[Das Gericht vertagt sich bis
23. August 1946, 10.00 Uhr.]
Zweihundertzehnter Tag.
Freitag, 23. August 1946.
Vormittagssitzung.
GERICHTSMARSCHALL: Hoher Gerichtshof! Die Angeklagten Heß und von Papen sind abwesend.
DR. SERVATIUS: Herr Präsident! Meine Herren Richter! Ich habe gestern von den einzelnen Kriegsverbrechen gesprochen und komme nun zu der Tätigkeit des Einsatzstabes Rosenberg. Es ist auf Seite 39 des schriftlichen Exemplars.
Die Tätigkeit des Einsatzstabes Rosenberg war keine parteiamtliche Angelegenheit. Wie bereits von dem Verteidiger des Angeklagten Rosenberg ausgeführt wurde, handelt es sich um einen Befehl Hitlers, mit dem der Angeklagte Rosenberg einen persönlichen Auftrag erhielt und nicht eine Stelle der Partei. Dies ergibt sich aus Dokument 136-PS, das ist ein Schreiben Hitlers vom 29. Januar 1940, und aus Führererlaß vom 1. März 1942, Dokument 149-PS. Es wird bestätigt durch die Aussagen, die vor der Kommission gemacht worden sind von den Zeugen Dr. Müller und von Graf von Rödern. Im gleichen Sinne lautet ein Affidavit des Zeugen Künzler, 58 a, das angibt, daß den Dienststellen des Reichsschatzmeisters bekannt gewesen sei, daß ein rein persönlicher Auftrag Rosenbergs vorgelegen habe.
Tatsächlich war der Einsatzstab Rosenberg auch keine Parteiorganisation. Die Mitglieder waren Wissenschaftler und Fachleute, die mit der Partei nichts zu tun hatten, zum Teil Ausländer. Alle waren auf Grund der Notdienstverpflichtung herangezogen. Der Einsatzleiter in Paris war kein Politischer Leiter.
Durch eine eigene Uniform war die Sonderstellung außerhalb der Partei auch äußerlich erkennbar.
Die Anklagebehörde hat aus der Finanzierung des Einsatzstabes Rosenberg durch den Reichsschatzmeister der Partei auf die Beteiligung der Politischen Leiter geschlossen. Aus Dokument 145-PS ergibt sich aber, daß dies nur eine Bevorschussung war und die Kosten das Ministerium Rosenberg als staatliche Dienststelle zu tragen hatte. Dies hat der Zeuge Künzler, ein leitender Beamter der Reichsfinanzverwaltung der Partei, mit Affidavit 58 a bestätigt; in gleicher Weise hat der Zeuge Dr. Müller, der Referent für Vermögensangelegenheiten, vor der Kommission ausgesagt (Protokoll Seite 1614).
Zum Nachweis der unmittelbaren Beteiligung der Politischen Leiter hat die Anklage sodann auf Dokument 071-PS Bezug genommen, wonach die endgültige Regelung der vom Einsatzstab Rosenberg durchgeführten Beschlagnahme durch die Gauleiter erfolgen soll. Das Dokument bezieht sich aber, wie aus seiner Einleitung hervorgeht, auf die im Reichsgebiet vorzunehmenden Beschlagnahmungen »bei weltanschaulichen Gegnern«; es steht im Zusammenhang mit Dokument 072-PS, das lediglich einen Vorschlag in Verbindung mit der Kirchenfrage enthält. Dieser Vorschlag ging nicht dahin, daß die Gauleiter Sachen beschlagnahmen sollten; sie sollten vielmehr diese bis zur vorgeschriebenen Erfassung durch andere Stellen betreuen, um Zerstörungen zu vermeiden.
Auf Plünderungen im Ausland können sich die Dokumente nicht beziehen, da es dort keine Gauleitungen gab, an die diese Weisungen gerichtet sind.
Abschließend wird darauf hingewiesen, daß über die endgültige Bestimmung der Kulturgüter keine Anordnungen getroffen waren. Der vor der Kommission vernommene Zeuge Müller und der Zeuge Künzler erklären, daß die Sachen zum Gegenstand der Friedensverhandlungen gemacht werden sollten.
Abseits liegt noch die von der Anklage erwähnte Möbelaktion, durch die unter anderem die Einrichtungen von 70000 Haushaltungen aus Frankreich abtransportiert wurden. Es war dies eine Aktion des Ostministeriums, das diese durch seine eigenen Leute durchführen ließ (Dokument L-188).
Was die Kriegsgefangenen betrifft, so ist bereits von anderen Verteidigern die Rechtslage klargelegt worden, wonach die Politischen Leiter nicht mit ihnen befaßt waren.
Es ist hier den Politischen Leitern aber von der Anklage das Dokument 656-PS, US-339 vorgehalten worden. Es ist eine Anordnung des OKW aus dem Jahre 1944; dort wird mit Rücksicht auf die durch die Aufforderung der feindlichen Propaganda an die Kriegsgefangenen zu Gewaltmaßnahmen den Wachmannschaften das Recht zur Gegenwehr gegeben. In Fällen äußerster Not ist Waffenanwendung zulässig. Die Politischen Leiter stehen mit der Anordnung und ihrer Ausführung in keiner Verbindung.
Zur Frage der ausländischen Arbeiter habe ich als Verteidiger Sauckels eingehend Stellung genommen.
Über die tatsächlichen Zustände hat der Zeuge Hupfauer am 11. Juli 1946 vor der Kommission und am 31. Juli 1946 vor dem Tribunal ausgesagt. Ich beziehe mich weiter auf die Affidavits 55 a bis d und das Affidavit 55, das 15000 eidesstattliche Erklärungen zusammenfaßt; sie geben ein sicheres Bild von den allgemeinen Lebens- und Arbeitsverhältnissen dieser ausländischen Arbeiter. Alles spricht gegen eine systematische Vernachlässigung und Mißhandlung oder eine allgemeine Billigung von Verhältnissen, wie sie behauptet worden sind.
Eine besondere Stellungnahme ist erforderlich zu Dokument EC-68. Dies ist eine Anordnung der Landesbauernschaft Baden vom 6. März 1941 über die Behandlung polnischer Landarbeiter. Es ist eine Einzelmaßnahme und stammt aus der Zeit vor der einheitlichen Regelung des Arbeitseinsatzes. Sie rührt nicht von einer Parteistelle her, denn die Landesbauernschaft ist eine selbständige Berufsorganisation außerhalb der Parteiformationen. Die Anordnung selbst ist durch die späteren Regelungen für alle ausländischen Arbeiter aufgehoben worden.
Auf Grund der Beweisaufnahme steht aber fest, daß diese Anordnung in der Praxis mit Zustimmung der Politischen Leiter nicht durchgeführt wurde. Es wird hierzu Bezug genommen auf die Aussagen mehrerer Politischer Leiter aus dem Gau Baden, die in Affidavit 68 zusammengefaßt sind. Ich verweise weiter auf die Aussage des Zeugen Mohr – Landesbauernschaft Bayern –, der vor der Kommission am 3. Juli 1946 vernommen wurde, weiter auf die Aussagen des Gauleiters Wahl am 15. Juli 1946 für den Gau Schwaben und des Ortsgruppenleiters Wegscheider für das Allgäu vor der Kommission und dem Tribunal am 16. Juli beziehungsweise 31. Juli 1946.
Was die Schwangerschaftsunterbrechung bei ausländischen Arbeiterinnen betrifft, so ergibt sich aus den »Vertraulichen Informationen der Parteikanzlei« vom 9. Dezember 1943, daß ein Eingriff nur auf ausdrücklichen Wunsch vorgenommen wurde. Die dem Dokument angefügte Aufstellung zeigt auch, daß ein Eingriff die Ausnahme bildete (Affidavit Haller, 56a).
Als letztes Kriegsverbrechen, das die Politischen Leiter besonders belastet, kommt der Vorwurf der Lynchjustiz an notgelandeten Fliegern.
Es handelt sich hier nicht darum, ob die Angriffe der Flieger auf die Zivilbevölkerung zulässig waren, und ob die Empörung der Bevölkerung berechtigt war, sondern darum, daß eine Tötung solcher Flieger ohne vorausgegangenes Urteil durch die Bevölkerung zugelassen wurde. Es ist zu klären,...
VORSITZENDER: Dr. Servatius! Sie gehen von den ausländischen Arbeitern zu einem anderen Thema Ihrer Rede über. Der Gerichtshof möchte gerne wissen, wie Sie Ihren Fall hinsichtlich der Behandlung der ausländischen Arbeiter durch die Politischen Leiter ansehen und ob Sie behaupten, daß sie nicht mit Einsatz und Kontrolle der im Zuge des Zwangsarbeiterprogrammes nach Deutschland gebrachten ausländischen Arbeiter zu tun hatten.
DR. SERVATIUS: Ich bestreite, daß sie an der Hereinholung, der Erfassung der Arbeiter beteiligt waren. Sie hatten nur die Pflicht der Beaufsichtigung bezüglich der Betreuung, und ich behaupte, daß sie dieser Betreuungspflicht nachgekommen sind.
VORSITZENDER: Sie geben also zu, daß sie die Aufgabe der Überwachung der Arbeiter übernommen hatten?
DR. SERVATIUS: Jawohl. Es sind ja hier in dem Falle Sauckel eine Reihe Gauleiter gehört worden, die alle bestätigt haben, daß sie die Bevollmächtigten waren für den Arbeitseinsatz und die Betreuung durchgeführt haben. Das ist im Falle Sauckel eingehend ausgeführt worden.
Ich höre gerade, daß ich die Frage nicht richtig verstanden hätte. Es handelt sich um die Bewachung. Herr Präsident! Hätte meine Stellungnahme zur Bewachung der ausländischen Arbeiter gehört?
VORSITZENDER: Die Worte, die ich gebrauchte, haben gelautet, ob Sie behaupten, sie hätten nichts mit Einsatz und Kontrolle der im Zuge des Zwangsarbeitsprogrammes nach Deutschland gebrachten ausländischen Arbeiter zu tun gehabt.
DR. SERVATIUS: Dann habe ich, Herr Präsident, richtig verstanden, meine Antwort kann so bleiben, wie ich sie gegeben habe.
VORSITZENDER: Sie sind dann also damit einverstanden, daß, obwohl, wie Sie sagen, sie nicht an der Hereinholung der Arbeiter – ich glaube, das waren die Worte, die Sie gebraucht haben – oder an der Erfassung von Arbeitern nach Deutschland teilgenommen hätten, sie dennoch bei der Überwachung und Kontrolle der Arbeiter behilflich gewesen seien.
DR. SERVATIUS: Jawohl, und sie hatten die Oberaufsicht als Bevollmächtigte für den Arbeitseinsatz. Sie mußten also kontrollieren, ob die Arbeitsfront und die Betriebsführer ihren Betreuungspflichten nachkamen; sie hatten selbst keine unmittelbare Verantwortung, nur eine zusätzliche Betreuungspflicht als Organe Sauckels, der auf diese Weise kontrollieren wollte, ob seine Anordnungen erfüllt wurden.
VORSITZENDER: Und behaupten Sie, sie hätten nicht gewußt, daß die Arbeiter nicht freiwillig gekommen waren?
DR. SERVATIUS: Das bestreite ich nicht, daß sie auf Grund einer Verpflichtung kamen. Ich gebe zu, daß die Gauleiter wissen mußten und gewußt haben, daß die Mehrzahl der Arbeiter auf Grund einer Dienstverpflichtung kam.
VORSITZENDER: Danke sehr. Wir sind jetzt auf Seite 44 unten.
DR. SERVATIUS: Ich war bei der Frage der Lynchjustiz.
VORSITZENDER: Seite 44 im Englischen.
DR. SERVATIUS: Seite 44 war ich. Ich habe gesagt, es ist zu klären, ob solche Kriegsverbrechen daraufhin von den Politischen Leitern allgemein geduldet und begünstigt wurden.
Von der Anklage sind fünf Dokumente hierzu vorgelegt worden. Zunächst eine Anordnung vom 13. März 1940 des Stellvertreters des Führers in der Partei, Heß, Dokument 062-PS, US-646. Es betrifft eine geheime Anordnung über das Verhalten der Bevölkerung gegenüber gelandeten Flugzeugen und Fallschirmjägern, es enthält bezüglich der letzteren die Anweisung, sie festzunehmen oder »unschädlich« zu machen.
Zum Verständnis des heute zweifelhaften Wortes muß davon ausgegangen werden, daß es sich hier um feindliche Soldaten handelt, die mit einem Kampfauftrag abgesetzt werden; ihre Festnahme ist für die Zivilbevölkerung kaum möglich, und der Ausdruck muß daher so verstanden werden, daß andere Maßnahmen zur Sicherung getroffen werden, um Schaden zu verhüten.
Wesentlich für die Auslegung ist, daß im Jahre 1940 die Luftlage so war, daß tatsächlich mit solchen Vorgängen nur theoretisch gerechnet werden konnte, es war eine Vorsichtsmaßnahme, die nach dem Schreiben selbst den französischen Anordnungen folgte.
Die in dem Dokument geforderte besondere Geheimhaltungsmaßnahme erklärt sich vielleicht daraus, daß überhaupt die Zivilbevölkerung eine Anordnung erhielt, die sie zu Kombattanten machen konnte.
Tatsächlich sind aus jener Zeit keine Vorfälle bekanntgeworden über eine Verletzung des Völkerrechts gegenüber Fliegern.
Gegen eine solche Maßnahme spricht auch deutlich die »Vertrauliche Information der Parteikanzlei« vom 4. Dezember 1942 (PL-94). Dort wird ein Vorgehen gegen Flieger, wie es in Japan erfolgt war, ausdrücklich abgelehnt.
Anders sind die späteren Dokumente zu beurteilen, die offen das Kriegsverbrechen begünstigen und dazu anreizen.
Die Prüfung der Dokumente geht hier dahin festzustellen, wieweit die Politischen Leiter im allgemeinen Kenntnis hatten oder beteiligt waren.
Die Anordnung Himmlers vom 10. August 1943, Dokument R-110, US-333, richtet sich an die Höheren SS- und Polizeiführer. Es waren danach die »zuständigen Gauleiter« zu unterrichten; zuständig aber waren nur diejenigen, die staatliche Funktionen hatten, also die Reichsverteidigungskommissare und Reichsstatthalter. Eine aktive Tätigkeit auf dem politischen Sektor zu entfalten, war daher nicht damit verbunden.
Für eine solche Aufforderung wäre die Parteikanzlei zuständig gewesen. Daraus ist zu folgern, daß nicht alle Gauleiter unterrichtet wurden und auf keinen Fall die Kreisleiter und die nachgeordneten Parteistellen. Ich verweise auf die Aussage des Zeugen Hoffmann in seiner Vernehmung vom 2. Juli 1946.
Dementsprechend haben auch die anderen Gauleiter bestätigt, daß sie von den Anordnungen Himmlers an die polizeilichen Dienststellen nur in ihrer Eigenschaft als Reichsverteidigungskommissare Kenntnis erhielten.
Das Rundschreiben Bormanns vom 30. Mai 1944 (Dokument Nummer 057-PS) war bestimmt, alle Politischen Leiter zu unterrichten, das Lynchen von Fliegern zu dulden; dies stellt die Folge des Presseartikels von Goebbels vom Tage vorher dar.
VORSITZENDER: Ich bin nicht ganz sicher, ob ich Ihre Argumentation richtig verstanden habe. Sagen Sie, daß im Dokument 110 der Begriff der zuständigen Gauleiter nicht alle Gauleiter einschließe?
DR. SERVATIUS: Jawohl, nur diejenigen, die Reichskommissare waren. Sie bekamen von den Polizeistellen die Nachricht als staatliche Dienststelle, während die übrigen Gauleiter, die nicht die staatlichen Positionen hatten – und es gab eine ganze Reihe –, nicht unterrichtet waren. Und die weitere Folge ist, daß ein Gauleiter in seiner Eigenschaft als Reichsverteidigungskommissar nicht seine politischen untergeordneten Stellen unterrichtete, daß also der Kreisleiter hier doch keine Nachricht bekam.
VORSITZENDER: Sagen Sie also, daß die Gauleiter die Kontrolle über ihren Gau verloren hätten, wenn sie nicht zu Reichskommissaren oder Reichsstatthaltern ernannt worden wären?
DR. SERVATIUS: Die Dienststellen waren getrennt, und die Dienstanweisungen gingen nur zu den Kreisleitern weiter, wenn es sich um Parteianweisungen handelte, so daß also hier im vorgeschriebenen Dienstweg jedenfalls kein...
VORSITZENDER: Das ist keine Antwort auf meine Frage. Ich fragte Sie, ob Sie sagen, daß die Gauleiter die Autorität in ihrem Gau verloren hätten?
DR. SERVATIUS: Nein, das will ich nicht sagen. Ich will nur sagen, daß im gewöhnlichen Dienstweg nicht diese Anordnung weitergegeben worden ist, und ich habe auch Zeugen dafür angegeben, daß tatsächlich die Kreisleiter von dieser Anordnung keine Kenntnis bekommen haben. Anders ist es mit den nächsten Anordnungen gekommen. Sie haben später Kenntnis bekommen können und sollten sie bekommen, aber nicht bei dieser Anordnung Himmlers.
VORSITZENDER: Fahren Sie fort.
DR. SERVATIUS: Es ist das nächste Schreiben. Das Rundschreiben Bormanns vom 30. Mai 1944 (Dokument 057-PS) war bestimmt, alle Politischen Leiter zu unterrichten, das Lynchen von Fliegern zu dulden; dies stellt die Folge des Presseartikels von Goebbels vom Tage vorher dar, in dem dieser sich unmittelbar an die Bevölkerung wandte.
Für die Verteidigung ist es wesentlich festzustellen, wie die Politischen Leiter hierbei mitgearbeitet haben und ob diese Kriegsverbrechen überall begangen worden sind unter dem allgemeinen Wohlwollen und der Billigung der Politischen Leiter.
Es dürfte das Gegenteil festgestellt sein. Die drei vor der Kommission vernommenen Gauleiter haben übereinstimmend bekundet, daß sie die Auswirkungen des Rundschreibens erkannt und es entgegen den Anordnungen nicht an die Kreisleiter weitergeleitet haben, so Zeuge Hoffmann, der Zeuge Kaufmann und der Zeuge Wahl, das sind die drei Gauleiter.
Das gleiche haben die Gauleiter von Mecklenburg, Weser-Ems und Tirol bekundet. Das sind die Affidavits 61 e, h und g.
Daß in anderen Gauen ebenso verfahren wurde, ergibt sich zwingend aus der Tatsache, daß die meisten der Kreisleiter von dem Bormann-Erlaß keine Kenntnis hatten; soweit sie den Erlaß bekamen, ließen sie ihn in ihrem Kreis nicht zur Auswirkung kommen und gaben ihn wegen seiner Gefährlichkeit nicht weiter; dazu folgende Zeugen: Der Zeuge Meyer-Wendeborn für den Kreis Oldenburg; der Zeuge Kühl, Kreisleiter in Ost-Hannover; Zeuge Biedermann, Gau Thüringen; der Zeuge Brückmann, Kreisleiter von Hessen-Nassau; der Zeuge Naumann, Kreisleiter in Sachsen; der Zeuge Eber, Gau Westmark; der Zeuge Haus Kreisleiter in Wetzlar.
Zu den Zeugen, die die Nichtweitergabe der Anordnung bestätigen, gehört der erwähnte Zeuge Hoffmann; in seinem Gau ist am 25. Februar 1945, also neun Monate später, eine Durchsage über die Zulässigkeit des Lynchens erfolgt. Bemerkenswert für die Politischen Leiter ist an diesem Vorgang, daß der Zeuge solange gezögert hat, im Sinne von Bormann und Himmler zu handeln. In seiner Vernehmung vor der Kommission hat der Zeuge gesagt, daß er seinen Entwurf zurückgezogen habe und die Durchsage ohne sein Wissen erfolgt sei. Tatsächlich wurde im Gau nicht darnach gehandelt. Beweis: Affidavit Scholtis.
Zu den gesamten Aussagen der Gau- und Kreisleiter ist zu bemerken, daß nur wenige Zeugen vernommen wurden und daß nur wenige eidesstattliche Erklärungen aus der Fülle des vorhandenen Materials herausgegriffen werden konnten.
Es dürfte aber feststehen, daß im allgemeinen die Politischen Leiter dem verbrecherischen Vorschlag nicht folgten. Trotz der Verbitterung, Verzweiflung und Not über die Vernichtung vieler Menschenleben wurde die Verletzung des Kriegsrechtes verhindert.
In Affidavit 61 sind rund 11000 Einzelerklärungen zusammengefaßt, diese Erklärungen bezeugen nicht nur eine passive Ablehnung dieser gefährlichen Methode, sondern bestätigen in vielen Fällen das positive Eingreifen zum Schutz der Flieger gegenüber der erregten Bevölkerung.
Den Politischen Leitern ist schließlich durch die Anklage noch vorgeworfen worden, sie hätten durch die Auslandsorganisation der NSDAP als Fünfte Kolonne im Ausland gearbeitet. Ein Beweis hierfür hat sich weder während der Vernehmung vor dem Tribunal anläßlich der Behandlung des Falles Heß noch während der Kommissionsvernehmung ergeben. Die Auslandsorganisation diente lediglich dem Zusammenschluß der reichsdeutschen Parteimitglieder im Auslande und sollte bei ihnen das Verständnis für das Deutschtum aufrechterhalten. Den Mitgliedern der Auslandsorganisation war ausdrücklich verboten, unter den Einwohnern ihres Gastlandes für die nationalsozialistische Idee Propaganda zu machen und mit politischen Gruppen des Auslands, auch wenn sie nationalsozialistische oder faschistische Ideen vertraten, zusammenzuarbeiten (Dokumente PL-57, 58, 59). Aus diesem Grunde war ihnen auch die Zusammenarbeit mit dem Amerikadeutschen Bund verboten; dieses Verbot wurde auch streng beachtet. Beweis: Die Vernehmung des Zeugen von Rödern.
Auf Grund der Erfahrungen, die gerade die Auslandsdeutschen im ersten Weltkriege gemacht hatten, waren sie, wie der Zeuge von Rödern erklärt hat, gegen jede Expansionspolitik. Sie hatten kein anderes Ziel, als daß der Friede mit allen Mitteln aufrechterhalten wird. Aus diesem Grunde kamen sie auch für eine Tätigkeit als Fünfte Kolonne nicht in Betracht. Den Mitgliedern der Auslandsorganisation war jede Zusammenarbeit mit dem deutschen Geheimdienst durch ihren Leiter Bohle verboten. Wenn einzelne Angehörige der Auslandsorganisation dieses Verbot übertreten haben, so taten sie dies nicht im Auftrage der Auslandsorganisation, sondern entgegen deren ausdrücklichen Anweisungen. Dies ergibt sich daraus, daß die betreffenden ausländischen Staaten – zum Beispiel England – die Auslandsorganisation trotz derartiger Vorfälle nicht verboten haben; vielmehr wurde der legale Charakter der Auslandsorganisation durch die ausländischen Staaten wiederholt ausdrücklich anerkannt. Daß die Auslandsorganisation keine Tätigkeit als Fünfte Kolonne ausübte, geht auch schließlich daraus hervor, daß sie bis zum Schluß in neutralen Ländern fortbestand, also noch zu einer Zeit, als es diesen Staaten keine diplomatischen Schwierigkeiten mehr bereitet hätte, wenn sie sie verboten hätten.
Ich habe zu den einzelnen Punkten der Vorwürfe Stellung genommen; es ist nun die Frage, welches das Gesamtbild ist, das sich ergibt. Es ist zu prüfen, ob die untersuchten Fälle Einzelvorkommnisse waren oder ob sie durch ein gemeinsames Band zusammengehalten werden und damit den verbrecherischen Charakter der Politischen Leiter zeigen.
Die Anklagebehörde hat darauf hingewiesen, daß sie besonders umfangreiches Beweismaterial vorgelegt habe. Man muß zugeben, daß auf Grund der Besetzung von ganz Deutschland und der Tätigkeit der Behörden auch der letzte Winkel durchsucht und das Beweismaterial herbeigeschafft worden ist. Aber gerade darum überrascht das Material bei genauer Durchsuchung durch seine Spärlichkeit, es zeigt sich, daß das Feld des Antrags der Anklage nicht gedeckt ist.
Nicht ein Beweis von Stücken, sondern nur eine Systematik kann überzeugen, daß Vorfälle, die sich in einem Gebiet zu einer Zeit einmal ereignet haben, notwendigerweise in allen anderen Gebieten laufend vorgekommen sind.
Die einzelnen Vorgänge könnten erst durch die »Verschwörung« zu einem System zusammengefaßt werden, das den verbrecherischen Charakter dartut. Aber gerade die Verschwörung soll erst durch die nicht zusammenhängenden Tatsachen erwiesen werden.
Den Dokumenten der Anklage stehen die Aussagen der Zeugen der Verteidigung gegenüber.
Die Anklagebehörde hat gegen die Glaubwürdigkeit der Zeugen vorgebracht, daß sie alle Zeugen in eigener Sache seien.
Es ist ihnen vorgehalten worden, daß sie noch bis zum Schluß im Amt geblieben seien.
Wollte man diesen Überlegungen folgen, so war die vom Statut gewährte Möglichkeit des rechtlichen Gehörs der Mitglieder inhaltslos. Die Zeugen treten gerade nicht in eigener Sache auf, sondern als Zeugen mit allgemeiner Kenntnis der Vorgänge und Verhältnisse, die nur durch die Mitglieder der Organisation selbst aufgeklärt werden können. Ihre Glaubwürdigkeit muß sich aus der Gleichmäßigkeit vieler Aussagen ergeben.
Man kann ein Zeugnis nicht allgemein zurückweisen, wenn der ausgesprochene Zweck des Verfahrens ist, Beweise über solche Punkte in späteren Verfahren auszuschließen. Dort würde jeder einzelne für die Richtigkeit seiner Aussage Zeugen beibringen können, aber zu spät. Wenn ein Zeugnis unglaubwürdig sein soll, so muß dies im einzelnen Fall bewiesen werden; ein solcher Beweis kann aber nicht dadurch geführt werden, daß man einen Zeugen Schlüsse ziehen läßt, die er mangels Überblicks und Kenntnis nicht richtig ziehen kann.
Es sind nur wenige Zeugen vor der Kommission und dem Tribunal gehört worden.
Die Aussagen von Einzelzeugen hat zur Festlegung des verbrecherischen Charakters einer Organisation keine zwingende Kraft. Der Zeuge kann über die Gesamtverhältnisse, die zur Bekundung stehen, meist wenig bekunden. Seine Aussagen bleiben auch bei umfassenderer Kenntnis der Dinge Bruchstücke.
Erst eine zusammenfassende Erhebung kann Klärung bringen. Die Anklagebehörde hatte hierzu in den Lagern gute Gelegenheit. Daß die Prüfung aller Inhaftierten erfolgt ist, zeigen die Einzelprozesse die als Ergebnis dieser Prüfung durchgeführt worden sind. Aber das Verbrechen als allgemeine Erscheinung konnte nicht festgestellt werden.
Die Verteidigung hat ihrerseits alles Zeugenmaterial, das ihr zugänglich war, durch eine Art Enquete erfaßt. Im Verfahren vor dem Tribunal sind Enqueten grundsätzlich zugelassen worden in der Form von Regierungsberichten. Zum Nachweis von generellen Vorkommnissen erscheinen sie auch nicht entbehrlich.
Die Schwächen der Enquete sind bekannt; ihre Hauptgefahr liegt in der Auswahl der Zeugen. Im vorliegenden Fall steht jedoch der Kreis der Zeugen durch die Lagerinsassen fest. Die vorgelegten eidesstattlichen Versicherungen von zirka 58 000 Personen sind keine Auswahl aus den Lagern, sondern eine Zusammenfassung.
VORSITZENDER: Fahren Sie fort.
DR. SERVATIUS: Die zweite Schwierigkeit der Enquete besteht in der Unmöglichkeit der Nachprüfung der Angaben durch den Fernstehenden wegen ihres Umfangs. Gerade diese Nachprüfung ist aber unter den obwaltenden Umständen gesichert; die Verhältnisse aller Zeugen aus den Lagern sind genau bekannt und durch Ermittlungen bestätigt. Die Angaben der Zeugen können jederzeit nachgeprüft werden. Daß eine solche Prüfung möglich ist, zeigt die Einrichtung der Entnazifizierungskammern.
Wenn man den Beweiswert der Zeugenaussagen und der Affidavits in Bausch und Bogen verneint, ohne den wirklichen Wert geprüft zu haben, so kann dieses Verfahren zu keinem richtigen Ergebnis führen.
Mißt man den Zeugenaussagen auch nur eine gewisse Beweiskraft zu, so ist das einheitliche Bild zerstört, das die Anklagebehörde ihrem Antrag zugrunde gelegt hat.
Eine andere Frage ist die, ob durch die Verantwortlichkeit aller Politischen Leiter auf Grund ihrer Stellung oder auf Grund von Kenntnis und Billigung eine Gemeinschaftshaftung entstehen kann.
Die praktische Frage ist die, ob ein Kreisleiter auf dem Lande durch die Vorkommnisse in einer Ortsgruppe der Großstadt mitbetroffen wird und ob jemand, der 1930 Politischer Leiter war, durch Ereignisse miterfaßt wird, die im Kriege vorgekommen sind. Die Frage ist, ob ein Blockleiter in Mitleidenschaft gezogen wird durch den Umstand, daß auf Grund geheimer Anordnung Menschen durch Gnadentod beseitigt wurden.
Es liegt auf der Hand, daß hier Unterschiede zu machen sind.
Zunächst ein Unterschied in zeitlicher Richtung.
Die die Einzelhandlungen erst verbindende Verschwörung ist nach den Ausführungen des Anklagevertreters der Sowjetunion nicht vor dem Jahre 1935 mit Sicherheit nachzuweisen. Nach der Anlage A zur Anklage gegen die Organisation wird die Reichsregierung erst für eine Verschwörung nach dem Jahre 1934 verantwortlich gemacht. Von den Dokumenten, die gegen die Politischen Leiter vorgelegt worden sind, bezieht sich nur ein einziges auf das Jahr 1933, es ist 374-PS. Es betrifft einen örtlichen Judenboykott.
Alle anderen Dokumente behandeln Vorgänge ab 1938. Die Mehrzahl der Dokumente betrifft erst die Kriegszeit.
Bei der Feststellung der belastenden Zeit kann nicht ein Einzelfall ausschlaggebend sein, sondern nur Vorgänge, die zu ihrer Zeit einen allgemeinen Charakter trugen.
Wenn die Anklagebehörde ihren Antrag für die ganze Zeit des Bestehens der Partei aufrechterhält, so glaube ich, daß dies nicht haltbar ist.
Man kann auch dem Gedanken nicht folgen, daß ehrenamtliche Blockleiter in gleichem Maße verantwortlich seien wie ein Reichsleiter oder Gauleiter. Es muß ein Unterschied auf Grund der Stellung gemacht werden.
Ein Gauleiter hat andere Einblicksmöglichkeiten, und seine Kenntnis und Erfahrung ist umfangreicher als die eines Ortsgruppenleiters. Der hauptberuflich tätige Politische Leiter muß anders beurteilt werden als der, der ehrenamtlich tätig ist.
Nur der Nachweis einer gemeinsamen Verschwörung würde sie gleichstellen. Aber gerade diese Verschwörung muß erst nachgewiesen werden.
Wenn man die Belastungsdokumente durchgeht, so zeigt sich deutlich die Verschiedenartigkeit der Verantwortung. Es gibt Anordnungen, die in der Spitze gegeben werden, von denen jedoch nur ein engster Kreis Kenntnis erlangt; es gibt Anordnungen, die zur allgemeinen Kenntnis der Politischen Leiter kommen sollen, die aber im Befehlsapparat nicht weitergegeben werden; es gibt Anordnungen, die in einem Teil des Reichsgebietes selbständig getroffen werden, von denen in anderen Gauen nichts bekannt ist. Es gibt Maßnahmen, die von obersten Politischen Leitern durchgeführt werden, die ihnen aber auf Grund besonderer staatlicher Stellung übertragen sind und daher mit dem Parteiapparat nicht in Verbindung kommen.
Den Unterschied der Stellung hat auch die Anklagebehörde bei ihrem Antrag gegen die Politischen Leiter berücksichtigt und dementsprechend die Mitglieder der Ortsgruppenstäbe sowie die Helfer der Zellen- und Blockleiter aus dem Verfahren herausgelassen.
Diesem Gedanken folgend ist darüber hinaus der Grad der Verantwortlichkeit der übrigen Gruppen zu prüfen:
Der Umstand, daß die Zellen- und Blockleiter noch im Verfahren einbegriffen sind, während die ihnen gleich oder höher gestellten Mitglieder des Stabes der Ortsgruppen nicht mehr erfaßt sind, beruht darauf, daß sie im Organisationsbuch als »Hoheitsträger« bezeichnet worden sind.
Die Bedeutung des Organisationsbuches wird von der Anklagebehörde verkannt. Das Buch war ein theoretisches Werk, das von dem eigenen Referenten des Reichsorganisationsleiters Ley als solches bezeichnet wurde.
Die Bezeichnung »Hoheitsträger« wurde den Zellen- und Blockleitern aus rein konstruktiven Gründen beigelegt, weil sie sich in eine gebietliche Einteilung dann einreihen ließen. Diese Konstruktion führt dazu, daß ein Blockleiter als wichtiger Hoheitsträger erscheint, während ein Reichsleiter diese Eigenschaft nicht hat; dafür steht der Blockleiter mit dem Führer selbst als Hoheitsträger des Reiches in einer Kategorie; ich verweise auf Affidavit Hederich, Nummer 27, Affidavit Schmidt, Nummer 25 und Affidavit Förtsch, Nummer 26. Es sind dies Zeugen, die in der Organisation als Organisationsleiter tätig waren.
Dementsprechend sind in dem 1940 erschienenen Buch des Oberbereichsleiters Dr. Lingg mit dem Titel »Verwaltung der NSDAP« die Zellen- und Blockleiter auch nicht als Hoheitsträger aufgeführt. Die Bezeichnung Hoheitsträger geht nur herab bis zu dem Ortsgruppenleiter. (Dokument PL-1.)
In gleicher Weise nimmt eine Verfügung der Parteikanzlei vom 8. Oktober 1937 die Zellen- und Blockleiter nicht unter die Hoheitsträger auf (Dokument Nummer 2). Dort sind nur vier Hoheitsgebiete genannt, die bei der Ortsgruppe enden.
Es schließt sich an an eine Bekanntmachung Hitlers vom 23. April 1941 (Dokument PL-4) über die Befugnis, nach Fliegerangriffen Schadensstellen zu betreten. Dort sind die Zellen- und Blockleiter ebenfalls nicht unter die Hoheitsträger aufgenommen.
Auch die Zeitschrift »Der Hoheitsträger«, die von der Anklage als Dokument 2660-PS zum Beweis des besonderen Charakters der Zellen- und Blockleiter vorgelegt worden ist, zeigt, daß die Zusendung des Hefts nur bis zum Ortsgruppenleiter erfolgte (Dokument PL-25).
VORSITZENDER: Einen Augenblick, Dr. Servatius, sind Ihre Seiten in der deutschen Ausgabe dieselben wie in der englischen?
DR. SERVATIUS: Ich habe sie nicht kontrollieren können, es müssen dieselben sein, ich bin jetzt auf Seite 54.
VORSITZENDER: Ich möchte, daß Sie für einen Augenblick auf Seite 53 zurückblättern. Ich habe Ihre Argumentation auf Seite 53 unten nicht verstanden. In der englischen Ausgabe steht folgendes: »Die Bezeichnung ›Hoheitsträger‹ wurde den Zellen- und Blockleitern aus rein konstruktiven Gründen beigelegt.«
Ich weiß nicht, was hier das Wort »konstruktiv« bedeuten soll – und dann heißt es: »... weil sie sich in eine gebietliche Einteilung dann einreihen ließen. Diese Konstruktion führte dazu, daß ein Blockleiter als wichtiger Hoheitsträger erscheint, während ein Reichsführer diese Eigenschaft nicht hat.«
Was meinen Sie mit »Reichsführer«, ist es dasselbe wie »Reichsleiter«?
DR. SERVATIUS: Reichsleiter? Es muß Reichsleiter heißen.
VORSITZENDER: Dann auf der nächsten Seite, Seite 54, dritter Absatz, fahren Sie fort: »In gleicher Weise nimmt eine Verfügung der Parteikanzlei vom 8. Oktober 1937 die Zellen- und Blockleiter nicht unter die Hoheitsträger auf (Dokument PL-2). Dort sind nur vier Hoheitsgebiete genannt, die bei der Ortsgruppe, den Ortsgruppenleitern enden.«
Das bedeutet doch, daß die Reichsleiter Hoheitsträger waren, nicht wahr?
DR. SERVATIUS: Nein. Auf der Reichsebene gibt es nur einen Hoheitsträger, das ist Adolf Hitler selbst als Führer, während die Reichsleiter keine Hoheitsträger sind, da sie selbst kein Gebiet haben. Das hat der Führer, Hitler, verlangt, und so ist es konstruktiv aufgebaut: Das Reich, der Führer, dann kommen Gauleiter, Kreisleiter, Ortsgruppenleiter und endet dort, und es gibt kein »Reich« in dem Buch für Block- und Zellenleiter.
VORSITZENDER: Ich verstehe.
DR. SERVATIUS: Ich fahre fort im letzten Absatz:
Sodann erging noch am 7. Dezember 1943 eine Anordnung der Parteikanzlei, in der die Block- und Zellenleiter nicht zu den Hoheitsträgern gerechnet wurden (Dokument PL-24).
Aber nicht nur der Form, sondern auch der Tätigkeit nach waren die Zellen- und Blockleiter keine mit besonderen Vorrechten und Hoheitsbefugnissen ausgestatteten Personen; ihre Tätigkeit ist von den vor dem Tribunal vernommenen Zeugen geschildert worden; sie bestand in praktischer Hilfe. Diese Politischen Leiter waren tätig für die Verwaltung der Partei oder während des Krieges in immer steigendem Maße in sozialer Arbeit zur Linderung der Not nach Luftangriffen; hinzu kam praktische Hilfe bei Umsiedlungen und Schadensverhütung bei Luftalarm. Es war eine aufopfernde und anstrengende Tätigkeit, die von diesen Personen verlangt wurde.
Besonders hervorgehoben waren diese Politischen Leiter in ihrer Stellung nicht. Aufschlußreich ist das Dokument PL-9, eine Anlage zur Bekanntgabe des Stellvertreters des Führers vom 12. Juli 1940. Daraus ergibt sich, daß im Gegensatz zu dem eigentlichen Hoheitsträger die politische Zuverlässigkeit der Block- und Zellenleiter noch geprüft werden mußte, wenn sie sich um ein Ehestandsdarlehen oder sonstige Beihilfen bewarben.
Daß solche Leute nicht generell zum Spitzeldienst geeignet angesehen werden können, ist sicher.
Es ergibt sich auch, daß sie keine politischen Führungsaufgaben hatten; es waren meist einfache Leute, die hierzu weder Zeit noch Kenntnisse hatten. Die Tatsache, daß aus einer höheren Bildungsschicht einzelne Personen zum Blockleiter bestimmt wurden, zeigt ebenfalls, daß nicht ihre politischen Fähigkeiten hier eingesetzt werden sollten.
Besonders wichtig erscheint in diesem Zusammenhang das eben erwähnte Dokument PL-24 über »Führungshinweise der Parteikanzlei«. Diese »Führungshinweise« werden, so heißt es in dem Dokument, »zur schnellen politischen Unterrichtung der Hoheitsträger (also Gau-, Kreis- und Ortsgruppenleiter) und zur Unterstützung ihrer Führungsarbeit herausgegeben«. Zur Unterrichtung der Unterführer der Gliederungen und angeschlossenen Verbände sollen die Hoheitsträger jeweils in ihrem Hoheitsgebiet (Gau, Kreis, Ortsgruppe) die Führungshinweise den betreffenden Gliederungs- und Verbändeführern zur Kenntnis geben.
Die Block- und Zellenleiter waren also weder als regelmäßige Empfänger der Führungshinweise vorgesehen noch durften die Ortsgruppenleiter sie ihnen zur Kenntnis geben. Das beweist, daß die Zellen- und Blockleiter von der politischen Unterrichtung, die durch die Führungshinweise erreicht werden sollte, ausgeschlossen waren und daß sie keine oder doch nur so geringe Führungsaufgaben hatten, daß man es nicht für nötig hielt, sie durch die Führungshinweise hierin zu unterstützen.
Auch die Tatsache, daß insbesondere im Kriege die Zellen- und Blockleiter zu ihrem Amt einfach bestimmt wurden, spricht gegen die politische Bedeutung ihrer Position.
Der vielfach während des Krieges gemachte Versuch, die Annahme eines solchen Amtes abzulehnen, zeigt gleichzeitig einen starken Druck der Partei zur Amtsübernahme, aber andererseits hat sich ergeben, daß die Ablehnung nicht erfolgte, weil man die Aufgaben, die zu erfüllen waren, für verbrecherisch hielt. Die Mühe- und Arbeitsleistung neben der starken Berufstätigkeit im Kriege waren der Beweggrund für die Ablehnung.
Es ist ein auf Grund des Organisationsbuches entstandener Irrtum der Anklage, wenn man annimmt, ein Zellen- oder Blockleiter habe Befehls- oder Disziplinarbefugnisse besessen oder er habe polizeiähnliche Befugnisse gehabt. Vergleiche »Parteiamtliche Informationen«, Dokument Nummer 29. Es trifft auch nicht zu, daß er das Recht gehabt habe, SA, SS oder die Hitler-Jugend zu seiner Unterstützung heranzuziehen. Die Beweisaufnahme vor der Kommission hat dies klargestellt. Ich verweise auf die Vernehmung der Zeugen Hirth, Engelbert, Schneider und Kühn. Weitere eidesstattliche Versicherungen bestätigen dies. Alles entspricht den parteiamtlichen Anordnungen: Das sind die Dokumente Nummer 26 und 27.
Auf Grund seiner tatsächlichen Stellung konnte ein Zellen- oder Blockleiter keine Kenntnis von Vorgängen haben, die nach der Anklage verbrecherisch sind; auch ist eine allgemeine Betätigung in dieser Hinsicht nicht nachgewiesen.
Die Kenntnis eines einfachen Politischen Leiters war nicht größer als die jedes Parteigenossen. Ich verweise auf Dokument PL-47. Seine Verpflichtung zur Unterstützung von Partei und Staat war nicht größer als die jedes Beamten; das ist das Dokument PL-37. Daß es Einzelhandlungen von Politischen Leitern gegeben hat, die stark belasten, weiß jeder, der in Deutschland gelebt hat. Aber ebenso weiß er, daß es sich nicht um ein typisches Verhalten der Mehrheit aller Blockleiter handelte.
Auch vom zeitlichen Gesichtspunkt aus bedarf diese Gruppe besonderer Beachtung. Bis zum 1. Dezember 1933 war jeder Parteigenosse allein gegenüber der Partei verpflichtet, der Aufforderung zur Übernahme eines Parteiamtes Folge zu leisten. Mit Inkrafttreten des Gesetzes zur Sicherung der Einheit von Partei und Staat vom 1. Dezember 1933 (1395-PS) wurde diese bisher privatrechtliche Verpflichtung zur Mitarbeit zu einer gesetzlichen Verpflichtung gegenüber dem Staate. In Paragraph 5 dieses Gesetzes wurde für den Fall der Verletzung dieser Verpflichtung auch Haft und Arrest angedroht, also Strafen, die nach deutschem Recht nur bei Verstößen gegen gesetzliche Anordnungen verhängt werden können.
Durch Paragraph 1, Absatz 1 der Verordnung zur Durchführung des Gesetzes zur Sicherung der Einheit von Staat und Partei erhielt die Satzung der NSDAP einen öffentlich-rechtlichen Charakter. Damit erhielt auch Paragraph 4, Absatz 2 b der Satzung öffentlich- rechtlichen Charakter, der die Grundlage für die bisher privatrechtliche Verpflichtung zur Übernahme eines Parteiamtes bildete.
Daß seit dem Inkrafttreten des Gesetzes vom 1. Dezember 1933 die Verpflichtung, ein Parteiamt zu übernehmen, eine gesetzliche Verpflichtung war, ergibt sich argumentum e contrario auch daraus, daß in Paragraph 20 des Reichsarbeitsdienstgesetzes vom 26. Juni 1935 (1389-PS) ausdrücklich erklärt wurde, daß die Angehörigen des Reichsarbeitsdienstes die Übernahme einer ehrenamtlichen Tätigkeit im Parteidienst ablehnen können. Es hätte einer besonderen gesetzlichen Bestimmung über die Befreiung der Angehörigen des Arbeitsdienstes nicht bedurft, wenn die Verpflichtung zur Mitarbeit in der Partei nicht eine gesetzliche Verpflichtung gewesen wäre.
Die Verpflichtung zur Mitarbeit wirkte sich in der Praxis sogar als Zwang aus:
Wer sich weigerte, der Heranziehung zur Amtsübernahme Folge zu leisten, wäre ohne Zweifel durch das Parteigericht aus der Partei ausgeschlossen worden; das sind die Dokumente PL-63, 64 und Nummer 8. Der Ausschluß von der Partei wäre gleichbedeutend gewesen mit dem Verlust der Existenz mit allen seinen Folgen; das Dokument PL-65. Außerdem mußte der Parteigenosse, der sich weigerte, ein Amt zu übernehmen, damit rechnen, sogar mit einer Freiheitsstrafe bestraft zu werden, Dokument PL-63. Der Zwang, ein Amt in der Partei zu übernehmen, war damit zugleich ein physischer Zwang.
Wer vor der Machtübernahme in der Partei arbeitete, tat dies wohl aus idealen Gründen. Wer nach der Machtergreifung ein Amt übertragen erhielt, nahm dies wohl in den meisten Fällen ohne Begeisterung an, zumal er, wie die Beweisaufnahme gezeigt hat, Lasten und Unannehmlichkeiten damit auf sich nahm, ohne aber gleichzeitig damit Vorteile zu haben. Ohne Zweifel aber haben so ziemlich ausnahmslos alle diejenigen, die nach Kriegsbeginn Amtsträger wurden, das Parteiamt nur auf Grund der bestehenden Verpflichtungen übernommen. Die Leute, die nicht zur Wehrmacht einberufen worden waren, waren entweder körperlich gebrechlich oder beruflich derartig überlastet, daß sie keine Zeit und keine Neigung zur Übernahme eines Amtes in der Partei hatten. Daraus erklärt sich, daß die Anordnungen des Führers und der Parteikanzlei, in denen die Parteidienststellen angewiesen wurden, die Parteigenossen zur Mitarbeit heranzuziehen, immer rigoroser wurden und sogar die Aufforderung enthielten, mit dem Parteigerichtsverfahren vorzugehen, falls sich jemand weigert, in der Partei mitzuarbeiten. Das sind die Dokumente Nummer 61 und 62. Während des Krieges stand der gesetzliche und physische Zwang zur Mitarbeit in der Partei nicht nur auf dem Papier; vielmehr wurde von dieser Möglichkeit tatsächlich in weitestem Umfange Gebrauch gemacht. Beweis ist das Dokument Nummer 8.
Man kann daher davon ausgehen, daß, wenn jemand während des Krieges Amtsträger und Politischer Leiter wurde, dies regelmäßig das Ergebnis der gesetzlichen Anordnungen und der Drohungen von Parteigerichtsverfahren war. Dies sind praktisch alle während des Krieges ernannten Block- und Zellenleiter und die Angehörigen der Ortsgruppenstäbe.
Die Anklagebehörde hat dem entgegengehalten, daß dieser Zwang zur Mitarbeit in der Partei lediglich eine Folge des freiwilligen Eintritts in die Partei war. Dies würde dazu führen, daß die Mitgliedschaft in der Partei bereits bestraft würde. Man kann aber auch nicht, wie dies ebenfalls geschehen ist, so argumentieren, daß man erklärt, die betreffenden Parteimitglieder hätten den Zwang zur Mitarbeit in der Partei von sich abwenden können; sie hätten rechtzeitig einen Posten bei einer angeschlossenen Organisation, zum Beispiel der NSV übernehmen sollen. Die Abwegigkeit dieser Ansicht zeigt sich darin, daß damit die Mitarbeit in der Partei überhaupt empfohlen wird, nur an anderer Stelle.
Bei den Beamten kam noch als weiterer Zwang hinzu der Druck, der durch die vorgesetzten Dienststellen und Ministerien ausgeübt wurde; das sind die Dokumente Nummer 67 bis 70.
Diese Erlasse waren die Handhabe, um die Beamten auch zu zwingen, in der Partei mitzuarbeiten. Wenn ein Beamter sich weigerte, dieser Aufforderung nachzukommen, dann mußte er damit rechnen, daß dies für ihn üble Folgen haben würde; er mußte befürchten, daß von seiner vorgesetzten Behörde ein Disziplinarverfahren gegen ihn eingeleitet würde, das zum Verlust seiner Existenz und damit zur Brotlosigkeit der ganzen Familie führen konnte.
Wollte er dieser Gefahr ausweichen, indem er vorher aus der Partei austrat, so verlor er ebenfalls seine Existenz (Dokument PL-71). Die Beamten befanden sich daher in einer besonderen Zwangslage.
Im Hinblick auf diese Umstände kann man diesen Personenkreis nicht als einen im wesentlichen freiwilligen Zusammenschluß ansehen.
Auch die Aufgaben der Zellen- und Blockleiter waren nach den Zeiten verschieden und damit die Bedeutung der Stellung.
Wer vor der Machtergreifung im Jahre 1933 Zellen- und Blockleiter war, ist sicher politisch rühriger gewesen als derjenige, der dieses Amt übernahm, als lediglich noch praktische Funktionen zu erfüllen waren.
Während des Krieges traten Personen an die gleiche Stelle, die infolge ihres Alters oder Berufs keinen Kriegsdienst leisteten und als Aushilfe herangezogen wurden. Es liegt auf der Hand, daß diese Personen keine Elitetruppen der Partei waren, die bestimmt waren, Angst und Schrecken zu verbreiten und die sich als kleine Cäsaren aufführten.
Nimmt man den Unterschied der Lage zwischen Stadt und Land hinzu, so kann man nicht zu dem Ergebnis kommen, daß diese 1200000 Personen, die die Gruppe umfaßt, im wesentlichen verbrecherisch waren.
Die Anklagebehörde hat die Angehörigen des Stabes der Ortsgruppen aus dem Verfahren ausgeschieden.
Der Gesichtspunkt ist wohl, daß sie als ehrenamtliche Gehilfen der Ortsgruppe eine weniger beachtliche Stellung hatten.
Es ist zu prüfen, ob aus dem gleichen Gesichtspunkt auch die Mitglieder der Kreis- und Gaustäbe herausgelassen werden können.
Die Verbindung mit den maßgebenden Hoheitsträgern belastet sie mit einem größeren Verdacht.
Es ist zu untersuchen, wie diese Verbindung beschaffen war.
In den Stäben bestanden als politische Führungsämter des Stabsamts das Propagandaamt, Schulungsamt, Organisationsamt und das Personalamt. Sie waren von hauptamtlichen bezahlten Kräften besetzt.
Ein weiteres Mitglied beim Stabe war der Kassenleiter; dieser war jedoch dem Hoheitsträger nicht unterstellt, sondern dem Reichsschatzmeister (Dokument PL-73).
Von der Reichsfinanzverwaltung der Partei war ein selbständiges Rechnungs- und Kontrollwesen geschaffen, das rein bürokratisch arbeitete und unpolitisch war. Es umfaßt etwa 70000 Politische Leiter.
Neben den politischen Ämtern standen die beratenden Politischen Leiter. Es waren dies folgende vier Kategorien:
Ein Vertreter der Gliederungen von Frauenschaft, NS-Dozentenbund und NS-Studentenbund; eine Vertretung der Wohlfahrtsverbände, NSV und Kriegsopferversorgung; die Leiter der Berufsorganisationen für Lehrer, Beamte, Ärzte und Rechtswahrer, und die Vertreter der Fachämter: Arbeitsfront, Handel und Gewerbe, Agrarpolitik und andere.
Um einen äußeren Eindruck von der Größe dieser Dienststellen zu bekommen, wird darauf hingewiesen, daß sie meist kein eigenes Personal hatten und häufig keine eigenen Diensträume. Manchmal waren sie nicht am Sitz des Stabes selbst, sondern räumlich entfernt.
Die praktische Zusammenarbeit mit Gau- und Kreisleitung war häufig gering. Eine Reihe von eidesstattlichen Erklärungen bestätigt, daß die Dienststellen von den Hoheitsträgern kaum besucht wurden (das Affidavit PL-39) oder daß sie zu einer Mitarbeit nicht herangezogen wurden (die Affidavits 48 bis 50).
Während des Krieges wurden dann auch einige bereits als überflüssig aufgelöst, so 1942 das Rechtsamt und 1943 das Amt für Beamte.
Die Aufgabe der Ämter war in erster Linie fachlicher Art, diese Amtsträger erhielten deshalb ihre Arbeitsweisungen nicht von dem Hoheitsträger, sondern von der fachlich vorgesetzten Dienststelle (Dokument PL-72). Bezüglich der Tätigkeit dieser Stabsmitglieder sind von der Anklagebehörde keine Beschuldigungen unmittelbar erfolgt.
Es sind Ärzte belastet im Zusammenhang mit Gnadentod und KZ-Greueln. Aber es sind dies nicht Ärzte des Amtes für Volksgesundheit.
Es sind Vereinbarungen des Reichsjustizministers mit Himmler und Goebbels über Sonderstrafrecht und Vernichtung durch Arbeit erwähnt worden; die Kreis- und Gaurechtsämter stehen damit nicht im Zusammenhang.
Sicher haben diese Ämter in den Stäben die nationalsozialistische Weltanschauung vertreten, denn das war ihre Aufgabe; aber hier kommt es darauf an, inwieweit die Politischen Leiter außerhalb ihrer fachlichen Tätigkeit an einer Verschwörung zum Zwecke des Angriffskrieges oder zur Begehung von Kriegsverbrechen beteiligt sind.
Auf Grund einer allgemeinen Vermutung, daß sie irgendwelche Kenntnis hätten haben können, kann man sie nicht für verbrecherisch erklären. Es besteht hier zunächst die wichtige Pflicht der Aufklärung, die nicht auf ein später tätig werdendes Gericht verlagert werden darf.
Der Spruch des Tribunals bedeutet zu zwei Drittel die Verurteilung der Betroffenen; es ist zu befürchten, daß die nachher tätigen Gerichte auf Grund der Vermutung der allgemeinen Schuld die spezielle Schuld des einzelnen allzu leicht unterstellen.
Bei der Beurteilung der Fachämter ist zu bedenken, daß es sich dabei um etwa 140000 Personen handelt, die ehrenamtlich tätig waren.
VORSITZENDER: Welchen Beweis haben Sie für diese Behauptung, daß 140 000 Personen ehrenamtlich tätig waren?
DR. SERVATIUS: Es handelt sich um die Mitglieder in den technischen Abteilungen, die sich bei den einzelnen Stäben der Gaue und Kreise befinden und wie sie auch bei der Ortsgruppe sind. Bei den Ortsgruppen hat die Anklage diese Personen herausgelassen bei dem Verfahren, und ich will hier darlegen, daß diese Personen in den höheren Stäben ebenfalls ehrenamtliche Fachleute waren, die nicht an den Verbrechen gegen den Frieden und überhaupt nicht an den Kriegsverbrechen beteiligt sind. Sie unterstanden nicht dem Gauleiter, sondern bekamen ihre Anweisungen direkt von ihren Fachvertretern, die ihnen vorgesetzt waren. Ihre Tätigkeit scheint wohl sehr stark auf dem Gebiet...
VORSITZENDER: Dr. Servatius! Sie haben meine Frage nicht beantwortet. Welchen Beweis haben Sie für die Behauptung... und ich möchte noch eine andere Frage stellen: Was verstehen Sie unter »ehrenamtlicher« Tätigkeit?
DR. SERVATIUS: Unter »ehrenamtlich« meine ich diejenigen, die nicht bezahlt wurden für ihre Tätigkeit. Ehrenamtlich heißt ohne Bezahlung.
VORSITZENDER: Sie sagen, sie waren technische Fachleute.
DR. SERVATIUS: Ja, sie kamen jeweils aus ihren Verbänden; Juristen, Ärzte und Lehrer hatten ihre Vertretung, oder es waren die Vertreter der Fürsorgeverbände oder der Arbeitsfront, jeder ein Fachmann für sein Gebiet, der beratend zugezogen wurde auf ehrenamtlicher Grundlage.
VORSITZENDER: Ich frage Sie noch einmal, Dr. Servatius, was ist der Beweis dafür, daß es sich um 140 000 Mann handelt?
DR. SERVATIUS: Diese Zahl ist sorgfältig berechnet auf Grund des Organisationsbuches. Ich kann es im einzelnen später nachreichen. Es würde jetzt zu weit führen, und ich bin auch im Moment nicht in der Lage, die Berechnung hier vorzuführen. Ich habe bei jedem Thema angegeben, wie viele Menschen etwa betroffen sind, damit man einen Überblick bekommt.
VORSITZENDER: Fahren Sie fort.
DR. SERVATIUS: Es bleibt die Gruppe der eigentlichen »Hoheitsträger« zu prüfen, die den Kern der Partei ausmachten. Ihre Sonderstellung und ihre politischen Befugnisse heben sie aus den anderen Politischen Leitern heraus. Aber ihre Stellung ist ganz verschiedenartig.
Während der Ortsgruppenleiter mit seinem Hoheitsrecht auf den Kreis seiner Ortsgruppe beschränkt ist, greift die Befugnis der »Höheren Parteiführer« über den Rahmen der Partei hinaus in die Rechte derjenigen ein, die nicht zur Partei gehören.
Nur die Kreis- und Gauleiter haben das Recht zur »Politischen Beurteilung« Außenstehender und entscheiden damit über deren Schicksal; gleichzeitig nehmen sie hierdurch weitgehend Einnuß auf das Leben der Gesamtheit.
Die Entscheidung, die sie treffen, steht in ihrem eigenen Ermessen; dieses ist das Kennzeichen ihrer Selbstverantwortlichkeit. Der Ortsgruppenleiter wird lediglich aufgefordert, Unterlagen für die Beurteilung zu geben; er ist nur ein ausführendes Organ und ein unselbständiger Mann.
Äußerlich ist der Unterschied dadurch gekennzeichnet, daß der Ortsgruppenleiter nur ehrenamtlich tätig ist, also ohne Bezahlung. Er ist durch seinen Beruf gehindert, sich in wirklich umfassender Weise um alle Vorgänge zu kümmern. So war es zumal im Kriege, der mit seinen Nöten alle Gedanken und Kräfte auf die eigenen Schmerzen lenkte.
Die 70000 Ortsgruppenleiter waren Kleinbürger, die vorher nicht politisch tätig waren und denen die Erfahrung auf diesem gefahrvollen Gebiete fehlte. Die meisten Ortsgruppen waren auf dem Lande, wo die ländliche Arbeit mit dem hergebrachten Leben weiterging. Die Aussage des Zeugen Wegscheider vor dem Tribunal hat davon ein treffendes Bild gegeben.
Die Stellung des Ortsgruppenleiters wird besonders klar, wenn man seine Verantwortung mit der der »Höheren Parteiführer« vergleicht, die von Hitler unmittelbar ernannt wurden.
Infolge der Verbindung mit der Obersten Führung ist die Wahrscheinlichkeit der besseren Kenntnis bei den »Höheren Parteiführern« größer.
Das Verfahren hat gezeigt, daß die Ressorttrennung und die künstliche Auseinanderreißung von Verwaltung und Polizei eine wichtige Rolle gespielt hat. Aber infolge der Verbindung vieler Funktionen und auf Grund der Tatsachen, daß viele Fäden in einer Hand zusammenliefen, konnten zum mindesten die »Höheren Parteiführer« erkennen, wenn in den kritischen Punkten etwas nicht richtig war.
Die Frage ist, ob ein Gau- und Kreisleiter sich dabei beruhigen darf, daß bei ihm alles in Ordnung sei und daß der verdächtige Vorgang sich außerhalb seines Gebietes oder Ressorts abspielt.
Man muß dies verneinen. Er muß sich die Kenntnis verschaffen eben mit Rücksicht auf sein Hoheitsrecht; denn er hat anderen weitgehend die Möglichkeit genommen, sich um die Dinge zu kümmern. Er hat das Recht und damit auch die Pflicht, von Amts wegen tätig zu sein. Er ist der alleinige Politiker geworden und muß darum auch Politik treiben.
Tatsächlich haben die Gau- und Kreisleiter, die vernommen wurden, sich auch um die Vorgänge gekümmert. Sie haben dem Abtransport der Juden nachgespürt, sie haben sich bemüht, in die KZ-Lager zu kommen, und sie haben die Verhältnisse der ausländischen Arbeiter überprüft. Sie haben Bedenken vorgebracht und Vorstellungen erhoben.
Haben sie damit ihre Pflicht erfüllt?
Man muß hier der Frage der Verantwortungsteilung nachgehen. Es ist nicht möglich, daß sich alle um alles kümmern. Die untersten Stellen haben praktische Sorgen örtlicher Art und können nicht mit den Sorgen der obersten Stellen befaßt werden. Nicht jede Erschütterung kann auf den ganzen Apparat übertragen werden.
Diese Trennung wird man gerade im diktatorischen Staat dem Kreisleiter zugute halten müssen, der einzelne Vorkommnisse dem Gauleiter weitergibt; aber er muß sich auch um das Ergebnis seiner Vorstellungen kümmern und daraus die Folgerungen ziehen.
In verstärktem Maße gilt dies für den Gauleiter im Verhältnis zu seiner vorgesetzten Stelle. Es gibt eine Grenze, wo die sittlichen Grundsätze berührt werden und nicht die Routine des Tages in Frage steht. Wenn man an die Schranken Himmlers kam, mußte man da vorwärts gehen, ohne Rücksicht auf das, was geschehen würde?
Mehrfach ist auf diese Frage schon eine Antwort versucht worden. Muß man ein Handeln verlangen, sofort und kompromißlos? Heißt es »alles oder gar nichts«?
Kann man das Reifen der Dinge abwarten, oder heißt es »jetzt oder nie«?
Muß man Fehler und Verdienst abwägen, und kann man auf Besserung hoffen?
Genügt es, wenn man mißbilligt oder Schlimmeres dadurch verhindern will, daß man auf seinem Posten bleibt? Oder macht man sich mitschuldig, wenn man bleibt und den äußeren Schein aufrechterhält?
Ist der gerechtfertigt, der »immer strebend sich bemüht«? Muß er den Kampf aufnehmen gegen die Widerstände, auch wenn das eigene Leben nutzlos aufs Spiel gesetzt zu sein scheint, oder soll er dulden und sich in das Schicksal ergeben?
»Sein oder Nichtsein, das ist die Frage.«
Eine Antwort wird sich nicht finden lassen, ohne die rechtlichen Grundlagen der Schuld genau zu untersuchen: die Kenntnis und Billigung und das schuldhafte Unterlassen.
Wenn der verbrecherische Charakter der Gruppe festgestellt werden soll, so müssen gerade diese Fragen zuerst entschieden werden.
Eine solche Untersuchung kann nur für den Einzelfall erfolgen. Sie ist praktisch möglich bei einer Gruppe von 2000 Kreisleitern und Gauleitern. Diese Personen sind bekannt, ihre Handlungen haben sich in der Öffentlichkeit abgespielt und sind unschwer aufzuklären.
Es bleibt noch die Gruppe der Reichsleiter. Für diese gelten die gleichen Gesichtspunkte wie für die Gauleiter.
Zu ihnen gehört nicht Himmler, der nur den Rang eines Reichsleiters hatte (Dokument PL-59 a).
Die Stellung der Reichsleiter ist aber daneben für die gesamten Politischen Leiter prozessual von Bedeutung; unter ihnen befinden sich die Hauptangeklagten, in Verbindung mit deren Handlungen nach Artikel 9 des Statuts allein die Verurteilung der Gruppe erfolgen kann.
Im Trial-Brief sind hier nur aufgeführt Rosenberg und Bormann. Erst die Anlage B der Ergänzung zum Trial-Brief hat vier weitere Reichsleiter hinzugefügt und dabei die Gauleiter Sauckel und Streicher eingeschlossen.
Frick hatte auch nur den Rang eines Reichsleiters, was der unmittelbaren Einbeziehung seiner Handlungen entgegensteht.
Bei den übrigen Hauptangeklagten ist zu untersuchen, ob sie die ihnen zur Last gelegten Handlungen als Politische Leiter begangen haben oder in anderer Eigenschaft.
Die Anklage hat die rechtliche Bedeutung dieser Unterscheidung dadurch anerkannt, daß sie in der Zusammenfassung des Trial-Briefes lediglich auf die Taten Rosenbergs und Bormanns Bezug genommen hat, die ihnen in ihrer Eigenschaft als Politische Leiter vorgeworfen werden (Trial-Brief, Seite 75).
Von diesem Merkmal kann man auch nicht abgehen. Die Bestimmung des Artikels 9 des Statuts ist keine rein formale Prozeßvoraussetzung. Ihre Bedeutung ist die sachliche Abgrenzung des Umfangs der verbrecherischen Gruppen.
Die Gruppe soll nicht von der Anklage willkürlich und Schrankenlos gebildet werden, sondern es muß zwischen ihr und der Tat eines Hauptangeklagten eine Verbindung vorhanden sein. Dies ist nur möglich, wenn ein Hauptangeklagter innerhalb des Korps der Politischen Leiter gehandelt hat.
Die Verbindung ist auch da nicht gegeben, wo die Wirkung der Handlung eines Hauptangeklagten nicht alle Schichten der Politischen Leiter ergreift; dies ist zu bedenken bei Beurteilung der unteren Stufen.
Die Verbindung fehlt bei den Hauptangeklagten, die von der Anklage erst nachträglich mit den Politischen Leitern in Verbindung gebracht worden sind, bis auf Heß.
Bei Rosenberg liegen die Handlungen, die ihm vorgeworfen werden, im wesentlichen auf dem staatlichen Sektor, wo er als Reichsminister für die besetzten Ostgebiete tätig war.
Die Handlungen Bormanns als Chef der Parteikanzlei ab 1941 sind für die Beurteilung der Politischen Leiter in erster Linie maßgebend. Infolge der Abwesenheit dieses Hauptangeklagten ist es aber bedenklich, die Verurteilung der Gruppe auf seine Taten abzustellen, da die genauere Untersuchung der Vorgänge fehlt. Es müßte für die wichtigsten Vorwürfe aufgeklärt werden, ob Bormann als Chef der Parteikanzlei oder als Sekretär des Führers außerhalb des Parteiapparates gehandelt hat oder überhaupt eigenmächtig entgegen allen Weisungen (Dokument 53).
Bemerkenswert ist, daß Heß, der Vorgesetzte Bormanns, im ursprünglichen Trial-Brief nicht mit aufgeführt ist, obwohl er bis 1941 Stellvertreter des Führers in der Partei war. Vermutlich war die Anklage damals der Ansicht, daß ihm keine Handlungen in Verbindung mit dem Korps der Politischen Leiter vorgeworfen werden könnten, aus denen sich der verbrecherische Charakter ergäbe. Es ist dies ein bedeutsamer Gesichtspunkt für die Gesamtbeurteilung der Gruppe in zeitlicher Hinsicht.
Die Handlungen der Gauleiter Sauckel und Streicher können für die Gesamtheit der Politischen Leiter nicht maßgebend sein. Als Gauleiter konnten sie nur in ihrem Gebiet wirken. Die Handlungen, die ihnen im Verfahren vorgeworfen wurden, haben sie außerhalb ihrer Funktion als Politische Leiter vorgenommen, nämlich als Generalbevollmächtigter für den Arbeitseinsatz oder als Zeitungsverleger.
Ich will noch zwei rechtliche Gesichtspunkte anführen, die für die Urteilsfindung von Bedeutung sein können. Der eine Gedanke ist die Rückwirkung des Urteils. Ich will sie nicht als rechtlich unzulässig angreifen, da das Statut sie angeordnet hat. Aber da das Urteil im Ermessen des Tribunals steht, kann hier der Billigkeit Rechnung getragen werden.
Die Rückwirkung in einem Einzelverfahren läßt sich damit begründen, daß der Täter gewarnt war und erkennen mußte. Anders ist es bei der großen Zahl der kleinen Politischen Leiter, die nur mittelbar über ihre Führer für eine Verschwörung verantwortlich gemacht werden. Der zweite Gesichtspunkt ist der Mangel des rechtlichen Gehörs.
In diesem Verfahren vor dem Tribunal wird eine Vorentscheidung getroffen, die für jedes Mitglied der Organisation entscheidend ist. Darum war jedem das Recht gegeben, das rechtliche Gehör zu beantragen. Nur verhältnismäßig wenige haben von diesem Recht Gebrauch gemacht.
Man muß annehmen, daß viele von ihrem Recht keine Kenntnis erhalten haben oder keine Möglichkeit hatten, ihre Anträge an das Gericht gelangen zu lassen.
Nur aus etwa einem Drittel der Lager der englischen und amerikanischen Zone liegen Anträge vor; aus der französischen Zone nur aus zwei Lagern.
Es ist aber besonders auf einige überhaupt nicht erfaßte geschlossene Gebiete hinzuweisen:
Keinerlei Anträge liegen aus Österreich vor, und dort konnte auch kein Besuch von Lagern durchgeführt werden. Die Genehmigung der militärischen Dienststellen wurde erteilt, aber die Zustimmung des Kontrollrates blieb aus. Dies ist beachtlich, da hier besondere Verhältnisse vorliegen, die die Mitglieder möglicherweise entlasten könnten; eine abgesonderte Behandlung und Beurteilung, insbesondere in zeitlicher Hinsicht, ist naheliegend.
Auch aus der Sowjetzone liegen keine Anträge vor, obwohl die amtliche Bekanntmachung erfolgt sein soll. Ich selbst hatte erst vor kurzem die Möglichkeit, zwei Lager zu besuchen. Die dort Internierten erklärten, daß sie von ihrem Recht auf Gehör nichts wußten; nicht alle wollten Anträge stellen.
Die Verteidigung war daher für diese Gebiete in einem gewissen Beweisnotstand. Für diese Zonen wurden einige Politische Leiter gehört, die in britischen oder amerikanischen Lagern erreichbar waren. Wenn man auf diese Weise ein gewisses Bild erhält, so hat die Beweisaufnahme vor der Kommission aber gezeigt, daß Aussagen vorliegen können, die für die Verteidigung beachtlich sind.
So hat ein Kreisleiter des Westens aussagen können, daß der Bau des Westwalls dort von den defensiven Absichten Hitlers überzeugt habe. Ein Kreisleiter des Nordens wies auf den Flottenvertrag mit England hin, der bei der Küstenbevölkerung in besonderem Maße als Zeichen des Friedenswillens gewertet wurde. Weitere Zeugen haben aus der Konfessionszugehörigkeit der Politischen Leiter ihres Bezirks beachtliche Gründe vorgebracht.
Die wirkliche Bedeutung der Beschränkung könnte erst nach der Anhörung beurteilt werden, so daß jetzt ein Urteil hierüber noch nicht zulässig ist.
Die Frage ist aber auch von erheblicher prozessualer Bedeutung:
Das Statut hat die Möglichkeit des Gehörs gewährt. Jede Formvorschrift hat ihren tieferen Sinn und ihre grundsätzliche Bedeutung. Hier ist das rechtliche Gehör als demokratisches Prinzip hochgehalten gegenüber abgelehnten Polizeimethoden. Dieses Prinzip ist durch die Signatarmächte gemeinsam herausgestellt, und das Tribunal muß seine Einhaltung überwachen. Es handelt sich um einen unverzichtbaren Einwand, den ich hiermit ausdrücklich geltend mache.
VORSITZENDER: Herr Biddle will genau wissen, was Sie eigentlich mit diesen beiden letzten Sätzen sagen wollen?
DR. SERVATIUS: Ich habe nicht gehört, was Sie sagten.
VORSITZENDER: Herr Biddle möchte gern wissen, was Sie mit den beiden letzten Sätzen meinen: »Hier ist das rechtliche Gehör als demokratisches Prinzip hochgehalten gegenüber abgelehnten Polizeimethoden. Dieses Prinzip ist durch die Signatarmächte gemeinsam herausgestellt, und das Tribunal muß seine Einhaltung überwachen. Es handelt sich um einen unverzichtbaren Einwand, den ich hiermit ausdrücklich geltend mache.« Was soll das überhaupt heißen?
DR. SERVATIUS: Daß ich nicht darauf verzichten kann, diesen Einwand geltend zu machen, nämlich, daß das Gehör für ganze Gebiete nicht gewährt worden ist, nämlich für Österreich und für die Sowjetzone, und daß es ein Einwand ist, auf den ich nicht verzichten kann, sondern der von Amts wegen zu berücksichtigen ist.
VORSITZENDER: Fahren Sie fort.
DR. SERVATIUS: Der Hinweis auf diese verschiedenartige Praxis in der Handhabung des Artikels 9 des Statuts erscheint noch aus einem anderen Gesichtspunkt nötig. Es ist für die Gefahr einer verschiedenen Auslegung und Anwendung eines Spruchs des Tribunals gegen die Organisationen.
Neben der Feststellung des durch das Urteil erfaßten Personenkreises müßte darum eine Klarstellung der nachzuweisenden Schuldelemente für die nachfolgenden Einzelverfahren festgelegt werden.
Auch die Höhe einer Strafe ist ungewiß.
Der im Gesetz Nummer 10 des Kontrollrats festgelegte Strafrahmen, der bis zur Todesstrafe reicht, bietet keine Rechtsgarantie, wenn die Höhe der Strafe dem freien Ermessen der späteren Gerichte der verschiedenen Nationen überlassen wird. Aus dem Spruch des Gerichts kann neues Unheil entstehen.
Gerade hier muß das Tribunal dem Zweck, den es mit seinem Urteil verfolgt, Geltung verschaffen. Eine Bestrafung darf nicht zur Rache werden können. Es darf das Maß der Sühne nicht von dem Gedanken beherrscht werden können, daß den Millionen Opfern auch notwendigerweise Millionen Schuldige entsprechen müßten, die zu sühnen hätten.
Ist der Grundgedanke des Urteils die Abschreckung, so ist folgendes zu beachten:
Es ist niemand vor diesem Tribunal aufgetreten, der sich vor die Verbrechen gestellt hätte, die den Gegenstand dieses Prozesses bilden. Alle, die hier aufgetreten sind, sind von diesen Verbrechen abgerückt. Niemand hat erklärt, daß die Ausrottung der Juden notwendig gewesen sei oder daß ein Angriffskrieg ein erstrebenswertes Ziel sei und daß auf die Verfolgung der Kirchen und die KZ-Greuel nicht könne verzichtet werden.
Erst wenn dies erfolgt wäre, dann wäre es ein Prozeß, der um eine Weltanschauung geführt würde, die zu beseitigen wäre.
Es fehlt darum auch der typische Vertreter der Weltanschauung, der erklärt hätte: Es stehen Millionen hinter mir, oder »Ich kann nicht anders, Gott helfe mir!«
Es ist ein anderes Ziel, für das gekämpft worden ist, das die Millionen in Bewegung gesetzt hat. Es war nicht die Welt der Verbrechen, sondern der goldene Schein des Sozialismus. Die Masse sah nach der Zeit der Not das Wunder des Aufstiegs und das stärkte ihren Glauben. Sie ist bereit, erneut zu glauben.
Das Fundament dieses Glaubens ist die Gerechtigkeit dieses Urteils gegen die Organisationen, in das die ganze Bevölkerung hineingezogen wird.
Dieses Urteil soll die Epoche eines neuen Völkerrechts eröffnen und die am Kriege Schuldigen bestrafen. Es ist nur berechtigt, wenn das alte Recht von der Bühne der Geschichte abtritt, wonach das gesamte Volk durch Friedensverträge mit Annexionen und Kontributionen bestraft wird, ohne Rücksicht auf seine Schuld.
Heute droht die zwei- und dreifache Bestrafung durch Friedensvertrag, Gesetz Nummer 10 des Kontrollrates und Entnazifizierungsgesetz.
Noch ist Kriegszustand, und dieser Prozeß wurde als die Fortsetzung der Kriegsanstrengungen bezeichnet.
Aber Friede tut not, und »hört der Krieg im Kriege nicht schon auf, woher soll dann Frieden kommen?«
VORSITZENDER: Dr. Servatius! Der Gerichtshof bemerkt mit Genugtuung, daß Sie sich an die angegebene Zeit gehalten haben, und der Gerichtshof hofft, daß dies bei allen Verteidigern für die Organisationen der Fall sein wird. Sie haben Ihr Plädoyer in einem halben Tag gehalten, aber einige der anderen Plädoyers, die zur Übersetzung vorgelegt wurden, scheinen viel länger zu sein als Ihre Rede. Der Gerichtshof läßt den anderen Verteidigern durch mich zur Kenntnis bringen, daß sie ihr Plädoyer auch in einem halben Tag zu halten haben.
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