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[Das Gericht vertagt sich bis 14.00 Uhr.]

Nachmittagssitzung.

VORSITZENDER: Dem Gerichtshof liegt ein Antrag von Dr. Stahmer für Göring vor hinsichtlich der Affidavits, die von Dr. Laternser für den Generalstab vorgelegt wurden. Diese Affidavits sollten für Göring in Betracht gezogen werden. Der Gerichtshof wird sie natürlich für Göring ebenso wie für alle anderen in Erwägung ziehen.

M. CHAMPETIER DE RIBES: Die Verteidigung führt ein zweites Argument an: Die Organisationen, so behauptet sie, waren unabhängig voneinander und kannten sich gegenseitig nicht. Die einen waren dem Staat, die anderen der Partei unterstellt, und Staat und Partei übten ihre Tätigkeit auf verschiedenen Gebieten aus. Selbst innerhalb der Organisationen bestanden dichte Scheidewände zwischen den verschiedenen Abteilungen, aus denen sich diese Organisationen zusammensetzten, und diese Abteilungen handelten in völliger Unabhängigkeit. Und auf die Gefahr hin, die am meisten kompromittierten Zellen preiszugeben, bemühen sich die Verteidiger, die größtmögliche Zahl der angeblich isolierten Gruppen der Verantwortlichkeit zu entziehen.

Aber tatsächlich steht dieses Argument im Gegensatz zu allem, was wir über die allgemeine Organisation der Dienststellen des Reiches wissen. Wie Herr Dubost bei dem Beweis der persönlichen Verantwortung der einzelnen Angeklagten gezeigt hat, kann die gegenseitige enge Durchdringung der Organisationen und Dienste nicht in Frage gestellt werden.

Der nationalsozialistische Staat ist totalitär. Seine Funktionäre wie seine Dienststellen sind von einer gemeinsamen Weltanschauung durchdrungen, verfolgen die gleichen Ziele, und die Einheitlichkeit der Handlung ist durch die allgegenwärtige Partei als Ausdruck des politischen Willens des Volkes in dem gesamten Räderwerk des Staates gewährleistet.

In den Texten ist die Verschmelzung von Staat und Partei durch das Gesetz vom 1. Dezember 1933 verwirklicht: Artikel 1 lautet:

»Die NSDAP ist die Trägerin des deutschen Staatsgedankens und mit dem Staat unlöslich verbunden.« (1395-PS.)

Die öffentlichen Dienststellen müssen mit den Dienststellen der Partei zusammenarbeiten.

Praktisch ist diese völlige Durchdringung und Vereinigung von Staat und Partei durch die Zentralisation der verschiedenen Machtbefugnisse in denselben Händen verwirklicht.

Hitler ist zugleich Staatsoberhaupt, Oberbefehlshaber der Wehrmacht und Führer der Partei.

Himmler ist Führer der SS, die von der Partei abhängig ist, und gleichzeitig Chef der Polizei, welche dem Staat untersteht.

Die Gauleiter, Parteifunktionäre, sind in den meisten Fällen zugleich Vertreter des Staates in ihrer Eigenschaft als Reichsstatthalter oder als Oberpräsidenten in Preußen.

Der Chef der Parteikanzlei nimmt an der Ausarbeitung der wichtigen Gesetze sowie an der Ernennung der höheren Staatsbeamten teil.

Das Gesetz vom 7. April 1933 gestattet die Amtsentlassung von Staatsbeamten, die verdächtig sind, der Partei nicht genug ergeben zu sein, und wir wissen, mit welcher Brutalität diese Entlassungen im Oberkommando durchgeführt wurden.

Somit ist sowohl in den Tatsachen wie in den Texten die innere gegenseitige Abhängigkeit von Staat, Partei und Wehrmacht auf das engste verwirklicht, und in ihrer konkreten Betätigung ist es unmöglich, den Teil der Verantwortung der einen oder anderen zu unterscheiden.

Ist es nötig, Beispiele anzuführen? Wir haben bereits viele Beispiele geliefert und befürchten, die Aufmerksamkeit des Gerichtshofs zu lange in Anspruch zu nehmen.

Es genügt wohl, zu erinnern an die enge Zusammenarbeit der Gestapo, des SD, der SS und der Wehrmacht in der gemeinsamen Aufstellung der allgemeinen Weisungen und in der Durchführung der Maßnahmen gegen Mitglieder des Widerstandes, der Repressalien gegen die Zivilbevölkerung und der Ausrottung der Juden.

Finden wir nicht dafür den unzweideutigen Beweis in der wiederholt zitierten Anordnung Hitlers vom 30. Juli 1944:

»Alle Gewalttaten nichtdeutscher Zivilpersonen in den besetzten Gebieten gegen die deutsche Wehrmacht, SS und Polizei und gegen Einrichtungen, die deren Zwecken dienen, sind als Terror- und Sabotageakte folgendermaßen zu bekämpfen:

1.) Die Truppen und jeder einzelne Angehörige der Wehrmacht, SS und Polizei haben Terroristen und Saboteure, die sie auf frischer Tat antreffen, sofort an Ort und Stelle niederzukämpfen.

2.) Wer später ergriffen wird, ist der nächsten örtlichen Dienststelle der Sicherheitspolizei und des SD zu übergeben.« (F-873.)

Unterstreicht Hitler nicht mit seiner dreimaligen Erwähnung der Wehrmacht, der SS und der Polizei die enge Zusammenarbeit dieser Organisationen?

Ist es nötig, noch einmal an die zahlreichen Weisungen Keitels, an den Befehl des Feldmarschalls Kesselring vom 14. Januar 1944, an das Kriegstagebuch des Generals von Brodowski zu erinnern, auf Grund welcher die Wehrmacht der Polizei und die Polizei der Wehrmacht für die rücksichtslose Unterdrückung der Widerstandsbewegungen zur Verfügung gestellt wird?

Muß noch an Keitels Befehle erinnert werden, in denen er den Militärbefehlshabern in Frankreich, Holland und Belgien die Anordnung erteilt, die durch Rosenberg organisierte und geleitete Plünderung der Kunstschätze durch die Wehrmacht unterstützen zu lassen?

Hat nicht der für die Gestapo vorgeladene Zeuge Hoffmann in der Sitzung vom 1. August erklärt, daß der »Nacht-und-Nebel«-Erlaß das Ergebnis der Zusammenarbeit des OKW mit dem Reichsjustizministerium war?

So hofft die Verteidigung vergebens, die Verantwortung zu vermindern, indem sie sie zwischen den Dienststellen des Staates und der Partei, zwischen diesen angeblich unabhängigen Organisationen, verteilt.

Sie hat ebensowenig Erfolg, wenn sie zu beweisen versucht, daß innerhalb derselben Organisation die verschiedenen Abteilungen durch dichte Scheidewände voneinander getrennt waren. Wen will sie glauben machen, daß zum Beispiel die Verwaltungsabteilungen des SD und der Gestapo das Ausmaß der Deportationen nicht kannten, da sie doch das schwierige Problem der Transporte zu lösen hatten, oder aber, daß die Dienststelle für Material und Instandhaltung nichts von der Ausrottung durch chemische Verfahren wußte, obwohl sie die Gaswagen zu reparieren hatte?

Tatsächlich sind sämtliche Dienststellen der Gestapo, des SD, der SS und des Oberkommandos für die gemeinsam begangenen Verbrechen solidarisch haftbar, und was für diese Organisationen zutrifft, trifft – wie meine ausgezeichneten Kollegen von der Anklagebehörde bewiesen haben – auch für die Reichsregierung und für die Politischen Leiter zu. Sind die Organisationen weniger schuldig als die eigentlichen Täter, ist das Gehirn weniger verantwortlich als der Arm?

Somit glauben wir, die solidarische Schuld aller Organisationen bewiesen zu haben, und wir beantragen, daß sie als verbrecherisch erklärt werden.

Will das heißen, daß wir beabsichtigen, von den zuständigen Gerichtshöfen die schwersten Strafen gegen alle Mitglieder dieser Organisationen zu erreichen?

Gewiß nicht. Indem wir von Ihrer Rechtsprechung die moralische Verurteilung derjenigen Organisationen fordern, ohne die die Verbrechen des Nationalsozialismus nicht hätten begangen, werden können, verlangen wir nicht, daß Männer, ohne gehört worden zu sein, verurteilt werden; im Gegenteil, sie können die Mittel zu ihrer persönlichen Verteidigung vor den zuständigen Gerichten geltend machen.

Wenn übrigens das Statut dieses Gerichtshofs festlegt, daß in allen Fällen, in denen der Gerichtshof den verbrecherischen Charakter einer Gruppe oder einer Organisation verkündet hat, dieser verbrecherische Charakter als feststehend angesehen wird und nicht mehr bestritten werden kann, so sagt das Statut doch nirgends, daß alle Mitglieder dieser Gruppen oder Organisationen vor die zuständigen Behörden gestellt werden sollen; und wir sind der Ansicht, daß nur diejenigen verfolgt werden sollen, die in Kenntnis der verbrecherischen Tätigkeit der Gruppe oder Organisation ihr freiwillig angehört haben und die somit persönlich an den von der Gesamtheit begangenen Verbrechen teilgenommen haben.

Andererseits denken wir, daß im Interesse einer reinen Rechtsprechung und in der Hoffnung auf allgemeine Befriedung die Strafen der Schwere der erwiesenen Rechtsbrüche angemessen sein sollen; und während die schwersten Strafen nur gerecht sind im Falle von Verbrechen, deren ein Mitglied einer Organisation persönlich schuldig erkannt wurde, sollte die alleinige Mitgliedschaft – selbst die freiwillige – zu einer dieser Gruppen nur mit Freiheitsstrafen oder sogar nur mit dem Entzug eines Teiles oder der gesamten bürgerlichen und politischen Rechte geahndet werden.

Und wenn der Gerichtshof der gleichen Meinung ist, so verbietet ihm das Statut keineswegs, diese Meinung in der Form auszudrücken, die ihm gegeben erscheint.

Folglich wird Ihr Urteil nicht, wie Dr. Steinbauer in seinem Plädoyer für Seyß-Inquart zu befürchten schien, der Abschluß eines »Prozesses des Siegers gegen den Besiegten« sein. Es wird vielmehr der feierliche und reine Ausdruck der ewigen Gerechtigkeit sein.

Im gleichen Plädoyer versucht Dr. Steinbauer die Worte von Herrn de Menthon der Haltung eines der heldenhaftesten Führer der französischen Widerstandsbewegung, der Präsident der Regierung der Republik geworden ist, als einander widersprechend gegenüberzustellen, indem er uns die Worte George Bidaults in Erinnerung rief, die dieser nach der Befreiung bei einem Besuch von schwerverwundeten Deutschen aussprach: »Kameraden, ich wünsche Euch eine baldige Genesung und eine glückliche Heimkehr.«

Der Verteidiger Seyß-Inquarts hat sich getäuscht. Es besteht kein Widerspruch zwischen den Worten von François de Menthon und jenen von George Bidault, und die Franzosen – ich bin dessen gewiß – ebenso wie alle freien Bürger der Vereinten Nationen sind sich sämtlich darin einig, daß die nötige Strenge gegenüber den Schuldigen mit dem Mitleid gegenüber denjenigen, die vielleicht nur Opfer waren, in Einklang gebracht werden muß.

Indem die kollektiven Organisationen für verbrecherisch erklärt werden und dadurch den zuständigen Behörden gestattet wird, die Schuldigen, aber auch nur die Schuldigen, zu treffen, indem der Welt feierlich bestätigt wird, daß das Gesetz der Moral den Vorrang hat vor der Willkür der Menschen und der Regierungen, und daß dieses Gesetz sowohl für Menschen des öffentlichen Lebens wie auch für solche des privaten Lebens, für Nationen wie für Einzelpersonen Geltung hat, und daß es verbrecherisch ist, dieses Gesetz zu verletzen, wird Ihr Urteil einen wesentlichen Beitrag leisten zu dem großen Werk der allgemeinen Befriedung, an dem die Vertreter der freien Völker in der Organisation der Vereinten Nationen und in der Friedenskonferenz in New York wie in Paris »in der sehr großen Hoffnung der einfachen und rechtlich denkenden Menschen« arbeiten.

GENERAL R. A. RUDENKO1, HAUPTANKLÄGER FÜR DIE SOWJETUNION: Herr Vorsitzender, meine Herren Richter! Wir sind jetzt zum letzten Stadium des Prozesses gekommen, der mit außerordentlicher Genauigkeit und großer Meisterschaft geführt worden ist. In den individuellen Fällen der Hauptkriegsverbrecher, die auf der Anklagebank sitzen, hat die Anklagebehörde schon ein erschöpfendes Beweismaterial vorgebracht. Wir bestehen ebenfalls voll und ganz auf der Anklage gegen die verbrecherischen Organisationen: Die Regierung des faschistischen Deutschlands, den Generalstab und das Oberkommando der Deutschen Wehrmacht, das Korps der Politischen Leiter der Deutschen Nationalsozialistischen Partei, die Geheime Staatspolizei (Gestapo), die Schutzstaffeln der Nationalsozialistischen Deutschen Partei (SS), den Sicherheitsdienst (SD) und die Sturmabteilungen (SA).

Wie im Laufe des Gerichtsverfahrens nachgewiesen wurde, stand an der Spitze Hitler-Deutschlands eine Verschwörerbande, die die Regierungsgewalt und die Verwaltung ganz Deutschlands an sich gerissen hatte.

Eine solche Verschwörergruppe, die in einem Reich von vielen Millionen Einwohnern im Zentrum eines ungeheueren Staatsapparates wirkte, konnte nicht ohne ein ganzes System verbrecherischer Hilfsorganisationen existieren, die die Verschwörer mit abgelegenen Gebieten, die Führer der Hauptstraßen mit denen der Straßen und Gassen verbanden. Deswegen war in Hitler-Deutschland ein Netz von Organisationen tätig unter unmittelbarer und fortwährender Leitung der Verschwörer – das Korps der Politischen Leiter der NSDAP, die Gestapo, die SS, der SD und andere – die eine große Macht besaßen.

Das Gesetz von 1933, durch welches der Apparat der faschistischen Partei mit dem Staatsapparat Hitler-Deutschlands verschmolzen wurde, war ein offenes Eingeständnis dieser Tatsachen in Form eines Gesetzes.

Zur Stärkung der Verbindung zwischen der leitenden Bande und den Organisationen trat jeder der Verschwörer in mehreren Rollen auf, war vielgestaltig: Göring war gleichzeitig Minister, Oberbefehlshaber der Luftwaffe, Beauftragter für den Vierjahresplan, Reichsleiter und Oberster SA-Führer; Heß war Minister, Stellvertreter Hitlers in der Partei, General der SS- und SA-Verbände; Rosenberg war Reichsleiter der Nationalsozialistischen Partei in Fragen der Ideologie und der Außenpolitik, Minister und Obergruppenführer der SA und so weiter. Wie man den Minister Göring nicht von Göring, dem Obergruppenführer der SA, trennen kann, so sind auch die SS, die Gestapo und die anderen verbrecherischen Organisationen vom Hitler-Regime nicht zu trennen. Man kann sich ein Hitler-Deutschland ohne Bibliotheken, ohne Schulen, sogar ohne Krankenhäuser vorstellen, aber ein Hitler-Deutschland ohne SS und Gestapo war existenzunfähig.

Dieser politischen Tätigkeit zufolge sieht das Statut des Internationalen Militärgerichtshofs zwei Arten der Teilnahme an den verbrecherischen hitlerischen Gemeinschaften vor:

Artikel 6 des Statuts spricht von der Teilnahme an der verbrecherischen Verschwörung, während Artikel 9 und 10 sich mit der Mitgliedschaft in verbrecherischen Organisationen befassen. Diese beiden Begriffe sind organisch und untrennbar miteinander verbunden, denn sie stellen in strafrechtlicher Terminologie den Zusammenhang und die Verbindung dar, die tatsächlich zwischen den Verschwörern und den Organisationen in Hitler-Deutschland bestand.

Für die zwei obengenannten Arten der Teilnahme der Hitler-Leute an den internationalen Verbrechen – die Teilnahme an der Verschwörung und die Mitgliedschaft in den Organisationen – die eng miteinander verknüpft sind, hat das Statut des Internationalen Militärgerichts mit voller Berechtigung für die eine und die andere Art der Teilnahme verschiedene strafrechtliche Folgen festgelegt. Die Teilnahme an der Verschwörung, die ihrem Wesen nach keine sehr große Anzahl von Personen umfassen konnte, wird vom Statut als eine selbständige strafbare Handlung betrachtet. Andererseits wird die Frage der Verantwortung für die Mitgliedschaft in den verbrecherischen Organisationen, die Hunderttausende von Mitgliedern zählten, vom Statut des Tribunals in einer anderen Richtung entschieden. Das Statut des Tribunals, das voll und ganz auf den Grundsätzen des Rechts und der Gerechtigkeit aufgebaut ist, überläßt die Beurteilung der individuellen Verantwortung der Organisationsmitglieder, die sich mit der Klarstellung der Schuld einer großen Anzahl von Einzelpersonen befassen muß, den nationalen Gerichten.

Artikel 10 des Statuts lautet: »Ist eine Gruppe oder Organisation vom Gerichtshof als verbrecherisch erklärt worden, so hat die zuständige nationale Behörde jedes Signatars das Recht, Personen wegen ihrer Zugehörigkeit zu einer solchen verbrecherischen Gruppe oder Organisation... den Prozeß zu machen.«

Auf Grund der Bestimmungen des Artikels 10 des Statuts können Gerichtshöfe in der UdSSR, in den USA, in England, Frankreich und in den 18 Staaten, die sich der Londoner Vereinbarung angeschlossen haben, einen Angeklagten für schuldig erklären; aber sie haben ebenfalls das Recht, zu dem Schluß zu gelangen, daß er, der Angeklagte, gar nicht Mitglied einer Organisation war oder ihr nur formell angehört hat und tatsächlich der Organisation fernstand, und ihn aus diesen Gründen freizusprechen.

Für alle diese und verwandte Fragen waren und bleiben die nationalen Gerichtshöfe zuständig. Diese Gerichtshöfe sind nur in einem grundsätzlich sehr wichtigen Punkt eingeschränkt: Wenn der Internationale Gerichtshof eine Organisation für verbrecherisch erklärt, dürfen die nationalen Gerichtshöfe den verbrecherischen Charakter dieser Organisation weder verneinen noch anzweifeln. Damit ist zum erstenmal in der Geschichte des Rechts die Autorität der einzelnen Länder kraft des Spruches des Internationalen Tribunals eingeschränkt.

Die erwähnte Abgrenzung der Zuständigkeit des Internationalen Gerichtshofs und der nationalen Gerichtshöfe ist ungeheuer wesentlich zum Verständnis der Bestimmungen des Statuts des Tribunals über die verbrecherischen Organisationen.

In der Tat, gerade weil es die Aufgabe des Gerichtshofs ist, nur die allgemeine Frage des verbrecherischen Charakters der Organisationen zu entscheiden und nicht die einzelnen Fragen der individuellen Verantwortung der Mitglieder dieser Organisationen, definiert das Statut den Begriff »Organisation« nicht und bindet das Tribunal in diesem Falle durch keinerlei formelle Definition.

Das Fehlen einer detaillierten Definition einer verbrecherischen Organisation ist daher keine Lücke im Statut, sondern eine grundsätzliche Stellungnahme, die sich aus dem oben erwähnten Umstand ergibt – und zwar die Übertragung aller konkreten Maßnahmen auf die Organe der nationalen Justiz. Deswegen finden die Versuche, das Vorhandensein gewisser konkreter Merkmale – freiwillige Mitgliedschaft, Kenntnis der Ziele und so weiter – zu verlangen, ehe eine Organisation als verbrecherisch erklärt werden kann, nicht nur keine Stütze im Statut, sondern stehen sogar im Widerspruch mit seinem ganzen Aufbau. Die wesentliche und einzige Aufgabe, die dem Gerichtshof obliegt, besteht nicht in derartigen Untersuchungen, mit denen sich die zuständigen nationalen Behörden befassen und befassen werden, sondern darin, die einzige entscheidende Tatsache festzustellen: Ob diese Organisation durch ihre verbrecherischen Handlungen an der Verwirklichung der Hitlerschen Verschwörerpläne teilnahm.

Im Hinblick auf diese Aufgabe ist die vom Statut vorgesehene Prozeßordnung bezüglich der Strafverfolgung der Organisationen erlassen.

Tatsächlich verbindet das Statut des Gerichtshofs die Lösung der Frage der verbrecherischen Organisationen mit der Notwendigkeit, den Fall eines bestimmten Vertreters dieser Organisation, der auf der Anklagebank sitzt, zu untersuchen. Die Angeklagten im gegenwärtigen Prozeß waren gleichzeitig Teilnehmer an der Verschwörung und führende Mitglieder der Organisationen, über deren verbrecherischen Charakter der Gerichtshof entscheiden muß. Folglich ist jenes Beweismaterial, das schon in den individuellen Fällen der Angeklagten vorgelegt worden ist, auch gleichzeitig wesentliches Beweismaterial für die von ihnen vertretenen Organisationen. Die Dokumente, die von den Anklagevertretern vorgelegt worden sind, haben vollkommen bewiesen, daß die in der Anklageschrift erwähnten Organisationen fortwährend und unmittelbar ein Instrument zur Verwirklichung der verbrecherischen Pläne der Verschwörer waren. Infolgedessen ist durch das Gerichtsverfahren der verbrecherische Charakter dieser Organisationen voll und ganz erwiesen.

Der Gerichtshof hat sich bemüht, die Untersuchung des Falles der Organisationen möglichst vielseitig zu gestalten. Die Mitglieder der angeklagten Organisationen sind durch Rundfunk, Presse und besondere Bekanntmachungen aufgefordert worden, dem Gerichtshof ihre Erklärungen abzugeben. Dem Gerichtshof ist die Anzahl der Personen, die jetzt in den Internierungslagern sitzen und die diese Möglichkeit ausnützen wollten, bekannt. Die Schaffung einer Kommission hat es dem Gerichtshof ermöglicht, eine möglichst große Anzahl von Organisationsmitgliedern zu vernehmen, die in der Folge von zuständigen nationalen Gerichten gehört und verhandelt werden sollen. Als Resultat einer schwierigen Vorbereitungsarbeit wurde eine von der Verteidigung ausgewählte Gruppe von Zeugen dem Gerichtshof unmittelbar vorgeführt. Die Verteidigung, die sich nicht in der Lage sah, die unbestreitbare Beweiskraft der von der Anklagebehörde vorgelegten Beweisdokumente zu widerlegen, beschloß, ihre Zeugen gegenüberzustellen.

Meine Herren Richter! Wir haben diese Zeugen und ihre Aussagen wohl in Erinnerung. Wenn es noch nötig wäre, den Beweis zu führen, daß die Lüge die immerwährende und treue Begleiterin der Hitlerschen Grausamkeiten war, so würden die lügnerischen Aussagen Kaufmanns, Sievers', Mansteins, Reineckes, Bests und anderer dafür als überzeugende Illustration dienen. Diese »Zeugen« haben sich in ihren Bemühungen, die verbrecherischen Organisationen reinzuwaschen, deren führende Mitglieder sie selbst waren, in ganz offensichtliche Widersprüche verwickelt. So stellt es sich nun heraus, daß sowohl die SS wie die Gestapo eine Vereinigung von Auserwählten ist, ein Verein der Edlen, ein Ritterorden. Nicht umsonst wurde Rosenberg schon früher von seiner Verteidigung unter diese Ritter gezählt. Alle glänzen dort von moralischer Sauberkeit und pflegten die Nächstenliebe. Die Obergruppenführer der Berufshenker der SS eilten herbei, um Juden von Mördern und Plünderern zu retten, und der General Brauchtisch war ein glühender Pazifist.

Es ist dabei belehrend, daß nach den Zeugenaussagen die Organisationen, welche die Anklageschrift für verbrecherisch erklärt, ohne Ausnahme sauber und makellos erscheinen. Wer hat denn aber dann die Ermordung von zwölf Millionen friedlicher Bürger ausgeführt? Wer hat die Kriegsgefangenen gemartert, und wer hat aus den besetzten Gebieten Millionen von Menschen zur Sklavenarbeit nach Deutschland verschickt? Wie es sich herausstellt, gibt es keine Verantwortlichen!

Lügen, zynische Lügen, aus dem Munde von Menschen, deren Gewissen vor Morden nicht zurückschreckt und deren Ehre vor Meineid nicht Halt macht, verdienen keine Widerlegung.

Im Laufe der Beweisaufnahme für die verbrecherischen Organisationen wurden von der Anklage ergänzende, schwerwiegende Dokumente vorgelegt, die von neuen Grausamkeiten der Hitlerschen verbrecherischen Organisationen Zeugnis ablegen.

Tatsachen, unbestreitbare Tatsachen stehen fest. Der unerschütterliche Wille des Gesetzes ist klar. Die Zeit ist gekommen, die Folgerungen zu ziehen.

Beim Parteitag im Jahre 1934 erklärte Hitler:

»Nicht der Staat hat uns geschaffen, sondern wir schufen den Staat. – Es ist möglich, daß einige uns für eine Partei halten, während andere uns für eine Organisation halten; wieder andere für noch etwas anderes; aber in der Tat sind wir, was wir sind.«

Der gegenwärtige Prozeß gibt eine erschöpfende und genaue Antwort auf die Frage, was die Hitleristen waren. Mit dem Führer an der Spitze der verbrecherischen Bande der Verschwörer traten diese in verschiedenen Rollen auf und hatten verschiedene Titel – Minister, Gauleiter, Obergruppenführer und dergleichen – und umgaben sich mit einem von ihnen geschaffenen Netz von verbrecherischen Organisationen, die Millionen deutscher Bürger in ihren Krallen hielten. Das war, schematisch dargestellt, die politische Struktur Hitler-Deutschlands.

Die Brandmarkung der in der Anklageschrift aufgeführten Organisationen als verbrecherisch, sowie die Brandmarkung der vorhandenen Verschwörung ist demnach die notwendige Voraussetzung für den Sieg der Gerechtigkeit, den Sieg, nach dem sich alle friedliebenden Völker sehnen.

In Bezug auf die einzelnen Organisationen, die die Anklage als verbrecherisch zu erklären für unentbehrlich erachtet, halte ich es für notwendig, zur Ergänzung der überzeugenden Ausführungen, die bereits von meinen verehrten Kollegen gemacht worden sind, folgendes zu sagen:

Das Korps der Politischen Leiter der Nazi-Partei.

Im Absatz I, Paragraph 4, unter »A« der Anklageschrift, der die Überschrift trägt: »Die Nationalsozialistische Partei als Mittelpunkt des allgemeinen Planes oder der Verschwörung« heißt es:

»Im Jahre 1921 wurde Adolf Hitler der oberste Führer (schlechtweg ›der Führer‹ genannt) der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei, auch bekannt als Nazi-Partei, die in Deutschland im Jahre 1920 gegründet worden war. Die Nazi-Partei, zusammen mit einer Anzahl ihrer Unterorganisationen, wurde zum Mittel des Zusammenhaltes unter den Angeklagten und ihren Mitverschworenen und zum Mittel der Ausführung der Ziele und Zwecke ihrer Verschwörung.«

Die gerichtlichen Verhandlungen haben diese Auslegung völlig bestätigt.

Die zahlreichen Verbrechen der Hitler-Clique wurden von der Nazi-Partei, die die treibende Kraft der faschistischen Verschwörung war, inspiriert und geleitet.

Viele von den Angeklagten und sogenannte Entlastungszeugen sagten aus, daß sie Nationalsozialisten waren, die Deutschland vor dem Angriff anderer Staaten schützen wollten. Dies ist eine offensichtliche Lüge. Nur Betrüger können behaupten, daß Österreich, die Tschechoslowakei, Polen, Norwegen, Dänemark, Belgien, Holland, Jugoslawien, die Sowjetunion und andere friedliebende Länder auf die Unversehrtheit und Unabhängigkeit Deutschlands einen Anschlag machen wollten. In Wirklichkeit sind die deutschen Faschisten keine Nationalisten, sondern Imperialisten, für die die Ergreifung fremder Gebiete das grundlegende und bestimmende Ziel zum Zwecke der Expansion des militanten deutschen Kapitalismus ist. Schamlos nannten sie sich Sozialisten. Nur unverschämte Demagogen können behaupten, daß die deutschen Faschisten, die alle demokratischen Freiheiten des Volkes liquidiert und sie durch Konzentrationslager ersetzt haben, Sklavenarbeit in Werkstätten und Fabriken und Leibeigenschaft in den Dörfern Deutschlands und den von ihnen besetzten Ländern einführten, als Verteidiger der Interessen der Arbeiter und Bauern auftraten.

Und wenn diese Imperialisten und Reaktionäre sich in den Mantel der »Nationalisten« und »Sozialisten« hüllten, so taten sie es ausschließlich, um das Volk zu betrügen.

Das Programm der Nazi-Partei selbst enthielt Grundlagen für einen Herrscherplan, für die Ergreifung fremder Gebiete und legte den Grundstein zum Menschenhaß.

In einer der Jahresschriften der NSDAP, die Ley herausgab, heißt es:

»Das Programm ist das politische Fundament der NSDAP und damit das politische Grundgesetz des Staates.

Alle Gesetzesvorschriften müssen im Geiste des Parteiprogramms angewendet werden.

Seit der Machtübernahme ist es dem Führer gelungen, wesentliche Teile des Parteiprogramms über das Grundsätzliche hinaus bis in Einzelheiten hinein zu verwirklichen.«

Die Hitler-Partei ist von der Hitler-Regierung, von der SS, der Gestapo und anderen verbrecherischen Organisationen des Hitler-Regimes nicht zu trennen. Genauso sind die auf der Anklagebank sitzenden Nazi-Häuptlinge von den Henkern von Auschwitz und Maidanek, Babij-Jar und Treblinka nicht zu trennen.

»Was ich erreichte« – sagte Hitler –, »ist der Partei bekannt. Sie erhöhte mich, und ich meinerseits mache sie groß.«

Tatsächlich wurde kurz nach der Hitlerschen Machtergreifung durch den Erlaß vom 14. Juli 1933 die Bildung neuer Parteien verboten. Die NSDAP wurde zur einzigen politischen Partei in Deutschland.

Ich erinnere Sie daran, daß am 1. Dezember 1933 das Gesetz »Zur Sicherung der Einheit von Partei und Staat« erlassen wurde, in dem es hieß:

»Nach dem Sieg der nationalsozialistischen Revolution ist die NSDAP die Trägerin des deutschen Staatsgedankens und mit dem Staat unlöslich verbunden.

Zur Gewährleistung engster Zusammenarbeit der Dienststellen der Partei und der SA mit den öffentlichen Behörden werden der Stellvertreter des Führers und der Chef des Stabes der SA Mitglieder der Reichsregierung.«

Paragraph 3 dieses Gesetzes verkündet:

»Den Mitgliedern der NSDAP und der SA (einschließlich der ihr unterstellten Gliederungen) als der führenden und bewegenden Kraft des nationalsozialistischen Staates, obliegen erhöhte Pflichten gegenüber Führer, Volk und Staat.«

Das Gesetz vom 1. Dezember 1933 war eine Grundmaßnahme, die dem Korps der Politischen Leiter der verbrecherischen Nazi-Partei volle politische Macht in Deutschland sicherte, da dieses Gesetz bestimmte, daß die Nazi-Partei den Staat verkörpert.

Um die Massen der Bevölkerung auf die Seite des faschistischen Regimes herüberzuziehen, haben die Hitleristen gleichzeitig mit der Spekulation auf nationale Gefühle und der unerhörten sozialen Demagogie eine schamloseste soziale Bestechung getrieben. Bedeutende Organisationen wurden geschaffen: »Hitler- Jugend«, »Arbeitsfront«, »Sturmabteilungen«, »SS« und dergleichen. Die zahlreichen Mitglieder dieser Organisationen wurden an das faschistische Regime nicht nur durch verschiedenartige Privilegien und materiellen Gewinn gekettet, sondern auch durch eine gegenseitige Bürgschaft für die gemeinsam begangenen Verbrechen. Und die erdrückende Terrormaschine mit ihrem weitverzweigten Netz des Denunziantentums, der Provokation, des Verrats, der Konzentrationslager, der Schnelljustiz, richtete sich gegen solche Elemente, die mit dem Regime unzufrieden waren.

Das System der Verknüpfung der führenden Stellungen in der Nazi-Partei mit den leitenden Stellungen in den terroristischen Organisationen – SS, SD, Gestapo – und der Regierung, trug bei zur Verwirklichung der Pläne der faschistischen Verschwörer, erleichterte die Verwirklichung der Pläne der Unterwerfung und der Kontrolle des deutschen Volkes und Staates.

Reichsführer-SS Himmler war gleichzeitig Reichsleiter der NSDAP.

Reichsaußenminister Ribbentrop war General der SS, und der Stellvertreter des Führers, Heß, war gleichzeitig Reichsminister. Der Präsident des Geheimen Kabinettsrats, Neurath, war General der SS, und einer der Gestapo-Führer, Best, war Kreisleiter der Nazi-Partei und so weiter.

Nachdem sie mit Hilfe ihrer Partei absolute Kontrolle über Deutschland erlangt hatten, gingen die hitlerischen Verschwörer an die Verwirklichung ihrer aggressiven Pläne. In seiner Reichstagsrede vom 20. Februar 1938 erklärte Hitler folgendes:

»Die größte Sicherung dieser nationalsozialistischen Revolution liegt führungsmäßig nach innen und außen in der restlosen Erfassung des Reiches und all seiner Einrichtungen und Institutionen durch die Nationalsozialistische Partei... Jede Institution dieses Reiches steht unter dem Befehl der obersten politischen Führung.«

In meiner Schlußrede habe ich bereits darauf hingewiesen, daß sich die NSDAP unter der Leitung Bormanns in eine führende polizeiliche Organisation verwandelte, die aufs engste mit der deutschen Geheimpolizei und SS zusammenarbeitete; daß der ganze Parteiapparat der NSDAP zur Verwirklichung der verbrecherischen Angriffspläne der Führer Hitler- Deutschlands hinzugezogen wurde; daß der Parteiapparat der NSDAP aktiv an den Maßnahmen der deutschen Militär- und Zivilbehörden zur unmenschlichen Ausbeutung der Kriegsgefangenen und der in die Sklaverei verschleppten Bevölkerung aus den von den Deutschen besetzten Gebieten teilnahm.

Was vor Gericht über die Goebbels'schen Lügen, den Himmlerschen Terror und Ribbentrops Hinterlist gesagt wurde, bezog sich auch auf die Nazi-Partei. Was die Anklagevertretung an Beweisen über die verbrecherische Tätigkeit Görings und Heß', Rosenbergs und Streichers, Schirachs und Franks, Speers und Sauckels vorlegte, waren gleichzeitig Beweise gegen die NSDAP, deren Führer die Angeklagten waren. Diese Beweise genügen vollkommen, um die ganze Nazi-Partei zu einer verbrecherischen Organisation zu erklären im Sinne des Artikels 9 des Statuts des Internationalen Militärgerichtshofs. Die Anklage wirft aber nicht die Frage der Verantwortlichkeit der gewöhnlichen, Parteimitglieder auf, von denen viele ihrer Gutgläubigkeit zum Opfer fielen.

Wir stellen die Frage, ob eine Organisation für verbrecherisch erklärt werden soll, in voller Übereinstimmung mit den Folgerungen der Anklageschrift jetzt nur mit Bezug auf das Korps der Politischen Leiter der Nazi-Partei, welches das Gehirn, das Rückgrat und die treibende Kraft dieser Partei darstellte, ohne welches Hitlers Verschwörer ihre verbrecherischen Pläne nicht hätten verwirklichen können.

Das Korps der Politischen Leiter war eine besonders ausgewählte Gruppe innerhalb der Nazi-Partei selbst. Die Politischen Leiter waren nach dem Führerprinzip organisiert, welches nicht nur Hitler gegenüber, sondern auch auf das ganze Korps der Politischen Leiter angewandt wurde.

»Grundlage der Organisation der Partei ist das Führerprinzip«

so hieß es in dem Organisationsstatut der NSDAP.

Jeder Politische Leiter wurde vereidigt. Das Parteistatut legte den Wortlaut des Eides folgendermaßen fest:

»Ich schwöre Adolf Hitler unverbrüchliche Treue. Ich schwöre ihm und den Führern, die er mir bestimmt, unbedingten Gehorsam.«

Alle Politischen Leiter wurden auf dem Wege einer besonderen Auslese ernannt. Ein Unterschied bestand bloß darin, daß die einen – Reichsleiter, Gauleiter und Kreisleiter – von Hitler persönlich ernannt wurden, während andere – Leiter der Verwaltung und der Abteilungen des Gaues und des Kreises, sowie Ortsgruppenleiter – vom Gauleiter eingesetzt wurden, und solche Politischen Leiter, wie die Zellenleiter und Blockleiter, wurden vom Kreisleiter ernannt.

Viele dieser Reichsleiter und Gauleiter sind hier vor Ihnen, meine Herren Richter, erschienen.

Auf der Anklagebank sitzen die Reichsleiter Rosenberg, Schirach, Frick. Zusammen mit den abwesenden Reichsleitern Bormann, Himmler, Ley und Goebbels bildeten sie die leitende Spitze der Hitler- Partei und -Regierung, und sie waren auch die Anführer der faschistischen Verschwörung.

Da sitzt der Gauleiter von Franken – Streicher. Der Sklavenhändler Sauckel – Gauleiter von Thüringen. Sie haben von der Henkertätigkeit Erich Kochs in der Ukraine gehört. Auch Erich Koch war ein Gauleiter.

Der Gauleiter von Untersteiermark, Uiberreither, leitete die Massenerschießungen und Massenhinrichtungen in Jugoslawien.

Ich will einige kurze Auszüge, die seine Tätigkeit betreffen, zitieren:

»20. Juni 1942. In der Berichtszeit wurden im Distrikt Celje 105 Personen erschossen und 362 inhaftiert... Der Chef der Sicherheitspolizei wird innerhalb zwei Wochen die Gefängnisse räumen lassen. Ein Teil der Gefangenen wird an andere Gefängnisse überwiesen, während die übrigen erschossen werden. Dadurch werden wir Raum schaffen für die nächste größere Unternehmung.«

»30. Juni 1942. In Celje wurden 67 Personen erschossen, darunter sechs Frauen...«

Gauleiter Wagner wütete im Elsaß, Gauleiter Terboven in Norwegen. Der Leiter der Auslandsorganisation der NSDAP, Gauleiter Bohle, legte und leitete ein weit verzweigtes Netz der Spionage, der Verwirrung und des Terrors im Ausland; er schuf die sogenannten »Fünften Kolonnen« in den verschiedenen Ländern.

Durch den Erlaß vom 1. September 1939 wurden 16 Gauleiter zu Kommissaren für die Reichsverteidigung ernannt. Später, im Zusammenhang mit der Notwendigkeit einer weiteren Mobilisierung der militärischen Reserven, erhalten die Gauleiter immer wichtigere Funktionen. Jeder Gau wird zu einem Reichsverteidigungsbezirk, und jeder Gauleiter wird zum Kommissar dieses Bezirks. Mit dem Erlaß des Ministerrats für die Reichsverteidigung vom 16. November 1942 wurde festgelegt, daß während des Krieges ganz besondere Funktionen den Gauleitern auch in Fragen der Unterbringung übertragen wurden; ihnen wurden wichtige Kriegsaufgaben übertragen; alle Zweige der deutschen Kriegswirtschaft wurden von ihnen koordiniert.

Am Ende des Krieges waren die Gauleiter Befehlshaber des Volkssturms in den entsprechenden Gebieten.

Erinnern wir uns daran, daß Speer, als er im März 1945 zu Hitlers Bevollmächtigten für die totale Zerstörung wirtschaftlicher Objekte, der Brücken, Eisenbahnlinien und Verkehrsmittel, ernannt wurde – ein Telegramm an die Gauleiter richtete, weil sie auf ihren Posten die Zerstörung wichtiger Objekte beaufsichtigten.

Und nach alledem versucht die Verteidigung die Hitler-Partei als einen Wohltätigkeitsverein und ihre Führer in der Rolle der Dames-Patronesses darzustellen. Sie versucht, den klaren Fall mit einem Haufen schriftlicher Aussagen zu verwirren, die in verschiedenen Gefängnissen und Lagern, in denen verhaftete Faschisten interniert sind, gesammelt wurden.

Der Verteidiger Dr. Servatius versteht, daß der Beweiswert dieser Menge schriftlicher Aussagen überaus zweifelhaft ist. Und er mobilisiert als letztes Argument, daß: »der Verteidiger keine Möglichkeit hatte, die Lager in Österreich zu besichtigen, da aus der Sowjetzone keine Anträge einlaufen«. Aber würden denn damit die Aussagen der Entlastungszeugen überzeugender? Würde denn dadurch, daß Dr. Servatius nicht in Österreich gewesen ist, etwas an der Tatsache geändert? Dr. Servatius wurde die unbegrenzte Möglichkeit gegeben, Lager in der sowjetischen Besatzungszone zu besuchen. Er war in einigen Lagern, er wußte, daß in den in der Sowjetzone herausgegebenen Zeitungen mehrmals über das Recht der Organisationsmitglieder geschrieben wurde, dem Gerichtshof schriftliche oder mündliche Aussagen zu machen. Das wurde auch durch Rundfunk bekanntgegeben. Dr. Servatius hat dies alles gewußt und nichtsdestoweniger versucht, den Gerichtshof zu verwirren. Er hat dies auch in anderen Fällen versucht.

Als Dr. Servatius auf die Verordnung Heß's vom 27. Juli 1935 hinwies und behauptete, daß das Korps der Politischen Leiter nicht bestand und daß die Bezeichnung »Politischer Leiter« nicht offiziell war – verschwieg er, daß es in derselben Verordnung Heß's heißt:

»Der Ausdruck ›Politische Leiter‹ bleibt selbstverständlich in Gebrauch.«

Dr. Servatius erhöht künstlich die Anzahl der Mitglieder der leitenden Gruppe der NSDAP auf 2100000 Personen, um demagogisch der Anklagebehörde vorzuwerfen, sie trachte danach, Millionen Deutscher zu bestrafen. Gleichzeitig behauptet er vollständig grundlos, daß von den Mitarbeitern des Gauleiterapparates 140000 ausschließlich »ehrenamtlich« tätig waren, um dadurch bedeutende Faschistenführer der Verantwortung vor dem Gesetz zu entziehen.

Der infame Faschist Kaufmann, den die Verteidigung in den Zeugenstand rief und der Mitglied der NSDAP seit 1921 und 20 Jahre lang Gauleiter war, soll nichts von den Verbrechen der Hitler-Verschwörung gewußt haben! Überhaupt war er ein »Sozialist« und nur um den Wohlstand der Bevölkerung besorgt.

Ein anderer Entlastungszeuge, Hans Wegscheider, der zwölf Jahre lang Ortsgruppenleiter war, geht in seinen Aussagen noch weiter. Es stellt sich heraus, daß er in diesen zwölf Jahren nicht einmal Zeit fand, »Mein Kampf« zu lesen.

In seinem Bestreben, seine Mithelfer reinzuwaschen, hat ein dritter Zeuge, Meyer-Wendeborn, Kreisleiter seit 1934, sogar Kaufmann übertroffen. Wenn der letztere auf die an ihn gerichtete Frage, ob die Blockleiter und Zellenleiter zu den Politischen Leitern gehörten, bejahend antwortete, so erwiderte Meyer-Wendeborn auf dieselbe Frage: »Nein.«

Man könnte noch an Hand anderer Beispiele die Unzulänglichkeit der Verteidigung beweisen, aber ich glaube, daß keine Notwendigkeit besteht, mit einer Verteidigung zu polemisieren, die Zeugen wie Kaufmann, Wendeborn und ihresgleichen zitiert.

Innerhalb der Politischen Leiter Hitler-Deutschlands – aus Dokument Nummer 12 der Verteidigung geht hervor, daß diese Bezeichnung durch einen Erlaß Heß's vom 27. Juli 1935 gesetzmäßig angenommen wurde – gab es im Rahmen der Partei-Hierarchie der NSDAP die besondere Gruppe der sogenannten »Hoheitsträger«-Machthaber, die eine besondere Stellung einnahmen. Zu der Gruppe der »Hoheitsträger« gehörten zusammen mit den Gauleitern und Kreisleitern auch Ortsgruppenleiter, Zellenleiter und Blockleiter.

Auf den besonderen Charakter der Politischen Leiter, die zu den »Hoheitsträgern« gehörten, wird im »Organisationsbuch der NSDAP« und auch in der besonderen Zeitschrift »Der Hoheitsträger« hingewiesen, welcher vor allen, außer einem besonderen Kreis der Politischen Leiter der NSDAP, der SA und SS geheimgehalten wurde.

Der Inhalt der Zeitschrift »Der Hoheitsträger« zeigt, daß die Politischen Leiter der Nazi-Partei den Maßnahmen und Lehren ständige Aufmerksamkeit schenkten, die im Laufe der Verwirklichung der faschistischen Verschwörung angewandt wurden. In den Jahren 1937/1938 behandelte diese Zeitschrift die folgende Reihe von Fragen:

Verleumderische antisemitische Artikel, darunter auch aus der Feder des nicht ganz unbekannten Ley; Ausfälle gegen die Kirche; Begründungen für die Notwendigkeit der Erweiterung des Lebensraums und Beschaffung von Kolonien; Motorisierung des Heeres; Benutzung der Nazi-Zellen und Blocks zur Erreichung eines für die Hitleristen günstigen Wahlresultates bei Volkswahlen; Führerkult, Kassentheorie und so weiter.

Darüber wurde in jeder Nummer geschrieben. Und danach versucht die Verteidigung zu behaupten, daß das Korps der Politischen Leiter der Nazi-Partei nichts über die Pläne der Hitler-Verschwörer wußte!

Die Nazis versuchen, sich heute mit allen Mitteln von der sie kompromittierenden Verbindung mit der Gestapo und dem SD loszusagen; aber diese Verbindung ist unbestreitbar.

Schon am 26. Juni 1935 erließ Bormann eine Weisung, worin es hieß:

»Um eine engere Fühlungnahme zwischen allen Dienststellen der Partei und ihrer Gliederungen mit den Leitern der Geheimen Staatspolizei herbeizuführen, bittet der Stellvertreter des Führers, künftig die Leiter der Gestapo zu allen größeren offiziellen Veranstaltungen der Partei und ihrer Gliederungen einzuladen.«

In einem anderen Erlaß vom 14. Februar 1935, von demselben Bormann unterschrieben, heißt es:

»Da die Arbeit des SD in erster Linie auch der Arbeit der Partei zugute kommt, darf er in seinem Ausbau nicht durch unsachliche Angriffe bei Versagen einzelner gestört werden, muß vielmehr mit allen Kräften gefördert werden.«

Der Gerichtshof hat zahlreiche Beweise für die schwerwiegendsten Verbrechen zu seiner Verfügung, an denen das ganze Korps der Politischen Leiter der Nazi-Partei mitgewirkt hat; von den Reichsleitern bis zu den Blockleitern. Ich erinnere nur an einige von ihnen.

Indem er die Pläne der Hitler-Verschwörer zur Versklavung der Völker Jugoslawiens ausführte, zerstörte der Kreisleiter des Bezirks Pettau mit Hilfe der Ortsgruppenleiter und Blockleiter alle Aufschriften, Tafeln, Plakate und so weiter, die in slowenischer Sprache abgefaßt waren. Dieser faschistische Herrscher ist so weit gegangen, daß er die Gruppenleiter beauftragte,

»... dafür zu sorgen, daß auch auf allen Bildstöcken, Kapellen und Kirchen die slowenischen Aufschriften umgehend restlos entfernt werden.«

In seinem Brief vom 13. September 1944, den er an alle Reichsleiter, Gauleiter und Kreisleiter adressierte, teilte Bormann die Abmachung mit dem OKW mit, die feststellte:

»Mitwirkung der Partei beim Einsatz der Kriegsgefangenen ist unerläßlich.«

Darin heißt es weiter:

»Deshalb wurden die im Kriegsgefangenenwesen eingesetzten Offiziere angewiesen, engstens mit den Hoheitsträgern zusammenzuarbeiten. Die Kommandanten der Kriegsgefangenenlager haben ab sofort Verbindungsoffiziere zu den Kreisleitern abzustellen.«

Welcher Art die Ergebnisse dieser Zusammenarbeit waren und wie die Kriegsgefangenen in Deutschland ausgebeutet wurden, ist allgemein bekannt.

Görings Erlaß vom 27. März 1942 sieht in Verbindung mit der Ernennung Sauckels zum Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz vor, daß Sauckel das Recht habe,

»Weisungen... auch den Parteiorganen, ihren Gliederungen und den angeschlossenen Verbänden zu erteilen.«

Und Sauckel hat dieses Recht voll ausgenutzt. Wie Sauckel in seinem »Programm zum Geburtstag des Führers« schrieb, hat er

»... mit Genehmigung des Führers und des Herrn Reichsmarschalls und ebenso des Chefs der Parteikanzlei«

alle Gauleiter des Deutschen Reiches zu seinen Bevollmächtigten ernannt. Die Aufgaben der Gauleiter wurden in Sauckels Verfügung folgendermaßen beschrieben:

»Herbeiführung einer reibungslosen Zusammenarbeit aller mit Fragen des Arbeitseinsatzes befaßten Dienststellen des Staates, der Partei, der Wehrmacht und der Wirtschaft und damit Ausgleich zwischen den verschiedenartigen Auffassungen und Forderungen zur Erzielung des höchsten Nutzeffektes auf dem Gebiete des Arbeitseinsatzes.«

Am 25. September 1944 erließ Himmler eine streng geheime Verordnung zur »Sicherung der Disziplin und Leistung der ausländischen Arbeiter«. In dieser Verordnung sagt Himmler:

»... Betriebsführer und Betriebsobmänner sind verpflichtet, die stimmungsmäßige Entwicklung unter den ausländischen Arbeitern besonders sorgfältig zu beobachten. Zu diesem Zweck ist eine enge Zusammenarbeit der Dienststellen der Partei, Staat und Wirtschaft mit denen der Gestapo unerläßlich.«

Weiter wurde in dieser Verordnung betont, daß alle in den Betrieben tätigen Männer und Frauen der NSDAP gemäß den Bestimmungen der Kreisleiter und durch die Ortsgruppenleiter verpflichtet werden,

»auch ihrerseits die Ausländer auf das sorgfältigste zu beobachten und die geringsten Wahrnehmungen unverzüglich dem Betriebsobmann zur Weitergabe an den Abwehrbeauftragten, bzw. sofern ein solcher nicht eingesetzt ist, an die zuständige Polizeidienststelle, unter gleichzeitiger Unterrichtung von Betriebsführer und Ortsgruppenleiter, zu melden.«

Dort, wo es keinen Abwehrbeauftragten gab, wurden die Mitteilungen den Ortsgruppenleitern übergeben.

Himmlers Verordnung sah vor:

»Im Interesse einer einheitlichen politischen Ausrichtung werden die Abwehrbeauftragten im Einvernehmen mit dem Leiter der Gestapo durch die Kreisleiter nach Bedarf zusammengerufen und über die politische Lage unterrichtet.«

Das ist es, woraus die »politische Leitung« der Kreisleiter und Ortsgruppenleiter bestand. Auch die Blockleiter übten diese Spionage-Funktionen aus. Darüber spricht ganz offen »Das Organisationsbuch der NSDAP«.

»Die Verbreiter schädigender Gerüchte hat er feststellen zu lassen und sie an die Ortsgruppe zu melden, damit die zuständige staatliche Dienststelle benachrichtigt werden kann.«

Der Blockleiter war der

»Prediger und Verfechter der nationalsozialistischen Weltanschauung gegenüber den seiner politischen Betreuung anvertrauten Volks- und Parteigenossen«.

Er warb Mitglieder für die Hitler-Jugend, die SA, die SS und für die Deutsche Arbeitsfront. Er sorgte für den Besuch der nationalsozialistischen Versammlungen, die Teilnahme an den Demonstrationen und so weiter.

»Der Blockleiter treibt nationalsozialistische Propaganda von Mund zu Mund.«

Welcher Art die nazistische Propaganda war, ist allen gut bekannt:

»Wir wollen wieder Waffen!« schrieb Hitler. »Dann muß allerdings, von der Fibel des Kindes angefangen bis zur letzten Zeitung, jedes Theater und jedes Kino, jede Plakatsäule und jede freie Bretterwand in den Dienst dieser einzigen großen Mission gestellt werden.«

Nicht jeder Deutsche kannte diese Worte Hitlers, aber jeder Deutsche kannte den Blockleiter seines Bezirkes, und dieser Blockleiter verbreitete ununterbrochen die faschistische Seuche, vergiftete das Bewußtsein der Menschen und förderte somit die Ausführung der allgemeinen Pläne der Hitler-Verschwörer.

Die Blockleiter waren kleine Führer, aber auch sie erfreuten sich einer recht realen Macht über die in ihrem Bezirk lebenden Bürger.

Gewiß, die Blockleiter arbeiteten die Pläne zum Angriffskrieg nicht aus, aber sie haben sehr viel dazu beigetragen, daß diese Pläne verwirklicht wurden.

Sie bildeten ebenfalls einen sehr wichtigen Teil der Nazi-Partei, die das Herz der faschistischen Verschwörung war.

Deswegen bestehen wir darauf, daß das Korps der Politischen Leiter der Nazi-Partei als eine verbrecherische Organisation erklärt wird: Alle großen und kleinen Führer, Reichsleiter und Gauleiter, Kreisleiter und Ortsgruppenleiter, Zellenleiter und Blockleiter, kurz, das ganze Korps der Politischen Leiter des ungeheuerlichen Mechanismus der faschistischen Diktatur.