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[Das Gericht vertagt sich bis

8. August 1946, 10.00 Uhr.]

Einhundertachtundneunzigster Tag

Donnerstag, 8. August 1946.

Vormittagssitzung.

[Der Zeuge Morgen im Zeugenstand.]

RA. PELCKMANN: Herr Zeuge! Ich habe Ihnen zunächst zwei Bilder vorzulegen. Das hat nichts zu tun mit Ihrer Vernehmung über die Konzentrationslager.

Es sind dieselben Bilder, Euer Lordschaft, die ich gestern dem Zeugen Eisenberg vorgelegt habe. Sie haben jetzt von mir eine Exhibit-Nummer bekommen, und zwar Exhibit Nummer SS-2 und Exhibit Nummer SS-3. Sie sind, wie ich schon gestern sagte, dem in polnischer Sprache geschriebenen Buch entnommen, das von der Anklage vor einigen Tagen überreicht worden ist, und zwar Seite IX und XI.

[Dem Zeugen wird ein Bild übergeben.]

Welchen Dienstgrad hat dieser SS-Mann, Herr Zeuge?

MORGEN: Das kann kein SS-Mann sein. Dieser Mann trägt keine SS-Uniform. Ich habe nie derartige Uniformen gesehen. Der Mann trägt auf dem linken Ärmel das Abzeichen der Polizei und die Polizei- Schulterstücke.

RA. PELCKMANN: Das genügt mir, Herr Zeuge. Ich zeige Ihnen die zweite Photographie. Beantworten Sie die Frage ebenso schnell.

[Dem Zeugen wird das zweite Lichtbild überreicht.]

MORGEN: Es ist ebenfalls keine SS-Uniform, sondern eine Phantasieuniform.

RA. PELCKMANN: Danke, Herr Zeuge. Sie hatten gestern schon begonnen mit einer Schilderung der sogenannten Vernichtungslager und des Systems der Vernichtungslager. Ich möchte aber noch einmal zurückkommen auf die Zustände in den Konzentrationslagern, die von diesen sogenannten Vernichtungslagern wohl zu unterscheiden sind. Sie hatten uns eine Schilderung des äußerlichen Eindrucks dieser Lager gegeben, die außerordentlich rosig anmutete. Damit kein falscher Eindruck entsteht, wollen Sie nun bitte schildern, welches die allgemeinen negativen Wahrnehmungen waren, die Sie machten?

MORGEN: Ich darf dazu sagen: Mir ist die Frage gestellt worden, ob ich aus meinen Eindrücken in den Konzentrationslagern den Eindruck gewinnen mußte, daß es sich hier um Vernichtungslager handle. Ich habe daraufhin sagen müssen, daß dieser Eindruck nicht entstehen konnte.

Damit wollte ich keinesfalls sagen, daß die Konzentrationslager Sanatorien oder ein Paradies für die Häftlinge gewesen sind. Wenn sie das gewesen wären, dann wären ja meine Untersuchungen sinnlos gewesen. Ich habe durch diese Untersuchungen ja einen Einblick in die außerordentlich düsteren Schattenseiten der Konzentrationslager gewonnen. Bei den Konzentrationslagern handelte es sich um Einrichtungen, die, gelinde gesagt, aus einem falschen Prinzip heraus Verbrechen gebären mußten. Wenn ich sage, schon am Prinzip lag es, so meine ich damit folgendes: Der Häftling kam in das Konzentrationslager durch eine Einweisung des Reichssicherheitshauptamtes. Es entschied über seine Freiheit eine politische Stelle, deren Entscheidung nicht nachprüfbar war. Damit wurde der Häftling in einen Zustand der faktischen Rechtlosigkeit versetzt. Im Konzentrationslager drinnen war es fast unmöglich, die Freiheit zu gewinnen, obwohl in regelmäßigen Abständen Haftprüfungstermine stattfanden. Denn der Verfahrensweg war derart kompliziert, daß er praktisch, von Ausnahmefällen abgesehen, für die große Masse nicht wirksam werden konnte. Einer Entlassung mußten zustimmen das Lager, das Reichssicherheitshauptamt und die einweisende Dienststelle. Nur wenn diese drei Dienststellen zusammen übereinstimmten, konnte eine Entlassung durchgeführt werden. Dabei spielte aber nicht nur der Grund der Inhaftnahme eine Rolle, die Führung im Lager, sondern ungeheuerlicherweise durch eine Verfügung des SS-Obergruppenführers Pohl die erwerbswirtschaftliche Seite, das heißt also, wenn der Häftling, gerade weil er gut war, gebraucht wurde für den Lagerbetrieb, dann konnte er, obwohl alle Voraussetzungen für eine Entlassung gegeben wären, nicht entlassen werden. Die Konzentrationslager waren von einer Geheimsphäre umgeben. Der Häftling konnte nicht frei mit der Öffentlichkeit in Verbindung treten.

MR. DODD: Herr Vorsitzender! Wir haben natürlich nicht in erster Linie die Verantwortung für diese Verteidigung. Ich habe eben mit Herrn Elwyn Jones meinen Einwand besprochen und er findet, daß er in Ordnung ist. Es scheint mir, als ob wir einen Vortrag über den Fall der Anklagevertretung hören, und ich verstehe nicht, wie man es eine Verteidigung der SS nennen kann.

VORSITZENDER: Dr. Pelckmann! Der Gerichtshof ist der Meinung, daß der letzte Teil der Beweisführung nicht viel mit dem Fall der SS zu tun hat. Ich glaube, Sie sollten sich lieber weiter mit dem Fall der SS beschäftigen.

RA. PELCKMANN: Die Anklage gegen die SS wird im wesentlichen gestützt durch die Behauptung, daß die SS in ihrer Gesamtheit verantwortlich ist für die Konzentrationslager.

Ich bemühe mich, das Konzentrationslagerwesen von Grund auf mit all den Fragen, die bisher weder von der Anklage noch durch Zeugen hier geklärt worden sind, dem Gericht darzustellen in absoluter Erforschung der Wahrheit, und ich glaube, daß es für das Gericht notwendig ist, diese Wahrheit zu wissen, um beurteilen zu können, ob der Vorwurf der Anklage, die SS in ihrer Gesamtheit sei verantwortlich für die Greuel und für die Massenvernichtungen in den Konzentrationslagern oder in den Vernichtungslagern, berechtigt ist. Ich behaupte...

VORSITZENDER: Wollen Sie bitte so freundlich sein, mit Ihrem Fall weiterzukommen, Dr. Pelckmann, und all diese Dinge, die uns sehr weit hergeholt scheinen, so kurz wie möglich machen.

RA. PELCKMANN: Aus all den Zeugenaussagen, die ich zu diesem Punkt hier vortrage, wird sich ergeben, daß das Konzentrationslagerwesen ein in sich geschlossenes Wesen war.

VORSITZENDER: Setzen Sie Ihren Fall fort. Ich habe Sie ersucht, mit Ihrem Fall weiterzukommen, und nicht, mit mir zu streiten.

RA. PELCKMANN: Herr Zeuge! Welches war die weitere negative Wahrnehmung, die Sie gemacht haben? Bitte fassen Sie sich kurz in diesem Punkt, wie es das Gericht wünscht.

MORGEN: Der Häftling konnte nicht frei mit der Öffentlichkeit in Verbindung treten, und deshalb wurden auch seine Wahrnehmungen der Öffentlichkeit nicht bekannt.

Er war durch diesen Abschluß im KZ praktisch der Macht des Lagers unterworfen. Das wirkte sich dahin aus, daß er fürchten mußte, daß jederzeit Verbrechen gegen ihn begangen werden konnten. Aus diesen Gegebenheiten heraus, von denen ich nicht den Eindruck gewinnen konnte, daß sie ausgerichtet waren zu dem Zweck, ein System der Verbrechen zu erzeugen – den Eindruck hatte ich nicht –, aber aus all diesen Umständen mußten zwangsläufig Verbrechen entstehen, Einzelverbrechen.

RA. PELCKMANN: Herr Zeuge! Die Vorgänge und die Greuel und die Massenvernichtungen in den Konzentrationslagern sind ja gerade das, was der SS zur Last gelegt wird. Ich bitte Sie, zu schildern, wie diese Verbrechen in drei Kategorien einzuordnen sind, und was sie mit der gesamten Planung durch die SS zu tun hatten. Ich unterscheide entsprechend Ihrer Information Greuel durch höhere Gewalt, Greuel durch höchste Befehle und Greuel durch individuelle Einzelakte aus kriminellen Motiven.

MORGEN: Ein großer Teil der furchtbaren Zustände in gewissen Konzentrationslagern und zu manchen Zeiten sind nicht der beabsichtigten Planung entsprungen, sondern ergaben sich aus Umständen, die meines Erachtens als höhere Gewalt bezeichnet werden mußten, das heißt also Übel, für die die örtliche Lagerleitung nicht verantwortlich ist. Ich denke da an den Ausbruch von Seuchen. Viele Konzentrationslager wurden in unregelmäßigen Abständen das Opfer von Flecktyphus, Bauchtyphus und anderen Krankheiten, die besonders durch das Einströmen von Häftlingen aus den Ostgebieten in den Konzentrationslagern passierten. Obwohl alles Menschenmögliche getan worden ist, um diese Seuchen zu verhindern und zu bekämpfen, war doch die dadurch verursachte Todesrate außerordentlich hoch gelegen. Ein weiterer Übelstand, der sich als höhere Gewalt bezeichnet, sind die Unregelmäßigkeiten bei der Einweisung der Häftlinge, die unzulänglichen Unterkünfte. Viele Lager waren überbelegt.

Die Häftlinge kamen durch unvorhergesehene, lange Transportzeiten, verursacht durch Fliegerangriffe, entkräftet an. Gegen Ende des Krieges trat dann ein allgemeiner Zusammenbruch des Verkehrswesens ein, die Lieferungen konnten nicht mehr im notwendigen Umfange durchgeführt werden, die chemisch- pharmazeutischen Fabriken waren systematisch ausgebombt, es fehlte an allen nötigen Medikamenten, und durch die Evakuierungen aus dem Osten mußten die Lager notgedrungen in einer unerträglichen Weise überbelegt werden.

RA. PELCKMANN: Genug zu diesem Punkt. Bitte der zweite Punkt, der höchste Befehl.

MORGEN: Als höchste Befehle bezeichnete ich die bereits am Anfang geschilderten Massenvernichtungen von Menschen, nicht in den Konzentrationslagern, sondern in eigenen, von diesen getrennten Vernichtungsstätten. Es sind weiter Exekutionsanordnungen des Reichssicherheitshauptamtes gegen Einzelpersonen und Personengruppen.

Der dritte Punkt betrifft den weitaus größten Teil der individuellen Einzelverbrechen, von denen ich sagte, daß sie...

VORSITZENDER: Wovon spricht der Zeuge, wenn er von Vernichtungslagern spricht?

Wovon sprechen Sie? Was nennen Sie Vernichtungslager?

RA. PELCKMANN: Bitte, Herr Zeuge, beantworten Sie die Frage.

MORGEN: Ich verstehe als Vernichtungslager Einrichtungen, die lediglich zum Zwecke der Menschenvernichtung unter Anwendung technischer Mittel, wie Gas, geschaffen worden sind.

VORSITZENDER: Welche Lager waren das?

MORGEN: Ich schilderte bereits gestern die vier Lager des Kriminalkommissars Wirth und gab schon den ersten Hinweis auf das Lager Auschwitz. Mit »Vernichtungslager Auschwitz«, meinte ich nicht das Konzentrationslager. Das gab es dort nicht. Ich meinte ein besonderes Vernichtungslager in der Nähe von Auschwitz, »Monowitz« bezeichnet.

VORSITZENDER: Wie hießen die anderen Lager?

MORGEN: Weitere Vernichtungslager sind mir nicht bekannt.

RA. PELCKMANN: Sie sprachen zuletzt von den Greueln auf Grund von Einzelakten krimineller Art. Führen Sie das bitte aus.

MORGEN: Man muß hier den Täterkreis unterscheiden, um mit der breiten Masse anzufangen. Die Tötung der Häftlinge erfolgte selbst untereinander. Es kam zu Tötungen, zum Beispiel aus Rache. Ein Häftling war ausgebrochen. Dann mußte während der Suchaktion, weil man nicht wissen konnte, wo sich der Häftling versteckt hielt, unter Umständen im Lager selbst, das ganze Lager auf dem Exerzierplatz antreten. Das dauerte oft stundenlang, möglicherweise sogar einen Tag. Die Häftlinge waren müde und hungrig, und das sehr lange Stehen, oft unter Kälte oder Regen, erregte die Gemüter sehr stark, so daß, wenn der Häftling eingeliefert wurde, die anderen Häftlinge ihn aus Rache, daß er ihnen das aufgebürdet hatte, bei passender Gelegenheit totschlugen. Es gab viele Fälle, wo Häftlinge, die den Eindruck bekamen, daß einer von ihnen ein Spitzel sei, in Selbstverteidigung versuchten, diesen Häftling zu töten. Es gab Fälle, in denen einzelne Häftlinge körperlich schwach waren und nicht recht mitarbeiten konnten und dazu durch schlechtes Benehmen den anderen Häftlingen gegenüber, durch Brotdiebstahl oder ähnliches, die Empörung der anderen erregten, und wenn man berücksichtigt, daß ein großer Teil der Häftlinge schwer vorbestrafte Berufsverbrecher waren, so erscheint es verständlich, daß diese Menschen solche Mithäftlinge töteten. Die Tötungen geschahen in mancherlei Weise.

RA. PELCKMANN: Gut, das brauchen Sie im Moment nicht auszuführen, wir kommen später noch darauf zurück. Aber, bitte, kennzeichnen Sie eine andere Art der Täter.

MORGEN: Ich komme nun auf die Tötungen zu sprechen, die von Lagerangehörigen gegen Häftlinge, von Häftlingen gegen Mithäftlinge, durchgeführt worden sind. Um sofort präzise zu sprechen, möchte ich den Fall des gerichtlich abgeurteilten und hingerichteten Kommandanten des Konzentrationslagers Buchenwald; Koch, darstellen; folgender Einzelfall: In das Konzentrationslager Buchenwald wird ein Häftling eingewiesen, der alter Parteigenosse war. Er hat auf Grund seiner Eigenschaft als alter Kämpfer die Stellung eines Kurdirektors bekommen. Diese Stellung hat er mißbraucht, um polnische Hausangestellte zu zwingen, unter Androhung der Entlassung perverse Handlungen abscheulicher Art mit ihm vorzunehmen, obwohl er selbst schwer syphilitisch war. Dieser Mann wurde von den ordentlichen Gerichten zu langjähriger Zuchthausstrafe verurteilt und anschließend in das Konzentrationslager eingewiesen. Koch findet seine Akten vor, er hält dieses Urteil für verfehlt, und glaubt sich berufen, hier einen Justizirrtum wieder gutzumachen, er läßt diesen Häftling töten.

Ein anderer Fall, völlig anders geartet: Koch glaubt, daß ein bestimmter, kleiner jüdischer Häftling, der markante äußere Besonderheiten aufwies, ihm in seinen verschiedenen Dienststellungen in die verschiedenen Lager immer wieder folge. Aus abergläubischer Furcht vor Unglück gibt er eines Tages Anweisung, diesen Häftling zu töten.

Ein anderer Fall: Koch glaubt, daß seine verbrecherische Tätigkeit oder auch bestimmte persönliche Verhältnisse einigen Häftlingen bekanntgeworden sind. Um sich selbst zu schützen, läßt er diese töten.

RA. PELCKMANN: Wie sind nun die Möglichkeiten dieser Tötungen, und konnten sie von den übrigen Lagerinsassen bemerkt werden?

MORGEN: Das Verfahren war im Grunde äußerst einfach. Die betreffenden Häftlinge wurden ohne Angabe von Gründen aufgerufen und hatten sich am Tor des Konzentrationslagers zu melden. Das war weiter nicht auffällig, denn es wurden fast stündlich aus dem riesigen Lager Häftlinge zur Vernehmung, zum Abtransport in andere Lager und so weiter dort abgeholt. Diese Häftlinge kamen dann zum Beispiel, ohne daß das für die anderen Häftlinge erkennbar gewesen wäre, in den außerhalb des Lagers gelegenen sogenannten Kommandantur-Arrest. Dort wurden sie einige Tage, oft ein bis zwei Wochen, in Haft gehalten und dann hat der Arrestaufseher sie getötet, meistens in der Form, daß eine Scheinimpfung durchgeführt wurde. In Wirklichkeit aber war ihnen eine Injektion mit Phenol in die Adern gejagt worden.

Eine andere Möglichkeit der geheimen Tötung war die Einweisung in das Revier bei irgendeiner Gelegenheit. Der Arzt stellte einfach fest, der Mann muß behandelt werden, nimmt ihn auf, sondert ihn dann nach einiger Zeit in ein Einzelzimmer ab und tötete ihn dort. In die Akten wird in all diesen Fällen aufgenommen, daß der betreffende Häftling an der oder jener normalen Erkrankung gestorben sei.

Ein weiterer Fall: Der Häftling wird in ein Kommando mit erschwerten Arbeitsbedingungen eingewiesen, meistens in das sogenannte »Steinbruch- Kommando«. Der Kapo des Steinbruchkommandos bekommt einen Wink und erschwert nun fortgesetzt dem Häftling das Leben, indem er ihn ununterbrochen zur Arbeit antreibt und ihn auf alle Weise schikaniert. Der Häftling verliert dann eines Tages die Lust. Um dieser Quälerei zu entgehen, läuft er über die Postenkette und muß nun von dem Posten, ob er will oder nicht, erschossen werden.

Diese verschiedenen Tötungsarten variieren von Fall zu Fall, und gerade dadurch waren sie äußerlich unerkennbar, weil es an verschiedenen geheimen Orten sich abspielte, mit verschiedenen Methoden und verschiedenen Zeiten. Das setzt aber voraus, daß dieser Kommandant, der das tut, wie hier Koch, sich auf einige ihm absolut ergebene Männer stützen kann, die Schlüsselstellung haben, wie hier der Arzt, der verhaftet wurde, der Arbeitsaufseher, der ebenfalls verhaftet wurde und unmittelbar danach Selbstmord beging, und mit Hilfe von langjährig ergebenen Häftlings-Kapos, die mitwirkten.

Wo dieses Zusammenspiel nicht möglich ist, kann es zu solchen Ausschreitungen und Verbrechen nicht kommen.

RA. PELCKMANN: Haben Sie auch solche Fälle gefunden und solche Lager?

MORGEN: Jawohl. Ich erwähnte ja bereits, welches Ergebnis unsere Untersuchungen hatten, da die Mehrzahl der Lager im Kriege errichtet worden ist, mit neuem Personal, und in den alten Lagern das Personal mit den Schlüsselstellungen ausgewechselt worden ist, so daß neue Leute hinkamen; so konnte sich dieses Zusammenspiel nicht mehr bilden.

RA. PELCKMANN: Wäre es also verfehlt anzunehmen, daß alle Lager und alle Lagerkommandanten und alle Lagerärzte so gehandelt hätten, wie Sie eben geschildert haben?

MORGEN: Nach meinen eingehenden Untersuchungen kann ich nur die Erklärung abgeben, daß diese Annahme völlig verfehlt wäre. Ich habe wirklich Lagerkommandanten kennengelernt, die das Menschenmögliche getan haben für ihre Häftlinge. Ich habe Ärzte kennengelernt, deren ganzes Sinnen und Bestreben es nur gewesen ist, den kranken Häftlingen zu helfen und weitere Krankheiten zu verhüten.

RA. PELCKMANN: Wir wollen zurückgehen zu den Massenvernichtungen, von denen Sie einen Fall geschildert hatten. Sie sprachen von dem Kriminalkommissar Wirth, der nicht Mitglied der SS war, und dessen Stab sich ebenfalls auch nicht aus SS-Leuten zusammensetzte. Warum hatte man gerade Wirth beauftragt?

MORGEN: Ich erwähnte bereits, Wirth war Kriminalkommissar bei der Kriminalpolizei Stuttgart, und zwar war er ein Kommissar zur Aufdeckung von Kapitalverbrechen, insbesondere Mord. Er genoß einen ziemlichen Ruf im Spurenaufdecken und war der breiten Öffentlichkeit vor der Machtübernahme dadurch bekanntgeworden, daß er skrupellose Untersuchungsmethoden anwendete, die sogar zu einer Erörterung im württembergischen Landtag geführt hatten. Diesen Mann benutzte man nun, um durch ihn die Spuren aus diesen Massentötungen zuzudecken. Man glaubte auf Grund seines bisherigen beruflichen Lebenslaufes, daß dieser Mann skrupellos genug sei, um die Sache auszuführen, und das war richtig.

RA. PELCKMANN: Sie erwähnten die jüdischen Häftlinge, die bei den Tötungen behilflich waren. Was ist aus diesen Menschen geworden?

MORGEN: Wirth sagte mir, daß er am Ende der Aktion diese Häftlinge erschießen lasse und damit ihnen auch den Gewinn, den er ihnen hat vorher scheinbar zufließen lassen, wieder abnähme. Er machte das nicht auf einmal, sondern ebenfalls durch Ausführung des bereits beschriebenen Täuschungsmanövers, indem er unter bestimmten Vorspiegelungen die Häftlinge absonderte und diese dann einzeln tötete.

RA. PELCKMANN: Haben Sie von Wirth auch den Namen Höß gehört?

MORGEN: Ja, Wirth bezeichnete ihn als seinen unbegabten Schüler.

RA. PELCKMANN: Warum?

MORGEN: Höß wandte im Gegensatz zu Wirth völlig andere Methoden im Grundsatz an. Ich glaube, ich schildere sie am besten, wenn wir auf Auschwitz selbst zu sprechen kommen sollten.

RA. PELCKMANN: Ist damals auch der Name Eichmann gefallen?

MORGEN: Ich kann mich nicht erinnern, daß damals schon der Name Eichmann gefallen ist, aber später bin ich auch auf ihn gekommen.

RA. PELCKMANN: Wie kamen Sie auf die Spur, die nach Auschwitz führte?

MORGEN: Ich hatte einen Anhalt durch einen Hinweis, und zwar von Wirth selbst. Nun drehte es sich für mich nur darum, einen Grund zu finden, Untersuchungen in Auschwitz selbst anzustellen; denn ich bitte eingedenk zu sein, daß mein Auftrag ja ein begrenzter war, ich mußte ja Korruptionsverbrechen und die damit in Zusammenhang stehenden Delikte ermitteln.

VORSITZENDER: Dr. Pelckmann! Hat er nicht gestern schon erklärt, wie er dazu kam, in Auschwitz Nachforschungen anzustellen?

RA. PELCKMANN: Nein, es war etwas ganz anderes, Euer Lordschaft.

MORGEN: Ich habe gestern nur von Lublin und Wirth gesprochen. Ich sagte, daß ich über Höß informiert wurde, und ich wollte versuchen, in das Lager zu kommen und brauchte doch einen Grund dazu. Diesen Grund fand ich alsbald.

Die Protektoratspolizei hatte Goldschiebungen im Protektorat festgestellt. Die Spuren führten nach Berlin. Die Zollfahndungsstelle Berlin-Brandenburg hatte Personen ermittelt, die im Konzentrationslager Auschwitz bedienstet waren, und das Verfahren an das SS- und Polizeigericht in Berlin abgegeben. Dort erfuhr ich davon und zog nunmehr das Verfahren betreffs der Goldschiebungen – es handelte sich dabei um Goldschiebungen riesigen Umfanges – an mich und fuhr kurz daraufhin nach Auschwitz.

RA. PELCKMANN: Sie waren also in Auschwitz selbst?

MORGEN: Jawohl, ich fuhr nach Auschwitz und habe das dortige Lager, ehe ich mit den Untersuchungen selbst begann...

VORSITZENDER: Wann sind Sie dorthin gefahren?

MORGEN: Den Zeitpunkt kann ich nicht mehr genau sagen, es muß um das Ende 1943, Anfang 1944, gewesen sein.

RA. PELCKMANN: Die Methode, die Menschen dort zu vernichten, war ja wohl ähnlich, wie Sie sie gestern schon geschildert haben?

MORGEN: Ich habe die ganze Strecke eingehend besichtigt und die Einrichtungen dort studiert. Die Häftlinge kamen auf einem Nebengelände der Bahn in geschlossenem Transport an und wurden dort von jüdischen Häftlingen ausgeladen. Dann fand eine Aussortierung nach Arbeitsfähigen und Arbeitsunfähigen statt, und hier trennen sich schon die Methoden von Höß und Wirth. Diese Aussonderung der Arbeitsunfähigen geschah auf eine ziemlich einfache Weise. Es standen neben dem Ausladeplatz mehrere Lastkraftwagen und der betreffende Arzt stellte den Ankömmlingen anheim, diese Wagen zu benutzen. Er sagte aber, daß nur Kranke, alte Personen, Frauen mit Kindern davon Gebrauch machen dürften. Nun drängten sich diese Personen zu den ihnen bereitgestellten Fahrgelegenheiten. Er brauchte also nur noch die Personen zurückhalten, die er nicht zur Vernichtung schicken wollte. Diese Lastkraftwagen fuhren dann ab. Sie fuhren nicht in das Konzentrationslager Auschwitz, sondern in eine andere Richtung, in das einige Kilometer entfernte Vernichtungslager Monowitz. Dieses Vernichtungslager bestand aus einer Reihe von Krematorien. Diese Krematorien waren von außen als solche nicht erkennbar. Man konnte sie für Groß-Badeeinrichtungen halten. Das wurde auch den Häftlingen bekanntgegeben. Diese Krematorien waren mit einem Stacheldrahtzaun umgeben und wurden innen bewacht durch die bereits erwähnten jüdischen Arbeitskommandos. Die Ankömmlinge wurden unten in einen großen Auskleideraum geführt und wurden aufgefordert, sich zu entkleiden. Nachdem dies geschehen war...

RA. PELCKMANN: Ist das ungefähr, was Sie gestern schon geschildert haben?

MORGEN: Selbstverständlich.

RA. PELCKMANN: Wie war nun dafür gesorgt, daß diese Dinge unbedingt geheim blieben?

MORGEN: Die Häftlinge, die abmarschierten in das Konzentrationslager, hatten keinen Hinweis dafür, wohin die anderen Häftlinge verbracht wurden. Das Vernichtungslager Monowitz lag weit von dem Konzentrationslager entfernt. Es befand sich in einem weitläufigen Industriegelände und war als solches nicht zu erkennen, und überall am Horizont standen Schornsteine und es rauchte. Das Lager selbst war außen bewacht durch eine Spezialtruppe von Männern aus dem Baltikum, Esten, Litauern und Ukrainern. Die ganze technische Durchführung lag fast ausschließlich in den Händen der dazu bestimmten Häftlinge selbst, die nur jeweils von einem Unterführer überwacht wurden. Die eigentliche Tötung wurde durch einen anderen Unterführer durch Auslösen von Gasen in diesem Raum ausgeführt. So war also der Kreis der Wisser um diese Dinge ein ganz außerordentlich begrenzter. Dieser Kreis war besonders vereidigt...

VORSITZENDER: Waren diese Unterführer in der SS?

MORGEN: Sie trugen SS-Uniform.

VORSITZENDER: Haben Sie sich nicht die Mühe gegeben ausfindig zu machen, ob es regelrechte Angehörige der SS gewesen waren?

MORGEN: Ich sagte, daß es sich um Angehörige von Ostvölkern handelte.

VORSITZENDER: Was Sie schon gesagt haben, kümmert mich nicht. Ich fragte Sie, ob Sie sich nicht die Mühe nahmen festzustellen, ob diese Leute der SS angehörten?

MORGEN: Verzeihen Sie, Euer Lordschaft, ich verstehe Ihre Frage nicht. Sie konnten nicht Mitglieder der Allgemeinen SS sein. Soweit ich feststellen konnte, waren es Freiwillige und auch Notdienstverpflichtete, die man im Baltikum geworben hatte, die dort Sicherungsaufgaben durchführten und dann irgendwie besonders ausgelesen worden sind und nach Auschwitz-Monowitz kamen. Es handelt sich hier um eine Sondertruppe, die nur diese einzelne Aufgabe hatte und sonst weiter nichts, die vollkommen außerhalb der Waffen-SS liefen...

VORSITZENDER: Ich habe nicht gefragt, ob sie in der Waffen-SS gewesen sind. Haben Sie gefragt, warum man diese Leute in SS-Uniformen gesteckt hat?

MORGEN: Nein, diese Frage habe ich nicht gestellt. Es erschien mir überhaupt unverständlich. Es muß wohl damit zusammenhängen, daß der Kommandant des Konzentrationslagers Auschwitz...

VORSITZENDER: Einen Augenblick, Sie haben gesagt, wenn ich Sie richtig verstanden habe, daß Sie es unverständlich fanden, daß diese Leute SS-Uniformen trugen. Haben Sie das nicht gesagt?

MORGEN: Jawohl.

VORSITZENDER: Gab es dort überhaupt keine Offiziere der SS?

MORGEN: Es war ein Offizier dort, ein Kommandant dieser Kompanie, ich glaube ein Hauptsturmführer Hartenstein oder so ähnlich.

VORSITZENDER: Warum haben Sie ihn nicht gefragt, aus welchem Grunde diese Leute in SS-Uniformen gesteckt worden sind?

MORGEN: Die Leitung des Vernichtungslagers stand unter dem SS-Standartenführer Höß. Höß war Kommandant des Konzentrationslagers Auschwitz in Personalunion mit dem Vernichtungslager Monowitz. Um Auschwitz herum lagen eine Menge von Arbeitslagern, und ich sagte bereits, daß...

VORSITZENDER: Ich habe Sie nicht gefragt, wo. Ich habe gefragt, warum Sie diese beiden SS-Offiziere nicht gefragt haben, aus welchem Grunde sie diese Leute in SS-Uniformen gesteckt haben.

MORGEN: Ich habe angenommen, daß dies geschehen ist aus Tarnungsgründen, um dieses Lager, das Vernichtungslager, nicht äußerlich unterscheiden zu lassen von den anderen Arbeitslagern und von dem Konzentrationslager selbst. Unverständlich als Soldat war es mir lediglich, daß man dem Ruf der SS das antut, die mit dieser Vernichtung ja nichts zu tun hatte.

VORSITZENDER: Sie selbst waren doch ein hoher SS-Offizier, nicht wahr?

MORGEN: Ich war Sturmbannführer der Waffen-SS.

VORSITZENDER: Ich frage Sie folgendes: Warum stellten Sie unter diesen Umständen keine Nachforschungen an und warum fragten Sie diese hohen SS-Offiziere dort nicht: »Was hat es zu bedeuten, daß man diese Leute in SS-Uniformen gesteckt hat?«

MORGEN: Ich habe die Frage nicht verstanden.

VORSITZENDER: Fahren Sie fort.

RA. PELCKMANN: Herr Zeuge! Ich möchte an Sie die Frage jetzt von mir aus stellen. Warum haben Sie die höheren SS-Führer, die Sie dort getroffen haben, nicht gefragt, warum diese einfachen Leute in SS-Uniform arbeiteten?

MORGEN: Ich sagte, daß ich die Auffassung hatte, daß dies aus Tarnungsgründen geschah, um das Lager durch eine etwaige andere Uniformierung nicht aus dem üblichen Rahmen herausfallen zu lassen.

RA. PELCKMANN: Und diese Erklärung, die Sie sich selbst geben, ist ein Grund dafür, daß Sie die Offiziere nicht mehr fragten? Ist das so?

MORGEN: Jedenfalls kann ich mich nicht erinnern, die Offiziere darüber gefragt zu haben; das heißt, ich sprach ja nicht mit Offizieren, sondern nur mit dem Kommandanten Höß und dem Kommandanten dieser Wachtruppen des Vernichtungslagers.

RA. PELCKMANN: Haben Sie alles geschildert, was der Geheimhaltung...

VORSITZENDER: Fahren Sie fort.

RA. PELCKMANN: Haben Sie alles ausgeführt auf die Frage, wodurch die Geheimhaltung sichergestellt war?

MORGEN: Es ist vielleicht noch etwas Wesentlich es zu erwähnen: Daß man bestimmte jüdische Häftlinge mit Auslandsbeziehungen aussonderte und diese Briefe schreiben ließ in das Ausland, wie gut sie es in Auschwitz hätten, so daß also hierdurch bei der Öffentlichkeit der Eindruck entstehen mußte: diese bekannten Leute, die wir kennen, sind ja am Leben und sie schreiben, es geht ihnen gut.

RA. PELCKMANN: Danke. Was hätten Sie nun, Herr Zeuge, unter normalen Umständen tun müssen, nachdem Sie all das Furchtbare erfahren haben?

MORGEN: Unter normalen Umständen hätte ich den Kriminalkommissar Wirth und den Kommandanten Höß verhaften und wegen Mordes anklagen müssen.

RA. PELCKMANN: Haben Sie das getan?

MORGEN: Nein.

RA. PELCKMANN: Warum nicht?

MORGEN: Die Antwort ergibt sich bereits aus der Fragestellung. Es herrschten im damaligen Kriege in Deutschland! keine normalen Verhältnisse mehr im Sinne der rechtsstaatlichen Garantien. Außerdem ist folgendes zu berücksichtigen: Ich war nicht Richter schlechthin, sondern ich war Richter der Militärstrafjustiz. Keinem Militärgericht der Welt dürfte es aber möglich sein, seinen Armeeoberbefehlshaber oder gar das Staatsoberhaupt selbst vor seine Schranken zu ziehen.

RA. PELCKMANN: Machen Sie bitte keine rechtstheoretischen Ausführungen, sondern sagen Sie uns, warum Sie das nicht getan haben, was Sie erkannt haben, was Sie eigentlich hätten tun müssen.

MORGEN: Verzeihen Sie. Ich führte aus, daß es mir nicht möglich war, als damaliger Obersturmführer, Hitler, in dem ich den Urheber dieser Befehle erblicken mußte, zu verhaften.

RA. PELCKMANN: Ja, was haben Sie denn getan?

MORGEN: Ich habe erkannt auf Grund dieser Einblicke, daß hier etwas geschehen mußte, nämlich ein sofortiger Stop dieser Aktion. Es mußte Hitler veranlaßt werden, seine Befehle zurückzuziehen. Das konnte den Umständen nach nur Himmler in seiner Eigenschaft als Innenminister und Polizeiminister tun. Mein Bestreben, so dachte ich damals, muß es also sein, an Himmler heranzukommen über die Ressortchefs und an Hand der Auswirkungen dieses Systems ihm klar zu machen, daß man mit diesen Methoden den Staat unmittelbar in den Abgrund führt. Ich habe mich daher zunächst an meinen unmittelbaren Vorgesetzten, den Chef des Reichskriminalpolizeiamtes, den SS-Obergruppenführer Nebe, gewandt. Ich habe mich weiter an den Chef des Hauptamtes SS-Gericht, SS-Obergruppenführer Breithaupt, gewandt. Ich habe auch Vorstöße bei Kaltenbrunner und dem Chef der Gestapo, dem Gruppenführer Müller und dem Obergruppenführer Pohl vom Wirtschafts-Verwaltungshauptamt und dem Reichsarzt SS, SS-Gruppenführer Dr. Grawitz unternommen. Ich sah aber außer dieser Notwendigkeit der Einwirkung einen unmittelbaren praktischen Weg für mich auf dem Gebiet der Justiz, nämlich, aus diesem Vernichtungssystem die Spitzen und die wichtigen Glieder einen nach dem anderen herauszubrechen, und zwar mit den Mitteln des Systems selbst. Ich konnte dies nicht tun wegen der von dem Staatsoberhaupt befohlenen Tötungen, aber ich konnte es tun wegen Tötungen, die außerhalb dieses Befehls oder gegen diesen vorgenommen wurden oder wegen anderer schwerer Delikte; und deshalb habe ich ganz bewußt die Strafverfolgung gegen diese Männer aufgenommen und es hätte so zu einer Erschütterung dieses Systems, zu einem Auseinanderbrechen kommen müssen. Diese Sache hatte aber auch noch eine Fernwirkung in naher Zeit, denn durch die großen KL-Typenprozesse, wie gegen den Kommandanten Koch, von dem ich vorhin berichtete, und gegen den Leiter der politischen Abteilung Auschwitz, den Kriminalsekretär Untersturmführer Grabner, den ich wegen Mordes außerhalb dieser Vernichtungsaktion – wegen Mordes in 2000 Fällen – anklagte, mußte der gesamte Tötungskomplex gerichtlich zur Entscheidung gestellt werden. Es war zu erwarten, daß auch wegen dieser Einzeldelikte die Täter sich auf höhere Befehle berufen würden. Dies ist geschehen. Es mußte daraufhin die SS-Gerichtsbarkeit auf Grund des von mir ermittelten Materials an die höchste Staatsführung herantreten und ihr offiziell die Frage stellen: »Hast Du diese Tötungen befohlen, gilt der gesetzliche Tatbestand des Mordes für sie nicht mehr? Welche Befehle liegen über diese Tötungen generell vor?« Dann mußte die oberste Staatsführung entweder von den Tätern abrücken und diese damit endgültig auch wegen der Massenvernichtung unserem Zugriff preisgeben oder aber es mußte zu einem offensichtlichen Bruch kommen durch eine auch äußere Außerkraftsetzung des gesamten Gerichtswesens selbst. Wenn ich vorausgreifen darf, auf Grund der Prozesse in Weimar gegen Koch und Grabner ist dieses Problem akut geworden, wie von mir vorausgesehen, und nunmehr wurden die Verhandlungen ausgesetzt und von der SS-Gerichtsbarkeit diese Fragen, die ich vorhin anschnitt, offen, offiziell an das Reichssicherheitshauptamt gestellt. Es wurde eigens zu dem Zweck auch noch ein Richter dorthin gesandt, der die Aufgabe hatte, in allen Abteilungen des Reichssicherheitshauptamtes Nachforschungen anzustellen, ob solche Befehle vorliegen. Wie ich hörte, ist das Ergebnis negativ gewesen. Daraufhin wurde nunmehr versucht, gegen Höß selbst zuzugreifen. Aber inzwischen ist die Front vorgerückt. Auschwitz wurde besetzt; der Richter, der dorthin gesandt worden ist, mußte in den Anfängen seiner Untersuchungen, sehr erfolgreichen Untersuchungen, aufhören und dann trat Januar 1945 eine vollkommene Desorganisation ein, die eine weitere strafgerichtliche Verfolgung nicht mehr möglich machte. Wenn ich zurückgreifen darf, die unmittelbaren Auswirkungen der gerichtlichen Untersuchungen sind aber auch gewesen, daß schlagartig in sämtlichen KZs die Tötungen von Häftlingen im Wege der sogenannten Euthanasie aufhörten, weil kein Arzt mehr sich sicher fühlen konnte, nicht am andern Tag verhaftet zu werden, denn das Beispiel des Standortarztes Buchenwald ist ja allen gegenwärtig. Ich bin also überzeugt, daß durch dieses Eingreifen und Vorgehen mit unmittelbarer Wirkung Tausenden von Häftlingen das Leben gerettet worden ist, daß es zu einer ernsthaften Erschütterung des Tötungssystems selbst gekommen ist. Denn es ist auffällig, daß kurz nach meinem ersten Zutritt zu dem Kriminalkommissar Wirth ich ihn bei meinem zweiten Besuch in Lublin nicht mehr vorfand. Ich stellte fest, daß Wirth in der Zwischenzeit urplötzlich den Befehl erhalten hatte, seine sämtlichen Vernichtungslager bis zum Grunde zu zerstören. Er war mit seinem gesamten Kommando nach Istrien abgezogen worden und machte dort nunmehr die Straßensicherung, und dabei ist er im Mai 1944 auch gefallen. Sofort als ich das hörte, daß Wirth von Lublin weg war mit seinem Kommando, bin ich hingeflogen, um festzustellen, ob er vielleicht nicht nur sein Tätigkeitsfeld verlegte und das dort weiter ausführte; aber dies traf nicht zu.

RA. PELCKMANN: Schwebten Sie, Herr Zeuge, bei all diesen Untersuchungen in Lebensgefahr?

MORGEN: Es war klar, daß die Aufdeckung dieser ungeheuerlichen Verbrechen den Tätern außerordentlich unangenehm war. Ich wußte, daß diesen Menschen ein Menschenleben nichts gilt und daß sie zu allem entschlossen waren. Ich darf folgendes als Beweis dafür angeben: Nachdem ich Grabner, in Auschwitz Leiter der politischen Abteilung, verhaftet hatte und eine Untersuchungskommission...

VORSITZENDER: Dr. Pelckmann! Sie vergessen doch nicht, was Sie sagten? Nämlich, daß Sie nur 45 Minuten mit diesem Zeugen brauchen würden?

RA. PELCKMANN: Nein, Euer Lordschaft, ich habe es nicht vergessen und ich bedaure es sehr, daß es länger dauert. Aber ich glaube, das der Aufklärung des Gerichts schuldig zu sein.

VORSITZENDER: Es scheint von geringer Bedeutung, ob dieser Mann in Lebensgefahr schwebte oder nicht.

RA. PELCKMANN: Ich von mir aus, vom Standpunkt der Verteidigung, Euer Lordschaft, bin anderer Ansicht; denn es ist für die Zustände und Möglichkeiten, sich gegen dieses System zu wehren, und für die Ziffer 1 des Beschlusses des Hohen Gerichts vom 13. März, Ziffer 2, Zwang und Befehl, von ausschlaggebender Bedeutung.

VORSITZENDER: Fahren Sie fort, Dr. Pelckmann. Der Gerichtshof glaubt nicht, daß es wichtig ist.

MORGEN: Ich bitte, noch einen Satz sagen zu dürfen dazu. Die Untersuchungskommission des Reichskriminalpolizeiamtes in Auschwitz war in einer Baracke untergebracht, und nachdem sie erfolgreich einige Zeit gearbeitet hatte, ist von unbekannten Tätern die gesamte Baracke mit dem Aktenmaterial nachts durch vorsätzliche Brandstiftung vernichtet worden. Damit wurden die Untersuchungen in Auschwitz selbst für längere Zeit ausgesetzt, beziehungsweise ihnen Schwierigkeiten bereitet. Daraus wollen Sie bitte schließen, wie rücksichtslos gegen uns vorgegangen worden ist. Ich selbst bekam Warnungen und Drohungen genug, aber ob ich tatsächlich in Lebensgefahr schwebte, vermag ich nicht zu sagen.

RA. PELCKMANN: Hat nun das leitende Personal des eigentlichen Konzentrationslagers Auschwitz Anlaß zu der Annahme gegeben, daß sie von diesen Vernichtungen wußten? Wobei ich nochmals betone – wenn ich Sie richtig verstanden habe – das Konzentrationslager Auschwitz mit seinen zahlreichen Arbeitslagern hatte nichts zu tun mit, und war separiert von dem Vernichtungslager?

MORGEN: Ich erwähnte bereits, daß Höß zugleich in Personalunion Kommandant in Auschwitz und Monowitz gewesen ist. Also er ist als der leitende Personalchef zu betrachten, außer dem einen Führer der Truppe Monowitz. Nur mit diesen beiden hatte ich zu tun. Die beiden wußten es.

RA. PELCKMANN: Haben Sie den Arzt gesprochen des Konzentrationslagers Auschwitz?

MORGEN: Jawohl, der Standortarzt zeigte mir bei seinem Eintreten die Ziffern, die Kurven der Sterblichkeit. Mit leuchtenden Augen wies er darauf hin, wie vom Beginn seiner Versetzung nach Auschwitz diese großen Ziffern schlagartig heruntergegangen sind durch umfassende hygienische Vorbeugungen und Änderungen. Dabei gab er mir aber gleichzeitig den Hinweis auf Grabner. Grabner hat ihm zugemutet, schwangere Polinnen zu töten. Das hatte der Arzt als unvereinbar mit seinen Berufspflichten abgelehnt. Darauf hat Grabner ihm vorgeworfen, er verkenne die Wichtigkeit seiner, Grabners, staatspolitischer Aufgaben. Der Arzt hatte nicht nachgegeben und es kam zu einem Streit, der beim Kommandanten ausgetragen wurde, wobei weder Höß noch Grawitz etwas dazu sagten. Danach stand der Arzt wirklich in dem Moment, wo ich zufällig auf ihn zutrat, in einem furchtbaren Konflikt. Er sagte, was soll ich tun? Ich sagte ihm, das, was Sie getan haben, absolute Verweigerung, ist vollkommen richtig, und morgen werde ich Grabner verhaften.

VORSITZENDER: Was hat das mit der SS zu tun, Dr. Pelckmann, außer der Arzt war in der SS; vielleicht war dies der Fall?

RA. PELCKMANN: Ja, es ist aber wohl bekannt, daß die Ärzte SS-Ärzte waren, und der Zeuge schildert hier, wie ein SS-Arzt in diesem Konzentrationslager Auschwitz sich gegen das Ansinnen des Grabner gesträubt hat, und das schildert er als einen typischen Fall.

VORSITZENDER: Dr. Pelckmann! Der Gerichtshof ist der Meinung, daß Sie diesen Zeugen lange genug in Anspruch genommen haben. Sie gehen zu sehr in die Einzelheiten der Dinge.

RA. PELCKMANN: Sie sagten vorhin, Sie hätten berichtet an die verschiedenen Stellen und nannten, glaube ich, drei. Schildern Sie, bitte, wie Nebe darauf reagiert hat. Wie hat sich Breithaupt verhalten? Was haben Kaltenbrunner und Müller gesagt? Wie hat sich Pohl eingestellt, und wie hat sich der Reichsarzt Grawitz eingestellt?

MORGEN: Ich berichtete als erstem meinem unmittelbaren Vorgesetzten, dem SS-Gruppenführer Nebe, als Chef des RKPA. Nebe war ein außerordentlich schweigsamer Mann, aber man sah, wie ihm bei meinem Bericht buchstäblich die Haare zu Berge standen. Sein Schweigen wurde steinern. Er sagte, ich müsse sofort diese Sache Kaltenbrunner vortragen. Der Chef des Hauptamtes SS-Gericht, Obergruppenführer Breithaupt, war ebenfalls in außerordentlicher Erregung, und sagte, er werde sofort oder alsbald zu Himmler fahren, ihm das vorstellen, und versuchen, daß ich zu persönlichem Vortrag bei Himmler komme. Der Reichsarzt-SS war ebenfalls ratlos. Obergruppenführer Pohl nahm dagegen eine andere Haltung ein. Ich hatte vorher oder zur selben Zeit etwa den Kommandanten des Konzentrationslagers Hertogenbosch verhaftet, der durch eine Strafmaßnahme den Tod von zehn Frauen verschuldet hatte. Als ich Pohl das berichtete, bezeichnete er dies als eine Bagatelle und sagte, was ist das Leben von zehn Frauen angesichts der Tausende deutscher Frauen, die durch den Bombenterror jede Nacht sterben.

RA. PELCKMANN: Nun zu den anderen; fassen Sie sich kürzer.

MORGEN: Nachdem ich bereits dem Obergruppenführer Kaltenbrunner vorher berichtet hatte über die eigentlichen Korruptionsdelikte – die Tötungsdelikte, die ich bekam, das war ungefähr ein halbes Jahr später – fand eine Aussprache statt in Anwesenheit von Nebe, Kaltenbrunner und Müller. Diese Aussprache war außerordentlich einseitiger Art, denn Kaltenbrunner und Nebe verhielten sich absolut schweigend, während Müller sozusagen gegen mich raste, weißglühend vor Zorn, und mich nicht zu Worte kommen ließ. Als ich ihn ruhig betrachtete, sprang er plötzlich auf und stürzte aus dem Raum und ließ mich allein, während sich die beiden anderen Herren von mir abwandten. Ich suchte daraufhin am Nachmittag nochmals Müller auf und legte ihm dann persönlich meine Auffassung noch einmal dar; aber Müller war absolut immer dagegen.

RA. PELCKMANN: Gut, gut, haben Sie...

VORSITZENDER: Wann fand diese Unterhaltung mit Kaltenbrunner statt?

MORGEN: Das geschah unmittelbar nach der Anklageerhebung gegen Grabner. Ich nehme an Juli – August 1944.

RA. PELCKMANN: Haben Sie diese Dinge noch anderen Kreisen der SS mitgeteilt?

MORGEN: Nein, mir kam es darauf an, die Leute zu unterrichten und für meine Auffassung zu gewinnen, die wirklich etwas zu sagen hatten. Alles andere zählte nicht. Außerdem war ich durch den Grundbefehl Nummer 1 über Geheimhaltung staatswichtiger Sachen gebunden, konnte mich also nur an die Hauptamtschefs persönlich wenden. Jeder Fehler, der mir unterlaufen wäre bei Einbeziehung anderer Stellen, hätte schwerste Folgen gegen mich gehabt, einen Vorwand meinen Feinden gegeben und damit die Untersuchungen in die Länge gezogen.

VORSITZENDER: Dr. Pelckmann! Er hat schon gesagt, daß er keinen Bericht erstattet hat, das genügt doch. Wir wollen nichts weiter darüber wissen. Er hat keinen Bericht erstattet. Der Zeuge steht nicht vor Gericht.

RA. PELCKMANN: Verzeihung, ich glaube es ist ein Irrtum, wenn ich Euer Lordschaft richtig verstanden habe; er hat doch gesagt, er hat berichtet.

VORSITZENDER: Er hat gesagt, daß er keinen anderen Bericht erstattet hat, so wie ich ihn verstanden habe; außer dem Bericht, von dem er gesprochen hat.

RA. PELCKMANN: Herr Zeuge! Wollen Sie dazu Stellung nehmen.

MORGEN: Das ist richtig; außer dem Hauptamtschef der SS wurde sonst niemand unterrichtet.

RA. PELCKMANN: Haben Sie es nicht für Ihre Pflicht gehalten, die Weltöffentlichkeit zu benachrichtigen oder irgendwie Ihrem Gewissen Luft zu machen, zu schreien »Mord«?

MORGEN: Dazu hätte es des Zuganges zu den technischen Mitteln bedurft, nämlich Presse und Rundfunk, die ich nicht hatte. Wenn ich das an jeder Straßenecke bekanntgegeben hätte, dann hätte mir das niemand geglaubt, weil dieses System die menschliche Fassungskraft übersteigt. Man hätte mich als Irrsinnigen eingesperrt.

RA. PELCKMANN: Das Lager Dachau ist hier als reines Vernichtungslager geschildert worden von seiten der Anklage, teilweise auch von Zeugen. Stimmt das?

MORGEN: Ich glaube, das KZ-Lager Dachau aus meinen Ermittlungen von Mai bis Juli 1944 näher zu kennen. Ich muß sagen, daß ich den gegenteiligen Eindruck hatte. Das KZ-Lager Dachau galt von jeher als ausgesprochen gutes Lager, als Erholungslager bei den Häftlingen, und diesen Eindruck habe ich tatsächlich gewonnen.

RA. PELCKMANN: Haben Sie die Inneneinrichtung gesehen, den Krankenbau und so weiter?

MORGEN: Ich habe alle diese Einrichtungen genauestens besichtigt und muß sagen, der Krankenbau war tadellos in Ordnung. Ich bin durch sämtliche Säle gegangen, es war nichts von einer Überbelegung zu merken und erstaunlich war die Fülle der medizinischen Instrumente auch größerer Art, die hier den Häftlingen dienten. Es gab besondere Fachkapazitäten aus den Häftlingen selbst.

RA. PELCKMANN: Gut, gut, Sie wollen also schildern, es war gut.

Aber damit befinden Sie sich zum Beispiel im Widerspruch mit den Aussagen des Dr. Blaha, die hier zum Gegenstand der Verhandlung gemacht worden sind. Kennen Sie diese Aussagen?

MORGEN: Ich habe die Aussagen des Dr. Blaha in der Presse gelesen und hier Gelegenheit gehabt, die Prozeßakten einzusehen. Ich muß sagen, diese Bekundungen haben mich maßlos erstaunt. Ich bin der Auffassung, daß Blaha aus eigener Wissenschaft derartige Behauptungen nicht aufstellen kann, denn es ist nicht so, daß ein Häftling in einem Konzentrationslager sich frei bewegen kann und insbesondere Zugang zu den verschiedenen Einrichtungen hat.

VORSITZENDER: Der Gerichtshof ist der Meinung, daß er wohl sagen kann, daß er mit der Aussage Blahas nicht übereinstimmt, aber nicht, daß Blaha nicht die Wahrheit ausgesagt hat. Er hat gesagt, daß er damit nicht übereinstimmt. Wir glauben, Sie könnten mit Ihrem Fall fortfahren. Wieviel Zeit glauben Sie noch zu beanspruchen?

RA. PELCKMANN: Fünf Minuten, Euer Lordschaft.

Zeuge! Warum stimmen Sie – das wollten Sie ja eben ausführen, Herr Zeuge – mit den Aussagen Blahas nicht überein?

MORGEN: Ich sagte...

VORSITZENDER: Er hat seine eigene Aussage über die Sache gemacht. Und er hat gesagt, daß das im Widerspruch zu Blaha steht. Wir wollen keine Einzelheiten mehr darüber hören.

RA. PELCKMANN: Herr Präsident! Wenn ich richtig verstanden habe, soll der Zeuge doch eine glaubwürdige Aussage machen. Wenn er nicht sagt, in dem und dem bestimmten Punkte der Aussage Blahas habe ich die und die Bedenken, dann kann ihm die Prosekution sagen, er hat nicht dazu Stellung genommen. Das nur ist mein Bestreben. Ich bitte, mich, Euer Lordschaft, zu belehren, wenn ich mich geirrt habe.

VORSITZENDER: Er gab seinen Bericht über das Lager Dachau. Der Gerichtshof hat die Aussagen Blahas vor sich und kann selbst beurteilen, ob die Aussagen falsch sind. Das genügt uns.

RA. PELCKMANN: Ich habe nur versucht, die Gründe anzugeben, aber wenn das Gericht nicht näher darauf eingehen will, werde ich die Frage zurückziehen.