsexamen bestanden und war vor dem Kriege als Richter am Landgericht Stettin tätig.

RA. PELCKMANN: Waren Sie Spezialist in Kriminalistik und Strafrecht?

MORGEN: Nein. Ich hatte mich auf internationales Recht spezialisiert; aber später, als ich mich mit Kriminalistik und Strafrecht während des Krieges zu befassen hatte, habe ich dort besondere Leistungen erbracht.

RA. PELCKMANN: Wie kamen Sie zur SS?

MORGEN: Zur Allgemeinen SS wurde ich unfreiwillig übernommen. Ich gehörte 1933 dem Reichskuratorium für Jugendertüchtigung an, dessen Studentengruppe geschlossen überführt wurde. Zur Waffen-SS wurde ich bei Kriegsbeginn eingezogen.

RA. PELCKMANN: Welchen Dienstgrad hatten Sie dort?

MORGEN: In der Allgemeinen SS Staffelanwärter, SS-Rottenführer. In der Waffen-SS zuletzt Sturmbannführer der Reserve.

RA. PELCKMANN: Welches Beispiel können Sie dafür anführen, daß Sie nicht glaubten, einer Verschwörung beizutreten, wenn Sie in die SS eintraten? Ganz kurz, bitte.

MORGEN: Ich habe 1936 ein Buch veröffentlicht »Kriegspropaganda und Kriegsverhütung«. Dieses Buch diente dazu, in einer Zeit drohender Kriegsgefahren Mittel und Wege zu zeigen, um Kriege und Völkerverhetzung zu verhindern. Das Buch wurde parteiamtlich geprüft und veröffentlicht. Ich konnte deshalb nicht annehmen, daß die SS oder die Politik der Reichsregierung auf Krieg ausginge.

RA. PELCKMANN: Wie kamen Sie zu den Untersuchungen in Konzentrationslagern?

MORGEN: Ich war auf Befehl des Reichsführer-SS wegen meiner besonderen kriminalistischen Fähigkeiten vom Hauptamt SS-Gericht versetzungsgleich kommandiert zum Reichskriminalpolizeiamt Berlin. Dort erhielt ich kurz nach meinem Eintreten die Aufgabe, einen Korruptionsfall in Weimar zu untersuchen. Der Beschuldigte war ein Angehöriger des Konzentrationslagers Weimar-Buchenwald. Die Untersuchungen führten bald auf die Person des früheren Kommandanten Koch, auf zahlreiche seiner Führer und Unterführer, darüber hinaus griffen sie um auf eine Reihe anderer Konzentrationslager. Als diese Untersuchungen größeren Umfang annahmen, erhielt ich Vollmacht des Reichsführer-SS, generell für derartige Untersuchungen in Konzentrationslagern tätig zu sein.

RA. PELCKMANN: Wozu war... Warum war eine besondere Vollmacht des Reichsführers nötig?

MORGEN: Für die Wachmannschaften der Konzentrationslager waren die SS- und Polizeigerichte zuständig, das heißt jeweils das örtliche Gericht, in dessen Bezirk das betreffende KZ war. Das Gericht konnte deshalb wegen der begrenzten Zuständigkeit seines Gerichtsherrn über seinen Bezirk hinaus nicht tätig sein. Bei diesen Untersuchungen und ihren weiten Verzweigungen kam es aber darauf an, überörtlich tätig sein zu können. Außerdem bedurfte es des Einsatzes von kriminalistischem Fachpersonal, also der Kriminalpolizei. Die Kriminalpolizei konnte aber direkt bei der Truppe keine Untersuchungen führen, und nur durch die Kombination von richterlicher und kriminalpolizeilicher Tätigkeit war es möglich, dies aufzuklären, und für diesen Zweck wurde mir diese Sondervollmacht des Reichsführers gegeben.

RA. PELCKMANN: Welche Ausdehnung nahmen nun diese Untersuchungen an? Sie können sich kurz fassen, weil dieser Punkt teilweise durch den Zeugen Reinecke beantwortet wurde.

MORGEN: Untersucht wurden von mir Weimar-Buchenwald, Lublin, Auschwitz, Sachsenhausen, Oranienburg, Hertogenbosch, Krakau, Plaschow, Warschau und das Konzentrationslager Dachau. Nach mir noch andere.

RA. PELCKMANN: Wie viele Fälle haben Sie etwa untersucht? Wieviel sind abgeurteilt worden? Wie viele Todesurteile?

MORGEN: Ich habe etwa 800 Fälle bearbeitet, das heißt 800... etwa 800 Aktenstücke, wobei ein Aktenstück mehrere Fälle umfaßte. Während meiner Tätigkeit gelangten etwa 200 zur, Aburteilung. Ich persönlich habe fünf Kommandanten von Konzentrationslagern verhaftet, zwei wurden nach gerichtlichem Verfahren erschossen.

RA. PELCKMANN: Erschießen lassen, Herr Zeuge?

MORGEN: Bitte?

RA. PELCKMANN: Wurden erschossen?

MORGEN: Ja, außer den Kommandanten ergingen noch andere zahlreiche Todesurteile gegen Führer und Unterführer.

RA. PELCKMANN: Hatten Sie selbst die Möglichkeit, einen direkten Einblick in die Verhältnisse der Konzentrationslager zu bekommen?

MORGEN: Jawohl, denn ich hatte die Genehmigung, Konzentrationslager selbst zu besuchen. Diese Genehmigung hatten sonst nur ganz wenige Personen. Ich habe vor Beginn von Untersuchungen das betreffende Konzentrationslager in allen seinen Einzelheiten und die für mich besonders wichtigen Einrichtungen desselben eingehendst untersucht, wiederholt besucht, überraschend besucht. Ich war in Buchenwald selbst acht Monate hauptsächlich tätig und habe dort gewohnt, in Dachau etwa ein, zwei Monate.

RA. PELCKMANN: Nachdem so viele Besucher von KZ-Lagern behaupteten, daß sie getäuscht worden sind: Halten Sie es für möglich, daß auch Sie ein Opfer solcher Täuschungsmanöver geworden sind?

MORGEN: Ich betonte vorhin, daß ich kein Besucher eines Konzentrationslagers war, sondern ich hatte mich ja dort zu einem Daueraufenthalt niedergelassen, ich möchte fast sagen, direkt eingenistet. Während einer solchen langen Zeit ist es wohl unmöglich, getäuscht zu werden. Außerdem hatte ich die Kommissionen des Reichskriminalpolizeiamtes, die nach meinen Weisungen arbeiteten, unmittelbar in die Konzentrationslager selbst hineingesetzt. Ich will nicht behaupten, daß ich trotz dieser sehr intensiven Bemühungen hätte alle Verbrechen erfahren können, aber ich glaube, daß über das, was ich erfahren habe, daß es da keine Täuschung gibt.

RA. PELCKMANN: Hatten Sie den Eindruck gewonnen und zu welchen Zeiten, daß die Konzentrationslager Menschenvernichtungsstätten waren?

MORGEN: Diesen Eindruck habe ich nicht gewonnen. Ein Konzentrationslager ist keine Menschenvernichtungsstätte. Ich muß sagen, schon der erste Besuch in einem Konzentrationslager – ich erwähnte, daß der erste Weimar-Buchenwald gewesen ist – brachte für mich eine außerordentliche Überraschung. Das Lager liegt auf waldigen Höhen mit wunderbarer Fernsicht, die Anlagen sind sauber, frisch gestrichen, viel Rasen und Blumen, die Häftlinge waren gesund, normal ernährt, braun gebrannt, von irgendeinem besonderen Tempo der Arbeit...

VORSITZENDER: Von welchem Zeitpunkte sprechen Sie?

MORGEN: Ich spreche von dem Beginn meiner Untersuchungen, Juli 1943.

RA. PELCKMANN: Welche Delikte haben Sie festgestellt?

MORGEN: Verzeihen Sie, ich war noch... darf ich fortfahren?

RA. PELCKMANN: Fassen Sie sich etwas kürzer.

MORGEN: Die sonstigen Lagereinrichtungen waren tadellos in Ordnung, besonders der Krankenbau. Die Führung des Lagers in Händen des Kommandanten Diester war darauf angelegt, den Häftlingen ein menschenwürdiges Dasein zu bereiten. Die Häftlinge hatten freien Post- und Briefverkehr, sie hatten eine große Lagerbücherei, selbst mit fremdsprachigen Werken, sie hatten Variété, Film, sportliche Wettkämpfe und sogar ein Bordell. Ähnlich wie Buchenwald sind ungefähr alle anderen Konzentrationslager eingerichtet gewesen.

VORSITZENDER: Was haben sie auch gehabt? Ich habe das letzte Wort nicht genau verstanden.

MORGEN: Ein Bordell.

RA. PELCKMANN: Welche Delikte haben Sie nun festgestellt?

MORGEN: Ich erwähnte vorhin, die Untersuchungen nahmen ihren Ausgangspunkt von dem Verdacht von Korruptionsverbrechen. Mit der Zeit mußte ich jedoch feststellen, daß außer diesen Verbrechen auch Tötungsdelikte vorgekommen waren.

RA. PELCKMANN: Wie kamen Sie zu dem Verdacht, daß Tötungen vorgenommen wurden?

MORGEN: Ich mußte feststellen, daß der Ausgangspunkt der Korruption die Einlieferungen der Juden nach der Aktion 1938 waren. Es kam mir darauf an, alle nur möglichen Fakten über diese Aktion zu gewinnen, und ich mußte dabei feststellen, daß Häftlinge, von denen anzunehmen war, daß sie etwas über diese Korruptionsverbrechen wissen konnten, in ihrer Mehrzahl verstorben waren. Diese besondere Häufigkeit der Tötungen fiel deshalb auf, fiel mir deshalb auf, weil andere Häftlinge, die sich in keinen Schlüsselstellungen befanden, auch jahrelang in bester Gesundheit sich in Buchenwald befanden und noch da waren, so daß es also auffallen mußte, daß gerade bestimmte Häftlinge, die als Zeugen in Frage gekommen wären, verstorben waren. Ich habe daraufhin die Akten dieser verstorbenen Häftlinge geprüft. Aus den Akten selbst ergab sich kein Verdacht einer unrechtmäßigen Tötung. Die Todestage lagen bis zu Jahren auseinander, und es waren jeweils verschiedene Todesursachen angegeben. Es fiel mir aber auf, daß die meisten dieser verstorbenen Häftlinge kurz vor ihrem Tode in dem Krankenrevier oder in dem Arrest waren. So erhielt ich den ersten Verdacht, daß in diesen beiden Einrichtungen des Konzentrationslagers unter Umständen Morde an Häftlingen vorgekommen sein könnten. Ich habe daraufhin einen Spezialbeamten eingesetzt, der nur die Aufgabe hatte, die Verdachtgründe und Gerüchte, die sich hinsichtlich von Häftlingstötungen um den Arrest, den sogenannten Bunker, rankten, zu untersuchen. Dieser sehr eifrige und tüchtige Kriminalbeamte mußte mir aber immer und immer wieder melden, daß er nicht den geringsten Anhaltspunkt für diesen meinen Verdacht gefunden habe. Nach zwei Wochen völlig ergebnisloser Tätigkeit verweigerte mir der Krimmalbeamte den weiteren Dienst, fragte mich ironisch, ob ich denn selbst daran glaube, daß solche Gerüchte, es seien Häftlinge unrechtmäßig getötet worden, wahr sein könnten.

Nur durch einen Zufall kam ich viel später auf die erste Spur, und zwar fiel mir auf, daß bei bestimmten Häftlingen sowohl in den Büchern des Kommandanturarrestes wie in denen des Krankenhauses sie zur selben Zeit geführt worden sind. Im Arrestbuch stand zum Beispiel: »Entlassungstag 9. Mai, 12 Uhr.« In den Registern des Krankenrevieres: »Patient verstorben 9. Mai, 9.15 Uhr vormittags.« Ich sagte mir: Der Häftling kann nicht gleichzeitig im Kommandanturarrest sein und Patient im Krankenbau. Es müssen also hier Fälschungen vorgekommen sein, und hierauf spezialisierte ich mich, und es gelang mir, hinter dieses System, denn es war ein System unter dem Kommandanten Koch, zu kommen. Man hatte die Häftlinge an einem geheimen Ort, nämlich meistens in dem... einer Zelle des Kommandanturarrestes getötet, und es waren für die Akten Krankenberichte und Todesbescheinigungen angefertigt worden. Diese waren derart raffiniert gemacht, daß jeder unbefangene Leser dieser Akten den Eindruck erhalten mußte, daß der betreffende Häftling tatsächlich behandelt worden und an der angegebenen schweren Krankheit verstorben war.

RA. PELCKMANN: Was haben Sie nach diesen Feststellungen veranlaßt?

MORGEN: Ich ermittelte als ersten Täter den Standortarzt Buchenwald, den SS-Hauptsturmführer Dr. med. Hoven und verhaftete ihn. Ich habe von diesen raffinierten Fälschungen meine Untersuchungskommissionen unterrichtet und ihr spezielles Augenmerk darauf gelenkt, nunmehr systematisch in den von uns bearbeiteten Konzentrationslagern danach zu forschen, ob auch in anderen Konzentrationslagern derartige Morde vorgekommen sind. Wir konnten dabei feststellen, daß in dem damaligen Zeitpunkt der Untersuchung – ich spreche jetzt vom zweiten Halbjahr 1943 – in den Konzentrationslagern Buchenwald, Sachsenhausen und Dachau nach menschlichem Ermessen derartige Tötungen nicht vorkamen; dagegen bei den anderen Konzentrationslagern wurden solche festgestellt. Die betreffenden ermittelten Beschuldigten wurden verhaftet und angeklagt.

RA. PELCKMANN: Warum ist das nicht schon früher geschehen?

MORGEN: Ich sagte bereits, die Täuschungen waren derartig raffiniert, daß es nicht möglich gewesen ist, sie früher zu erkennen. Vor allen Dingen fehlte es an der Aufklärungsmöglichkeit, und dann handelte es sich immer um Taten ohne Zeugen. Diese Fälle wären an und für sich von den SS-Gerichten zu untersuchen gewesen. Sie sind auch untersucht worden, denn jeder unnatürliche Todesfall eines Häftlings war durch Fernschreiben den zentralen Dienststellen zu melden. Außerdem hatte sich der in dem Lager befindliche, besonders vereidigte Gerichtsoffizier sofort an den Tatort zu begeben, die Zeugen zu vernehmen, es waren Tatortskizzen, Tatortphotos anzufertigen, und es war Vorschrift, daß über jeden derartigen Fall eine Sektion stattzufinden hatte.

Diese Akten über unnatürliche oder vermutet unnatürliche Todesfälle gingen regelmäßig an die SS- und Polizeigerichte. Aber wie ich bereits sagte, waren diese Berichte derart raffiniert angelegt, die Akten waren so einwandfrei in Ordnung, daß selbst dem Fachmann nicht der Verdacht einer unrechtmäßigen Tötung kommen konnte. Es sind daneben selbstverständlich laufend Verhandlungen und Urteile gegen Angehörige des Konzentrationslagerpersonals ergangen, auch Todesurteile, aber diese Kriminalität schien im üblichen Truppenrahmen von etwa 0,5 auf 3 vom Hundert zu liegen.

Wäre aus den Konzentrationslagern überhaupt nichts an die SS-Gerichte gekommen, dann hätte... wäre das selbstverständlich aufgefallen, ebenso wenn sehr viel an uns herangetragen worden wäre. Aber es war ein normaler Durchschnitt, und man konnte keinerlei Verdacht schöpfen, daß in den Konzentrationslagern sich der Herd gefährlicher Verbrechen befände. Erst durch meine Untersuchungen, von denen ich sagte, daß sie durch einen Zufall ausgelöst worden sind, bekamen wir einen Einblick in die wahren Zustände.

RA. PELCKMANN: Wie kamen Sie auf die Spuren der Massenvernichtungen, wenn Sie eben noch von Einzelvernichtungen gesprochen haben?

MORGEN: Ich kam auf die Spuren von Massenvernichtungen ebenfalls durch einen Zufall. Und zwar bekam ich gegen Ende des Jahres 1943 gleich zwei Spuren; von denen führte die eine nach Lublin, die andere nach Auschwitz.

RA. PELCKMANN: Schildern Sie zunächst die Lubliner Spur.

MORGEN: Es kam eines Tages zu mir ein Bericht des Kommandeurs der Sicherheitspolizei Lublin. Der Kommandeur berichtete darin: Es habe in seinem Bezirk in einem jüdischen Arbeitslager eine Judenhochzeit stattgefunden. An dieser Judenhochzeit hätten sich 1100 geladene Gäste... An dieser... Es ist offenbar eine technische Störung.

RA. PELCKMANN: Sprechen Sie weiter, Herr Zeuge, schneller.

MORGEN: An dieser Judenhochzeit hätten sich 1100 Gäste beteiligt. Der weitere Verlauf wurde als ganz außerordentlich hinsichtlich des Konsums von Schlemmereien und des Verbrauches von Alkoholika geschildert. Unter diesen... Mitten unter diesen Juden hätten Angehörige der Lagertruppe, also irgendwelche SS-Angehörige gesessen und hätten an diesem Treiben teilgenommen.

Dieser Bericht kam erst auf vielen Umwegen nach Monaten zu mir, und zwar deshalb, weil der Kommandeur der Sicherheitspolizei hier Zustände vermutete, die den Verdacht strafbarer Handlungen aufkommen ließen. Dies war auch mein Eindruck, und ich nahm an, durch diesen Hinweis Anhaltspunkte für ein weiteres größeres Korruptionsverbrechen zu erhalten. In dieser Absicht fuhr ich nach Lublin. Ich sprach bei der Sicherheitspolizei vor, konnte aber dort nur den Hinweis erhalten, daß es sich um Vorgänge in einem Lager der »Deutschen Ausrüstungswerke« handle. Dort war nichts davon bekannt. Ich erhielt aber den Hinweis, daß die Möglichkeit bestände, es handle sich hier um – man drückte sich so aus – ein undurchsichtiges oder eigenartiges Lager in der Nähe von Lublin. Ich machte dieses Lager ausfindig und seinen Kommandanten. Dieser Kommandant war der Kriminalkommissar Wirth. Ich fragte Wirth, ob dieser Bericht zuträfe oder was es damit auf sich habe. Daraufhin gab Wirth zu meinem grenzenlosen Erstaunen diesen Vorfall zu. Ich fragte ihn, wie er dazukomme, insbesondere Angehörige seines Kommandos dazukämen. Daraufhin enthüllte mir Wirth, er habe im Auftrag des Führers die Judenvernichtung durchzuführen.

RA. PELCKMANN: Bitte schildern Sie weiter, Herr Zeuge, Ihre Ermittlungen.

MORGEN: Ich fragte den Wirth, was dieser Auftrag mit der jüdischen Hochzeit zu tun habe. Darauf schilderte mir Wirth die Methode, mit der er die Judenvernichtung durchführte. Er sagte mir ungefähr folgendes:

Man muß die Juden mit ihren eigenen Waffen schlagen, das heißt, ich bitte um Verzeihung, daß ich diesen Ausdruck gebrauche, man muß sie bescheißen, das heißt, Wirth baute ein riesiges Täuschungsmanöver auf. Er hat zunächst Juden sich gesucht, die ihm als Kolonnenführer dienlich erschienen. Diese Leute, diese Juden, haben dann wieder andere mitgebracht, die unter ihnen arbeiteten. Und mit diesem zunächst kleinen bis mittleren Kommando von Juden hat er begonnen, die Vernichtungslager aufzubauen. Diesen Stab von Juden hat er erweitert, und mit diesen Juden hat Wirth die Vernichtung der Juden selbst durchgeführt. Wirth sprach mir davon, daß er vier Vernichtungslager habe und daß etwa 5000 Juden an der Judenvernichtung und der Erfassung der jüdischen Effekten tätig seien. Um nun diese Juden für dieses Geschäft der Tötung und Ausplünderung ihrer Glaubens- und Rassegenossen zu gewinnen, hat Wirth ihnen jegliche Freiheiten gegeben und sie sozusagen an der Ausbeutung der toten Opfer finanziell beteiligt. Als Folge dieses Verhaltens war es dann auch zu dieser fürstlichen Judenhochzeit gekommen.

Ich fragte nun Wirth weiter, wie er mit diesen seinen Juden die Juden selbst umbringe. Wirth schilderte mir daraufhin das ganze Verfahren, das jedesmal wie ein Film ablief. Die Vernichtungslager befanden sich im Osten des Generalgouvernements in großen Wäldern oder unbewohnten Ödländern. Sie waren aufgebaut wie ein Potemkinsches Dorf, das heißt, die Ankömmlinge hatten den Eindruck von einer größeren... in eine größere Stadt oder menschliche Siedlung zu kommen. Der Zug fuhr in einen Scheinbahnhof hinein. Nachdem Begleitpersonal und Zugpersonal das Gelände verlassen hatten, wurden die Waggons geöffnet und die Juden stiegen aus. Sie sahen sich sofort von diesen jüdischen Arbeitskommandos umgeben, und als erstes hielt der Kriminalkommissar Wirth beziehungsweise einer seiner Vertreter eine Ansprache. Er sagte dies: »Juden, Ihr seid hierhergebracht worden, um umgesiedelt zu werden. Ehe wir Euch aber diesen zukünftigen Judenstaat organisieren, müßt Ihr selbstverständlich arbeiten lernen. Ihr müßt einen neuen Beruf ergreifen. Das kriegt Ihr hier gelernt. Zunächst fängt das hier so an, daß sich jeder, wie es vorgeschrieben ist, auszieht, damit Eure Kleider desinfiziert und Ihr gebadet werden könnt und keine Seuchen in das Lager geschleppt werden.« Nachdem er also so beruhigende Worte an seine Opfer gefunden hatte, traten diese den Weg in den Tod an. In der ersten Station – Frauen und Männer getrennt – hatte er seinen Hut abzugeben, in der nächsten seinen Rock, seinen Kragen, sein Hemd, bis auf die Schuhe und Strümpfe. Dafür bekam er bei einer... bei diesen als Garderobe eingerichteten Stellen jedesmal eine Kontrollmarke in die Hand, so daß die Leute glaubten, sie bekämen nachher auch ihre Sachen zurück.

Dabei hatten die Juden, die anderen Juden, die Aufgabe, die Sachen in Empfang zu nehmen und im übrigen die Ankömmlinge anzutreiben, damit sie überhaupt nicht zur Besinnung kamen. Das Ganze ging wie an einem laufenden Band, und so gelangten sie nach der letzten Station in einen großen Raum, von dem gesagt wurde, es wäre das Bad. Wenn der letzte drinnen war, wurden die Türen geschlossen, und dann hat man Gas in den Raum einströmen lassen. Sofort nach Eintritt des Todes liefen die Exhaustoren an; wenn die Luft wieder atembar war, öffneten sich die Tore und die jüdischen Hilfsarbeiter schafften die Leichen heraus. Diese wurden nach einem besonderen Verfahren, das Wirth sich ausgedacht hatte, in der freien Luft verbrannt ohne Zuhilfenahme von Brennmaterial.

RA. PELCKMANN: Haben Sie Wirth gefragt... zunächst eine Frage: War Wirth Angehöriger der SS?

MORGEN: Nein. Wirth war Kriminalkommissar in Stuttgart.

RA. PELCKMANN: Haben Sie Wirth gefragt, wie er auf dieses teuflische System gekommen ist?

MORGEN: Als Wirth die Judenvernichtung übernahm, war er bereits ein Spezialist in Massenvernichtungen von Menschen, und zwar hatte er vorher den Auftrag ausgeführt, die unheilbaren Geisteskranken zu beseitigen. Er hatte zu diesem Zweck im Auftrag des Führers selbst, der ihm durch die Kanzlei des Führers übermittelt worden ist, sich Anfang des Krieges ein Kommando zusammengestellt aus einigen Beamten, die er hatte – ich nehme an, der Rest waren Spitzel und Agenten der Kriminalpolizei.

Wirth schilderte mir sehr lebhaft, wie er an die Ausführung herangegangen sei, daß er dabei keinerlei Hinweise gefunden habe, keinerlei Hilfe, sondern daß er alles aus sich selbst heraus habe finden müssen. Man hatte ihm lediglich eine alte geräumte Anstalt in Brandenburg überlassen. In Brandenburg hat er seine ersten Versuche unternommen, und ist dann nach vielen Überlegungen und Einzelausführungen zu dem späteren System gekommen. Dieses System wurde nun in großem Rahmen bei dieser Irrenaktion angewandt. Eine Kommission von Ärzten habe vorher die Akten geprüft und nach den Anstaltsberichten diejenigen Irren, die unheilbar schienen, in einer besonderen Liste zusammengefaßt; dann bekam die betreffende Anstalt eines Tages die Aufforderung, die und die Patienten in eine andere Anstalt zu verlegen; von dieser Anstalt wurde der Patient noch einmal, unter Umständen mehrmals, verlegt, und kam dann schließlich in die Einrichtungen von Wirth. Dort wurde er durch Gas getötet und eingeäschert.

Dieses System, das also die Anstalten täuschte und diese mit zum Helfer, zum unwissenden Helfer machte, dieses System, mit dem er mit ganz wenigen Leuten große Menschenmengen umbringen konnte, dieses System hat Wirth nun bei der Judenvernichtung mit einigen Abwandlungen und Verbesserungen angewandt. Zu diesen Judenvernichtungen erhielt er ebenfalls den Auftrag von der Kanzlei des Führers.

RA. PELCKMANN: Diese Darstellung, die Ihnen Wirth gegeben hat, muß doch das menschliche Denkvermögen überstiegen haben. Haben Sie denn Wirth so ohne weiteres geglaubt?

MORGEN: Zunächst erschien mir die Darstellung von Wirth völlig phantastisch; aber ich habe in Lublin selbst ein Lager von ihm gesehen. Es war ein Lager, das die Effekten oder einen Teil der Effekten seiner Opfer aufnahm. Schon aus diesem Umfange – es waren unerhört viele Uhren, die da nun gestapelt waren – mußte ich erkennen, daß hier Ungeheuerliches vor sich ging. Ich bekam auch die Wertsachen gezeigt. Ich kann sagen, ich habe noch nie soviel Geld, insbesondere ausländisches Geld, sämtliche Münzsorten der ganzen Welt, zusammen gesehen; außerdem eine Goldschmelze und geradezu gewaltige Barren Gold. Ich habe auch gesehen, daß das Hauptquartier, von dem Wirth seine Aktionen lenkte, vollkommen klein und unauffällig war. Er hatte tatsächlich nur drei, vier Leute um sich. Ich sprach auch mit ihnen.

Ich sah, ich beobachtete auch seinen Kurierverkehr. Die Kuriere kamen tatsächlich von Berlin, Tiergartenstraße, Kanzlei des Führers, und gingen dorthin. Ich habe in den Schriftverkehr von Wirth Einsicht genommen und fand in ihm alles bestätigt. Ich habe dies natürlich nicht alles bei diesem ersten Besuch übersehen und ermitteln können, sondern ich bin öfters da gewesen, und ich habe Wirth verfolgt bis zu seinem Tode.

RA. PELCKMANN: Hat Wirth Ihnen noch Namen genannt von Leuten, die mit dieser Aktion verknüpft waren?

MORGEN: Es wurden da nicht so viele Namen genannt aus dem einfachen Grunde, weil wirklich die Zahl jener, die daran teilnahmen, sozusagen an den Fingern abzuzählen war. Es ist mir noch einer erinnerlich – ich glaube, der Name Blankenburg in Berlin.

RA. PELCKMANN: Blankenburg?

MORGEN: Blankenburg, Kanzlei des Führers.

VORSITZENDER: Wir werden uns jetzt vertagen; wir haben schon 50 Minuten gebraucht.