[Pause von 10 Minuten.]
VORSITZENDER: Ich rufe Dr. Merkel.
DR. MERKEL: Herr Präsident, meine Herren Richter!
In dem Verfahren gegen die Einzelangeklagten standen Taten einzelner zur Erörterung. In dem Verfahren gegen die Organisationen geht es um die Frage, ob in das Rechtsleben der Welt ein neuer Grundsatz eingeführt werden soll. Das Verfahren gegen die Gestapo erhält seine Bedeutung durch die Auffassung der Anklage, daß die Gestapo das wichtigste Machtinstrument des Hitler-Regimes gewesen sei.
Wenn ich die Gestapo verteidigen soll, so weiß ich, daß ein furchtbarer Ruf mit diesem Namen verbunden ist, ja, daß Grauen und Schrecken von ihm ausgehen und daß eine Welle des Hasses ihm entgegenschlägt.
Mein Wort werde ich führen, unbekümmert um Tagesmeinungen, weil ich hoffe, die tatsächlichen und rechtlichen Unterlagen vortragen zu können, die das Hohe Gericht in die Lage versetzen:
1. zu prüfen, ob durch eine Aburteilung der Organisationen eine die Menschheit weiterführende Rechtsentwicklung eingeleitet wird,
2. die Wahrheit über die Gestapo zu ermitteln und damit
3. Unschuldige unter den ehemaligen Gestapo-Angehörigen unglücklichem Schicksal zu entwinden.
Die beiden ersten Aufgaben fordern die Beantwortung einer Frage, die eine Vorfrage für das gesamte Gestapo-Problem darstellt.
Unter den Aussprüchen der Anklage hat mich wenig mehr erschüttert als das Urteil des britischen Hauptanklägers: die Deutschen seien nach sechsjähriger Nazi-Herrschaft durch das Ersetzen der christlichen Sittenlehre durch den Götzendienst am Führer und durch den Blutkult ein verdorbenes Volk geworden. Wenn dies Urteil zutreffen sollte, so ist an dem Ergebnis außer dem genannten noch ein anderes außerordentliches Moment beteiligt gewesen, – ein Moment von derart außerordentlichem Charakter, daß die Geschichtsschreibung es kaum kennt: Das Dämonische, das Dämonische an Hitler und die dämonische Infiltration seines Regimes und der von ihm geschaffenen und verwendeten Institutionen.
Inwiefern Hitler dämonisch war, das veranschaulicht das von meinem Kollegen Dr. Dix bereits angeführte Wort Goethes in »Dichtung und Wahrheit«: Ich zitiere:
»... eine ungeheure Kraft geht von ihnen« – den dämonischen Menschen – »aus... Alle vereinten sittlichen Kräfte vermögen nichts gegen sie... die Masse wird von ihnen angezogen... und aus solchen Bemerkungen mag wohl jener sonderbare, aber ungeheure Spruch entstanden sein: Nemo contra deum, nisi deus ipse.«
(Niemand vermag etwas gegen Gott außer Gott selbst.)
Wie das Dämonische in der großen Welt gewirkt hat, ist Ihnen an einigen Fällen der Einzelangeklagten wohl ersichtlich geworden. An der Gestapo werden Sie sehen, wie eine Staatsinstitution von einer dämonischen Staatsführung vielfach mißbraucht wurde. Hier, bei der Erörterung der Vorfrage, entsteht noch ein anderes Interesse, das Interesse an der juristischen Bedeutung des Dämonischen für diesen Prozeß. Zur Befriedigung dieses Interesses führt ein zweites kurzes Goethewort:
»Das Dämonische bildet eine der moralischen Weltordnung, wo nicht entgegengesetzte, doch sie durchkreuzende Macht.«
Nach diesem Urteil besteht das Entscheidende darin, daß zwei Mächte die Weltgeschichte bestimmen, »deren Widerstreit« – wie im Einklang mit Goethe Herr Jackson sagte – »viel von der Geschichte der Menschheit ausmacht«: die moralische Weltordnung und das Dämonische. Der juristische Wert des Urteils für unseren Zusammenhang ergibt sich aus folgender Überlegung:
Die moralische Weltordnung wurde dargestellt durch die überkommenen Ordnungen. Hitler bedeutete demgegenüber die diesen Ordnungen, wo nicht entgegengesetzte, doch sie durchkreuzende Macht. In diesem Prozeß gilt es, die Reste der dämonischen Macht auszulöschen. Darf und soll dies rechtlich erfolgen nach den eigenen überkommenen Grundsätzen der siegreichen moralischen Weltordnung, oder darf es nach anderen Methoden geschehen?
Hier haben wir die erste juristische Alternative des Prozesses klar vor uns, und zwar unter der größten der möglichen Perspektiven, das heißt im Hinblick auf den Gegensatz zwischen der moralischen Weltordnung und dem Dämonischen.
Einander widerstreitende Gesichtspunkte beherrschen die bisherige Weise, die Dinge zu sehen. Das Statut einerseits hat sich für die überkommenen eigenen Grundsätze der moralischen Weltordnung entschieden. Es will die Vertreter des Dämonischen, die angeklagten Einzelpersonen und Organisationen in geordnetem Verfahren, mit geordneter Anklage, mit bestellten Verteidigern und durch einen ordentlichen Gerichtsspruch abgeurteilt wissen. Andererseits ist das »Gesetz des Statuts« selbst nach den Worten Herrn Jacksons »ein neues Gesetz« mit Grundsätzen, die uralten überkommenen Rechtsanschauungen widersprechen. Als Beispiele nenne ich die Annahme einer Kollektivschuld und die Einführung von Gesetzen mit rückwirkender Kraft.
Damit ist ersichtlich, daß oberste Gedanken, die den Prozeß regieren, einander widerstreiten. Unser aller Aufgabe besteht darin, dies zu erkennen und sodann darin, durch gemeinsame Anstrengungen von Anklage, Verteidigung und Gericht zu einer »concordantia discordantium« zu gelangen, zu einem Ausgleich der widerstreitenden Meinungen.
Mein Hauptwort als Verteidiger der Gestapo hat dabei der Frage zu gelten, wie die Bestimmung des Statuts zu verstehen ist, wonach das Gericht in dem Prozeß gegen Göring, Kaltenbrunner oder Frick erklären kann, daß die Gestapo eine verbrecherische Organisation war.
Wiederum muß ich hier auf den Grundgedanken zurückkommen. Bestimmen zwei Mächte die Weltgeschichte, die moralische Weltordnung und das Dämonische, so muß, soll die Welt geläutert werden, die moralische Weltordnung den Sieg davontragen. Ist aber die moralische Weltordnung ermächtigt, den Kampf gegen ihren Gegner mit Ausnahmeregeln zu führen, die von Grundsätzen der moralischen Weltordnung selbst abweichen? Um der Reinheit ihres Wesens und um der Reinheit ihres Sieges willen darf sie nur mit ihrem eigenen kategorischen Imperativ fechten, ganz kompromißlos. So haben die Gegner Hitlers in den sechs Jahren des Krieges gefochten, von den Prinzipien der Atlantik-Charta aus. Sollten sie als erklärte Vertreter der moralischen Weltordnung nun, nach dem Ende des Kampfes der Waffen, das Ende des Gesamtkampfes gegen das Dämonische mit solchen Ausnahmeregeln führen dürfen? Das wäre unmöglich. Würde doch damit der Eindruck entstehen, daß die Siegermächte gerade auf ethischem Gebiete kein ausreichendes Vertrauen hegen in das Zentrum ihres eigenen Seins.
Im Sinne der kommenden Generationen würde als Niederschlag der Satz sich bilden: »Recht ist, was dem Sieger nützt.« Das erbarmungslose »vae victis!« wäre auf den Thron erhoben, während die Sieger gerade betont haben, wegen der Gerechtigkeit und für die Gerechtigkeit in die Schranken getreten zu sein.
Mit dem Imperativ »Gerechtigkeit« haben die Signatarmächte den Gerichtshof ins Leben gerufen, indem sie in den Paragraphen 1 des Statuts die Worte schrieben:
»Es soll ein internationaler Militärgerichtshof... zwecks gerechter Aburteilung... gebildet werden...«
Sie haben dem Imperativ »Gerechtigkeit« Nachdruck verliehen durch die Überschritt zum Teil IV des Statuts mit dem Wortlaut »Vorschriften für ein gerechtes Verfahren«. Und sie haben dann noch die Vorsicht walten lassen, die Vorschriften der Paragraphen 9 und 10 zu bloßen Kann-Vorschriften zu machen.
Daß die Sieger den Wunsch hatten, Organisationen von dem Rufe der Gestapo für verbrecherisch erklärt zu sehen, wer verstünde das nicht! Aber sie haben sich gehütet, die Paragraphen 9 und 10 zu Muß-Vorschriften zu machen. Damit ist »Gerechtigkeit« zum obersten Orientierungspunkt des Gerichts geworden. In seinen Grenzen ist daher die Kann-Vorschrift der Paragraphen 9 und 10 zu handhaben, wie wenn die Gesamtbestimmung folgenden Wortlaut hätte: »Erachtet das Gericht es als gerecht, so kann es die Organisationen für verbrecherisch erklären.« So hängt von dem Begriff »Gerechtigkeit« die ganze Entscheidung ab.
»Gerechtigkeit« nun ist in der höchsten Spitze eine Eigenschaft Gottes. »Gott ist gerecht,« – dieser Satz ist in unser Bewußtsein eingegangen in dem Sinne, daß Gott nur den wirklich Schuldigen zur Rechenschaft zieht, entsprechend dem Jesajas-Wort: »Ich habe Dich bei Deinem Namen gerufen.«
Damit ist das Prinzip aller Überlegungen gesichert, mit denen die Organisationen und ihre Mitglieder behandelt werden müssen.
Im Kern geht es um zwei Dinge: um die Mitglieder der Organisationen, die mit ihren Angehörigen mindestens 15 Millionen Menschen ausmachen. Sodann aber steht zur Entscheidung, daß durch das Urteil nicht »jener sonderbare, aber ungeheure Spruch« entsprechend sich bewähre: »Niemand vermag etwas gegen die moralische Weltordnung als die moralische Weltordnung selbst.«
Hieraus ergibt sich für mein Plädoyer die Folgerung:
Die durch das Statut an die Anklage, die Verteidigung und an den Gerichtshof gestellte Frage, ob Ausnahmeregeln zulässig sind, ob vor allem die Organisationen als kollektivschuldfähig erachtet, ob Gesetze mit rückwirkender Kraft angewendet werden können, ist grundsätzlich verneinend zu beantworten.
Die Gegenfrage, ob die Welt künftig vom Boden des Individualsystems aus vor Dämonkatastrophen bewahrt werden kann und ob nicht die Hitler-Katastrophe das Gegenteil bewiesen habe, beantworte ich dahin: die Bewahrung der Welt vor solchen Katastrophen ist keine Frage eines Systems, sondern eine Frage entschlossener Männer, die sicher in der moralischen Weltordnung ruhen.
Die Bedeutung und die Folgen der von der Anklage beantragten Kriminellerklärung der Organisationen sind von ungeheurer Tragweite. Grund genug, daß der Verteidiger mit aller Gewissenhaftigkeit und Gründlichkeit und nach jeder Richtung untersuchen muß, ob die Grundlagen vorhanden sind, die im Sinne der Gerechtigkeit der moralischen Weltordnung eine so folgenschwere Anklage tragen können.
Hier sei mit allem Nachdruck als erstes und wichtigstes Ergebnis meiner Prüfung festgestellt: eine Gemeinschaft kann nicht für schuldig erklärt werden. Denn kriminelle Schuld bedeutet die Verwirklichung eines strafbaren Tatbestandes nicht nur nach der objektiven, sondern auch nach der subjektiven Seite. Mit anderen Worten: ein Verbrechen kann nur schuldhaft, und zwar nur vorsätzlich begangen werden; von Vorsatz kann aber nach natürlichen Begriffen nur beim Einzelindividuum, niemals bei einer Gesamtheit gesprochen werden. Und wenn unter Hinweis auf ausländische Gesetze davon gesprochen wird, so ist es letzten Endes eine Verwechslung mit dem auf ein bestimmtes Ziel gerichteten übereinstimmenden Willen mehrerer Einzelpersonen.
Doch liegt das Problem der Kollektivschuld wesentlich tiefer. Der Gedanke, die Kollektivschuld abzulehnen, reicht in älteste Zeiten. Er ist aus alttestamentlicher Quelle geflossen, er hat sich im Wege über den Hellenismus und das Christentum über die ganze Erde verbreitet und ist so das strafrechtliche Ethos der gesamten moralischen Weltordnung geworden. Im Römischen Recht ist der Satz klar ausgesprochen: Societas delinquere non potest. Die Neuzeit hat den Gedanken der Individualschuld bewahrt.
Noch am 20. Februar 1946 sagte der Papst in seiner Rundfunkansprache, es sei ein Irrtum zu behaupten, daß man einen Menschen schon deshalb als schuldig und verantwortlich behandeln könne, weil er einer bestimmten Gemeinschaft angehört, ohne daß man sich die Mühe gebe, im einzelnen Falle zu untersuchen, ob der Betreffende durch sein Handeln oder Unterlassen sich persönlich schuldig gemacht habe; das bedeute einen Eingriff in die Rechte Gottes.
Im gleichen Sinn verbietet die Haager Landkriegsordnung von 1907 in Artikel 50 ausdrücklich die Verhängung von Strafkontributionen wegen Verhandlungen einzelner, für welche die Bevölkerung nicht als mitverantwortlich angesehen werden kann.
Schließlich würde der ehemalige Staatssekretär K. H. Frank zum Tode verurteilt und hingerichtet, unter anderem deshalb, weil er das Dorf Lidice hat ausrotten lassen wegen des Verhaltens einzelner Dorfbewohner. Man rechnete ihm also die Tatsache, daß er eine Kollektivschuld der Dorfgemeinde angenommen und eine Kollektivstrafe über das Dorf verhängt habe, als Verbrechen an. Danach kann es auch in unserem Falle nicht Rechtens sein, eine ganze Organisation als Gesamtheit wegen der Verbrechen einzelner kollektiv zu bestrafen.
Mit diesen kurzen Hinweisen glaube ich, dargetan zu haben, daß der Boden der Anklage gegen die Organisationen nicht fest fundiert ist. Einig gehe ich mit den rechtlichen Ausführungen Herrn Jacksons hier nur soweit, als er seine Rechtsbetrachtung abschließt mit der Erklärung, es sei »völlig unerträglich, aus einem solchen Denken im Buchstaben des Gesetzes eine persönliche Straffreiheit abzulehnen«. Die persönliche Straffreiheit der einzelnen Angehörigen einer Organisation hinsichtlich der Straftaten, die innerhalb der Organisation begangen worden sind, kann aus der Ablehnung einer Kollektivschuld nicht hergeleitet, eher kann die Straffälligkeit des einzelnen für die von ihm begangenen Straftaten stärker unterstrichen werden.
Die Rechtsgrundlage, auf der der ganze Prozeß gegen die hier angeklagten Einzelmenschen und Organisationen beruht, ist das von den Vereinten Nationen geschaffene Statut. Die Verteidigung hat bereits Gelegenheit genommen, Bedenken gegen das Statut zu äußern. Darauf beziehe ich mich.
Nur einen Gesichtspunkt will ich nochmals herausstellen. Wenn im Falle der Kriminellerklärung einer Organisation die früheren Angehörigen wegen ihrer bloßen Mitgliedschaft bestraft werden sollen, dann müssen sie für etwas büßen, was zur Zeit der Handlung für sie gesetzlich erlaubt war. Das Statut stellt also Normen auf, die mit rückwirkender Kraft in Erscheinung treten. Der Rechtsgrundsatz aber, der Gesetze mit rückwirkender Kraft verbietet, ist festgegründeter Rechtsbesitz aller Kulturstaaten.
Demgemäß hat auch die französische verfassunggebende Versammlung am 14. März 1946 beschlossen, der Verfassung der Französischen Republik als Präambel eine Neufassung der »Erklärung der Menschenrechte« voranzustellen. Diese Erklärung lautet in Artikel 10:
»Niemand kann verurteilt oder bestraft werden, es sei denn kraft eines vor der Tat erlassenen und veröffentlichten Gesetzes.«
Solch allgemeiner internationaler Rechtsauffassung entsprechend hat denn auch die amerikanische Militärregierung in Deutschland durch das Gesetz Nummer 1 in Artikel 4 angeordnet:
»Anklage darf nur erhoben, Urteile dürfen nur verhängt und Strafen vollstreckt werden, falls die Tat zur Zeit ihrer Begehung ausdrücklich gesetzlich für strafbar erklärt war.«
Das gleiche Gesetz verbietet die Anwendung der Analogie oder angeblich gesunden Volksempfindens. Ja, die amerikanische Militärregierung betrachtet den erwähnten Grundsatz als so wichtig, daß sie seine Verletzung mit der Todesstrafe ahndet.
Schließlich sei mir in diesem Zusammenhang gestattet, auch noch den Artikel 43 des Haager Abkommens vom Jahre 1899 anzuführen, wonach die Vereinigten Staaten von Amerika sowie England und Frankreich den anderen Staaten und auch Deutschland gegenüber die Verpflichtung übernommen, haben bei der Besetzung eines fremden Landes, soweit kein zwingendes Hindernis besteht, die Gesetze dieses Landes zu beachten.
Die Vereinten Nationen haben als Ziel dieses Prozesses angekündigt, die Gerechtigkeit und die Achtung vor dem Völkerrecht wiederherzustellen und damit dem Weltfrieden zu dienen. Sie haben sich zu den fundamentalen Menschenrechten und den anerkannten Grundregeln des Völkerrechtes bekannt. Die Abstempelung zum Verbrecher für früher legale politische Überzeugung könnte aber geeignet sein, als Einschränkung dieses Bekenntnisses angesehen zu werden und das Vertrauen in die fundamentalen Menschenrechte zu erschüttern. Als Präzedenzfall könnte ein solches Urteil für die Idee der Gerechtigkeit und der persönlichen Freiheit verheerende Folgen haben.
Meine bisherigen Ausführungen betrafen die Zulässigkeit der Anklage gegen alle Organisationen. Für die Gestapo kommen noch zwei besondere Umstände hinzu.
Die Gestapo war eine staatliche Einrichtung, eine Mehrzahl staatlicher Behörden. Eine Behörde verfolgt im Gegensatz zu einem Verein oder einer sonstigen privaten Organisation nicht selbstgewählte, sondern staatlich befohlene Zwecke, nicht mit eigenen, sondern mit staatlichen Mitteln. Sie erfüllt ihre Funktion im Rahmen der gesamten staatlichen Tätigkeit, ihre Handlungen und Maßnahmen sind staatliche Verwaltungsakte. Bei einer staatlichen Behörde kann man nicht von der Unterwerfung unter einen Gemeinschaftswillen der Behörde sprechen und nicht von einem gewissermaßen vertraglichen Zusammenschluß zu einem gemeinsamen Zweck. Damit entfällt hier die Voraussetzung des Begriffes einer Organisation oder Gruppe und der Mitgliedschaft im Sinne des Statuts. Können schon private Organisationen nicht als schuld- und straffähig angesehen werden, dann staatliche Behörden und Verwaltungsstellen erst recht nicht. Nur der Staat selbst dürfte, wenn das überhaupt geschehen könnte, für seine Einrichtungen strafrechtlich verantwortlich gemacht werden, niemals die Einrichtung selbst.
Die Institution der Polizei, auch der Politischen Polizei, gehört zu den inneren Angelegenheiten eines Staates. Ein anerkannter internationaler Rechtssatz aber verbietet die Einmischung eines Staates in die legalen inneren Angelegenheiten eines fremden Landes. Und so bestehen auch nach dieser Richtung gegen die Gestapo-Anklage Bedenken, auf die hinzuweisen ich für meine Verteidigerpflicht halte.
Schließlich ist noch eine weitere Frage zu prüfen: Wenn die Gestapo für verbrecherisch erklärt werden soll, müßte einer der Hauptangeklagten ja Beamter der Gestapo gewesen sein. War aber einer der Hauptangeklagten je ein Beamter und damit ein Angehöriger der Gestapo? Daß diese Prozeßvoraussetzung gegeben ist, erscheint sehr zweifelhaft, denn Göring war als preußischer Ministerpräsident Vorgesetzter der preußischen Geheimen Staatspolizei und konnte ihr Befehle geben, aber er gehörte ihr nicht an. Seine Stellung als »Chef der Geheimen Staatspolizei« erledigte sich im übrigen mit der Einsetzung des Chefs der Deutschen Polizei und mit der Verreichlichung der preußischen Geheimen Staatspolizei in den Jahren 1936 und 1937. Frick war als Reichsinnenminister der für die Polizei zuständige Ressortminister, aber er gehörte niemals einer bestimmten Polizeisparte als Beamter an. Kaltenbrunner schließlich hat ausgesagt, daß er bei seiner Einsetzung als Chef der Sicherheitspolizei und des SD nicht zum Chef der Gestapo bestellt worden sei. Er war auch tatsächlich nicht was Heydrich seit 1934 gewesen war – der Leiter des Geheimen Staatspolizeiamtes. Auch haushaltsrechtlich zählte der Chef der Sicherheitspolizei und des SD nicht zum Haushalt der Geheimen Staatspolizei, sondern wurde im Haushalt des Reichsministeriums des Innern geführt.
Für den Fall, daß Anklage und Verurteilung der Gestapo gleichwohl für zulässig erachtet werden sollten, wende ich mich nunmehr der Frage zu, ob auch die materiell-rechtlichen Voraussetzungen für ihre Kriminellerklärung gegeben sind. Es ist mit andern Worten zu untersuchen: war die Gestapo als Gesamtheit im Sinne des Statuts eine verbrecherische Organisation oder Gruppe? Zur Prüfung dieser Frage werde ich den im Beschluß des Hohen Gerichts vom 13. März 1946 niedergelegten, als beweiserheblich bezeichneten Voraussetzungen folgen.
Bevor ich aber auf diese Frage eingehe, muß ich auf einen allgemeinen Irrtum hinweisen, der die Art und den Umfang der Tätigkeit der Gestapo betrifft. Im deutschen Volk und vielleicht noch mehr im Ausland war man gewohnt, alles, was an polizeilichen Maßnahmen, an Terrorakten, Freiheitsberaubungen und Tötungen geschah, sofern es nur irgendwie polizeilichen Anstrich hatte, der Gestapo zuzuschreiben. Sie ist der Prügelknabe für alle Untaten in Deutschland und den besetzten Gebieten geworden und soll auch heute die Verantwortung für alles Schlimme tragen. Und doch ist nichts falscher als das. Der Irrtum rührt daher, daß die ganze Polizei, gleich ob Kriminalpolizei, Wehrmachtspolizei, Politische Polizei oder SD, ohne Unterscheidung der Sparten als Gestapo angesehen wurde. Wenn Heydrich auf dem Deutschen Polizeitag 1941 sagte:
»Geheime Staatspolizei, Kriminalpolizei und Sicherheitsdienst sind umwoben vom raunenden und flüsternden Geheimnis des politischen Kriminalromans«, so bezeichnet das die fast legendäre Atmosphäre, von der vor allem die Gestapo bis auf den heutigen Tag umgeben ist. Es entsprach offenbar der Taktik Heydrichs, die Gestapo in der Meinung der Menschen im Inland und im Ausland als Instrument des Schreckens erscheinen zu lassen, Furcht und Grauen vor ihr zu verbreiten, um dadurch Furcht vor der Begehung staatsfeindlicher Umtriebe zu erzeugen.
Daß die Gestapo zu Unrecht vieler Verbrechen bezichtigt wurde, mag durch einige Beispiele bewiesen werden. Eines der schändlichsten Einzelverbrechen während des Krieges war die Ermordung des französischen Generals de Boisse1 Ende 1944 oder Anfang 1945. Die Französische Anklage legt sie auf Grund der Dokumente 4048 bis 4052-PS der Gestapo zur Last. Nach 4050-PS war jedoch der mit der Durchführung des Planes beauftragte Panzinger damals Leiter des Amtes V des RSHA, also des Reichskriminalpolizeiamtes. Der in 4052-PS genannte Schulze gehörte ebenfalls dem Reichskriminalpolizeiamt an. 4048-PS war nach dem Aktenzeichen V gleichfalls vom Reichskriminalpolizeiamt, also dem Amt V des RSHA. Das Amt IV des RSHA – Gestapo-Amt – war also nicht beteiligt, sondern nur das Reichskriminalpolizeiamt, in welchem sich die Abteilung der Fahndung nach Kriegsgefangenen befand. Himmler, dem als Chef des Ersatzheeres auch das Kriegsgefangenenwesen unterstand, hat sich nun unmittelbar mit Panzinger in dieser Sache in Verbindung gesetzt; das Amt IV hatte in keinem Stadium Kenntnis dieses Vorganges. Ob Kaltenbrunner etwas wußte, hat dieser klarzustellen.
Diese Tatsachen sind durch das Affidavit Gestapo- 88 erwiesen.
Auch in dem von der Russischen Anklage vorgelegten Bericht über die Aburteilung der Teilnehmer an deutschen Kriegsverbrechen in der Stadt Krassnodar (USSR-55) wird ohne weitere Begründung die Verübung dieser furchtbaren Verbrechen der Gestapo zur Last gelegt. In Wirklichkeit handelte es sich hier um die Tätigkeit eines Einsatzkommandos, nicht aber der Gestapo. Vergleiche Affidavit Gestapo-45.
Ich darf auch auf die Aussagen der Zeugen Dr. Knochen und Franz Straub hinweisen. Durch sie wird bewiesen, daß wie überall so auch in Belgien und Frankreich der Gestapo vielfach Verbrechen zu Unrecht zur Last gelegt wurden.
Durch mehrere Zeugen – Dr. Knochen, Straub, Kaltenbrunner – steht außerdem fest, daß häufig in den besetzten Gebieten und im Heimatgebiet Schwindler und sonstige dunkle Elemente auftraten, die sich fälschlich als Gestapo-Beamte ausgaben. Himmler selbst verlangte die Einlieferung solcher falscher Gestapo-Beamter in die Konzentrationslager – siehe Exhibit Gestapo-34 und Affidavit Gestapo-68.
Wie angedeutet, war der oberste Befehlshaber der Sipo, Heydrich, an der falschen Meinung über die Gestapo nicht ganz unbeteiligt. So förderte er bewußt das Gerücht, daß die Gestapo alles politisch Verdächtige wisse, weil sie die Bevölkerung bespitzele. Daß letzteres nicht richtig sein konnte, beweist die Tatsache, daß die etwa 15 000 bis 16 000 in Betracht kommenden Gestapo-Beamten, hätten sie sich auch der Überwachung und Bespitzelung des Volkes unterziehen sollen, dazu bei weitem nicht ausgereicht hätten – siehe Aussage Dr. Best.
Was Gestapo-Angehörige tatsächlich verbrochen haben, soll mit keinem Wort entschuldigt werden. Allein ebenso sicher ist, daß viel geschehen ist, wofür die Gestapo-Beamten nicht verantwortlich sind, und daß nur landläufig nicht geprüft und unterschieden wurde, ob bestimmte Taten oder Untaten von den Angehörigen der Gestapo oder der Kripo, der SS oder des SD oder auch von einheimischen Verbrechern ausgeführt wurden. Mag es im Interesse der Verbrechensbekämpfung für richtig erachtet werden, bei einer strafgerichtlichen Verurteilung eine sogenannte Wahlfeststellung hinsichtlich der Tat in dem Sinn zu treffen, daß Bestrafung einzutreten habe, gleich ob die festgestellte Tat unter das oder jenes Strafgesetz falle, so kann niemals eine solche Wahlfeststellung hinsichtlich der Person des Täters getroffen werden. Anders ausgedrückt: es wäre nicht gerecht, der Gestapo eine Tat zuzurechnen, wenn die Täterschaft ihrer Angehörigen nicht einwandfrei feststeht.
Wie schon vorgetragen, ist die Gestapo kein Zusammenschluß von Personen im sprachtechnischen Sinne und wohl auch im Sinne des Statuts. Auch ihre Verfassung, ihre Ziele und Aufgaben und die von ihr angewandten Methoden können von Haus aus nicht als verbrecherisch bezeichnet werden.
Die Stellung der Politischen Polizei, ihre besonderen Aufgaben und die von ihr zu treffenden Maßnahmen erforderten selbstverständlich eine auf diese Zwecke ausgerichtete eigentümliche Organisationsform. Ich halte in diesem Zusammenhang eine zwar gedrängte, aber doch umfassende Darstellung des organisatorischen Aufbaues und der personellen Gliederung der Gestapo für um so wichtiger, als das Gericht in seinen Beschlüssen vom 14. Januar und 13. März 1946 zu erkennen gegeben hat, daß es der Aufklärung dieser Frage unter Umständen entscheidende Bedeutung beimißt.
Euer Lordschaft! Um das Gericht mit den Darstellungen des organisatorischen Aufbaues und der personellen Gliederung der Gestapo nicht zu ermüden, verlese ich die folgenden neun Seiten nicht, sondern bitte um deren Kenntnisnahme. Dabei lenke ich die besondere Aufmerksamkeit des Gerichts auf die Seiten 20 bis 24. Sie handeln von dem grundsätzlichen Unterschied zwischen Verwaltungs- und Vollzugsbeamten, ferner von dem technischen Personal und Angestellten, den Notdienstverpflichteten und von den geschlossen in die Gestapo überführten Personengruppen, wie Geheime Feldpolizei, Zollgrenzschutz, militärische Abwehr und angeschlossene Verbände.
In der Entwicklung der deutschen Politischen Polizei 1933 bis zum Kriegsende lassen sich in organisatorischer Hinsicht drei Zeitabschnitte feststellen:
1. Die Zeit von der sogenannten Machtergreifung bis zur Ernennung Himmlers zum Chef der Deutschen Polizei, das ist bis zum Juni 1936. Ich verweise hierzu auf Dokument 2073-PS, Exhibit Gestapo-12. Das Charakteristische dieser nicht überall gleichmäßig abgelaufenen Entwicklungsperiode war die aus der politischen Selbständigkeit der einzelnen Länder des Deutschen Reiches resultierende Polizeihoheit dieser Länder. Diese Dezentralisation wurde allerdings insofern teilweise aufgehoben, als Himmler nach und nach im Jahre 1933 und Anfang 1934 politischer Polizeikommandeur in allen Ländern des Deutschen Reiches mit Ausnahme Preußens wurde.
Im Frühjahr 1934 wurde Himmler auch zum Stellvertretenden Chef der preußischen Geheimen Staatspolizei ernannt, womit die Einflußnahme Himmlers auf die Geheime Staatspolizei sämtlicher Länder des Deutschen Reiches erreicht war. Haushaltmäßig stand die Geheime Staatspolizei bis zum Juni 1936 auf dem Etat der Länder.
2. Die zweite Periode wird eingeleitet mit der am 17. Juni 1936 verkündeten Ernennung Himmlers zum Chef der Deutschen Polizei. Einige Tage später erfolgte die Ernennung des SS-Gruppenführers Heydrich zum Chef der Sicherheitspolizei, die die Geheime Staatspolizei und die Kriminalpolizei umfaßte, während General der Polizei Daluege zum Chef der Ordnungspolizei ernannt wurde, in welcher Schutzpolizei, Gendarmerie und Gemeindepolizei zusammengefaßt waren. Hiermit war die sogenannte Verreichlichung der deutschen Polizei verwirklicht.
Die Zentralinstanz der Geheimen Staatspolizei für das gesamte Reichsgebiet war das Geheime Staatspolizeiamt Berlin, dem sämtliche Dienststellen der Geheimen Staatspolizei im Reich unterstellt waren. Diese nachgeordneten Dienststellen waren Geheime Staatspolizeileitstellen an den Sitzen der Länderregierungen, im übrigen Geheime Staatspolizeistellen bei fast allen Regierungspräsidenten oder gleichgeordneten Verwaltungsinstanzen Preußens und der Länder.
3. Mit der am 27. September 1939 verkündeten Schaffung des Reichssicherheitshauptamtes wird die dritte und letzte Periode eingeleitet. Der Chef der Sicherheitspolizei, Heydrich, verwirklichte mit der Zusammenfassung von Parteiorganisationen und staatlichen Polizeibehörden, also heterogenen Elementen, in dem RSHA einen langgehegten Plan, und es ist richtig, daß es für einen Außenstehenden völlig unmöglich war zu unterscheiden, ob Heydrich im Einzelfall als Chef einer staatlichen Behörde oder als Chef einer Parteidienststelle tätig wurde.
Das Reichssicherheitshauptamt umfaßte in seiner weitesten Ausgestaltung folgende Ämter:
Amt I: Personal (staatliche Behörde)
Amt II: Verwaltung (staatliche Behörde)
Amt III: SD-Inland (Parteiorganisation)
Amt IV: Geheime Staatspolizei (staatliche Behörde)
Amt V: Reichskriminalpolizei (staatliche Behörde)
Amt VI: SD-Ausland (Parteiorganisation) wozu im Jahre 1944 noch der militärische Nachrichtendienst kam
Amt VII: SD-Wissenschaftliche Auswertung (Parteiorganisation)
Amt N: Technische Nachrichtenverbindungen (staatliche Behörde).
Das Reichssicherheitshauptamt war somit keine einheitliche Behörde, sondern nur die Sammelbezeichnung für verschiedenartige Dienststellen, die in Ihrer rechtlichen Struktur nicht verändert wurden. Die einzelnen Teile des RSHA blieben, was sie vorher gewesen waren, nämlich:
a) soweit die einzelnen Ämter aus dem Reichsinnenministerium stammten, wie Amt I: Personal, und Amt II: Verwaltung, blieben sie eine Unterabteilung dieses Ministeriums;
b) die Ämter IV und V, also das Geheime Staatspolizeiamt und das Reichskriminalpolizeiamt, blieben nach wie vor diese Behörden;
c) die aus dem ehemaligen SD-Hauptamt stammenden Teile, die Ämter III, VI, VII blieben nach wie vor eine Organisation der SS und der Partei.
Auch haben die Aufgaben ihren staatlichen oder parteimäßigen Charakter nicht geändert. Nicht das RSHA als solches war ein Hauptamt der SS, sondern nur die aus dem ehemaligen SD-Hauptamt gebildeten Teile desselben.
Das Amt IV des RSHA, also das Geheime Staatspolizeiamt, dessen Chef der SS-Gruppenführer Heinrich Müller war, wurde in seinem geschäftsmäßigen Aufbau in der Zelt von 1839 bis 1945 einige Male umgegliedert und umfaßte Ende 1944 folgende Sachgebiete:
IV A 1 Links- und Rechtsopposition
IV A 2 Sabotagebekämpfung
IV A 3 Spionageabwehr
IV A 4 Juden, Kirchen
IV A 5 Sonderaufträge
IV A 6 Schutzhaft
IV B 1 Besetzte Westgebiete
IV B 2 Besetzte Ostgebiete
IV B 3 Besetzte Südostgebiete
IV B 4 Paß- und Ausweiswesen
IV B a A Grundsatzfragen des Einsatzes ausländischer Arbeiter
IV G Zollgrenzschutz, Grenzinspektionen.
In dem organisatorischen Aufbau der nachgeordneten Dienststellen, also der Geheimen Staatspolizei- Leitstellen bei den Länderregierungen und den wichtigsten Provinzen Preußens sowie den Geheimen Staatspolizeistellen ändert sich gegenüber dem Zustand vor 1939 im großen und ganzen nichts Wesentliches.
Von der hiermit dargestellten Organisation der Gestapo sind zu unterscheiden die für den Kriegsfall zusammengestellten sicherheitspolizeilichen Einsatzgruppen und Einsatzkommandos. In ihnen hat der Begriff der »Sicherheitspolizei«, der im Frieden nur in den Titeln des Chefs der Sicherheitspolizei und der Inspekteure der Sicherheitspolizei erschienen war, eine Verkörperung erhalten, die sich von den Sparten der Gestapo und der Kripo, aus denen ein Teil des Personals entnommen wurde, dem Wesen nach unterschied.
Bei dem Einsatz der Sicherheitspolizei und des SD in den besetzten Gebieten ist zu unterscheiden zwischen
a) dem Einsatz der Sipo und des SD im Truppenverband, also in Einsatzgruppen und Einsatzkommandos mit Unterstellung unter die Wehrmacht und
b) dem Einsatz nach Einrichtung einer Militär- beziehungsweise Zivilverwaltung. Die stationären Dienststellen waren dem Höheren SS- und Polizeiführer unterstellt, die den ihnen nachgeordneten Befehlshabern der Sipo und des SD weitestgehende Befehle zu erteilen in der Lage waren. Nachgeordnet waren SS- und Polizeiführer, denen die Kommandeure der Sipo und des SD unterstellt waren. In vielen Fällen schalteten sich in die Befehlsgebung maßgeblich die Reichskommissare ein, zum Beispiel Terboven in Norwegen, Bürkel in Lothringen. Es muß auch darauf verwiesen werden, daß die Höheren SS- und Polizeiführer vielfach direkt an Himmler berichteten und von diesem unter Umgehung des Chefs der Sipo und des SD Befehle einholten.
Die Dienststellen der Sipo und des SD in den besetzten Gebieten waren in Anlehnung an die Ämter III beziehungsweise VI (SD), IV (Geheime Staatspolizei) und V (Kriminalpolizei) gegliedert, doch war sowohl die personelle Besetzung wie auch das Tätigwerden der einzelnen Abteilungen einer Dienststelle den kriegsbedingten Schwierigkeiten unterworfen. So wurden Angehörige der nichtangeklagten Kriminalpolizei mit staatspolizeilichen Aufgaben befaßt und umgekehrt Angehörige der Gestapo mit rein kriminalpolizeilichen Aufgaben. Die aus dem Mangel an Fachkräften heraus entstandene Notwendigkeit, vom Jahre 1942 ab in immer stärkerem Umfang Angehörige der Geheimen Feldpolizei der Wehrmacht als sogenannte Notdienstverpflichtete in die Dienste der Sicherheitspolizei zu übernehmen, obwohl sie so gut wie keine polizeilichen Fachkenntnisse mitbrachten – außerdem Notdienstverpflichtete aus dem Reiche und Angestellte aus dem betreffenden Lande –, muß hier erwähnt werden, um die Tätigkeit der Sicherheitspolizei in den besetzten Gebieten gerecht würdigen zu können.
Diese gedrängte Übersicht über den organisatorischen Aufbau vermittelt erst im Zusammenhang mit einer Darstellung der personellen Struktur die für das Urteil maßgebenden Grundlagen. Nach der Art ihrer Ausbildung und Verwendung lassen sich folgende Personengruppen im Personal der Gestapo ermitteln:
1. Die Verwaltungsbeamten.
Sie waren keine Polizeibeamten im Sinne des deutschen Polizeibeamtengesetzes.
Paragraph 1 dieses Gesetzes, Exhibit Gestapo-9, besagt, daß das Gesetz für die Vollzugsbeamten der Schutzpolizei, Kriminalpolizei, der Gendarmerie und der Geheimen Staatspolizei gilt. Die Verwaltungsbeamten der vorgenannten Polizeizweige hatten weder eine kriminal- oder schutzpolizeiliche Ausbildung noch wurden sie – auch nicht ausnahmsweise – im Vollzugsdienst verwendet. Sie waren auch nicht Hilfsbeamte der Staatsanwaltschaft. Ihre Ausbildung und ihre Tätigkeit als Verwaltungsbeamte umfaßte: Personalangelegenheiten, Wirtschaftsangelegenheiten, wie Haushaltsplan, Unterkunft, Bekleidung, Kassen- und Rechnungswesen und dergleichen. Auch im auswärtigen Einsatz hatten die Verwaltungsbeamten keine anderen Aufgaben. Sie waren das, was in der Wehrmacht, und zwar sowohl bei den Front- wie bei den Einsatzdienststellen die Intendanten und Zahlmeister waren. Die Zahl der Verwaltungsbeamten betrug Ende 1944 etwa 3000 und machte ungefähr 10 Prozent des regelmäßigen Personalbestandes der Gestapo aus. Zum Beweis vorstehender Tatsachen beziehe ich mich auf die als Exhibit Gestapo-17, 18, 19, 20, 31, 34 vorgelegten Affidavits und die Aussagen der Zeugen Oldach, Albath, Tesmer, Hoffmann und Best vor der Kommission beziehungsweise dem Gericht.
2. Die zweite Personengruppe bildeten die Beamten des Vollzugsdienstes, die Ende 1944 zahlenmäßig etwa 40 bis 45 Prozent des regelmäßigen Personalbestandes der Gestapo ausmachten. Sie gliederten sich in:
Beamte des höheren Dienstes: vom Regierungs- und Kriminalrat an,
Beamte des gehobenen Dienstes: vom Kriminalinspektor an,
Beamte des mittleren Dienstes: vom Kriminalassistenten an.
Die Verwendung der Exekutivbeamten erfolgte zunächst in den eigentlichen politisch-polizeilichen Referaten, wie ich sie bei der Darstellung der Organisation des Amtes IV des RSHA angegeben habe.
Zur Exekutive der Gestapo zählte auch die sogenannte Abwehrpolizei. Diese, früher die Abteilung III des Geheimen Staatspolizeiamtes, später IV A 3 des Amtes IV des RSHA, hatte die Aufgabe der kriminalpolizeilichen Aufdeckung und Aufklärung aller Landesverratsverbrechen.
Im Affidavit Gestapo-89 wird die Zahl der Angehörigen der Abwehrpolizei auf 2000 bis 3000 geschätzt.
3. Ebenfalls zur Exekutive der Gestapo zählt die Grenzpolizei. Die Aufgaben und personellen Verhältnisse der Grenzpolizei sind durch die Aussagen beziehungsweise Affidavits der Zeugen Best und Goppelt (Affidavit Nummer 22) und Exhibit Gestapo-18 klargelegt. Die ungefähre Kopfstärke dürfte die Zahl von 3000 erreichen, die in der Gesamtzahl der Exekutivbeamten einbegriffen ist.
4. Zur Gestapo gehören ferner die Angestellten und Lohnempfänger, die – einschließlich der von den Arbeitsämtern zur Arbeit bei der Gestapo Verpflichteten – den sogenannten Notdienstverpflichteten, etwa 13500 Köpfe zählten und somit fast die Zahl der Exekutivbeamten erreichten.
5. Die Gestapo besaß weiterhin einen Spezialdienst in dem nachrichtentechnischen Personal mit rund 500 Angehörigen, die für die Anlage, Instandhaltung und Bedienung der Telephon- und Telegraphenanlagen zu sorgen hatten.
6. Wenn ich oben von dem »regelmäßigen« Personalstand der Gestapo gesprochen habe, so gehörten die Personengruppen, auf die ich nunmehr zu sprechen komme, zwar formell der Gestapo an, doch war ihre Eingliederung in die Gestapo während der zweiten Hälfte des Krieges unter Umständen vor sich gegangen, die auch nicht den geringsten Zweifel an der Unfreiwilligkeit der Zugehörigkeit zur Gestapo aufkommen lassen können, worüber noch in anderem Zusammenhang zu sprechen sein wird.
a) Unter Berücksichtigung der zeitlichen Reihenfolge muß ich zunächst die erwähnten »Notdienstverpflichteten« nennen. Wie der Zeuge Krichbaum ausgeführt hat, wurden vom Jahr 1942 ab von der Geheimen Feldpolizei der Wehrmacht zunächst in Frankreich 23 Gruppen, dann in Belgien 8, in Dänemark und Serbien je 1 und im Osten 18 Gruppen, also insgesamt 51 Gruppen mit mindestens 5500 Mann auf Befehl des Oberkommandos der Wehrmacht geschlossen aus der Wehrmacht entlassen und als sogenannte »Notdienstverpflichtete« bei der Sicherheitspolizei in den besetzten Gebieten verwendet. Die Notdienstverpflichteten wurden bei der Sicherheitspolizei in allen Sparten, also bei Gestapo, SD und der nicht angeklagten Kriminalpolizei verwendet.
b) Die militärische Abwehrorganisation im Oberkommando der Wehrmacht wurde im Frühjahr 1944 auf Befehl Hitlers in die Sicherheitspolizei beziehungsweise den SD überführt, und zwar wurde die defensive Abwehr dem Amt IV, also der Geheimen Staatspolizei, angegliedert, während die übrigen Teile unter der Bezeichnung »Amt Mil« im RSHA ein eigenes Amt bildeten. Die Zahl der insgesamt Überführten belief sich auf etwa 4000 bis 5000. Wie viele davon im Rahmen der defensiven Abwehr, also im Amt IV, verwendet wurden, hat sich nicht eindeutig ermitteln lassen, dürfte aber auch nicht von ausschlaggebender Bedeutung sein.
Gleichzeitig wurden die bis dahin der militärischen Abwehr unterstellten Auslandsbrief-Prüfstellen und Auslandstelegramm-Prüfstellen in die Sicherheitspolizei überführt. Hier handelt es sich um etwa 7500 Personen, die auf Grund eines Befehls in ein Unterstellungsverhältnis bei der Sicherheitspolizei traten (Affidavit Gestapo-36 und Exhibit Gestapo-19).
c) Als letzte Personengruppe wurde vom Herbst 1944 ab, also in der letzten Phase des Krieges, ein Teil des Zollgrenzschutzes in die Geheime Staatspolizei eingegliedert, der bis dahin ein Teil der Reichsfinanzverwaltung gewesen war. Weder in der Organisation noch in den Aufgaben des Zollgrenzschutzes trat nach der Eingliederung eine Änderung ein. Die Kopfstärke der in die Gestapo eingegliederten Teile betrug nach dem Affidavit Gestapo-31 etwa 45000 Mann.
Ich fahre fort auf Seite 24 oben:
Der eben geschilderte staatliche Organismus der Politischen Polizei stand als staatlicher Verwaltungszweig außerhalb des Aufbaues der NSDAP und ihrer Organisationen. Die Gestapo wurde nicht beherrscht von der Partei; im Gegenteil, ihre Selbständigkeit innerhalb des Staates und außerhalb des Parteiaufbaues sollte dazu dienen, gerade Verfehlungen der Parteiangehörigen mit staatlichen Mitteln entgegenzutreten. Wenn Himmler als Reichsführer-SS seit 1933 in allen Ländern und später im Reich der politische Polizeichef wurde, so waren die Landespolizeibehörden hierauf ohne Einfluß. Es änderte auch im wesentlichen zunächst nichts an ihrer Tätigkeit. Die Politischen Polizeien der deutschen Länder sind bei ihrer Neubildung im Jahre 1933 im wesentlichen mit Beamten der bisherigen Polizeibehörden besetzt worden; nicht einmal die leitenden Beamten waren überall Parteileute. Auch später wurden diese von früher übernommenen Beamten nicht durch Parteimitglieder ersetzt. Nur in geringem Umfange und fast nur als Angestellte und Lohnempfänger für technische Dienste, wie Kraftfahrer, Fernschreiber, Amtsgehilfen und so weiter, wurden Leute aus der Partei, der SS und der SA übernommen.
Der Losgelöstheit von der Partei und ihren Gliederungen scheint nun die sogenannte Angleichung der Gestapo an die SS zu widersprechen. Diese Angleichung bedeutete nur eine dem Namen nach bestehende Anschließung an die SS. Der Grund dieser Angleichung war folgender:
In der Gestapo war das Berufsbeamtentum eingeführt und aufrechterhalten. Die Beamten waren aber zum Teil wegen ihrer politischen oder unpolitischen Vergangenheit von der Partei nicht besonders geachtet. Um nun ihre Autorität bei Ausführung ihrer Dienstpflichten und gerade auch gegen Nationalsozialisten zu stärken, sollten sie in Uniform auftreten, wie der Zeuge Dr. Best, der sich als »Motor« der Angleichung bezeichnet hat, aussagte. Mit der Angleichung wurden die Gestapo-Beamten – wie übrigens auch die Kriminalpolizei-Beamten, die ebenfalls angeglichen werden sollten – zwar formell unter der SD-Formation der SS geführt, blieben aber allein ihren behördlichen Dienstvorgesetzten unterstellt und machten keinen SS- oder SD-Dienst mit. Die Angleichung wurde zudem nur langsam und in geringem Umfange durchgeführt. Bei Kriegsausbruch 1939 waren von etwa 20 000 Angehörigen der Gestapo und der Kripo nur rund 3000 angeglichen. Bezeichnend ist, daß Himmler das Auftreten der Gestapo in SS-Uniform durchaus nicht gerne sah, wie sich aus US-447 ergibt.
Während des Krieges mußten auch Nichtangeglichene bei bestimmten Einsätzen ebenfalls die SS-Uniform tragen, ohne jedoch Angehörige der SS zu sein. Im übrigen hat die SS die Polizei nicht kontrolliert oder sonstwie Einfluß auf ihre Tätigkeit genommen; nur in der Person Himmlers bestand zwischen beiden Personalunion in der Führung.
Zu dieser Darstellung verweise ich auf den Zeugen Dr. Best.
Mit dem SD, der bekanntlich eine reine Parteiorganisation war, hatte die Gestapo als Ganzes ebenfalls nichts zu tun. Nur in der Person des Chefs der Sipo und des SD – Heydrich, später Kaltenbrunner – bestand eine Personalunion, die aber eine zufällige war und weder einen organisatorischen noch funktionellen Zusammenhang bedeutete. Der SD war mit der Gestapo keinesfalls zu einem Polizeisystem zusammengeschlossen. Der SD hatte die Gestapo in ihren Aufgaben nicht zu unterstützen, er hatte überhaupt keine polizeilichen Aufgaben.
Die Beamten der Gestapo fühlten sich durchaus nicht als Angehörige einer einheitlichen Organisation mit der SS und dem SD. Jeder in den drei Institutionen wußte, daß er einer selbständigen Einrichtung mit selbständigen Zwecken angehörte.
War so die Gestapo mit der Partei keinesfalls organisch oder auch nur dienstlich verbunden, so war sie andererseits als Staatsbehörde nicht aus dem allgemeinen staatlichen Verwaltungsaufbau herausgelöst, vielmehr bestanden in allen Ebenen Verzahnungen mit der allgemeinen und inneren Verwaltung. Die höheren Verwaltungsbehörden: die Innenminister der Länder, die Oberpräsidenten und Regierungspräsidenten waren zur Empfangnahme von Berichten und zu Weisungen berechtigt. Die Beweiserhebung ließ sogar ersehen, daß der größere Teil aller staatspolizeilichen Handlungen von den Kreis- und Ortspolizeibehörden und der Gendarmerie durchgeführt wurde. Gerade diese Tatsachen geben einen Hinweis, wie schwer und bedenklich es ist, die Gestapo als staatliche Einrichtung anzuklagen. Denn, konsequent gedacht, müßten ja auch die Beamten der genannten Verwaltungsbehörden, soweit sie staatspolizeilich tätig wurden, mit der Gestapo unter Anklage gestellt werden.
Kann man aus diesen Gründen bei der Gestapo von einem Zusammenschluß von Personen, also von einer Mitgliedschaft im Sinne der Anklage, nicht sprechen, so war noch weniger das Erfordernis der Freiwilligkeit erfüllt. Keiner der vernommenen Zeugen konnte in irgendeiner Form diese Unterstellung der Anklage rechtfertigen, vielmehr mußten sämtliche Zeugen bekunden, daß die Zugehörigkeit zur Gestapo grundsätzlich nicht auf freiwilliger Grundlage beruhte. Die Einstellung der Beamten bei der Gestapo erfolgte zu einem großen Teil in der Weise, daß sie von ihren bisherigen Behörden zu den Behörden der Gestapo versetzt wurden. Dem Versetzungsbefehl mußten sie Folge leisten, sie waren nach Beamtenrecht dazu verpflichtet. Die Folge einer Weigerung wären ohne weiteres schwere dienstliche Nachteile, wahrscheinlich der Verlust der Stellung gewesen; und wäre die Weigerung gar damit begründet worden, daß der Beamte mit der Tätigkeit der Gestapo aus Gewissengründen nicht einverstanden sei, so wäre er – wie übrigens jeder andere Beamte im gleichen Fall – in einem Dienststrafverfahren oder sogar in einem ordentlichen Strafverfahren belangt worden und hätte seine Stellung und seine wohlerworbenen Rechte verloren und wäre außerdem noch in ein Konzentrationslager eingeliefert worden. Der Beamtennachwuchs bei der Gestapo war in der Weise geregelt, daß nach dem Polizeibeamtengesetz 90 Prozent aus den ehemaligen Schutzpolizeibeamten, die Kriminalbeamte werden wollten, und nur 10 Prozent aus freien Berufen angenommen werden durften. Die Anwärter aus der Schutzpolizei konnten sich aber für die Gestapo oder Kripo nicht frei entscheiden, wurden vielmehr von der »Vormerkstelle der Polizei« in Potsdam der Gestapo oder der Kripo nach Bedarf und auch gegen ihren Willen zugewiesen. Es handelte sich hierbei übrigens um Schutzpolizeibeamte mit 8 bis 12 Dienstjahren, also um alte Polizeibeamte, die schon vor 1933 im Polizeidienst gestanden haben.
Das Loskommen der Beamten von der Gestapo war, abgesehen von den allgemeinen Ausscheidungsgründen wie Tod, Krankheit, Entlassung auf Grund von Verfehlungen, fast unmöglich. Im Kriege galt die Gestapo wie die ganze Polizei als »im Einsatz« befindlich und stand unter dem Militärstrafrecht, so daß ein Ausscheiden ganz unmöglich war. Selbst die Meldung zum militärischen Frontdienst war verboten.
Die gleichen Grundsätze für die Aufnahme und Verabschiedung galten auch für die der Gestapo unterstellten Institutionen, wie Grenzpolizei, militärische Abwehr, Zollgrenzschutz; nicht zu vergessen die zahlreichen »Notdienstverpflichteten« während des Krieges, die zeitweise fast die Hälfte des Personalbestandes ausmachten. Aus diesen Ausführungen, die sich auf die Aussagen und eidesstattlichen Versicherungen vor allem der Zeugen Best, Knochen und Hoffmann stützen, ergibt sich folgendes: Die Gestapo war eine Vielzahl von staatlichen Behörden. Bei einer Behörde aber kann man nicht von Mitgliedern der Behörde wie von Mitgliedern einer privaten Organisation sprechen. Daher gab es auch keine Mitgliedschaft in der Gestapo und noch viel weniger eine freiwillige; es gab nur eine öffentlich-rechtliche Beamtenstellung.
Auch die Frage, ob Ziel und Aufgaben der Gestapo verbrecherisch waren, muß verneint werden. Ziel der Gestapo wie jeder politischen Polizei war der Schutz des Volkes und des Staates vor staatsfeindlichen Angriffen gegen seinen Bestand und seine unbeschwerte Entwicklung. Dementsprechend ist die Aufgabe der Gestapo in Paragraph 1 des Gesetzes vom 10. Februar 1936 – Exhibit Gestapo-7 – wie folgt umrissen. Ich zitiere:
»Die Geheime Staatspolizei hat die Aufgabe, alle staatsgefährlichen Bestrebungen zu erforschen und zu bekämpfen, das Ergebnis der Erhebungen zu sammeln und auszuwerten, die Staatsregierung zu unterrichten und die übrigen Behörden über für sie wichtige Feststellungen auf dem laufenden zu halten und mit Anregungen zu versehen.«
Diese Aufgaben der Gestapo waren inhaltlich die gleichen wie die der Politischen Polizei vor 1933 und wie die jeder anderen Politischen Polizei in fremden Ländern. Was unter staatsfeindlichen Bestrebungen zu verstehen ist, richtet sich nach der jeweiligen politischen Struktur eines Staates. Ein Wechsel in der politischen Führung kann die frühere Tätigkeit einer Politischen Polizei, die sich gegen andere als staatsfeindlich angesehene Kräfte richtete, nicht nachträglich rechtswidrig machen. Die Tätigkeit der Gestapo war durch gesetzliche Vorschriften staatlich geregelt. Ihre Aufgaben bestanden in erster Linie und hauptsächlich in der Aufklärung politisch strafbarer Handlungen nach den allgemeinen Strafgesetzen, wobei die Beamten der Gestapo als Hilfsbeamte der Staatsanwaltschaft tätig wurden; ferner in der Verhütung solcher Handlungen durch vorbeugende Maßnahmen.
Nun werden freilich die Methoden der Gestapo ihr nach dreifacher Richtung schwer zum Vorwurf gemacht, ja als Verbrechen angerechnet. Die eine Methode betrifft die Schutzhaft und Verschickung in die Konzentrationslager. Ich weiß: wenn ich diese Namen nur ausspreche, geht es wie ein kalter Grabeshauch von ihnen aus. Immerhin, auch die Schutzhaftverhängung war durch genaue Vorschriften geregelt. Die Schutzhaft, die zudem keine spezifisch deutsche oder spezifisch nationalsozialistische Erfindung war, ist in mehreren Urteilen des Reichsgerichts und des preußischen Oberverwaltungsgerichts, also verfassungsmäßiger Gerichte, als legal anerkannt worden.
Eine zweite Methode, die der sogenannten verschärften Vernehmung, muß freilich, gelinde gesagt, zu schweren Bedenken Anlaß geben. Diese Methode wurde jedoch – siehe besonders Zeuge Dr. Best – selten angewandt, und zwar nur auf Anordnung der obersten Stellen und niemals zur Erpressung eines Geständnisses. Auch diese Methode, von der im Zusammenhang der Besprechung der einzelnen Verbrechen noch weiter die Rede sein wird, war gesetzlich geregelt, und zwar auch noch während des Krieges, vergleiche Exhibit Gestapo-60.
Schließlich macht die Anklage der Gestapo noch den besonderen Vorwurf, daß sie nicht an das Gesetz gebunden gewesen sei, vielmehr nach freier Willkür gehandelt habe. Darauf ist zu sagen: wenn in zwei Gesetzen – über den Anschluß Österreichs und des Sudetenlandes – angeordnet ist, der Chef der Deutschen Polizei könne auch außerhalb der sonst hierfür geltenden Gesetze Maßnahmen treffen, so sollte damit nicht die polizeiliche Willkür statuiert sein; es handelte sich vielmehr um eine typisch gesetzliche Übertragung der Befugnis, Polizeirecht zu setzen. Als Maßnahmen im Sinne dieser Gesetze waren nicht Einzelhandlungen gemeint, sondern Anordnungen allgemeiner Art, die erlassen werden konnten, auch wenn in den angeschlossenen Ländern noch keine Gesetze dafür bestanden, die aber dann, weil vom Staatsoberhaupt die Ermächtigung dafür erteilt war, für die Bevölkerung und die Vollzugskräfte der Polizei bindend waren. Daran war unbedingt festgehalten, daß keine Einzelhandlung nach Willkür ausgeführt werden dürfe, sondern daß für alle Vollzugshandlungen genaue Vorschriften gelten und beachtet werden sollten – Zeuge Dr. Best.
Die Gestapo-Beamten konnten – wenigstens vor dem Kriege – gar nicht auf den Gedanken kommen, daß ihnen vom Ausland willkürliches Handeln vorgeworfen würde. Die nicht nur für die Angehörigen der Gestapo, sondern für die ganze Welt offenliegenden gesetzlich umgrenzten Aufgaben und Methoden können nicht von einer Welt als verbrecherisch empfunden worden sein, welche die hierfür allein verantwortliche deutsche Reichsregierung nicht nur formell anerkannte, sondern ihrer Anerkennung auch gegenüber dem deutschen Volk wiederholt sichtbaren Ausdruck verlieh.
Hätte das Ausland an den Zielen der Gestapo Anstoß genommen, dann wäre es auch nicht denkbar gewesen, daß zahlreiche ausländische Polizeien in unmittelbarer, nicht durch die Diplomatie vermittelter, enger Zusammenarbeit mit der deutschen Gestapo standen und ausländische Polizeibeamte die Gestapo besuchten, offensichtlich auch, um von ihr zu lernen, vergleiche Affidavit Gestapo-26 und 89. Auf alle Fälle mußte dadurch der einzelne Gestapo-Beamte seine Tätigkeit als international anerkannt ansehen.
Die Ziele, Aufgaben und Methoden der Gestapo sind grundsätzlich auch während des Krieges die gleichen geblieben. Soweit ihr andere als die bisher beschriebenen Handlungen zugedacht wurden, müssen sie als außerhalb der Organisation stehende polizeifremde Handlungen gewertet werden. Besonders über die Einsatzgruppen, ihre Zusammensetzung und Tätigkeit und ihr Verhältnis zur Gestapo wird noch zu sprechen sein.
Nun müßte ich nach dem Aufbau der Anklage darüber sprechen, ob sich die Gestapo an einem gemeinsamen Plan zur Begehung von Verbrechen beteiligt hat, ob sie als bewußter Teil des Ganzen an der sogenannten Nazi-Verschwörung im Sinne der Anklage mitgewirkt hat. Um aber diese Frage behandeln zu können, erscheint es notwendig, zuvor zu untersuchen, welche Verbrechen der Gestapo tatsächlich nachgewiesen werden können.
Zur Bezeichnung einer Organisation als verbrecherisch können ebenso wie zur Charakterisierung einer Einzelperson nur typische Erscheinungsformen herangezogen werden, das heißt nur solche Handlungen und Wesenszüge, die der Eigenart, dem Wesen der betreffenden Organisation entsprechen. Es können daher nicht Vorgänge verwendet werden, die sich zwar in der Organisation abgespielt haben, die aber als organisationsfremd, hier als polizeifremd bezeichnet werden müssen, ferner nicht Handlungen, die nur von einzelnen Angehörigen begangen worden sind. Zur Feststellung, ob diese Erscheinungsformen als verbrecherisch anzusehen sind, ist das deutsche Recht zur Untersuchung heranzuziehen, das übrigens in der Charakterisierung des allgemeinen Verbrecherischen von der Auffassung anderer zivilisierter Länder nicht abweicht.
Der Einteilung der Anklage entsprechend werde ich die der Gestapo zur Last gelegten Verbrechen ebenfalls einteilen in Verbrechen gegen den Frieden, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit.
a) Verbrechen gegen den Frieden.
Hier ist Gegenstand der Anklage der Vorwurf, die Gestapo habe zusammen mit dem SD Grenzzwischenfälle künstlich geschaffen, um Hitler den Vorwand zum Krieg mit Polen zu geben. Zwei Grenzzwischenfälle werden angeführt, der Überfall auf den Sender Gleiwitz und ein vorgetäuschter Angriff einer polnischen Gruppe bei Hohenlinden.
Der Überfall auf den Sender Gleiwitz wurde nicht unter Beteiligung von Gestapo-Beamten ausgeführt. Der Zeuge Naujocks, der der Leiter dieses Unternehmens war, der Gestapo jedoch nicht angehörte, hat eindeutig bestätigt, daß kein Angehöriger der Gestapo bei dieser Aktion mitbeteiligt gewesen ist. Der Auftrag zu diesem Unternehmen ging unmittelbar von Heydrich aus und wurde von diesem direkt an Naujocks mündlich übermittelt.
Der Auftrag zu dem vorgetäuschten Angriff bei Hohenlinden wurde von Müller, dem Chef des Amtes IV des RSHA, an Naujocks übermittelt, doch hat Naujocks, der auch diese Aktion leitete, eine Beteiligung des Amtes IV ausdrücklich in Abrede gestellt.
VORSITZENDER: Herr Dr. Merkel! Wäre das nicht ein geeigneter Zeitpunkt abzubrechen?