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[Das Gericht vertagt sich bis 14.00 Uhr.]

Nachmittagssitzung.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Herr Vorsitzender! Ich fahre fort mit der militärischen Tätigkeit der SA, dem letzten Satz auf Seite 62:

In der Tschechoslowakei bildete die SA die Hauptstütze für das Sudetenfreikorps. Im Oktober 1938, wenige Wochen nach der Münchener Krise, berichtete der OKW-Verbindungsoffizier beim Freikorps:

»Die Verpflegung war von der SA organisiert worden. Die sehr geringe Bewaffnung bestand aus österreichischen Karabinern, die von der österreichischen SA geliefert wurden... In hervorragend kameradschaftlicher und selbstloser Weise hatte sich die Oberste SA-Führung in materieller Beziehung des Freikorps angenommen. Die Ausrüstung und Verpflegung verbleibt in den Händen der NSDAP und der SA.«

Herr Vorsitzender! Ich füge, um den Gerichtshof zu erinnern, hinzu, daß sich in dem Anhang zu diesem Dokument eine Liste der Gefangenen, der von dem Freikorps gemachten Beute und der Zwischenfälle, die von ihm in einer sogenannten Friedenszeit veranlaßt wurden, befindet.

Die Unterstützung des Freikorps war, wie Jüttner selbst zugab, bestimmt in den »Grenzschutz« inbegriffen.

Die Verbrechen der SA hörten nicht mit dem Ausbruch des Krieges auf. Ich führe wieder den Zeugen Jüttner an:

»Zu Beginn des Polenfeldzuges führte die SA-Gruppe ›Sudeten‹ Kriegsgefangenentransporte in die Lager aus. Andere SA-Gruppen im Osten dürften für ähnliche Zwecke eingesetzt worden sein. Später hatte die SA- Führung und die SA als Organisation mit dieser Sache nichts mehr zu tun.«

Wenn Sie die Ihnen vorgelegten Beweise über die entsetzlichen Zustände, unter denen diese Gefangenen vom Osten in ihre Lager transportiert wurden, betrachten (1165-PS, US-244), können Sie sich dann damit zufriedengeben, daß die Bewachung von Transporten so harmlos war, wie sie sich den Anschein geben will?

Jüttner hat uns auch einen Bericht vom Juni 1941 überlassen, in welchem die Tätigkeit der SA während des Krieges geschildert wird. Auf den ihnen gemeinsamen Gebieten halfen ihre Mitglieder den Politischen Leitern bei ihren Erziehungs- und Volksaufklärungsaufgaben. 21 SA-Gruppen wurden zur Bewachung der Gefangenen herangezogen. Der Aufbau der SA- Gruppen in Danzig, Posen, Schlesien und den baltischen Provinzen wird folgendermaßen geschildert:

»Wie einst in der Kampfzeit, so war auch in diesen Gebieten die SA der Stoßtrupp der Partei... Der praktische SA-Dienst ist auch in diesen Gebieten auf die Stärkung der Wehrkraft abgestellt. Es galt, dabei Minderwertig keitsgefühle, die den Volksdeutschen aus der Zeit der polnischen Unterdrückung anhafteten, zu überwinden und die Form des äußeren Auftretens und der Haltung SA-mäßig zu gestalten.« (4011-PS, GB-596.)

Wie unheilschwanger wurden doch diese unschuldig klingenden Worte, wenn man an all das Beweismaterial darüber denkt, was sich in diesen östlichen und baltischen Provinzen zugetragen hat.

Die Verwaltung des Ghettos in Wilna war in der Hand der SA, und seine Insassen wurden durch SA- Wachen bewacht. Manche dieser Juden mußten angekettet in tiefen Gruben leben.

»Daraufhin warfen SA-Leute Ketten in die Grube, und der Sturmführer befahl den jüdischen Vorarbeitern... uns die Ketten anzulegen. Die Ketten wurden um meine Fußknöchel und ebenso rund um den Leib gelegt. Sie wogen je 2 kg, und wir waren nur imstande, kleine Schritte mit ihnen zu machen. Wir trugen diese Ketten für 6 Monate dauernd. Die SA sagte uns, daß jeder, der die Ketten ablege, gehängt werden würde.« (D-964, GB-597.)

Ihre Arbeit bestand in Ausräumung von Massengräbern:

»Wir haben insgesamt 80000 Leichen ausgegraben... Unter denen, die ich ausgrub, befand sich mein eigener Bruder.« (D-964, GB-597.)

In Wilna wurden Juden von SA-Wachen auch gezwungen, mit Zangen das Gold aus den Zähnen ihrer toten Brüder zu reißen, es in Benzin zu waschen und in 8-Kilo-Kisten zu verpacken, welche der leitende SA-Offizier selbst wegbrachte.

RA. BÖHM: Herr Präsident! Ich glaube, daß sich diese Ausführungen, die eben gemacht worden sind, auf ein Affidavit beziehen, D-964, das das Gericht vorzulegen, beziehungsweise vorlegen zu dürfen durch die Anklage, abgelehnt hat. Es ist das Affidavit GB-597. Nun ist diese ganze eidesstattliche Versicherung hier auf Seite 64 abgedruckt wiedergegeben, und der Inhalt der Ausführungen, wie sie eben gemacht worden sind, ist aus dieser eidesstattlichen Versicherung entnommen, die vorzulegen nicht genehmigt ist.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Herr Vorsitzender! Ich gehe nicht einig mit Herrn Dr. Böhm. Ich habe das Affidavit vor mir liegen, D-964 mit der Exhibit- Nummer GB-597. Paragraph 7 davon lautet:

»Unsere Arbeit bestand darin, Massengräber zu öffnen und Leichen herauszubefördern, um sie dann zu verbrennen.«

VORSITZENDER: Ja. Aber Sir David, Dr. Böhm sagte doch, daß das Affidavit zurückgewiesen wurde.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Herr Vorsitzender! Nicht dieses Affidavit! Ich erinnere mich genau, es verlesen zu haben. Es hat eine Exhibit-Nummer. Ich habe für jedes Thema ein Affidavit herausgesucht, und dieses von Szloma Gol war das Affidavit, das ich im Zusammenhang mit Wilna ausgewählt habe.

VORSITZENDER: Herr Dr. Böhm! Mit welcher Begründung behaupten Sie, daß es zurückgewiesen wurde? Wenn es zurückgewiesen wurde, müssen Sie doch irgendeinen Grund haben, dies anzunehmen. Wo ist das Protokoll? Haben Sie es vor sich?

RA. BÖHM: Ich bin der Auffassung, daß diese eidesstattliche Versicherung zu den eidesstattlichen Versicherungen gehört, die das Gericht vorzulegen abgelehnt hat. Ich kann das im Moment nicht nachprüfen, aber ich will das gerne nach der Sitzung tun und mich davon überzeugen, ob das richtig ist. Ich glaube, daß dieses Affidavit zu den Affidavits gehört, die vorzulegen abgelehnt worden sind wegen des Abschlusses der Beweisaufnahme.

VORSITZENDER: Ist dies eines der elf Affidavits, die zurückgewiesen wurden?

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Nein, Herr Vorsitzender! Euer Lordschaft werden sich erinnern, daß ich ungefähr ein halbes Dutzend jüdischer Zeugen aus den baltischen Provinzen hatte, und der Gerichtshof sagte, daß ich drei davon rufen könne und daß sie für das Kreuzverhör Dr. Böhms verfügbar sein sollten. Der Aussteller dieses Affidavits, Szloma Gol, war einer von den dreien, die ich ausgewählt habe, und ich habe das Affidavit vorgelegt mit der Exhibit-Nummer GB-597.

Herr Vorsitzender! Ich kann mich daran erinnern und auch Oberst Griffith-Jones und Major Barrington, die mir damals behilflich waren, und die Tatsache, daß es eine Exhibit-Nummer hat, ist ein »prima facie«-Beweis dafür, daß der Gerichtshof es angenommen hat.

VORSITZENDER: Fahren Sie fort! Wenn Dr. Böhm beweisen kann, daß es zurückgewiesen wurde, wird es aus Ihrem Plädoyer gestrichen und nicht beachtet werden.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Gut, Herr Vorsitzender!

Für das Ghetto von Schaulen, südlich von Riga, war die SA verantwortlich. 700 bis 800 Mann waren dort, erkennbar an ihren braunen Uniformen und Hakenkreuzarmbinden.

»Deshalb umzingelte die SA im August 1941 das ganze Ghetto, und viele von ihnen gingen in die Häuser und brachten Frauen, Kinder und alte Männer heraus, verfrachteten sie auf Lastwagen und fuhren sie weg. Ich habe dies alles persönlich gesehen. Es wurde ausschließlich von der SA ausgeführt. Ich sah, wie sie Kinder bei den Haaren ergriffen und sie auf die Lastwagen warfen. Ich sah nicht, was darnach geschah, aber ein Litauer erzählte mir später, daß sie 20 km weit gefahren und dann erschossen wurden. Er sagte, er habe gesehen, wie die SA diese Juden habe sich ausziehen lassen und sie dann mit automatischen Pistolen erschossen.« (D-969, GB-600.)

Die SA bewachte das Ghetto von Kaunas, wo 10500 Juden im Laufe der schrecklichen »Aktion« vom 28. Oktober 1941 erschossen wurden. (D-968, GB-599.) Ebenfalls bewachten sie die Arbeitslager Sakrau, Mechtal, Markstedt, Klettendorf, Langenbielau, Faulbrück, Reichenbach und Annaberg in Oberschlesien, wo Polen, Franzosen, Belgier, Holländer und Griechen als Sklaven arbeiteten und an schlechter Behandlung und Unterernährung starben, und wo »die SA... in den Methoden mit der SS in nichts zurücksteht.« (4071-PS, GB-603.)

An der Glaubwürdigkeit jener Juden, welche diese Jahre des Alpdrucks in den Ghettos und Arbeitslagern des Ostens durchlebt haben, kann kein Zweifel sein. Nicht nur werden immer wieder die von ihnen beschriebenen Verhältnisse durch andere Quellen und durch die eigenen Dokumente der Deutschen bestätigt, sondern es wird sogar die Identität eines von ihnen erwähnten SA-Mannes bekräftigt. Leib Kibart gab Ihnen den Namen des Kreiskommissars an, in dessen Hof die Juden aus dem Schaulener Ghetto von ihren SA-Wachmannschaften täglich beschimpft und geschlagen wurden. Er hat Ihnen gesagt, daß der Betreffende Gewecke hieß und daß er Mitglied der SA war. Wir sind im Besitz der Unterschrift Geweckes auf einen seiner eigenen Briefe vom 8. September 1941, in welchem er sich beklagt, daß die SS sich in seine Anordnungen für die »ordnungsmäßige Erfassung des jüdischen Vermögens« einmische. Der Briefkopf dieses Dokuments lautet: »Der Gebietskommissar in Schaulen«. (3661-PS, GB-601.) Die Bewachung war nicht die einzige Aufgabe, die der SA oblag. Sie bildete eigene Einsatzkommandos, und Einheiten der SA waren an dem blutigen Werk der Partisanenvernichtung beteiligt.

Der Befehlshaber der Sicherheitspolizei und des SD in Krakau spricht in einem Schreiben an den Angeklagten Frank von der Tätigkeit eines besonderen SA-Einsatzkommandos, welches zum Zwecke der Gewinnung von Arbeitern aus der Zivilbevölkerung gebildet worden war. (D-970, GB-602.)

Im Juni 1943 berichtete der Generalkommissar für Weißrußland:

»Auf Anordnung des Chefs der Bandenbekämpfung, SS-Obergruppenführer von dem Bach, haben auch Einheiten der Wehrmannschaften an dem Unternehmen teilgenommen. SA-Standartenführer Kunze hat die Wehrmannschaften geführt...« (R-135, US-289.)

Die Aktion, von welcher der Generalkommissar sprach, war die schreckliche Aktion Cottbus, an welche Sie sich erinnern werden und von welcher der Generalkommissar berichtete:

»Die politische Auswirkung... auf die friedliche Bevölkerung ist infolge der vielen Erschießungen von Frauen und Kindern verheerend.« (R-135, US-289.)

Die SA war im Generalgouvernement im Jahre 1941 aufgestellt worden. Im Dezember 1943 sagte der Angeklagte Frank:

»Als ich vor 21/2 Jahren den Auftrag zur Aufstellung der SA gab, leitete mich eine Überlegung, die mich heute nachdrücklicher denn je erfüllt. Es war mein Bestreben... daß eine eiserne Reserve an absolut unerschütterlichen Nationalsozialisten unter allen Umständen auch im Generalgouvernement vorhanden ist. Es ist ganz klar, daß diese eiserne Reserve ausgeprägten nationalsozialistischen Kämpfertums nur die SA sein kann... hier kann ich wirklich als SA-Kamerad mit meinen SA- Kameraden im Rahmen der SA das Völkische so pflegen, wie ich das im politischen Dasein des Raumes leider nicht kann, wo ich zahllos Rücksichten zu nehmen habe und ununterbrochen wie ein Raubtierbändiger im Raubtierkäfig die Peitsche in der Hand halten muß, um die Banditen in Zaum zu halten. Das ist ein Gesichtspunkt, den ein Gauleiter im Reich niemals zu berücksichtigen braucht... Hier ist sie (die SA) zum erstenmal in einem neuen Raum mit neuen Methoden und Aufgaben eingesetzt, die aber gerade deshalb gelöst werden sollen, weil die SA hier das gleiche ist, was sie in der, Kampfzeit im Reich war.«

Unterdessen nahm zu Hause im Reich die SA

»an verschiedenen Aufgaben teil, welche vorher nur der SS, der Sipo und dem Heer anvertraut waren, z.B. Be wachung von KZ-Lagern, Bewachung von Kriegsgefangenenlagern, Aufsicht über Zwangsarbeiter in Deutschland und in den besetzten Gebieten. Diese Mitarbeit der SA wurde schon Mitte 1943 in Berlin von höheren Stellen geplant und bearbeitet.« (3232-PS, US-435.)

In der Steiermark wurde das Lager Frauenberg als ein Arbeitslager für Trunkenbolde und Arbeitsscheue eingerichtet. 300 Insassen arbeiteten in den benachbarten Steinbrüchen und im Straßenbau. SA-Leute bildeten die Wachmannschaft. (NO-034, GB-604). Kann man sich die Verhältnisse, in welchen diese Arbeitsscheuen und Delinquenten lebten – oder starben – ausmalen?

Gewalttätigkeit, Mord und Straßenherrschaft während der Kampfjahre, ungesetzliche Verhaftungen, unerlaubte Konzentrationslager, unglaublicher Sadismus während der Jahre des Triumphes 1933 und 1934. Unbarmherzige Unterdrückung und brutale Verfolgung von Juden und Christen und jeglicher Opposition, gepaart mit kriegsangriffsmäßiger Ausbildung vom Jahre 1934 an bis Zum Kriegsausbruch. Und nachher mehr Konzentrationslager, mehr Sadismus, mehr Unterdrückung und Verfolgung – diesmal der angeblich rassenmäßig unterlegenen Völker, die sie besiegt hatten; und Gewalttätigkeit und Morde – aber nicht, wie in jenen fernen Tagen von 1933 von Einzelpersonen: Jetzt handelte es sich um ganze Völker. Nach diesem Muster geht es all die Jahre hindurch. Kann Ihre Entscheidung diese Männer freisprechen, damit sie wiederum die Völker Deutschlands und Europas terrorisieren?

Herr Vorsitzender! Ich halte es nicht für nötig, das Beweismaterial gegen die SS in allen Einzelheiten zu behandeln. Der Charakter dieser Organisation und die Betätigung ihrer Mitglieder sind Ihnen bereits zu gut bekannt. Die Buchstaben SS erscheinen in Verbindung mit fast jedem der großen und kleinen Verbrechen, von denen Sie nun im Laufe von fast zehn Monaten täglich gehört haben. Man kann alles, auch wenn es zu schwach ausgedrückt ist, mit den Worten ihres Führers Himmler zusammenfassen:

»Ich weiß, daß es manche Leute in Deutschland gibt, denen es schlecht wird, wenn sie diesen schwarzen Rock sehen: wir haben Verständnis dafür und erwarten nicht, daß wir von allzuvielen geliebt werden.« (1851-PS, US-440.)

Ich möchte daher nur über eine oder zwei besondere Fragen, die aufgetaucht sind und welche die Anklage als besonders wichtig erachtet, sprechen.

Die Geschichte der Entwicklung der SS kann in wenigen Worten geschildert werden. Ursprünglich zusammen mit der SA als ausgewählte Leibgarde für den Schutz Hitlers gegründet, bildete sie eine Privatarmee der Nazis und die Grundlage für das, was das wichtigste Werkzeug in der Verschwörung zur Entfesselung eines Angriffskrieges werden sollte. Ihr Wert als durchaus zuverlässiges »Werkzeug des Führers« erwies sich im Juni 1934, als sie in der blutigen Säuberung, welche mit dem Mord des SA-Führers Röhm verknüpft war, die Rolle des Henkers spielte. Ich zitiere:

»Es hat jeden geschaudert«, sagte Himmler später, »und doch war sich jeder klar darüber, daß er es das nächste Mal wieder tun würde, wenn es befohlen wird und wenn es notwendig ist.« (1919-PS, US-170.)

Die Willfährigkeit der SS, solches wieder zu tun, sollte sich in den folgenden Jahren millionenfach beweisen.

Bis zum Januar 1933 bestand die SS aus einer einheitlichen Gruppe. Es gab keine Sonderabteilungen, und abgesehen von ihrer gemeinsamen Rolle mit der SA und ihrer Sonderstellung als Hitlers Leibgarde hatte sie keine Sonderaufgaben. Nach der Machtergreifung der Nazi-Partei jedoch und besonders nach 1934 vermehrte sich ihre Mitgliederzahl, und ihre Organisation dehnte sich aus und gewann an Umfang. Neue Einheiten wurden geschaffen, wie die SS-Totenkopf verbände, deren Aufgabe es war und blieb, die Konzentrationslager zu bewachen. Einzelne ausgewählte Einheiten wurden bewaffnet und wurden praktisch Himmlers Privatarmee, bekannt als SS-Verfügungstruppe. Gleichzeitig spezialisierten sich andere Gruppen in gewissen Funktionen; dieselben bildeten zwar keine getrennte Organisationen, wurden aber als Sondergliederungen bezeichnet, wie zum Beispiel der SD, der Nachrichtendienst der SS, der später so eng mit der Gestapo zusammenarbeiten sollte.

Obwohl es üblich wurde, die verschiedenen Gliederungen und Verbände der SS namentlich zu unterscheiden, so waren sie, was die Verwaltung und Befehlsgewalt anlangte, nur Teile der einen SS, standen alle unter dem Befehl des Reichsführer-SS und wurden sämtlich von den verschiedenen Hauptämtern der Reichsführung-SS verwaltet und kontrolliert.

Bei Kriegsausbruch wurde die Mehrzahl der Allgemeinen SS, die unbewaffnet gebliebene große Masse der SS-Mitglieder, zur Wehrmacht eingezogen. Neue Rekruten wurden zur Verfügungstruppe eingezogen, die ausgebaut wurde, um die Kampfdivisionen der SS zu bilden, die um 1940 als Waffen-SS bekannt wurden.

Aus dem Bericht des SS-Statistischen Amtes hat der Gerichtshof die Entwicklung bis zum 30. Juni 1944 ersehen. (D-878, GB-572). Die Gesamtmitgliederzahl belief sich damals auf 794941. Die Allgemeine SS – der ursprüngliche Kern der SS – hatte im Kriege an Bedeutung eingebüßt, weil mehr als die Hälfte ihrer 200000 Mitglieder zur Wehrmacht, zum Arbeitsdienst oder zu sonstigen Nazi-Sonderstellen eingezogen worden waren. Die übrigen 594000 gehörten zur Waffen-SS. Der Gerichtshof hat gesehen, daß 368000 Mann der Waffen-SS in Fronteinheiten dienten. Etwa 160000 Mann dienten in Genesungs-, Ausbildungs- und Reserveeinheiten. 26544 standen in anderen Einheiten und Ämtern, die dem Führungshauptamt der Reichsführung-SS unmittelbar untergeordnet waren; 39415 waren in den SS-Hauptämtern beschäftigt.

Es ist besonders bezeichnend, zu betrachten, wie sich diese 39415 Mann der Waffen-SS verteilten. Der Gerichtshof wird sehen, daß ich eine Gesamtaufstellung beigefügt habe. (D-878, GB-572.) Zeugen haben Ihnen erzählt, daß die Waffen-SS nichts mit Konzentrationslagern zu tun hatte. Aber nicht weniger als 24000 von ihnen waren im WVHA tätig, dem Amt, welches Verwaltung und Personal der Konzentrationslager organisiert hatte und für dieselben verantwortlich war. Diese Zahl 24000 umfaßte nicht die Totenkopf-SS, welche die Bewachungsmannschaften stellte. Aus Waffen-SS-Männern setzten sich auch die verschiedenen völkermordenden Organisationen der Nazis zusammen, die im Rahmen und im Namen der SS handelten, das Rasse- und Siedlungshauptamt, das Amt des Reichskommissars für die Festigung deutschen Volkstums, das Hauptamt Volksdeutsche Mittelstelle, der persönliche Stab Himmlers, einschließlich Sievers' berüchtigtem Ahnenerbe.

Es wird von der Waffen-SS behauptet, daß sie in Wirklichkeit eine rein militärische Organisation war, deren Wesen sich von dem einer anderen Einheit der Wehrmacht nicht unterschied. Die Beweise ergeben, daß dies nicht der Fall war. Es ist wahr, daß die Waffen-SS die Kampfeinheit der SS war. Obwohl jedoch ihre Kampfformationen dem Oberbefehl der Wehrmacht für operative Zwecke unterstanden, blieben sie dennoch ein integrierender Bestandteil der SS. Tatsächlich bestimmte Hitlers Erlaß über die Aufgaben der SS im Mobilmachungsfalle, daß sie, wenn auch unter den Oberbefehl des Heeres gestellt, »politisch eine Gliederung der NSDAP bleibt« (647-PS, US- 443). Während des ganzen Krieges blieben Nachwuchs, Ausbildung, Beförderungen, Verwaltung und Nachschub der Waffen-SS die Aufgaben der Obersten SS-Führung. Sie wurde durch das SS-Hauptamt ergänzt. Sie wurde organisiert, verwaltet und mit Nachschub versehen durch das Führungshauptamt, in welchem das Kommandoamt militärische Führungsaufgaben erledigte (2825-PS, US-441).

Mitglieder der Waffen-SS waren der Gerichtsbarkeit des Hauptamts SS-Gericht unterworfen. Wie alle anderen SS-Formationen war die Waffen-SS Himmlers Gerichtsbarkeit als Reichsführer-SS unterworfen. (Reichsgesetzblatt 1939, Teil I, Seite 2107). In Theorie und Praxis war die Waffen-SS ein ebenso integrierender Bestandteil der SS-Organisation wie jeder andere Zweig der SS. Sie werden sich an die Aussagen erinnern, die von Rundstedt machte:

»Die sämtlichen SS-Truppenteile unterstanden nur Himmler. Ich hatte weder Disziplinarstrafgewalt noch Gerichtsstrafgewalt. Ich konnte auch keinen Urlaub erteilen und keine Auszeichnungen verleihen. Ich war lediglich auf die taktische Verwendung dieser Divisionen beschränkt, genauso wie wenn ich eine jugoslawische oder ungarische Division befehligt hätte.«

Das war in großen Umrissen die SS, dieser allmächtige »Staat im Staate«, wie General Detzel sie bezeichnet hat. Die Verteidigung versucht nunmehr, diese allumfassende Einheit der SS in verschiedene völlig getrennte, nur in der Person Himmlers vereinte Bestandteile aufzulösen. Er und drei oder vier seiner Untergebenen werden allein für die millionenfachen Verbrechen, welche verübt worden sind, verantwortlich gemacht. Diese Behauptung verletzt jedoch die Wahrheit und widerspricht dem gesunden Menschenverstand. Wir haben es in diesem Prozeß nicht mit der Ermordung von 10 Mann hier oder von 20 Mann dort zu tun. Diese Anklage richtet sich nicht nur gegen die Ermordung von Millionen, sondern gegen einen dämonischen Plan der Völkervernichtung, der geplanten Ausrottung ganzer Nationen, Völker und Rassen. Die SS war das auserwählte Werkzeug für diesen Plan, der den des Herodes noch übertraf. Dieser Plan konnte nur durch den Einsatz der gesamten SS, das heißt jedes einzelnen Zweiges, im Einvernehmen und in Zusammenarbeit mit allen anderen ausgeführt werden. Das im Laufe dieses Prozesses vorgebrachte Beweismaterial hat gezeigt, daß die Verbrechen der Nazi- Verschwörer nicht in improvisierter Weise durch sporadisch begangene verbrecherische Handlungen ausgeführt worden sein konnten. Sie waren sorgfältig geplant, vorbereitet und ausgeführt von der SS und anderen verbrecherischen Organisationen. Die SS-Männer waren für den verbrecherischen Plan besonders geeignet. Körperlich ausgebildet und ausgewählt, waren sie in politischer Hinsicht im Nazismus geschult und zu blindem Gehorsam gegenüber den Befehlen Hitlers, Himmlers und der übrigen Nazi-Führer verpflichtet. »Befehle müssen heilig sein« sagte Himmler (1919-PS). Die Mitgliedschaft war nicht nur während der ersten 16 Jahre des Bestandes der SS von 1925 an eine freiwillige: Sie war einer außerordentlich sorgfältigen Auswahl unterworfen, um das zu schaffen, was die SS, »aus bestem arischen Menschentum ausgesucht«, eine »Überschicht«, einen »Verband deutscher, nordischbestimmter Männer« nannte. SS-Männer mußten fanatische Nazis »arischer« Abstammung sein. (1992-PS, US-439; 647-PS, US-443; 2284-PS, US-438; 3429-PS, US- 446; 2825-PS, US-441; 2768-PS, US-447; 2640-PS, US-323.)

Die Verteidigung hat besonders betont, daß im Laufe des Krieges die freiwillige Basis der Rekrutierung durch zwangsmäßige Einziehung ersetzt wurde. Der Zeuge Brill sagte aus, daß

»bis Kriegsende mehr Gezogene in der Waffen-SS waren als Freiwillige«.

Es dürfte für den Gerichtshof vielleicht nützlich sein, wenn ich mich ganz kurz mit der Aussage dieses Zeugen befasse. Zwar wird nicht bezweifelt, daß zu einer Zeit während des Krieges eine beträchtliche Zahl von Männern zur Waffen-SS eingezogen wurde; der von dem Zeugen Brill angegebene Zeitpunkt, in welchem diese Praxis begann und der Umfang, in welchem sie durchgeführt wurde, wurden jedoch beide bestritten.

Er hat Ihnen erzählt, daß die ersten 36000 zwischen Herbst 1939 und Frühling 1940 eingezogen wurden. Zu behaupten, daß diese 36000 zwangsweise zur SS eingezogen wurden, ist vorsätzlich irreführend. Als er von dem beauftragten Richter zu einer ähnlichen Aussage ins Kreuzverhör genommen wurde, gab er zu, daß jene 36000 schon Mitglieder der Allgemeinen SS waren, der sie freiwillig beigetreten waren. Sie wurden nicht eingezogen: Sie wurden ganz einfach von einem Teil der SS zum anderen versetzt. Die von ihm angegebenen Zahlen der späteren Einziehungen waren folgende: Im Jahre 1942: 30000, im Jahre 1943: 100000 und im Jahre 1944: 210000, insgesamt also 340000. Selbst auf Grund dieser Zahlen ist seine Aussage, daß beim Ende des Krieges mehr Eingezogene als Freiwillige vorhanden waren, bei weitem nicht gerechtfertigt. Als Gesamtzahl der Waffen-SS gab er 910000 an – eine Zahl, die ihre Anfangsstärke im Jahre 1940 und alle darauffolgenden Verstärkungen – Freiwillige und Eingezogene – umfaßte. 340000 macht gerade ungefähr ein Drittel dieser Gesamtzahl aus.

Hinsichtlich des Datums, zu welchem zum erstenmal Zwangseinziehungen zur SS stattfanden, ist beträchtliches Beweismaterial zur Widerlegung dieses Zeugen vorhanden. Im Februar 1940 beauftragte Heß die Parteistellen, bei der freiwilligen Werbung für die SS mitzuhelfen. Die von ihm erlassenen Anordnungen enthielten keinerlei Andeutung über eine zwangsweise Einziehung (3245-PS, GB-267). Im April 1942 betonte eine Werbeschrift die freiwillige Grundlage der Waffen-SS mit folgenden Worten:

»Die Jugend des nationalsozialistischen Reiches weiß, daß sie sich selbst bemühen muß, um ihren Wehrdienst in der Waffen-SS ableisten zu können. Daß sich so viele junge Deutsche zur Waffen-SS melden, ist ein sprechendes Zeugnis für das Vertrauen, das von der heutigen jungen Generation gerade der Waffen-SS, ihrem Geist und vor allem ihrer Führung entgegengebracht wird.« (3429-PS, US-446.)

»Der Soldatenfreund«, ein Taschenjahrbuch für die deutsche Wehrmacht, veröffentlicht im Jahre 1943, dem Jahr, in welchem Brill Sie glauben machen will, daß 100000 Mann eingezogen wurden, ohne sich widersetzen zu können, beschreibt die Mitglieder der SS als hoffnungsvolle junge Männer, die »sich freiwillig zum Eintritt in die Waffen-SS gemeldet haben«.

Es heißt dort:

»Jeder hat sich mit dem ausführlichen Merkblatt für die Waffen-SS vertraut gemacht,... dessen wichtigste Punkte nachstehend veröffentlicht werden:

1. Der Dienst in der Waffen-SS gilt als Wehrdienst. Es werden nur Freiwillige eingestellt.« (2825-PS, US- 441.)

Im April des gleichen Jahres befahl Himmler Kaltenbrunner aus Anlaß der Aufnahme von Sipo-Beamten in die SS:

»Ich möchte noch einmal klar aussprechen: Ich wünsche nur dann eine Aufnahme, wenn der Mann sich... wirklich freiwillig meldet...« (2768-PS, US-447.)

Und das Organisationsbuch für das Jahr 1943 erklärt, daß die Waffen-SS durch die Aufnahme von Freiwilligen es während der Kriegsdauer diesen Freiwilligen ermöglichte, an dem Kampf um die Entwicklung der nationalsozialistischen Idee mitzuwirken. (2640-PS, US-323.) Ich darf auch noch folgende Bemerkung zu Brills Aussage machen. Sie werden sich erinnern, daß ich Sie schon auf die Erklärungen hingewiesen habe, die dieser Zeuge über die Tätigkeit der SS-Division Leibstandarte machte; sie sind, wie ich ergebenst bemerken möchte, als Meineid zu betrachten. Angesichts seiner verdächtigen Aussage und des vorhandenen Gegenbeweismaterials bin ich der Ansicht, daß, was immer auch das Ausmaß des zwangsweisen Dienstes in der SS war, es doch viel geringer war und zu einem sehr viel späteren Zeitpunkt begann, als er behauptet.

Was immer auch in dieser Angelegenheit wahr sein mag, wir behaupten, die Tatsache, daß eine Anzahl Leute zwangsmäßig eingezogen wurde, sollte und kann dieser Organisation nicht zur Verteidigung dienen. Die verbrecherischen Handlungen, die von der SS während des Krieges begangen wurden, sind so weit verbreitet, so andauernd und so umfangreich, daß Sie zu dem Schluß gezwungen sind, daß die überwiegende Mehrheit ihrer Mitglieder, gleichgültig, ob sie zunächst freiwillig beigetreten sind oder nicht, bereitwillig die Tradition der SS übernahmen und selbst bereitwillig an ihrer verbrecherischen Tätigkeit teilnahmen. Darf ich nur einen kleinen Teil des Beweismaterials, aus dem dieser Schluß gezogen werden muß, umreißen.

Sie kennen bereits die Art und Weise der Erziehung und Ausbildung, die die SS-Männer erhielten, eine Ausbildung zum »Rassenkampf«, den Himmler ihnen »erbarmungslos« durchzuführen befahl. Rassentheorien, Geopolitik, Eugenik – dies war ihr Lehrplan. »Mein Kampf« war ihre Bibel. Ihre grundlegende Philosophie wurde von Himmler folgendermaßen ausgedrückt:

»Es muß selbstverständlich sein, daß aus diesem Orden, aus dieser rassischen Oberschicht des germanischen Volkes die zahlreichste Nachzucht hervorgeht. Wir müssen in 20 bis 30 Jahren wirklich die Führungsschicht für ganz Europa stellen können. Wenn die SS zusammen mit den Bauern... dann die Siedlung im Osten betreiben, großzügig, ohne jede Hemmung, ohne jedes Fragen nach irgendwelchem Althergebrachten, mit Schwung und revolutionärem Drang, dann werden wir in 20 Jahren die Volkstumsgrenze um 500 Kilometer nach Osten herausschieben.« (1919-PS, US-170.)

Die Propagierung solcher Ideen konnte nur dazu führen, daß die SS-Männer eine Weltanschauung in sich aufnahmen, in der Zerstörung, Versklavung und Degradierung »minderwertiger« Völker als Ehrenpflicht galt. Gewissensbisse haben und konnten diese Männer nicht quälen. Der Gerichtshof wird sich an die Worte von dem Bach-Zelewskis erinnern, als er gefragt wurde, ob der Mord an 90000 Juden durch eine kleine Einsatzgruppe (zu der nebenbei die Waffen-SS die Mehrzahl der Mörder stellte) im Einklang mit der Nazi-Weltanschauung stand. Er sagte:

»Ich bin anderer Ansicht. Wenn man jahrelang predigt, jahrezehntelang predigt, daß die slawische Rasse eine Unterrasse ist, daß die Juden überhaupt keine Menschen sind, dann muß es zu einer solchen Explosion kommen. (Protokoll Band IV, Seite 549.)

Nicht nur SS-Generale, wie Bach-Zelewski und Ohlendorf selbst, waren von diesem Gift verseucht. Wir behaupten, daß es auch den gewöhnlichen SS-Mann, der die Morde beging, verseuchte und verseuchen mußte. Die von ihnen durchgeführte Ausrottung der Juden wurde als ein Ruhmesblatt unserer Geschichte« betrachtet (1919-PS, US-170).

Ruhm! Kaltblütiger Massenmord wird als Ruhm betrachtet!

Bedarf es weiterer Beweise, um den Menschentypus zu kennzeichnen, den diese scheußliche Erziehung hervorbrachte? Lange bevor sie der SS beigetreten waren, waren ihre Mitglieder mit Rassenhaß und Führer-Anbetung gesättigt. Die SS-Ausbildung war nur ein Lehrgang für Fortgeschrittene. Wenn sie in die SS eintraten, und zwar einerlei in welchen Teil, sahen sie die praktische Anwendung alles dessen, was sie schon vorher gelernt hatten! Überall, in jedem Amt, in jeder Einheit, war Mord der Beruf. Und wo immer gemordet werden mußte, waren es die Mitglieder der SS, die dafür eingesetzt wurden.

Das Ahnenerbe war eine Abteilung der SS. Seine Mitgliederliste enthält die Namen von über 100 Professoren und anderen gebildeten Männern – alles SS-Mitglieder, die sich auf den mörderischen Beruf Hunderter anderer SS-Mitglieder stützten, die sie mit den Menschenkörpern für ihre Experimente und mit den Exemplaren für ihre Sammlungen zu beliefern hatten – mit Körpern von Kommissaren, die lebend gefangengenommen und dann enthauptet werden sollten, vorsichtig, weil der »Kopf nicht verletzt werden darf«. Professor Hirth schrieb:

»In den jüdisch-bolschewistischen Kommissaren, die ein widerliches aber charakteristisches Untermenschentum verkörpern, haben wir die Möglichkeit, ein greifbares wissenschaftliches Dokument zu erwerben, indem wir uns ihre Schädel sichern.« (NO-085, GB-574.)

Das Amt für die Festigung deutschen Volkstums war ein Amt der SS; es war verantwortlich für das furchtbare Verbrechen des Völkermordes und für all das, was damit verbunden war. Das RSHA und WVHA, die die Konzentrationslager kontrollierten und für sie verantwortlich waren, waren mit SS besetzt. Die Verbrechen der SS in den Konzentrationslagern brauchen nicht weiter erwähnt zu werden; es soll nur noch betont werden, daß die von der SS-Gerichtsbarkeit eingeleiteten Untersuchungen, über die der Zeuge Morgen aussagte, keine Untersuchungen von Massenmorden, sondern von Korruptionsfällen von SS-Beamten waren. Dieser Zeuge ist ebenfalls einer von denen, die ich bereits für unglaubwürdig erklärt habe. Wie kann man die Erzählung von einer Untersuchung der Morde durch Höß in Auschwitz durch einen SS-Richter für ernst nehmen, die durch das Vorrücken der Alliierten unterbrochen wurde? Was für eine weitere Untersuchung war denn noch nötig, wenn Morgen selbst alle Einzelheiten der Auschwitz-Morde im Jahre 1943 oder 1944 bekannt waren? Haben Sie etwa Zweifel, daß, falls die Alliierten den Krieg verloren hätten, Höß immer noch Massenmorde in jenem Konzentrationslager begehen würde und daß SS- Richter immer noch Korruption und vereinzelte Verbrechen untersuchen würden?

Die Einsatzkommandos bestanden hauptsächlich aus SS. Sie zeigen im kleinen die Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Zweigen von Himmlers System und der Gesamtheit der SS. Die Einsatzgruppe »A« war folgenderweise zusammengesetzt:

Waffen-SS34,4 Prozent,

SD3,5 Prozent,

Kriminalpolizei4,1 Prozent,

Gestapo9,0 Prozent,

Hilfspolizei8,8 Prozent,

Andere Polizei13,4 Prozent.

(L-180, US-276.)

Die Vernichtung der Juden wurde durch die SS ausgeführt. Das Warschauer Ghetto ist nur eines dieser Beispiele. Deportation, Mord und Beraubung von Polen und anderen Leuten, die Gebiete bewohnten, welche für die Ansiedlung von Deutschen benötigt wurden, wurden von der SS ausgeführt. Sie werden sich des Globocznik-Berichtes erinnern, der Aktion, in welcher Tausende von Polen von ihren Wohnstätten vertrieben und 178 Millionen Reichsmark für das WVHA aufgebracht wurden und welche mit Globoczniks eigenen Worten

»auf Befehl« – des Reichsführer-SS – »erfolgte und nur die Anständigkeit und Sauberkeit sowie die Überwachung der hier eingesetzten SS-Männer konnte eine restlose Ablieferung gewährleisten.« (4024-PS, GB-550.)

Man wundert sich, daß er nicht hinzufügte »pecunia non olet« (Geld riecht nicht).

Die Waffen-SS wurde die Vorhut für die Angriffskriege der Nazis, besonders bei dem Überfall auf die Sowjetunion, und versinnbildlichte die Tyrannei und das Blutbad, die der Nazi-Herrschaft eigen waren.

»Der Ruf des Schreckens und des Terrors, der uns bei den Kämpfen um Charkow vorausging, diese ausgezeichnete Waffe sollen Sie niemals schwach werden lassen, sondern sie immer wieder verstärken«

sagte Himmler im Jahre 1943 zu den Offizieren der drei SS-Divisionen in Charkow (1919-PS, US-170).

Der Waffen-SS gelang es, ihrem Ruf als Schreckenverbreiter andauernd neue Bedeutung zu verleihen. Zahlreiche Fälle der Begehung von Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit durch die Waffen-SS sind dem Gerichtshof unterbreitet worden. (1972-PS, US-471; 2997-PS, US-472; D-569, GB-277; 1061-PS, US-275.) Sie sind frisch in Ihrer Erinnerung und bedürfen keiner Wiederholung. Nur daran möchte ich den Gerichtshof erinnern, daß sich einige der schlimmsten Grausamkeiten in den Jahren 1943 und 1944 ereigneten, zu einer Zeit, als ein Teil der Waffen-SS aus Eingezogenen bestand.

Wie kann behauptet werden, daß die Mitglieder der SS und besonders der Waffen-SS lediglich Soldaten waren – Soldaten, die von diesen Verbrechen nichts wußten und an ihnen nicht teilnahmen? Wie kann gesagt werden, daß nicht sie es waren, deren Ziele verbrecherisch waren? Wo wir auch immer auf Nazi- Verbrechen stoßen, finden wir auch SS-Leute daran beteiligt. Immer wird gesagt, daß diese SS-Männer etwas Besonderes waren, Mitglieder des SD oder irgendeiner anderen besonderen Gliederung, Mitglieder der SS, die zu Spezial-Einheiten abkommandiert waren, wie zum Beispiel zu den Einsatzkommandos, Mitglieder der SS, die eigentlich überhaupt keine richtigen SS-Männer waren, sondern Doktoren der Polizei. Kann das wirklich so sein? Lassen Sie uns absehen von dem Beweismaterial über die Konzentrationslager, über die Einsatzkommandos, über die ungeheuren und brutalen Verbrechen gegen die Bevölkerung von Gebieten, in die sie eingedrungen waren, über die Massenausrottung von Juden in der Hälfte aller Länder Europas, über die zahllosen Fälle von Sadismus und einzelner Verbrechen, über zahllose andere Fälle von Mord im Kampfe und über jeden anderen Bruch der Gesetze der Kriegführung. Lassen wir außer Betracht die Beweise für alle diese Verbrechen, obwohl jedes einzelne von ihnen von verschiedenen SS-Männern in verschiedenen Städten und Dörfern überall im Großdeutschen Reich begangen wurde; ignorieren wir sie, obgleich sie nicht eine plötzliche Welle von Verbrechen darstellten, sondern jahrelang Tag für Tag begangen wurden; gehen wir von der Tatsache ab, daß in beinahe keinem Fall eines Verbrechens, von dem wir hörten, andere als SS-Männer beteiligt waren. Lassen wir all dies, wenn Sie wollen, unberücksichtigt. Auch ohne dies ist der verbrecherische Charakter der SS vom Höchsten bis zum Niedrigsten schon durch die Niederschriften von drei Reden bewiesen, die Himmler vor Offizieren seiner SS-Einheiten gehalten hat. (1918-PS, US-304.)

Im April des Jahres 1941 sprach er zu allen Offizieren der SS-Division Leibstandarte. Im Oktober 1943 wandte er sich an seine Gruppenführer in Posen. Die Regimentskommandeure seiner drei SS-Divisionen hörten sich noch im gleichen Monat das an, was er in Charkow zu sagen hatte. Diese Reden wurden ihnen immer und immer wieder zitiert, und Sie kennen die Gesinnung, die in ihnen ausgedrückt war, und das Thema, das sie behandelten (1919-PS, US-170). Können Sie sich einen General Ihres eigenen Landes vorstellen, der zu den Offizieren einer Ihrer eigenen Divisionen über die Verschleppung von »Tausenden, Zehntausenden, ja Hunderttausenden« von Menschen in die Sklaverei und über die Erschießung von »Tausenden führender Polen« spricht. Können Sie sich einen britischen, amerikanischen, sowjetischen oder französischen Armee-Befehlshaber vorstellen, der seinen Generalen sagt:

»Wie es den Russen geht, wie es den Tschechen geht, ist mir total gleichgültig... Ob bei dem Bau eines Panzergrabens 10000 russische Weiber an Entkräftung umfallen oder nicht, interessiert mich nur insoweit, als der Panzergraben für Deutschland fertig wird.« (1919-PS, US-170, S. 23.)

Oder der sagt:

»Ich will hier vor Ihnen in aller Offenheit auch ein ganz schweres Kapitel erwähnen... Ich meine jetzt die Judenevakuierung, die Ausrottung des jüdischen Volkes. Es gehört zu den Dingen, die man leicht ausspricht. – ›Das jüdische Volk wird ausgerottet‹, sagt ein jeder Parteigenosse, ›ganz klar, steht in unserem Programm, Ausschaltung der Juden, Ausrottung, machen wir‹. Und dann kommen sie alle an, die braven 80 Millionen Deutschen, und jeder hat seinen anständigen Juden. Es ist ja klar, die andern sind Schweine, aber dieser eine ist ein prima Jude. Von allen, die so reden, hat keiner zugesehen, keiner hat es durchgestanden. Von Euch werden die meisten wissen, was es heißt, wenn 100 Lei chen beisammen liegen, wenn 500 daliegen oder wenn 1000 daliegen. Dies durchgehalten zu haben und dabei – abgesehen von Ausnahmen menschlicher Schwächen – anständig geblieben zu sein, das hat uns hart gemacht.« (1919-PS, US-170, S. 65.)

Können Sie ihn sich vorstellen, wie er zu allen Kommandeuren einer seiner Divisionen sagt:

»Mit dem Antisemitismus ist es genau wie mit der Entlausung. Es ist keine Weltanschauungsfrage, daß man die Läuse entfernt. Das ist eine Reinlichkeitsangelegenheit. Genauso ist der Antisemitismus für uns keine Weltanschauungsfrage gewesen, sondern eine Reinlichkeitsangelegenheit...« (1919-PS, US-170.)

Wenn Sie sich das vorstellen können, können Sie sich denken, was Sie von den Offizieren und den von ihnen befehligten Männern sagen würden? Ist es möglich, daß Offiziere und Mannschaften dieser Waffen- SS-Divisionen, zu denen man in dieser Art sprechen konnte, saubere, anständige und ehrbare Soldaten mit guter Gesinnung waren? Solche Männer, mögen sie nun aus Deutschland oder irgendeinem anderen Lande der Welt sein, würden diese Worte nicht dulden. Solche Reden sind im Laufe dieses Verfahrens sehr alltäglich geworden, aber sie werden ihre Bedeutung nie verlieren. Sie zeigen, daß jedes Mitglied dieser SS- Einheiten ein Prototyp seines SS-Führers war. Wenn dem nicht so wäre, dann hätte der Angeklagte Göring, nachdem er Mussolini von den Schrecken der deutschen Methoden bei der Bekämpfung der Partisanen erzählt hatte, nicht sagen können:

»Angehörige der Partei verrichten diese Aufgabe viel härter und besser... Auch die SS, die Garde der alten Parteikämpfer, die zum Führer persönliche Bindungen haben und eine Auslese darstellen, bestätigen diesen Grundsatz.« (D-729, GB-281.)

Wenn dem nicht so wäre, dann hätte der Angeklagte Hess nicht schreiben können:

»Die... Einheiten der Waffen-SS sind infolge ihrer intensiven nationalsozialistischen Schulung über Fragen der Rasse und des Volkstums für die besonderen in den besetzten Ostgebieten zu lösenden Aufgaben geeigneter als andere bewaffnete Verbände.« (3245-PS, GB-267, Seite 354.)

Wir wissen, daß Hitler der Waffen-SS als künftige Rolle die einer Staatspolizei zugedacht hatte, um den besetzten Gebieten die deutsche Autorität aufzuzwingen; einer Staatspolizei, welche sich niemals mit dem Proletariat und der Unterwelt verbrüdern würde. Das war die ihnen bestimmte Rolle, die die ganze Armee kannte, weil Sie auf Befehl des OKW die »weiteste Verbreitung« gefunden hatte. (D-665, GB-280.) Wir sind mit der Nazi-Staatspolizei zur Genüge bekannt, auch mit der Erziehung und Ausbildung der Waffen- SS und der praktischen Anwendung dieser Ausbildung während der Kriegsjahre, die sie für die ihnen bevorstehenden Aufgaben und die Art der Methoden, die sie anzuwenden hatte, befähigen sollten. Aus diesen Männern, aus den Männern, die für die Überwachung und Terrorisierung Europas auserlesen und geschult waren, besteht die Organisation der SS, die wir Sie bitten, für verbrecherisch zu erklären.

Die hauptsächlichsten Erwägungen, auf die ich Ihre Aufmerksamkeit hinsichtlich dieser drei Organisationen, des Korps der Politischen Leiter, der SA und der SS, lenken möchte, sind folgende: Diese Organisationen waren es, die den Apparat zur Durchführung der von diesen Angeklagten geplanten Verbrechen bildeten. Diese drei Organisationen waren nicht verschieden und getrennt voneinander, wie ihre Verteidiger es darstellen möchten. Es waren ihre Mitglieder, die gemeinsam den grundlegenden und gefährlichen Kern des Nationalsozialismus bildeten und noch bilden. Als getrennte Zweige der nationalsozialistischen Elite waren ihre Zwecke und Ziele die gleichen; sie arbeiteten und wirkten zusammen mit denselben Methoden, die allen erkennbar verbrecherisch waren. So war es von Anfang an und so blieb es bis zum Ende. Nichts kann dies deutlicher demonstrieren als der Beweis dafür, wie die Nationalsozialistische Partei und Regierung den Begriff von Recht und Ordnung erniedrigten und die Rechtsübung ihrer Gerichte verdarben, um sich selbst und ihre Anhänger in den verbrecherischen Bahnen, die sie verfolgten, zu schützen.

Kaum war die Nazi-Regierung zur Macht gekommen, als die Nazi-Minister, die Nazi-Polizei und Nazi-Justiz Gewalttaten und Morde verziehen, welche von der SA, der SS und der Gestapo verübt wurden. Und aus welchen Gründen: – Aus Gründen, welche damals die völlige Verrottung des Nationalsozialismus ganz Deutschland vor Augen führen mußten und welche dies heute der ganzen Welt zeigen.

»Da die Tat keinem unedlen Beweggrund entsprang« – ich zitiere – »vielmehr der Erreichung eines im höchsten Grade vaterländischen Zieles und zur Durchsetzung des nationalsozialistischen Staates diente, erscheint die Niederschlagung des Verfahrens... nicht unvereinbar mit einer geordneten Strafrechtspflege.« (D-923, GB-615.)

Das war die Auffassung des Staatsanwaltes des Landgerichts in Nürnberg gegenüber den SA-Männern, die einen Kommunisten zu Tode geprügelt hatten – geprügelt, bis seine Fußsohlen so geschwollen waren, daß... ich zitiere:

»Die Haut der Fußsohlen war von dem massenhaft darunter angesammelten Blut vorgewölbt, so daß sich beim Einschneiden nach Ablaufen des Blutes fast faustgroße Taschen ergaben.« (D-923, GB-615.)

In München hat der Innenminister ähnliche Gründe angegeben, um Verfahren gegen SS-Wachposten in Dachau niederzuschlagen, die einen Gefangenen auf den Kopf geschlagen hatten, bis er starb. Zur Begründung wird ausgeführt, daß

»durch die Durchführung des Ermittlungsverfahrens dem Ansehen des nationalsozialistischen Staates großer Abbruch deswegen getan würde, weil diese Verfahren sich gegen Angehörige der SA und SS richten und somit die SA und SS, also Hauptträger des nationalsozialistischen Staates, unmittelbar betroffen würden.« (D-926, GB-568.)

Nazi-Richter stellten Verfahren gegen SA-Mitglieder in Übereinstimmung mit der Obersten Führung dieser Organisation ein, ich zitiere wieder:

»Die Tat und der Wille der SA-Männer war nur gerichtet auf das Wohl der nationalsozialistischen Bewegung. Das politische Moment und die Lauterkeit des Wollens steht somit außer Zweifel.« (D-936, GB-616.)

Wenn Richter, die noch nicht an diese neuen Rechtsbegriffe gewöhnt waren, Wachposten verurteilten, denen »es nicht nur darauf angekommen sei, Angaben zu erlangen«, sondern die »aus reiner Lust an Quälereien gehandelt« hatten (785-PS, US-733), dann wurden sie sofort aus der Partei ausgeschlossen; dem Staatsanwalt, der zufälligerweise selbst Mitglied der SA war, wurde nahegelegt, sein Amt niederzulegen, und der Gauleiter wies den höchsten Gerichtshof schriftlich an, für das erlassene Urteil einen Gnadenerweis ergehen zu lassen. (784-PS, US-732.)

Kann da noch ein Zweifel bestehen, daß Bewerber um die Mitgliedschaft dieser Organisationen nicht wußten, daß die Mitgliedschaft ihnen einen Freibrief für Mord verschaffte?

Diese Rechtsbegriffe waren auch nicht auf Gerichte des Staates und der Partei begrenzt. Das Militär konnte etwas so Reizvollem nicht widerstehen. 1939 billigte ein Militärgericht einem SS-Mann mildernde Umstände zu,

»weil er durch einen Unteroffizier durch Überreichung eines Gewehrs veranlaßt wurde, sich an Erschießung zu beteiligen. Durch zahlreiche Greueltaten der Polen gegen Volksdeutsche im Reizzustand gewesen. Als SS-Mann in besonderem Maße beim Anblick der Juden die deutschfeindliche Einstellung des Judentums empfunden, daher in jugendlichem Draufgängertum völlig unüberlegt gehandelt.« (D-421, GB-567.)

Diese SS-Soldaten wurden wegen »Totschlags« zu Gefängnis verurteilt, wozu der Heeresbefehlshaber seine Bestätigung verweigerte. Wegen »Totschlags« solcher Art, wie er nur Nationalsozialisten bekannt war, die, wie wir in diesem Gerichtssaal gesehen haben, eine auffallende Empfindlichkeit gegen das Wort »Mord« zur Schau tragen. Folgendes nannten sie Totschlag:

»Beide haben etwa 50 Juden, die tagsüber zur Ausbesserung einer Brücke herangezogen waren, nach Beendigung der Arbeit abends in einer Synagoge zusammengetrieben und grundlos zusammengeschossen.« (D-421, GB-567.)

Ich möchte damit abschließen, daß ich Ihnen die Ansicht des Obersten Gerichtshofs ins Gedächtnis rufe – des höchsten Wächters nationalsozialistischer Ehre und Disziplin, dessen erhabener Amtsgewalt und Zuständigkeit die Angehörigen aller dieser Organisationen unterworfen waren. Über die Morde, die während der Demonstrationen von 1938 durch Hoheitsträger und Angehörige der SA und SS begangen waren und deren Untersuchung der Geheimen Staatspolizei und der Parteigerichtsbarkeit der Gauleiter und anderen politischen Leitern übertragen war, wurde nur befunden, daß

»in den Fällen, in denen Juden ohne Befehl... oder befehlswidrig... getötet wurden, unlautere Motive nicht festgestellt werden konnten«.

Der Zweck dieser Verfahren vor dem Parteigericht war es:

»diejenigen Parteigenossen zu decken, die aus anständiger nationalsozialistischer Haltung und Einsatzbereitschaft über das Ziel hinausgeschossen waren...« (3063-PS, US-332.)

In diesen wenigen Zeilen haben Sie das Geheimnis von all dem Tod und Leiden, dem Schrecken und der Tragödie, die diese Angeklagten und die Angehörigen jener Organisationen über die Welt gebracht haben. Hier sehen Sie, zu welchen Tiefen der Gemeinheit sie das menschliche Gewissen verdorben haben. Keine unlauteren Motive! Der Mord an Frauen und Kindern ist also »anständige, nationalsozialistische Haltung und Einsatzbereitschaft«. Das war also das nationalsozialistische Glaubensbekenntnis, das die Angehörigen dieser Organisationen mit Begeisterung annahmen, das Glaubensbekenntnis, das sie – kann jemand daran zweifeln – noch heute hochhalten und, wenn ihnen die Gelegenheit gegeben wäre, wieder zum Leben erwecken würden.

Was das Oberkommando und den Generalstab anbelangt, ist es nicht meine Absicht, mich so gründlich damit zu befassen, wie es meine Kollegen so erschöpfend tun werden. Trotzdem möchte ich feststellen, und zwar so klar und nachdrücklich, wie dies überhaupt gesagt werden kann, daß die Britische Delegation rückhaltlos der Forderung auf eine Verurteilung der unter diesem Namen angeklagten Gruppe zustimmt.

Die belasteten Personen haben sich an Kriegen beteiligt, von denen sie genau wußten, daß sie rechtswidrige Angriffskriege waren. Sie haben eine wesentliche Rolle bei den Taten gespielt, die in der Person ihrer unmittelbaren Täter unleugbar Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit sind. Trotzdem beteuern sie ihre Unschuld.

Unsere Anklage gegen sie basiert genau so unerschütterlich auf den Tatsachen dieses Prozesses wie auf den Lehren der Geschichte.

Sie haben Befehle ausgeführt, die nach dem eigenen Geständnis vieler von ihnen die Reste ihres Gewissens schwer belasteten. Sie wußten ganz genau, daß sie etwas Unrechtes taten, aber jetzt sagen sie: »Befehl ist Befehl.«

Jedem anständigen Menschen fällt es schwer, anderen das Fehlen sittlichen Mutes vorzuwerfen – er kennt seine eigenen Mängel in dieser Hinsicht nur zu gut. Aber dann kommt schließlich angesichts von Verbrechen, die offensichtlich Mord und Barbarei sind, ein Punkt, an dem eine höhere Pflicht ruft. Selbst Dr. Laternser gab dies zu. Sein Hinweis an den Zeugen Schreiber, daß er gegen die Vorschläge des Heeresstabs auf eine bakteriologische Kriegführung hätte protestieren sollen, klingt sonderbar im Munde eines Vertreters jener Männer, deren hauptsächlichste Verteidigung die Behauptung war, daß es unmöglich und zwecklos war zu protestieren. Welchen Unsinn – welch absoluten Unsinn – mußten Sie von diesen Angeklagten und ihren Generalen anhören, wenn ihr eigener Verteidiger, um die Glaubwürdigkeit eines Zeugen in Zweifel zu ziehen, gerade diese Frage stellen mußte, die die Anklagebehörde sich seit dem ersten Tag dieses Prozesses gestellt hat. In fairer Berücksichtigung aller militärischen Tradition darf es doch nicht dahin kommen, daß sich Soldaten hinter dem Buchstaben eines Befehls verstecken, um sittlichen Problemen nicht ins Antlitz sehen und sie nicht, ob richtig oder falsch, als sittliche Probleme entscheiden zu müssen. Große Führer sind keine Marionetten, die willenlos und blind zu gehorchen haben. Ich brauche über die Geschichte unserer eigenen Soldatenpersönlichkeiten gar nicht hinauszugehen, um Beispiele zu finden – die Philosophie eines Montrose, die brütenden Gedanken eines Marschall Ney, das unruhige Herz eines Robert E. Lee im Jahre 1861. Zwei der größten Namen in Deutschlands Kriegsgeschichte kommen einem in den Sinn: von Clausewitz, der die preußische Armee verläßt, um in den Dienst der russischen zu treten; Yorck von Wartenberg, der sich für die Neutralität entscheidet – beide stellten, was sie für Europa und die Menschheit für notwendig hielten, über die Befehle des Augenblicks. Um wieviel klarer und offenkundiger war die Pflicht, als die Ausarbeitung, der Erlaß und die Ausführung des »Nacht-und- Nebel«-Befehls, des Kommando-Befehls, des Kommissar-Befehls, Hitlers Befehl, 50 Fliegeroffiziere zu ermorden, die Schändung eines jeden Ideals bedeutete, das jeder Soldat liebt und teuer hält; als – wie sie alle, die jemals an der Ostfront standen, mit ihren eigenen Augen sehen konnten – ihnen zugemutet wurde, einem ausgeklügelten System der Massenvernichtung und äußersten Brutalität Hilfe und Mitarbeit zu leisten.

Gerade diese Menschen, die ihren Führer als kaltherzigen Mörder kannten, liefen jahrelang von einer Besprechung zur anderen, um zu seinen Füßen zu sitzen und seinen Worten zu lauschen. Sie stillten seinen Hunger nach Macht und Versklavung mit ihren besten beruflichen Fähigkeiten. Während die schutzlosen Völker im Osten, die Männer, Frauen und Kinder von Polen, aus der Sowjetunion und aus den baltischen Staaten mit kalter Überlegung abgeschlachtet oder in die Sklaverei verschleppt wurden, um den deutschen Lebensraum zu ermöglichen, sprachen diese Männer von Kriegsnotwendigkeiten. Als dann ihre eigenen Städte bombardiert und Deutsche getötet wurden, nannten sie es Mord. Erst im Juli 1944, als Hitlers Stern sich verdunkelte, erkannten drei Feldmarschälle und fünf Generaloberste endlich, daß er auch ihr eigenes Land mordete und griffen ein. Aber als dieser Stern noch siegreich emporstieg, hatten sie ihm zugejubelt und nur zu gern die blutrote Farbe der Wolken, aus denen er emporgestiegen war, übersehen.

Soviel zu den Tatsachen und deren Würdigung. Vielleicht ist es mir erlaubt, ein Wort zu den Bestimmungen des Statuts zu sagen. Der Gebrauch der beiden Worte »Gruppe« oder »Organisation« bedeutet sicher, daß die fragliche Gesamtheit entweder von den Nazis formell organisiert oder von der Anklage als Gruppe, die als wirkliche Realität bestand, herausgegriffen sein mag. Diese Gruppe war durch ihre besondere Kenntnis, die ihr bei so vielen Besprechungen gegeben wurde, vereinigt und durch die Weitergabe jener verbrecherischen Befehle freiwillig verbunden. Aus diesem Grunde fordern wir ihre Verurteilung.

Was die Reichsregierung anbelangt, so möchte ich lediglich klarstellen, daß die Britische Anklagebehörde nach wie vor ohne Zögern einen Schuldspruch erbittet. Darüber hinaus möchte ich nur zwei Feststellungen treffen.

Die Stellung jener bekannten Nazis, die 1933 dem Kabinett beitraten, ist in gewisser Weise in Frage gestellt worden. Wenn in diesem Kabinett wirklich jemand nicht gewußt hat, worauf er sich am 30. Januar 1933 einließ, so hat er jedenfalls im März einen recht deutlichen Eindruck davon erhalten, als die Juden angegriffen wurden. Seine Kenntnisse nahmen weiter zu im April, als das ganze Volk zum Boykott der Juden aufgeboten wurde und die amtliche Zahl von 20000 Verhafteten durch die deutsche Presse ging. Im Juni 1934 wußte er, daß man sich des Mordes als Werkzeug der Politik bediente. 1935 und 1936 war ihm klar, daß bei der Durchführung der Außenpolitik das Risiko eines Krieges in Kauf genommen wurde.

Der andere Punkt, zu dem ich Stellung nehmen möchte, ist das von der Verteidigung entworfene Bild von Ministern, die sich in völliger Unwissenheit über die tatsächlichen Vorgänge befanden. Nach meiner Auffassung arbeitet keine Regierung in einer derartigen Weise. Ganz einerlei ob totalitär oder demokratisch, eine Regierung kann nur handeln, wenn sie sich mit menschlichen Wesen befaßt. Das Dasein menschlicher Wesen spielt sich aber nicht in wasserdichten Behältern ab; ihre unendlich vielfältigen Interessen sind vielmehr unlösbar miteinander verstrickt. Selbst der vollkommen autoritäre Minister muß – wie auch Dr. Kubuschok in seinem Plädoyer zuzugeben geneigt war – die Rückwirkung seiner Maßnahmen auf das Werk seiner Kollegen in Rechnung ziehen. Mit anderen Worten, er muß wissen, was vorgeht.

Und gerade weil die Leute aus dieser Gruppe wußten, was vorging, weil sie diese Regierung unterstützten und die höchsten Stellen und die reichste Belohnung vom Staat für sich selbst als Preis für ihre Unterstützung in Anspruch nahmen, darum fordern wir heute die Verurteilung dieser Organisation.

Ich bin bestrebt gewesen zu zeigen, wie sich der SD und die Gestapo in das ganze Schema des Nazi- Staates einfügte. Wie zu erwarten war, werden sie durch das von mir vorgelegte Beweismaterial in unzähligen Formen belastet. Ich beabsichtige nicht, mich weiter mit diesen Organisationen zu befassen, sondern möchte nur noch einmal den Antrag meiner Kollegen auf ihre Schuldigsprechung mit allem Nachdruck unterstützen.

Ich bin mir wohl bewußt, Herr Vorsitzender, daß eine der größten Schwierigkeiten und nicht die geringste der Gefahren dieses Prozesses darin Besteht, daß diejenigen von uns, welche tagaus tagein, neun Monate lang, in ihm tätig waren, mit Grauen übersättigt sind. Shakespeare versuchte, einen solchen Sättigungspunkt in den denkwürdigen Versen zu schildern:

»Verheerung, Mord wird so zur Sitte werden

Und so gemein das Furchtbarste,

Daß Mütter nur lächeln, wenn sie

Ihre zarten Kinder gevierteilt

Von des Kriegers Händen sehen

Die Fertigkeit in Greueln würgt das Mitleid...«

Nur wenn wir ein wenig von dem, was sich 40 Wochen lang vor uns täglich abgespielt hat, Abstand gewinnen, können wir erfassen, daß »innere Wut und schauriger Bürgerkrieg«, deren Folgen Marcus Antonius voraussah, im Vergleich zu den Tatsachen, welche wir zu erwägen haben, nur eine unbeträchtliche Bagatelle darstellen.

Es handelt sich nicht allein um die Menge der Greueltaten – obwohl diese Organisationen das Werkzeug für den Tod von 22 Millionen Menschen gewesen sind – es handelt sich um den Grad der Grausamkeit, welcher die Gaskammern von Auschwitz oder die alltägliche Erschießung jüdischer Kinder hervorrief, und dies auf einem Erdteil, welcher den Anspruch erhebt, als zivilisiert zu gelten. Jede dieser Organisationen steht in unmittelbarem Zusammenhang mit dem traurigen Geschäft des Mordes in seiner rohesten Form. Wer könnte daran zweifeln, daß das Reichskabinett von dem Gnadentod, der zur Erhaltung der physischen Hilfsquellen Deutschlands für den Krieg angewendet wurde, wußte? Es besteht kein Zweifel, daß das Oberkommando und der Generalstab diese Befehle, von denen Sie so viel gehört haben und welche letzten Endes nichts anderes als nackter Mord waren, weitergegeben haben; das Korps der Politischen Leiter nahm an der Ermordung von Juden und an der körperlichen Ruinierung von Sklavenarbeitern teil. Ich brauche die SS nur zu erwähnen, und sogleich denkt man unwillkürlich an die Verbrechen, ohne daß es eines Wortes von mir bedarf. SD und Gestapo stimmten diesen Verbrechen zu, halfen dabei und fanden Gründe dafür. Die SA bildete ihre baltischen Rekruten dazu aus, das SA-Niveau, welches im Ghetto von Kaunas oder der Grube in Wilna seine Früchte zeitigte, zu erreichen.

Der verstorbene Präsident Woodrow Wilson hat einmal gesagt:

»Es ist unerläßlich, daß die gegen Deutschland verbündeten Regierungen nicht den geringsten Zweifel darüber haben, mit wem sie es zu tun haben.«

Wenn Europa vom Nazi-Übel gesäubert werden soll, ist es unerläßlich, daß Sie und die Welt diese Organisationen als das erkennen, was sie sind.

Es war unsere unerfreuliche Aufgabe, Ihnen zu dieser Kenntnis zu verhelfen. Nachdem wir es getan haben, fragen wir uns manchmal, ob wir den Geruch des Todes je ganz loszuwerden vermögen. Wir sind aber entschlossen, unser Äußerstes zu tun, daß er aus Deutschland verschwinde, und daß der Geist, der ihn hervorrief, auf immer verbannt werde. Es mag vermessen erscheinen, wenn wir Juristen, die für sich nicht mehr in Anspruch nehmen, als die menschliche Gesellschaft zusammenzuhalten, über das, was wir an seiner Stelle sehen möchten, nachdenken oder auch nur davon träumen. Aber ich gebe Ihnen das Glaubensbekenntnis eines Juristen. Einige Dinge gehören sicherlich zum Allgemeingut der Menschheit: Duldung, Anstand, Güte. Weil wir der Überzeugung sind, daß diese Tugenden sich nicht ungestört entwickeln können, bevor nicht einmal reiner Tisch gemacht worden ist, bitten wir um die Verurteilung dieser Organisationen des Bösen.

Wenn solchen Tugenden eine Möglichkeit gegeben worden ist, auf dem Boden, den Sie gerodet haben, aufzublühen, dann ist ein großer Schritt vorwärts getan; es wird ein Schritt auf dem Wege zur weltumfassenden Erkenntnis sein, daß:

»Blick und Ton, so glücklich wie ihr Tag,

Lachen der Freunde und friedlich liebevolle Herzen«

nicht das Vorrecht eines einzigen Landes sind. Sie sind das unveräußerliche Erbe der gesamten Menschheit.

VORSITZENDER: Der Gerichtshof wird sich jetzt vertagen.