HOME

<< Zurück
|
Vorwärts >>

[Das Gericht vertagt sich bis

23. September 1946, 10.00 Uhr.]

Zweihundertsiebzehnter Tag.

Montag, 30. September 1946.

Vormittagssitzung.

VORSITZENDER: Das Urteil1 des Internationalen Militärgerichtshofs wird jetzt verlesen werden. Ich verzichte auf die Verlesung des Titels und der formellen Teile.

Urteil

Am 8. August 1945 haben die Regierung des Vereinigten Königreiches von Großbritannien und Nordirland, die Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika, die Provisorische Regierung der Französischen Republik und die Regierung der Union der Sozialistischen Sowjet-Republiken ein Abkommen getroffen, wonach dieser Gerichtshof zwecks Aburteilung von solchen Kriegsverbrechern gebildet wurde, für deren Verbrechen ein geographisch bestimmbarer Tatort nicht vorhanden ist. Gemäß Artikel 5 haben die nachfolgend angeführten Regierungen der Vereinten Nationen ihren Beitritt zu dem Abkommen erklärt:

Griechenland, Dänemark, Jugoslawien, die Niederlande, die Tschechoslowakei, Polen, Belgien, Abessinien, Australien, Honduras, Norwegen, Panama, Luxemburg, Haiti, Neuseeland, Indien, Venezuela, Uruguay und Paraguay.

Durch das dem Abkommen angefügte Statut sind die Zusammensetzung, die Zuständigkeit und das Verfahren des Gerichtshofs geregelt worden.

Dem Gerichtshof ist die Vollmacht verliehen worden, alle Personen abzuurteilen, die Verbrechen gegen den Frieden, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit nach den im Statut festgelegten Begriffsbestimmungen begangen haben.

Im Statut ist ebenfalls vorgesehen, daß der Gerichtshof im Prozeß gegen ein Mitglied einer Gruppe oder Organisation (in Verbindung mit irgendeiner Handlung, deretwegen der Angeklagte verurteilt wird) erklären kann, daß die Gruppe oder Organisation, deren Mitglied der Angeklagte war, eine verbrecherische Organisation war.

In Berlin wurde am 18. Oktober 1945 gemäß Artikel 14 des Statuts eine Anklage gegen die vorstehend genannten Angeklagten, die durch einen Ausschuß der Hauptanklagevertreter der Signatarmächte als Hauptkriegsverbrecher bezeichnet worden waren, eingereicht.

Eine deutsche Ausfertigung der Anklage wurde jedem in Haft befindlichen Angeklagten wenigstens 30 Tage vor Prozeßbeginn zugestellt.

Diese Anklage legt den Angeklagten Verbrechen gegen den Frieden zur Last, die durch Planen, Vorbereitung, Einleitung oder Durchführung von Angriffskriegen, die zugleich auch Kriege unter Verletzung internationaler Verträge, Vereinbarungen und Zusicherungen waren, begangen wurden; ferner Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Den Angeklagten wird auch Teilnahme an der Ausarbeitung oder Ausführung eines gemeinsamen Planes oder einer Verschwörung zur Begehung aller dieser Verbrechen zur Last gelegt. Der Gerichtshof ist ferner von der Anklagebehörde ersucht worden, alle die erwähnten Gruppen oder Organisationen im Sinne des Statuts für verbrecherisch zu erklären.

Der Angeklagte Robert Ley beging am 25. Oktober 1945 im Gefängnis Selbstmord. Am 15. November 1945 beschloß der Gerichtshof, den Prozeß gegen den Angeklagten Gustav Krupp von Bohlen und Halbach wegen dessen körperlichen und geistigen Zustandes nicht zu führen, aber die gegen ihn in der Anklageschrift erhobenen Vorwürfe für einen später abzuhaltenden Prozeß zurückzustellen, wenn dies der körperliche und geistige Zustand des Angeklagten gestatten sollte. Am 17. November 1945 beschloß der Gerichtshof, den Prozeß gegen den Angeklagten Bormann gemäß den Bestimmungen des Artikels 12 des Statuts in dessen Abwesenheit zu führen. Nach Verhandlung sowie nach Berücksichtigung ausführlicher ärztlicher Gutachten und einer vom Angeklagten selbst abgegebenen Erklärung entschied der Gerichtshof am 1. Dezember 1945 dahin, daß für eine Verschiebung des Prozesses gegen den Angeklagten Heß im Hinblick auf seinen geistigen Zustand kein Grund bestehe. Eine gleichartige Entscheidung wurde bezüglich des Angeklagten Streicher getroffen.

Gemäß Artikel 16 und 23 des Statuts wurden die Verteidiger entweder von den in Haft gehaltenen Angeklagten selbst gewählt oder auf deren Verlangen vom Gerichtshof ernannt. In Abwesenheit des Angeklagten Bormann ernannte der Gerichtshof für ihn einen Verteidiger und bestimmte auch Verteidiger zur Vertretung der erwähnten Gruppen oder Organisationen.

Der Prozeß wurde in vier Sprachen geführt: englisch, russisch, französisch und deutsch; er begann am 20. November 1945, und alle Angeklagten, mit Ausnahme Bormanns, erklärten sich »Nicht schuldig«.

Das Beweisverfahren und die Reden der Verteidigung und der Anklagevertretung waren am 31. August 1946 abgeschlossen.

Der Gerichtshof hat 403 öffentliche Sitzungen abgehalten. 33 von der Anklagebehörde benannte Zeugen haben mündlich gegen die einzelnen Angeklagten ausgesagt, und 61 Zeugen, zu denen noch 19 der Angeklagten hinzukommen, sagten für die Verteidigung aus.

Weitere 143 Zeugen machten ihre Aussagen für die Verteidigung in Form schriftlicher Antworten auf Fragebogen.

Der Gerichtshof ernannte beauftragte Richter zur Beweisaufnahme über die Organisationen, und 101 von der Verteidigung beigebrachte Zeugen wurden von den beauftragten Richtern vernommen, und 1809 Affidavits wurden von anderen Zeugen vorgelegt. Ferner wurden 6 Berichte vorgelegt, in denen der Inhalt einer großen Anzahl weiterer Affidavits zusammengefaßt war.

38000 Affidavits, versehen mit 155000 Unterschriften, wurden für die Politischen Leiter vorgelegt, 136213 für die SS, 10000 für die SA, 7000 für den SD, 3000 für den Generalstab und das OKW und 2000 für die Gestapo.

Vor dem Gerichtshof selbst wurden 22 Zeugen für die Organisationen verhört. Die als Beweismaterial zwecks Verfolgung der einzelnen Angeklagten und der Organisationen eingereichten Dokumente belaufen sich auf mehrere Tausend. Es wurde ein vollständiges stenographisches Protokoll von allem, was im Gericht gesprochen worden ist, aufgenommen; ferner wurde eine elektrische Tonaufnahme des ganzen Verfahrens durchgeführt.

Kopien aller im Beweisverfahren seitens der Anklagebehörde vorgelegten Dokumente sind der Verteidigung in deutscher Sprache überlassen worden. Die seitens der Angeklagten für die Heranschaffung von Zeugen und Dokumenten eingebrachten Gesuche haben in gewissen Fällen, infolge der unsicheren Lage im Lande, schwierige Aufgaben gestellt. Es war auch notwendig, die Anzahl der aufzurufenden Zeugen im Sinne des Artikels 18 (c) des Statuts zu beschränken, um einen schnelleren Ablauf des Verhörs zu erzielen. Nach Prüfung hat der Gerichtshof allen jenen Gesuchen stattgegeben, von denen er der Ansicht war, daß sie für die Verteidigung eines Angeklagten oder einer erwähnten Gruppe oder Organisation von Bedeutung waren und nicht eine überflüssige Materialanhäufung darstellten. Zur Heranschaffung der genehmigten Zeugen und Dokumente wurden von dem beim Gerichtshof bestellten Büro des Generalsekretärs die entsprechenden Vorkehrungen getroffen.

Ein großer Teil der dem Gerichtshof seitens der Anklagebehörden vorgelegten Beweisstücke bestand in Dokumenten, die von den alliierten Armeen in deutschen Armeehauptquartieren, Regierungsgebäuden und sonstwo aufgefunden worden waren.

Einige dieser Dokumente wurden in Salzbergwerken gefunden, andere in der Erde vergraben, hinter blinden Mauern versteckt oder an anderen Orten, die, wie man glaubte, vor Entdeckung geschützt waren. So ruht also die Anklage gegen die Beschuldigten in weitem Maße auf von ihnen selbst stammenden Dokumenten, deren Echtheit außer in ein oder zwei Fällen nicht angefochten worden ist.