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[Pause von 10 Minuten.]

OBERST TAYLOR: Herr Präsident! Vor der Pause habe ich das Programm für die Ausbeutung und die Befriedung der besetzten Ostgebiete beschrieben.

Hitler hatte eine sehr genaue Vorstellung über die Art der Durchführung dieses Programms, und diese fand teilweise ihren Ausdruck in der Reihe von Richtlinien und Befehlen, mit denen der Gerichtshof nunmehr vertraut ist. Einige dieser Befehle sollten unmittelbar durch die Wehrmacht, andere durch andere Organe des Reiches, aber in Zusammenarbeit und mit Unterstützung der Wehrmacht, ausgeführt werden.

Nach Rücksprache zwischen Hitler und Brauchitsch erteilte das OKW den Befehl vom 22. Juli 1941 für schnelle und wirtschaftliche »Befriedung« der besetzten Gebiete; darin wurden die Oberbefehlshaber angewiesen, für Sicherheit zu sorgen, und zwar nicht durch die Verurteilung der Schuldigen vor Gericht, sondern durch Verbreitung eines Terrors, »dessen bloße Existenz genügte, um jeden Widerstandswillen der Bevölkerung zu unterdrücken«. Zum selben Zweck erließ das OKW den Befehl vom 13. Mai 1941, der die Bestrafung von Vergehen feindlicher Zivilpersonen durch Kriegsgerichte aufhob und anordnete, daß die Truppe selbst durch »rücksichtsloses Vorgehen«, jene ins Extrem gesteigerten Methoden und durch »kollektive Gewaltmaßnahmen« gegen Ortschaften für Befriedung zu sorgen hatte. In Fortführung dieser ungeheuerlichen Politik wurde angeordnet, daß deutsche Truppen, die Übergriffe gegenüber sowjetischen Zivilpersonen begingen, in keiner Weise bestraft werden sollten, es sei denn, daß eine Bestrafung zur Aufrechterhaltung von Disziplin und Sicherheit oder zur Vermeidung der Vergeudung von Lebensmitteln oder Material erforderlich werden sollte. Jeder Offizier an der Ostfront sei rasch und ausdrücklich anzuweisen, in Übereinstimmung mit diesen Grundsätzen zu handeln. Der Ton des Befehls war auf eine Aufhetzung der Offiziere und Mannschaften zu erbärmlichstem Verhalten abgestimmt.

Aus diesen zwei Befehlen können wir die Grundelemente dieses empörenden Bildes entnehmen. Genauer gesagt, erwartete Hitler von seiten der Offiziere und Agenten der Sowjetunion und von seiten aller Juden einen besonders hartnäckigen Widerstand gegenüber seiner neuen Rußlandpolitik. Er entschied sich dahin, diese Elemente vollkommen auszurotten, da sie sonst ein ständiger Mittelpunkt des Widerstandes in den besetzten Gebieten bleiben würden.

Zur Unterstützung dieser Politik des Massenmordes gab das OKW Befehl, alle politischen Kommissare, die in Gefangenschaft geraten sollten, umzubringen. Dieser Befehl forderte, übereinstimmend mit dem Kommandobefehl, den Mord an wehrlosen Kriegsgefangenen. Auch in diesem Falle verhielten sich die militärischen Führer in eben derselben Weise. Nicht ein Oberbefehlshaber erhob offen. Widerspruch und erklärte, daß er sich weigere, den Befehl auszuführen. Einige Befehlshaber mögen sich geweigert haben, den Befehl an die Truppe weiterzuleiten, aber der Befehl wurde über die gesamte Ostfront verteilt und war dort wohlbekannt. Wie bei dem Kommandobefehl wird uns gesagt, er sei auf Grund stillschweigenden Übereinkommens der Befehlshaber nicht ausgeführt worden. Als Beweis für diese Behauptung wird angeführt, daß besonders genannte Kommandeure oder sonstige Offiziere niemals persönlich von einem Fall gehört hätten, in dem ein gefangener Kommissar erschossen wurde. Wir können einige dieser Aussagen als wahr hinnehmen, aber es ist nichtsdestoweniger in Anbetracht der weiten Verbreitung des Befehls und der planmäßigen Verrohung des deutschen Soldaten durch derartige Befehle und Anordnungen, wie sie Reichenau und Manstein den ihnen unterstellten Truppen erteilten, vollkommen unglaubhaft, daß der Kommissarbefehl nicht in vielen Fällen befolgt wurde. Er muß ausgeführt worden sein.

Die Politik der Massenausrottung wurde durch den OKW-Befehl vom 16. September 1941 von den Kommissaren auf alle Kommunisten ausgedehnt. Durch diesen Befehl wurde angeordnet, daß alle Fälle von Widerstand gegen die Wehrmacht ohne Rücksicht auf die Umstände den Kommunisten zugeschrieben werden sollten und daß die »Todesstrafe« für 50 bis 100 Kommunisten allgemein als entsprechende Sühne für das Leben eines deutschen Soldaten angesehen werden solle.

Terrorisierung und Ausbeutung des russischen Landes und Ausrottung der unerwünschten Elemente konnten offensichtlich von der Wehrmacht allein nicht durchgeführt werden.

Viele andere Organisationen des Dritten Reiches hatten einen bedeutenden Anteil an diesem großangelegten furchtbaren Programm. Unter diesen anderen Organisationen waren vielleicht die schlimmsten die Sondergruppen Himmlers, die als Einsatzgruppen und Einsatzkommandos bekannt waren. Die Aufgabe dieser Einheiten bestand darin, bei der »Befriedung« mitzuwirken und für das neue politische Regime den Weg zu bahnen, indem sie den Widerstand beseitigen und insbesondere Kommunisten und Juden abschlachteten. Wir wissen sowohl aus Originalurkunden als auch aus dem Geständnis eines Führers einer dieser Einheiten, mit welch schrecklicher Genauigkeit sie ihren Auftrag zur Durchführung brachten.

Die Einsatzgruppen erhielten ihre besonderen Aufträge von Himmler. Wenn diese Aufträge sich den militärischen Unternehmungen einfügen oder sie zumindest nicht beeinträchtigen sollten, konnten diese Einheiten jedoch nicht ohne Verwaltung, Verpflegung, Verkehrsmittel und ohne genügend Kontrolle von seiten der Armee in Front und rückwärtigen Gebieten eroberter Länder einfach losgeschickt werden. Die Verteidigung hat keine Mühe gescheut, diese klare Tatsache zu verschleiern, aber jeder Soldat, ja jeder, der dieser Sache einen Augenblick Überlegung schenkt, muß sie als wahr anerkennen.

Und das geht klar aus den Dokumenten hervor. Der OKW-Erlaß für besondere Gebiete vom 13. März 1941 sah vor, daß Himmler diese Einheiten in Operationsgebiete senden konnte, um dort »Sonderaufgaben für die Vorbereitung der politischen Verwaltung, Aufgaben, die sich aus dem unvermeidlichen Kampf zweier einander entgegengesetzter politischer Systeme ergeben«, auszuführen. Es wird darin sorgfältig dargetan, daß durch die Ausführung der Aufgaben Himmlers militärische Operationen nicht gestört werden durften und daß die Einheiten dem Oberbefehlshaber der Wehrmacht des betreffenden Operationsgebietes unterstanden. Quartier und Verpflegung der Himmler-Einheiten sollten von der Wehrmacht gestellt werden. Es wurde angewiesen, daß weitere Einzelheiten vom OKH und Himmler gemeinsam festgelegt werden sollten. Brauchitsch hat bestätigt, daß in der Folge die Einzelheiten in einer Besprechung zwischen Heydrich und General Wagner vom OKH festgesetzt wurden, und Schellenberg, der das Übereinkommen entwarf, hat diesen Inhalt beschrieben.

Diese berüchtigte Bande von Mördern wurde, kurz gesagt, von der Wehrmacht mit Quartier versehen und verpflegt und wäre ohne die Unterstützung der Wehrmacht hilflos gewesen. Die Zeugenaussagen einiger deutscher Generale, daß diese Tötungen von Tausenden und aber Tausenden ohne ihr Mitwissen stattgefunden hätten, würden zum Lachen reizen, wäre nicht die Wahrheit derart düster und ekelerregend. Ein militärisches Gebiet, auch wenn es weit hinter der Front liegt, ist nicht eine Wüste, in der man ungestört kreuz und quer umherwandern kann. Es ist ein wahrhaftiger Irrgarten von rückwärtigen Dienststellen, Transporteinheiten, Munitionslagern, Verpflegungsämtern, Nachrichten-Dienststellen, Lazaretten, Treibstofflagern, Eisenbahnwachen und Kriegsgefangenenlagern, Flak-Batterien, Flugplätzen, Pioniereinheiten. Werkstatteinheiten, Kraftfahrparks und tausendundein anderer Truppen, die die Ausgangsstellungen und Verbindungswege eines im Felde stehenden Heeres zu versorgen hat. Das reibungslose Funktionieren dieses ausgedehnten und verwickelten Apparates ist für den Erfolg der Kampftruppe lebenswichtig. Das weiß auch der Feind und ist darauf bedacht, ihn zu stören und durch Sabotagegruppen, Agenten und Partisanen Auskünfte über ihn zu bekommen. Daher bewachen die Besatzungstruppen ihre Einrichtungen, patrouillieren auf Straßen und Eisenbahnlinien und legen Truppen in die Bevölkerungszentren. Durchreisende, gleichviel in welcher Uniform, werden angehalten, ausgefragt und aufgefordert, sich auszuweisen. Diese Etappentruppen kommen in enge Verbindung mit der Zivilbevölkerung und wissen, was unter ihr vorgeht. Militärpolizei und Abwehreinheiten versehen in diesem Gebiet Polizeidienst und berichten über die angetroffenen Zustände an übergeordnete Stäbe.

Außerdem hat ein Oberbefehlshaber im Felde ungern in größerem Umfang selbständige Einheiten in seinem Gebiet, die unter Sonderbefehl von der Heimat aus stehen. Dies trifft besonders zu, wenn, wie in diesem Falle, die Einheiten als Untergebene Himmlers kamen, den die deutschen Generale angeblich für ihren Feind hielten, der bestrebt war, ihre Macht und Stellung an sich zu reißen. Die Vorstellung, daß Himmlers Ausrottungskommandos durch Rußland flitzen und dabei in großem Maßstab im geheimen und ohne Wissen der Wehrmacht Juden und Kommunisten ermordeten, ist völlig albern – es ist die verzweifelte Ausflucht von Männern, denen nichts anderes übrig bleibt, als die Unwahrheit zu sagen.

Betrachten wir noch einmal den Plan als Ganzes. Der größte Teil war in klarem Deutsch zu Papier gebracht, bevor der Angriff auf Rußland begonnen wurde: Terrorisiert die Bevölkerung, laßt Gewaltakte und Roheiten von seiten der deutschen Truppen ungesühnt, tötet die Kommissare, tötet 100 Kommunisten, wo immer sich ein Vorwand findet, schafft Platz für Himmlers Kommandos, die eingesetzt sind für »Aufgaben, die sich aus dem zwischen den beiden feindlichen politischen Systemen auszutragenden Kampf ergeben«, verpflegt sie und verschafft ihnen Quartier. Und das politische System, für das die Oberbefehlshaber kämpften, hatte bereits seit Jahren Kommunisten und Juden hingemordet und brüstete sich damit.

Die deutschen Generale waren nicht so dumm, diesen Plan nicht zu begreifen. Jedenfalls war er ihnen auch noch erklärt worden. Die Anweisung des OKW, durch die die Kriegsgerichte aufgehoben wurden, schloß mit einer Weisung an die militärischen Führer, ihre Rechtsberater von den mündlichen Mitteilungen zu unterrichten, in denen den Oberbefehlshabern die politischen Absichten des Oberkommandos erläutert worden sind. Bei oder vor dem Angriff belehrte der Angeklagte Rosenberg Keitel, Jodl, Warlimont, Brauchitsch und Raeder über seine »politische und historische Auffassung des Ostproblems«. Nach Aussagen Brauchitschs erklärte Hitler den ideologischen Charakter des Krieges allen seinen Oberbefehlshabern in einer Konferenz, die zur Zeit, als der Kommissarbefehl herauskam, abgehalten wurde. Die eidesstattlichen Erklärungen der Generale Röttiger, Rhode und Heusinger bestätigen den naheliegenden Schluß, daß der ganze Plan der »Befriedung« von allen deutschen militärischen Führern klar verstanden worden war.

Eine durch verbrecherische Befehle und Irrlehren demoralisierte und brutalisierte Armee wird sich in Fällen, in denen sie keine bestimmten Befehle hat, brutal benehmen. Ich habe zum Beispiel keinen schriftlichen Befehl gesehen, nach dem Sowjetgefangene, die marschunfähig waren, erschossen werden sollten. Ich bin bereit zu glauben, daß einige deutsche Generale die Gefangenen so gut behandelten, wie sie konnten. Doch ich finde auch die Klage des jungen deutschen Leutnants überzeugend, daß alle Anstrengungen, die Ukraine zu befrieden und auszubeuten, zum Scheitern gebracht würden, weil »das Erschießen von Gefangenen, die nicht mehr weiterlaufen könnten, mitten in Dörfern und größeren Ortschaften und das Liegenlassen der Leichen Tatsachen sind, die die Bevölkerung nicht verstanden hat und die die schlimmsten Zerrbilder der Feindpropaganda bestätigten.«

Aus den gleichen Gründen wurde die Bekämpfung der Partisanen auf brutale Weise und unter ungeheuren Verlusten für die unschuldige Bevölkerung durchgeführt. Da die Divisionen der deutschen Armee von der Ostfront an die Westfront und umgekehrt verlegt wurden, breitete sich die Kampfesweise von einer Front zur anderen aus. Das Gemetzel von Cherson und Kowno spiegelte sich in dem Blutbad von Malmédy und Oradour wider. Die deutsche Armee war durch ihre Führung demoralisiert worden. Ich erinnere den Gerichtshof daran, daß ein hoher deutscher Militärrichter schon im Jahre 1939 einem SS-Offizier, der ohne jeden Grund 50 Juden in einer polnischen Synagoge erschossen hatte, »mildernde Umstände« zubilligte, weil er »als SS-Mann in besonderem Maße beim Anblick der Juden die deutschfeindliche Einstellung des Judentums empfunden, daher in jugendlichem Draufgängertum völlig unüberlegt gehandelt hatte.«

Man muß sich die Bemerkung des Obergruppenführers Bach-Zelewski vor diesem Gerichtshof ins Gedächtnis rufen, der ausführte, daß »eine solche Explosion unausbleiblich ist, wenn man durch Jahre und Jahrzehnte die Lehren predigt, daß die slawische Rasse minderwertig ist und die Juden überhaupt keine Menschen sind«.

Die Verteidigung auf diese Anklagen ist die gleiche wie in dem Fall des Kommandobefehls. Eine große Anzahl eidesstattlicher Versicherungen von einzelnen Oberbefehlshabern und ihnen unterstellten Offizieren sind vorgelegt worden, in denen sie ihren Abscheu über diese Befehle zum Ausdruck bringen und versichern, sie nicht ausgeführt zu haben. Wiederum hören wir von stillschweigenden Übereinkünften und dies sogar angesichts von Beweisen für das Gemetzel, das die Befehle hervorgerufen haben. Der Atem stockt einem, wenn man eine derartige Verteidigung, offensichtlich ohne Scham, vortragen hört.

Noch einmal sage ich, daß die Verantwortung eindeutig auf der in der Anklageschrift bezeichneten Gruppe lastet. Keitel, Jodl, Brauchitsch, Göring und ihre Kollegen, die im Brennpunkt des Geschehens standen, gaben diese niederträchtigen Befehle aus, deren verbrecherischen Charakter jedes Kind erkennen konnte. Kleist, Kluge, Rundstedt, Reichenau, Schobert, Manstein und andere Oberbefehlshaber gaben sie an die ihnen unterstellten Offiziere weiter. Geheime Verabredungen konnten die zwangsläufig folgenden Ergebnisse nicht verhindern.

Ist es wirklich zuviel verlangt, daß die Oberbefehlshaber die Weitergabe dieser Befehle hätten verweigern sollen? Als Soldaten waren sie verpflichtet, ihrem Obersten Befehlshaber zu gehorchen, aber sogar ihr eigenes Gesetz besagt, daß jeder Soldat die Pflicht hat die Ausführung von Befehlen zu verweigern, deren verbrecherischer Charakter erkennbar ist. Das mag schwer sein für den gewöhnlichen Soldaten, den sein Leutnant mit vorgehaltener Pistole zur Ausführung seiner Befehle zwingen kann. Für den Oberbefehlshaber ist es viel leichter. Von ihm erwartet man, daß er gereift, gebildet, verantwortungsbewußt und darin geschult ist, ruhig und unbeugsam zu bleiben, wenn es hart auf hart geht. Nach ihrem eigenen Recht und ihrer eigenen Tradition – deren sich zu rühmen sie die Schamlosigkeit besitzen – waren die Führer verpflichtet, die Befehle zurückzuweisen. Ihr Versagen war die Ursache von Leid und Tod von Hunderttausenden, ihr Versagen hatte zahllose Morde und andere Gewaltakte zur unmittelbaren Folge; und sie sind die wirklichen Verbrecher, weit größere Verbrecher als die Soldaten, die sie auf die Bahn des Verbrechens führten.

Hitler brauchte die Oberbefehlshaber; er brauchte sie unter allen Umständen und wäre hilflos ohne sie gewesen. Sie hätten sich mit Buhe und Bestimmtheit an die Ehrbegriffe halten können, wie man es von jedem Soldaten, ja von jedem Mann erwartet. Und es war auch in den meisten Fällen nicht Furcht vor Hitler, die sie veranlaßt hätte, diese Begriffe zu verletzen. Sie waren durchaus bereit, Hitler zu widersprechen, wenn es sich um andere Dinge handelte, die sie für wichtiger hielten. Wegen einer Angelegenheit, die sie in ihrer Härte für geringfügig erachteten, wollten sie einen Bruch mit Hitler nicht auf sich nehmen. Sie hatten »wichtigere« Dinge zu tun, die Eroberung Europas, über die sie mit Hitler einer Ansicht waren.

Einige der militärischen Führer, wir wissen nicht wie viele, waren bereit, viel weiter zu gehen und Pate für die Nazi-Ideologie zu stehen. Reichenau und Manstein gaben ihren Namen und ihren Ruf in schamloser Weise dazu her, diese niederträchtigen Lehren zu verbreiten. Wir können nicht mehr alle Befehle ausfindig machen; wir wissen nicht, wie viele deutsche Oberbefehlshaber es gab, die man wie Manstein, der in salbungsvollen Worten seine Nazi-Lehren beteuert hat, ihren eigenen ekelhaften Manifesten gegenüberstellen könnte.

Zu Zwecken der Argumentation wollen wir annehmen, viele deutsche Oberbefehlshaber hätten das Gewebe jener Befehle und Doktrinen, die die Beweisaufnahme hier aus Licht gebracht hat, abgelehnt. Wer Schmutz anfaßt, kann nicht entschuldigt werden, weil er sich die Nase zuhält. Aus Gründen, die den deutschen militärischen Führern stichhaltig schienen, halfen sie an der Ausarbeitung jenes Gewebes mit. Gerade diese kalt berechnende Gleichgültigkeit gegenüber den Verbrechen macht ihr Verhalten so verächtlich. Wer von diesen Oberbefehlshabern reine Hände hat, trete vor und beweise es. Aber ich behaupte, daß die militärischen Führer als Gruppe ohne Zweifel überführt sind, unmittelbar, mit Nachdruck und wissentlich an zahlreichen und ausgedehnten Kriegsverbrechen und an den Verbrechen gegen die Humanität teilgenommen zu haben.

Keitel und Raeder, wie auch die anderen militärischen Angeklagten, stehen laut Artikel 9 und 10 des Londoner Abkommens über den Prozeß gegen die Hauptkriegsverbrecher nicht nur als Einzelpersonen, sondern als Vertreter der deutschen militärischen Führung vor Gericht. Die militärischen Angeklagten haben ihre Verbrechen als militärische Führer Hand in Hand mit den andern begangen. Gerade in ihrer Eigenschaft als Vertreter der militärischen Führung sind sie hier auf der Anklagebank von großer Bedeutung.

Das Beweismaterial gegen diese Gruppe ist so vollständig und zwingend, daß ihre Verteidigungsversuche verzweifelt und unlogisch erscheinen müssen. Wenn man den berühmten deutschen Generalstab als eine Gruppe für seine Verbrechen zur Verantwortung ziehen will, so zerfällt er wie ein Kinderzusammensetzspiel, das man auf die Erde wirft, in 130 verschiedene Teile. Man erzählt uns, daß es so etwas nicht gäbe. Fordert man sie aber auf, ihre Ansichten über Hitler, den Angriffskrieg oder andere unangenehme Dinge darzulegen, so vereinigen sich die einzelnen Teile sofort und zauberhaft wieder zu einem Muster. In echt deutscher Disziplin hört man aus jedem Mund dieselben Worte. Wenn die Frage aufgeworfen wird, ob die Wehrmacht an der Ermordung der Juden teilgenommen hat, leugnen sie entrüstet, daß ihre Soldaten etwas Derartiges getan hätten; wenn es sich um die Erzwingung von Recht und Disziplin innerhalb der Wehrmacht handelt, hält man uns eidesstattliche Versicherungen entgegen, nach denen deutsche Soldaten, die Juden getötet haben, vor ein Kriegsgericht gestellt und erschossen wurden. Wenn man sie als Gruppe verantwortlich macht, schützen sie ihre Sonderstellung vor mit der Begründung, sie hätten nicht zurücktreten können und ihre Stellung daher unter Zwang innegehabt. Bei ihrem Versuch, den Beweis für ihre Mißbilligung der Politik Hitlers zu erbringen, brüsteten sie sich damit, daß vielen unter ihnen, die ihre Gegnerschaft zum Ausdruck gebracht hätten, der Rücktritt erlaubt oder nahegelegt worden sei. Besonders schamlos ist der Mangel an Folgerichtigkeit, wenn sie sich auf ihren Gehorsamseid als Soldaten berufen. Klagt man sie an, daß sie Angriffskriege gegen benachbarte Länder entfesselt hätten, so berufen sie sich zu ihrer Verteidigung auf ihren Eid. Beschuldigt man sie der Verbrechen, die während des Krieges begangen wurden, so rechnen sie es sich als Verdienst an, die Ausführung verbrecherischer Befehle verweigert zu haben. Und es wird nun die Sachlage so dargestellt, als ob der Soldat, der in Friedenszeiten durch seinen Eid streng gebunden war, einem meineidigen Staatsoberhaupt ohne Rücksicht auf die Folgen blinden Gehorsam zu leisten, leichtfertig und heimlich den Gehorsam verweigern konnte, als sich sein Land im Kriegszustand befand und Gehorsam eigentlich viel notwendiger war. Auf diese Weise sollen Vorwurf und Verantwortung für die Ermordung der Kommandotrupps und der Kommissare auf die Schultern anderer abgewälzt werden.

Betrachten wir noch einmal die militärischen Führer, deren Handlungen wir gerade einer Prüfung unterzogen haben. In mehr als einem Sinne bilden sie eine Gruppe. Sie sind mehr als eine Gruppe; sie sind eine Klasse, beinahe eine Kaste. Sie repräsentieren eine Gedankenrichtung und eine Lebensanschauung. Sie sind im Besitze bestimmter geistiger Eigenschaften, die die übrige Welt seit vielen Jahrzehnten bemerkt und kritisiert hat, und sie sind seit Jahrhunderten in ihnen verwurzelt. Sie waren ein geschichtlicher Machtfaktor, und man hat noch immer mit ihnen zu rechnen. Und sie sind stolz darauf.

Um sich den Folgen ihrer Handlungen zu entziehen, leugnen diese Männer alles dies jetzt ab. Aber gerade durch ihr Leugnen tritt die Wahrheit zutage. Ihr Gruppengeist und die Einheitlichkeit ihrer Anschauungen und ihrer Ziele sind so tief verwurzelt, daß dies, ob sie wollen oder nicht, in ihren Worten zum Ausdruck kommt.

Lesen Sie ihre Zeugenaussagen – sie sprechen von sich selber immer als »wir« oder »wir alten Soldaten« – und sie sprechen fortgesetzt von »unserer« Haltung in dieser oder jener Sache. Rundstedts Aussage ist voll von solchen Ausdrücken, aus der sich die gruppenmäßige Haltung der deutschen militärischen Führung gegenüber zahlreichen Fragen ergibt. Manstein sagte »wir Soldaten mißtrauten allen Parteien... Wir betrachten uns als Treuhänder der deutschen Einheit... Das nationalsozialistische Ziel der Schaffung eines Einheitsstaates entsprach unserer Einstellung, nicht aber die nationalsozialistischen Methoden.«

Worin bestehen die charakteristischen Merkmale der deutschen militärischen Führer? Denjenigen, die sich mit Geschichte befassen, sind sie seit langer Zeit vertraut. Bücher sind von ihnen selbst und über sie geschrieben worden und sie offenbaren sich in den Dokumenten und Zeugenaussagen vor diesem Gerichtshof.

Sie verfolgten aufmerksam Deutschlands Innenpolitik, aber gemäß ihrer Tradition und eignen Politik vermeiden sie es, sich mit Parteien oder innerpolitischen Strömungen zu identifizieren. Das ist die einzig wahre Note in dem alten Lied, das man so oft vor diesem Gerichtshof gehört hat, »wir waren Soldaten und nicht Politiker«. Sie fühlten sich über Politiker und Politik erhaben. Sie kümmerten sich nur um das, was sie für die tieferen, ewigen Interessen Deutschlands als Nation hielten. Wie Manstein es ausdrückt: »Wir Soldaten mißtrauen allen Parteien, weil jede Partei in Deutschland ihre eignen Interessen über die Interessen Deutschlands stellte. Wir alle betrachten uns in dieser Beziehung als Treuhänder der deutschen Einheit...«

Die deutschen militärischen Führer haben ein tiefgehendes Interesse an Außenpolitik und Diplomatie. Jeder intelligente Berufsoffizier muß es haben. Die Schulung erfolgt, die Aufrüstung wird betrieben, und die Pläne werden entwickelt unter Berücksichtigung dessen, was über die militärischen Stärken und die Absichten der anderen Länder bekannt ist. Kein Offizier in der Welt war sich dessen mehr bewußt als der deutsche. Keiner studierte die Vorgänge des internationalen Geschehens sorgfältiger oder mit solch kalter Berechnung. Ihr Mentor war Clausewitz, der den Krieg als Werkzeug der Politik bezeichnet hat.

Die deutschen militärischen Führer wollten, daß Deutschland, frei von politischen Schwankungen, eine Regierung besitze, die die deutschen Hilfsquellen für die Wehrmacht mobilisiere und der deutschen Öffentlichkeit den Geist und die Ziele des Militarismus einpräge. Das meinte Rundstedt, wenn er sagte: »Die nationalsozialistischen Ideen, die gut waren, waren gewöhnlich solche, die aus den alten preußischen Zeiten übernommen waren und die wir schon ohne Nationalsozialisten gekannt hatten.« Das ist es, was Manstein unter deutscher »Einheit« verstand.

Die deutschen militärischen Führer glauben an den Krieg. Sie betrachten ihn als einen Teil des normalen, erfüllten Lebens. Manstein bekundete als Zeuge, daß sie »Kriegsruhm« selbstverständlich als etwas Großes betrachteten. Die »wohlerwogene Ansicht« des OKW im Jahre 1938 ließ sich wie folgt vernehmen: »Trotz aller Versuche, den Krieg zu ächten, bleibt er ein Naturgesetz, das sich eindämmen, aber nicht beseitigen läßt und der Erhaltung von Volk und Staat oder der Sicherung seiner geschichtlichen Zukunft dient. Dieser hohe sittliche Zweck gibt dem Kriege sein totales Gepräge und seine ethische Berechtigung.«

Diese Wesenszüge der deutschen militärischen Führer sind tief verwurzelt und bleibend. Sie waren schlecht für die Welt und schlecht für Deutschland. Ihre Philosophie ist so verdorben, daß sie einen verlorenen Krieg und ein besiegtes und am Boden liegendes Deutschland als glänzende Gelegenheit betrachten, den gleichen schrecklichen Zyklus wieder zu beginnen. Ihre Einstellung kommt nirgends besser zum Ausdruck als in einer Rede, die General Beck im Jahre 1935 vor der deutschen Kriegsakademie gehalten hat. Der aus jungen Offizieren bestehenden Zuhörerschaft wurde gesagt, daß »die Todesstunde unserer alten, ruhmreichen Armee« im Jahre 1919 »zur Geburtsstunde der jungen Reichswehr wurde« und daß die deutsche Armee aus dem ersten Weltkrieg »mit dem Lorbeer der Unsterblichkeit gekrönt« zurückkehrte. An späterer Stelle wurde ihnen gesagt: »Wenn die militärischen Führer Klugheit und Mut bewiesen hätten, werde der Verlust eines Krieges ›durch den Stolz auf eine ehrenvolle Niederlage geadelt‹.« Zum Schluß werden sie daran erinnert, daß Deutschland eine »militärisch gesinnte Nation« sei und werden ermahnt »der Verpflichtung, die sie dem Manne schulden, der die deutsche Wehrmacht neugeschaffen und wieder stark gemacht hat« eingedenk zu sein.

Im Jahre 1935 war Hitler dieser Mann, in früheren Jahren waren es andere. Die deutschen Militaristen werden sich mit jeder Einzelperson oder mit jeder Regierung verbünden, die eine günstige Aussicht für tatkräftige Unterstützung ihrer militärischen Unternehmungen bietet. Männer, die im Kriege einen Lebensberuf sehen, lernen nichts aus der Erfahrung eines verlorenen Krieges.

Ich habe dieses Bild der deutschen militärischen Führer nicht als ein bisher unbekanntes entworfen, sondern weil wir so vertraut mit ihm sind, daß wir Gefahr laufen, es zu übersehen. Wir dürfen uns nicht auf Kosten viel wichtigerer Dinge, die allgemein bekannt sind, ausschließlich mit der Feinheit einer Tabelle oder den Einzelheiten einer militärischen Organisation beschäftigen. Seit langem kennt die ganze Welt die deutsche militärische Führerschaft, sie hat genügend unter ihr gelitten. Ihre Eigenschaften und ihr Verhalten sind bekannt und berüchtigt. Soll nun der Welt weisgemacht werden, daß eine solche Gruppe nicht existiert hat? Will man ihr sagen, daß über die deutschen Kriegsherren nicht zu Gericht gesessen werden könne, weil sie eine Handvoll Wehrpflichtiger waren? Wir mußten uns nur aus dem Grunde ernstlich mit solchen Einwänden befassen, weil es keine anderen gibt.

Die Tatsache, daß der Fall gegen die deutschen Militaristen ganz klar liegt, macht ihn deshalb nicht weniger wichtig. Wir ringen hier mit etwas Großem, Bösem und Beständigem; etwas, das nicht erst im Jahre 1933 oder gar 1921 geboren wurde, etwas, das viel älter ist als alle hier Anwesenden, etwas, das viel wichtiger ist als irgendeiner der hier anwesenden Angeklagten, etwas, das noch nicht tot ist und das weder mit einem Gewehr noch mit einem Henkerstrick getötet werden kann.

Neun Monate lang war dieser Gerichtssaal eine Welt von Gaskammern, von Bergen von Leichen, von Lampenschirmen aus Menschenhaut, von eingeschrumpften Schädeln, von Kälteexperimenten und von Bankstahlkammern, gefüllt mit Goldzähnen. Es ist unerläßlich für das Weltgewissen, daß alle an diesen Ungeheuerlichkeiten Beteiligten zur Rechenschaft gezogen werden; aber diese Beweisstücke, grausig wie sie auch sein mögen, bilden nicht den Kern dieses Prozesses. Durch das Schütteln der vergifteten Frucht vom Baume wird nur sehr wenig erreicht werden. Es ist viel schwieriger, den Baum mit der Wurzel auszureißen, aber nur das wird auf die Dauer von Nutzen sein.

Der Baum, der diese Frucht trug, ist der deutsche Militarismus. Militarismus ist sowohl der Kern der Nazi-Partei wie der Kern der Wehrmacht selbst. Militarismus ist nicht der Beruf der Waffenträger. Militarismus ist in den »militärisch gesinnten Nationen« verkörpert, deren Führer Eroberung durch Waffengewalt predigen und zur Anwendung bringen und am Krieg als Selbstzweck Gefallen finden. Militarismus führt ganz unvermeidlich zu zynischer und gemeiner Mißachtung der Rechte anderer und der Grundlagen der Zivilisation. Militarismus zerstört den moralischen Charakter der Nation, die ihn zur Anwendung bringt und unterminiert, da er nur mit seinen eigenen Waffen geschlagen werden kann, den Charakter der Nationen, die gezwungen sind, ihn zu bekämpfen.

Der Urquell des deutschen Militarismus war seit Jahren jene Gruppe der professionellen militärischen Führer, die der Welt als der »deutsche Generalstab« bekannt wurden. Dies ist der Grund, warum die Bloßstellung und die Entehrung dieser Gruppe durch die Erklärung zur verbrecherischen Organisation weit wichtiger ist als das Schicksal der Einzelpersonen in Uniform – auf der Anklagebank oder anderer Einzelmitglieder dieser Gruppe. Keitel und Raeder, Rundstedt, Kesselring und Manstein haben ihr Pulver verschossen. Sie werden nie wieder die Legionen der Wehrmacht anführen.

Was im Augenblick tatsächlich auf dem Spiel steht, ist nicht das Leben dieser einzelnen Männer, sondern der künftige Einfluß des deutschen Generalstabs innerhalb Deutschlands und infolgedessen auf das Leben der Völker aller Länder. Aus diesem Grunde wurde in Yalta erklärt:

»Es ist unser unbeugsamer Entschluß, den deutschen Militarismus und Nazismus zu zerstören und dafür Sorge zu tragen, daß Deutschland nie wieder imstande sein wird, den Frieden der Welt zu stören. Wir sind entschlossen, alle deutschen Streitkräfte zu entwaffnen und aufzulösen; den deutschen Generalstab, dem es wiederholt gelungen ist, den deutschen Militarismus wieder zu erwecken, für alle Zeiten zu zerbrechen.«

Die ersten Schritte zur Wiedererweckung des deutschen Militarismus sind bereits hier in diesem Gerichtssaal getan worden. Der deutsche Generalstab hatte seit dem Frühjahr 1945 reichlich Zeit zum Nachdenken, und er weiß recht wohl, was hier auf dem Spiele steht. Die deutschen Militaristen wissen, daß ihre künftige Stärke davon abhängt, den Glauben des deutschen Volkes an ihre militärischen Fähigkeiten wieder zu erwecken und daß sie sich selbst von den Grausamkeiten lossagen, die sie im Dienste des Dritten Reiches begangen haben. Warum ist die Wehrmacht geschlagen worden? Manstein sagt, Hitler habe sich zuviel in militärische Angelegenheiten eingemischt. Und wie steht es mit den Greueltaten? Die Wehrmacht hat keine begangen. Hitlers verbrecherische Befehle wurden von den Generalen beiseite geschoben und unberücksichtigt gelassen. Jegliche Greueltaten, die vorkamen, wurden von anderen Männern begangen, wie zum Beispiel Himmler, und von anderen Stellen, wie zum Beispiel der SS. Hätten die Generale nicht Schritte ergreifen können, um Deutschlands Verwicklung in einen Krieg und seine wahrscheinliche Zerstörung zu verhindern? Nein; die Generale waren durch ihren Treueid an den Führer des Staates gebunden. Hat nicht ein SS-General ausgesagt, daß die Feldmarschälle viele der Ausschreitungen und Grausamkeiten hätten verhindern können? Die Reaktion war Überlegenheit und Verachtung. »Ich halte es für eine Unverschämtheit, wenn ein SS-Mann so etwas über einen Feldmarschall sagt«, sagte Rundstedt. Die Dokumente und die Zeugenaussagen beweisen, daß dies durchsichtige Erfindungen sind. Aber hier sind die ersten Keime der Mythen und Legenden, die die deutschen Militaristen in den Köpfen der Deutschen zu verbreiten versuchen werden. Diese Lügen müssen gebrandmarkt und als das gekennzeichnet werden, was sie wirklich sind, solange das Beweismaterial noch frisch ist.

Dies ist in unseren eigenen Ländern genauso wichtig wie hier in Deutschland. Der Militarismus hat in Deutschland viel stärker und hartnäckiger geblüht als anderswo, aber er ist eine Pflanze, die keine nationalen Grenzen kennt, sie wächst überall. Er erhebt seine Stimme, um zu erklären, daß der Krieg zwischen Ost und West, Links oder Rechts oder zwischen Weiß und Gelb unvermeidlich sei. Er flüstert, daß neuerfundene Waffen so fürchterlich sind, daß sie angewandt werden sollten, ehe andere Länder zuvorkämen. Er läßt die ganze Welt im Schatten des Todes wandeln.

Der deutsche Militarismus wird, wenn er wieder kommt, nicht unbedingt unter der Ägide des Nazismus auftreten. Die deutschen Militaristen werden sich mit jedem Mann oder mit jeder Partei verbünden, die ihnen eine Wiedergeburt der deutschen bewaffneten Macht verspricht. Sie werden sorgfältig und kalt kalkulieren. Sie werden sich nicht von fanatischen Ideen oder abstoßenden Methoden abhalten lassen; sie werden Verbrechen in Kauf nehmen, um das Ziel zu erreichen: die deutsche Macht und den deutschen Terror. Wir haben dies schon einmal erlebt.

Die Wahrheit liegt in den Akten vor uns ausgebreitet, und wir haben lediglich diese Wahrheit offen zur Darstellung zu bringen. Die deutschen Militaristen haben sich mit Hitler verbündet und mit ihm das Dritte Reich geschaffen; mit ihm haben sie bewußt eine Welt errichtet, in der Macht alles bedeutete; mit ihm haben sie die Welt in einen Krieg gestürzt und Schrecken und Zerstörung über den europäischen Kontinent verbreitet. Sie haben der ganzen Menschheit einen Schlag versetzt, einen Schlag, so wild und bösartig, daß das Bewußtsein der Welt noch für viele Jahre aus dem Gleichgewicht sein wird. Das war kein Krieg, das war Verbrechen. Das war nicht Soldatentum, das war Barbarei.

Das mußte einmal ausgesprochen werden. Wir können hier nicht die Geschichte korrigieren, aber wir können danach trachten, daß sie wahrheitsgemäß geschrieben wird.

M. AUGUSTE CHAMPETIER DE RIBES, HAUPTANKLÄGER FÜR DIE FRANZÖSISCHE REPUBLIK: Herr Präsident! Meine Herren Richter! Wir haben Sie gebeten, die verantwortlichen Leiter des Dramas, welches die Welt in ein Blutbad stürzte, zu verurteilen. Wenn wir Sie heute ersuchen, die Organisationen für verbrecherisch zu erklären, die die Werkzeuge für die Pläne dieser Leiter waren, so erbitten wir von Ihrer Gerechtigkeit die moralische Verurteilung eines zusammenhängenden Systems, das die Zivilisation der schwersten Gefahr aussetzte, die diese jemals seit dem Zusammenbruch der römischen Welt gekannt hatte.

Und wir legen ebensoviel Wert auf das Urteil, welches wir heute beantragen, wie auf das, welches wir gestern forderten.

Denn, wenn wir es für nötig halten, daß die Schuldigen bestraft werden, so denken wir, daß es nicht weniger heilbringend ist, den Machthabern von heute und von morgen die imperativen Forderungen einer Moral feierlich in Erinnerung zu rufen, ohne die weder Ordnung noch Friede auf der Welt herrschen können.

Wer begreift tatsächlich nicht, daß in unserer Zeit, da der Wahnsinn der Menschen die reichen Fortschritte von Wissenschaft und Technik in den Dienst des Todeswerkes stellte, und da – wie ein Philosoph sagte: »Unsere Zivilisation hat sich für den Selbstmord ausgerüstet« – die Probleme, die der angstvollen Welt gestellt werden, vor allem moralische Probleme sind.

»Die Menschheit«, so sagte unser großer Bergson, »stöhnt halb erdrückt unter dem Gewicht der Fortschritte, die sie erreicht hat. Der größer gewordene Körper erwartet eine größer gewordene Seele, und die Mechanik verlangt nach einer Mystik.«

Welche Mystik Bergson hier meinte, wissen wir. Es war jene, die in der Blütezeit der griechisch-römischen Kultur, als Cato der Ältere, der Weiseste unter den Weisen, in seiner Volkswirtschaftslehre schrieb: »Man muß seine alten Rinder und seine alten Sklaven rechtzeitig zu verkaufen wissen«, jene beiden weltumstürzenden Begriffe schuf, den Begriff der Person und den der menschlichen Brüderlichkeit.

Die Person, das heißt das vergeistigte Individuum, nicht nur der einzelne Mensch, die bloße Nummer in der politischen Ordnung, das Räderwerk auf wirtschaftlichem Gebiet, sondern der vollständige Mensch, Körper und Geist, fleischgewordener Geist allerdings, vor allem aber doch Geist, für dessen Entfaltung die Gesellschaft geschaffen wurde, der soziale Mensch, der seine volle Entwicklung nur in der brüderlichen Gemeinschaft mit seinem Nächsten findet; der Mensch, dem seine Sendung eine Würde verleiht, die ihn mit Recht jedem Versuch der Knechtung und Aneignung entgehen läßt.

Diese Mystik ist es, die auf politischem Gebiet alle geschriebenen oder überlieferten Verfassungen aller zivilisierten Nationen inspiriert hat, seitdem Großbritannien, die Mutter der Demokratien, jedem freien Menschen durch die Bestimmungen der Magna Charta und der Habeas-Corpus-Akte garantierte, daß er »weder festgenommen noch in Haft gesetzt« würde, »es sei denn durch ein von seinesgleichen in gesetzlicher Form gefälltes Urteil«.

Sie inspirierte die amerikanische Unabhängigkeitserklärung von 1776: »Wir halten es für offenbar, daß alle Menschen vom Schöpfer mit gewissen unveräußerlichen Rechten ausgestattet worden sind.« Sie inspirierte die französische Erklärung von 1791: »Die Vertreter des französischen Volkes, welche die Nationalversammlung bilden, haben in Anbetracht dessen, daß Unwissenheit, Vergessen oder Mißachtung der Menschenrechte die einzigen Ursachen des öffentlichen Unglücks und der Korruption der Regierungen sind, in einer feierlichen Erklärung beschlossen, die natürlichen, unveräußerlichen und geheiligten Rechte des Menschen festzulegen. Folglich erkennt und erklärt die Nationalversammlung im Beisein und unter dem Schutz des höchsten Wesens die folgenden Menschen- und Bürgerrechte.«

Inspiriert der Begriff der erhabenen Würde der menschlichen Person nicht auch die Verfassung der Union der Sowjetischen Sozialistischen Republiken, die in ihrem X. Kapitel verkündet: »Die grundlegenden Rechte und Pflichten der Bürger der USSR... ohne Unterschied von Nationalität und Rasse.«

Und beginnt nicht schließlich auch die Satzung der Vereinten Nationen, die am 26. Juni 1945 in San Franzisco von 51 Nationen unterschrieben wurde, mit dieser feierlichen Erklärung: »Wir Völker der Vereinten Nationen, entschlossen, die zukünftigen Generationen vor der Geißel des Krieges zu bewahren, die zweimal im Lauf eines Menschenlebens der Menschheit unsagbare Leiden verursacht hat, bekunden unseren Glauben an die grundlegenden Menschenrechte, an die Würde und den Wert der menschlichen Person, an die Gleichberechtigung der Männer und Frauen, sowie der großen und kleinen Nationen.«

Diese Mystik konnten einige unter uns soweit verweltlichen, wie sie wollten. Wir alle erkennen doch an, daß sie der wesentliche Beitrag des Christentums in der Welt ist und daß sie im Lauf der Jahrhunderte, sich langsam ausdehnend, die Fundamente der Weltzivilisation gelegt hat.

Gegen diese Mystik hat Hitler mitten im 20. Jahrhundert eine heftige Reaktion versucht, indem er ihr seine barbarische Rassenideologie und seine primitive nur von biologischen Gesetzen beherrschte Auffassung des Lebens in der Gesellschaft entgegenstellte.

Denn er ging nicht nur darauf aus, Deutschlands militärische Vorherrschaft in Europa zu errichten, sondern er strebte auch danach, der Welt seine »Kultur« aufzuzwingen, die alle moralischen und intellektuellen Grundlagen umstürzt, auf denen die zivilisierte Welt seit der christlichen Ära beruht.

Die biologischen Gesetze, die das Tierreich beherrschen, sollten seiner Ansicht nach ebenfalls der menschlichen Gesellschaft auferlegt werden, und zwar zunächst die Gesetze der natürlichen Auswahl und des Kampfes ums Dasein.

Von diesem Moment an kann von der Autonomie der menschlichen Person nicht mehr die Rede sein. Wie die Ameise in einem Ameisenhaufen, so existiert auch das Individuum nur durch und für das Kollektiv. Der Staat ist nicht für die Person geschaffen, sondern die Person für den Staat.

Von nun an kann weder von Mitleid noch von Nächstenliebe die Rede sein. Das Christentum, Religion der Degenerierten und Kranken, wird durch eine neue Religion ersetzt, die als Recht nur das Recht des Stärkeren, und als Pflicht nur die Pflicht zu herrschen anerkennt.

Diese animalische Auffassung des menschlichen Lebens, diese »Kultur«, diese Religion, ist nicht das Werk eines Philosophen, der eine neue Theorie auf dem Gebiet der geistigen Spekulation entwickelt, sondern das Werk eines Realisten, der sie in die Praxis umsetzt.

Auf innerpolitischem Gebiet befiehlt sie die Säuberung des deutschen Volkes von Elementen, die es anstecken, und die Verbesserung der Rasse der blonden Arier. Folglich werden die Juden verjagt oder ausgerottet. Die Anomalen, die Kranken, die Schwachen werden vernichtet oder zum mindesten sterilisiert. Eine Jugend, welche man frühzeitig ihrer Familie entreißt, wird vom Staat dazu herangebildet, »die Welt erzittern zu lassen«. Ich will, sagte Hitler zu Rauschning, ich will in ihren Augen das Leuchten sehen, das man in den Augen eines wilden Tieres sieht! Dazu verleumdet er noch das wilde Tier, das wohl tötet, weil es Hunger oder Angst hat oder weil es brünstig ist, das jedoch den Sadismus der raffinierten Foltern nicht kennt.

Hitler wendet diese Lebensauffassung auf die internationalen Beziehungen an:

»Ein stärkeres Geschlecht«, schreibt er, »wird die Schwachen verjagen, da der Drang zum Leben in seiner letzten Form alle lächerlichen Fesseln einer sogenannten Humanität der einzelnen immer wieder zerbrechen wird, um an seine Stelle die Humanität der Natur treten zu lassen, die die Schwäche vernichtet, um der Stärke den Platz zu schenken.« (»Mein Kampf«, Seite 135 der französischen Ausgabe.)

Und wir wissen, welche Verbrechen im Namen dieser neuen Religion begangen wurden, wieviele Tote die Verwirklichung dieser angeblichen Lehre vom Leben gekostet hat: Konzentrationslager, Gaskammern und Krematorien, Einspritzungen von Krankheitserregern, Sterilisationen, Vivisektionen an Kriegsgefangenen und Deportierten, Versklavung der Völker, die man für assimilierbar hielt, und vor allem die methodische Ausrottung aller, die man für minderwertig erklärt, und, um alles zu sagen, das »Genocidium«, all dies ist das ungeheuerliche Resultat der Hitlerschen Ideologie.

Herr de Menthon hatte recht, als er sagte, daß die Sünde wider den Geist das Grundlaster des Nationalsozialismus und die Quelle aller in seinem Namen verübten Verbrechen ist. Und war Louis Veuillot nicht visionär begabt, als er 1871 schrieb: »Deutschland, Deutschland, das vom Himmel so reich beschenkt wurde. Wenn du wieder ein Phantom des Kaisers erscheinen siehst, das nicht das Schwert hält zum Schutz der Gerechtigkeit und zur Verteidigung des alten Rechts, sondern das sich als Kaiser des Volkes und als Schwert des neuen Rechts bezeichnet... dann ist die Stunde der großen Sühne gekommen.«

Wir haben dargetan, wer die Hauptschuldigen an den Verbrechen des Nationalsozialismus waren. Um aber ihren teuflischen Plan für die Weltherrschaft nicht nur über Gebiete, sondern auch über die Gewissen der Menschen verwirklichen zu können, brauchten sie Mitarbeiter, von der gleichen Mystik erfüllt und in derselben Disziplin erzogen, und deshalb haben die Chefs, die »Führer«, nach und nach dieses komplizierte, zusammenhängende System von Führung, Zwang und Kontrolle, welches die Gesamtheit der Organisationen des Staates und der Nationalsozialistischen Partei bildet, ausgedacht und verwirklicht.

Man brauchte leitende Organismen, von denen dem »Führerprinzip« gemäß die Befehle und allgemeinen Richtlinien ausgingen, und diese Organe sind das Reichskabinett und das Führerkorps der Nazi-Partei.

Man brauchte Werkzeuge der Kontrolle, der Propaganda, der Polizei und der Exekutive, und dies sind die Gestapo, die SA, der SD und die SS.

Schließlich mußte die Wehrmacht im Dienste der Parteipolitik stehen, und dies war das Werk des Generalstabs und des Oberkommandos, aus denen alle nicht hinreichend nazifizierten Elemente entfernt worden waren.

Daß die Mitglieder dieser Organisationen, dieser Gruppen oder dieser Dienste mehr oder weniger Fanatiker des Regimes waren, ist möglich, und der Gerichtshof erinnert sich an den im Lauf des Verhörs Ribbentrop aufgestellten Scheinunterschied zwischen »reinen Nazis« und solchen, die es nur zur Hälfte waren. Alle aber hatten zumindest die Lehre angenommen und die materiellen Vorteile, die ihnen das Regime reichlich zukommen ließ. Sind diejenigen, die einen inneren Vorbehalt gemacht haben, deswegen weniger verächtlich und weniger schuldig?

Daß alle diese Organisationen, diese Gruppen und diese Dienste mit allen Mitteln zur Errichtung einer universellen Herrschaft beigetragen haben, ist im Laufe der Verhandlungen in reichem Maße bewiesen worden.

Haben die Verteidiger der Organisationen nicht dauernd ins Verhör der einzelnen Angeklagten eingegriffen, und waren nicht alle diese Angeklagten unter verschiedenen Titeln Mitglieder einer oder oft mehrerer dieser Organisationen, so daß die enge Zusammenarbeit der kollektiven Organisationen mit den Männern, die sich hier auf der Anklagebank befinden, unwiderlegbar festgestellt ist?

Ich werde mich davor hüten, nach diesen so umfassenden Verhandlungen, nach den Plädoyers meiner hervorragenden Kollegen von der Amerikanischen und Britischen Anklagebehörde noch einmal an die zahllosen Greueltaten zu erinnern, an welchen die in der Anklageschrift aufgezählten Gruppen oder Organisationen teilgenommen haben, indem sie sie anordneten, ausführten oder gestatteten.

Ich möchte nur kurz auf zwei Argumente antworten, denen die Verteidiger, und zwar besonders die Anwälte der Gestapo, des SD und des Oberkommandos die größte Bedeutung beizulegen scheinen.

Es ist möglich, so sagen sie zunächst, daß in der Hitze des unerbittlich gewordenen Kampfes, im Zuge des total gewordenen Krieges Mißbräuche vorgekommen sind, aber immer hat es sich dabei nur um Einzelverbrechen gehandelt, die nur jene Personen verantwortlich machten, die sie begingen, nicht aber die Kollektive, die solche Verbrechen verurteilten.

Dichte Scheidewände – dies ist das zweite Argument der Verteidigung – trennten die verschiedenen Organisationen des Reiches voneinander. Daher muß die Tätigkeit einer jeden Organisation für sich geprüft werden, und diese Prüfung läßt bei keiner einzigen eine verbrecherische Absicht oder Betätigung entdecken.

Erstes Argument: Um festzustellen, ob eine Organisation verbrecherisch ist, muß man, so sagt die Verteidigung, die wesentlichen Prinzipe ihres Aufbaus prüfen. Nun sind diese keineswegs verbrecherisch. Die Verbrechen, wenn solche vielleicht begangen wurden, können daher nur einzelnen Personen angelastet werden und lassen nicht den Schluß zu, daß das Kollektiv verbrecherisch sei.

So wird behauptet, daß die Gestapo nach dem Wortlaut ihres Statuts eine Staatspolizei war, die wie die Polizei aller zivilisierten Staaten den Auftrag hatte, am Werk der Gerechtigkeit mitzuarbeiten und die Gesamtheit gegen Individuen zu schützen, die deren Sicherheit gefährden konnten. Es ist möglich, daß sie mitunter von oben Befehle erhalten und ausgeführt hat, die ihrer Hauptaufgabe, der Gewährung von Schutz, nicht direkt entsprachen, wie zum Beispiel die Massenverhaftung der Juden, die Ausrottung der sowjetrussischen Kriegsgefangenen, die Ermordung der entwichenen und wieder festgenommenen Kriegsgefangenen. Doch hatten diese gelegentlichen Betätigungen nichts mit ihren statutenmäßigen Kompetenzen zu tun. Sie konnten den wesentlichen Charakter der Organisation, der nichts Verbrecherisches an sich hatte, nicht verändern.

So ist der SD – sagen weiter die Verteidiger – seinem Statut nach einfach ein Nachrichtendienst und ein Dienst zur Erforschung der öffentlichen Meinung, eine Art Gallup-Institut, im Grunde genommen harmlos. Es ist ja möglich, daß Mitglieder des SD gelegentlich mit der Gestapo an dem Werk der Unterdrückung mitgearbeitet haben. Zwar findet man SD-Mitglieder an zahlreichen leitenden Stellen, wo sie eine anfechtbare Tätigkeit ausübten, doch dabei handelten sie nicht als Beamte des SD und konnten diese Organisation, deren Charakter als Institution nichts Verbrecherisches anhaftete, nicht kompromittieren.

So war – sagt die Verteidigung – das Oberkommando seiner Bestimmung nach mit der Verteidigung des Reiches beauftragt, und nur mit dieser Verteidigung. Es beschäftigte sich nicht mit Politik und hatte mit der Polizei nichts zu tun. Es ist möglich, daß es manchmal über seine Aufgabe hinausgegangen ist. Zwar hat es den Befehl unterschrieben, laut dessen Mitglieder des Widerstandes ins Unbekannte verschickt und die Soldaten der Kommandos und entwichene Kriegsgefangene zur Liquidierung der Polizei übergeben werden sollten, was der militärischen Ehre widersprach, doch handelte es in diesen Fällen nur als einfache Weiterleitungsstelle der Befehle Hitlers oder Himmlers. Diese außerhalb seiner Zuständigkeit stehende gelegentliche Betätigung konnte an seinem wesentlichen Charakter, der nichts Verbrecherisches an sich hatte, nichts ändern.

So bemüht sich stets die Verteidigung zwischen dem verfassungsmäßigen Charakter der Organisation, von dem sie bewiesen zu haben glaubt, daß er nichts Verbrecherisches an sich hatte, und der praktischen Betätigung der Gruppe zu unterscheiden, welche, wie sie selbst zugibt, vielleicht kritisiert werden könnte. Eine derartige Unterscheidung ließe sich in einem demokratischen Regime verstehen, in dem bereits bestehende Einrichtungen der Willkür der Regierung eine Schranke setzen und wo die Selbständigkeit der Person und die Freiheit des Bürgers gegen den Mißbrauch der Gewalt geschützt werden, aber sie ist im Hitler-Regime undenkbar.

Kümmerte sich Best, der Theoretiker der Polizei, etwa um Grundsätze, als er schrieb, daß die Handlungen der Polizei vom Feinde bedingt seien?

Befolgt der Erlaß vom 28. Februar 1933 irgendeinen Grundsatz, wenn er den allmächtigen Staat befugt, alle vom Gesetz aufgerichteten Schranken zu ignorieren?

Unterschied Hitler zwischen dem Grundsatz und der Praxis, als er in der Besprechung vom 23. Mai 1939, zu der die Mitglieder des Oberkommandos in der Reichskanzlei versammelt waren, erklärte:

»Es darf nicht der Grundsatz gelten, sich durch Anpassung an die Umstände einer Lösung der Probleme zu entziehen. Es heißt vielmehr, die Umstände den Forderungen anzupassen.

... es handelt sich nicht mehr um Recht oder Unrecht, sondern um Sein oder Nichtsein von 80 Millionen Menschen.« (L-79.)

In Wahrheit kennt das Hitler-Regime keine bestehenden Einrichtungen, keine Gesetzlichkeit, keine Grenzen der Willkür und keine Einschränkung der Macht. Es gibt kein anderes Prinzip als das »Führerprinzip«, keine andere Gesetzlichkeit als die Laune des Führers, dessen Befehle von oben bis unten auf der Stufenleiter ohne Widerstand unbedingt befolgt werden müssen.

Die Auffassung von einer behaupteten Institution, die bei der Errichtung der Kollektivorganisationen geherrscht und ihnen einen bestimmten Charakter verliehen haben soll, ist nichts als eine »a posteriori«-Konstruktion durch den Einfallsreichtum der Verteidigung.

Maßgebend ist allein die wirkliche Tätigkeit der kollektiven Organisationen, und wir haben im Laufe der Verhandlungen den Beweis erbracht, daß diese verbrecherisch war.

Ferner sucht die Verteidigung einen Entlastungsgrund für die kollektiven Organisationen in der Tatsache, daß die Mitglieder der Gestapo, der SS oder des SD, welche verbrecherische Taten begangen haben, nicht im Namen ihrer ursprünglichen Organisation gehandelt haben, sondern vorübergehend von ihnen abgetrennt waren.

Ist dies nicht im Gegenteil gerade ein Beweis dafür, daß diese Gruppen in der allgemeinen Organisation des nationalsozialistischen Systems die Rolle von Reservoiren und Ausbildungsschulen spielten, aus denen sich die Führer zur Verwirklichung ihrer Herrschaftspläne die Täter holten, die für die ihnen anvertrauten verbrecherischen Aufgaben vollkommen vorbereitet waren. Und bildet die Tatsache, daß Hitler seine Mittäter oft mit der Würde der Ehrenmitgliedschaft einer dieser Organisationen ausgezeichnet hat, nicht einen weiteren Beweis für die Bedeutung, die er jedem Zeichen der Rechtgläubigkeit beimaß, die die Zugehörigkeit zu der einen oder anderen dieser Gruppen zum Ausdruck brachte.

Somit – welchen Standpunkt wir auch einnehmen mögen – kann das erste Argument der Verteidigung nicht aufrechterhalten werden.

VORSITZENDER: Ich glaube, Sie werden Ihre Ansprache vor der Pause nicht beenden können. Wäre es nicht besser, jetzt eine Pause einzuschalten?