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Der Kellogg-Briand-Pakt.

Der Pakt von Paris wurde am 27. August 1928 von Deutschland, den Vereinigten Staaten, Belgien, Frankreich, Großbritannien, Italien, Japan, Polen und anderen Ländern unterzeichnet, und später von anderen Mächten. Der Gerichtshof hat das Wesen dieses Vertrags ausführlich dargelegt, ebenso wie an einer anderen Stelle des Urteils seine rechtlichen Auswirkungen.2 Es erübrigt sich daher, ihn hier nochmals zu erörtern, es sei denn, um festzustellen, daß dieser Pakt nach Ansicht des Gerichtshofs in allen Fällen von Angriffskriegen, gegen die die Anklageschrift Beschuldigungen erhebt, von Deutschland verletzt wurde.3 Es ist bemerkenswert, daß Deutschland am 26. Januar 1934 eine Erklärung zur Erhaltung eines dauerhaften Friedens mit Polen unterzeichnete, welche ausdrücklich auf dem Pakt von Paris beruhte und worin der Gebrauch von Gewalt für einen Zeitraum von zehn Jahren in Acht und Bann erklärt wurde.

Der Internationale Militärgerichtshof erachtet es für unnötig, andere der im Anhang aufgeführten Verträge zu besprechen, noch die wiederholten Übereinkommen und die Zusicherungen seiner friedfertigen Ansichten4, die Deutschland abgab.

Das Recht des Statuts.

Die Zuständigkeit des Gerichtshofs ist in dem Übereinkommen und im Statut niedergelegt, und die unter die Zuständigkeit des Gerichtshofs fallenden Verbrechen, für die es eine persönliche Verantwortlichkeit geben soll, sind in Artikel 6 des Statuts aufgeführt. Das Recht des Statuts ist maßgebend und für den Gerichtshof bindend.

Die Ausarbeitung des Statuts geschah in Ausübung der souveränen Macht der Gesetzgebung jener Staaten, denen sich das Deutsche Reich bedingungslos ergeben hatte; und das nicht angezweifelte Recht jener Länder, für die besetzten Gebiete Gesetze zu erlassen, ist von der zivilisierten Welt anerkannt worden. Das Statut ist keine willkürliche Ausübung der Macht seitens der siegreichen Nationen, sondern ist nach Ansicht des Gerichts, wie noch gezeigt werden wird, der Ausdruck des zur Zeit der Schaffung des Statuts bestehenden Völkerrechts; und insoweit ist das Statut selbst ein Beitrag zum Völkerrecht.

Die Signatarmächte errichteten diesen Gerichtshof, setzten das Recht fest, das er anzuwenden hat, und erließen Bestimmungen für die ordentliche Führung des Prozesses. Damit haben sie gemeinsam das getan, was jede einzelne von ihnen allein hätte tun können; denn es kann nicht bezweifelt werden, daß jede Nation das Recht hat, besondere Gerichtshöfe zur Anwendung des Gesetzes zu errichten. Was die Verfassung des Gerichts betrifft, so haben die Angeklagten nur das Recht zu verlangen, daß ihnen in tatsächlicher und rechtlicher Beziehung ein gerechtes Verfahren zuteil wird.

Das Statut erklärt das Planen oder Führen eines Angriffskrieges oder eines die internationalen Verträge verletzenden Krieges als Verbrechen; und es ist deshalb nicht unbedingt notwendig zu untersuchen, ob und inwieweit ein Angriffskrieg vor der Ausführung des Londoner Übereinkommens ein Verbrechen war. Im Hinblick jedoch auf die große Bedeutung der damit zusammenhängenden Rechtsfragen hat sich das Gericht die eingehenden Ausführungen der Anklagebehörde und der Verteidigung angehört und wird seine Ansicht über diesen Gegenstand aussprechen.

Seitens der Angeklagten wurde nachdrücklich darauf hingewiesen, daß es ein grundlegendes Prinzip allen Rechtes – des Völkerrechtes wie des nationalen – sei, daß es keine Bestrafung eines Verbrechens ohne vorher bestehendes Gesetz geben könne. »Nullum crimen sine lege, nulla poena sine lege.« Es ist angeführt worden, daß eine Bestrafung ex post facto dem Recht aller zivilisierten Nationen zuwiderläuft, daß seitens keiner souveränen Macht Angriffskriege zu jener Zeit, als die angeblich verbrecherischen Handlungen begangen wurden, als Verbrechen erklärt worden waren, daß keine Rechtssatzung den Begriff des Angriffskrieges bestimmt hatte, daß keine Ahndung für ihre Begehung festgelegt worden und daß kein Gerichtshof geschaffen worden war, um die Übertreter abzuurteilen und zu bestrafen.

Zunächst muß bemerkt werden, daß der Rechtssatz »nullum crimen sine lege« keine Beschränkung der Souveränität darstellt, sondern ganz allgemein ein Grundsatz der Gerechtigkeit ist. Zu behaupten, daß es ungerecht sei, jene zu strafen, die unter Verletzung von Verträgen und Versicherungen ihre Nachbarstaaten ohne Warnung angegriffen haben, ist klarerweise unrichtig, denn unter solchen Umständen muß ja der Angreifer wissen, daß er Unrecht tut, und weit entfernt davon, daß es nicht ungerecht wäre, ihn zu strafen, wäre es vielmehr ungerecht, wenn man seine Freveltaten straffrei ließe. Angesichts der Stellung, die die Angeklagten in der Regierung Deutschlands einnahmen, mußten sie oder zumindest einige von ihnen Kenntnis der von Deutschland unterschriebenen Verträge haben, in denen der Krieg als Mittel zur Beilegung internationaler Streitigkeiten für ungesetzlich erklärt wurde; sie mußten gewußt haben, daß sie allem Völkerrecht zu Trotz handelten, als sie mit vollem Vorbedacht ihre auf Invasion und Angriff gerichteten Absichten ausführten. Schon allein aus dem hier erörterten Fall würde hervorgehen, daß der Rechtssatz auf die vorliegenden Tatbestände keine Anwendung findet.

Diese Auffassung wird nachdrücklich erhärtet durch eine Betrachtung des Standes des Völkerrechts von 1939, soweit es sich auf den Angriffskrieg bezieht. Der Allgemeine Vertrag zum Verzicht auf den Krieg vom 27. August 1928, der besser unter dem Namen Pariser Pakt oder Kellogg-Briand-Pakt bekannt ist, war bei Kriegsausbruch 1939 für 365Nationen, darunter Deutschland, Italien und Japan, bindend. In der Präambel erklärten die Signatare, daß sie waren:

»..tief durchdrungen von ihrer erhabenen Pflicht, die Wohlfahrt der Menschheit zu fördern,

in der Überzeugung, daß die Zeit gekommen ist, einen offenen Verzicht auf den Krieg als Werkzeug nationaler Politik auszusprechen, um die jetzt zwischen ihren Völkern bestehenden friedlichen und freundschaftlichen Beziehungen dauernd aufrechtzuerhalten,... jede Veränderung in ihren gegenseitigen Beziehungen nur durch friedliche Mittel angestrebt werden... sollte,... daß sich so die zivilisierten Nationen der Welt in dem gemeinsamen Verzicht auf den Krieg als Werkzeug ihrer nationalen Politik zusammenfinden werden...« (Reichsgesetzblatt 1929, Teil II, Seite 97/98.)

Diese ersten zwei Artikel lauten folgendermaßen:

»Artikel I: Die Hohen Vertragschließenden Parteien erklären feierlich im Namen ihrer Völker, daß sie den Krieg als Mittel für die Lösung internationaler Streitfälle verurteilen und auf ihn als Werkzeug nationaler Politik in ihren gegenseitigen Beziehungen verzichten.

Artikel II: Die Hohen Vertragschließenden Parteien vereinbaren, daß die Regelung und Entscheidung aller Streitigkeiten oder Konflikte, die zwischen ihnen entstehen könnten, welcher Art oder welchen Ursprungs sie auch sein mögen, niemals anders als durch friedliche Mittel angestrebt werden soll.« (Reichsgesetzblatt 1929, Teil II, Seite 100.)

Es fragt sich: Was war die rechtliche Auswirkung dieses Paktes?

Die Nationen, die den Pakt unterschrieben oder ihn befolgten6, ächteten den Krieg bedingungslos als Werkzeug zukünftiger Politik und verzichteten ausdrücklich auf ihn. Nach der Unterzeichnung des Paktes machte sich jede Nation, die sich des Krieges als Werkzeug der nationalen Politik bediente, des Vertragsbruchs schuldig.

Der Gerichtshof ist der Ansicht, daß der feierliche Verzicht auf den Krieg als Werkzeug nationaler Politik notwendigerweise bedeutet, daß solch ein Krieg völkerrechtswidrig ist und daß diejenigen, die einen solchen Krieg mit all seinen unvermeidbaren und schrecklichen Folgen planen und führen, dadurch ein Verbrechen begehen. Ein Krieg, der als Werkzeug nationaler Politik zur Lösung internationaler Meinungsverschiedenheiten unternommen wird, bedeutet auch zweifellos einen Angriffskrieg, und darum ist solch ein Krieg durch den Pakt geächtet worden. Wie Herr Henry L. Stimson, damals Außenminister der Vereinigten Staaten, 1932 sagte:

»Die Signatarmächte des Kellogg-Briand-Vertrages haben auf den Krieg zwischen den Nationen verzichtet. Das bedeutet, daß er praktisch in der ganzen Welt zu etwas Ungesetzlichem geworden ist.... Wenn hiernach Nationen sich auf einen bewaffneten Konflikt einlassen, müssen entweder einer oder beide als Verletzer dieses allgemeinen Rechtsvertrages bezeichnet werden... Wir brandmarken sie als Rechtsverbrecher.«

Es wird jedoch behauptet, daß der Pakt nicht ausdrücklich festlege, daß solche Kriege Verbrechen seien, oder Gerichtshöfe zur Aburteilung derjenigen einsetze, die solche Kriege herbeiführen. Dies trifft im gleichen Umfange auf die Kriegsregeln zu, die in der Haager Konvention enthalten sind. Die Haager Konvention von 1907 verbietet die Anwendung gewisser Methoden der Kriegführung, zum Beispiel die unmenschliche Behandlung von Gefangenen, die Verwendung von vergifteten Waffen, den Mißbrauch der Parlamentärfahne und ähnliches. Viele dieser Verbote wurden schon lange vor der Konvention durchgeführt. Aber seit 1907 stellte ihre Verletzung zweifelsohne ein Verbrechen dar, das als Verletzung des Kriegsrechts strafbar war. Dennoch stellte die Haager Konvention nirgends fest, daß solche Handlungen verbrecherisch seien, noch ist irgendwo eine Strafe vorgeschrieben, noch wurde irgendwie ein Gerichtshof erwähnt, der die Rechtsverletzer zur Verantwortung ziehen und bestrafen solle. Dennoch haben seit vielen Jahren Militärgerichtshöfe Personen, die der Verletzung der in dieser Konvention festgelegten Regeln der Landkriegführung schuldig waren, zur Verantwortung gezogen und bestraft. Dieser Gerichtshof ist der Ansicht, daß diejenigen, die einen Angriffskrieg führen, etwas tun, was ebenso rechtswidrig und von viel größerer Bedeutung ist als der Bruch einer Bestimmung der Haager Konvention. Wenn man die Worte des Paktes auslegt, muß man sich bewußt bleiben, daß Völkerrecht nicht das Ergebnis einer internationalen Gesetzgebung ist, und daß zwischenstaatliche Abkommen, wie der Pakt von Paris, sich mit den allgemeinen Rechtsgrundsätzen beschäftigen müssen und nicht mit verwaltungstechnischen Verfahrensregeln. Kriegsrecht leitet sich nicht nur von Verträgen ab, sondern von den Gebräuchen und Gewohnheiten der Staaten, die allmählich allgemeine Anerkennung gefunden haben und von den allgemeinen Rechtsgrundsätzen, die von Juristen ausgearbeitet und von Militärgerichtshöfen angewendet werden. Dieses Recht ist kein starres, sondern folgt durch ständige Angleichung den Notwendigkeiten einer sich wandelnden Welt. Es ist Tatsache, daß in vielen Fällen Verträge nichts anderes tun, als den bereits bestehenden Rechtsgrundsätzen Gestalt zu geben und sie für die Zwecke der bestimmten Anwendung zu definieren.

Die Ansicht des Gerichtshofs über eine sinngemäße Auslegung des Paktes wird durch seine völkerrechtliche Vorgeschichte unterstützt. Im Jahre 1923 setzte sich der Völkerbund für den Entwurf eines Vertrags gegenseitiger Hilfeleistung ein. Der Vertrag erklärte in seinem ersten Artikel, »daß der Angriffskrieg ein völkerrechtliches Verbrechen ist« und daß die Vertragsparteien sich »verpflichten, daß keiner sich dessen schuldig machen« würde. Der Vertragsentwurf wurde 29 Staaten unterbreitet, von denen etwa die Hälfte für die Annahme des Textes waren. Der Haupteinwand lag in der Schwierigkeit, diejenigen Tatbestände zu definieren, die als »Angriffe« anzusehen seien und nicht etwa in Zweifeln über den verbrecherischen Charakter des Angriffskrieges. Die Präambel des Völkerbundsprotokolls von 1924 für die friedliche Beilegung internationaler Streitfälle (»Genfer Protokoll«) erklärt nach »der Feststellung der Einheit aller Mitglieder der Völkerfamilie«, daß »ein Angriffskrieg eine Verletzung dieser Einheit darstellt und ein internationales Verbrechen ist«. Es erklärt des weiteren, daß die vertragschließenden Parteien »den Wunsch haben, die vollkommene Anwendung des Verfahrens zu ermöglichen, das die Völkerbundssatzung für die friedliche Beilegung von Meinungsverschiedenheiten zwischen den Staaten und für Maßnahmen zur Unterdrückung internationaler Verbrechen vorgesehen hat«. Durch einstimmigen Beschluß wurde dieses Protokoll in der Versammlung der 48 Mitglieder des Völkerbundes den Mitgliedern zur Annahme empfohlen. Unter diesen Mitgliedern befanden sich Italien und Japan, jedoch war Deutschland damals noch nicht Mitglied des Völkerbundes. Obschon dieses Protokoll nie ratifiziert wurde, wurde es doch von den führenden Staatsmännern der Welt unterzeichnet, die die große Mehrheit der Kulturstaaten und -völker vertraten, und es darf als ein starker Beweis der Absicht betrachtet werden, den Angriffskrieg als internationales Verbrechen zu brandmarken.

Auf der Sitzung des Völkerbundsrates am 24. September 1927 nahmen alle anwesenden Delegationen, einschließlich der deutschen, der italienischen und japanischen, einstimmig eine Erklärung über Angriffskriege an. Die Präambel dieser Erklärung stellt fest:

»Die Vollversammlung: In Anerkennung der Solidarität, welche die Gemeinschaft der Nationen verbindet; von dem tiefen Wunsch zur Aufrechterhaltung des allgemeinen Friedens getragen; in der Überzeugung, daß ein Angriffskrieg niemals ein Mittel zur Beilegung internationaler Streitigkeiten sein kann und infolgedessen ein internationales Verbrechen ist....«

Die einstimmig angenommene Entschließung der 21 amerikanischen Republiken auf der sechsten Panamerikanischen Konferenz zu Havanna vom 18. Februar 1928 stellte fest, daß der »Angriffskrieg ein internationales Verbrechen gegen die Menschheit darstellt«.

All diese Meinungsäußerungen und andere, die zitiert werden könnten und die in so feierlicher Weise gemacht wurden, unterstützen die Auslegung des Paktes von Paris durch diesen Gerichtshof, derzufolge ein Angriffskrieg nicht nur rechtswidrig, sondern verbrecherisch ist. Das Verbot des Angriffskrieges, das vom Gewissen der Welt gefordert wird, drückt sich in den verschiedenen Pakten und Verträgen aus, auf die sich der Gerichtshof soeben bezogen hat.

Es ist auch wichtig, daran zu erinnern, daß der Artikel 227 des Versailler Vertrags die Einsetzung eines besonderen Gerichtshofs vorsah, der aus Vertretern von fünf der Alliierten und Assoziierten Mächte, die im ersten Weltkrieg gegen Deutschland gekämpft hatten, bestehen und über den früheren deutschen Kaiser »wegen schwerster Verletzung des internationalen Sittengesetzes und der Heiligkeit der Verträge« zu Gericht sitzen sollte. Als Zweck dieses Gerichtsverfahrens war angegeben, »den feierlichen Verpflichtungen und internationalen Verbindlichkeiten ebenso wie dem internationalen Sittengesetze Achtung zu verschaffen«. In Artikel 228 des Vertrags räumte die Deutsche Regierung den Alliierten Mächten ausdrücklich die Befugnis ein, »die wegen eines Verstoßes gegen die Gesetze und Gebräuche des Krieges angeklagten Personen vor ihre Militärgerichte zu ziehen«. (Reichsgesetzblatt 1919, Teil II, Seite 981.)

Es ist angeführt worden, daß sich das Völkerrecht auf Handlungen souveräner Staaten beziehe und keine Bestrafung von Einzelpersonen vorsieht; und weiter, daß dort, wo die fragliche Handlung ein Staatsakt ist, jene Personen, die sie ausführen, keine eigene Verantwortung tragen, sondern durch den Lehrsatz von der Souveränität des Staates geschützt seien. Nach der Meinung des Gerichtshofs müssen diese beiden Einwände zurückgewiesen werden. Daß das Völkerrecht Einzelpersonen so gut wie Staaten Pflichten und Verbindlichkeiten auferlegt, ist längst anerkannt worden. In dem kürzlich vor dem Obersten Gerichtshof der Vereinigten Staaten behandelten Fall ex parte Quirin (1942/317 US 1) waren Personen beschuldigt, während des Krieges in den Vereinigten Staaten zu Spionage- und Sabotagezwecken gelandet zu sein. Der verstorbene Oberrichter Stone sagte im Namen des Gerichts:

»Von Anbeginn seines Bestehens an hat dieser Gerichtshof das Kriegsrecht angewendet, da es jenen Teil des Völkerrechts enthält, der für die Kriegführung den Status, die Rechte und die Pflichten sowohl der feindlichen Nationen als auch der feindlichen Einzelpersonen vorschreibt.«

Er gab dann weiter eine Liste von durch die Gerichte abgeurteilten Fällen, in denen Einzelpersonen als Übertreter von Völkerrecht und insbesondere von Kriegsrecht angeklagt waren. Noch viele andere Autoritäten könnten angeführt werden, doch genug ist bereits gesagt worden, um zu zeigen, daß Einzelpersonen wegen Verletzungen des Völkerrechts bestraft werden können. Verbrechen gegen das Völkerrecht werden von Menschen und nicht von abstrakten Wesen begangen, und nur durch Bestrafung jener Einzelpersonen, die solche Verbrechen begehen, kann den Bestimmungen des Völkerrechts Geltung verschafft werden.

Die bereits erwähnten Bestimmungen des Artikels 228 des Versailler Vertrags veranschaulichen diese Auffassung von der persönlichen Verantwortlichkeit und verschaffen ihr Geltung.

Jener Grundsatz des Völkerrechts, der unter gewissen Umständen dem Repräsentanten eines Staates Schutz gewährt, kann nicht auf Taten Anwendung finden, die durch das Völkerrecht als verbrecherisch gebrandmarkt werden. Diejenigen, die solche Handlungen begangen haben, können sich nicht hinter ihrer Amtsstellung verstecken, um in ordentlichen Gerichtsverfahren der Bestrafung zu entgehen. Der Artikel 7 des Statuts stellt ausdrücklich fest:

»Die amtliche Stellung eines Angeklagten, sei es als Oberhaupt eines Staates oder als verantwortlicher Beamter in einer Regierungsabteilung, soll weder als Strafausschließungsgrund noch als Strafmilderungsgrund angesehen werden.«

Es ist ja gerade der Wesenskern des Statuts, daß Einzelpersonen internationale Pflichten haben, die über die nationalen Verpflichtungen hinausgehen, die ihnen durch den Gehorsam zum Einzelstaat auferlegt sind. Derjenige, der das Kriegsrecht verletzt, kann nicht Straffreiheit deswegen erlangen, weil er auf Grund der Staatshoheit handelte, wenn der Staat Handlungen gutheißt, die sich außerhalb der Schranken des Völkerrechts bewegen.

Es wurde auch seitens der meisten dieser Angeklagten eingewandt, daß sie das, was sie taten, auf Befehl Hitlers taten und deshalb nicht für Handlungen verantwortlich gemacht werden können, die sie in Ausführung dieser Befehle begangen haben. Das Statut sieht in Artikel 8 ausdrücklich vor:

»Die Tatsache, daß ein Angeklagter auf Befehl seiner Regierung oder eines Vorgesetzten gehandelt hat, gilt nicht als Strafausschließungsgrund, kann aber als Strafmilderungsgrund berücksichtigt werden...«

Die Bestimmungen dieses Artikels sind im Einklang mit dem Gesetz aller Nationen. Daß ein Soldat den Befehl erhalten hat, unter Verletzung des Völkerrechts zu töten oder zu martern, ist niemals ein Entschuldigungsgrund für solche Handlungen der Brutalität anerkannt worden, wenn auch, wie es das Statut hier vorsieht, ein solcher Befehl als Milderungsgrund bei der Bestrafung geltend gemacht werden kann. Das wirklich entscheidende Moment, das sich in verschiedenen Abstufungen im Strafgesetz der meisten Nationen vorfindet, ist nicht das Bestehen eines solchen Befehls, sondern die Frage, ob eine dem Sittengesetz entsprechende Wahl tatsächlich möglich war.

Das für den gemeinsamen Plan oder die Verschwörung geltende Recht.

Aus der vorangehenden Darstellung der auf den Angriffskrieg bezüglichen Tatsachen geht deutlich hervor, daß die Planung und die Vorbereitung in jedem Stadium der Entwicklung auf höchst systematische Weise durchgeführt worden sind.

Planung und Vorbereitung sind ein wesentliches Erfordernis der Kriegführung. Nach Ansicht des Gerichtshofs ist der Angriffskrieg nach dem Völkerrecht ein Verbrechen. Die Begriffsbestimmung dieses Verbrechens im Statut lautet: Planen, Vorbereitung, Einleitung oder Durchführung eines Angriffskrieges »oder Beteiligung an einem gemeinsamen Plan oder an einer Verschwörung zur Ausführung einer der vorgenannten Handlungen«. Die Anklage schließt sich dieser Unterscheidung an. Anklagepunkt Eins erhebt die Beschuldigung des gemeinsamen Plans oder der Verschwörung. Anklagepunkt Zwei erhebt die Beschuldigung des Kriegsplanens und der Kriegführung. Zur Unterstützung dieser beiden Anklagepunkte ist dasselbe Beweismaterial vorgelegt worden. Wir werden deshalb die beiden Anklagepunkte gemeinsam behandeln, da sie ihrem Wesen nach gleich sind. Die Angeklagten sind nach beiden Anklagepunkten beschuldigt worden, und ihre Schuld muß nach jedem Anklagepunkt bestimmt werden.

Der »gemeinsame Plan oder die Verschwörung« der Anklageschrift erstreckt sich über einen Zeitraum von 25 Jahren, von der Begründung der Nazi-Partei im Jahre 1919 bis zum Ende des Krieges im Jahre 1945. Die Partei wird als »Bindeglied zwischen den Angeklagten« zur Durchführung der Zwecke der Verschwörung bezeichnet, nämlich: Die Beseitigung des Versailler Vertrags; der Erwerb des von Deutschland im letzten Krieg verlorenen Gebietes und des »Lebensraums« in Europa, und zwar wenn nötig durch Waffengewalt, durch einen Angriffskrieg. Die »Machtergreifung« durch die Nazis, die Anwendung des Terrors, die Vernichtung der Gewerkschaften, der Feldzug gegen den christlichen Unterricht und die Kirchen, die Verfolgung der Juden, die Militarisierung der Jugend – das wird alles als eine Reihe wohlerwogener Schritte zur Durchführung des gemeinsamen Plans bezeichnet. Das kam zum Ausdruck, wie angegeben wird, in der geheimen Aufrüstung, in dem Ausscheiden Deutschlands aus der Abrüstungskonferenz und dem Völkerbund, in der allgemeinen Wehrpflicht und in der Besetzung des Rheinlandes. Schließlich wurden, so heißt es in der Anklageschrift, Angriffshandlungen gegen Österreich und die Tschechoslowakei in den Jahren 1936 bis 1938 geplant und durchgeführt; darauf folgten die Kriegsplanung und die Kriegführung gegen Polen und dann nacheinander gegen zehn andere Länder.

Die Anklagebehörde sagt dem Sinne nach, daß jede bedeutsame Beteiligung an den Angelegenheiten der Nazi-Partei oder der Regierung einen Beweis für die Beteiligung an einer an und für sich schon verbrecherischen Verschwörung darstelle. Der Begriff Verschwörung ist im Statut nicht definiert. Doch muß nach Ansicht des Gerichtshofs die Verschwörung in Bezug auf ihre verbrecherischen Absichten deutlich gekennzeichnet sein. Sie darf vom Entschluß und von der Tat zeitlich nicht zu weit entfernt sein. Soll das Planen als verbrecherisch bezeichnet werden, so kann es nicht allein von den in einem Parteiprogramm enthaltenen Erklärungen abhängen, wie sie in den im Jahre 1920 verkündeten 25 Punkten der Nazi-Partei zu finden sind, und auch nicht von den in späteren Jahren in »Mein Kampf« enthaltenen politischen Meinungsäußerungen. Der Gerichtshof muß untersuchen, ob ein konkreter Plan zur Kriegführung bestand, und bestimmen, wer an diesem konkreten Plane teilgenommen hat.

Es ist nicht notwendig zu entscheiden, ob durch das Beweismaterial das Bestehen einer einzigen Hauptverschwörung unter den Angeklagten erwiesen worden ist. Die Machtergreifung durch die Nazi-Partei und die darauffolgende Beherrschung aller Gebiete des wirtschaftlichen und sozialen Lebens durch den Nazi-Staat muß selbstverständlich bei der Prüfung der späteren Kriegspläne in Betracht gezogen werden. Daß bereits am 5. November 1937 und wahrscheinlich noch früher Kriegspläne geschmiedet wurden, liegt klar zutage. Und daran anschließend wurden solche Vorbereitungen nach vielen Richtungen hin fortgesetzt, und zwar gegen viele friedliche Länder. In der Tat bildete die Kriegsdrohung – und nötigenfalls der Krieg – einen wesentlichen Bestandteil der Nazi-Politik. Aus der Beweisführung geht jedoch mit Bestimmtheit eher das Bestehen vieler einzelner Pläne hervor, als eine einzige alle solche Pläne umfassende Verschwörung. Daß Deutschland von dem Augenblick an, da die Nazis die Macht ergriffen, der vollständigen Diktatur entgegeneilte und sich ständig in Richtung auf den Krieg bewegte, erhellt mit überwältigender Kraft aus der systematischen Reihenfolge von Angriffshandlungen und Kriegen, die in diesem Urteil bereits angeführt worden sind.

Nach Ansicht des Gerichtshofs ist das gemeinsame Planen zur Kriegsvorbereitung und zur Kriegführung in Bezug auf bestimmte Angeklagte durch die Beweisführung erwiesen. Es erübrigt sich zu erwägen, ob eine einzige Verschwörung in dem Ausmaße und während des Zeitraumes, wie sie die Anklageschrift darlegt, schlüssig bewiesen worden ist. Ein fortgesetztes Planen, das den Angriffskrieg zum Ziel hatte, ist über jeden Zweifel hinaus erwiesen worden. Die wahre Lage wurde von Paul Schmidt, dem amtlichen Dolmetscher des Deutschen Auswärtigen Amtes, wie folgt treffend geschildert:

»Die Allgemeinziele der Nazi-Führung waren von Anfang an augenscheinlich, nämlich die Beherrschung des europäischen Festlandes. Dies sollte erreicht werden, erstens durch die Einverleibung aller deutschsprechenden Gruppen ins Reich und zweitens durch territoriale Ausdehnung unter dem Schlagwort ›Lebensraum‹. Die Durchführung dieser grundlegenden Ziele machte jedoch den Eindruck einer Improvisation. Jeder Schritt erfolgte, wie es den Anschein hatte, jeweils beim Auftauchen einer neuen Sachlage, aber sie waren alle im Einklang mit dem oben erwähnten Endziel.« (3308-PS, GB-288.)

Das Argument, daß ein solches gemeinsames Planen beim Bestehen einer vollständigen Diktatur nicht möglich sei, ist nicht stichhaltig. Ein Plan, an dessen Durchführung eine Anzahl von Personen teilnimmt, bleibt ein Plan, auch wenn er im Gehirn nur einer dieser Personen entstanden ist; und diejenigen, die den Plan ausführen, können ihrer Verantwortlichkeit nicht dadurch entgehen, daß sie nachweisen, sie hätten unter der Leitung des Mannes gehandelt, der den Plan entwarf. Hitler konnte keinen Angriffskrieg allein führen. Er benötigte die Mitarbeit von Staatsmännern, militärischen Führern, Diplomaten und Geschäftsleuten. Wenn diese seine Ziele kannten und ihm ihre Mitarbeit gewährten, so beteiligten sie sich an dem von ihm ins Leben gerufenen Plan. Wenn sie wußten, was sie taten, so können sie nicht aus dem Grunde als unschuldig betrachtet werden, weil Hitler von ihnen Gebrauch machte. Daß ihnen ihre Aufgaben von einem Diktator zugewiesen wurden, spricht sie von der Verantwortlichkeit für ihre Handlungen nicht frei. Das Verhältnis zwischen Führer und Geführten schließt Verantwortlichkeit ebensowenig aus, wie bei dem vergleichbaren Tyrannenverhältnis, wenn es sich um sonstige organisierte Verbrechen handelt.

Unter Anklagepunkt Eins fällt jedoch nicht nur die Verschwörung zum Zwecke der Führung von Angriffskriegen, sondern auch die Verschwörung zur Begehung von Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Abgesehen jedoch von der Verschwörung zur Durchführung von Angriffskriegen bezeichnet das Statut keinerlei Verschwörung als besonderes Verbrechen. Artikel 6 des Statuts sieht vor:

»Anführer, Organisatoren, Anstifter und Teilnehmer, die am Entwurf oder der Ausführung eines gemeinsamen Planes oder einer Verschwörung zur Begehung eines der vorgenannten Verbrechen teilgenommen haben, sind für alle Handlungen verantwortlich, die von irgendeiner Person in Ausführung eines solchen Planes begangen worden sind.«

Nach Ansicht des Gerichtshofs fügen diese Worte den bereits aufgezählten Verbrechen kein neues, besonderes Verbrechen hinzu. Die Worte sind dazu bestimmt, die Verantwortlichkeit derjenigen Personen festzulegen, die an einem gemeinsamen Plan teilnehmen. Der Gerichtshof wird daher die im Anklagepunkt Eins enthaltenen Anschuldigungen, daß die Angeklagten an einer Verschwörung beteiligt waren, um Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Humanität zu begehen, außer acht lassen und lediglich den gemeinsamen Plan, Angriffskriege vorzubereiten, einzuleiten und durchzuführen, in Betracht ziehen.

VORSITZENDER: Ich ersuche jetzt Judge Parker, das Urteil weiter vorzulesen.

MR. JOHN J. PARKER, STELLVERTRETENDES MITGLIED DES GERICHTSHOFS FÜR DIE VEREINIGTEN STAATEN:

Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit.

Das auf Kriegsverbrechen bezügliche Beweismaterial ist überwältigend gewesen, sowohl was die Masse betrifft als auch in seinen Einzelheiten. Es ist unmöglich, in diesem Urteil einen angemessenen Überblick zu geben oder die in Form von Dokumenten oder mündlichen Aussagen vorgelegte Materialmasse zu verzeichnen. Fest steht, daß Kriegsverbrechen in größtem Ausmaße verübt worden sind wie nie zuvor in der Kriegsgeschichte. Sie wurden in allen von Deutschland besetzten Ländern und auf hoher See begangen, unter allen nur erdenklichen Begleiterscheinungen von Grausamkeit und Schrecken. Kein Zweifel kann darüber bestehen, daß sie größtenteils aus der Auffassung der Nazis vom »totalen Krieg« stammen, mit der die Angriffskriege geführt wurden. Denn bei dieser Auffassung des »totalen Krieges« werden die den Konventionen zugrundeliegenden sittlichen Ideen, die den Krieg menschlicher zu gestalten trachten, als nicht länger in Kraft oder Geltung befindlich angesehen. Alles wird dem gebieterischen Diktat des Krieges untergeordnet. Regeln, Verordnungen, Versicherungen und Verträge, eines wie das andere, haben keine Bedeutung mehr; befreit vom hemmenden Einfluß des Völkerrechts wird der Angriffskrieg von den Nazi-Führern auf möglichst barbarische Weise geführt. Demgemäß wurden Kriegsverbrechen begangen, wann und wo immer der Führer und seine engsten Mitarbeiter sie als vorteilhaft betrachteten. Zum größten Teile waren sie das Ergebnis kalter verbrecherischer Berechnung.

In manchen Fällen wurden Kriegsverbrechen mit Vorbedacht lange im voraus geplant. Im Falle der Sowjetunion sind die Ausplünderung der zu besetzenden Gebiete und die Mißhandlung der Zivilbevölkerung bis in die geringste Einzelheit festgelegt worden, bevor der Angriff begann. Bereits im Herbst 1940 ist der Überfall auf die Gebiete der Sowjetunion in Erwägung gezogen worden. Von diesem Zeitpunkt an wurden andauernd die Methoden besprochen, die zur Vernichtung jedes nur möglichen Widerstandes angewendet werden sollten.

In ähnlicher Weise hat die Deutsche Regierung bei Aufstellung der Pläne für die Verwertung der Bewohner der besetzten Gebiete zur Sklavenarbeit in größtem Maßstab dies als wesentlichen Bestandteil der Kriegswirtschaft angesehen und dieses besondere Kriegsverbrechen bis in die letzte fein ausgearbeitete Einzelheit geplant und organisiert.

Andere Kriegsverbrechen, wie die Ermordung entwichener und wieder eingebrachter Kriegsgefangener oder die Ermordung der Kommandos oder gefangener Flieger, oder die Vernichtung der Sowjetkommissare, waren das Ergebnis direkter und über die höchsten Dienststellen geleiteter Befehle.

Der Gerichtshof beabsichtigt daher, sich ganz im allgemeinen mit der Frage der Kriegsverbrechen zu befassen und später, anläßlich der Prüfung der diesbezüglichen Verantwortlichkeit der einzelnen Angeklagten, auf sie zurückzukommen. Kriegsgefangene wurden mißhandelt und gefoltert und ermordet, nicht nur unter Mißachtung der anerkannten Regeln des Völkerrechts, sondern unter vollständiger Außerachtlassung der elementarsten Vorschriften der Menschlichkeit. Zivilpersonen in den besetzten Gebieten erlitten das gleiche Schicksal. Ganze Bevölkerungen wurden nach Deutschland deportiert, um an Verteidigungswerken, bei der Rüstungsindustrie und ähnlichen mit dem Kriegseinsatz zusammenhängenden Aufgaben Sklavenarbeit zu leisten. Geiseln sind in sehr großer Anzahl aus den Zivilbevölkerungen aller besetzten Länder ausgehoben worden und wurden erschossen, wann und wie es den Deutschen gerade paßte. Öffentliches und privates Eigentum wurde planmäßig geraubt und geplündert, um Deutschlands Hilfsquellen auf Kosten des übrigen Europa zu vergrößern. Städte, Märkte und Dörfer wurden mutwillig zerstört, ohne jegliche militärische Rechtfertigung oder Notwendigkeit.

Ermordung und Mißhandlung von Kriegsgefangenen.

Artikel 6 b des Statuts bestimmt den Begriff des Kriegsverbrechens folgendermaßen:

»Kriegsverbrechen: Nämlich: Verletzungen der Kriegsgesetze oder -gebräuche. Solche Verletzungen umfassen, ohne jedoch darauf beschränkt zu sein, Mord, Mißhandlungen oder Deportation zur Sklavenarbeit oder für irgendeinen anderen Zweck, von Angehörigen der Zivilbevölkerung von oder in besetzten Gebieten, Mord oder Mißhandlungen von Kriegsgefangenen oder Personen auf hoher See, Tötung von Geiseln, Plünderung öffentlichen oder privaten Eigentums, die mutwillige Zerstö rung von Städten, Märkten oder Dörfern, oder jede durch militärische Notwendigkeit nicht gerechtfertigte Verwüstung.«

Im Verlauf des Krieges wurden zahlreiche alliierte Soldaten, die sich den Deutschen ergeben hatten, sofort erschossen, häufig als Folge einer vorsätzlichen berechneten Politik.7 Am 18. Oktober 1942 setzte der Angeklagte Keitel eine von Hitler gebilligte Anordnung in Umlauf, die befahl, daß alle Angehörigen von alliierten »Kommando«-Truppen, häufig in Uniform, und bewaffnet oder unbewaffnet, bis »zum letzten Mann niedergemacht« werden sollten, selbst wenn sie sich zu ergeben versuchten. Es wurde ferner bestimmt, daß, falls solche alliierte Truppen nach vorheriger Festnahme durch die Ortspolizei oder auf irgendeine andere Weise in die Hände der militärischen Behörden fielen, sie sofort dem SD ausgeliefert werden sollten. Dieser Befehl wurde von Zeit zu Zeit ergänzt und war bis zum Ende des Krieges in Kraft, obgleich es nach den alliierten Landungen in der Normandie klargestellt wurde, daß der Befehl nicht auf die innerhalb des unmittelbaren Gefechtsbereichs gefangenen »Kommandos« anzuwenden sei. Auf Grund der Vorschriften dieses Befehls erlitten alliierte »Kommando«-Truppen und andere, unabhängig operierende militärische Einheiten in Norwegen, Frankreich, Tschechoslowakei und Italien den Tod. Viele von ihnen wurden an Ort und Stelle getötet und in keinem Falle wurde denen, die später im Konzentrationslager hingerichtet wurden, jemals ein Gerichtsverfahren irgendwelcher Art gewährt. Zum Beispiel wurde eine amerikanische 12 bis 15 Mann starke und Uniform tragende Militärmission, welche im Januar 1945 hinter der deutschen Front im Balkan landete, auf Grund der Bestimmungen dieses Befehls nach Mauthausen gebracht, und laut Affidavit von Adolf Zutter, dem Adjutanten des Mauthausener Konzentrationslagers, wurden alle erschossen.

Im März 1944 erließ das OKH die »Kugel«-Verordnung, die verfügte, daß jeder entflohene Offiziers- und Unteroffiziers-Kriegsgefangene, der nicht zur Arbeit eingesetzt worden war, mit Ausnahme von englischen und amerikanischen Kriegsgefangenen, bei der Wiederergreifung der Sipo und dem SD ausgeliefert werden sollte. Dieser Befehl wurde von der Sipo und dem SD an ihre örtlichen Dienststellen verteilt. Diese entflohenen Offiziere und Unteroffiziere sollten nach dem Konzentrationslager Mauthausen gebracht werden, um bei der Ankunft durch Genickschuß hingerichtet zu werden.

Im März 1944 wurden auf direkten Befehl Hitlers 50 Offiziere der britischen königlichen Luftstreitkräfte, die aus dem Lager Sagan, wo sie in Gefangenschaft waren, flüchteten, bei der Wiedergefangennahme erschossen. Ihre Leichen wurden sofort verbrannt, und die Urnen mit ihrer Asche wurden dem Lager zurückgeschickt. Es wurde von den Angeklagten nicht bestritten, daß dies nichts anderes als klarer Mord unter völligem Bruch des Völkerrechts darstellte.

Wenn alliierte Flieger zur Landung in Deutschland gezwungen waren, wurden sie manchmal sofort von der Zivilbevölkerung getötet. Die Polizei hatte Weisung, sich in diese Tötungen nicht einzumischen, und das Justizministerium wurde benachrichtigt, daß niemand wegen Teilnahme daran unter Anklage zu stellen sei.

Die Behandlung von Sowjetkriegsgefangenen war durch ganz besondere Unmenschlichkeit charakterisiert. Nicht allein die Handlungsweise einzelner Wachen oder die Folgen der Zustände im Lager waren schuld an dem Tod so vieler von ihnen. Es war die Folge von systematischen Mordplänen. Mehr als einen Monat vor dem deutschen Einfall in die Sowjetunion entwarf das OKW besondere Pläne zur Behandlung politischer, beim Sowjetheer diensttuender Vertreter, die in Gefangenschaft geraten würden. Ein Vorschlag war, daß »politische Kommissare des Heeres nicht als Kriegsgefangene anzuerkennen und spätestens im Durchgangsgefangenenlager zu beseitigen sind«. Der Angeklagte Keitel sagte aus, daß Anweisungen, die diesen Vorschlag enthielten, an die deutsche Armee ausgegeben wurden.

Am 8. September 1941 wurden Vorschriften zur Behandlung von Sowjetkriegsgefangenen in allen Kriegsgefangenenlagern erlassen, die von General Reinecke, dem Chef der Abteilung Kriegsgefangene des Oberkommandos, unterzeichnet waren. Diese Befehle rührten aus:

»Dadurch hat der bolschewistische Soldat jeden Anspruch auf Behandlung als ehrenhafter Soldat nach dem Genfer Abkommen verloren.

... Rücksichtsloses und energisches Durchgreifen bei den geringsten Anzeichen von Widersetzlichkeit, insbesondere gegenüber bolschewistischen Hetzern ist daher zu befehlen. Widersetzlichkeit, aktiver oder passiver Widerstand muß sofort mit der Waffe (Bajonett, Kolben und Schußwaffe) restlos beseitigt werden....

Wer zur Durchsetzung eines gegebenen Befehls nicht oder nicht energisch genug von der Waffe Gebrauch macht, macht sich strafbar.

Auf flüchtige Kr. Gef. ist sofort ohne vorherigen Haltruf zu schießen. Schreckschüsse dürfen niemals abgegeben werden... Waffengebrauch gegenüber sowjet. Kr. Gef. gilt in der Regel als rechtmäßig« (1519-PS, GB-525.)

Die Sowjetkriegsgefangenen erhielten keine ausreichende Kleidung. Die Verwundeten erhielten keine ärztliche Behandlung, man ließ sie hungern und in vielen Fällen sterben.

Am 17. Juli 1941 erließ die Gestapo einen Befehl, der die Tötung aller Sowjetkriegsgefangenen, die dem Nationalsozialismus gefährlich waren oder sein könnten, anordnete. Der Befehl lautete:

»Aufgabe des Kommandos ist die politische Überprüfung aller Lagerinsassen und die Aussonderung und weitere Behandlung

a) der in politischer, krimineller oder in sonstiger Hinsicht untragbaren Elemente unter diesen,

b) jener Personen, die für den Wiederaufbau der besetzten Gebiete verwendet werden können.

... Weiter haben die Kommandos von Anfang an bemüht zu sein, unter den Gefangenen auch die zuverlässig erscheinenden Elemente, und zwar gleichgültig, ob es sich dabei um Kommunisten handelt oder nicht, herauszusuchen, um sie für ihre nachrichtendienstlichen Zwecke innerhalb des Lagers und, wenn vertretbar, später auch in den besetzten Gebieten dienstbar zu machen.

Es muß gelingen, durch Einsatz solcher V-Personen und unter Ausnutzung aller sonst vorhandenen Möglichkeiten zunächst unter den Gefangenen alle auszuscheidenden Elemente Zug um Zug zu ermitteln....

Vor allem gilt es, ausfindig zu machen:

alle bedeutenden Funktionäre des Staates und der Partei, insbesondere

Berufsrevolutionäre,... alle Volkskommissare... der Roten Armee, die leitenden Persönlichkeiten... bei den staatlichen Behörden, die führenden Persönlichkeiten des Wirtschaftslebens, die sowjetrussischen Intelligenzler, alle Juden, alle Personen, die als Aufwiegler oder fanatische Kommunisten festgestellt werden...

Exekutionen dürfen nicht im Lager oder in unmittel barer Umgebung des Lagers durchgeführt werden... die Gefangenen sind zur Sonderbehandlung möglichst auf ehemals sowjetrussische Gebiete zu verbringen.« (502-PS, US-486.)

Das Affidavit von Warlimont, dem stellvertretenden Stabschef der Wehrmacht, und das Zeugnis von Ohlendorf, dem früheren Chef von Amt III des RSHA, und von Lahousen, dem Leiter einer der Abteilungen der Abwehr, dem Spionagedienst der Wehrmacht, alle bezeugen die Gründlichkeit, mit der dieser Befehl ausgeführt wurde.

Das Affidavit von Kurt Lindow, einem früheren Gestapo-Beamten, besagt:

»... In den Kriegsgefangenenlagern der Ostfront bestanden kleinere Einsatzkommandos, die von Angehörigen der Geheimen Staatspolizei (Unterbeamten) geleitet wurden. Diese Kommandos waren den Lagerkommandanten zugeteilt und hatten die Aufgabe, die Kriegsgefangenen, die für eine Exekution gemäß den ergangenen Befehlen in Frage kamen, auszusondern und dem Geheimen Staatspolizeiamt zu melden.« (2542-PS, US- 489.)

Am 23. Oktober 1941 sandte der Lagerkommandant des Konzentrationslagers Groß-Rosen an Müller, den Chef der Gestapo, ein Verzeichnis der dort am vorhergehenden Tag hingerichteten Sowjetkriegsgefangenen.

Ein Bericht über die allgemeinen Lebensbedingungen und die Behandlung von Sowjetkriegsgefangenen während der ersten acht Monate nach dem deutschen Angriff auf Rußland war in einem Brief enthalten, den der Angeklagte Rosenberg am 28. Februar 1942 an den Angeklagten Keitel schrieb:

»Das Schicksal der sowjetischen Kriegsgefangenen in Deutschland ist im Gegenteil eine Tragödie größten Ausmaßes... Ein großer Teil von ihnen ist verhungert oder durch die Unbilden der Witterung umgekommen. Tausende sind auch dem Fleckfieber erlegen... haben... die Lagerkommandanten es der Zivilbevölkerung untersagt, den Kriegsgefangenen Lebensmittel zur Verfügung zu stellen und sie lieber dem Hungertode ausgeliefert... in vielen Fällen, in denen Kriegsgefangene auf dem Marsch vor Hunger und Erschöpfung nicht mehr mitkommen konnten, wurden sie vor den Augen der entsetzten Zivilbevölkerung erschossen und die Leichen liegen gelassen. In zahlreichen Lagern wurde für eine Unterkunft der Kriegsgefangenen überhaupt nicht gesorgt. Bei Regen und Schnee lagen sie unter freiem Himmel. Ja, es wurde ihnen nicht einmal das Gerät zur Verfügung gestellt, um sich Erdlöcher oder Höhlen zu graben.« (081-PS, USSR-353.)

In einigen Fällen wurden Sowjetkriegsgefangene mit einem besonderen dauerhaften Merkmal gebrandmarkt. Der OKW-Befehl, datiert vom 20. Juli 1942, wurde als Beweis vorgelegt; derselbe ordnete an:

»Das Merkmal besteht in einem nach unten geöffneten spitzen Winkel von etwa 45° und 1 cm Schenkellänge auf der linken Gesäßhälfte... Es ist mit Lanzetten, wie sie bei jeder Truppe vorhanden sind, auszuführen. Als Farbstoff ist chinesische Tusche zu verwenden...« (USSR-15.)

Die Militärbehörden waren für die Durchführung dieses Befehls verantwortlich, obwohl er in weitem Maße vom Chef der Sicherheitspolizei und des SD an deutsche Polizeibeamte zwecks Kenntnisnahme verteilt wurde.

Außerdem wurden Sowjetgefangene zum Gegenstand medizinischer Versuche grausamster und unmenschlichster Art gebraucht. Im Juli 1943 wurden Versuche zur Vorbereitung eines bakteriologischen Feldzugs begonnen; Sowjetgefangene wurden zu diesen medizinischen Versuchen verwendet; in der Mehrzahl der Fälle hatten diese den Tod zur Folge. Im Zusammenhang mit diesem bakteriologischen Feldzuge wurden auch Vorbereitungen für das Ausstreuen einer Bakterienemulsion von Flugzeugen aus getroffen, mit dem Zweck, ausgedehnte Fehlernten und eine daraus folgende Hungersnot zu erzielen. Diese Maßnahmen kamen nie zur Anwendung, möglicherweise wegen der schnellen Verschlechterung der militärischen Lage Deutschlands.

Der als Verteidigung gegen die Anschuldigung des Mordes und der Mißhandlung von Sowjetkriegsgefangenen angeführte Grund, nämlich daß die USSR die Genfer Konvention nicht unterschrieben hatte, entbehrt jeglicher Grundlage. Am 15. September 1941 protestierte Admiral Canaris gegen die Anweisungen für die Behandlung von Sowjetkriegsgefangenen, die von General Reinecke am 8. September 1941 unterzeichnet worden waren. Damals erklärte er:

»Das Genfer Kriegsgefangenenabkommen gilt zwischen Deutschland und der UdSSR nicht, daher gelten lediglich die Grundsätze des allgemeinen Völkerrechts über die Behandlung von Kriegsgefangenen. Diese haben sich seit dem 18. Jahrhundert dahin gefestigt, daß die Kriegsgefangenschaft weder Rache noch Strafe ist, sondern lediglich Sicherheitshaft, deren einziger Zweck es ist, die Kriegsgefangenen an der weiteren Teilnahme am Kampf zu verhindern. Dieser Grundsatz hat sich im Zusammenhang mit der bei allen Heeren geltenden Anschauung entwickelt, daß es der militärischen Auffassung widerspreche, Wehrlose zu töten oder zu verletzen;... Die als Anl.... beigefügten Anordnungen für die Behandlung sowjetischer Kriegsgefangener gehen von einer grundsätzlich anderen Auffassung aus.« (EC-338, USSR-356.)

Dieser Protest, der die rechtliche Lage richtig wiedergab, wurde nicht beachtet. Der Angeklagte Keitel machte zu dieser Denkschrift eine Notiz:

»Die Bedenken entsprechen den soldatischen Auffassungen vom ritterlichen Krieg! Hier handelt es sich um die Vernichtung einer Weltanschauung! Deshalb billige ich diese Maßnahmen und decke sie.«