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[Das Gericht vertagt sich bis 14.00 Uhr.]

Nachmittagssitzung.

VORSITZENDER: Der Gerichtshof erhielt heute von Dr. Seidl einen weiteren Antrag für eine weitere Untersuchung des Gesundheitszustandes des Angeklagten Heß. Wie der Gerichtshof bereits am 20. August bekanntgab, hat der Gerichtshof den Bericht des Hauptmanns G. M. Gilbert über den Angeklagten Heß, datiert vom 17. August, erhalten und geprüft. Der Gerichtshof kam zu dem Ergebnis, daß ein weiterer Bericht unnötig sei. Der Gerichtshof bleibt bei dieser Meinung, wird aber selbstverständlich alle in Dr. Seidls Antrag enthaltenen Dinge, einschließlich der ärztlichen Berichte, und die von dem Angeklagten Heß heute abgegebene Erklärung in Erwägung ziehen. Ich rufe jetzt den Angeklagten...

DR. OTTO NELTE, VERTEIDIGER DES ANGEKLAGTEN KEITEL: Herr Präsident! Es ist uns mitgeteilt worden, daß der Gerichtshof diesen Zeitpunkt für geeignet hält, die noch nicht formell eingeführten Beweisstücke vorzulegen. In der Sitzung vom 22. August 1946...

VORSITZENDER: Sehr gut, ja. Sie meinen die Fragebogen, die jetzt eingetroffen sind?

DR. NELTE: Oder Affidavits, die genehmigt sind. In der Sitzung des Tribunals vom 22. August wurde genehmigt, daß ich zwei Affidavits des Angeklagten Keitel und des Generals Reinecke vorzulegen berechtigt sei, sobald die Übersetzungen vorliegen. Die Übersetzungen sind inzwischen erfolgt, und nach Rücksprache und im Einverständnis mit der Anklagebehörde, die keine Einwendungen erhebt, und durch Sir David Maxwell-Fyfe in der Sitzung vom 22. August ausdrücklich ihr Einverständnis erklärt hat, werde ich zwei Dokumente, K-26 und K.-27, überreichen, ohne sie zu verlesen, und bitte, diese beiden Dokumente als Beweisstücke entgegennehmen zu wollen.

VORSITZENDER: Gut, wir werden sie in Erwägung ziehen.

DR. SERVATIUS: Herr Präsident! Ich habe ein Dokument zu übergeben, das genehmigt ist für die Politischen Leiter. Es ist eine eidesstattliche Versicherung von Sauckel, als PL-69.

Dann habe ich noch einen Auszug aus dem Buch: Partei-Statistik, auf das Bezug genommen ist in der Berechnung, die ich über die Anzahl der Mitglieder dem Gericht übergeben habe in einem Schreiben vom 17. August. Ich habe es mit der Anklagebehörde, der Britischen Anklagevertretung, besprochen, und ich bitte, auch diese Seite aus dem Buch übergeben zu dürfen.

DR. KUBUSCHOK: Im Falle Papen habe ich die Beantwortung des an den Holländischen Gesandten Visser gesandten Fragebogens erhalten. Es handelt sich um die Friedensbemühungen Papens im Jahre 1939, die der Zeuge bestätigt. Ich überreiche die Antwort als Exhibit Nummer 107.

VORSITZENDER: Ja, Dr. Kubuschok.

DR. GUSTAV STEINBAUER, VERTEIDIGER DES ANGEKLAGTEN SEYSS-INQUART: Herr Präsident! Ich lege unter Nummer 115 die beeideten und vom Gericht zugelassenen Fragen und Antworten sowie das Kreuzverhör des Hafenbauingenieurs Dr. Arved Bolle, Hamburg, in deutscher Sprache und in beglaubigter englischer Übersetzung vor und zitiere im Hinblick auf den Vorwurf gegen Seyß-Inquart, Urheber der Hungerkatastrophe im September 1944 zu sein, nur einen kurzen Satz, Seite 3 im Protokoll:

»Praktisch ging also mit Einsetzen des Streiks die gesamte holländische Binnenschiffahrt in militärische Hände über und war somit dem Einfluß der zivilen Verwaltung und des Reichsverkehrsministeriums entzogen.«

Weiter lege ich das gestern bewilligte Affidavit des Angeklagten Seyß-Inquart unter Nummer 116 vor und möchte bitten, den gesamten Inhalt als Beweismittel entgegenzunehmen.

Ich habe nur richtigzustellen, daß die Dokumente 3640-PS und 3645-PS, deren Vorlage Seyß-Inquart laut Affidavit nicht erreichen konnte, mir nach meiner Rückkehr von der Französischen Delegation in gewohnt liebenswürdiger Weise sofort in Photokopie zur Verfügung gestellt wurden und daß die Französische Delegation der Anklagebehörde bereit ist, diese beiden Urkunden auf Wunsch des Gerichts im Original vorzulegen.

DR. HANS FLÄCHSNER, VERTEIDIGER DES ANGEKLAGTEN SPEER: Herr Präsident! Von den mir im Frühjahr dieses Jahres genehmigten Fragebogen sind jetzt zum Schluß noch drei Antworten eingegangen, die ich unter Exhibit Speer-47, 48 und 49 einreichen möchte. Es handelt sich um die Fragebogen des Zeugen von Poser, des Zeugen Malzacher und des Zeugen Baumbach.

VORSITZENDER: Angeklagter Fritz Sauckel!

FRITZ SAUCKEL: Meine Herren Richter! Von den im Prozeß offenbar gewordenen Untaten bin ich in innerster Seele erschüttert. Ich beuge mich in tiefer Demut und Ehrfurcht vor den Opfern und Gefallenen aller Völker und vor dem Unglück und dem Leid meines eigenen Volkes, an dem allein ich mein Schicksal zu messen habe.

Ich stamme aus Lebensverhältnissen völlig anderer Art als meine mitangeklagten Kameraden. In Wesen und Gesinnung blieb ich ein Seemann und Arbeiter. Nach dem ersten Weltkrieg wurde mein Lebensweg bestimmt durch das eigene Erleben der Sorgen und Nöte der um ihr Dasein ringenden Massen meines Volkes. Innerliche Konflikte zwangen mich zur Politik. Ich konnte nichts anderes als Sozialist sein. Ich konnte mich aber nicht zum kommunistischen Manifest bekennen. Ich war nie antireligiös oder gar gottlos, sondern gerade das Gegenteil. Ich selbst habe mit mir hart gerungen, ehe ich zur Politik ging. So bekannte ich mich endlich zur sozialistischen Liebe und Gerechtigkeit denen gegenüber, deren einziger Reichtum ihre Arbeitskraft darstellt, und zugleich zum Schicksal meiner Nation. Darin sah ich die einzige mögliche Verbindung zwischen sozialistischer Gesinnung und wahrer Vaterlandsliebe. Dieser Glaube allein bestimmte mein Leben und Handeln. Ich sah hier keinen Gegensatz zu den Gesetzen der Humanität. In Führertum und Gefolgschaftstreue erkannte ich keinerlei willkürliche Diktatur oder Tyrannis. Mein Irrtum war vielleicht der Überschwang meines Gefühls und meines Vertrauens, sowie meine große Verehrung für Hitler. Ihn kannte ich nur als den Anwalt der Lebensrechte des deutschen Volkes und sah in ihm den gütigen Menschen gegen Arbeiter, Frauen und Kinder und den Förderer der Lebensinteressen Deutschlands. Den Hitler dieses Prozesses konnte ich nicht erkennen. Vielleicht war ein weiterer Mangel meine Vereinsamung und meine Verbohrung in meine Vorstellungswelt und meine Aufgaben. Gesellschaftlichen Umgang mit Inhabern hoher Reichsstellen hatte ich fast nie. Meine knappe Freizeit gehörte meiner Familie. Ich war und bin glücklich, daß meine Frau die Tochter eines Arbeiters ist, der selbst Sozialdemokrat war und blieb.

Ich versichere feierlich in diesem meinem letzten Wort: Alle außenpolitischen Ereignisse und der Beginn aller Kriegshandlungen überraschten mich vollkommen.

Unter keinen Umständen hätte ich mitgewirkt als deutscher Arbeiter und für deutsche Arbeiter und mitgeplant, den Wahnsinn der Entfesselung eines Angriffskrieges heraufzubeschwören.

Ich bin nur Nationalsozialist geworden, weil ich Klassenkampf, Enteignung und Bürgerkrieg verurteilte und an den absoluten Willen zum Frieden, zur Verständigung mit der Mitwelt und an die Aufbauarbeit Hitlers felsenfest glaubte. Ich habe in meinem eigenen Aufgabengebiet immer alles darangesetzt, weil ich Arbeiter war, Ausschreitungen, Willkür und Roheit jeder Art zu verhindern. Ich war naiv genug, gegen Himmler und Goebbels mein Manifest und viele andere Anordnungen für den Arbeitseinsatz, die die humane und korrekte Behandlung der fremden Arbeiter allen Stellen zwingend vorschrieben, durchsetzen zu wollen.

Ich hätte nie vermocht, widerspruchslos das Wissen furchtbarster Geheimnisse und Verbrechen zu ertragen, noch mit einem derartigen Bewußtsein meinem Volk oder meinen zehn unschuldigen Kindern unter die Augen zu treten. Ich habe keinen Anteil an irgendeiner Verschwörung gegen den Frieden oder die Menschlichkeit, noch habe ich Morde und Mißhandlungen geduldet.

Im Krieg selbst mußte ich meine Pflicht erfüllen. Die Aufgabe des Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz erhielt ich in schwerster Krisenzeit 1942, für mich völlig überraschend. Ich war gebunden an die schon bestehenden Arbeitsgesetze, die Aufträge des Führers und die Verordnungen des Ministerrats für die Reichsverteidigung. Ich weiß nicht, warum ich gerade den Auftrag bekam. In meinem eigenen Gau hatte ich mir besonders das Vertrauen der Arbeiter, Bauern und Handwerker erworben und war schon vor 1933, also vor Hitlers Machtergreifung, mit großer Mehrheit durch freie parlamentarische Wahlen zum Chef der dortigen Landesregierung gewählt worden.

Ich glaube, daß die Vorsehung mich mit einer guten Anlage für Organisation wie für praktische Arbeit, sowie Begeisterungsfähigkeit ausgestattet hat. Vielleicht erhielt ich deshalb diesen Auftrag. Er bürdete mir eine schwere Last auf; der Berliner Boden war mir völlig fremd.

Ich habe, weil ich ein Arbeiter bin, nie daran gedacht, fremde Menschen zu Sklaven zu machen. Meine Forderung, sparsam mit Menschen umzugehen, bedeutete keinesfalls deren unmenschliche Ausbeutung, sondern deren ökonomischen, vernünftigen, richtigen Einsatz bei der Arbeit. Ich habe nie beabsichtigt, gegen Völker-, Kriegs- und Menschenrecht Verbrechen zu begehen. Nicht einen Augenblick zweifelte ich an der Rechtmäßigkeit und Zulässigkeit meiner Aufgabe, denn ich hielt einen Völkerrechtsbruch durch die Deutsche Regierung für ausgeschlossen. Wenn mir vorgehalten wird, trotzdem durften die deutschen Arbeitsgesetze in den besetzten Gebieten nicht angewandt werden, dann bitte ich, erwidern zu dürfen, daß selbst hochgestellte Franzosen, Belgier, Polen und auch Russen mir erklärt haben, daß sie Deutschland durch Arbeiter deshalb unterstützen, um Europa gegen ein drohendes kommunistisches System zu schützen und um im Krieg Arbeitslosigkeit und Massenelend verhüten zu helfen. Ich habe aber nicht nur mit größtem Eifer mich für die Erfüllung meiner Aufgabe eingesetzt, sondern ich habe zugleich mit meiner ganzen Kraft angestrebt, den Tiefstand in der Organisation und in der Versorgung der ausländischen Arbeiter, welcher durch die Winterkatastrophe 1941/1942 eingetreten war, sofort bei Antritt meines Amtes mit allen Mitteln zu beseitigen und alle Unzulänglichkeiten und Mißstände abzustellen.

Ich glaube auch, wie meine Dokumente beweisen, daß bei einer korrekten Behandlung, wie ich sie verlangte, die ausländischen Arbeiter innerlich für unsere deutsche Aufgabe gewonnen werden konnten. Vielleicht war ich in den Augen von Himmler und Goebbels ein hoffnungsloser Utopist – sie waren meine Gegner. Ich habe aber ehrlich darum gekämpft, daß alle fremden Arbeiter die gleichen Rechte und Bedingungen erhalten sollten wie die deutschen. Auch dafür zeugen die zahlreichen Dokumente meines Verteidigers, und alle Aussagen der Zeugen vor diesem Gericht haben es bestätigt. Wenn mein Werk unvollkommen gewesen ist, kann es niemand mehr und schmerzlicher bedauern als ich selbst. Leider lag es nur zum Teil in meiner Hand, wie mein Anwalt bewiesen hat. Die Beweisaufnahme hat gezeigt, daß in den besetzten Gebieten Dinge geschehen sind, worauf ich und der zivile geregelte Arbeitseinsatz ohne jeden Einfluß waren.

Bei mir aber liefen die Beschwerden der deutschen wirtschaftlichen Bedarfsträger und Dienststellen ein, es seien für die Führung dieses Krieges stets zu wenig Arbeitskräfte von mir gestellt; ich sei schuld, wenn in der Kriegswirtschaft und Ernährungswirtschaft gefährliche Krisen drohten. Diese schweren Verantwortungen und diese Sorge beherrschten mich so sehr, daß ich für andere Vorgänge gar keine Zeit fand und hatte. Ich bedauere dies.

Für meine Anordnungen und für meine Beamten übernehme ich die Verantwortung. Die Protokolle der Zentralen Planung habe ich vor diesem Prozeß nie zu Gesicht bekommen, sonst hätte ich falsche oder mißverständliche Stellen richtiggestellt, wie zum Beispiel jene über das unmögliche Verhältnis von nur 200000 freiwilligen Arbeitern. Das gleiche gilt auch für eine Anzahl anderer Äußerungen, die dritte Personen fälschlich von mir vermerkten und ohne daß diese Äußerungen von mir Wirklichkeit wurden. Weil ich Arbeiter bin und auf fremden Schiffen selbst Dienst geleistet habe, hege ich dankbare Gefühle für die fremden Arbeiter, die in Deutschland waren, denn sie halfen uns sehr und sie arbeiteten gut. Dies ist vielleicht ein Beweis dafür, daß sie im großen und ganzen korrekt und menschlich behandelt wurden. Ich selbst habe sie oft besucht. Weil ich Arbeiter war, habe ich 1943 und 1944 die Weihnachtsfeiern unter fremden Arbeitern verbracht, um ihnen meine Einstellung zu ihnen zu zeigen. Meine eigenen Kinder arbeiteten mitten unter fremden Arbeitern unter gleichen Arbeitsbedingungen. Konnten ich oder deutsche Arbeiter und das deutsche Volk dies für Sklaverei ansehen? Diese Notwendigkeit war unsere Kriegsnot. Das deutsche Volk und der deutsche Arbeiter hätte nie sklavenähnliche Zustände bei sich geduldet.

Mein Verteidiger hat in äußerster Sachlichkeit meinen Fall in voller Wahrheit dargelegt. Ich danke ihm aus tiefstem Herzen hierfür. Er war streng und korrekt bei der Untersuchung meines Falles von seiner Seite aus.

Mein Wollen und mein Gewissen ist rein; Unzulänglichkeiten und die Nöte dieses Krieges, die Furchtbarkeit seiner Verhältnisse gehen mir zutiefst zu Herzen. Ich selbst bin bereit, für jedes Schicksal, das die Vorsehung mir auferlegt, einzutreten, wie es mein gefallener Sohn tat. Die Gauleiter, die ich zu Bevollmächtigten einsetzte für den Arbeitseinsatz, hatten nur die alleinige Aufgabe, für die korrekte Versorgung und Behandlung der deutschen und der ausländischen Arbeiter zu sorgen.

Gott schütze mein über alles geliebtes Volk, der Herrgott segne wieder die Arbeit deutscher Arbeiter, denen mein ganzes Leben und Streben gegolten hat, und er schenke der Welt den Frieden.

VORSITZENDER: Angeklagter Alfred Jodl!

ALFRED JODL: Herr Präsident, meine Herren Richter! Es ist mein unerschütterlicher Glaube, daß eine spätere Geschichtsschreibung zu einem objektiven und gerechten Urteil über die hohen militärischen Führer und ihre Gehilfen kommen wird. Denn sie und mit ihnen die ganze deutsche Wehrmacht standen vor einer unlösbaren Aufgabe, nämlich einen Krieg zu führen, den sie nicht gewollt, unter einem Oberbefehlshaber, dessen Vertrauen sie nicht besaßen und dem sie selbst nur beschränkt vertrauten, mit Methoden, die oft ihren Führungsgrundsätzen und ihren überkommenen erprobten Anschauungen widersprachen, mit Truppen und Polizeikräften, die nicht ihrer vollen Befehlsgewalt unterstanden und mit einem Nachrichtendienst, der teilweise für den Gegner arbeitete. Und dies alles in der vollen und klaren Erkenntnis, daß dieser Krieg entschied über Sein oder Nichtsein des geliebten Vaterlandes.

Sie haben nicht der Hölle gedient und nicht einem Verbrecher, sondern ihrem Volke und ihrem Vaterlande.

Was mich betrifft, so glaube ich, kein Mensch kann besser handeln, als wenn er von den Zielen, die ihm erreichbar erscheinen, das höchste erstrebt. Das und nichts anderes war die Richtschnur meines Handelns seit je, und deshalb werde ich, welches Urteil Sie, meine Herren Richter, auch über mich fällen, diesen Gerichtssaal ebenso erhobenen Hauptes verlassen, wie ich ihn vor vielen Monaten betreten habe. Wer mich aber einen Verräter nennt an der ehrenvollen Tradition der deutschen Armee, oder wer behauptet, daß ich aus egoistischen, persönlichen Gründen auf meinem Posten geblieben wäre, den nenne ich einen Verräter an der Wahrheit.

In einem Krieg wie diesem, in dem Hunderttausende von Kindern und Frauen durch Bombenteppiche vernichtet oder durch Tiefflieger getötet wurden, in dem Partisanen jedes, aber auch jedes Gewaltmittel anwandten, das ihnen zweckmäßig erschien, sind harte Maßnahmen, auch wenn sie völkerrechtlich bedenklich erscheinen sollten, kein Verbrechen vor Moral und Gewissen. Denn ich glaube und bekenne: die Pflicht gegen Volk und Vaterland steht über jeder anderen. Diese zu erfüllen, war mir Ehre und höchstes Gesetz.

Möge diese Pflicht in einer glücklicheren Zukunft ersetzt werden durch eine noch höhere: durch die Pflicht gegen die Menschheit!

VORSITZENDER: Ich rufe den Angeklagten Franz von Papen.

FRANZ VON PAPEN: Euer Lordschaft, Hohes Gericht! Als ich 1919 in die Heimat zurückkehrte, fand ich ein von politischen Kämpfen der Parteien zerrissenes Volk vor, das aus dem Zusammenbruch nun eine neue Lebensform zu finden suchte. In diesen Unglückstagen meiner Heimat glaubte ich, als verantwortungsbewußter Deutscher nicht tatenlos abseits stehen zu dürfen. Es war mir klar, daß eine Wiedergeburt des Vaterlandes allein auf dem Wege des Friedens und der geistigen Auseinandersetzung möglich war, einer Auseinandersetzung, die nicht nur um die politische Form ging, sondern vielmehr noch um die Lösung des brennendsten sozialen Problems, die Voraussetzung für jede innere Befriedung. Gegenüber dem Ansturm rationalistischer Ideologien galt es, und das war meine innerste Überzeugung, das Christentum als Ausgangspunkt des Neuaufbaues zu erhalten. Vom Ausgang dieser inneren Auseinandersetzung mußte auch die Aufrechterhaltung des europäischen Friedens abhängen.

Der ganze Einsatz meiner besten Jahre hat dieser Frage gegolten, in der Gemeinde, im Parlament, im Staat Preußen und im Reich. Wer die Tatsachen kennt, weiß, daß ich mich 1932 nicht zu dem hohen Amte gedrängt habe. Hindenburgs dringender vaterländischer Appell war mir Befehl, und wenn ich mit ungezählten anderen Deutschen in der Zwangslage von 1933 mich an hervorragender Stelle zur Mitarbeit entschlossen habe, dann, weil ich es für meine Pflicht hielt und weil ich an die Möglichkeit glaubte, den Nationalsozialismus in verantwortungsbewußte, ruhige Bahnen lenken zu können, weil ich hoffte, daß die Aufrechterhaltung christlicher Grundsätze das beste Gegengewicht gegen ideologischen und politischen Radikalismus sein und eine friedliche innere und äußere Entwicklung gewährleisten werde.

Das Ziel ist nicht erreicht worden. Die Kraft des Bösen war stärker als die des Guten und hat Deutschland unrettbar in die Katastrophe getrieben. Aber sollen deshalb auch diejenigen verdammt werden, die im Kampfe des Glaubens gegen den Unglauben die Fahne des ersteren hochgehalten haben? Und berechtigt es Justice Jackson zu der Feststellung, ich sei nur der frömmelnde Agent einer ungläubigen Regierung gewesen? Oder was gibt Sir Hartley Shawcross das Recht, mit Hohn und Spott und Verachtung zu sagen: Er zog es vor, in der Hölle zu herrschen, anstatt im Himmel zu dienen? Meine Herren Ankläger! Dieses Urteil steht nicht Ihnen zu, das steht einem anderen Richter zu. Aber ich frage, steht nicht die Frage nach der Verteidigung der transzendenten Werte heute noch weit stärker im Mittelpunkt der Bemühungen um den Neubau der Welt?

Ich glaube, daß ich mit einem reinen Gewissen mich der Verantwortung stellen kann.

Liebe zu Heimat und Volk waren allein entscheidend für alle meine Handlungen. Ich habe ohne Menschenfurcht gesprochen, wenn ich sprechen mußte. Nicht dem Nazi-Regime, sondern dem Vaterland habe ich gedient, wenn ich trotz herbster Enttäuschungen über den innerpolitischen Fehlschlag meiner Hoffnungen versucht habe, von diplomatischen Stellungen aus wenigstens den Frieden zu retten.

Wenn ich mein Gewissen prüfe, so finde ich keine Schuld da, wo die Anklage sie sucht und behauptet, aber, wo wäre ein Mensch ohne Schuld oder Fehl? Historisch gesehen mag diese Schuld an jenem tragischen 2. Dezember 1932 liegen, als ich nicht versuchte, den Reichspräsidenten mit allen Mitteln zu bewegen, seinen Entschluß vom Vorabende aufrechtzuerhalten trotz Verfassungsbruchs und trotz der Drohung General von Schleichers mit dem Bürgerkrieg.

Will die Anklage wirklich alle Menschen, die sich ehrlichen Wollens zur Mitarbeit gestellt haben, verdammen? Will sie behaupten, daß das deutsche Volk 1933 Hitler gewählt habe, weil es den Krieg wollte? Will sie wirklich behaupten, daß es in seiner überwältigenden Mehrheit die gewaltigen seelischen und materiellen Opfer bis zum Opfer seiner Jugend auf den Schlachtfeldern dieses Krieges für Hitlers utopische und verbrecherische Ziele gebracht habe?

Das Hohe Gericht steht vor der unendlich schwierigen Aufgabe, ohne zeitlichen Abstand von der Katastrophe Ursache und Wirkung der historischen Entwicklung in ihren wahren Zusammenhängen zu erkennen.

Nur wenn dieses Hohe Gericht die historische Wahrheit erkennt und anerkennt, wird der geschichtliche Sinn dieses Prozesses erfüllt. Nur dann wird das deutsche Volk, obwohl sein Reich zerstört ist, die Erkenntnis seiner Fehler, aber auch die Kraft für seine zukünftige Aufgabe finden.

VORSITZENDER: Ich rufe den Angeklagten Arthur Seyß-Inquart.

ARTHUR SEYSS-INQUART: Herr Präsident! Ich will in meinem Schlußwort noch einen mir möglichen Beitrag zur Klarstellung der hier erörterten Verhandlungsgegenstände leisten durch Darlegung der persönlichen Motive und Überlegungen für mein Verhalten.

Zur Frage Österreich habe ich wenig zu sagen. Den Anschluß, losgelöst von den späteren Ereignissen, sehe ich als eine ausschließlich innerdeutsche Angelegenheit an. Für jeden Österreicher war der Anschluß Selbstzweck und niemals im entferntesten ein Vorbereitungsschritt zu einem Angriffskrieg. Dafür war die Anschlußidee ein viel zu wichtiges, nämlich das vornehmste Ziel des deutschen Volkes. »Ich erstatte vor dem deutschen Volke die größte Vollzugsmeldung meines Lebens.« Ich habe diesen Worten des Führers am 15. März 1938 in der Hofburg zu Wien geglaubt. Sie waren auch richtig.

Daß ich am 11. März 1938 etwa ab 8.00 Uhr abends, nämlich nach dem völligen Zusammenbruch jeder anderen politischen und staatlichen Autorität, den von Berlin eingeschlagenen Weg mitmachte, hat folgenden Grund. Der ungerechtfertigte Widerstand gegen die Durchführung geordneter Wahlen hatte einem radikalen Vorgehen praktisch aber auch psychologisch die Tore geöffnet. Ich frug mich, ob ich das Recht habe, gegen diese Methoden zu sein, nachdem offenbar mein Weg nicht gangbar gewesen war. Schien das Vorgehen aber gerechtfertigt, dann fühlte ich mich verpflichtet, den Beitrag zu leisten, den ich nach der Sachlage leisten konnte. Ich bin sicher, daß es vor allem diesem Beitrag zu danken ist, daß dieser grundlegende Umschwung und insbesondere die Nacht zum 12. März in solcher Ruhe und ohne Blutvergießen vor sich gegangen ist, obwohl in den österreichischen Nationalsozialisten ein sehr großer Haß aufgespeichert war.

Ich war für den Zusammenschluß aller Deutschen, gleichgültig welche Regierungsform Deutschland hatte.

Ich glaube, die Anklage beruft sich auf Dokumente aus der Zeit nach dem Anschluß, um aus diesen meine Annektions- und Aggressionsabsichten herauszulesen. Es handelt sich um Dokumente, um Äußerungen über den Donauraum und die Tschechoslowakei nach dem 1. Oktober 1938, nach dem Münchener Abkommen, und über den Weichselraum nach dem 1. September 1939, nach Kriegsbeginn. Zu diesen Äußerungen bekenne ich mich, und ihre Richtigkeit ist inzwischen bestätigt worden. Solange der Donauraum in der Österreichisch-Ungarischen Monarchie geordnet war, entwickelte er sich zum Wohl aller, und das deutsche Element entfaltete keine imperiale, sondern eine kulturell und wirtschaftlich fördernde und ausgleichende Tätigkeit. Seit dieser Raum infolge der integralen Durchsetzung des nationalen Prinzips zerbrochen ist; ist er noch nicht zur Ruhe gekommen. In dieser Erinnerung dachte ich an die Neugestaltung eines gemeinsamen Lebensraums, von dem ich öffentlich erklärte, er müsse als wesentlichstes Erfordernis allen, also den Deutschen, Tschechen, Slowaken, Ungarn und Rumänen, eine solche soziale Ordnung geben, die jedem einzelnen das Leben lebenswert mache. In diesem Sinne dachte ich auch an die Tschechoslowakei, und zwar eingedenk des von mir selbst erlebten Sprachenausgleiches in Mähren. Wenn ich nach dem 1. September 1939 vom Weichselraum als einem deutschen Schicksalsraum sprach, so geschah dies aus dem Bestreben, Gefahren für die Zukunft vorzubeugen, die durch den Kriegsausbruch offenbar geworden waren und heute jedem Deutschen zur furchtbaren Wirklichkeit geworden sind. Diese Äußerungen haben für den Nachweis einer Angriffsabsicht unmöglich eine andere Beweiskraft als die Beschlüsse von Teheran rücksichtlich der deutschen Ostgebiete.

Nun war dieser Krieg ausgebrochen, den ich sofort und immer als einen Kampf auf Leben und Tod des deutschen Volkes erkannt habe. Der Forderung nach bedingungsloser Kapitulation konnte ich nur ein bedingungsloses Nein und meinen bedingungslosen Einsatz entgegenhalten. Ich glaube an Rathenaus Worte: Mutvolle Völker lassen sich brechen, aber nicht beugen!

Was die Niederlande betrifft, so will ich zum Vorwurf des Eingriffs in die Verwaltung zu politischen Zwecken nur folgendes feststellen. In den Niederlanden wurde kein Mensch zu einem politischen Bekenntnis gezwungen oder in seiner Freiheit und seinem Vermögen beschränkt, weil er während der Besetzung eine dem Reich oder dem Nationalsozialismus feindliche Gesinnung hatte, ohne sich feindselig zu betätigen.

Ich erklärte bereits, daß ich gegen die Evakuierung der Juden ernste menschliche und rechtliche Bedenken hatte. Heute muß ich mir sagen, daß es für die Evakuierungen größeren Ausmaßes und auf die Dauer doch grundsätzlich eine Berechtigung zu geben scheint, denn solche treffen heute mehr als zehn Millionen Deutsche, die in ihren bisherigen Wohnsitzen viele Jahrhunderte lang gesiedelt haben.

Ab Mitte 1944 wurden auf Grund eines unmittelbaren Führerbefehls Saboteure und Terroristen bei nachgewiesener Tätigkeit von der Polizei erschossen. Nur von solchen Erschießungen habe ich in dieser Zeit gehört, niemals von »Geiselerschießungen« im eigentlichen Sinn. Die während der Besetzung ums Leben gekommenen niederländischen Patrioten gelten heute mit Recht als gefallene Helden. Heißt es nicht dieses Heldentum herabsetzen, wenn man die Toten lediglich als Opfer eines Verbrechens hinstellt und damit zum Ausdruck bringt, daß ihr Verhalten gar nicht so gefahrvoll gewesen wäre, wenn sich die Besatzungsmacht korrekt verhalten hätte? Sie alle sind in einem gewollten und betätigten Zusammenhang zur Widerstandsbewegung gestanden. Sie teilen das Schicksal der Frontsoldaten: Die Kugel trifft den, der im Gefahrenraum wirksam ist.

Konnte ich der Freund der Niederländer sein, die in ihrer überwältigenden Mehrheit gegen mein um seine Existenz ringendes Volk standen? Ich habe übrigens nur bedauert, nicht als Freund in das Land gekommen zu sein. Aber ich war weder ein Henker noch nach meinen Wünschen ein Plünderer, wie die Sowjet-Anklage das behauptet. Mein Gewissen ist insofern beruhigt, als die biologische Lage des niederländischen Volkes während meiner vollverantwortlichen Tätigkeit, also bis Mitte 1944, besser war als im ersten Weltkrieg, ohne Besetzung und ohne Blockade. Dies bezeugen die Zahlen der Eheschließungen, Geburten, Sterblichkeits- und Krankenziffern. Dies geht bestimmt auch auf die Auswirkung einer Reihe von mir veranlaßter Maßnahmen zurück, zum Beispiel eine umfassende Krankenversicherung, Ehe- und Kinderbeiträge, soziale Staffelung der Einkommensteuer und mehr. Schließlich habe ich den an mich ergangenen Befehl, das Land zu zerstören, nicht durchgeführt und aus eigener Initiative der Besetzung zu Verteidigungszwecken ein Ende bereitet, als der Widerstand in Holland seinen Sinn verloren hatte.

Noch zwei Feststellungen: zu Österreich: Wenn die Deutschen Österreichs den Wunsch haben, ihre Schicksalsgemeinschaft mit den Deutschen im Reich nach innen und außen Wirklichkeit werden zu lassen, dann dürfen diesem Wunsch nicht autoritäre Hemmungen entgegengesetzt oder einer Einmischung außerdeutscher Kräfte in dieser Entscheidung ein Platz eingeräumt werden. Ansonsten folgt das ganze deutsche Volk der radikalsten Anschlußtendenz ohne Rücksicht darauf, wie das sonstige politische Programm einer solchen Bewegung beschaffen ist.

Und zweitens zur Frage der Wirksamkeit völkerrechtlicher Bestimmungen in einem Kriege: Deutschland darf keinen Krieg im eigensten Interesse wollen, es muß sogar darauf achten, daß ihm keine Waffen in die Hände gedrückt werden. Auch die anderen Völker wollen keinen Krieg, aber die Möglichkeit ist nicht absolut ausgeschlossen, es sei denn, die Völker verabscheuen ihn. Es ist daher falsch, einen künftigen Krieg dadurch verniedlichen zu wollen und auf diese Weise die Abwehrkräfte in den Völkern zu mindern, daß die Vorstellung erweckt wird, ein künftiger Weltkrieg würde sich noch irgendwie im Rahmen der Haager Landkriegsordnung oder einer anderen völkerrechtlichen Abmachung halten lassen.

Nun bin ich wohl auch noch eine Erklärung über meine Stellung zu Adolf Hitler schuldig. Erwies er sich als unzulänglich, da er das Maß aller Dinge nur in sich selbst sah, eine entscheidende Aufgabe für das deutsche Volk, ja für Europa zu erfüllen, oder hat er sich noch einmal, aber vergeblich und bis zu unfaßbaren Exzessen gegen den Ablauf eines unerbittlichen Schicksals gewehrt? Für mich bleibt er der Mann, der Großdeutschland als eine Tatsache in die deutsche Geschichte gestellt hat. Diesem Manne habe ich gedient. Was dann kam? Ich vermag nicht heute »Kreuziget ihn!« zu rufen, da ich gestern »Hosianna« gerufen habe.

Zuletzt danke ich noch meinem Verteidiger für die Umsicht und Mühewaltung, die er bei meiner Verteidigung aufwandte.

Mein letztes Wort ist der Grundsatz, nach dem ich immer gehandelt habe und an den ich bis zum letzten Atemzug festhalten werde: Ich glaube an Deutschland!

VORSITZENDER: Angeklagter Albert Speer!

ALBERT SPEER: Herr Präsident, meine Herren Richter! Hitler und der Zusammenbruch seines Systems haben eine ungeheure Leidenszeit über das deutsche Volk gebracht. Die nutzlose Fortsetzung dieses Krieges und die unnötigen Zerstörungen erschweren den Wiederaufbau. Entbehrungen und Elend sind über das deutsche Volk gekommen.

Es wird nach diesem Prozeß Hitler als den erwiesenen Urheber seines Unglücks verachten und verdammen. Die Welt aber wird aus dem Geschehenen lernen, die Diktatur als Staatsform nicht nur zu hassen, sondern zu fürchten.

Die Diktatur Hitlers unterschied sich in einem grundsätzlichen Punkt von allen geschichtlichen Vorgängern. Es war die erste Diktatur in dieser Zeit moderner Technik, eine Diktatur, die sich zur Beherrschung des eigenen Volkes der technischen Mittel in vollkommener Weise bediente.

Durch die Mittel der Technik, wie Rundfunk und Lautsprecher, wurde 80 Millionen Menschen das selbständige Denken genommen; sie konnten dadurch dem Willen eines einzelnen hörig gemacht werden. Telephon, Fernschreiber und Funk ermöglichten es, daß zum Beispiel Befehle höchster Instanzen unmittelbar bis in die untersten Gliederungen gegeben werden konnten, wo sie wegen ihrer hohen Autorität kritiklos durchgeführt wurden. Oder sie führten dazu, daß zahlreiche Dienststellen und Kommandos unmittelbar an die oberste Führung angeschlossen wurden, von der sie direkt ihre unheimlichen Befehle erhielten. Oder sie hatten zur Folge eine weitverzweigte Überwachung der Staatsbürger und den hohen Grad der Geheimhaltung verbrecherischer Vorgänge.

Für den Außenstehenden mag dieser Staatsapparat wie das scheinbar systemlose Gewirr der Kabel einer Telephonzentrale erscheinen; aber wie diese konnte er von einem Willen bedient und beherrscht werden. Frühere Diktaturen benötigten auch in der unteren Führung Mitarbeiter mit hohen Qualitäten, Männer, die selbständig denken und handeln konnten. Das autoritäre System in der Zeit der Technik kann hierauf verzichten. Schon allein die Nachrichtenmittel befähigen es, die Arbeit der unteren Führung zu mechanisieren. Als Folge davon entsteht der neue Typ des kritiklosen Befehlsempfängers.

Wir waren erst am Beginn dieser Entwicklung. Der Alptraum vieler Menschen, daß einmal die Völker durch die Technik beherrscht werden könnten, er war im autoritären System Hitlers nahezu verwirklicht. In der Gefahr, von der Technik terrorisiert zu werden, steht heute jeder Staat der Welt. In einer modernen Diktatur scheint mir dies aber unvermeidlich zu sein.

Daher: Je technischer die Welt wird, um so notwendiger ist als Gegengewicht die Förderung der individuellen Freiheit und des Selbstbewußtseins des einzelnen Menschen.

Hitler hat die Technik nicht nur zur Beherrschung seines eigenen Volkes ausgenutzt, es wäre ihm nahezu gelungen, mittels seines technischen Vorsprungs Europa zu unterwerfen. Es waren lediglich einige der grundsätzlichen Schaltfehler, wie sie in einer Diktatur wegen des Mangels an Kritik typisch sind, daß er nicht vor 1942 doppelt soviel Panzer, Flugzeuge und U-Boote hatte. Wenn aber ein moderner Industriestaat seine Intelligenz, seine Wissenschaft, die Entwicklung der Technik und seine Produktion einige Jahre dafür einsetzt, um auf dem Gebiet der Bewaffnung einen Vorsprung zu erzielen, dann kann er auch mit einem geringen Einsatz von Menschen durch seine überlegene Technik die Welt völlig überrunden und besiegen, wenn die anderen Nationen in der gleichen Zeit ihre technischen Fähigkeiten für den kulturellen Fortschritt der Menschheit verwendeten. Je technischer die Welt wird, um so größer ist diese Gefahr; um so schwerer wiegt ein Vorsprung der technischen Kriegsmittel.

Dieser Krieg endete mit den ferngesteuerten Raketen, mit Flugzeugen in Schallgeschwindigkeit, mit neuartigen U-Booten und mit Torpedos, die ihr Ziel selbst finden, mit Atombomben und mit der Aussicht auf einen furchtbaren chemischen Krieg.

Der nächste Krieg wird zwangsläufig im Zeichen dieser neuen zerstörenden Erfindungen menschlichen Geistes stehen. Die Kriegstechnik wird in fünf bis zehn Jahren die Möglichkeit geben, von Kontinent zu Kontinent mit unheimlicher Präzision Raketen zu schießen. Sie kann durch die Atomzertrümmerung mit einer Rakete, bedient vielleicht von nur zehn Menschen, im Zentrum Newyorks in Sekunden eine Million Menschen vernichten, unsichtbar, ohne vorherige Ankündigung, schneller wie der Schall, bei Tag und bei Nacht. Der Wissenschaft ist es möglich, Seuchen zu verbreiten unter Menschen und Tieren und durch einen Insektenkrieg die Ernte zu vernichten. Die Chemie hat furchtbare Mittel gefunden, um den hilflosen Menschen unsagbares Leid zuzufügen.

Wird es wieder einen Staat geben, der die technischen Erkenntnisse dieses Krieges zur Vorbereitung eines neuen Krieges verwertet, während die übrige Welt den technischen Vorsprung dieses Krieges zum Nutzen der Menschheit anwendet und dadurch versucht, einen geringen Ausgleich für seine Schrecken zu schaffen?

Als ehemaliger Minister einer hochentwickelten Rüstung ist es meine letzte Pflicht zu sagen:

Ein neuer großer Krieg wird mit der Vernichtung menschlicher Kultur und Zivilisation enden. Nichts hindert die entfesselte Technik und Wissenschaft, ihr Zerstörungswerk an den Menschen zu vollenden, das sie in diesem Kriege in so furchtbarer Weise begonnen hat. Darum muß dieser Prozeß ein Beitrag sein, um in der Zukunft entartete Kriege zu verhindern und die Grundregeln menschlichen Zusammenlebens festzulegen.

Was bedeutet mein eigenes Schicksal nach allem, was geschehen und bei einem solch hohen Ziel?

Das deutsche Volk hat in früheren Jahrhunderten viel zu dem Aufbau menschlicher Kultur beigetragen. Es hat diese Beiträge oft in Zeiten geliefert, in denen es genauso ohnmächtig und hilflos war wie heute. Wertvolle Menschen lassen sich nicht zur Verzweiflung treiben. Sie werden neue bleibende Werke schaffen, und unter dem ungeheueren Druck, der auf allen lastet, werden diese Werke von besonderer Größe sein. Wenn das deutsche Volk so in den unvermeidlichen Zeiten seiner Armut und seiner Ohnmacht, – aber gleichzeitig auch in der Zeit seines Aufbaus – neue Kulturwerte schafft, dann hat es damit den wertvollsten Beitrag zu dem Geschehen in der Welt geleistet, den es in seiner Lage leisten kann.

Es sind nicht die Schlachten der Kriege allein, die die Geschichte der Menschheit bestimmen, sondern in einem höheren Sinne die kulturellen Leistungen, die einst in den Besitz der ganzen Menschheit übergehen. Ein Volk aber, das an seine Zukunft glaubt, wird nicht untergehen. Gott schütze Deutschland und die abendländische Kultur!

VORSITZENDER: Ich rufe den Angeklagten Constantin von Neurath!

CONSTANTIN VON NEURATH: Getragen von der Überzeugung, daß auch vor diesem Hohen Gericht die Wahrheit und die Gerechtigkeit trotz allen Hasses, der Verleumdung und der Verdrehung sich durchsetzen wird, glaube ich, den Ausführungen meines Verteidigers nur das eine noch hinzufügen zu müssen, daß mein Leben geweiht war der Wahrhaftigkeit, der Ehrenhaftigkeit, der Erhaltung des Friedens und der Völkerversöhnung, der Menschlichkeit und der Gerechtigkeit und daß ich hier stehe mit gutem Gewissen nicht nur vor mir selbst, sondern vor der Geschichte und vor dem deutschen Volk.

Und wenn trotzdem der Spruch dieses Gerichts mich schuldig erkennen würde, so werde ich auch das zu tragen wissen und auf mich nehmen als ein letztes Opfer für mein Volk, dem zu dienen der Inhalt und der Sinn meines Daseins war.

VORSITZENDER: Ich rufe den Angeklagten Hans Fritzsche!

HANS FRITZSCHE: Hohes Gericht! Die Hauptvertreter der Anklage wiederholten in ihren abschließenden Reden einige Anschuldigungen gegen mich, obwohl sie nach meiner Ansicht durch die Beweisaufnahme klar widerlegt worden sind. Ich habe einige dieser Punkte zusammengestellt. Ich habe nicht die Absicht, sie zu verlesen. Wenn es den Regeln des Gerichts nicht widerspricht und wenn es dem Gericht gefällt, so bitte ich darum, diese Zusammenstellung – es handelt sich um sechs Seiten – zur Kenntnis zu nehmen; sie liegen in Übersetzung vor.

Ich möchte die große Chance des letzten Schlußworts in diesem bedeutsamen Prozeß nicht verschwenden mit der Aufzählung von Einzelheiten, die ja alle in Protokollen und Dokumenten zu finden sind. Ich muß mich dem Gesamtkomplex der Verbrechen zuwenden, da die Anklage behauptet, daß ich diesem Gesamtverbrechen durch eine Verschwörung verbunden sei.

Gegenüber diesem Vorwurf kann ich nur sagen: Ach hätte ich doch in meinen Rundfunkreden die Propaganda getrieben, die mir jetzt die Anklage vorwirft! Hätte ich doch die Lehre von der Herrenrasse vertreten! Hätte ich doch Haß gegen andere Völker gepredigt! Hätte ich doch zu Angriffskriegen, Gewalttat, Mord und Unmenschlichkeit aufgefordert! Denn, Hohes Gericht, wenn ich dies alles getan hätte, dann hätte sich das deutsche Volk von mir gewandt und hätte das System abgelehnt, für das ich sprach.

Auch wenn ich dies in versteckter Form nur getan hätte, dann würden meine Hörer das gemerkt haben, und sie hätten es abgelehnt.

Aber das Unglück liegt ja gerade in der Tatsache, daß ich alle diese Thesen nicht vertrat, nach denen Hitler mit einem kleinen Kreis von Helfershelfern insgeheim handelte, einem Kreis, der sich nach den Aussagen unter anderem der Zeugen Höß, Reinecke und Morgen langsam aus dem Nebel hebt, der ihn bis dahin verbarg.

Ich glaubte an Hitlers Versicherungen seines ehrlichen Friedenswillens. Dadurch verstärkte ich den Glauben des deutschen Volkes an sie.

Ich glaubte an die amtlichen deutschen Dementis gegen alle ausländischen Meldungen über deutsche Greueltaten. Mit meinem Glauben verstärkte ich den Glauben des deutschen Volkes an die Sauberkeit der deutschen Staatsführung. Das ist meine Schuld, nicht mehr – nicht weniger.

Die Ankläger haben die Empörung ihrer Völker zum Ausdruck gebracht über die Greueltaten, die geschahen. Nun, sie haben von Hitler nichts Gutes erwartet und sind betroffen über das Ausmaß dessen, was wirklich geschah. Aber versuchen Sie dann einmal, die Empörung derer zu begreifen, die von Hitler Gutes erwarteten und die nun sahen, wie ihr guter Glaube, ihr guter Wille und ihr Idealismus mißbraucht wurden. Ich befinde mich in dieser Lage des Getäuschten zusammen mit vielen, vielen anderen Deutschen, von denen die Anklage sagt, sie hätten das, was geschah, erkennen können aus rauchenden Schornsteinen in Konzentrationslagern oder aus dem bloßen Anblick von Häftlingen und so weiter.

Ich empfinde es als ein großes Unglück, daß die Anklage die Dinge so darstellt, als ob ganz Deutschland eine riesige Höhle des Verbrechens gewesen wäre. Es ist ein Unglück, daß die Anklage das Ausmaß der Verbrechen noch verallgemeinert, die doch schon schrecklich genug sind. Demgegenüber muß ich feststellen: Wer einmal in den Jahren des friedlichen Aufbaues an Hitler geglaubt hatte, der brauchte nur Treue, Mut und Opferbereitschaft, um ihm auch weiter zu glauben so lange, bis er durch die Entdeckung sorgfältig gehüteter Geheimnisse in ihm den Teufel erkennen konnte. Nur so ist der Kampf zu erklären, den Deutschland durch 68 Monate kämpfte. Solche Opferbereitschaft wächst nicht aus Verbrechen, sondern nur aus Idealismus und gutem Glauben, sowie aus kluger und scheinbar gerechter Organisation.

Ich bedauere die von der Anklage vorgenommene Verallgemeinerung der Verbrechen, weil sie den Berg von Haß, der in der Welt liegt, noch vergrößern muß. Aber es ist Zeit, den ewigen Kreislauf des Hasses zu unterbrechen, der bisher die Welt beherrschte. Es ist höchste Zeit, dem Wechsel von Saat, Ernte, neuer Aussaat und neuer Ernte des Hasses Einhalt zu gebieten. Schließlich ist der Mord an fünf Millionen eine grausige Warnung, und die Menschheit besitzt heute die technischen Mittel zu ihrer Selbstvernichtung. Deshalb darf meines Erachtens die Anklage an das Ende eines Hasses nicht einen neuen Haß setzen.

Ich habe vor meinem Gewissen das Recht, dies auszusprechen, denn ich habe nicht, wie die Anklage behauptet, Haß gepredigt und das Tor des Mitleids verschlossen. Ich habe vielmehr sogar mitten im härtesten Kampf immer wieder die Stimme der Menschlichkeit erhoben. Das beweist die übergroße Mehrzahl meiner Ansprachen, die man ja jederzeit gegen die Äußerungen meiner Gegner abwägen kann. Meine Ansprachen, die ja, auch wenn sie hier vor dem Gericht nicht vorgelegt werden konnten, nicht einfach aus der Welt verschwunden sein können.

Es ist nun durchaus möglich, ja vielleicht sogar verständlich, daß der Sturm der Empörung der Welt über geschehene Greueltaten die Grenzen der individuellen Verantwortung verweht. Wenn das geschieht, wenn eine kollektive Verantwortung auch Gutgläubig-Mißbrauchte treffen soll, dann, meine Herren Richter, dann machen Sie bitte mich haftbar. Ich verstecke mich, wie schon mein Verteidiger betonte, nicht hinter die Millionen Gutgläubiger und Mißbrauchter. Ich stelle mich vor diejenigen, für die meine Glaubwürdigkeit einst noch eine zusätzliche Garantie war für die Sauberkeit der Ziele des Systems. Diese meine Haftung aber gilt nur für die Gutgläubigen und nicht für die Urheber, Mittäter oder Mitwisser von Greueltaten, angefangen vom Mord bis zur Auswahl von lebenden Menschen für anatomische Sammlungen.

Zwischen diesen Verbrechern und mir gibt es nur eine einzige Verbindung: Sie haben mich nur in anderer Weise mißbraucht als diejenigen, die ihnen körperlich zum Opfer fielen.

Es mag schwer sein, das deutsche Verbrechen von dem deutschen Idealismus zu trennen. Unmöglich ist es nicht. Macht man diese Trennung, dann wird man viel Leid vermeiden für Deutschland – und für die Welt.

VORSITZENDER: Der Gerichtshof wird die Erklärungen, die die Angeklagten gemacht haben, sorgfältig in Erwägung ziehen.

Der Gerichtshof steht jetzt im Begriff, sich zu vertagen, um sich über das Urteil zu beraten. Bevor der Gerichtshof dies tut, wünscht er seine Anerkennung auszudrücken für die Art und Weise, in welcher die Vertreter der Anklage und der Verteidigung ihre Pflichten erfüllt haben.

Dem Gerichtshof ist mitgeteilt worden, die Verteidiger hätten Briefe von Deutschen erhalten, die ihr Verhalten als Anwälte in ungehöriger Weise kritisieren. Der Gerichtshof wird die Verteidiger soweit, als dies erforderlich sein sollte, schützen, solange der Gerichtshof tagt, und er zweifelt nicht, daß der Kontrollrat sie später gegen solche Angriffe in Schutz nehmen wird. Der Gerichtshof ist der Ansicht, daß die Verteidiger eine wichtige öffentliche Pflicht in Übereinstimmung mit den hohen Traditionen des Juristenberufes erfüllt haben, und der Gerichtshof dankt ihnen für ihre Unterstützung.

Der Gerichtshof vertagt sich jetzt bis zum 23. September, um sich über das Urteil zu beraten. An diesem Tag wird das Urteil verkündet werden. Sollte eine Verschiebung notwendig sein, wird dies rechtzeitig mitgeteilt werden.