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[Das Gericht vertagt sich bis 14.00 Uhr.]

Nachmittagssitzung.

VORSITZENDER: Der Gerichtshof hat soeben einen vom 18. August datierten Antrag von Dr. Berges erhalten.

Dieser Antrag wird abgelehnt.

Ich erteile Dr. Böhm das Wort.

RECHTSANWALT GEORG BÖHM, VERTEIDIGER FÜR DIE SA: Herr Präsident! Meine Herren Richter!

Es widerspricht dem fundamentalen Recht eines jeden Menschen, nur nach dem Maße seiner eigentlichen Schuld verantwortlich gemacht zu werden, wenn er durch das mögliche Ergebnis der kollektiven Klage gegen die Organisationen dem Gesetz Nummer 10 des Alliierten Kontrollrates unterworfen wird. Eine Sühne ohne Schuld ist, solange Menschen leben, niemals als gerecht empfunden worden. Wer also strafen will, hat nach der Schuld jedes einzelnen auch dann zu forschen, wenn mehrere an einer Straftat beteiligt waren. Ist schon die Planung eines Verbrechens als Vorbereitungshandlung strafbar, so können nach bisher geltenden juristischen und sittlichen Grundsätzen auch nur die an einem solchen Plan Beteiligten, das heißt eben nur diejenigen bestraft werden, die sich an einem gewollten und bewußten Zusammenwirken gerade zu diesem Zweck zusammengeschlossen haben.

Die eben entwickelten, sich aus fundamentalen Menschenrechten ergebenden Rechtsgrundsätze sind auch in keinem Zeitpunkt vor irgendeinem nationalen Strafgesetz durch den Rechtsbegriff einer »Verschwörung« überwunden worden. Im Sinne des von dem Hauptanklagevertreter gebrachten Rechtsbegriffes der Verschwörung entsteht eine Schuld, wenn

erstens eine Verbindung zu einem gemeinsamen und allgemeinen Ziel bestand,

zweitens diese Ziele verbrecherisch waren,

drittens die Verfolgung dieser Ziele die verbrecherische Tat ohne weiteres, das heißt voraussehbar, mit sich brachte, und endlich

viertens die Art der Ausführung der Tat entweder einer bereits im Zeitpunkt des Zusammenschlusses vereinbarten oder doch nachträglich gebilligten Methodik entsprach.

Im folgenden haben wir deshalb zu prüfen

a) inwieweit sich der hier aufgezeichnete Tatbestand einer Verschwörung mit dem von der Anklage vorgetragenen Rechtsbegriff deckt und

b) inwieweit dieser Tatbestand von den Mitgliedern der Organisationen verwirklicht wurde.

Von hier aus gesehen scheint sich der vorstehend nicht nur nach deutschen Rechtsbegriffen, sondern auch nach bekannten Strafgesetzen anderer zivilisierter Länder abgegrenzte Tatbestand einer Verschwörung mit der in der Sitzung des Gerichtshofs vom 28. Februar 1946 erfolgten Abgrenzung der Anklage durchaus zu decken, so daß uns bei Anerkennung dieser hier getroffenen Feststellung nur noch die Prüfung der bereits aufgeworfenen zweiten Frage übrigbleibt, nämlich inwieweit ein solcher nun tatbestandmäßig abgegrenzter Sachverhalt schuldhaft von den Mitgliedern der SA verwirklicht wurde.

Diese Fragestellung berührt ein Werturteil und eine Tatfrage. Zunächst eine Werturteilsfrage insoweit, als der im Zusammenhang mit dem Ziele der Organisation gebrauchte Begriff »verbrecherisch« einer klaren Abgrenzung bedarf.

Für deutsche Angehörige können im deutschen Machtbereich begangene Handlungen »verbrecherisch« nur nach deutschen Strafgesetzen strafbare Handlungen sein. Nach bisher anerkannten Völkerrechtsgrundsätzen kann für ein Volk nichts rechtsverbindlich sein, was andere Völker selbst als »verbrecherisch« empfinden, sondern nur, was dieses Volk als »verbrecherisch« in sein eigenes sittliches und rechtliches Bewußtsein aufgenommen hat. Immerhin können wir nach gewissenhafter Prüfung auch nach dieser Frage feststellen, daß das deutsche Volk ohne Ausnahme, also auch die Masse der Mitglieder der in Nürnberg angeklagten SA, sich in keinem Zeitpunkt in seiner sittlichen und rechtlichen Grundeinstellung von den Grundgesetzen der übrigen zivilisierten Welt unterschieden hat. Auch die Millionenmasse ihrer Mitglieder empfindet einen Angriffskrieg, der in Artikel 6 des Statuts bezeichneten Art als Verbrechen; auch sämtliche SA-Mitglieder würden ohne Ausnahme nie darüber streiten, daß Handlungen, wie sie im Artikel 6 des Statuts unter dem Begriff »Verbrechen gegen die Humanität« zusammengefaßt sind, immer auch ihren Grundsätzen widersprochen haben und deshalb auch von ihrem Standpunkt aus das Werturteil »verbrecherisch« verdienen.

Danach verbleibt also der Verteidigung, von den Prozeßvoraussetzungen abgesehen, die bestritten werden, nur noch die Prüfung der Tatfrage, ob die angeklagte Organisation, die SA, zu irgendeinem Zeitpunkt die Verwirklichung solcher verbrecherischen Ziele oder die Verwirklichung erlaubter Ziele mit solchen die Begehung von Verbrechen einschließenden Methoden angestrebt hat.

Die Anklage hat das behauptet.

Die Ziele der angeklagten Organisationen waren durch das Parteiprogramm und durch die Statuten klar umgrenzt. Die Mittel zur Verwirklichung dieser Ziele fanden ihre sichtbare Begrenzung in den im Reichsgesetzblatt verkündeten Reichsgesetzen und Verordnungen. Die SA kann als angeklagte Organisation nur als Zusammenschluß von Personen gewertet werden, deren gemeinsames und allgemeines Streben ausschließlich darauf gerichtet war, die vorgezeigten Ziele mit den nach deutschen Gesetzen zulässigen Mitteln zu verwirklichen. Die so nicht nur für die Mitglieder der angeklagten Organisationen sondern für die ganze Welt völlig offen liegenden Ziele und gesetzlich umgrenzten Mittel der Verwirklichung dieser Ziele können nicht von einer Welt als verbrecherisch empfunden worden sein, die trotz ihres Wissens um Ziele und gesetzlich umgrenzte Methoden die hierfür verantwortliche nationalsozialistische Reichsregierung auch nach gesetzlicher Hervorhebung der Einheit von Partei und Staat nicht nur formell anerkannte, sondern ihrer Anerkennung durch Abschluß einer ganzen Reihe zwischenstaatlicher Verträge, zuletzt noch im Münchener Abkommen vom 29. September 1938, im deutsch-russischen Nichtangriffspakt und im geheimen Zusatzabkommen vom 24. August 1939, auch gegenüber dem deutschen Volke wiederholt sichtbaren Ausdruck verliehen hat.

Der von der Anklagevertretung behauptete verbrecherische Charakter der SA muß demnach schon anders als mit dem bloßen Hinweis auf einen verbrecherischen Charakter der nationalsozialistischen Idee an sich begründet werden. Ist nicht schon die Idee verbrecherisch, dann kann eben der verbrecherische Charakter einer der Verwirklichung dieser Idee dienenden Organisation – wenn überhaupt – nur aus den verbrecherischen Methoden abgeleitet werden, die, um eine Formulierung des Gerichtshofs zu gebrauchen, so »völlig offen lagen oder doch den Mitgliedern der angeklagten Organisationen in anderer Weise so allgemein zur Kenntnis gekommen seien, daß im allgemeinen mit Recht angenommen werden könnte, daß die Mitglieder über diese Zwecke und Tätigkeiten unterrichtet gewesen wären«. Damit sind auch vom Gericht selbst in eindeutiger Klarheit die objektiven und subjektiven Tatbestandsmerkmale herausgestellt worden, die erfüllt sein müssen, wenn der Internationale Militärgerichtshof die SA als verbrecherisch charakterisieren soll.

Zur Charakterisierung einer Organisation wie zur Charakterisierung von Einzelpersonen dürfen nur typische Erscheinungsformen herangezogen werden. Erscheinungsformen, die wir auch in anderen Ländern finden, ohne daß diese bisher Veranlassung gegeben haben, die Träger dieser Erscheinungsformen als verbrecherisch zu bezeichnen, können billigerweise auch in dem Verfahren vor dem Internationalen Militärgerichtshof nicht zur Begründung eines verbrecherischen Charakters der angeklagten Organisationen herangezogen werden. So kann es der Verteidigung nicht gerecht erscheinen, wenn die Anklage den verbrecherischen Charakter der angeklagten Organisationen zum Beispiel aus der Feststellung abzuleiten versucht, daß die Partei und ihre Organisationen den Staatsapparat unter wirksamer Kontrolle hielten, abgesehen davon, daß dazu die SA nie die Macht besaß.

Solche Methoden sind, selbst wenn man ihre Anwendung durch die SA unterstellen würde, in der Welt nicht einmalig und gehören in der Welt nicht der Vergangenheit an. Solange aber diese Methoden nicht in der ganzen Welt als verbrecherisch betrachtet und behandelt werden, wird man sie gerechterweise auch nicht als typische Erscheinungsformen eines verbrecherischen Charakters gerade der angeklagten nationalsozialistischen Organisationen verwerten dürfen.

Die dahingehenden Behauptungen der Anklage müssen daher schon mit dieser Feststellung für die Begründung einer verbrecherischen Eigenschaft ausscheiden. Ebensowenig können zur Begründung eines verbrecherischen Charakters der SA Vorgänge verwertet werden, die sich völlig außerhalb der Organisation abgespielt haben, Vorgänge also, von denen »im allgemeinen nicht mehr mit Recht angenommen werden kann, daß die Mitglieder über diese Vorgänge unterrichtet waren«.

Demnach hat die Verteidigung der SA zu beweisen, daß

erstens zu keiner Zeit ein allgemeiner und gemeinsamer Plan der SA-Angehörigen bestand, Verbrechen der im Artikel 6 des Statuts bezeichneten Art zu begehen,

zweitens, daß weder im Zeitpunkt ihres Zusammenschlusses noch während irgendeiner späteren Zeitspanne die Masse der Mitglieder der SA dazu erzogen worden war, das Parteiprogramm oder die besonderen Zielsetzungen der SA durch Anwendung ungesetzlicher Mittel, insbesondere durch Anwendung von Terror und Gewalt zu verwirklichen,

drittens, daß, wenn ungesetzliche Handlungen festgestellt werden konnten, das Ergebnis der Untersuchung und die Befragung von vielen tausenden Mitgliedern zeigt, daß diese Vorgänge einer sich auf die Masse der Mitglieder erstreckenden Planmäßigkeit entbehren und deshalb – weil völlig außerhalb eines gemeinsamen allgemeinen Planes stehend – immer nur bestimmten Einzelpersonen oder ganz eng umgrenzten Kategorien oder Personengruppen innerhalb der SA zur Last gelegt werden können.

Es ist nicht richtig, daß hinter jenen furchtbaren und beschämenden Ereignissen von Anfang an ein allgemeiner und gemeinsamer Plan einer Massenorganisation stand, Handlungen dieser Art zu begehen oder, daß diese Handlungen wirklich »so völlig offen lagen oder doch auch den Mitgliedern in anderer Weise so allgemein zur Kenntnis gekommen sind, daß die Mitglieder in ihrer Gesamtheit in strafrechtlicher Hinsicht mit Recht mit ihrer Kenntnis belastet werden dürfen«.

Was die von der Anklagevertretung vorgetragenen Verbrechen gegen den Frieden anbelangt, so ist in erster Linie festzustellen, daß die Vorbereitungen eines Angriffskrieges, wenn sie zum gewünschten Ziele führen sollen, unter allen Umständen geheim bleiben müssen. Selbst wenn es richtig wäre, daß die Reichsregierung oder der Generalstab einen Angriffskrieg vorbereitet hatten, so spricht eine nahezu unwiderlegbare Vermutung dafür, daß sie die indifferente Millionenmasse der SA-Angehörigen nicht nur nicht von solchen Vorbereitungen unterrichteten, sondern im Gegenteil peinlichst darauf achteten, daß diese Vorbereitungen geheim blieben. War aber eine solche Vorbereitung unbekannt, dann konnte die Millionenmasse auch in keinem Zeitpunkt das Bewußtsein gewinnen, daß der von der Reichsführung begonnene Verteidigungskrieg in Wirklichkeit, wie die Anklage behauptet, ein Angriffskrieg war, an dem sich zu beteiligen vielleicht als Verbrechen gegen den Frieden hätte gewertet werden können.

Auch Verbrechen gegen die Kriegsgebräuche und Kriegsgesetze sind ihrer Natur nach Einzelhandlungen eng umgrenzter Personengruppen oder Formationen, die von der höheren Führung gleichfalls geheimgehalten werden, um nicht das völkerrechtliche Prinzip der Vergeltung zur Auswirkung gelangen zu lassen. Selbst wenn es möglich wäre, in der bloßen Billigung solcher Verstöße gegen die anerkannten Kriegsregeln und Kriegsgesetze eine strafbare Beteiligung zu sehen, stünde die Anklagevertretung noch immer vor der bisher noch nicht gelösten, und wohl auch unlösbaren Aufgabe, zunächst einmal den Beweis zu führen, daß wenigstens die überwiegende Mehrheit der Mitglieder der SA eine solche planmäßige Begehung von Verbrechen gegen die Kriegsgebräuche und die Kriegsgesetze überhaupt gekannt hat. Ganz abgesehen von diesen gegen wesentliche Behauptungen der SA stehenden Beweisvermutungen aber kann nach der Befragung von vielen Tausenden von Mitgliedern der SA von seiten der Verteidigung auch der Beweis geführt werden, daß, wenn Gesetzwidrigkeiten vorgekommen sind, diese sich nach einer rechtlich gebotenen und zeitlich und örtlich gegebenen Aufgliederung, insgesamt gesehen, immer doch nur als außerhalb einer gemeinsamen Zielsetzung stehende, voneinander unabhängige Handlungen einzelner Personen oder doch eng umgrenzter Personengruppen erweisen, und es kann danach nicht gerechtfertigt erscheinen, sie als »typische Erscheinungsformen« eines einheitlichen Planes zu behandeln, die schließlich geeignet waren, eine Charakterisierung der SA als verbrecherisch zu rechtfertigen.

Man wird gegenüber dieser Beweisführung der Verteidigung nicht einwenden können, daß die von ihr gezogenen Schlußfolgerungen nun dessentwegen keinen Anspruch auf die vorbehaltlose Anerkennung erheben können, weil sich die Untersuchung nur auf einen Teil der von der Anklage gegen die Organisationen erfaßten Millionenmasse der Organisationsmitglieder erstreckt habe, und es deshalb nicht gerechtfertigt erscheine, das Ergebnis im Sinne der von der Verteidigung gezogenen Schlußfolgerungen zu verallgemeinern.

Daß ein Teil der Mitglieder nicht gehört werden konnte, meine Herren Richter, ist nicht die Schuld der Verteidigung; denn die Verteidigung hat in Zusammenarbeit mit dem Generalsekretariat alles getan, um die Zeugen aus der russischen Zone schaffen zu lassen, mit denen sie bis zur Benennung als Zeugen noch korrespondieren konnte.

Ich stelle fernerhin auch fest, daß den Mitgliedern der SA, die in der russischen Zone leben, nicht das ihnen gebührende Gehör zuteil werden konnte, da sie nach meinen Informationen zum Großteil in Unkenntnis über die Anklage gegen die Organisationen gehalten wurden. Dies ist einer der wichtigsten Einwände gegen das Verfahren, der immer vor der Geschichte bestehen bleiben wird.

VORSITZENDER: Dr. Böhm! Das ist eine höchst ungehörige Bemerkung, die Sie da machen. Es gibt keinen Beweis dafür, daß Mitglieder der SA in Unwissenheit gehalten worden sind, ganz im Gegenteil. Es ist in den Lagern der russischen Zone die gleiche Bekanntmachung wie in den anderen Zonen angeschlagen gewesen und ein Verteidiger, nämlich Dr. Servatius, der in der russischen Zone war, hat dem Gerichtshof gegenüber keine Beschwerde geäußert. Der Gerichtshof ist der Meinung, daß dies eine Bemerkung ist, die kein Verteidiger machen dürfte.

RA. BÖHM: Jawohl, Herr Vorsitzender; aber gerade aus dem Munde des Herrn Kollegen Dr. Servatius habe ich diese Information erhalten.

VORSITZENDER: Dr. Böhm! Dr. Servatius hat dem Gerichtshof gegenüber nichts Derartiges geäußert; ganz im Gegenteil, er hat erklärt, daß er in der russischen Zone anständig behandelt worden ist.

DR. ROBERT SERVATIUS, VERTEIDIGER DES ANGEKLAGTEN SAUCKEL, VERTEIDIGER FÜR DAS KORPS DER POLITISCHEN LEITER: Herr Präsident! Ich bin in der russischen Zone gewesen und habe »nach meinem Wunsch« zwei Lager besuchen können. Ich habe in meinem Schlußvortrag darauf hingewiesen und gesagt, daß nach meiner Information, die mir zuteil geworden ist, in allen Lagern die Bekanntmachung erfolgt war. Ich selbst hatte nicht mehr Zeit als zwei Lager zu besuchen, die ich mir ausgesucht habe. Ich habe das ja auch hier vorgetragen.

VORSITZENDER: Danke sehr.

RA. BÖHM: Demnach müßte ich die mir zuteil gewordene Information reichlich falsch verstanden haben, Herr Präsident.

Hervorheben möchte ich außerdem die Einschränkungen, die für die Verteidigung dadurch entstanden sind, daß trotz aller Bemühungen und genauester Adressenangabe ein Teil der Zeugen, die in anderen Zonen leben, nicht eingetroffen ist. Es fehlen vor allem die Zeugen Fust, Lucke, Alvensleben und Wallenhöfer. Es fehlen durch das Ausbleiben dieser Zeugen auch die Statistiken der SA und der Hilfskasse, die erst ein gerechtes Urteil über die Vorkommnisse vor dem Jahre 1933 zulassen, aus denen der Terror gegen die SA ersichtlich geworden wäre. Nicht in die Hand der Verteidigung ist außerdem ein Teil der beantragten und in der Vorprüfung durch das Gericht genehmigten Dokumente gekommen.

Der Internationale Militärgerichtshof kann demnach bei dem von ihm zu fällenden Urteil nur davon ausgehen, daß Ungesetzlichkeiten nur von einer beschränkten Anzahl von Personen oder zahlenmäßig begrenzten Personengruppen begangen wurden, deren Tätigkeiten den Organisationen in ihrer Gesamtheit genau so wenig den Stempel des »Verbrecherischen« aufzudrücken vermögen, wie eine in jeder Nation zu findende Anzahl von Verbrechen diese Nation als Verbrechernation zu charakterisieren geeignet wäre.

Zusammenfassend wird man daher vom Standpunkt der Verteidigung feststellen dürfen, daß die gegen die Organisation SA in ihrer Gesamtheit erhobene und in ihren Auswirkungen selbst noch die Toten des Krieges erfassende Anklage grundlegender formeller und materieller Voraussetzungen entbehrt, deren in jeder verurteilenden Erkenntnis des Gerichtshofs liegende Mißachtung, ebensowenig mit dem »gesunden Volksempfinden«, wie mit den aus leidvollen Erfahrungen geborenen Bestrebungen der Vereinten Nationen in Einklang zu bringen ist, nämlich das Vertrauen in fundamentale Menschenrechte wieder herzustellen und die Bedingungen zu schaffen unter denen die Gerechtigkeit und die Achtung vor dem Volksrecht aufrechterhalten werden kann.

Die Anklage führt aus, die Verbrecherischkeiterklärung sei erforderlich, um für die zu einem großen Teil nicht überführbaren unmittelbaren Täter die Voraussetzungen der Verurteilung zu schaffen, wie auch die moralischen Gehilfen zu bestrafen.

Nach den Vorwürfen der Anklage müßte die Oberste SA-Führung, um die hauptsächlichsten Vorwürfe anzuführen, folgendes getan beziehungsweise geduldet haben:

a) einen Angriffskrieg vorbereitet oder geplant, beziehungsweise befohlen haben,

b) Greueltaten oder sonstige Verbrechen in den KZs geduldet oder ausgeführt haben.

In der Beweisführung wurde eindeutig festgestellt, daß von der Obersten SA-Führung diesbezüglich keine Befehle gegeben und keine Untaten geduldet wurden.

Im übrigen ist die Behauptung unrichtig, die wahren Täter wären für die Mehrzahl der Fälle nicht zu erfassen.

Falls tatsächlich ein Angriffskrieg geplant war, so können für die Planung nur wenige, nicht aber vier Millionen in Betracht kommen. Die Täter der örtlich und zeitlich begrenzten Judenverfolgung sind bekannt oder feststellbar. Da die Orte der Judenverfolgungen im November 1938 feststehen, und die Täter durch Zeugen oder sonstwie aktenmäßig überführt werden können, wie die jetzigen Prozesse wegen der im Jahre 1938 stattgefundenen Judenpogrome, zum Beispiel in Weißenburg und Hof, beweisen, ist es unnötig, hier durch eine Verbrecherischkeiterklärung eine Voraussetzung zu schaffen, um so mehr als diese Taten überwiegend von den SA-Mitgliedern abgelehnt wurden. Ebenso stehen die Orte, an denen sich Konzentrationslager befanden, wie auch die Namen der für die dort begangenen Taten Verantwortlichen fest. Dies besagen die zahlreichen Prozesse gegen KZ-Kommandanten und Bewachungsmannschaften. Sollen die Millionen SA-Angehörigen, die zu 70 Prozent an der Front standen, als im Verlauf des zweiten Weltkrieges sich die schrecklichen Vorfälle in den KZs ereigneten, für diese verantwortlich gemacht werden, wenn selbst ehemalige Minister behaupten, von dem dort Begangenen keine Kenntnis gehabt zu haben? Man fasse die unmittelbaren Täter! Eine Kollektivhaftung aber von vier Millionen ist in der Strafrechtsgeschichte erstmalig und einmalig. Sie ist unmenschlich und fußt auf einer Erweiterung des Begriffes »Gehilfe«, die jede Rechtssicherheit und alle Grundsätze sämtlicher Strafrechtsordnungen beiseiteschiebt.

Der Grundgedanke bei der Conspiracy ist der der Strafbarkeit eines Beitritts zu einer organisierten Personengruppe, die im Augenblick des Eintritts bereits verboten ist. Die Eintretenden also müssen bei ihrer Aufnahme das Bewußtsein haben, etwas Rechtswidriges zu tun.

Die nachträgliche Verbrecherischkeiterklärung mit dem Ziele, das Vorgehen gegen einzelne Mitglieder nachträglich zu ermöglichen, verletzt den Grundsatz: »nulla poena sine lege«. Der Internationale Kontrollrat hat diesen Grundsatz in seinem ersten Gesetz über die Rechtspflege in Deutschland ausdrücklich festgelegt. Der Internationale Gerichtshof kann sich nicht über einen allgemeinen Rechtsgrundsatz des für Deutschland maßgebenden interalliierten Gesetzgebungsorgans hinwegsetzen.

Bei der Verbrecherischkeiterklärung wurde ferner noch ein weiterer Grundsatz verletzt. Durch die Anerkennung des deutschen Staates und damit seiner Führung, durch die ständige Teilnahme von Repräsentanten bei hervorragenden Veranstaltungen, darunter auch bei den SA-Kampfspielen, durch die verschiedenen Abkommen gaben die alliierten Mächte ein Beispiel dafür, daß sie die deutsche Führung und ihre Organisationen als rechtmäßig anerkannten. Das von mir zitierte Dokument SA-229: »Die politischen Ordonnanzen der Interalliierten Rheinlandkommission und ihre Anwendung in den Jahren 1920 bis 1924« ergibt, daß am 21. März 1925 die Rheinlandkommission das Verbot der deutschen Freiheitspartei und der Nationalsozialistischen Partei aufgehoben hat. Eine eidesstattliche Versicherung aus der Pfalz (Affidavit Allgemeine SA-42) die von der Verteidigung vorgelegt wurde, zeigt auf, daß sämtliche Veranstaltungen der NSDAP, wie auch der SA von der französischen Besatzungsbehörde vor dem Jahre 1930 genehmigt wurden. Die Außenpolitik der alliierten Staaten dürfte bessere Einblicke in die politischen Gesamtverhältnisse gehabt haben, als die einfachen SA-Angehörigen in ihrer Millionenzahl, die bei dieser außenpolitischen Situation das Bewußtsein, etwas Rechtswidriges durch den Eintritt oder das Verbleiben in der SA zu tun, nicht haben konnten. Die jetzige Verfolgung der damals anerkannten Organisation widerspricht dem allgemein anerkannten Rechtsgrundsatz: »nemo in factum proprium venire potest«, das ist: »Niemand darf sich in Gegensatz zu seinem früheren Verhalten stellen.« Dieser Grundsatz des römischen Rechtes, das als Auslegungsregel im Völkerbund verwendet wird, beansprucht allgemeine Geltung.

Die Anklage arbeitet bezüglich der SA mit einer Reihe von Vereinfachungen hinsichtlich Zweck, Ort, Zeit und mitwirkenden Personenkreisen, die es der Anklage erst ermöglichen, eine Begründung der Verbrecherischkeiterklärung herbeizuführen. Mit anderen Worten: Die Anklage verhält sich so, als sei die ganze Zeit hindurch eine einheitliche Person, »die SA«, da, mit einer einheitlichen Führung, Verantwortlichkeit, einheitlichem Zweck, Vorsatz, Mitgliederkreis und einheitlicher Gebarung. Ohne solche Verallgemeinerungen kommt die Anklage überhaupt nicht zu ihrem Ziel, zum Beispiel in der Frage des Angriffskrieges und der Judenverfolgungen. Sie setzt sich damit über das eigentliche Problem der Massenhaftung hinweg, das gerechterweise nur an Hand einer großen Zahl von Einzelfeststellungen gelöst werden kann, und die Erforschung der Übereinstimmung von Handlung und Ziel bei der Mehrzahl der Mitglieder fordert. Es kann demgegenüber nicht deutlich genug auf die tatsächliche Aufsplitterung gerade bei der SA hinsichtlich der Zielsetzung der Führungskreise, sowie des Mitgliederstandes, wie auf die örtliche und zeitliche Begrenzung der Taten hingewiesen werden, die das Vorgefallene bei einer Organisation von vier Millionen zu zeitlich, örtlich und persönlich begrenzten Einzelvorgängen in einer Bestehensdauer von über 20 Jahren stempeln.

Vorsatz, das innere Wollen, sowie die Kenntnis des verbrecherischen Zweckes und der Tatbestandselemente, sowie das allgemeine Bewußtsein der Rechtswidrigkeit hätte die Staatsanwaltschaft der Mehrheit der SA-Angehörigen nachweisen müssen. Da dies unmöglich ist, stellt sie den Satz auf, die Tatbestände und die Zwecke hätten so klar gelegen, daß sie jeder hätte erkennen können. Wenn dies alles für Millionen einfacher Menschen so klar lag, weswegen haben dann die Alliierten bis 1939 mit diesem auf Verbrecherbanden gestützten Staat Beziehungen unterhalten und Verträge abgeschlossen? Der Satz, die Angehörigen hätten bei dieser Sachlage die verbrecherischen Ziele und Taten kennen können und müssen, verzichtet auf eine wirkliche Prüfung der Kenntnis der Mehrzahl der Mitglieder.

Die Anklage begnügt sich praktisch mit einer Fiktion des Vorsatzes. Sie übersieht dabei unzählige Reden, die zur Täuschung des deutschen Volkes gehalten wurden, sie vergißt,

erstens, daß ausländische Zitate über den Wert des nationalsozialistischen Staates in die Presse übernommen worden sind;

zweitens, daß im Laufe der zwölf Jahre die tatsächlichen Ereignisse verschleiert oder doch geschickt zurechtgestutzt dem deutschen Volke und der Masse der SA-Mitglieder vorgetragen wurden.

Daß im übrigen der Vorsatz nur in Verbindung mit konkreten Tatbeständen erörtert werden kann, auf die ich in meinen späteren Ausführungen noch zu sprechen komme, ist so selbstverständlich, daß ich darüber kein Wort zu verlieren brauche. Ich bemerke nur, daß unzählige eidesstattliche Versicherungen der übergebenen kollektiven Zusammenstellung die Nichtkenntnis und Nichtteilnahme an folgenden Verbrechen beweisen: Judenverfolgungen, Planung eines Angriffskrieges oder Begehung von Greueltaten aller Art.

Vor allem sei auch darauf hingewiesen, daß zwischen den Hauptangeklagten und ihren Handlungen und der Mitgliedschaft in der SA kein Zusammenhang besteht. Die SA kann – wenn überhaupt – nur für Taten haften, die von Personen in ihrer Eigenschaft als SA-Angehörige oder SA-Führer, nicht aber zum Beispiel als Reichsminister, Reichsleiter, Gauleiter, Gebietskommissare oder dergleichen mehr begangen wurden. Reichsmarschall Göring spielte außer seinem kurzen Gastspiel vor dem 9. November 1923 in der SA keine Rolle, sein Rang war später nur der eines Ehrenführers. Dasselbe gilt von dem Angeklagten Frank, seine angeblichen Taten als Generalgouverneur von Polen können der SA nicht zur Last gelegt werden. Er war nicht der Führer der SA-Formationen, die aus den im Generalgouvernement eingesetzten Reichsdeutschen und aus Volksdeutschen bestanden. Rosenberg, Bormann, Schirach, Streicher, Heß und Sauckel hatten kein Verhältnis zur SA. Bormann war, wie die Zeugenaussage Jüttners hervorhebt, einer der schärfsten Gegner der SA. Streicher war der Mann, der den SA-Obergruppenführer Stegmann beseitigte.

Die Propaganda, der auch die Anklage zum Opfer gefallen ist, zeigt einen nationalsozialistischen Staat, in dem einerseits Partei, Staat und Wehrmacht, andererseits die Partei und ihre Gliederungen ein einheitliches Ganzes darstellen. In Wirklichkeit waren tiefgehende Gegensätze vorhanden. Gerade diese Gegensätze gaben Adolf Hitler eine unerhörte Macht über die Personen und eine unerhörte Selbständigkeit, die er nur mit wenig Vertrauten wahrnahm, wie jetzt erst klar zutage tritt. Es sei hier nur an die verschiedenen Auffassungen innerhalb der Partei, als auch zwischen den führenden Männern, wie etwa Göring, Goebbels und Himmler, Lutze, in der Kirchenfrage und in der Judenfrage erinnert. Es war für den Durchschnittsmenschen und auch für das Durchschnittsorganisationsmitglied nicht einfach, durch die Vielfältigkeit der Tendenzen hindurch eine eindeutige Linie zu sehen und zu finden.

Keine Frage aber, insbesondere die von Krieg und Frieden, war hinsichtlich ihrer Lösung derartig, daß sie Sache einer Conspiracy sein könnte.

Die Zeugenaussage Jüttners, wie die Affidavits Hörauf und Freund weisen darauf hin, daß die Oberste SA-Führung bis zu dem Zeitpunkt, da sie politisch ausgeschaltet war, in enger Verbindung mit englischen und französischen Kreisen stand, um einen Westpakt zu schaffen. Ich habe nachgewiesen, daß in dem Rahmen dieser Verhandlungen finanzielle Unterstützungen des Auslandes für die SA vorhanden waren, fernerhin habe ich aufgezeigt, daß die SA-Führung 1932 mit deutschen Regierungskreisen gegen Hitler Koalitionsverhandlungen tätigte. Ich habe bewiesen, daß politisch gesehen drei Willensrichtungen in außenpolitischer Hinsicht gegeben waren, wie ich auch aufgezeigt habe, daß sich die Ost- und Westlinie gegenüberstanden. In diesem Zusammenhang darf ich an den von der englischen Anklagevertretung ausgesprochenen Satz verweisen aus dem Protokoll vom 31. Juli 1946. Ich zitiere:

»Wenn deutscherseits aufgezeigt werden könnte, daß die Englische Regierung die SA, um an die Macht zu kommen, wirtschaftlich unterstützt hätte unter der Bedingung, daß Röhm an die Macht käme, dann hätte allerdings die Verteidigung ihren Fall bedeutend weiter vorwärts gebracht. Denn selbstverständlich konnte doch die Regierung von 1946 an dem Prozeß gegen die SA nicht teilnehmen, wenn sie die SA 1934 unterstützt hätte.«

Wie eindeutig aber die Verhandlungen zwischen den englisch-französischen politischen Kreisen und der SA-Führung gewesen sind, zeigt klar und eindeutig das Affidavit Hörauf. Ich habe auch nachgewiesen, daß die Fühlungnahme mit den englischen und französischen Kreisen einen Faden für die Ereignisse im Jahre 1934 darstellt.

Die Anklage macht der SA den Vorwurf, in den Händen der Verschwörer jederzeit ein williges Werkzeug gewesen zu sein. Als bester Beweis für das Gegenteil dürften die Ereignisse des 30. Juni 1934 gelten. Immer und immer vernimmt man im Zusammenhang mit den Ereignissen des 30. Juni 1934 die irrtümliche Auffassung, als sei es an diesen Tagen gelungen, einen SA-Putsch, einen Putsch eines zur Macht drängenden Klüngels niederzuschlagen. Nichts ist irriger als dieser Gedankengang. Denn es ist so, daß die SA im Rahmen der Partei mehr oder weniger, wie das Affidavit von Freund – Allgemeine SA-83 – zeigt, ihr eigenes Leben führte. Zweifelsfrei steht fest, daß die Masse der SA mit der Partei keinerlei oder wenig Fühlung in der Zeit des Stabschefs Röhm hatte. 1934 war eine Situation, in der bereits jede freie Meinungsäußerung, vor allem auch in der Partei selbst, unterdrückt und das Schema zur Gottheit erhoben wurde. Alles unterlag dem Gleichschaltungstrieb, der Zwang triumphierte, er beherrschte das gesamte öffentliche Leben. Schon damals war die Reichsregierung mehr oder weniger ausgeschaltet. Der Reichstag war lediglich eine Attrappe und hatte keinerlei positiven Wert.

Einstens war die SA begeistert für einen Führerstaat eingetreten, jetzt sah sie, daß Hitler, der, wie Stabschef Röhm es ausdrückte, sich mit Demagogen und Nicht-Politikern umgab, und statt zum Volksführer zum Diktator geworden war. Einer derartigen Entwicklung sah die Oberste SA-Führung mit wachsendem Mißtrauen entgegen; barg sie doch die große Gefahr in sich, daß das deutsche Volk, das dem Führer Blankovollmachten gegeben hatte, von der zukünftigen Gestaltung des Reiches und seiner Politik restlos ausgeschaltet würde. Diese Gefahr und die Zwangszustände schufen eine unhaltbare Situation. So entstand, zunächst streng getarnt, die Opposition der Obersten SA-Führung unter Führung des Stabschefs Röhm.

Es war beabsichtigt, das bisherige System auszuschalten und durch eine wirkliche Volksregierung unter tätiger Mitarbeit des Volkes selbst zu ersetzen. In dieser Richtung gingen alle Vorbereitungen, die auch in der Kommissionssitzung durch den Zeugen Jüttner erwähnt worden sind. Es wurde nachgewiesen, daß Röhm in der beabsichtigten Kulmbacher Tagung sich auch über die Lage der Arbeiterschaft informieren wollte, die durch die Auflösung der Gewerkschaften durch Ley entstanden war. Es sei ausdrücklich hier erwähnt, daß Röhm zur Auflösung der Gewerkschaften SA-Angehörige nur deshalb zur Verfügung stellte, da in den Gewerkschaftshäusern Waffen der Linksorganisation vorhanden waren und jeden Augenblick zu erwarten war, daß von diesen Gewerkschaftshäusern heraus der Bürgerkrieg in das Volk getragen werden konnte.

Röhm beabsichtigte, die SS aufzulösen. Das ist bewiesen durch die eidesstattlichen Erklärungen des ehemaligen SA-Brigadeführers Freund. Mit diesem neuen Staat, der entstehen sollte, steht das Röhmsche Unternehmen in Verbindung, auf dem Verhandlungswege mit den Westmächten die Konsolidierung des mitteleuropäischen Raumes zu erreichen. Es wurde nachgewiesen, daß diese Verhandlungen jahrelang bereits schwebten (Aussage Jüttner, Affidavit Freund).

Einer der letzten Verhandlungsträger war der SA- Obergruppenführer von Detten, wie die eidesstattliche Erklärung des Brigadeführers Freund feststellt. Die sämtlichen Dokumente, die den wehrpolitischen Teil der SA durch die Anklage behandeln, stehen in Verbindung mit diesem mißglückten Versuch des Stabschefs Röhm. Röhm dachte, wie der Zeuge Jüttner klar ausgesagt hat, an den Aufbau einer Volksmiliz nach Schweizer Muster aus dem Rahmen der SA heraus in dem großen Plan der Bildung eines Westpaktes. Es ist bedauerlich, daß vor Gericht einige Zeugen nicht gebracht werden konnten, die darüber noch weiteren Aufschluß hätten geben können. Der Versuch Röhms scheiterte. Zu seinem Sturz trugen außerdem noch bei die Differenzen mit der Reichswehr.

Der 30. Juni 1934 ist das Ergebnis dieser Entwicklung. Der erste Versuch, die Diktatur Hitlers zu beseitigen, war endgültig mißglückt. Über 200 SA-Führer wurden erschossen. Seitdem war Heinrich Himmler ungekrönter König in Deutschland.

Die wahren Hintergründe des 30. Juni 1934 sollten in Deutschland und im Auslande nicht bekanntwerden, da sonst das Prestige Hitlers und seiner Regierung aufs schwerste ins Wanken gekommen wäre. Deshalb wurde auch der groß aufgezogene Vernebelungsapparat der Presse zur Ablenkung der Masse gestartet und deshalb haben wir auch die verhältnismäßig große Anzahl von Erschossenen, die nicht mehr reden konnten beziehungsweise nicht mehr reden sollten. In der Partei war es verboten, über den 30. Juni 1934 zu sprechen.

Es ist eine interessante Parallele, daß am 20. Juli 1944 gleichfalls ein SA-Führer beteiligt war, und zwar SA-Obergruppenführer Graf Helldorf. Er wurde gehängt.

Seit dem 30. Juni 1934 war die SA zur vollkommenen Bedeutungslosigkeit herabgesunken. Die SA nach dem 30. Juni 1934 wurde als unliebsames Anhängsel betrachtet. Die SA wurde als politisch unzuverlässig angesehen. Deshalb erhielt sie auch, wie in Zeugenaussagen vor der Kommission wiederholt festgestellt wurde, keine Aufgaben mehr. Das Schicksal der SA seit diesem Tag war nur mehr ein Suchen nach einer Aufgabe. Offiziell sollte die SA die wehrpolitische Erziehung und den Sportgedanken selbst in die Hand nehmen.

In Wirklichkeit betraute aber die Partei die SA mit gänzlich untergeordneten Aufgaben. Die Einstellung der Partei gegen die SA zeigt sich vor allem auch im Jahre 1939. Bormann war es, wie der Zeuge Jüttner klar ausgesagt hat, der die Verordnung vom 30. Januar 1939 sabotierte und die geplante vormilitärische Erziehungsaufgabe der SA nicht durchführen ließ. Der Zeuge Bock hat uns von den Vorbereitungen und dem Anlaufen des vormilitärischen und nachmilitärischen Erziehungsprogramms berichtet. Er hat aber auch ausgesagt, daß diese Aufgabe der SA eingestellt worden ist. Erst die Kriegsereignisse brachten dann die sogenannten Kriegs-SA-Wehrmannschaften.

So konnte die SA niemals, wie die Anklage sagt, fieberhaft an den Kriegsvorbereitungen teilnehmen: Es ist vollständig ausgeschlossen, daß, wie die Anklage angibt, 25000 Offiziere auf SA-Schulen ausgebildet worden sind. Einwandfrei wurde hier die Anklage durch die Aussage der Zeugen Jüttner und Bock widerlegt. Wie unzuverlässig die SA in den Augen Bormanns geworden war, zeigt sich, daß der Volkssturm nicht auf die SA aufgebaut worden ist. Aus einer vorgelegten eidesstattlichen Erklärung ersehen wir, daß der Grund hierfür die Unzuverlässigkeit der SA war. (Allgemeine SA-67.)

Die Ausschaltung der SA zeigt sich rein äußerlich, wenn wir daran denken, daß Röhm Stabschef, Reichsleiter und Reichsminister, Lutze Stabschef und Reichsleiter, Schepmann nur mehr Stabschef gewesen ist.

Viel diskutiert wurde in den Kommissionssitzungen über die wehrsportliche Aufgabe der SA. Nichts ist mehr verkannt worden als diese. Die SA wird von der Anklage geschildert als eine halbmilitärische Freiwilligenorganisation, obwohl die Aufgaben der Wehrmacht und der SA voneinander eindeutig abgegrenzt sind. Mißverständnisse entwickelten sich vor allem deswegen, weil es für das Wort »Wehr« keine richtige englische Übersetzung gibt. Trotzdem dürfte dieser Begriff geklärt sein; denn die Anklage selbst legt das Dokument 2471-PS vor. In diesem Dokument heißt es:

»SA: Trägerin des Wehrwillens. –

Die SA nimmt für sich in Anspruch, Trägerin des Wehrwillens und der Wehrkraft des deutschen Volkes zu sein.

Die Betonung dieser Eigenschaft mag im Auslande teils dadurch zu Mißverständnissen geführt haben, daß fremde Sprachen den Begriff ›Wehrwillen‹ oder ›Wehrkraft‹ nicht richtig auszudrücken vermögen, sondern ihn in Ermangelung eines anderen Ausdruckes mit ›Kriegswillen‹ oder ›Kriegskraft‹ übersetzen, während es richtig ›Verteidigungswillen‹ oder ›Verteidigungskraft‹ heißen müßte. Denn ›sich wehren‹ ist eine sprachliche Umwandlung von Abwehr.

Der sich Wehrende ist also in jedem Fall der Angegriffene! Und deshalb sind die Unterstellungen militärischer Angriffsabsichten geradezu unsinnig.«

Die Wehrmacht in ihrer letzten Auswirkung ist die zusammengeballte, ausgebildete und geführte Kraft aller wehrfähigen Männer. Die SA hatte zu keiner Zeit mit dieser in der Wehrmacht gegebenen technisch-militärischen Ausbildung zu tun. Das SA- Sportabzeichen ist deshalb falsch von der Staatsanwaltschaft beurteilt. Es wird zugegeben, daß das SA- Sportabzeichen die Erziehung zum wehrhaften Bürger zum Zwecke hatte. Es heißt ja auch in der ersten Urkunde vom 15. Februar 1935: »Der neue Staat verlangt ein widerstandsfähiges, hartes Geschlecht.«

In den Ausführungsbestimmungen zu der Urkunde vom 18. März 1937 wird ausgeführt:

»Die kämpferische Schulung, des Leibes ist nicht Selbstzweck, sondern das Mittel, die deutschen Männer geistig, körperlich zu festigen, ihre Leistungsfähigkeit zu steigern und sie bis ins hohe Lebensalter hinein einsatzfähig und einsatzbereit zur Erhaltung der Nation zu machen.«

Ebenfalls wird zugegeben, daß Parallelen zwischen der Arbeit der Wehrmacht und der SA bestehen. Es war gedacht:

Die SA erzieht den deutschen Mann zum nationalsozialistischen und politischen Kämpfer, die Wehrmacht gibt ihm die charakterliche und technische Ausbildung des Waffenträgers, sie erzieht ihn zum Landesverteidiger. Zu weit geht es aber, von der SA als einer militärischen Truppe zu sprechen. Ein militärischer Wert der SA war zu keinem Zeitpunkt gegeben. Ein Verein, der zwar in die Millionen ging, aber nur im gleichen Schritt marschierte, das war die SA. Dann und wann wurden Geländespiele durchgeführt, aber bei den Geländespielen war die Zugrundelegung von militärischen Lagen verboten. Die SA-Leute hörten sich einen Vortrag an, und wie es in einem Schützenverein der Fall ist, wurde alle 14 Tage einmal auch Kleinkalibergewehr geschossen. Die SA ist deshalb noch lange keine Truppe, selbst wenn maximal gesehen jeder Sturm über fünf Kleinkaliberbüchsen verfügt hätte, was jedoch allgemein noch nicht einmal zutraf. Niemals besaß die SA schwere Waffen, geschweige denn, daß an diesen geübt worden wäre. Das Verhältnis der SA zur Wehrmacht war dementsprechend. Zu keinem Zeitpunkt wurde sie von der Wehrmacht anerkannt. Der Dienstgrad in der SA – mag er noch so hoch gewesen sein – hatte nicht den geringsten Einfluß auf den Dienstgrad der Wehrmacht. Im Gegenteil. Er wirkte sich oft beförderungshemmend aus. Spezialausbildungsscheine der SA, wie Reiterscheine, Sanitätsscheine, Funkscheine, fanden in der Wehrmacht keine Anerkennung. Es ist geradezu witzig, wenn wir in eidesstattlichen Erklärungen lesen, daß SA-Leute von Pioniereinheiten bei Nachrichtenregimentern verwendet worden sind, SA-Leute aus Nachrichtenabteilungen bei Pioniereinheiten des Heeres. Im einzelnen sei festgestellt:

Erstens: Die SA-Uniform war für militärische Zwecke die denkbar ungeeignetste Uniform. Ich verweise in diesem Zusammenhang auf die Ausführungen des Zeugen Bock.

Zweitens: Außer den bereits erwähnten Kleinkalibergewehren war lediglich Dolch und Pistole erlaubt. Dazu kommt, daß der Dolch erst nach dem Jahre 1933 eingeführt worden ist. Pistolen besaßen nur die Sturmführer und hier auch nur ein Teil der Sturmführer; nämlich nur diejenigen waren Pistolenträger, für die die in Deutschland üblichen Voraussetzungen des Waffenscheines zutrafen.

Drittens: In der SA gab es keine Transportmittel.

Viertens: In der SA war kein Park von schweren Waffen und kein Arsenal von Handfeuerwaffen vorhanden. Eine Ausbildung an ihnen konnte deshalb nicht geschehen.

Fünftens: Die SA-Einheiten entsprachen nicht den militärischen Verbänden.

Die Zusammensetzung und Aufstellung erfolgte nicht nach dem Gesichtspunkt etwaigen militärischen Einsatzes. In der SA gab es mit Ausnahme der Standarte »Feldherrnhalle« keine Kasernierung. Die wehrmäßige Zuständigkeit (Wehrmeldeamt und WBK) war mit der SA-Einteilung nicht übereinstimmend. Eine Standarte auf dem Lande zum Beispiel war territorial in viele kleine Stürme oder Trupps zersplittert, der Zahl nach nicht bestimmt und nicht mit einem militärischen Regiment vergleichbar.

Sechstens: Eine schnelle Befehlsleitung war nicht möglich.

Siebentens: Militärische Verbandsübungen fanden nicht statt.

Achtens: Die SA-Spezialverbände dienten keinen militärischen Aufgaben. Sie hatten keine Militärausrüstung, wie sie auch keinen Militärwert und keinen Militärauftrag hatten. Die Reiter-SA-Stürme dienten dem Reit- und Fahrsport, die Pionierstürme dem Katastrophenunfalldienst, die Nachrichtenstürme sahen ihre Aufgabe im Signallesen bei Veranstaltungen mit primitiven unmodernen Mitteln ohne Funkdienst, der, wie aus einer eidesstattlichen Versicherung hervorgeht, verboten war. Die Sanitätsstürme der SA dienten bei Unfällen. Ihre Aufgaben lagen außerdem im Bereich des Gesundheitsdienstes. Ihre Ausbildung erfolgte im Rahmen der Genfer Konvention (Aussage Bock, Affidavit Allgemeine SA-90).

Neuntens: Die sogenannten Heeresverbände »Feldherrnhalle« unterstanden nicht der Obersten SA-Führung, wie aus der eidesstattlichen Erklärung des ehemaligen Generalmajors Pape hervorgeht (Allgemeine SA-18).

Zehntens: Die SA-Führung wurde nicht nach militärischen Gesichtspunkten und Tätigkeiten ausgewählt. (Aussage Bock.)

Daß die SA unfähig war, eine militärische Ausbildung durchzuführen, ergab das Verhör des Angeklagten von Schirach. Während des Krieges wurde länger als ein Jahr der SA ein Abkommen im Entwurf vorgelegt, auf Grund dessen die SA der HJ Personen zur Ausbildung der Jugend in Wehrertüchtigungslagern, ähnlich wie die SS und die Polizei, zur Verfügung stellen sollte. Dokumentarisch in Exhibit US-867 ist festgehalten, daß die SA-Führerschaft diesem Wunsche nicht stattgegeben hat. Der Angeklagte von Schirach gibt als Grund an, daß die SA dazu nicht fähig war.

Verwechselt wurden von der Anklage die Begriffe Wehrmannschaften und SA-Wehrmannschaften. Im besetzten Gebiet stellten die Wehrmannschaften die Zusammenfassung örtlicher ziviler Dienststellen dar, die sich im allgemeinen nur mit Verwaltung befaßten, aber im Falle der Gefahr im rückwärtigen Gebiet zu ihrer Verteidigung zusammengefaßt wurden. Außerdem gab es im besetzten Gebiet unter dem Ausdruck »Wehrmannschaften« Ortsansässige, zum Beispiel Litauer, Letten, Esten oder Weißruthenen, die ebenfalls sich gegen Banden wehren wollten.

Dagegen versteht man unter »SA-Wehrmannschaften« Formationen aus dem Reichsgebiet, die vor allem die nach ihrem Militärdienst aus der Wehrmacht entlassenen SA-Leute zusammenschließen sollte, um ihre Wehrtüchtigkeit zu erhalten. Sie sollten also einen gewissen Ersatz für die früheren Kriegervereine darstellen.

Die Englische Anklagebehörde legt in dankenswerter Weise unter ihren Anklagedokumenten Artikel aus dem »SA-Mann« vor, aus denen hervorgeht, was unter militärischer Ausbildung wirklich zu verstehen ist. Wahrscheinlich zum Vergleiche, ob die SA militärische Ausbildung betrieben hat, zitiert sie diese Artikel, die die Ausbildung der englischen, französischen, russischen und italienischen Jugend, aber auch die der englischen Dominien-Jugend und die der französischen Jugend in Betracht ziehen. Aus ihnen geht klar hervor, daß die Oberste SA-Führung keine derartige Ausbildung betrieben hat.

Das Verbindungsstück sollte zwischen der militärischen Ausbildung der SA und dem Angriffskrieg eine Artikelreihe über den sogenannten Lebensraum darstellen, die die Englische Anklagebehörde inzwischen allerdings zurückgezogen hat, da aus dieser Artikelreihe nicht das hervorgeht, was sie behaupten wollte. Die von der Englischen Anklagebehörde zitierten Artikel über das Kolonialproblem beinhaltet nur eine friedliche Rückgewinnung der Kolonien. Von irgendeinem kriegstreiberischen Sinne in diesen Artikeln war, wie die Kommissionsverhandlung gezeigt hat, nichts zu erblicken. Deshalb ist der Sprung, den die Anklagebehörde macht, um die Herbeiführung eines Angriffskrieges durch die SA zu beweisen, ein Sprung in das Leere. Im Gegenteil habe ich bewiesen, daß die Oberste SA-Führung alles getan hat, um zur Völkerverständigung beizutragen. Deutlich ging dies aus den Ausführungen des Zeugen Oberlindober hervor. Ich habe ebenfalls bewiesen, daß auf den Führerschulen der SA nur einzelne weltanschauliche politische Ausbildung betrieben worden ist, aber keine militärische. Wir ersehen aus eidesstattlichen Erklärungen, daß Lieder, aus denen vielleicht eine aggressive Tendenz zu ersehen gewesen wäre, von der Obersten SA-Führung verboten worden sind. Ich habe gezeigt, daß einzelne SA-Leute, die versuchten einen Revanchekrieg zu predigen, aus der SA ausgestoßen wurden. Ich habe schließlich aufgezeigt, daß für den Reichsparteitag von 1939 seitens der SA-Führung Vorbereitungen getroffen wurden, die etwaigen Kriegsplänen entgegengesetzt waren. Wir haben dies auch durch die Aussage des Zeugen Dr. Geyer, durch die Affidavits von Koch und Zellenhöfer aufgeklärt. Schließlich trat uns in der Verhandlung vor der Kommission ein Abkommen zwischen SA und Wehrmacht vor Augen, das ein Gegengewicht gegen etwaige militärische aggressive Tendenzen von Hitler, Himmler und Goebbels darstellen sollte (Affidavit Allgemeine SA-1).

Vollständig abwegig ist ebenfalls die Auffassung der Anklage, daß die SA dazu gegründet worden ist, um mit Terror die politischen Gegner niederzuwerfen und dadurch die Bahn für einen Angriffskrieg freizumachen. Derjenige, der die politischen Verhältnisse in Deutschland kennt und ohne propagandistische Brille betrachtet, wundert sich, wie man zu einer solchen Auffassung gelangen kann. Die amtlich festgestellten Waffenlager der KPD und die eindeutige Haltung der KPD sprechen eine eindeutige Sprache. (Dokument SA-287.) Welchen Umfang daneben der politische Kampf der KPD und der sonstigen linksradikalen Elemente, der durch diese Organisationen auf die Straße getragen worden ist, angenommen hat, ersehen wir aus der Aussage des Zeugen Bock vor der Kommission der bewiesen hat, daß die Hilfskasse der NSDAP gegründet werden mußte, um für die Opfer der NSDAP, die sich aus dem linksradikalen Terror ergaben, zu sorgen. Es darf darauf hingewiesen werden, daß die KPD es war, die den Bürgerkrieg, den Generalstreik, den politischen Massenstreik als notwendige politische Kampfmittel betrachtete, wie aus der Entscheidung des Staatsgerichtshofs zum Schutz der deutschen Republik hervorging, die ich im Dokumentenbuch dem Hohen Gericht vorgelegt habe (Dokument SA-285). Daß dieser politische Terror im Rahmen der Weltrevolution geschah, ersehen wir ebenfalls aus einer Entscheidung des Staatsgerichtshofs zum Schutze der deutschen Republik. Das hat uns auch der Zeuge Jüttner angedeutet, als er von der Idee des defensiven Westpaktes gegen die Weltrevolutionsbestrebungen sprach (Dokument SA-286), in dessen Rahmen nach eigenem Geständnis die kommunistische Internationale unter anderem die Revolution in Finnland, in Österreich, in Ungarn, in Bulgarien, in Syrien startete. Man kann ohne jede Übertreibung sagen, ohne die marxistische Klassenkampftheorie und die Ereignisse, die zu dieser führten, wären zweifellos die Grundlagen nicht entstanden, die den Schutz einer geistigen Bewegung durch die SA erforderten. Diesen Standpunkt nimmt auch der Zeuge Gisevius ein, wenn er aussagt:

»Die SA entsteht in jener Nachkriegszeit, wo es in Deutschland schon oder noch revolutionär zugeht. Wenn man so will, ist sie ein letzter Ausläufer der Spartakuswelle von 1918. Der rote Druck erzeugt braunen Gegendruck und dessen äußere Erscheinungsformel heißt fortan: SA.«

Die Anklage hat ihrerseits eindeutige Dokumente des »Der SA-Mann«, der zwar kein offizielles Organ der Obersten SA-Führung war, vorgelegt, die aber in diesem Falle eindeutige Beweise enthalten, auf wessen Seite der Terror war, und das war zweifellos auf Seite der KPD. Ich will im einzelnen diese Artikel nicht benennen, die dies beinhalten. Ich möchte nur auf das Anklagedokument 3050-PS verweisen, in dem Artikel des »Der SA-Mann«, im übrigen von der Anklage verzerrt und aus dem Zusammenhang gerissen, wiedergegeben worden sind. (Vergleiche Zeugenaussagen Klähn und Bock vor der Kommission.)

OBERST POKROWSKY: Herr Vorsitzender! Der Anwalt will der Anklagebehörde vorwerfen, sie hätte Beweismaterial vorgelegt, das von der Anklagebehörde niemals vorgelegt wurde; ich erhebe entschieden Einspruch gegen eine solche Methode von seiten Dr. Böhms, nachdem er dadurch offensichtlich versuchen will, nationalsozialistische Verleumdungen und faschistische verleumderische Mentalität einzuschmuggeln. Ich bitte den Gerichtshof, den folgenden Absatz nicht zuzulassen, in der russischen Übersetzung auf Seite 29 der erste Absatz. Euer Lordschaft! Ich möchte den Gerichtshof darauf aufmerksam machen, daß hier eine offensichtliche Entstellung der Tatsachen vorliegt. Es stimmt wohl, daß das Dokument Nummer 3050-PS von der Anklagebehörde vorgelegt worden ist, es ist jedoch ein Bündel Zeitungen, einige Jahrgänge der nichtamtlichen Zeitschrift »Der SA-Mann«. Der Anwalt hätte nach der genauen Verfügung und Bestimmung des Gerichtshofs, wenn er sich auf dieses Dokument oder einen Teil davon berufen will, dem Beispiel der anderen Anwälte folgen, und nur auf den besonderen Teil des Dokumentes 3050-PS hinweisen sollen, den er in seinem Plädoyer zu zitieren beabsichtigt. Das hat er nicht getan. Er schreibt auf diese Weise der Anklagebehörde die Vorlage von Beweismaterial zu, das die Anklagebehörde gar nicht vorzulegen beabsichtigte und das ist nicht richtig. Mir scheint, daß der Anwalt keinen Grund hat, sich darauf zu berufen, worauf er sich beruft – und zwar auf Absatz 1 Seite 29.

VORSITZENDER: Ich verstehe Ihren Einspruch nicht ganz, ich habe eine Übersetzung vor mir, die lautet: »Die Anklagebehörde hat auch Dokumente vorgelegt, die aus der ›Associated Press‹ stammen, wie in der Kommissionssitzung bewiesen wurde...« Soviel ich verstehe, wurde das von der Anklagebehörde vorgelegt, stimmt das?

OBERST POKROWSKY: Das Dokument 3050-PS, Euer Lordschaft, ist eine Sammlung der Zeitung »Der SA-Mann« von 1934 bis 1939. Einige Teile des Materials sind tatsächlich von der Anklagebehörde verlesen worden. Aber mir scheint, wenn der Verteidiger einen Teil dieses Materials verwenden wollte, der von der Anklagebehörde nicht verlesen wurde, jedoch in dem Dokument 3050-PS enthalten ist, so hätte er es bei der Vorlage seines Beweismaterials erwähnen müssen, oder er durfte aus diesem Beweismaterial überhaupt nicht zitieren: So haben wir diese Angelegenheit verstanden, Herr Vorsitzender. Es handelt sich um das Zitat aus dieser Zeitung »Der SA-Mann«.

VORSITZENDER: Hat der Gerichtshof nicht zu Beginn bestimmt, daß die Angeklagten sich auf jeden anderen Teil des Dokumentes beziehen können, von dem ein Teil von der Anklagebehörde vorgelegt worden ist? Ist das nicht genau das, was er tut, daß er sich auf einige andere Seiten des Dokumentes beruft, das von der Anklagebehörde vorgelegt wurde? Zu Beginn des Verfahrens hat der Gerichtshof für diese Fälle eine Verfügung erlassen, gerade um diese Situation zu erfassen. Es ist doch genau dieselbe Sache.

OBERST POKROWSKY: Die Anklagebehörde kennt die Verfügung des Gerichtshofs, Euer Lordschaft, aber sie hat sie so verstanden, wie ich es dargelegt habe. Uns schien es so und unser Standpunkt ist durch das bisherige Verhalten der Verteidiger bekräftigt worden. Der Verteidiger wäre verpflichtet gewesen, den Teil des Dokumentes, der von der Anklagebehörde vorgelegt, jedoch nicht verlesen worden ist, als Beweismaterial selbst einzureichen, wenn er ihn als Beweismaterial verwenden wollte. Dr. Böhm hat das nicht getan.

RA. BÖHM: Herr Präsident, darf ich mich dazu äußern?

VORSITZENDER: Nein.

Oberst Pokrowsky! Er sagt nicht ausdrücklich, daß es von der Anklage benutzt worden ist, sondern er erklärt ausdrücklich, worauf er sich beruft, und ich halte es wirklich nicht für unzulässig, sich auf einen anderen Teil des Dokumentes in dieser Weise zu berufen.

OBERST POKROWSKY: Mir scheint, Euer Lordschaft, daß diese Art der Benutzung von Dokumenten durch die Verteidigung unzulässig ist, und zwar aus dem Grund, den ich soeben dargelegt habe. Ich möchte noch einmal bemerken, daß er nach meiner Ansicht verpflichtet gewesen wäre, bei der Vorlage seines Beweismaterials diesen Teil des Dokumentes 3050-PS mit vorzulegen.

VORSITZENDER: Der Teil des Dokumentes, den er anführt, ist von der Anklagebehörde nicht verwendet worden. Was Sie also wünschen, ist geschehen.

OBERST POKROWSKY: Jawohl, das ist richtig. Sie haben vollkommen recht, Herr Vorsitzender, ich danke Ihnen.

VORSITZENDER: Fahren Sie fort, Dr. Böhm.

RA. BÖHM: Ich habe mich bei meinen Ausführungen lediglich auf das Dokument... Herr Präsident, ich habe mich bei meinen Ausführungen lediglich auf das nicht von mir, sondern von der Anklagebehörde eingeführte Dokument 3050-PS gestützt. Die einzelnen Artikel hier herauszunehmen, würde gleichbedeutend sein mit einer Arbeit, wie es auch in der Kommissionssitzung war, von mindestens einem ganzen Tag. Richtig ist, daß in diesem Dokument 3050-PS viele Einzelartikel aufgeführt sind. Aber meinerseits sie zu numerieren bestand gar keine Veranlassung, weil ich sie nicht vorgelegt habe und ich glaube auch deshalb nicht, etwas begangen zu haben, wozu ich nicht verpflichtet gewesen wäre. »Die SA...«. Ich darf dann fortfahren:

Die Anklage hat auch Dokumente vorgelegt, die aus der »Associated Press« stammen, wie in der Kommissionssitzung bewiesen wurde, in denen der politische Kampf im Rahmen der revolutionären Tendenzen gesehen wird. Ich erinnere nur an den Artikel: »Die rote Gefahr im Osten« und an die Karikatur »Stalin will Weltrevolution, Budjenny hat den Braten schon gerochen« die gleichfalls die Anklage vorgelegt hat.

Schließlich möchte die Verteidigung auch auf die Straßenkampfvorschriften der KPD hinweisen.

Demgegenüber verweise ich auf den grundsätzlichen Befehl der Obersten SA-Führung, der besagt, daß Waffen jeglicher Art in der SA verboten und daß Übertretungen dieser Vorschriften mit dem Ausschluß aus der SA bestraft worden sind. Ich darf ferner Bezug nehmen auf die Aussage des Zeugen Dr. Kurt Wolf, der darstellte, daß diese Vorschrift des Verbotes, Waffen zu tragen, eine unverhältnismäßig hohe Zahl von Opfern von SA-Leuten zur Folge hatte. Der Zeuge hat bestätigt, daß die Zahl der Toten auf seiten der NSDAP höher war als auf seiten der KPD. Er hat auch Aufklärung gegeben, daß die SA-Angehörigen im Gegensatz zu den linksradikalen Elementen immer seitens des verantwortlichen: Führers auf Waffen untersucht worden sind. Ich verweise außerdem auf die Affidavits von Freund, Zöberlein und Hahn. Sie stellen die politische Situation, wie sie wirklich war, eindeutig klar. Daß wir vor dem Jahre 1933 vor einem Bürgerkrieg standen, ging aus den Zeugenaussagen wiederholt hervor. Die Ausschreitungen, die tatsächlich im Jahre 1933 vorgekommen sind, erklären sich aus dieser Bürgerkriegspsychose. Das ergibt sich aus der Aussage des ehemaligen Staatssekretärs Grauert.

Herr Gisevius sagt von dieser Zeitepoche, wie ich in Dokument SA-301 ausgeführt habe:

»Rückblickend kann man unbedenklich sagen, daß diese erste Phase der Revolution verhältnismäßig wenig Opfer gekostet hat.«

Er gibt weiterhin zu, wenn wir das Dokument SA- 302 betrachten:

»Im Grunde genommen ist es nur eine ganz kleine Clique, die sich Übergriffe schuldig gemacht hat.«

In seiner Zeugenaussage vor dem Court nimmt er ja auch wiederholt die große Masse der SA aus. Eindeutig ging auch aus den Zeugenaussagen hervor, daß die Oberste SA-Führung eingriff, wenn ihr Ausschreitungen bekanntgeworden sind. Daß dies der Fall war, zeigt die Sache Vogel, zeigt vor allem auch die Zeugenaussage des ehemaligen Polizeipräsidenten Habenicht für das Lager bei Wuppertal. In enger Zusammenarbeit zwischen Grauert und der Obersten SA- Führung wurden Elemente, die Ausschreitungen vollzogen, beseitigt. Herr Diels, der der Staatsanwaltschaft als Belastungszeuge dient, schränkt den Kreis in Berlin in seiner für die SA abgegebenen eidesstattlichen Erklärung auf die aus dem Gruppenstab von Ernst herausgewachsenen Nachrichtenabteilungen ein. Wir wissen andererseits aber auch aus der Zusammenstellung kollektiver eidesstattlicher Erklärungen, daß der berüchtigte SA-Führer mit dem Namen »Schweinebacke« wegen Erpressung, die er an einem Juden vorgenommen hat, aus der SA ausgestoßen und zu einer hohen Freiheitsstrafe verurteilt wurde. Die Zeugenaussagen Burgstaller, Jüttner, klären auf, daß die SA keine extreme Stellung in der Rassenfrage eingenommen hat, denn sonst wäre es ausgeschlossen, daß in Berlin getaufte Juden in die SA aufgenommen und Judentaufen in Anwesenheit von uniformierten SA-Leuten vorgenommen worden wären. Die Zeugenaussage Diels' zeigt, daß die SA von Berlin nicht antisemitisch gesinnt war.

Ausdrücklich hebt er hervor, daß die antisemitische Propaganda Sache des Herrn Dr. Goebbels gewesen war. Wir haben auch die Aussage von Dr. Menge, der erklärt hat, daß in Hannover jüdische Geschäfte durch SA-Stürme geschützt worden sind, wofür die jüdischen Geschäftsinhaber den SA-Angehörigen Einkaufsbons zur Verfügung gestellt haben. (Affidavit Allgemeine SA-1.) Aus den kollektiven eidesstattlichen Erklärungen ersehen wir weiterhin, daß auch in anderen Städten Häuser und Geschäfte jüdischer Staatsbürger vor Plünderung durch SA-Angehörige geschützt wurden. Aus der Zeugenaussage des Zeugen Jüttner sehen wir, daß sich die Stellungnahme der Obersten SA-Führung mit der des berühmten jüdischen Professors Karo deckt, der gegen das Ostjudentum Stellung nimmt. Diese Erscheinungen gegen das Ostjudentum sind Folgeerscheinungen des ersten Weltkrieges, als unzählige Juden aus Galizien nach Deutschland kamen.

Die Vorfälle anläßlich des 9. November 1938 gehören zu den wesentlichsten Belastungspunkten der SA; eine große Rolle spielt hier die angebliche Meldung des Führers der Brigade Kurpfalz. Aus den ganzen Umständen um diese angebliche Vollzugsmeldung (Dokument 1721-PS) herum ergibt sich, daß es sich bei dieser um eine ungeschickte Fälschung handeln muß. Zum Nachweis dessen habe ich die Zeugen Lucke und Fust benannt, die trotz monatelanger Bemühungen des Generalsekretärs nicht nach Nürnberg geschafft werden konnten, obwohl die Verteidigung die Lager, in denen sie sich befinden, angegeben hat...

VORSITZENDER: Dr. Böhm, das ist eine ungebührliche Bemerkung oder Unterstellung Ihrerseits. Der Generalsekretär hat alles nur mögliche unternommen um zu erreichen, daß Zeugen, deren Namen angegeben wurden, hierher gebracht wurden. Es gibt keinen Beweis dafür, daß die Zeugen in den von Ihnen angegebenen Lagern waren, auf die Sie sich jetzt beziehen.

Sie können nun fortfahren.

RA. BÖHM: Im einzelnen ist zu sagen: – Ich nehme jetzt Stellung zu dem Dokument 1721-PS:

Erstens: Niemals ist im Schriftverkehr der SA es geschehen, daß bei einer Vollzugsmeldung der gegebene Befehl in seinem Inhalt wiederholt wurde.

Zweitens: Der Befehl des Führers der Gruppe Kurpfalz soll nach Angabe der Anklage beziehungsweise dieses Dokumentes lauten: »Auf Befehl des Gruppenführers«. Wenn ein Befehl gegeben worden ist, so hätte er gelautet: »Es wird befohlen« oder »Die Gruppe ordnet an«. In keinem Falle aber heißt es: »Auf Befehl des Gruppenführers«.

Drittens: Den Sprachgebrauch »Jüdische Synagogen« gibt es im Deutschen nicht. Dieser Sprachgebrauch »Jüdische Synagogen« ist auch im parteiamtlichen Verkehr fremd. Mit dem Wort »Synagoge« verbindet sich schon der Begriff jüdisch. Ebenfalls ist der Begriff »Arier« im vorliegenden Zusammenhang falsch am Platz. Wäre der Befehl echt, so wäre in diesem an dieser Stelle im Gegensatz zu »Juden« von »deutschen Volksgenossen« die Rede gewesen.

Viertens: »Aufruhr und Plünderung ist zu vermeiden« heißt es weiter. Die Verhältnisse 1938 in Deutschland waren solche, daß niemand, ganz bestimmt aber kein Führer einer Gruppe oder einer Brigade, an einen solchen Aufruhr gedacht oder geschweige denn diese Worte in einem Befehl in einen solchen Zusammenhang gebracht hätte.

Fünftens: »Vollzugsmeldung bis 8.30 Uhr an Brigadeführer oder Dienststelle« heißt es in diesem angeblichen Befehl weiter. In keinem Falle befiehlt die Gruppe Vollzugsmeldungen an die Brigade, die Befehlsempfängerin ist, sondern nur an die Gruppe. Sinngemäß hätte es heißen müssen: »An Gruppenführer«.

Sechstens: Ebenso unwahrscheinlich ist es, daß der Führer der Brigade nicht den Befehl weitergegeben beziehungsweise von sich aus Befehle an die Führer der Standarten gegeben hat, sondern nur: »Sofort die Standartenführer in Kenntnis setzte und ihnen genaueste Informationen gab«. Solche im Romanstil gehaltenen Vollzugsmeldungen hat es in der SA niemals gegeben.

Siebentens: In der Meldung heißt es »... und mit dem Vollzug sofort begonnen«. Auch diese Formulierung entbehrt jeder Wahrscheinlichkeit. Der Führer der Brigade meldet im vorhergehenden Satz, daß er sofort seine Standartenführer in Kenntnis gesetzt hat. Es wäre dann eine Selbstverständlichkeit gewesen, die kein SA-Führer mehr in seiner Vollzugsmeldung erwähnt hätte, daß mit der Durchführung – nicht Ausführung – des Befehls sogleich begonnen worden wäre.

Bei der Einvernahme des Zeugen Jüttner wollte die Anklage das Dokument dadurch retten, daß es die Stempelzeichen bei dem Schreiben Jüttner (Dokument 1721-PS) und bei der Meldung an die Gruppe (Dokument 1721-PS) – es sind diese beiden Dokumente unter der gleichen PS-Nummer vorgelegt worden – als identisch bezeichnete. Es wurde jedoch festgestellt, daß die Schriftzeichen von verschiedenen Personen stammen.

VORSITZENDER: Wollen wir jetzt unterbrechen?