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[Das Gericht vertagt sich bis

30. August 1946, 10.00 Uhr.]

Zweihundertfünfzehnter Tag.

Freitag, 30. August 1946.

Vormittagssitzung.

VORSITZENDER: Dem Gerichtshof liegt ein Antrag von Dr. Steinbauer zur Genehmigung vor, ein Affidavit für den Angeklagten Seyß-Inquart vorlegen zu dürfen.

Hat die Anklagebehörde Gelegenheit gehabt, dieses Affidavit zu überprüfen, und hat sie einen Einwand dagegen?

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Herr Vorsitzender! Ich glaube nicht, daß alle meine Kollegen schon Gelegenheit gehabt haben, dieses Affidavit zu überprüfen, sie haben es erst gestern abend erhalten. Wenn Euer Lordschaft uns eine oder zwei Stunden genehmigen würden, werden wir uns gern heute noch zu einem späteren Zeitpunkt dazu zum Wort melden.

VORSITZENDER: Wenn Sie das tun wollen, bitte.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Wie Euer Lordschaft wünschen.

DR. LATERNSER: Herr Präsident! Nur ganz wenige Augenblicke.

Auf Grund eines mir gestern abend zugegangenen Briefes bin ich in der Lage nachzuweisen, daß ein schriftlicher Befehl vorgelegen hat, nach dem irgendwelche Vorbereitungen für einen aktiv geführten Bakterienkrieg verboten waren.

Ich habe bereits mit Sir David Maxwell-Fyfe gesprochen; dieser Brief soll übersetzt werden, und dann soll darüber gesprochen werden, ob dieser Brief als Beweismittel zugelassen werden soll.

Ich wollte das nur ankündigen, damit das Vorbringen nicht als verspätet zurückgewiesen werden könnte.

VORSITZENDER: Dr. Laternser! Meinen Sie, daß der Brief übersetzt und der Anklage vorgelegt wird, die uns dann mitteilen wird, ob sie bereit ist, der Vorlage dieses Briefes zuzustimmen, soweit er von Erheblichkeit ist? Das muß aber heute noch geschehen.

DR. LATERNSER: Jawohl.

VORSITZENDER: Gut. General Taylor, bitte!

OBERST TELFORD TAYLOR, BEIGEORDNETER ANKLÄGER FÜR DIE VEREINIGTEN STAATEN: Herr Vorsitzender, meine Herren Richter!

In der Anklageschrift verlangt die Anklagebehörde, sechs Gruppen oder Organisationen als verbrecherisch zu erklären. Zum Zwecke der Klarheit bei der Festlegung der Beschuldigungen und der Sammlung des Beweismaterials erscheint diese Aufteilung in sechs Teile angebracht, da sie den formalen Aufbau des Dritten Reiches genau wiedergibt.

Allerdings zerfiel, genau genommen, das Reich nicht in sechs Teile; es war einfacher, als es dieser Aufteilung entsprechen würde. Das Dritte Reich war eine politische und eine militärische Maschine. Es wurde durch die Nazi-Partei und die Wehrmacht verkörpert und hat durch sie seine Ziele verfolgt. Seine Erfolge im In- und Ausland wurden mit Hilfe dieser beiden Werkzeuge erreicht. Die Wehrmacht verdankte ihre Wiedererstehung zum großen Teil der Nazi-Partei, die Nazi-Partei ihrerseits wäre ohne die Wehrmacht hilf- und kraftlos gewesen. Wie General Reinecke es zum Ausdruck gebracht hat, seien die beiden Grundpfeiler des Dritten Reiches die Partei und die Wehrmacht, und jeder von beiden stehe und falle mit dem anderen.

Anhang B der Anklageschrift spezifiziert die einzelnen Führer und Hauptwerkzeuge der Partei und der Wehrmacht. Die Anklageschrift spezifiziert von der Partei zum Beispiel das Korps der Politischen Leiter und auch die Mitglieder der SS als Hauptausführungsorgane der Partei. Für die Wehrmacht führt die Anklageschrift die führenden Generale auf, die mit dem Entwurf der Pläne und der Durchführung der Operationen vornehmlich betraut waren.

Die Zusammenstellung dieser Gruppe militärischer Führer ist von seiten der Anklagebehörde während des Hauptprozesses geschildert worden und bedarf daher kaum einer weiteren Erläuterung. Die Verteidigung hat den Standpunkt eingenommen, daß diese militärischen Führer keine Gruppe im Sinne der Anklage darstellen. Die Ausführungen, die diesen technischen Einwand stützen, sind meiner Ansicht nach nicht stichhaltig, aber ich will ihnen direkt und klar erwidern.

Eine Anzahl der von der Verteidigung vorgebrachten Einwände beruhen entweder auf Mißverständnis oder absichtlicher Mißdeutung der in der Anklageschrift gebrauchten Definition. So haben verschiedene Zeugen erklärt, daß der »Generalstab« aus jungen Offizieren von verhältnismäßig niedrigem Range bestand, die den obersten Befehlshabern als Hilfskräfte zur Seite gestanden hätten. Dies stellt eine Verwechslung mit dem dar, was in Militärkreisen als »Generalstabskorps« bezeichnet wird und das aus Offizieren, die aus der Kriegsakademie hervorgegangen sind, besteht. Wie die Anklagebehörde dies von Anfang an klargemacht hat, bezieht die Anklageschrift diese Offiziere nicht mit ein. Soweit diese oder ähnliche Aussagen einen Angriff gegen die Bezeichnung, die die Anklage für die Gruppe der militärischen Führer anwendet, darstellen, ist dieser Punkt höchst unwesentlich. Es gibt weder im Deutschen noch im Englischen einen feststehenden Ausdruck noch ein künstlich geschaffenes Wort für die militärischen Führer der Wehrmacht; die Anklageschrift verwendet beide Ausdrücke »Generalstab« und »Oberkommando« als am bezeichnendsten für die Chefs der vier Stäbe, des OKW, OKH, OKM und OKL, die alle Schlüsselstellungen für die militärische Planung innehatten und für die Oberkommandierenden, die die Operationen leiteten. Zusammengenommen umfassen sie sehr wohl die militärische Führung.

Einige andere Punkte von geringerer und nur technischer Bedeutung verdienen nur kurze Erwähnung. Man hat bei den graphischen Darstellungen, die den eidesstattlichen Erklärungen von Halder, Brauchitsch und Blaskowitz beigefügt wurden, beanstandet, daß sie nicht genau den Befehlsweg wiedergäben. Das ist wahr. Das Schaubild war nicht dazu da, den Befehlsweg aufzuzeigen. Die Affidavits, denen das Schaubild beigefügt ist, sagen nichts über den Befehlsweg, und die Anklage hat nichts Derartiges behauptet. Ebenso belanglos ist die Frage, ob Keitel im selben Feld mit Hitler hätte gezeigt werden können, statt ein Feld für sich zu haben. Keiner dieser das Schaubild betreffenden Einwände würde eine Hinzufügung oder Wegnahme eines einzelnen Mitglieds dieser Gruppe zur Folge haben oder die in der Anklageschrift gebrauchte Definition für die militärische Führung ändern. Ebenso unwesentlich ist die Behauptung, daß die Liste der Mitglieder der Gruppe einige Generale enthält, die nur vorübergehend Oberbefehlshaber waren und nie formell als solche bestätigt worden waren. Das mag später bei einem Prozeß gegen diese einzelnen Generale von Bedeutung sein, wenn sie beweisen können, daß sie in Wirklichkeit nie Rang und Verantwortung eines Oberbefehlshabers hatten, aber es ist bei der Betrachtung der Gruppe als Ganzes unwichtig.

Einige von der Verteidigung vorgelegte eidesstattliche Erklärungen weisen darauf hin, daß einige Generale weniger als sechs Monate Mitglieder der Gruppe waren, daß eine Anzahl gestorben ist, andere entlassen wurden oder von ihren Stellungen zurücktraten, bevor der Krieg zu Ende war, und daß die Jüngeren bei Kriegsausbruch noch nicht Generale waren. Aber das versteht sich von selbst. Wir haben es mit einem Zeitraum von sieben Jahren zu tun, der zum größeren Teil mit Krieg ausgefüllt war, und Krieg ist eine zufallsreiche und aufreibende Beschäftigung. Während dieser Jahre starben einige Generale, andere versagten, wieder andere fielen in Mißgunst; sie wurden durch neue ersetzt, das große Anwachsen der Anzahl deutscher Heeresgruppen und Armeen erforderte weitere Offiziere als Oberbefehlshaber. Da im Kriege Zufälle eine große Rolle spielen und Versagen kostspieliger für die Wehrmacht ist als für die Politik, mag dieser Wechsel entsprechend größer in der Wehrmacht als in der Nazi-Partei gewesen sein. Diese Fragen sind aber wiederum nur für den Grad der Verantwortlichkeit des einzelnen Mitglieds von Bedeutung und nicht für die Verantwortlichkeit der Gruppe als solche.

Es wurde besonders hervorgehoben, daß viele Mitglieder dieser Gruppe erst nach 1942 zu ihr stießen. Den Einwand, der daraus gefolgert wird, verstehe ich dahin, daß die Generale, die der Gruppe erst nach 1942 beitraten, nicht an der Planung und der Entfesselung von Angriffskriegen beteiligt gewesen sein konnten. Es ist richtig, daß gegen Ende des Jahres 1942 die Wehrmacht, die von der angeklagten Gruppe geführt war, bereits alle Nachbarstaaten oder einen großen Teil davon, bis auf die Schweiz und Schweden, angegriffen und überrannt hatte, so daß weitere Angriffskriege nicht mehr nötig waren. Ich nehme an, daß mit gleichem Recht hervorgehoben werden könnte, viele Deutsche seien erst nach 1942 der SS beigetreten oder hätten einen hohen Rang in ihr oder in der Parteiführungsgruppe erreicht. Dieser Einwand übergeht jedenfalls die Tatsache, daß die militärische Führungsgruppe lange nach 1942 eine Gruppe war, deren offizielle Befehle dahin gingen, Kommandos und Kommissare zu ermorden und »Befriedung« durch die Verbreitung von Terror zu erreichen. Viele der durch die deutsche Wehrmacht begangenen Greueltaten ereigneten sich erst später im Kriege. Auch hier ist dieser Punkt nur insofern von Bedeutung, als einzelne Spätkömmlinge in der Gruppe in anderen Prozessen dartun können, daß sie niemals von dieser verbrecherischen Tätigkeit gehört hätten oder an ihr beteiligt gewesen wären. Die Gruppe selbst kann sich der Verantwortung nicht entziehen, indem sie vorbringt, daß sie sogar noch dann fortlaufend anwuchs, als die Fähigkeit des Dritten Reiches, Angriffskriege zu beginnen, schon erschöpft war.

Die Verteidigung behauptet, daß die militärischen Führer keine »Gruppe« gewesen seien, da sie nur amtliche Stellungen ohne ein »vereinigendes Element« innegehabt hätten.

Dies ist eine Frage der Tatsachen.

Die Beantwortung wird nicht durch schönes Jonglieren mit Worten gefördert, wie zum Beispiel ob das deutsche Wort »Gruppe« »group« oder »number« »Zahl« bedeutet. Ich unterstelle die Annahme, daß »group« eine Anzahl von Personen bedeutet, die wegen irgendwelcher Gleichartigkeit herausgegriffen wurden, oder wie es Justice Jackson auslegte: die Mitglieder müssen in »nachweisbaren Beziehungen« zueinander stehen und ein »gemeinsames, allgemeines Ziel« haben. Ich möchte auch annehmen, daß die »Gleichartigkeit« oder die »Beziehungen« und der Zweck gemäß der Londoner Vereinbarung eine Bedeutung haben müssen. Die Generale, die die in der Anklageschrift aufgezählten Stellungen innehatten, stellten die militärische Führung des Dritten Reiches dar. Das ist ihre »Gleichartigkeit«, ihre »nachweisbare Beziehung« oder ihr »vereinigendes Element«. Ihr »gemeinsames, allgemeines Ziel« war der Aufbau und die Ausbildung der Wehrmacht, das Entwerfen der Pläne und die Leitung ihrer Operationen.

Ich gebe der Meinung Ausdruck, daß das Beweisergebnis in dieser Hinsicht schlüssig und unwidersprochen ist. Führende deutsche Generale – Brauchitsch und Halder – haben in beschworenen Aussagen bezeugt, daß diejenigen, die die in der Anklageschrift aufgeführten Stellungen innehatten, die »tatsächliche Leitung der Wehrmacht« besessen und »in Wirklichkeit der Generalstab und das Oberkommando waren«.

Die technischen Einwände, die später von der Verteidigung hinsichtlich des Schaubildes vorgebracht wurden, sind für diesen wesentlichen Punkt vollständig unerheblich.

Die Aussagen zahlreicher Generale, daß die militärischen Führer keine formelle Organisation oder einen geheimen beratenden Ausschuß besaßen, trifft – wenn wir diesen Aussagen Glaubwürdigkeit unterstellen – den Kernpunkt in keiner Weise. Die Anklagebehörde hat dies nicht behauptet, noch hat sie behauptet, daß die militärischen Führer eine politische Partei gewesen seien oder daß sie einen festen oder einheitlichen Standpunkt in innenpolitischen Angelegenheiten vertreten hätten.

Wir sind auch nicht überrascht, von einigen Zeugen der Verteidigung zu hören, daß die Deutschen genau wie wir es leichter fanden, innerhalb eines einzelnen Wehrmachtsteiles Koordination zu erzielen als zwischen dem Heer, der Marine und der Luftwaffe.

Das Bestehen des OKW allein ist genügend Beweis für die Wichtigkeit, die die Deutschen der Zusammenarbeit zwischen den Wehrmachtsteilen beigemessen haben, und zahlreiche Dokumente zeigen dauernde und bis in Einzelheiten gehende Planungen und Besprechungen zwischen den drei Wehrmachtsteilen. Jedenfalls ist es nicht notwendig, hinter den tatsächlichen Ablauf der Dinge zu sehen.

Sicherlich würde niemand im Jahre 1941, nachdem er Zeuge des koordinierten Einsatzes von Panzern und Stukas in Afrika und des Zusammenspiels aller drei Wehrmachtsteile während der Invasion in Norwegen gewesen ist, behauptet haben, die deutsche Kriegführung ermangele der Zusammenarbeit.

Halder hat uns berichtet, daß vom Standpunkt der militärischen Planung aus der Wehrmachtführungsstab, dessen Chef beziehungsweise stellvertretender Chef Jodl und Warlimont waren, der wichtigste Teil des OKW gewesen sei. Die Frontbefehlshaber nahmen ebenfalls an der Planung teil. Wir wissen von Brauchitsch und Blaskowitz, daß die militärischen Pläne für die Angriffe auf Polen und auf andere Länder vorher den Oberbefehlshabern der Heeresgruppen und der Armeen vorgelegt wurden, damit das OKH sich ihre Vorschläge zunutze machen könnte. Brauchitsch und Blaskowitz haben uns auch berichtet, daß während der Gefechtshandlungen das OKH und die Oberbefehlshaber der Heeresgruppen und der Armeen in ständiger beratender Fühlungnahme standen und daß die Oberbefehlshaber wiederholt von Hitler selbst um Rat gefragt wurden. Die Aussage von General Reinhardt besagte das gleiche. Zeitgenössische Dokumente zeigen ganz klar die Teilnahme der Frontoberbefehlshaber an den Planungen für den Polenfeldzug.

Die Oberbefehlshaber der Heeresgruppen und der Armeen hatten in den besetzten Gebieten vollziehende Gewalt innerhalb ihres Kommandobereichs. Innerhalb dieses Bereichs herrschten sie unumschränkt und hatten Macht über Leben und Tod der Einwohner. Sie hatten die Verantwortung für die Entscheidung solcher Fragen, wie zum Beispiel, ob die Kommissar- und Kommandobefehle verteilt werden sollten und wenn sie verteilt wurden, in welchem Umfang und mit welchen Anweisungen.

Zusammenfassend kann man sagen, daß diese Generale eine Ansammlung von Personen darstellten, die die deutsche Wehrmacht leiteten und deren gemeinsames Ziel es war, diese auf militärische Operationen vorzubereiten und sie in diesen Operationen zu führen. Von Zeit zu Zeit, wenn alle Mitglieder zusammenkamen, stellte dies eine Versammlung dar. Der Zweck und der Geist des Londoner Abkommens lassen keinen Zweifel darüber, daß eine derartige Körperschaft unter Artikel 9 desselben fällt. Das Abkommen schuf diesen Gerichtshof, um solche Vergehen, wie die Planung und Führung von Angriffskriegen und Verletzungen der Kriegsgesetze und Kriegsgebräuche, zu ahnden. Die deutschen militärischen Führer werden unter anderem beschuldigt, die Pläne, nach denen ungesetzliche Angriffskriege begonnen wurden, entwickelt und die Wehrmacht bei Anzettelung und Durchführung dieser Kriege geleitet zu haben. Sie werden beschuldigt, in der ganzen Wehrmacht Befehle verbreitet zu haben, die den Mord einer gewissen Klasse von Gefangenen anordnete und ferner bei Mord und Mißhandlung der Zivilbevölkerung geholfen und mitgewirkt zu haben, alles in Verletzung der Kriegsgesetze und Kriegsbräuche.

Der Einwand der Verteidigung, daß die militärischen Führer keine »Gruppe« und deshalb nicht einer Erklärung gemäß Artikel 9 unterworfen seien, ist, wie wir behaupten, völlig unbegründet und mit dem klaren Zweck des Londoner Abkommens unvereinbar. Dieses Abkommen kann vernünftigerweise nicht dahin ausgelegt werden, daß man die Führer eines der beiden Führungsmittel des Dritten Reiches von der Anwendung des Artikels 9 ausschließen wollte.

Die Verteidigung scheint geltend machen zu wollen, daß die Mitgliedschaft in dieser Gruppe nicht freiwillig gewesen sei. Ich sage »scheint«, da uns im gleichen Atemzug gesagt wird, daß die Generale ihre Stellungen nicht aufgeben konnten, daß andererseits aber viele infolge von Meinungsverschiedenheiten mit Hitler zurückgetreten seien.

Ich glaube, diese Frage ist sehr einfach. Wir haben es hier nicht mit dem gewöhnlichen deutschen Wehrpflichtigen zu tun, der die große Masse der Wehrmacht ausmachte. Wir befassen uns hier ausschließlich mit den Berufssoldaten, und zwar den eifrigsten, ehrgeizigsten und tüchtigsten deutschen Offizieren dieses Faches. Die meisten von ihnen wählten einen militärischen Beruf, weil er ihnen im Blute lag und weil sie, wie Manstein zum Ausdruck brachte, »den Kriegsruhm als etwas Großes betrachteten«. Sie schufteten in ihrem Beruf und waren ihm ergeben, und wenn sie den Rang eines Oberbefehlshabers erreicht hatten, waren sie wie Manstein stolz darauf, daß ihnen eine Armee anvertraut war. Niemand wurde deutscher Oberbefehlshaber, wenn er es nicht wollte.

Es trifft zu, daß in Kriegszeiten ein Berufsoffizier seinen Rang oder seine Stellung nicht nach seinem eigenen Willen aufgeben kann. Aber dies macht den Berufsoffizier nicht zu einem Wehrpflichtigen oder seine Stellung zu einer unfreiwilligen. Niemand wird Berufsoffizier, ohne im voraus die Pflichten zu kennen, die ihn in Kriegszeiten binden. Die fanatischen Nazis, die sich beeilten, sich freiwillig zu den ersten Waffen-SS-Divisionen zu melden oder freiwillig anderen halbmilitärischen Organisationen der Partei beitraten, konnten danach auch nicht austreten, wie sie gerade wollten, aber ich habe noch nicht behaupten gehört, daß sie deshalb Dienstpflichtige oder unfreiwillige Mitglieder gewesen seien. Die Mitglieder des Generalstabs und des Oberkommandos waren eifrige Berufssoldaten, die mit anderen ihresgleichen um die Verantwortlichkeiten und Ehren eines Oberbefehlshabers wetteiferten. Sie stiegen in der Wehrmacht genau so auf wie ein ehrgeiziges Parteimitglied zum Kreisleiter oder Gauleiter aufsteigen konnte.

Tatsächlich war sogar der Rücktritt für den Oberbefehlshaber leichter als für irgend jemand anderen in der Wehrmacht. Der Offizier niedrigeren Ranges, der gegen die ihn umgebenden Vorgänge Protest erhob, mochte vielleicht nicht befördert werden, zu einem weniger wünschenswerten Kommando versetzt oder vor ein Kriegsgericht gestellt und degradiert werden. Er hatte nicht die Wahl, sich in den Ruhestand versetzen zu lassen, und er war gewöhnlich zu jung, um Krankheit überzeugend vorschützen zu können. Die Oberbefehlshaber waren in einer viel besseren Lage. Kein Kriegsamt oder Kriegsministerium will einen Frontoberbefehlshaber haben, der dauernd und wesentlich von seinen Anweisungen abweicht. Ein solcher Oberbefehlshaber muß entfernt werden. Doch hat er oft ein genügendes Dienstalter, Ansehen und anerkannte Fähigkeit, so daß seine Dienstgradherabsetzung oder Entehrung unbequem wäre und ein Versetzen in den Ruhestand oder die Annahme seines Rücktrittsgesuchs die beste Lösung für alle Beteiligten ist.

Und gerade dies geschah mit einigen Oberbefehlshabern. Die Akten sind voll von Zeugenaussagen von Oberbefehlshabern oder über Oberbefehlshaber, die ganz öffentlich Hitler in taktischen Angelegenheiten widersprochen haben und die als Folge solcher Meinungsverschiedenheiten pensioniert worden sind oder die Erlaubnis zum Rücktritt erhalten haben.

Übrigens möchte ich ganz nebenbei bemerken, daß in den Akten jegliches Beweismaterial über offenen Widerspruch der Oberbefehlshaber gegen Hitlers Befehle, die die Kriegsgesetze verletzten, oder über erzwungene Pensionierung eben wegen solcher Befehle, völlig fehlt. Jedenfalls ist es ganz klar, daß ein Oberbefehlshaber, der zurücktreten wollte, einen Weg hierzu finden konnte, sei es durch Vorschützen von Krankheit oder durch ehrliches, gerades Verhalten. Wenn er nur den Willen hatte, fand er einen Weg. Es ist bemerkenswert, daß die drei Feldmarschälle, die vor diesem Gerichtshof ausgesagt haben, alle irgendwie einen Ausweg gefunden haben oder daß sich ihnen ein solcher angeboten hat, und die Akten zeigen, daß viele andere darin ebenso erfolgreich waren und daß wenige von ihnen deswegen nachher ernstlichen Schaden erlitten hätten.

Ich komme nun zu der verbrecherischen Tätigkeit. Die Anklagebehörde ist der Ansicht, daß das dem Gerichtshof vorliegende Beweismaterial die Teilnahme der Gruppe »Generalstab und Oberkommando« an der Erreichung der verbrecherischen Ziele der Verschwörung und an der Begehung von Verbrechen gemäß aller Teile von Artikel 6 des Statuts und gemäß allen Punkten der Anklageschrift schlüssig aufzeigt. Wir behaupten ferner, daß die verbrecherischen Ziele, Methoden und Tätigkeiten der Gruppe derart waren, daß die Mitglieder mit Fug und Recht der Kenntnis derselben beschuldigt werden können und daß sie größtenteils tatsächlich Kenntnis davon hatten.

Ich möchte zuerst von der Vorkriegszeit sprechen, oder, genauer ausgedrückt, von der Zeit bis zum Frühjahr 1939, als die detaillierte Planung für den Angriff auf Polen begann. Es ist bemerkenswert, daß während dieser Anfangszeit die in der Anklageschrift benannte Gruppe niemals mehr als acht Mitglieder hatte und daß vier davon in diesem Verfahren angeklagt sind.

Ich möchte Ihre Zeit nicht mit Wiederholungen in Anspruch nehmen. Wir wissen, daß während dieser Jahre die militärischen Führer die Wehrmacht aufbauten und zu einer furchtbaren militärischen Maschine machten, die die Nachbarländer mit Schrecken erfüllte und später die meisten davon mit Erfolg überrennen konnte. Nicht der Schatten eines Beweises ist vorhanden, um die Beschuldigung zu widerlegen, daß Mitglieder der Gruppe »Generalstab und Oberkommando« den Aufbau und die Zusammensetzung dieser Maschine leiteten. Einige Zeugen haben ausgesagt, daß die Wiederaufrüstung nur Verteidigungszwecken gedient habe, aber die neue Stärke der Wehrmacht fand sofort zur Unterstützung der aggressiven Diplomatie Hitlers Verwendung. Österreich und die Tschechoslowakei wurden von der Wehrmacht sogar ohne Krieg erobert. Die Ereignisse von 1939 bis 1942 und die fürchterliche Angriffsstärke der Wehrmacht sind eine weitere und ausreichende Antwort selbst ohne Bezugnahme auf Blombergs offizielle schriftliche Erklärung vom Juni 1937, daß kein Anlaß gegeben sei, einen Angriff auf Deutschland von irgendeiner Seite zu befürchten.

Die Zeugen der Verteidigung haben der Tatsache, daß die Generale wenig oder keine Vorkenntnis der Einverleibung Österreichs besaßen, großes Gewicht beigelegt. Viele dieser Zeugen waren damals nicht Mitglieder der Gruppe, aber der Einwand ist auf alle Fälle nutzlos, denn der Anschluß war nicht vorher von den Deutschen zeitlich festgelegt, sondern wurde durch Schuschniggs überraschenden Befehl für eine Volksabstimmung herbeigeführt. Aus diesem Grunde mußten, wie Manstein bezeugt, Pläne für den Einmarsch nach Österreich schnell improvisiert werden. Aber die Pläne wurden von Manstein unter der Leitung von Beck (Chef des Generalstabs des Heeres und Mitglied der Gruppe) entworfen, und andere Mitglieder der Gruppe waren sehr stark am Anschluß beteiligt, genauso wie andere Generale, die später Mitglieder wurden.

Was die Teilnahme der Generale an der Münchener Krisis und der Besetzung des Sudetenlandes betrifft, scheint der Hauptpunkt der Verteidigung der zu sein, daß Brauchitsch, Beck und andere Generale sich damals dem Risiko eines Krieges widersetzten. Aus den Akten geht ganz klar hervor, daß die Stellungnahme der Generale nicht auf irgendwelcher Opposition gegenüber einer von militärischen Drohungen unterstützten Diplomatie oder auf eine Meinungsverschiedenheit hinsichtlich des Ziels der Zertrümmerung der Tschechoslowakei gegründet war. Ihrer Meinung nach war vielmehr die Wehrmacht im Jahre 1938 noch nicht stark genug, um einen Krieg mit Großmächten beginnen zu können. Der Angeklagte Jodl hat es ganz klar in seinem Tagebuch ausgedrückt, indem er einen Gegensatz aufzeigte zwischen »der Erkenntnis des Führers, wir müssen noch in diesem Jahre« und der Auffassung des Heeres, »wir können noch nicht, da sicherlich die Westmächte eingreifen und wir ihnen noch nicht gewachsen sind«.

Die weitere Behauptung, daß für die Besetzung der Tschechoslowakei keine militärischen Vorbereitungen getroffen wurden und daß der Oberbefehlshaber des Heeres keine diesbezüglichen Anweisungen gegeben hatte, ist ganz unglaubwürdig in Anbetracht der unzweifelhaft authentischen Dokumente aus jener Zeit, die dem Gerichtshof schon lange als Beweismaterial vorliegen und welche die Verteidigung nicht abstreiten konnte und auch nicht abzustreiten versuchte. Die in den Akten über den sogenannten Fall »Grün« enthaltenen militärischen Anweisungen und Planungsdenkschriften machen jegliche derartige Behauptung hinfällig und enthüllen deutlich die ausgedehnten Vorbereitungen, die von der Wehrmacht unter der Leitung von Keitel, Jodl, Brauchitsch, Halder und anderen getroffen wurden. Jodls Tagebuch gibt weitere Einzelheiten über solche Dinge, wie: das Zusammenwirken der Luft- und Landoffensive, Zeitbestimmung des Befehls für den Angriffstag, Zusammenarbeit mit der ungarischen Armee und Gefechtsordnung. Es zeigt auch die persönliche Beteiligung von anderen Mitgliedern der Gruppe und von anderen Generalen, die später Mitglieder wurden. Militärische Vorbereitungen für die Einverleibung der restlichen Tschechoslowakei gehen zur Genüge aus den dem Gerichtshof als Beweismaterial vorliegenden Dokumenten hervor.

Noch ein weiterer Punkt bezüglich dieser Vorkriegsperiode ist bemerkenswert. Die militärischen Leiter beteiligten sich nicht nur an den Plänen, sie waren auch begeistert über die Erfolge. Sie befürchteten, in einen Krieg verwickelt zu werden, ehe sie genügend vorbereitet waren, aber sie wollten eine große Armee, und auch die militärischen und strategischen Vorteile, die sich aus Hitlers Erfolgen mit Österreich und der Tschechoslowakei für Deutschland ergeben hatten, entsprachen ihrem Willen. Tatsächlich ist hierin die Ursache der Zusammenarbeit zwischen den Führern der Partei und den militärischen Führern zu finden; aus diesem Grunde wurde Hitler von den Generalen unterstützt; aus diesem Grunde konnte das Dritte Reich mit Hilfe der Partei und der Wehrmacht das erreichen, was es erreicht hat. Führende deutsche Generale haben dies vor dem Gerichtshof ganz ausführlich zum Ausdruck gebracht. Blomberg, sagt aus, daß die Generale vor 1938/1939 nicht gegen Hitler eingestellt gewesen seien; Blaskowitz sagt, alle Offiziere der Wehrmacht hätten die Wiederaufrüstung begrüßt und deshalb keinen Grund gehabt, sich Hitler entgegenzustellen. Beide sagten aus, daß Hitler die von allen Generalen erwünschten Erfolge erzielt habe.

Das Zeugnis von Blomberg und Blaskowitz wird keineswegs entkräftet durch die Aussagen von verschiedenen Zeugen der Verteidigung, nach denen viele Offiziere Hitlers Innenpolitik teilweise mit Mißbilligung und einigen Nazi-Politikern mit Mißtrauen gegenübergestanden seien. Man kann nicht erwarten, daß alle an einem Verbrechen Beteiligten einander sympathisch sind und sich gegenseitig trauen. Daß es dem Dritten Reich trotz dieser Unterschiede beinahe gelungen wäre, der Welt seine Herrschaft und seine üblen Theorien aufzuzwingen, ist nur ein Beweis für das zwischen der Partei und den militärischen Führern bestehende tiefe Einverständnis im Hinblick auf die wichtigsten Ziele nationaler Einheit und gerüsteter Macht zum Zwecke territorialer Expansion. Dies kann nicht bezweifelt werden, und zur Bestätigung brauchen wir nur die Aussage eines von der Verteidigung gestellten Zeugen zu betrachten: Generaloberst Reinhardt, der vor dem Krieg Chef der Heeresausbildungsabteilung war und später eine Panzerarmee und eine Heeresgruppe an der Ostfront befehligte. Als er gefragt wurde, wie sich das Offizierskorps zu Hitler stellte, antwortete er: Ich glaube nicht, daß es einen einzigen Offizier gab, welcher Hitler in seinen außerordentlichen Erfolgen nicht unterstützte. Hitler hatte Deutschland aus dem tiefsten Elend herausgeführt, sowohl in politischer wie außenpolitischer Hinsicht und wirtschaftlich.

Nun gehen wir zum Krieg selbst über. Die Gruppe der in der Anklageschrift genannten militärischen Führer wird noch viel größer; wir haben es nicht nur mit den Generalen in Berlin zu tun, sondern auch mit den Kriegsherren, welche die Wehrmacht im Felde befehligten – Namen, die bei den Bewohnern der von den Deutschen überrannten Gebiete weitaus bekannter und gefürchteter waren. Namen wie Blaskowitz, von Bock, von Kluge, Kesselring, von Reichenau, von Rundstedt, Sperrle und von Weichs.

Was haben die Generale zur Verteidigung des Angriffs auf Polen zu sagen? Einige ihrer Aussagen, wie die Mansteins, daß die Polen »leichtfertig« Deutschland angreifen könnten, sind einfach lächerlich. Als bestes können sie nur vorbringen, sie hätten ein Nachgeben der Polen ohne Kampf erwartet. Wenn dies eine Verteidigung wäre, so ist ihre Glaubwürdigkeit zweifelhaft. Hitler selbst hatte den militärischen Führern klargemacht, daß es nicht um Danzig und den Korridor ginge, sondern um Lebensraum und bessere Lebensmittelversorgung durch deutsche Ausbeutungspolitik. Die Generale können kaum erwartet haben, daß die Polen sich ohne jeglichen Widerstand ergeben würden, und Hitler hatte gesagt, daß es zum Krieg und zu keiner Wiederholung des tschechischen Falles kommen würde.

Jedenfalls ist es keine Entschuldigung, daß die Generale auf einen »Blumenkrieg« gehofft hätten. Die Verteidigungszeugen haben zugegeben, daß die deutschen Forderungen an Polen durch militärische Drohungen und Waffengewalt erzwungen werden sollten. Es liegen keine Beweise dafür vor, daß die Generale sich diesem Verfahren eines glatten räuberischen Überfalls entgegengestellt hätten. Es ist in der Tat klar, daß sie diese Politik durchaus befürwortet haben, da sie den polnischen Korridor als »Entweihung« und die Wiedergewinnung früherer deutscher Gebiete von Polen als »Ehrensache« ansahen. Noch nie galt es als Verteidigung, daß ein ***Räuber, vom Widerstand seines Opfers überrascht, einen Mord begehen mußte, um das Geld zu erlangen.

Über die wissentliche Beteiligung der Mitglieder der Gruppe Generalstab und des Oberkommandos an der Planung und dem Beginn des Angriffs selbst bestehen keine Meinungsverschiedenheiten. Brauchitsch hat die Entwicklung der Pläne und deren Weiterleitung an die Frontoberbefehlshaber zur Begutachtung geschildert. Wir wissen aus seinen eigenen Aussagen und Dokumenten aus jener Zeit, daß Blaskowitz, einer der Frontoberbefehlshaber, die Pläne für den Angriff im Juni erhalten und dann in Zusammenarbeit mit der Heeresgruppe und dem OKH vervollkommnet hat. Rundstedts Chef des Stabes erhielt die Pläne, und es unterliegt keinem Zweifel, daß alle anderen Oberbefehlshaber sie ebenfalls erhalten haben. Eine Woche vor dem Angriff trafen sich alle Mitglieder der Gruppe auf dem Obersalzberg zur Entgegennahme ihrer endgültigen Instruktionen.

Als der Krieg sich über andere Länder und schließlich über den ganzen europäischen Kontinent ausgebreitet hatte, wuchs die Wehrmacht, und zahlreiche weitere Heeresgruppen, Armeen, Luftflotten und Marinedienststellen wurden geschaffen, und die Mitgliederzahl der Gruppe vergrößerte sich dementsprechend. Alle drei Wehrmachtsteile beteiligten sich an dem Angriff auf Norwegen und Dänemark, der eine ausgezeichnete Demonstration »kombinierter Operationen« war und engste gemeinsame Planung und Zusammenarbeit der drei Wehrmachtsteile erforderte. Die dem Tribunal vorliegenden Dokumente zeigen, daß diese Operation ein Geisteskind der deutschen Admirale war; der Vorschlag stammte von Raeder und anderen Angehörigen der Marine in der Gruppe und wurde nach Einholung von Hitlers Zustimmung durch das OKW weiter entwickelt. Zahlreiche Mitglieder der Gruppe beteiligten sich an den Plänen hierfür und an deren Ausführung. Die Aussagen mehrerer Heeresbefehlshaber, daß sie vorher nichts von dem Angriff gewußt hätten, ist nicht erstaunlich, da das OKH und die Oberbefehlshaber des Heeres mit den Plänen für den viel größeren Angriff auf die Niederlande und Frankreich vollauf in Anspruch genommen waren. Nur einige wenige deutsche Divisionen wurden in Norwegen und Dänemark eingesetzt, und da es eine »kombinierte Operation« war, wurden die Pläne im OKW entwickelt und nicht im OKH.

Dr. Laternsers Entschuldigung für den Angriff auf Norwegen, die dahin geht, daß es eine Präventivmaßnahme gegen einen englischen Einfall gewesen sei, könnte bei oberflächlicher Betrachtung angenommen werden, wenn irgendein Beweis dafür vorhanden wäre, daß der Überfall auf Norwegen einem Notstand begegnen sollte; aber im Hinblick auf Dokumente ist dies ganz und gar willkürlich und unglaubhaft; angesichts von Dokumenten, die zeigen, daß die Invasion Norwegens schon seit Oktober 1939 erörtert wurde, daß aktive Vorbereitungen bereits im Dezember begannen, daß Hitler am 14. März immer noch zögerte, den Befehl zum Angriff zu geben, da er immer noch eine »Begründung« suchte und daß während all der Wochen vor dem Angriff auf Norwegen Erörterungen innerhalb der Generalstabsgruppe stattgefunden haben, ob es nicht vorzuziehen wäre, die Westoffensive gegen Frankreich und die Niederlande vor dem Norwegenunternehmen einzuleiten, 1809-PS, GB-88, besonders die Eintragung vom 13. März 1940. Was den Hauptangriff im Westen anlangt, so ergibt sich aus den Aussagen der Zeugen für die Verteidigung, daß Hitler im Herbst 1939 angreifen wollte und daß Brauchitsch und andere Generale ihn überredeten, den Angriff bis zum Frühjahr 1940 aufzuschieben. Dieser Aufschub zeigt in der Tat, daß die Generale beträchtlichen Einfluß auf Hitler hatten, aber dürfte den späteren Angriff damit nicht entschuldigen. Mit Anbruch des Frühjahrs 1940 war Manstein zufolge »der Angriff im Westen, vom soldatischen Standpunkt aus gesehen, durchaus unvermeidlich«. Es findet sich kein Beweis dafür, daß auch nur ein einziger deutscher Befehlshaber gegen die schamlose und rücksichtslose Verletzung der Neutralität der Niederlande Protest erhoben oder sich ihr widersetzt hätte.

Die Erklärungen der Verteidigung zu den Verbrechen gegen den Frieden sind gezwungen und unwahrscheinlich und stehen auch im Widerspruch sowohl zu den dem Gerichtshof vorliegenden Dokumenten als auch zu den historischen Vorgängen der in Frage kommenden Jahre. Es ist auch nicht wahr, daß die militärischen Führer nur Marionetten ohne Einfluß auf Hitler oder den Lauf der Ereignisse gewesen wären. Natürlich gab es Meinungsverschiedenheiten nicht nur zwischen Hitler und der Wehrmacht, sondern auch innerhalb der Wehrmacht selbst. Wenn Hitler manchmal die Oberhand behielt, so hatte sie ein anderes Mal die Wehrmacht, sei es, daß es darum ging, die Offensive im Westen aufzuschieben oder den Angriff auf Dänemark und Norwegen zu beginnen. Trotz des Versuchs, das Gegenteil vorzutäuschen, war Hitler nicht so dumm, zur Handlung zu schreiten, ohne sich militärischen Rat zunutze zu machen. Man braucht nur Hitlers Anweisung vom 12. November 1940 an die militärischen Führer zu lesen, die er nach der erfolgreichen Beendigung der Westoffensive verfaßt hat und in der er sehr vorsichtig seine künftigen Pläne in Frankreich und eine eventuelle Offensive in Spanien erwägt: ob Madeira und die Azoren besetzt werden sollten, welche Hilfe den Italienern in Nordafrika geleistet werden sollte, was man in Griechenland und den Balkanländern erreichen könnte, was die Zukunft in Bezug auf die Sowjetunion bringen könnte und ob die Invasion Englands im Frühjahr 1941 stattfinden solle. Hitler schloß mit den Worten:

»Berichten der Herren Oberbefehlshaber zu den in dieser Weisung vorgesehenen Maßnahmen sehe ich entgegen. Die Art der Durchführung, sowie die zeitliche Übereinstimmung der einzelnen Aktionen werde ich sodann befehlen.« (444-PS.)

Nein, die Führer der Wehrmacht waren keine Marionetten. Ebenso wie die Generale die Möglichkeit zum Wiederaufbau der Wehrmacht Hitler und den Nazis zu verdanken hatten, war Hitler andererseits für die Durchführung seiner Pläne tatsächlich vollkommen von den Generalen abhängig. Brauchitsch hat darauf hingewiesen daß »die Durchführung der Befehle, die dem Heer und den Heeresgruppen erteilt wurden, solche weitgehende Kenntnis von militärischen Angelegenheiten und solche Fähigkeiten und psychologisches Verständnis voraussetzten, daß nur eine geringe Anzahl von Männern tatsächlich in der Lage waren, diese Befehle durchzuführen«. Und es ist bemerkenswert, daß trotz einer in der Tat bestehenden natürlichen Spannung zwischen den höheren Offizieren und einem ehemaligen Gefreiten Hitler bis Juli des Jahres 1944 seine Oberbefehlshaber niemals außerhalb der Reihen des Heeres gesucht hat. Diese begehrte Würde wurde selbst während der letzten verzweifelten Monate nur von vier Außenseitern, Himmler selbst und drei anderen Offizieren der Waffen-SS, erreicht.

Die Wehrmacht, die sich wie ein Schwarm über den Kontinent von Europa ausgebreitet hat, ist auch nicht von widerstrebenden Männern geführt worden. Diese Angriffskriege wurden von Männern, die die Macht der Waffen anbeteten und die Hegemonie Deutschlands auszudehnen wünschten, entfacht und geführt. Letzten Endes ist dies der Grund, weshalb die Nazis und die Führer der Wehrmacht dem Dritten Reich in Einigkeit gedient haben. Ich darf die Aufmerksamkeit des Gerichtshofs noch einmal auf die Denkschrift Admiral Frickes vom Juni 1940 lenken:

»Es ist allzu bekannt, als daß es noch weiter erwähnt werden müßte, daß die heutige Lage Deutschlands in der Enge der Deutschen Bucht und der durch eine Reihe von Staaten umgrenzten und beeinflußten Ostsee ein für die Zukunft Großdeutschlands unmöglicher Zustand ist...

Die Stärke Großdeutschlands sollte sich in den von ihm durch diesen Krieg gewonnenen strategischen Räumen so auswirken, daß die bisher in diesen Räumen lebenden Völker sich politisch, wirtschaftlich und militärisch in völliger Abhängigkeit von Deutschland fühlen und befinden. Wird es erreicht, durch die militärischen Maßnahmen der Besetzung im Kriege eine Raumerweiterung vorzunehmen in dem Umfange, auf den ich noch kommen werde, wird es weiter erreicht, daß Frankreich in seiner Wehrkraft (Volkskörper, Bodenschätze, Industrie, Wehrmacht) so zerschlagen wird, daß ein Wiedererheben als ausgeschlossen bezeichnet werden muß, wird es weiterhin erreicht, daß die kleineren Staaten, wie Niederlande, Dänemark, Norwegen, in eine Abhängigkeit von uns gezwungen werden, die uns in jedem Falle und zu jeder Zeit eine erneute leichte Besetzung dieser Länder ermöglicht, dann ist praktisch dasselbe, psychologisch wesentlich mehr erreicht.

Die Lösung... erscheint daher... Zerschlagen Frankreichs, Besetzen Belgiens, eines Teiles Nord- und Ostfrankreichs, Bestehenlassen der Niederlande, Dänemarks und Norwegens in dem bezeichneten Sinne.« (C-41.)

Trotz solcher Dokumente haben wir die Generale immer und immer wieder sagen hören, daß sie nicht darüber unterrichtet wurden, was vor sich ging und daß sie von diesen Ereignissen zum erstenmal durch den Rundfunk gehört hätten. Immer und immer wieder behaupteten sie, daß sie über gewisse Vorgänge vor ihrer Inhaftierung im Nürnberger Gefängnis niemals etwas gehört hätten. Militärische Persönlichkeiten wie auch viele andere in diesem Prozeß haben sich nicht gescheut, die Verantwortung für Dinge, die sie nicht bestreiten oder umgehen können, auf die Schultern von ein oder zwei Personen zu laden, die sie als Sonderlinge und nicht als Vertreter dieser Gruppe darzustellen versuchen. Die einzige Gemeinsamkeit bei diesen Sündenböcken ist die Tatsache, daß sie alle tot sind. Der tote Reichenau soll die Schuld mit den anderen Toten, die nicht mehr sprechen können – Hitler, Himmler, Dr. Rascher und den anderen – teilen. Eine solche Verteidigung ist verächtlich und vollkommen unglaubwürdig. Die Welt wird ihr niemals Glauben schenken.

Keine Gruppe von Männern hatte mehr Anteil an den Dingen, die in und um Deutschland während der Vorkriegsjahre vor sich gingen als die militärischen Führer. Sie sagen jetzt, sie hätten weder von diesen Dingen gewußt, noch wissen wollen, noch hätten sie von ihnen wissen müssen. Wenn diese Aussage der Wahrheit entspricht, dann sind diese Menschen durchaus einzig in ihrer Art, denn fast die ganze Welt hat irgend etwas von diesen Dingen gehört. Es ist eine der hervorstechendsten Seiten dieses Prozesses, daß an Stelle einer Reihe erstaunlicher Enthüllungen lediglich die hier zusammengetragenen Dokumente und die hierfür geopferte Arbeit zur Bestätigung dessen gedient haben, was bereits viele Jahre hindurch in der Welt bekannt war oder vermutet wurde. Ich kann nicht annehmen, daß jemand jemals den Standpunkt teilen wird, den die militärischen Führer hier, durch die Umstände gezwungen, vorgetragen haben, um sich von dem Schandfleck rein zu waschen, der zu groß ist, um ausgelöscht zu werden.

Die Verbrechen gegen den Frieden, an denen der Generalstab und die Gruppe des OKW teilnahmen, haben zwangsläufig zu den darauffolgenden Kriegsverbrechen geführt. Ohne die Teilnahme dieser Gruppe an Verbrechen gegen den Frieden hätte es keine Kriegsverbrechen gegeben. Damit wird nicht das Thema gewechselt, sondern der unvermeidliche Kausalnexus veranlaßt uns, die Methoden zu betrachten, deren sich die Wehrmacht bei der Führung der von ihr begonnenen Kriege bediente.

Selbstverständlich behaupten wir nicht, daß die Hände jedes deutschen Soldaten in unschuldiges Blut getaucht wurden oder daß jeder deutsche Befehlshaber die Regeln des Krieges und die Gesetze des Anstandes mißachtet habe. Wohl aber behaupten wir, daß die Art und der Umfang der von den Spitzen der Wehrmacht angeordneten und danach in vielen Ländern Europas verübten Greuel eine bewußt in Rechnung gestellte Gleichgültigkeit dieser militärischen Führer gegenüber der Begehung von Verbrechen zeigen und beweisen.

Unbestrittene Tatsache ist, daß das Oberkommando der Wehrmacht auf Weisung seines Oberbefehlshabers Hitler verschiedene Befehle erlassen hat, die offenkundig den Regeln des Krieges widersprachen. Hierzu gehörten die Befehle über die Erschießung von Kommandos und politischen Kommissaren, die Befehle zur »Befriedung« der besetzten Gebiete der Sowjetunion mittels Verbreitung von Terror und andere. Die Verteidigung bestreitet die Tatsache der Erteilung solcher Befehle nicht, noch bestreitet sie deren verbrecherischen Charakter, noch kann sie ihn bestreiten. Vielmehr ist uns erzählt worden, daß die deutschen Befehlshaber anständige Soldaten gewesen seien, daß sie diese Befehle nicht gebilligt hatten, daß sie das stillschweigende Übereinkommen getroffen hätten, sie nicht zu befolgen und daß sie nicht zur Ausführung gekommen wären.

Lassen Sie uns nun diese Art der Verteidigung an Hand der Tatsachen im Falle des Kommandobefehls nachprüfen. Der ursprüngliche Befehl und die anderen einschlägigen Dokumente liegen vor. Im Oktober 1942 befahl Hitler, daß feindliche Kommandos bis auf den letzten Mann niedergemetzelt werden sollten; sogar wenn sie sich übergaben, sollten sie sofort erschossen werden, es sei denn, daß ein Verhör nötig wäre; in diesem Falle sollten sie nachher erschossen werden. Der Befehl war kein Verbrechensakt ohne einen Zweck; alliierte Kommandounternehmungen fügten dem deutschen Kriegseinsatz schweren Schaden zu, und Hitler glaubte, daß dieser Befehl abschreckend wirken würde.

Der Befehl wurde vom OKW erlassen und an alle drei Wehrmachtsteile – Heer, Marine und Luftwaffe – weitergeleitet. Es liegen mehr als genügend Beweise vor, daß er in weitgehendem Maße durchgegeben und innerhalb der Wehrmacht wohlbekannt war. Rundstedt, der Oberbefehlshaber West, berichtet am 23. Juni 1944, daß »bis jetzt die Behandlung feindlicher Kommandogruppen« – dem, Hitler-Befehl entsprechend – »erfolgt ist«. Zwei Jahre später und unter anderen Umständen bekundete Rundstedt, daß er den Befehl »umgangen« und »sabotiert« habe und daß er nicht ausgeführt worden sei. Aber aus den Dokumenten wissen wir, daß er doch ausgeführt worden ist. Auf Grund dieses Befehls wurden britische und norwegische Kommandos 1942 und 1943 in Norwegen hingerichtet, amerikanische Kommandos wurden in Italien 1944 erschossen; alliierte Soldaten wurden 1945 in der Slowakei hingerichtet. Und nach Lage der Tatsachen muß dieser Befehl noch in anderen Fällen, von denen jetzt leider keine Spur mehr zeugt, ausgeführt worden sein.

Was bleibt im Lichte dieser Dokumente noch von der Verteidigung übrig? Im allergünstigsten Falle ist der Befehl wegen Mißbilligung durch einige höhere Offiziere nicht so häufig, wie es sonst der Fall gewesen wäre, befolgt worden. Aber diese Art der Verteidigung ist schlimmer als wertlos, sie ist schändlich.

Wir dürfen nicht vergessen, daß die Tötung eines wehrlosen Kriegsgefangenen nicht allein eine Verletzung der Kriegsregeln darstellt. Sie ist Mord. Und Mord bleibt Mord, ob es sich nun um ein einziges oder fünfundfünfzigstes (dies ist nach den Dokumenten die Anzahl der niedergemetzelten Kommandos) oder Ohlendorfs neunzigtausendstes Opfer handelt. In diesem Prozeß hat sich Verbrechen auf Verbrechen gehäuft, bis wir in die Gefahr geraten waren, den Sinn für Proportionen zu verlieren. Wir haben derart viel von Massenausrottung gehört, daß wir nahe daran sind zu vergessen, daß bereits einfacher Mord ein Kapitalverbrechen ist und bleibt.

Die Gesetze aller Kulturvölker verlangen, daß jeder sein möglichstes tut, um jede Verquickung mit einem Mord, sei es nun als Mittäter, als Gehilfe oder als Mitverschwörer zu vermeiden. Und diese Forderungen können billigerweise auf die deutschen militärischen Führer angewendet werden. Vor diesem Gerichtshof haben sie viel auf ihre Überlieferungen hinsichtlich Ehre, Anstand, Tapferkeit und Ritterlichkeit gepocht.

Nach deutschem Militärrecht macht sich ein Untergebener strafbar, wenn er den Befehl eines Vorgesetzten befolgt, falls der Untergebene weiß, daß der Befehl die Begehung eines allgemeinen oder militärischen Verbrechens verlangt. Der Kommandobefehl erforderte die Begehung eines Mordes, und jeder deutsche Offizier, der mit dem Befehl zu tun hatte, wußte dies ganz genau.

Als Hitler den Erlaß dieses Befehls angeordnet hat, war es den Spitzen der Wehrmacht bekannt, daß damit die Begehung von Morden gefordert wurde. Die Verantwortlichkeit für die Lösung dieser Frage lag durchaus bei der in der Anklageschrift bezeichneten Gruppe. Die Chefs der OKW, OKH, OKL und OKM hatten zu entscheiden, ob sie es ablehnen sollten, einen verbrecherischen Befehl zu erlassen oder aber, ob sie einen solchen den Oberbefehlshabern im Felde weiterleiten wollten. Die Frontbefehlshaber beim Heer, der Marine und der Luftwaffe hatten zu entscheiden, ob sie den Befehl ausführen oder die Ausführung verweigern sollten, oder ob sie ihn an ihre Untergebenen weitergeben sollten.

Man kann sich vorstellen, daß es viele Zusammenkünfte und Ferngespräche zwischen verschiedenen Angehörigen der Gruppe zur Besprechung dieser Angelegenheit gegeben hat. Es liegt kein Beweis dafür vor, daß auch nur ein einziges Mitglied der Gruppe offen protestiert oder seine Weigerung, den Befehl auszuführen, kundgegeben hat. Im allgemeinen war das Ergebnis, daß der Befehl einem großen Teil der Wehrmacht bekanntgegeben wurde. Dies brachte die untergeordneten Kommandeure in dieselbe Lage wie ihre Vorgesetzten. Es ist behauptet worden, einige Generale seien stillschweigend übereingekommen, den Befehl nicht auszuführen. Wenn das der Fall gewesen ist, so war dies ein armseliger und wertloser Kompromiß. Indem sie den Befehl mit »geheimen« oder »stillschweigenden« Vorbehalten weitergaben, dehnten die Oberbefehlshaber die Verantwortlichkeit nur aus und beraubten sich selbst jeder wirksamen Kontrolle über die Lage. Eine stillschweigende Übereinkunft, dem Befehl nicht zu gehorchen, kann keiner derartig weitläufigen Verbreitung unterliegen. Als unvermeidliches und durch die Dokumente bewiesenes Ergebnis ist die Durchführung des Befehls und die Ermordung unschuldiger Menschen Wirklichkeit geworden.

General Dostler wurde vor Gericht gestellt, verurteilt und erschossen, weil er für die Durchführung des Kommandobefehls verantwortlich war. Für dasselbe Verbrechen steht jetzt General Falkenhorst vor Gericht und erwartet sein Todesurteil. Aber Falkenhorst und Dostler teilen sich in die Verantwortung für diese Morde mit jedem deutschen Oberbefehlshaber in der Heimat und im Felde, mit dessen Zustimmung dieser Befehl als legales Vorgehen der Wehrmacht anerkannt wurde und der an seiner Weitergabe beteiligt war.

Ich behaupte, daß allein auf Grund dieses Anklagepunktes die Gruppe Generalstab und Oberkommando der unmittelbaren, wirksamen und wissentlichen Teilnahme an der Begehung von Kriegsverbrechen überführt ist.

An der Ostfront zeitigte die rohe Gleichgültigkeit der deutschen Kriegsherren gegenüber Verletzungen des Kriegsrechts und gegenüber Massenleiden und Massensterben Ergebnisse, die genauso strafwürdig und, da sie in weit größerem Maßstabe vorkamen, weit furchtbarer waren. Seitens der Wehrmacht und anderer Stellen des Dritten Reiches wurden im Osten Greueltaten von solch überwältigendem Umfang begangen, daß sie das Begriffsvermögen übersteigen. Warum geschahen all diese Dinge? Die Untersuchung wird, wie ich glaube, nicht nur Wahnsinn und Blutgier als Triebfedern zeigen. Im Gegenteil, in all dem ist Methode und Zweck zu finden. Diese Greueltaten waren das Ergebnis wohlüberlegter, vor oder während des Angriffs auf die Sowjetunion erteilter Befehle und Richtlinien, die ein zusammenhängendes, folgerichtiges Bild ergeben.

Es ist hier nicht am Platze, die Gründe zu erwägen, die Hitler im Herbst 1940 veranlaßt haben, einen Angriff auf die Sowjetunion ernstlich ins Auge zu fassen. Wir wissen aber, daß er von September 1940 an dauernd diese Möglichkeit mit den militärischen Führern besprochen hat und daß dieselben reichlich Gelegenheit hatten, ihre Ansichten Hitler zu unterbreiten. Wir wissen, daß die Meinungen der Generalität und Admiralität geteilt waren; keiner von ihnen schien allzuviel moralische Skrupel gehabt zu haben, aber einige hielten den Angriff für unnötig, und andere zweifelten daran, ob ein rascher Sieg möglich sei. Andere dagegen stimmten Hitlers Ansicht über die Auslösung des Angriffs bei. Es liegt keinerlei Beweis dafür vor, daß, als sich später Hitler nach Rücksprache mit der militärischen Führerschaft und unterstützt von einem Teil derselben zum Angriff entschloß, irgendein führender General diesen Entschluß entschieden bekämpft habe. Sie alle begannen den Krieg mit der äußersten Entschlossenheit, ihn zu einem siegreichen Abschluß zu bringen.

Welcher Art nun immer die Beweggründe des Angriffs gewesen sein mögen – ein Faktor wurde, nachdem die Entscheidung einmal gefallen war, zur lebenswichtigen Zielrichtung des Angriffs: Dies war, weite Gebiete der Sowjetunion zu besetzen und zum materiellen Nutzen Deutschlands auszubeuten. Um dies zu erreichen, war es wünschenswert, so rasch wie möglich und mit einem Mindestaufwand an Menschen und Material zu »befrieden« und jede Opposition zu zerschlagen, das sowjetische, politische System zu liquidieren und neue regionale politische Verwaltungen unter deutscher Kontrolle einzusetzen, sowie die Produktionskraft dieser Gebiete zu verbessern und zu vergrößern und dem Nutzen des Dritten Reiches dienstbar zu machen.

VORSITZENDER: Der Gerichtshof wird sich vertagen.