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Die Invasion von Dänemark und Norwegen.

Der Angriffskrieg gegen Polen war nur der Anfang. Der Angriff Nazi-Deutschlands verbreitete sich schnell von Land zu Land. Zeitlich waren Dänemark und Norwegen die beiden ersten Länder, die ihn zu erleiden hatten.

Am 31. Mai 1939 wurde zwischen Deutschland und Dänemark ein Nichtangriffspakt geschlossen und vom Angeklagten Ribbentrop unterzeichnet. Darin wurde feierlich erklärt, daß die Vertragsparteien »fest entschlossen waren, den Frieden zwischen Dänemark und Deutschland unter allen Umständen zu erhalten«. Nichtsdestoweniger fiel Deutschland am 9. April 1940 in Dänemark ein.

Am 2. September 1939, nach dem Ausbruch des Krieges mit Polen, sandte Deutschland eine feierliche Versicherung folgenden Wortlauts an Norwegen:

»Die Deutsche Reichsregierung ist entschlossen, gemäß den freundschaftlichen Beziehungen, die zwischen Nor wegen und Deutschland bestehen, die Unverletzlichkeit und Integrität Norwegens unter keinen Umständen zu beeinträchtigen und das norwegische Staatsgebiet zu respektieren. Wenn die Reichsregierung diese Erklärung abgibt, so erwartet sie natürlich auch ihrerseits, daß Norwegen dem Reich gegenüber eine einwandfreie Neutralität beobachten wird, und alle Einbrüche, die etwa von dritter Seite in die norwegische Neutralität erfolgen sollten, nicht dulden wird. Sollte die Haltung der Königlich Norwegischen Regierung im Falle, daß ein derartiger Neutralitätsbruch von dritter Seite wiederkehrt, eine andere sein, so würde die Reichsregierung selbstverständlich genötigt sein, die Interessen des Reiches so wahrzunehmen, wie die sich dann ergebende Lage es der Reichsregierung aufnötigen würde.« (TC-31, GB-79.)

Am 9. April 1940 überfiel Deutschland in Verfolgung seines Feldzugsplanes Norwegen.

Die Idee, Norwegen anzugreifen, stammt anscheinend von den Angeklagten Raeder und Rosenberg. Am 3. Oktober 1939 verfaßte Raeder eine Denkschrift über die »Gewinnung von Stützpunkten in Norwegen« und unter den darin behandelten Fragen befand sich auch die folgende: »Können Stützpunkte mit militärischer Gewalt gegen den Willen Norwegens gewonnen werden, wenn es unmöglich ist, dies ohne Kampf zu erreichen?« Trotz dieser Tatsache wurden drei Tage später weitere Versicherungen an Norwegen von Deutschland abgegeben, die erklärten:

»Deutschland hat mit den nordischen Staaten schon früher keine Interessenkonflikte oder gar Streitpunkte besessen und hat sie heute genau so wenig.« (TC-32, GB-80.)

Wieder einige Tage später verfaßte der Angeklagte Dönitz eine Denkschrift über denselben Gegenstand, nämlich über Stützpunkte in Norwegen, und schlug die Errichtung eines Stützpunktes in Trondheim mit dem Alternativprojekt einer Treibstoffzufuhr in Narvik vor. Zur gleichen Zeit stand der Angeklagte Raeder im Briefverkehr mit Admiral Carls, der ihm die Wichtigkeit einer Besetzung der norwegischen Küste durch Deutschland klarmachte. Am 10. Oktober berichtete Raeder an Hitler über die Nachteile, die sich für Deutschland aus einer Besetzung durch die Briten ergäben. In den Monaten Oktober und November fuhr Raeder fort, sich mit der möglichen Besetzung Norwegens im Zusammenhang mit der »Organisation Rosenberg« zu befassen. Die »Organisation Rosenberg« war das Außenpolitische Amt der NSDAP, mit dessen Führung Rosenberg als Reichsleiter betraut war. Anfangs Dezember besuchte der berüchtigte norwegische Verräter Quisling Berlin und wurde von den Angeklagten Rosenberg und Raeder empfangen. Er entwickelte einen Plan für einen Staatsstreich in Norwegen. Am 12. Dezember hatten der Angeklagte Raeder und der Marinestab zusammen mit den Angeklagten Keitel und Jodl eine Besprechung mit Hitler, in der Raeder über seine Unterhaltung mit Quisling berichtete und Quislings Ansichten darlegte. Am 16. Dezember unterhielt sich Hitler selbst mit Quisling über alle diese Fragen. In dem Bericht über die Tätigkeit des Außenpolitischen Amtes der NSDAP für die Jahre 1933 bis 1943 ist unter dem Titel »Politische Vorbereitungen für die militärische Besetzung Norwegens« ausgeführt, daß Hitler in seiner Unterhaltung mit Quisling sagte, er würde eine neutrale Haltung sowohl seitens Norwegens wie seitens ganz Skandinaviens vorziehen, da er nicht wünsche, den Krieg räumlich auszudehnen oder andere Nationen in den Konflikt hineinzuziehen. Sollte der Feind versuchen, den Krieg auszudehnen, so wäre er gezwungen, sich gegen ein derartiges Unternehmen zu schützen. Er versprach Quisling finanzielle Unterstützung, und wies die Untersuchung der damit im Zusammenhang stehenden militärischen Fragen einem besonderen militärischen Stab zu.

Am 27. Januar 1940 wurde vom Angeklagten Keitel eine Denkschrift über die Pläne für die Invasion Norwegens verfaßt. Am 28. Februar 1940 trug der Angeklagte Jodl folgendes in sein Tagebuch ein:

»Ich schlage Chef OKW und dann dem Führer vor: ›Fall Gelb‹« – das ist die Operation gegen die Niederlande – »und Weserübung« – das ist die Operation gegen Norwegen und Dänemark – »müssen so vorbereitet werden, daß sie zeitlich und kräftemäßig voneinan der unabhängig werden.« (1809-PS, GB-88.)

Am 1. März gab Hitler eine Weisung betreffend die »Weserübung« heraus, in der folgende Worte enthalten sind:

»Die Entwicklung der Lage in Skandinavien erfordert es, alle Vorbereitungen dafür zu treffen, um mit Teilkräften der Wehrmacht Dänemark und Norwegen... zu besetzen. Hierdurch sollen englischen Übergriffen nach Skandinavien und der Ostsee vorgebeugt, unsere Erzbasis in Schweden gesichert und für Kriegsmarine und Luftwaffe die Ausgangsstellung gegen England erweitert werden... Grenzübertritt gegen Dänemark und Landung in Norwegen haben gleichzeitig zu erfolgen... Von größter Bedeutung ist, daß unsere Maßnahmen die nordischen Staaten wie die Westgegner überraschend treffen.« (C-174, GB-89.)

Am 24. März wurden die Flotten-Operationsbefehle für die »Weserübung« ausgegeben, und am 30. März gab der Angeklagte Dönitz als der Oberbefehlshaber der U-Bootflotte seinen Operationsbefehl für die Besetzung Dänemarks und Norwegens heraus. Am 9. April 1940 brachen die deutschen Streitkräfte in Norwegen und Dänemark ein.

Aus dieser Schilderung wird es klar, daß bereits im Oktober 1939 die Frage der Invasion Norwegens erwogen wurde. Die Verteidigung, die in diesem Falle vorgebracht wurde, lautet dahin, daß Deutschland gezwungen war, Norwegen anzugreifen, um einer Invasion durch die Alliierten zuvorzukommen, und daß deshalb Deutschlands Handlung Präventivcharakter hatte.

Es muß daran erinnert werden, daß Präventivhandlungen auf fremdem Gebiet nur im Falle einer »unaufschiebbaren und unabwendbaren Notwendigkeit der Selbstverteidigung, die keine Wahl der Mittel und keinen Augenblick Zeit zur Überlegung läßt« (The Caroline Case, Moore's Digest of International Law, II, 412), gerechtfertigt sind. Wie weit in einflußreichen deutschen Kreisen die Ansicht bestand, daß die Alliierten eine Besetzung Norwegens beabsichtigten, kann nicht mit Sicherheit festgestellt werden. Quisling behauptete, daß die Alliierten mit stillschweigender Zustimmung der Norwegischen Regierung in Norwegen intervenieren würden. Die deutsche Gesandtschaft in Oslo war nicht dieser Ansicht, obwohl der Marineattaché der Gesandtschaft sie teilte. Das Kriegstagebuch der deutschen Seekriegsleitung enthält unter dem 13. Januar 1940 den Vermerk, daß der Chef der Seekriegsleitung meinte, die günstigste Lösung wäre die Beibehaltung der Neutralität seitens Norwegens, doch hegte er die feste Überzeugung, daß England in der nahen Zukunft, gestützt auf die stillschweigende Zustimmung der Norwegischen Regierung, die Besetzung Norwegens beabsichtige.

Die von Hitler am 1. März 1940 für den Angriff auf Dänemark und Norwegen herausgegebene Weisung stellte fest, daß diese Operation »englischen Übergriffen auf Skandinavien und die Ostsee vorbeugen sollten«.

Es muß jedoch daran erinnert werden, daß die Denkschrift des Angeklagten Raeder vom 3. Oktober 1939 keinen Hinweis darauf enthält, daß man den Alliierten zuvorkommen müsse, sondern auf der »Absicht, unsere strategische und taktische Situation zu verbessern«, beruht.

Die Denkschrift selbst trägt die Überschrift: »Gewinnung von Stützpunkten in Norwegen«. Mutatis mutandis gilt die gleiche Bemerkung für die Denkschrift des Angeklagten Dönitz vom 9. Oktober 1939.

Weiter vermerkte der Angeklagte Jodl am 14. März13 1940 in seinem Tagebuch:

»Führer gibt Befehl zur ›W‹« – Weserübung – »noch nicht. Er ist noch auf der Suche nach einer Begründung.«

Und wiederum schrieb er am 13. März:14

»Führer noch nicht entschlossen, wie ›Weserübung‹ zu begründen.« (1809-PS, GB-88.)

Am 21. März 1940 vermerkte er die seitens der Gruppe XXI geäußerten Bedenken über den langen Zeitraum zwischen dem Beziehen der Bereitschaftsstellungen und dem Abschluß der diplomatischen Aktion, und fügte hinzu:

»Führer lehnt jedes frühere Verhandeln ab, da sonst Hilferufe an England und Amerika ergehen. Wo Wider stand geleistet wird, muß er rücksichtslos gebrochen werden.« (1809-PS, GB-88.)

Am 2. April machte er die Aufzeichnung, daß alle Vorbereitungen beendet sind; am 4. April wurde der Operationsbefehl für die Flotte erlassen; und am 9. April begann der Angriff.

Aus alledem geht klar hervor, daß, als die Pläne für einen Angriff auf Norwegen entworfen wurden, sie nicht gemacht wurden, um einer bevorstehenden Landung der Alliierten zuvorzukommen, sondern höchstens, um vielleicht eine alliierte Besetzung in der Zukunft zu verhindern.

Als die endgültigen Befehle für die deutsche Invasion in Norwegen erlassen wurden, enthält das Tagebuch der Seekriegsleitung die folgende Aufzeichnung unter dem 23. März 1940:15

»... ein massives Eingreifen der Engländer in die norwegischen Hoheitsgewässer... zur Zeit nicht anzunehmen«.16 (Dokument Raeder-81)

Und Admiral Aßmanns Eintragung unter dem 26. März sagte:

»Britische Landung in Norwegen als unbedeutend angesehen.«

Man stützt sich auf Urkunden, die späterhin von den Deutschen erbeutet wurden, um zu beweisen, daß der alliierte Plan für die Besetzung der Häfen und Flughäfen in West-Norwegen ein festgelegter Plan war, obwohl er in allen Punkten bedeutend hinter den deutschen Plänen, unter denen die Invasion tatsächlich ausgeführt wurde, zurückstand.

Diese Urkunden zeigen, daß man sich am 20. März 1940 endlich über einen geänderten Plan geeinigt hatte, daß ein Geleitzug England am 5. April verlassen und die Minenlegung in norwegischen Gewässern am selben Tage beginnen sollte; und daß am 5. April das Auslaufen auf den 8. April verschoben worden war. Diese Pläne waren jedoch nicht der Grund für die deutsche Invasion in Norwegen. Norwegen wurde von Deutschland besetzt, um sich Stützpunkte zu verschaffen, von denen ein wirksamer Angriff auf England und Frankreich vorgenommen werden konnte, in Übereinstimmung mit Plänen, die schon lange vor den alliierten Plänen vorbereitet worden waren, auf die man sich jetzt stützte, um die Behauptung der Selbstverteidigung zu beweisen.

Es wurde weiter behauptet, daß auf Grund der von vielen der Signatarmächte zur Zeit der Abschließung des Briand-Kellogg-Paktes gemachten Vorbehalte Deutschland allein entscheiden konnte, ob Vorbeugungsmaßnahmen notwendig waren, und daß seine Auffassung bei der Fällung dieser Entscheidung maßgebend wäre. Ob jedoch die Maßnahmen, die unter dem Vorwand der Selbstverteidigung unternommen wurden, tatsächlich Angriffs- oder Verteidigungsmaßnahmen waren, muß letzten Endes einer Nachprüfung und einem Urteilsspruch unterliegen, wenn das Völkerrecht überhaupt je zur Geltung gebracht werden soll.

Keiner der Angeklagten behauptete, daß außer Deutschland irgendeiner der Kriegführenden die Besetzung Dänemarks plante. Für diese Angriffshandlung wurde niemals eine Begründung gegeben.

Als die deutschen Armeen in Norwegen und Dänemark einmarschierten, wurden der Norwegischen und Dänischen Regierung Noten überreicht, die versicherten, daß die deutschen Truppen nicht als Feinde kämen, daß sie nicht beabsichtigen, die von den deutschen Truppen besetzten Plätze als Stützpunkte für Kampfhandlungen gegen England zu benutzen, solange sie nicht dazu durch Maßnahmen Englands und Frankreichs gezwungen würden, und daß sie gekommen wären, um den Norden gegen die geplante Besetzung von norwegischen Stützpunkten durch englisch- französische Streitkräfte zu schützen.

Die Note fügte hinzu, daß Deutschland nicht beabsichtige, die territoriale Unantastbarkeit und die politische Unabhängigkeit des Norwegischen Königreiches damals oder in der Zukunft zu verletzen. Nichtsdestoweniger behandelte eine Mitteilung der deutschen Kriegsmarine am 3. Juni 1940 die beabsichtigte Verwertung Norwegens und Dänemarks, und schlug eine Lösung zur Erwägung vor, wonach die Gebiete Dänemarks und Norwegens, die im Laufe des Krieges erworben worden waren, auch weiterhin besetzt bleiben und so orientiert werden sollten, daß sie in Zukunft als deutsche Besitzungen angesehen werden konnten.

Auf Grund des zur Verfügung stehenden Beweismaterials ist die Beweisführung unannehmbar, daß die Angriffe auf Dänemark und Norwegen Verteidigungsmaßnahmen waren. Nach Ansicht des Gerichtshofs waren sie Angriffshandlungen.17