»Nacht-und-Nebel-Erlaß.«
Ein weiterer Punkt in der Anklage gegen den SD ist die Beteiligung an der Durchführung des »Nacht-und- Nebel-Erlasses«.
Die Zuständigkeit für die Durchführung des Nacht- und-Nebel-Erlasses war zwischen den Wehrmachtsdienststellen und der Geheimen Staatspolizei geteilt. Dies ergibt sich aus dem Dokument L-90. Die Wehrmachtsdienststellen sind angewiesen worden, bei Straftaten von nichtdeutschen Zivilpersonen, die sich gegen das Reich und die Besatzungsmacht richteten, die Todesstrafe zu verhängen. Falls mit einer derartigen Strafe jedoch nicht zu rechnen war, waren diese Zivilpersonen von der Geheimen Feldpolizei (IV), der ersten Durchführungsverordnung der Richtlinien (Dokument 91), nach Deutschland zu schaffen und dort von einer Stapostelle zu übernehmen. Ich verweise ferner auf die Verordnung des Oberkommandos der Wehrmacht vom 2. Februar 1942 (Dokument L-90): »Az. Amt Aus/Abw/Abt. Abw III Nr. 570/1, 42 g (ZR/III C 2).« Daraus ergibt sich, daß für die Durchführung des Nacht-und-Nebel-Erlasses das Reichssicherheitshauptamt (Kriminaldirektor Dr. Fischer) zuständig war.
Aus dem Anklagedokument L-185, dem Geschäftsverteilungsplan des Reichssicherheitshauptamtes vom 1. März 1941, ist zu ersehen, daß Kriminaldirektor Dr. Fischer im Amt IV das Referat IV E 3 – Abwehr West – bearbeitet hat.
Die obige Sachdarstellung wird durch das zweite Anklagedokument – 833-PS – vom 2. Februar 1942, das von Canaris, dem Chef des Amtes Ausland-Abwehr des Oberkommandos der Wehrmacht unterzeichnet ist, bestätigt. Diese Richtlinien bestimmen, daß die unter den Nacht-und-Nebel-Erlaß fallenden Angehörigen ausländischer Staaten von den zuständigen Kriegsgerichten in den von Deutschland besetzten Gebieten abzuurteilen sind, wenn
a) das Urteil auf Todesstrafe lautet, b) das Urteil innerhalb von acht Tagen nach der Festnahme verkündet wird.
Andernfalls haben die Abwehrstellen den Zeitpunkt der Festnahme zu bestimmen. Die Abwehrstellen haben die Festnahmen dem Reichssicherheitshauptamt zu Händen des Kriminaldirektors Dr. Fischer mitzuteilen. Das Reichssicherheitshauptamt bestimmt eine Stapostelle, die die Häftlinge zu übernehmen hat. Auch aus dem Verteiler ergibt sich, daß die Ämter III, VI und VII in keiner Weise beteiligt sind.
Auch aus dem weiteren Anklagedokument 668-PS, dem Schreiben des Chefs der Sicherheitspolizei und des SD vom 24. Juni 1942, ergibt sich eindeutig die alleinige Zuständigkeit der Geheimen Staatspolizei. Das Schreiben ist vom Amt IV und zwar von dem Referat IV D 4 herausgegeben worden. Wenn die Durchführung des Nacht-und-Nebel-Erlasses zur Zuständigkeit des SD gehört hätte, dann hatte dieses Schreiben von einem der Ämter III, VI oder VII herausgegeben werden müssen.
Ich verweise weiter auf die Aussage des Zeugen Dr. Ehlich vor der Kommission und auf die Aussage des Zeugen Knochen. Beide haben übereinstimmend bekundet, daß der SD für die Durchführung des Nacht- und-Nebel-Erlasses nicht zuständig und hieran auch nicht beteiligt war.
Was den von Keitel unterschriebenen Erlaß des Oberkommandos der Wehrmacht vom 18. August 1944 anbetrifft, so heißt es zwar, daß die Zivilpersonen dem SD zu übergehen seien. Insoweit beziehe ich mich jedoch auf das Affidavit SD-52, Keitel.
Das gleiche gilt für den Erlaß von Westerkamp vom 13. September 1941. Auch hier kann nur die Gestapo gemeint sein.
In dem Dokument D-762, GB-892, ist in Ziffer 1 der SD nicht erwähnt, sondern nur die Wehrmacht, SS und Polizei. Die Ausdrucksweise in Ziffer 2 ist ungenau. Statt »der nächsten örtlichen Dienststelle der Sicherheitspolizei und des SD« müßte es heißen »des Chefs der Sicherheitspolizei und des SD«.
In dem Dokument D-764, GB-299, ist richtig »Dienststelle der Sicherheitspolizei und des SD« unter Ziffer 4 angegeben. In Ziffer 5 a kann daher nach dem ganzen Inhalt mit »SD« nur das zuständige Polizeiorgan gemeint sein.
Der SD ist auch nicht einmal nachrichtlich beteiligt worden, wie gleichfalls aus dem Verteiler zu ersehen ist. Von dem Dokument D-764 sind elf Ausfertigungen hergestellt worden: Ausfertigung 1 bis 10 sind an die Wehrmachtsbefehlshaber zugestellt worden, Ausfertigung 11 an das Geheime Staatspolizeiamt. Wenn der SD zuständig gewesen wäre, hätte ihm dieser Erlaß zugestellt werden müssen.
Zu den von Keitel unterschriebenen Erlassen, in denen die Äußerung vorkommt, daß Personen dem SD zu übergeben seien, verweise ich auf die Aussage Keitels (Sitzungsprotokoll vom 11. April 1946, Band XI, Seite 312), wonach die Bezeichnung SD fälschlicherweise an Stelle von Polizei verwendet worden ist.
Ich habe ferner 270 eidesstattliche Erklärungen vorgelegt, aus denen sich ergibt, daß in den besetzten Gebieten von Polen, Jugoslawien, Lettland, Tschechoslowakei, Rußland, Lothringen, Belgien, Eupen- Malmedy, sowie in den folgenden Gebieten Deutschlands:
München – Oberbayern, Rheinprovinz, Württemberg, Hamburg, Saarpfalz, Schlesien, Berlin, Steiermark, Thüringen, Sudetengebiet, Oberschlesien, Tirol, Sachsen, Baden, Mitteldeutschland, Westfalen, Ostpreußen, Hessen, Moselland, Bayerische Ostmark, Holstein, Schwaben, Westpreußen, der SD mit der Durchführung des Nacht-und-Nebel-Erlasses nichts zu tun hatte. Diese Erklärungen umfassen den Zeitraum von 1941 bis 1945.
Aus den eidesstattlichen Erklärungen von Schellenberg (Affidavit SD-61) und von Dittel (Affidavit SD-63) ergibt sich, daß auch die Ämter VI und VII für die Durchführung des Nacht-und-Nebel-Erlasses nicht zuständig waren.