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SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Im August 1943 belehrte Himmler die Polizei dahingehend, daß es nicht ihre Aufgabe sei, bei Zusammenstößen zwischen Deutschen und »Terrorfliegern« einzuschreiten. (R-110, US-333.) Die Gauleiter wurden darüber mündlich informiert.

Im Mai 1944 schrieb Goebbels im »Völkischen Beobachter«, daß der Einsatz von Polizei zum Schutze von Mördern untragbar sei. (1676-PS, US-334.) Am nächsten Tage wies Bormann alle Gauleiter, Verbändeführer, Kreisleiter und Ortsgruppenleiter darauf hin, daß mehrere Fälle vorgekommen seien, bei denen Flugzeugbesatzungen, die abgesprungen waren oder eine Notlandung machen mußten, an Ort und Stelle von der aufgebrachten Menge gelyncht worden seien. Ich zitiere:

»Von polizeilicher und strafgerichtlicher Verfolgung der dabei beteiligten Volksgenossen wurde abgesehen.« (057-PS.)

Um den Zweck dieses Schreibens zu verstehen, brauchte uns nicht auch noch der Befehl eines Gauleiters in die Hände fallen, der sich die von Bormann gegebene Aufforderung zu eigen gemacht hatte. Im Februar 1945 wies der Gauleiter von Westfalen-Süd seine Kreisleiter ausdrücklich an, zum Lynchen von alliierten Fliegern aufzufordern:

»Sämtliche Jabo-Piloten, schrieb er, die abgeschossen werden, sind grundsätzlich der Volksempörung nicht zu entziehen. Ich erwarte von allen Dienststellen der Polizei, daß sie sich nicht als Beschützer dieser Gangstertypen zur Verfügung stellen.« (L-154.)

Sie haben die Aussage des Gauleiters Hoffmann zu diesem Punkt vor dem kommissarisch eingesetzten Richter gelesen (Kommissionsprotokoll Seite 2931 und folgende) und Sie werden ihr die gebührende Aufmerksamkeit widmen.

Lassen Sie mich diese Übersicht über die Beweisaufnahme bezüglich des Korps der Politischen Leiter mit dem Hinweis auf die Aussage zweier Zeugen der Verteidigung für die Organisationen schließen, nämlich Ebersteins, den Sie selbst als Zeugen für die SS gehört haben, und Wahls, eines Gauleiters, der vor Ihren beauftragten Richtern ausgesagt hat.

Sie kennen die Aussagen, die alle Politischen Leiter über Konzentrationslager gemacht haben – sie hätten nichts mit ihnen zu tun gehabt, sie hätten nichts von dem, was in ihnen vorging gewußt. Aber, was hat der Zeuge Eberstein vor Ihnen ausgesagt?

Ich zitiere seine Aussage:

»Anfang März 1945 hat der Gauleiter und Reichskommissar Giesler in München mich zu sich befohlen und an mich das ungeheuerliche Ansinnen gestellt, ich möge auf den Kommandanten von Dachau dahingehend Einfluß nehmen, daß beim Herannahen der amerikanischen Truppen die Häftlinge – es handelte sich damals um 25000 Menschen – zu erschießen seien.

Ich habe diese Forderung entsetzt zurückgewiesen, vor allen Dingen zurückgewiesen mit dem Hinweis darauf, daß ich ja dem Kommandanten gar keine Befehle erteilen könne, worauf Giesler zu mir sagte, er würde dann als Reichsverteidigungskommissar dafür sorgen, daß das Lager von eigenen Luftstreitkräften zusammengeworfen würde. Ich habe ihm entgegengehalten, daß ich es für ausgeschlossen halte, daß irgendein deutscher Fliegerkommandant sich dafür bereitfinden würde, worauf Giesler sagte, er würde dann Sorge tragen, daß den Gefangenen etwas in die Suppe getan würde. Also die Androhung einer Vergiftung. Es erschien mir Gefahr im Verzuge und ich habe aus eigenem Entschluß eine Anfrage gerichtet an die Inspektion der KZ-Lager, fernschriftlich, und um beschleunigte Herbeiführung einer Entscheidung Himmlers gebeten, was mit den Häftlingen im Falle des Herannahens der amerikanischen Truppen geschehen solle. Es kam kurz darauf der Bescheid, daß die Lager geschlossen an den Gegner zu übergeben seien. Das habe ich Giesler gezeigt, worauf er zu mir sehr derb war, weil ich seinen Plan durchkreuzt hatte.« (Protokoll vom 5. August 1946, Vormittagssitzung.)

Und als Letzter machte der Zeuge Wahl, Gauleiter von Schwaben, folgende Aussage:

»Frage: Herr Zeuge, ich hatte Sie über die Unterhaltung gefragt, die Sie mit Ihrer Frau über die Frage hatten, ob Sie von Ihrem Posten als Gauleiter zurücktreten sollten. Kann man aus dieser Unterhaltung nicht schließen, daß Sie sich dessen schämten, was andere Gauleiter taten, und daß alle in Ihrer Umgebung sahen, daß Dinge vor sich gingen, die Sie mißbilligten und von denen Sie sich zu distanzieren wünschten?

Antwort: Jawohl.

Frage: Das stimmt, nicht wahr?

Antwort: Jawohl, das stimmt.«

Und in Beantwortung einer anderen Frage sagte er:

»Ich möchte betonen, daß es hier weder meine Aufgabe, noch mein Wunsch ist, alle Gaue zu rechtfertigen. Unter den Gauleitern gab es, wie überall, verrückte und blutdürstige Narren.«

Nun komme ich zur SA.

Bevor ich mich mit dem Beweismaterial gegen diese Organisation befasse, möchte ich mit einem Wort zur Frage der freiwilligen Mitgliedschaft Stellung nehmen. Der Verteidiger für die SA hat eingewandt, daß die Mitgliedschaft nicht freiwillig gewesen sei. Es wird behauptet, daß ein starker Druck auf die Deutschen ausgeübt wurde, um sie zu veranlassen, der einen oder anderen Nazi-Parteiorganisation beizutreten, und daß hinsichtlich gewisser Abteilungen der SA nicht nur ein Druck ausgeübt, sondern auch die Mitgliedschaft durch Verordnung erzwungen wurde. Auf Grund des Beweismaterials, das ich Ihnen vorlegen werde, mögen Sie wohl annehmen, daß, wenn auch zweifellos in gewissen Fällen auf einzelne ein Druck ausgeübt wurde hinsichtlich des Eintritts in die Partei und in einigen Fällen vielleicht auch hinsichtlich des Beitritts zu einer bestimmten Organisation, so doch die Folgen einer Weigerung, wie sie von der Verteidigung geschildert wurden, sehr stark übertrieben sind. Selbst wenn Sie die Aussage einiger dieser Zeugen hinsichtlich der besonderen Fälle von Zwangsanwendung ohne Einschränkung akzeptieren, so ist doch nach unserer Ansicht das Beweismaterial, das Ihnen über die Organisation als Ganzes vorliegt, vollkommen klar: Die Mitgliedschaft war von Anfang bis zum Ende freiwillig. Niemals konnte zu irgendwelcher Zeit im Gesetz ein solcher Zwang festgestellt werden, weder physisch noch als Folge von gesetzlichen Verordnungen.

Dann habe ich, Euer Lordschaft, zur Unterstützung des Gerichtshofs das englische Recht bezüglich »Zwang« dargelegt. Ich beabsichtige im Augenblick nicht, den Gerichtshof damit zu belästigen. Diese Ausführungen befinden sich auf Seite 41 und 42. Ich möchte nunmehr, Euer Lordschaft, oben auf Seite 43 fortfahren.

Das englische Recht hinsichtlich dessen, was physischen Zwang bedeutet, um zur Entschuldigung eines Verbrechens zu genügen, ist seit vielen Jahren klar festgelegt und ist in »Halsbury's Laws of England« (Hailsham Ausgabe Band IX, Seite 23-24, Abschnitt 20) folgendermaßen ausgedrückt:

»Eine Person, die durch physische Gewalt dazu gezwungen wird, eine Handlung zu begehen, die falls freiwillig begangen, ein Verbrechen darstellen würde, ist frei von krimineller Verantwortlichkeit, aber die Person, die ihn gezwungen hat, ist kriminell haftbar.

Die Anwendung von Drohungen, um eine Person aus der gegenwärtigen Angst vor dem Tode zu veranlassen, Aufständischen beizutreten, ist augenscheinlich eine Entschuldigung, solange die Person unter dem Einfluß einer solchen Furcht steht.

Abgesehen von dieser Ausnahme ist eine Person, die unter dem Einfluß von Drohungen oder ›moralischem Zwang‹ oder von Einsperrung oder vor Gewalttätigkeit, die nicht tatsächlichem Zwang gleichkommt, ein Verbrechen begeht, nicht entschuldigt.

Notwendigkeit, im Sinne von durch Hunger oder bevorstehender Gefahr für Leben oder Eigentum hervorgerufenem Zwang, ist keine Entschuldigung für ein Verbrechen.«

Lassen Sie mich das Beweismaterial zu diesem Punkt ganz kurz behandeln. Die allgemeinen Dienstvorschriften für die SA, veröffentlicht im Jahre 1933, bestimmen:

»Wer sich nicht unterordnen kann oder will, ist für die SA ungeeignet und hat auszuscheiden.« (2820-PS, US- 427.)

Das Organisationsbuch von 1940 wiederum führt an:

»Der Dienst in der SA ist und bleibt freiwillig. So wie Werbung zum Eintritt in die SA weder Vorteile in Aussicht stellen noch irgendwelchen Druck ausüben darf, soll der SA-Mann die Möglichkeit haben, aus der SA auszuscheiden.«

Der Zeuge Jüttner hat diese Darstellung für richtig erklärt; er wurde gefragt: »Blieb es immer ein Grundprinzip der SA, daß die Mitgliedschaft freiwillig sein soll?« und antwortete: »Das war immer das Grundprinzip, das die Führung befolgte.« Dann wurde er gefragt: »Wenn jemand mit den Anschauungen der SA nicht mehr übereinstimmte, erwartete man dann von ihm, daß er austrat?« und antwortete: »Zahlreiche SA-Leute verließen die SA, aus verschiedenen Gründen.«

Auch mit der größten Einbildungskraft kann man auf Grund der hinsichtlich des Reiterkorps gemachten Angaben nicht behaupten, daß physischer Zwang oder Zwang durch Verordnung vorliegt. Es stimmt, daß die ursprünglichen Reiterorganisationen willkürlich der SA einverleibt wurden. Aber der für diesen Teil der SA vorgeladene Zeuge Walle gibt selbst zu:

»Die Mitgliedschaft in der SA war im Jahre 1933 freiwillig und daran hat sich nichts geändert... Man konnte aus dem Reiterkorps austreten, aber man mußte insofern Seinen Sport aufgeben, als man die Einrichtung zum Reiten nicht länger zur Verfügung hatte...«

»Der Reiterverband«, sagte er, »hat sich der Gleichschaltung gefügt, weil er sie in den Stand setzte, seine sportliche Betätigung fortzusetzen.«

Sie mögen annehmen, daß in den Jahren 1933 und 1934 die Tätigkeit der SA dem ganzen deutschen Volk gegenüber offensichtlich verbrecherischer war als zu irgendeiner anderen Zeit. Wie kann dann der Verlust der »sportlichen Betätigung« einen Zwang und eine Entschuldigung für die Mitgliedschaft darstellen? Kann die Gefahr, Pferd und Stall zu verlieren, als gesetzliche Berechtigung zur Teilnahme an Mordtaten betrachtet werden?

Man darf auch nicht vergessen, daß Ihnen sowohl im Falle des Reiterkorps als auch in dem des Stahlhelms, obgleich diese Organisation der SA durch gesetzliche Verordnung einverleibt worden war, keinerlei Beweise dafür vorliegen, daß die Verordnungen auch nur ein Wort enthielten, das als Zwang für einzelne Mitglieder zum Beitritt zur SA ausgelegt werden könnte.

Der Stahlhelm ist in derselben Lage wie das Reiterkorps, nur daß die Aussage Jüttners vor der Kommission noch klarer ist. Lassen Sie mich einige Stellen aus dem Protokoll seiner Aussage zitieren:

»Frage: Konnte man ein Mitglied des Stahlhelms am Austritt aus der SA hindern, als die beiden Organisationen im Jahre 1933 vereinigt wurden?

Antwort: Was mich anlangte, hätte ich kein Mitglied des Stahlhelms gegen seinen Wunsch gezwungen, der SA beizutreten.

Frage: Und das gilt allgemein für ganz Deutschland, nicht wahr?

Antwort: Es sind Fälle berichtet worden, in denen Mit glieder des Stahlhelms der Überführung nur zugestimmt haben, weil sie befohlen war.

Frage: Aber es gibt kein Beispiel dafür, daß jemand gezwungen wurde beizutreten, oder Mitglied zu bleiben, nicht wahr?

Antwort: Nein, Herr Vorsitzender.«

Die Aussagen, die über das Schicksal gemacht wurden, das denjenigen Beamten bevorstand, die sich weigerten, beizutreten – wohlgemerkt nicht der SA beizutreten, sondern irgendeiner Parteiorganisation, waren fast pathetisch. Aber der Zeuge Boley, der selbst diese Aussage machte, zeigte, wie übertrieben dies war, wenn er dem beauftragten Richter gegenüber zugab, daß in den Ämtern, in denen er selbst angestellt war, nur 18 Prozent der Beamten Mitglieder der Partei oder einer ihrer Organisationen wurden. Und diese Ämter waren das Reichsfinanzministerium und die Reichskanzlei – das Zentrum der Nazi-Regierung.

Der Zeuge Freiherr von Waldenfels ist ein weiteres hervorstechendes Beispiel, wie ein Deutscher, der den Charakter hatte, für das, was er für richtig hielt, einzutreten, dies auch weiterhin ohne furchtbare Folgen tun konnte. Selbst Beamter und führendes Mitglied des Stahlhelms im Jahre 1933, trat er bei dessen Verschmelzung mit der SA zurück, weigerte sich, der SA, der Partei oder irgendeiner anderen Parteiorganisation beizutreten, und hat trotz alledem seine Stellung bis zum Ende des Krieges behalten.

Die Verteidigung hat Beweismaterial unterbreitet, daß Universitätsstudenten durch Anordnung gezwungen wurden, Mitglieder der SA zu werden. Diese Behauptung wurde durch einen Befehl des SA-Hochschulamtes in München vom 16. April 1934 belegt, der im SA-Dokumentenbuch enthalten ist.

Hinsichtlich dieses Dokuments möchte ich zwei Einwendungen machen. Erstens: Die Hinweise auf »SA-Dienst« bedeuten nicht Mitgliedschaft bei der SA, sondern einen Ausbildungskurs unter der Leitung der SA. Zweitens: Der Satz in Abschnitt 3 »Alle neu immatrikulierten Studenten sind deshalb verpflichtet, der SA beizutreten« steht nicht im Einklang mit der Politik der SA-Führer und war nicht allgemeine Übung auf den Hochschulen.

Wir haben Ihnen eine weitere ähnliche Anordnung vorgelegt, die vom SA-Hochschulamt Köln zwei Tage vorher ausgegeben wurde. Wenn diese Anordnung gleichzeitig mit der Münchener Anordnung gelesen wird, wird es augenscheinlich, daß unsere Behauptung wohl begründet ist.

Der erste Absatz beider Befehle ist identisch.

Alle Studenten werden

»... durch das SA-Hochschulamt erfaßt, um... körperlich und geistig im Sinne der nationalsozialistischen Revolution ausgebildet zu werden.« (D-971.)

Punkt 2 stellt ausdrücklich fest, daß es gleichgültig ist, ob sie Mitglieder der SA sind. Punkt 3 hat zwar in beiden Befehlen die gleiche Form, zeigt aber erhebliche Abweichungen. Die Befehle stützen sich in beiden Fällen angeblich auf ein- und dieselbe Anordnung der Obersten SA-Führung vom 27. März 1934. Wir haben diese Anordnungen zwar nicht gesehen, aus Punkt 3 des Kölner Befehls ergibt sich aber klar, daß die Mitgliedschaft bei der SA kein Zwang sein sollte, wie es nach dem Münchener Befehl angenommen werden kann. Offensichtlich ist auch der SA-Dienst, um den es sich in beiden Befehlen handelt, etwas anderes und unabhängig von der Mitgliedschaft in der Organisation. Wie kann »SA-Dienst« Zwang zur Mitgliedschaft in der SA bedeuten, wenn es ausdrücklich heißt, daß neue Mitglieder ausschließlich in den elf Tagen vom 25. April bis 5. Mai eingetragen werden können? Die nächsten Worte machen den wesentlichen Unterschied zwischen den beiden Befehlen klar. In München »sind deshalb die Studenten verpflichtet, der SA beizutreten«, dagegen wird ihnen in Köln »damit die Möglichkeit gegeben in die SA einzutreten«.

Wenn der SA-Dienst, der für alle deutschen Studenten obligatorisch sein sollte, Mitgliedschaft in der SA bedeutete, wäre es nicht in Frage gekommen, ihnen die »Möglichkeit« des Beitritts zu geben. Sie können wohl annehmen, daß in München, der Hochburg des Nationalsozialismus, die Anordnung der Obersten SA-Führung vom 27. März absichtlich mißdeutet wurde, um den Wünschen eines besonders fanatischen Sturmführers zu dienen. Die Dokumente zeigen deutlich, daß die Vorgänge in München nicht für jede andere Hochschule in Deutschland maßgebend waren.

Jüttner bestätigte die Behauptung der Anklagebehörden. Er sagte aus:

»Ich habe bereits zum Ausdruck gebracht, daß in Einzelfällen durch Organisationen außerhalb der SA ein Druck ausgeübt wurde, zum Beispiel im Falle von Studenten und im Falle der Finanzschulen.«

Aber in Beantwortung der Frage: »Es gab doch wohl keine Möglichkeit, einen Studenten zum Beitritt in die SA zu zwingen, wenn er die Ziele der SA mißbilligte?« sagte er: »Dieser Ansicht bin ich auch.«

Ich möchte hinzufügen, daß, wie der Gerichtshof bemerkt haben wird, die Punkte, die ich aus den Aussagen Jüttners angeführt habe, durch Urkunden bestätigt werden.

Es war tatsächlich so, wie er es erklärte: Wo Organisationen mit der SA verschmolzen wurden, »war die große Mehrheit der Leute stolz auf die SA und stolz darauf, in der SA zu dienen«. Wenn es noch eines weiteren theoretischen oder praktischen Beweises für den freiwilligen Charakter der SA bedürfte, so läge er in den Maßnahmen, die die SA-Führung selbst zur Verminderung ihres Mitgliederbestands ergriffen hatte, nachdem in den Jahren 1933 und 1934 ein ungeheuerer Zuwachs erfolgt war, und zwar durch die Einverleibung von Organisationen, wie des Stahlhelms und des Reiterkorps und durch die große Anzahl von Anwärtern, die jeder Parteiorganisation nach der Machtergreifung durch die Nazis zugeströmt waren. Die Zahl der SA-Mitglieder war von 41/2 Millionen im Jahre 1934 auf 1500000 bei Ausbruch des Krieges im Jahre 1939 gefallen. Jüttner gab eine Erklärung für die Ursachen dieses Rückganges. Teilweise war er darauf zurückzuführen, daß der Kyffhäuserbund, eine weitere Veteranenorganisation, aus der SA herausgenommen wurde. Der Rückgang hing aber auch mit der Einführung von Prüfungen für die Mitglieder zusammen, deren Nichtbestehen Entlassung zur Folge hatte, und damit, daß diejenigen, die »auf Grund ihrer beruflichen Betätigung nicht imstande waren, uns ihre Dienste zu widmen und infolgedessen nicht mehr freudig in der SA dienten« gleichfalls entlassen wurden. Eine solche Auskämmaktion und eine Verminderung der Mitgliederzahl von 41/2 auf 11/2 Millionen innerhalb von fünf Jahren ist schwerlich vereinbar mit der Behauptung, daß die gesamte deutsche Jugend, die gesamte deutsche Beamtenschaft und die Bevölkerung im allgemeinen gezwungen worden wären, dieser Organisation beizutreten. Dies ist meiner Ansicht nach ein schlüssiger Beweis für den freiwilligen Charakter dieser Organisation.

Wie kann die Behauptung aufrechterhalten werden, daß alle Beamten, nach Aussage des Zeugen Boley, mit einer Gesamtzahl von 3 Millionen, 1 Million Stahlhelmer, 100000 Studenten, 200000 Mitglieder des Reiterkorps, abgesehen von anderen, sämtlich zwangsweise der SA beitreten mußten, wenn die Gesamtmitgliederschaft dieser Organisation im Jahre 1939 sich nur auf 1500000 belief?

Es ist durchaus denkbar, daß auf eine kleine widerstrebende Minderheit ein Druck ausgeübt wurde und daß die Folgen einer Weigerung ernster Natur gewesen waren. Aber diese Frage muß nach anerkannten und feststehenden rechtlichen Grundsätzen entschieden werden. Könnten wir, selbst wenn dies nicht so wäre, für diese Menschen Mitleid empfinden? Haben sie Mitleid mit den Tausenden ihrer Landsleute gehabt, die dem furchtbaren Greuel der Konzentrationslager preisgegeben wurden? Zeigten sie Mitleid mit den Tausenden von Juden, die Jahre hindurch unaufhörlich verleumdet und verfolgt wurden?

Sie werden sich jedoch erinnern, daß ich, als ich im Februar gewisse mit den Organisationen zusammenhängende Fragen vor Ihnen erörtert habe, für die Anklagebehörde erklärt habe, daß wir für gewisse Teile der SA keine Schuldigerklärung beantragten. Wir nahmen aus:

1. Alle Träger des SA-Sportabzeichens, die, streng genommen, keine Mitglieder der SA waren.

2. Mitglieder der SA-Wehrmannschaften, die nicht sonstwie Angehörige der SA waren. Nachdem Sie das Beweismaterial hinsichtlich der von den Wehrmannschaften in Polen und den Ostgebieten begangenen Verbrechen zur Kenntnis genommen haben, mögen Sie wohl annehmen, daß jener Zweig der SA nicht ausgenommen werden sollte. Nichtsdestoweniger sind wir der Meinung, daß viele Angehörige der für diese Greueltaten in Betracht kommenden Einheiten gleichzeitig Angehörige der eigentlichen SA waren und wir gestatten uns daher, die Ansicht zum Ausdruck zu bringen, daß unsere ursprüngliche Erklärung unverändert bleiben könne.

3. Angehörige der SA-Reserve, die niemals in irgendeiner anderen Formation der Organisation gedient haben.

4. Die Nationalsozialistische Kriegsopferversorgung.

Es ist immer wieder erklärt worden, daß der Anklagebehörde nur an einer Schuldigerklärung der für die begangenen Verbrechen hauptsächlich Verantwortlichen gelegen ist. Im Hinblick darauf und auf Grund des Ihnen seit Februar vorgelegten Beweismaterials möchten wir höflichst gewisse weitere Ausnahmen von der allgemeinen Mitgliedschaft zu dieser Organisation anempfehlen.

Erstens: Jüttner hat Ihnen die Gesamtstärke der SA im Jahre 1934 mit 41/2 Millionen angegeben. Diese Zahl enthielt 1500000 Mitglieder des Kyffhäuserbundes. Kurz nach der Verschmelzung jener Organisation mit der SA im Jahre 1933 wurden die beiden wieder getrennt. Wir empfehlen ergebenst den Ausschluß aller jener Mitglieder des Kyffhäuserbundes, welche nach jener Trennung ihre SA-Mitgliedschaft nicht beibehalten haben.

Zweitens: Wir glauben berechtigt zu sein, den Ausschluß gewisser Teile des Stahlhelms zu beantragen. Damit Sie die Gründe dieser Empfehlung verstehen, dürfte es nützlich sein, wenn ich Ihnen kurz die Gliederung und die Geschichte jener Organisation in Erinnerung bringe. Sie bestand aus:

1. Dem »Scharnhorst«, der Jugendorganisation des Stahlhelms für Knaben unter 14 Jahren war, mit einer Stärke von ungefähr 500000 Angehörigen.

2. Dem »Wehrstahlhelm«, welcher den »Jungstahlhelm« (Jünglinge von 14-24 Jahren) und die Stahlhelm-Sporteinheiten (Männer von 24-35 Jahren) umfaßte. Die Gesamtstärke des »Wehrstahlhelms« belief sich auf 500000 Angehörige.

3. Dem »Kernstahlhelm«, welcher aus Männern zwischen 36 und 45 Jahren bestand. Seine Stärke wurde mit 450000 Mann angegeben.

Demzufolge umfaßte der gesamte Stahlhelm ungefähr 11/2 Millionen Männer und Jünglinge.

1933 wurde der Stahlhelm der Kontrolle der Nazi- Partei unterstellt. Der Scharnhorst wurde in die Hitler-Jugend überführt, der Wehrstahlhelm in die eigentliche SA und der Kernstahlhelm in die SA-Reserve. Nachdem wir bereits die SA-Reserven ausgeschaltet haben, brauchen wir uns nur mit demjenigen Teil des Stahlhelms, welcher der eigentlichen SA einverleibt wurde, zu beschäftigen, den 500000 Mitgliedern des Wehrstahlhelms.

Es liegt Ihnen Beweismaterial sowohl von Zeugenaussagen als auch von Dokumenten im Dokumentenbuch der Verteidigung vor, wonach viele jener 500000 Mitglieder des Stahlhelms Gegner der Einverleibung in die SA, der Politik und Ziele der SA und der Nazi-Partei waren. Viele, wie der Zeuge von Waldenfels, weigerten sich, der SA beizutreten. Man darf annehmen, daß viele andere, obwohl Gegner der Politik der SA, bereit waren, ihr beizutreten, mit Rücksicht auf die ihnen gegebene Versicherung, daß sie gleich wie das Reiterkorps ihren unabhängigen Charakter, ihr Wesen und ihre Führer beibehalten würden und von ihnen niemals verlangt würde, sich aktiv in der eigentlichen SA zu betätigen. Andererseits unterliegt es nicht dem geringsten Zweifel, daß viele von ganzem Herzen der SA beigetreten sind und sich in vollstem Ausmaß an deren verbrecherischen Taten beteiligt haben. Jüttner selbst ist ein Beispiel und er hat erklärt, daß er keineswegs der einzige gewesen ist. Sie werden sich an seine Aussage erinnern:

»Es sind zahlreiche SA-Männer in der ersten Zeit zu mir gekommen, die früher dem Stahlhelm angehört haben. Die haben, wie ich auch, ein Bedauern in sich getragen, daß ihre alte schöne Organisation nicht mehr bestehe, sie haben aber mit mir freudig zum Ausdruck gebracht, in dieser großen Gemeinschaft der SA nunmehr mitwirken zu können.«

Über sein eigenes Gebiet sprach er wie folgt:

»Dort waren... eigentlich nach 1935 der Kern der SA mein alter Stahlhelm; es waren also sehr viele Stahlhelmer in der SA verblieben.«

Den ganzen Stahlhelm auszunehmen, würde den Ausschluß von Männern wie Jüttner und vieler anderer, welche den Kern der SA bilden sollten, nach sich ziehen.

Wir sind der Meinung, daß eine gerechte und praktische Trennung dieser beiden Klassen erfolgen kann. Im Juli und August 1935 wurde die dem Stahlhelm gegebene Versicherung, daß er, obwohl Mitglied der SA, seine Unabhängigkeit beibehalten würde, gebrochen. Zum Schluß wurde die Stahlhelmorganisation aufgelöst, ihre Uniform, ihre Zusammenkünfte und alle ihre bisherige Tätigkeit wurden verboten. Von diesem Zeitpunkt an konnten die in der SA verbleibenden Stahlhelmangehörigen nicht mehr vom übrigen Teil jener Organisation unterschieden werden. 1933 waren sie der SA beigetreten, obwohl sie, wie einer ihrer eigenen Zeugen bekundet hat, den verbrecherischen Charakter der Politik und Tätigkeit der SA kannten. Im Jahre 1935 vollends konnten sie sich keiner Illusion mehr hingeben, daß, wenn sie Mitglieder blieben, sie jene Politik nicht zu unterstützen hätten und an jener Tätigkeit nicht teilzunehmen brauchten. Keiner, der nach jenem Zeitpunkt Mitglied blieb, kann sich von einer großen Verantwortlichkeit für die Verbrechen, die von der SA und der Nazi-Regierung, zu deren hauptsächlichstem Bollwerk die SA gehörte, begangen wurden, lossagen. Wir möchten Ihnen deshalb ergebenst die Entscheidung anheimstellen, ob alle diejenigen Mitglieder des Stahlhelms, welche vor dem 31 Dezember 1935 aus der SA austraten oder aus ihr ausgeschlossen wurden, ebenfalls ausgenommen werden sollten. Wir behaupten, daß diejenigen, welche in der SA verblieben, mit voller Berechtigung der verbrecherischen Organisation der SA zuzuzählen sind.

Sie werden gern das Ergebnis einer solchen Ausscheidung aus der Zahl der in dieses Prozeßverfahren verwickelten SA-Angehörigen hören wollen. Allein die Herausnahme der 11/2 Millionen Angehörigen des Kyffhäuserbundes und der 500000 Kernstahlhelmer reduziert Jüttners Gesamtzahl auf 21/2 Milionen; hierin sind noch nicht die anderen Ausnahmen, welche die Anklagebehörde vorgeschlagen hat, eingerechnet.

Zuletzt möchte ich noch ein Wort über das Reiterkorps sagen. Ich habe bereits dargelegt, daß keine Rechtsgrundlage für die Behauptung, die Mitgliedschaft in ihm sei eine unfreiwillige gewesen, gegeben ist. Immerhin erkennt die Anklagebehörde an, daß, soweit das Reiterkorps eine Sonderorganisation von Reitklubs mit eigenem Wesen und eigenem Führer blieb, man wohl der Ansicht sein kann, daß es sich, wenn man die kriminelle Verantwortlichkeit der SA betrachtet, in einer etwas besonderen Stellung befindet. Es bleibt natürlich dem Gerichtshof vorbehalten, der Sonderstellung des Reiterkorps Rechnung zu tragen, wenn er dies wünscht. Sie werden sich erinnern, daß seine Mitgliedschaft sich auf 200000 belief.

Ich sollte vielleicht zu einem weiteren, von der Verteidigung aufgeworfenen Punkt ein Wort sagen. Es ist behauptet worden, daß die Wochenschrift »Der SA-Mann«, welche der Anklagebehörde einen kleinen Teil ihres Beweismaterials gegen diese Organisationen geliefert hat, ungenau ist und keineswegs die Politik und Tätigkeit der SA wahrheitsgemäß wiedergibt. Sie haben das Beweismaterial für und gegen diese Behauptung zur Kenntnis genommen. Ich brauche Sie nur daran zu erinnern, daß diese Wochenschrift durch die offizielle Nazi-Verlagsanstalt, die Eher-Gesellschaft, herausgegeben wurde; diese hat auch »Mein Kampf«, die Organisationsbücher, die Befehle und Verordnungen der Nazi-Regierung und alle anderen amtlichen Nazi-Veröffentlichungen verlegt.

VORSITZENDER: Bevor Sie zum nächsten Gegenstand übergehen, möchte ich tragen, ob die Zahl von 21/2 Millionen, die Sie angaben, auch für den Ersatz gilt?

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Nein, Herr Vorsitzender, dasselbe trifft für den Ersatz zu. Wir sind der Ansicht, daß man demgegenüber auch die besonders hohen Verluste während des Krieges berücksichtigen muß. Es handelt sich dabei nur um eine Zeitspanne von fünf Jahren nach Kriegsausbruch. Während dieser Zeit gingen die 41/2 Millionen auf 11/2 Millionen zurück. Nach dieser Zeit dürfte unseres Erachtens der Ersatz durch Todesfälle während des Krieges wettgemacht worden sein. Euer Lordschaft werden wohl verstehen, daß wir nur versuchen, von Jüttners ursprünglicher Zahl von 41/2 Millionen auszugehen. Wir stellen fest, daß diese auf 21/2 Millionen zurückging. Wenn Sie unserem Vorschlag bezüglich des Kyffhäuserbundes und des Kernstahlhelms folgen, so würde dies allein eine Abnahme auf 21/2 Millionen bedeuten. Dann müssen Sie noch die von uns vorgeschlagene Herausnahme der Stahlhelmmitglieder, die vor Ende 1935 ausgetreten sind, mit in Rechnung stellen. Die Frage des Reiterkorps überlassen wir natürlich dem Gerichtshof. Nachdem Sie dies getan haben und auf eine Zahl von ungefähr 2 Millionen gekommen sind, ist es Tatsache, daß diese Zahl während der fünf Jahre auf 11/2 Millionen herabging, wie Jüttner bezeugte.

Ich sprach gerade von dem »SA-Mann« und ich fahre fort:

Unter dem Titel steht die Beschreibung »Amtliches Organ der Obersten SA-Führung«. Ihr Schriftleiter beschreibt sie in einem Schreiben an den Angeklagten Rosenberg, ohne auf Widerspruch zu stoßen, als »das Kampfblatt und amtliche Organ der Obersten Partei- Führung« mit einer Auflage von 750000 Exemplaren. (4009-PS, GB-614.) Lutze selbst empfiehlt sie in seiner jährlichen Ausbildungsanweisung für 1939 als eines der amtlichen »Hilfsmittel zur Vorbereitung und Durchführung der Schulung«. Ich bin der Ansicht, daß angesichts dieses Beweismaterials der Aussage von Entlastungszeugen zu diesem Punkte kein Glaube beigemessen werden sollte.

Wollen Sie bitte die gesamte Literatur, welche Sie im Zusammenhang mit dieser Organisation gesehen haben, betrachten. Es ist immer dasselbe – es handelt sich immer um Krieg, um ungesetzliche Gewalttaten, um Rassenhaß. Kein Wort ist darin über die täglichen Dinge anständiger Lebensführung, von den Interessen, der Tätigkeit und der Lebensweise gewöhnlicher, anständiger, zivilisierter, friedlicher Staatsbürger – Dinge, welche die Zeitungen und die Literatur anständiger, das Gesetz achtender, friedlicher Länder füllen. Vergleichen Sie die Literatur der SA mit der irgendeiner Organisation oder Gesellschaft in irgendeinem anderen Land Europas. Die SA, jene Organisation, die auf ihre Verantwortlichkeit für die Erziehung und Schulung der Männer Deutschlands stolz war, sprach nur von Militarismus, von Hochmut, von Tyrannisierung und von Haß. Wozu dies alles, wenn ihr Ziel nur das war, was sie vorgeben? Ich wende mich nun kurz der Betrachtung des Beweismaterials zu, auf welches wir unsere Behauptung gründen, daß diese Organisation verbrecherisch war. Die Ziele der SA waren die Ziele der Nazi-Partei selbst. Die Ausbildung in der SA wird in dem Organisationsbuch beschrieben als – ich zitiere –

»die Erziehung und Ausbildung auf Grund der Lehren und Ziele des Führers, wie sie im Kampf und im Parteiprogramm für alle Gebiete unseres Lebens und unserer nationalsozialistischen Weltanschauung niedergelegt sind« (2354-PS, US-323.)

Lutze, der Chef der SA, sagte im Jahre 1936 in einer Rede vor dem Diplomatischen Korps und der Auslandspresse:

»Wenn ich eingangs meiner Ausführungen sagte, daß die Aufgaben der SA die Aufgaben der Partei sind und umgekehrt, dann kann es nur so sein, daß die SA auch im Programm der Partei das ihre sieht... die SA kann nicht selbständig neben der nationalsozialistischen Bewegung, sondern nur in ihr stehen. Im Rahmen der Partei gesehen, ist die SA deren Schutztruppe, deren kämpferischer Stoßtrupp, in dem die politisch aktivsten Männer der Bewegung organisatorisch erfaßt sind. Die Aufgaben der SA sind die Aufgaben der Partei und umgekehrt. Sie sind also innerpolitischer Art.« (2471-PS, US-413.)

Im Interesse der Zeitersparnis beabsichtige ich nicht, mich bei den Beweisen dafür aufzuhalten, in welcher Weise diese Organisation ihre Rolle als »Schutztruppe« und »Stoßtrupp« der Partei gespielt hat. Man kann wohl sagen, daß dies alles bereits historisch Tatsache geworden ist. Um die Worte der Anklage zu gebrauchen: Die SA wurde von den Nazi- Verschwörern vor ihrer Machtergreifung zu einer riesigen Privatarmee ausgebaut und benutzt, um Unordnung zu stiften und um politische Gegner zu terrorisieren und auszumerzen. Es ist behauptet worden, daß die gewalttätige und verbrecherische Tätigkeit ihrer Mitglieder – falls eine solche Tätigkeit überhaupt bestand – nur zur Selbstverteidigung diente, ihr aufgezwungen war, um ihre Mitglieder und ihre Parteiführer vor der Gewalttätigkeit der Kommunisten und anderer politischer Parteien zu schützen. Es ist Ihre Aufgabe, den Wert dieses Beweismaterials zu beurteilen. Hierbei werden Sie zu berücksichtigen haben, daß alle Beweisurkunden zu dieser Frage, welche Ihnen im Verteidigungs-Dokumentenbuch vorgelegt worden sind, nationalsozialistischen Ursprungs sind und Nationalsozialisten zu Verfassern haben. Sie werden erkennen, daß jene Beschreibung der SA als einer Verteidigungsorganisation durchaus nicht übereinstimmt mit den Aussagen der Zeugen Severing und Gisevius und der eidesstattlichen Versicherung des amerikanischen Konsuls Geist.

Herr Vorsitzender! Ich lasse einen Teil des Beweismaterials aus. Wiederum beabsichtige ich nicht, es heute dem Gerichtshof vorzulesen. Ich möchte Sie nur an das erinnern, was Severing Ihnen über die brutale Bande und ihre Arroganz sagte, und ich bitte den Gerichtshof, sich die letzten Worte des Zitats am Anfang der Seite 52 anzusehen:

»Die Beobachtung der sogenannten Wehrorganisation war ja in den Jahren meiner Amtstätigkeit (in Preußen) eine meiner wichtigsten Aufgaben. Als die roheste Organisation von allen Wehrorganisationen hat sich die SA herausgestellt... und in derselben Art, wie sie Ihre Lieder sang, erzwang sie sich auch, die Straßen, überall dort, wo sie keine Gegenwehr fand... So hat die SA überall dort, wo sie ungehindert ihren Terror entfalten konnte, gehandelt...«

»... das waren nicht die gewöhnlichen Plänkeleien zwischen politischen Parteien in Wahlkämpfen, sondern das war organisierter Terror.« (Protokoll Band XIV, Seite 304.)

Der Stahlhelm-Zeuge Gruß bestätigte die Aussage Severings.

»Ich glaube, sagte er, daß Severing im großen und ganzen es richtig beschreibt« (Protokoll Band XXI, Seite 137).

Ich bin der Ansicht, daß das Beweismaterial für den verbrecherischen Charakter der SA während der Jahre 1933/1934, von der Machtübernahme der Nazi- Regierung bis zum Röhm-Putsch gut zusammengestellt und kurz behandelt werden kann. Die gleiche Gewalttätigkeit, die gleiche Mißachtung des Gesetzes und der Rechte und Vorrechte aller außer ihrer eigenen dauerte an. Es genügt, Sie an die Worte Gisevius zu erinnern – und wiederum, Herr Vorsitzender, möchte ich Sie erinnern an die Erklärung von Gisevius über den Einsatz der SA-Hilfspolizei, über private Gefängnisse, über Verhaftungen; wiederum möchte ich den letzten Satz des Zitats vorlesen:

»Die SA veranstaltete Groß-Razzien, die SA machte Haussuchungen, die SA beschlagnahmte, die SA lud zu Zeugenvernehmungen, die SA sperrte ein, kurz die SA ernannte sich selbst zur permanenten Hilfspolizei und pfiff auf alle Rechts- und Verwaltungsgrundsätze aus der sogenannten liberalen Systemzeit... Wehe, wenn sie jemand in Ihren Klauen hatte; aus dieser Zeit stammten auch die ›Bunker‹, die gefürchteten Privatgefängnisse, von denen jeder gute SA-Sturmtrupp mindestens einen besitzen mußte. Die Abholung wird SA-Gewohnheitsrecht; die Tüchtigkeit eines Standartenführers mißt sich an der Zahl seiner Häftlinge und das Ansehen eines SA- Rowdies war gegründet auf den Erfolg, mit welchem er seine Gefangenen ›erzog‹...«

»Saalschlachten im Kampf um die Macht können nicht mehr geboten werden. Gleichwohl geht der Kampf unentwegt weiter. Jetzt gibt es Prügeleien in der Auskostung der Macht.« (Protokoll Band XII, Seite 297.)

Gisevius beschrieb weiter in ausführlicher Weise die ungesetzlichen Verhaftungen politischer Gegner durch Mitglieder der SA, die von ihnen errichteten Gefängnisse und die Behandlung, welche ihren Opfern zuteil wurde; er sagte:

»Erst diese geduldeten Bestialitäten aus den ersten Monaten ermunterten später die sadistischen Mordbuben in den Konzentrationslagern.« (Protokoll Band XII, Seite 297.)

Nachdem Sie Schäfer, den ersten Kommandanten von Oranienburg, im Kreuzverhör gehört haben, bezweifeln Sie noch im geringsten, daß in diesem Lager von SA-Männern Greueltaten begangen wurden? Sie haben die Aussage des Zeugen Joel, daß auf Initiative des örtlichen SA-Kommandanten die SA ein Konzentrationslager in Wuppertal errichtet hat. Auch in Hohnstein und in Bredow marterten und ermordeten die SA-Wachmannschaften ihre Gefangenen (787-PS, US-421).

Sie werden sich an den Brief erinnern, welchen im Juni 1935 der Justizminister an Hitler selbst geschrieben hat:

»In dem Lager ist es mindestens seit Sommer 1933 zu ungewöhnlich schweren Mißhandlungen der Häftlinge gekommen. Die Häftlinge wurden nicht nur, ähnlich wie in dem Schutzhaftlager Bredow bei Stettin, grundlos mit Peitschen und anderen Werkzeugen bis zur Bewußtlosigkeit geschlagen, sondern man quälte sie auch auf andere Weise...« (787-PS, US-421).

Ein Kommentar ist überflüssig; es bleibt nur hervorzuheben, daß Sadismus und ungesetzliche Verhaftungen dieser Art durch SA-Leute im ganzen Reichsgebiet begangen und ausgeführt wurden:

»Sechs Wochen nach der Machtergreifung durch die Nazis im Januar 1933 meldeten deutsche Zeitungen amtlich, daß 18000 Kommunisten gefangengesetzt worden waren, während unter den 10000 Gefangenen in preußischen Gefängnissen sich zahlreiche Sozialisten und Intellektuelle befanden.« (D-911, GB-512.)

Sollmann, ein sozialdemokratisches Reichstagsmitglied, wurde ins Braune Haus in Köln gebracht, um dort einige Stunden lang »gefoltert«, »geschlagen« und »mit Füßen getreten« zu werden (3221-PS, US- 422). In Nürnberg wurde ein Mann namens Pflaumer auf seine Fußsohlen geschlagen, bis er starb (D-923, GB-615). In München wurde das Haus des Dr. Alois Schlögl, des früheren Redakteurs der Zeitung »Der Niederbayerische Bauer« zerstört und er selbst mißhandelt (D-906, GB-616). Dies sind nur einige wenige derartige Vorfälle, über die der bayerische Ministerpräsident sagt, daß ihre Gesamtzahl in ganz Deutschland nicht festgestellt werden könne (D-930, GB-617). Dies war keine politische Umwälzung. Dies war kein Selbstschutz gegen die kommunistische Opposition. Diese Männer waren die Diener der Regierung und mit dem sicheren Wissen, daß alle Regierungsstellen – Presse, Justiz und Polizei – Befehle hatten, sie straffrei ausgehen zu lassen und zu unterstützen. Sie liefen kein Risiko; ihre Opfer hatten keinen Gerichtshof oder eine Schutzmacht, an welche sie sich hätten wenden können. Dies war nichts anderes als reiner Sadismus, verbrecherische Roheit, von der Partei- und der SA-Führung angeregt. Sie haben das Zeugnis Geists, des amerikanischen Konsuls:

»Ich kann persönlich bestätigen, daß die Polizei die Anweisung hatte, sich nicht einzumischen... Diese Beamten sagten mir, daß sie und alle anderen Polizeibeamten die ausdrückliche Anweisung hatten, sich einer Einmischung in die Tätigkeit der SA, der SS und der Hitler- Jugend zu enthalten,« (1759-PS, US-420.)

Am 3. März 1933 beschrieb der Angeklagte Göring die Rolle, welche die SA von nun an zu spielen hatte. Er erklärte, daß die Kommunisten von den Braunhemden unterdrückt werden würden. Die Polizei würde nicht wie in einer bürgerlichen Demokratie verwendet werden – ich zitiere:

»Hier habe ich keine Gerechtigkeit zu üben, hier habe ich nur zu vernichten und auszurotten, weiter nichts!... aber den Todeskampf, in dem ich euch die Faust in den Nacken setze, führe ich mit denen da unten, das sind die Braunhemden!« (1856-PS, US-437.)

Ich möchte mich etwas ausführlicher mit der Tätigkeit der SA während jener Jahre nach 1934 befassen. Es ist behauptet worden, daß als Folge des Röhm- Putsches die SA sowohl an Zahl als an Bedeutung abnahm und daß die verbrecherische Tätigkeit ihrer Mitglieder aufhörte. Daß ihre Zahl abnahm, ist unzweifelhaft – das Beweismaterial für die Gründe habe ich angegeben. Daß die SA an Bedeutung abnahm, stimmt ebenfalls mit der Maßgabe, daß aus wohlbekannten Gründen die Gunst der Regierung sich mehr und mehr der SS zuwandte. Trotzdem blieb die SA sowohl in den Augen ihrer eigenen Führer als ihrer Mitglieder und der Parteistellen politisch und militärisch eine bedeutende und lebenswichtige Macht.

Bis Juni 1934 waren die politischen Gegner der Nazi-Partei unterdrückt oder eingekerkert worden. Kein Wunder daher, daß wir weniger Beweismaterial über solche Fälle von »Beherrschung der Straßen«, welche die deutsche Geschichte während der vorangegangenen Jahre angefüllt hatten, besitzen. Die Ziele dieser Organisation blieben jedoch dieselben – fanatische Unterstützung der Nazi-Regierungspolitik; die Unterdrückung etwa noch übrig gebliebener Opposition, besonders der Kirchen und der Juden; und überdies gründliche Vorbereitung des Angriffskrieges.

Die SA und die SS waren schon bei der Aktion zur Auflösung der Gewerkschaften eingesetzt worden. Die Kirche und die Juden blieben ein ständiges Problem. Ich habe schon die Politik der Nazi-Partei zur Unterdrückung jedes kirchlichen Einflusses erwähnt; aber ich möchte Sie an die Rolle erinnern, die die SA in diesem Kampf während der Jahre nach 1934 spielte. Sie erinnern sich an den Vorfall in der Freisinger Kirche im Februar 1935, als die Kreisleiterin allen ihren Nazi-Frauen befahl, die SA-Sturmtruppen zum Gottesdienst in die Freisinger Kirche zu begleiten. SA-Männer waren es die das Läuten der Kirchenglocken während des Gottesdienstes des Kardinals veranlaßten. SA-Männer waren es, die nachher Hans Hiedl in der Nacht auf eine Wiese führten und ihn unbarmherzig wegen seiner Mißbilligung der Störung des Gottesdienstes verprügelten. Ich lasse Hans Hiedls Bericht über diesen Vorfall aus.

»Der Anführer nahm ein Tuch aus der Tasche, band es mir um den Mund, drückte mich auf den Boden nieder und hielt mich fest, während die beiden anderen auf mich einzuhauen begannen, sie führten etwa 15-20 wuchtige Schläge auf mich aus vom Gesäß nieder bis zum Knöchel des linken Fußes. Der Knebel lockerte sich, ich schrie laut. Da ließ man mich los und half mir in die Höhe. Strenge schärfte man mir (ein) ich dürfe von dem ganzen Vorgang nichts erzählen, wenn mir mein Geschäft lieb sei. Dann gab man mir einen Fußtritt und sagte: ›Jetzt schaust, daß Du im Trab heimkommst, Du schwarzer Bruder.‹« (1507-PS, GB-535.)

Hat die Verteidigung, daß dies nur ein vereinzelter Zwischenfall gewesen sei, irgendeinen Eindruck auf Sie gemacht? Wenn Sie die Beweise für die schweren und weitverbreiteten Gewaltakte betrachten, die die SA vor den Augen von ganz Deutschland und der Welt während der Jahre des Nazi-Kampfes brandmarkten, können Sie dann daran zweifeln, daß ähnliche Vorfälle in ganz Deutschland im Jahre 1935 und danach stattfanden, wenn immer sich die Gelegenheit dazu bot? Kann sich der ganze Charakter einer Organisation wie dieser innerhalb weniger Monate ändern? Wenn der Charakter und die Ziele der SA sich geändert hätten, warum hätte dann der »SA-Mann« in den Jahren 1937 und 1938 Aufsätze veröffentlicht, in denen die Kirche beschimpft wird, wie zum Beispiel in folgenden Artikeln:

»Meine lieben Franziskaner«

»Eine schwarze Bilanz-politischer Katholizismus«

»Die Kirche will dem Staat befehlen«

»Demaskierter politischer Katholizismus« und

»Will der Vatikan Krieg?«

(3050-PS, US-414.)

Wenn die Gewaltmethoden der SA sich während dieser Jahre geändert hätten, warum hätte dann das amtliche Organ ihrer obersten Führung die Geschichten ihrer früheren Kämpfe wieder und wieder erzählt? Ihre Titel sprechen Bände:

»Wir schlagen den roten Terror nieder«

»Nächtliche Straßenschlachten an der tschechischen Grenze«

»Die SA bricht den roten Terror«

»Blutiger Sonntag in Berlin« (3050-PS, US-414).

Und jene Beschreibung des »9. November 1923« in Nürnberg, als im Laufe der Unruhen jemand brüllte »Das Judenhaus wird gestürmt! Juden raus!« (3050-PS, US-414.)

Die Rolle, die die SA in der ständig zunehmenden Verfolgung der Juden spielte, beseitigt jeden noch vorhandenen Zweifel über den fortdauernden verbrecherischen Charakter dieser Organisation während der Jahre nach 1934. In seiner Biographie schrieb Goebbels über den Boykott im April 1933:

»1. April 1933...

Alle Judengeschäfte sind geschlossen. Vor den Eingängen stehen SA-Posten.« (2409-PS, US-262.)

Dies war nur ein Beispiel, wie in ganz Deutschland die SA der Nazi-Regierung die Mittel lieferte, ihre Politik in die Tat umzusetzen. Die von Streicher und seinem Komitee ausgegebenen Instruktionen besagten:

»Es ergehen Anordnungen an die SA und SS, um vom Augenblick des Boykotts ab durch Posten die Bevölkerung vor dem Betreten der jüdischen Geschäfte zu warnen.« (3389-PS, US-566.)

Sie haben die Aussage von Kurt Schmidt, dem Wirtschaftsminister und Mitglied des Reichskabinetts bis zum Januar 1935:

»... Kam noch hinzu, daß die SA als destruktives Element in der Wirtschafts- und Judenfrage einen immer unheilvolleren Einfluß ausübte...« (4058-PS, US-922.)

Sie haben die Aussage von deren eigenem Zeugen, dem Freiherrn von Waldenfels, der gefragt wurde:

»Hat die SA nach 1934 aktiv an der Verfolgung der Juden teilgenommen?«

und antwortete:

»Soweit ich aus Erzählungen weiß, ja. Ich habe selbst in München gesehen, daß Läden geplündert worden sind. Ob auf Befehl, oder ob das von den einzelnen Leuten kam, das kann ich nicht sagen.«

Er versuchte, die Bedeutung der SA nach 1934 zu verkleinern, aber seine Aussage war ganz klar:

Frage: »Aber auch, als sie eine weniger bedeutende Rolle spielte, hat sie da die Politik und die Praxis der Judenverfolgung, die sie vorher betrieben hatte, fortgesetzt?

Antwort: Das ohne Zweifel.«

Goebbels erinnerte in einer Ansprache an die SA im Oktober 1935 daran, daß diese der »stärkste Kraftarm der Bewegung« und daß die Nazi-Regierung eine »antijüdische Regierung« sei. (3211-PS, US-419.) Wenn die aktive Verfolgung der Juden nicht eine fortgesetzte Aufgabe der SA nach 1934 war, warum mußte dann der Stabschef der SA, Lutze, in seiner Ansprache an das Diplomatische Korps und Vertreter der Auslandspresse im Januar 1936 den Titel, mit dem die Auslandspresse die SA so oft brandmarkte – »der Träger eines barbarischen und kulturlosen Rassenkampfes« (2471-PS, US-413) –, erklären? Warum sind alle diese Aufsätze im »SA-Mann« während der Jahre 1935 bis 1939 fast jeden Monat erschienen, die im Wortlaut jenen so ähnlich waren, die »Der Stürmer« vorzugsweise herausbrachte? Die Überschriften genügen zur Charakterisierung ihres Inhalts; ich verweise lediglich auf drei davon:

»Mord, die jüdische Losung«

»Jüdische Weltrevolution – aus U.S.A.«

»Totengräber der Weltkultur« (3050-PS, US-414).

Und wenn die Mitglieder der SA nicht tatsächlich auch nach 1934 die Juden weiterhin aktiv verfolgt hätten, wie ist die Rolle zu erklären, die sie in den Ausschreitungen vom November 1938 gespielt haben? Sie werden sich an die Anordnungen erinnern, die die SA-Brigade 50 in Darmstadt am frühen Morgen des 10. November erhielt:

»Auf Befehl des Gruppenführers sind sofort innerhalb Brigade 50 sämtliche jüdischen Synagogen zu sprengen oder in Brand zu setzen...

Die Aktion ist in Zivil auszuführen.« (1721-PS, US- 425.)

»Sie werden sich ebenso an die Berichte verschiedener SA-Führer an das SA-Gruppen-Hauptquartier des pfälzischen Wahlbezirkes erinnern – Im Bereich der 50. Brigade 35 Synagogen in die Luft gesprengt, durch Feuer zerstört oder zertrümmert; in Mannheim 21 Synagogen, Kirchen oder Versammlungshauser, im Bereiche der Standarte 174 der 151. Brigade sämtliche Synagogen zerstört und die Juden in Schutzhaft genommen; Bereich der Standarte 250 elf Synagogen zerstört, sämtliche Fensterscheiben jüdischer Geschäfte zerschlagen, den Rabbiner und verschiedene prominente Juden von der Gestapo ›zur eigenen Sicherheit‹ in Schutzhaft genommen, der ›berüchtigte Rabbiner Neuburger‹, der wegen seiner Auslandsbeziehungen bekannt war, wurde ›auf Veranlassung der SA‹ mit sämtlichen männlichen Juden aus verschiedenen Dörfern in Schutzhaft genommen; im Bereich der Standarte 17 zwei Synagogen völlig niedergebrannt und verschiedene jüdische Geschäfte zerstört; und der Bericht von der 51. Brigade: Synagogensache ausgeführt. Alles durchgeführt bis hinauf nach Rölsheim.«

Dann, Herr Vorsitzender, bringe ich einige weitere Einzelheiten und bitte Euer Lordschaft, den nächsten Absatz auszulassen und zum letzten Absatz der Seite übergehen zu dürfen, wo es heißt:

Diese Ereignisse im Bezirk Mannheim können nicht – wie die Verteidigung es glaubhaft machen will – eine Ausnahme gegenüber der Politik der SA- Führerschaft und dem allgemeinen Gebaren der SA- Mitglieder im übrigen Deutschland gewesen sein. Insgesamt wurden in dieser Nacht 267 Synagogen zerstört. Mit Recht können wir fragen: Aus welchem Grund sollte nur die 50., 51. und 151. Brigade allein Anordnungen erhalten haben, sämtliche Synagogen zu zerstören? Aus welchem Grund sollte Jüttner den Befehl von Heß persönlich an alle Einheiten der SA erteilt haben, daß sämtliche Dienststellen der Partei und ihrer Gliederungen wertvolles Eigentum in ihrer Verwahrung der nächsten Dienststelle der Gestapo zu übergeben hatten?

Wir bitten um die Feststellung, daß dieser Beweis in sich schlüssig ist. Nichtsdestoweniger liegt Ihnen fernerhin der Bericht zu den Verhandlungen des Obersten Parteigerichtshofes über die Ermordung von Juden während dieser Ausschreitungen vor. 15 SA- Männer begingen Morde. Sie begingen sie in ganz Deutschland: in Ostpreußen, in Dessau, in Hannover, in Bremen, in Sachsen und in München. Waren auch diese Morde alle nur vereinzelte Zwischenfälle?

Görings Biograph schrieb 1937 folgendes über die SA:

»Fast unbemerkt von der Öffentlichkeit geht die Umformung der Schutzpolizei vor sich. Ihre Reihen werden verstärkt durch das verläßlichste Instrument der Bewe gung, durch die SA.« (3252-PS, US-424.)

Ein vernichtenderes Urteil könnte kaum über eine Organisation gefällt werden.

Ich gehe nunmehr zu den Kriegsvorbereitungen und der Betätigung im Kriege über.

Unmittelbar nach der Machtübernahme durch die Nazi-Partei wurde die SA die Keimzelle des Heeres, mit welcher die Nazis ihre Vorbereitungen zu einem Angriffskrieg begannen. Geist, der amerikanische Konsul, erzählt darüber folgendes:

»Besonders in den Jahren 1933 und 1934 sah man Horden von Sturmtrupplern und SA bei militärischen Übungen. Sie wurden in eine militärische Organisation umgewandelt. Ich traf häufig die Sturmtruppleute in Feldern und Wäldern bei technisch-militärischen Übungen. Dies alles war ein Teil des allgemeinen Planes, die deutschen Männer auf den Krieg vorzubereiten.« (1759-PS, US-240.)

Geists Ausführungen werden durch Lutze selbst bestätigt, der 1939 folgendes schreibt:

»Bereits 1920 bei der Gründung der nationalsozialistischen Sportabteilung (SA) legte der Führer dieser damaligen SA ihren umfassenden Auftrag fest... Die SA soll einst Träger des Wehrgedankens eines freien Volkes sein und im gleichen Sinne sagt der Führer in seinem Buch ›Mein Kampf‹:

Man gebe der deutschen Nation sechs Millionen sportlich tadellos trainierte Körper, alle von fanatischer Vaterlandsliebe durchglüht, und zu höchstem Angriffs geist erzogen, und ein nationalsozialistischer Staat wird aus ihnen, wenn notwendig, in nicht einmal zwei Jahren eine Armee geschaffen haben.‹

Niemals aber vergaßen diese Männer auch den Auftrag ihres Führers, die Wehrerziehung des deutschen Mannes zu fördern und den Wehrgeist im deutschen Volke wieder aufzurichten.« (3215-PS, US-426.)

Welchen Zweck soll es nun haben, wenn jetzt SA- Zeugen kommen und diesem Gerichtshof erzählen wollen,

»Die SA hatte keinen militärischen Charakter... und wollte keinen haben...«

»Die SA bewahrte immer den nicht-militärischen Charakter ihres Ausbildungsprogramms.«

Eine Unmenge von sonstigen Beweisen liegt noch über den militärischen Charakter und Zweck der SA und ihre rastlose Ausbildung und Vorbereitung zum Kriege vor.

Dr. Ernst Bayer, der im Jahre 1938 auf Befehl der Obersten SA-Führung schreibt, legt nochmals die Ziele der SA dar:

»Heute steht die SA vor der großen Aufgabe, Hüterin und Gestalterin des Wehrwillens und der Wehrkraft des deutschen Volkes zu sein.« (2168-PS, US-411.)

Bereits im Mai 1933 schlug von Reichenau vor, daß die Oberste SA-Führung im Reichsverteidigungsrat vertreten sein sollte und ich füge hinzu, daß eine Bleistiftnotiz auf diesem. Schreiben zeigte, daß dies schon geschehen war (2822-PS, GB-205). Ein Berufsoffizier wurde ernannt, um die SA bei ihrer militärischen Ausbildung zu unterstützen. »Zur Tarnung trägt... er SA-Uniform...« (2823-PS, US-429).

Wir kennen die Art, in welcher die Ausbildung vom Jahre 1933 bis 1939 vor sich ging, aus Ausbildungsrichtlinien und anderen Dokumenten – einige davon von Lutze selbst herausgegeben –: »Schießen, Granatwerfen, Entfernungsschätzen, Kartenlesen und Marschieren (2820-PS, US-427; 1849-PS, GB-610; 2401-PS, US-430; D-918, GB-594).« Ebenso wissen wir, daß die SA bereits im Juli 1933 besondere Einheiten aufstellte, wie zum Beispiel Nachrichten- und motorisierte Truppen und eigene Lufteinheiten. Die SA-Führung bemühte sich ängstlich, mit Nachdruck auf die Notwendigkeit einer Geheimhaltung hinzuweisen, um nicht im Falle einer Veröffentlichung anderen Ländern die Gelegenheit zu bieten, dies als eine Verletzung der Bestimmungen des Versailler Vertrags seitens Deutschlands auszulegen. (D-44, US-428.)

Die Veröffentlichung von Bildern, welche »es andern Ländern ermöglichten, die angebliche Aufstellung von technischen Truppeneinheiten zu beweisen«, war verboten. Es wird kaum nötig sein, nochmals Dr. Ernst Bayer anzuführen, um den Zweck dieser technischen Einheiten zu erkennen. Ich zitiere ihn jedoch:

»So entsteht in diesen technischen Einheiten der SA eine geschulte Mannschaft, deren Fähigkeiten und Kenntnisse nicht zuletzt im Dienste der Landesverteidigung von außerordentlichem Wert sind.« (2168-PS, US- 411.)

Ähnlich schrieb er von dem Reiterkorps:

»... daß die SA heute alljährlich viele tausend junge ausgebildete Reiter an unsere Wehrmacht abgeben kann.« (2168-PS, US-411.)

Kann man bezweifeln, daß jedes Mitglied der SA wußte, wohin dies alles führen mußte, wenn doch der Stabschef selbst öffentlich erklärte, das Ausbildungsprinzip der SA ist »immer die geistige, moralische und körperliche Pflege der Militarisierung des ganzen deutschen Volkes?« (3050-PS, US-414.)

Im März 1934 war die feste Verbindung zwischen der SA und dem Reichskriegsministerium hinsichtlich aller »A«-Aufgaben hergestellt worden. Jüttner hat erklärt, worin diese »A«-Aufgaben bestanden – »Ausbildung und Grenzschutz«. Waren mit Grenzschutz die Vorbereitungen für die militärische Besetzung des Rheinlandes, Österreichs und der Tschechoslowakei gemeint?

Im selben Monat des Jahres 1934 wurde von der SA im Rheinland tatsächlich eine bewaffnete Stabswache mit einer schweren Maschinengewehrkompanie gebildet (D-951, GB-607). Anfang 1934 machte die SA auch Pläne – ich zitiere:

»... die österreichischen Formationen in Bayern um den 8. und 9. Februar herum in Österreich anmarschieren zu lassen. Darauf werde dann eine Militärdiktatur ausgerufen werden.« (4013-PS, GB-608.)

Der Bericht über die Rolle, welche die SA in dem unglücklichen Dollfuß-Putsch spielte, liegt ihnen vor. Als endlich die Zeit für den Anschluß gekommen war, waren SA-Einheiten unter den ersten, die in Österreich einrückten. (3050-PS, US-414.)

VORSITZENDER: Sir David...

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Euer Lordschaft...