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Nachmittagssitzung.

VORSITZENDER: Ich ersuche jetzt Herrn Justice Biddle, das Urteil weiter zu verlesen.

MR. BIDDLE:

Verletzungen internationaler Verträge.

Das Statut definiert als ein Verbrechen das Planen oder die Durchführung eines Angriffskrieges oder eines Krieges unter Verletzung internationaler Verträge. Der Internationale Militärgerichtshof hat entschieden, daß gewisse Angeklagte Angriffskriege gegen zwölf Nationen planten und durchführten und daher dieser Gruppe von Verbrechen schuldig sind. Damit erübrigt es sich, dieses Thema weiter im einzelnen zu erörtern oder des langen und breiten zu untersuchen, inwieweit diese Angriffskriege auch »Kriege unter Verletzung internationaler Verträge, Abkommen oder Zusicherungen« waren. Diese Verträge sind im Anhang C der Anklageschrift aufgeführt. Am wichtigsten hiervon sind die folgenden:

Haager Abkommen.

Im Abkommen von 1899 kamen die vertragschließenden Mächte überein:

»... bevor sie zu den Waffen greifen, die guten Dienste oder die Vermittlung einer befreundeten Macht oder mehrerer befreundeter Mächte anzurufen, soweit dies die Umstände gestatten werden.« (Reichsgesetzblatt 1910, Seite 23, Artikel 2.)

Eine ähnliche Bestimmung wurde in das Abkommen zur friedlichen Beilegung internationaler Streitigkeiten von 1907 aufgenommen. In dem zusätzlichen Abkommen über die Eröffnung von Feindseligkeiten drückt sich der Artikel 1 noch deutlicher aus:

»Die Vertragsmächte erkennen an, daß die Feindseligkeiten unter ihnen nicht beginnen dürfen ohne eine vorausgehende unzweideutige Benachrichtigung, die entweder die Form einer mit Gründen versehenen Kriegserklärung oder die eines Ultimatums mit bedingter Kriegserklärung haben muß.« (Reichsgesetzblatt 1910, Seite 98/99.)

Deutschland war eine der Vertragsmächte dieser Abkommen.

Der Vertrag von Versailles.

Die Anklagevertretung stützt sich auch auf den Bruch gewisser Bestimmungen des Vertrags von Versailles – das linke Rheinufer nicht zu befestigen (Art. 42-44); »die Unabhängigkeit Österreichs unbedingt zu achten« (Art. 80); Verzicht auf alle Rechte im Memelgebiet (Art. 99) und dem Freistaat Danzig (Art. 100); die Anerkennung der Unabhängigkeit des tschechoslowakischen Staates; und die Heeres-, Flotten- und Luftbestimmungen gegen eine deutsche Wiederaufrüstung, die im Teil V enthalten sind. Es besteht kein Zweifel, daß die Deutsche Regierung gegen alle diese Bestimmungen verstoßen hat; Einzelheiten sind im Anhang C angeführt. Mit Bezug auf den Vertrag von Versailles werden folgende Fälle herangezogen:

1. Die Verletzung der Artikel 42 bis 44 über die entmilitarisierte Zone des Rheinlandes;

2. die Annexion Österreichs am 13. März 1938 unter Verletzung des Artikels 80;

3. die Einverleibung des Memelgebietes am 22. März 1939 unter Verletzung des Artikels 99;

4. die Einverleibung des Freistaates Danzig am 1. September 1939 unter Verletzung des Artikels 100;

5. die Einverleibung der Provinzen Böhmen und Mähren am 16. März 1939 unter Verletzung des Artikels 81;

6. der Widerruf der Heeres-, Flotten- und Luftbestimmungen des Vertrags im März 1935.

Am 21. Mai 1935 kündigte Deutschland an, daß es, ungeachtet der Widerrufung der Abrüstungsbestimmungen des Vertrags, noch immer Gebietsbegrenzungen respektieren und sich dem Locarno-Vertrag unterwerfen würde.

Im Hinblick auf die ersten fünf angeschuldigten Verstöße findet der Gerichtshof die Anschuldigung als erwiesen.

Gegenseitige Garantie-, Schieds- und Nichtangriffsverträge.

Es ist nicht nötig, die verschiedenen Verträge, die Deutschland mit anderen Mächten abschloß, im einzelnen zu erörtern. Gegenseitige Garantieverträge wurden von Deutschland im Jahre 1925 in Locarno mit Belgien, Frankreich, Großbritannien und Italien abgeschlossen und die Aufrechterhaltung des territorialen Status quo zugesichert. Außerdem wurden von Deutschland in Locarno Schiedsverträge1 mit der Tschechoslowakei, Belgien und Polen unterzeichnet.

Typisch ist der Artikel 1 des letzteren Vertrags, welcher vorsieht:

»Alle Streitfragen jeglicher Art zwischen Deutschland und Polen,... die nicht auf dem Wege des gewöhnlichen diplomatischen Verfahrens gütlich geregelt werden können, sollen... einem Schiedsgericht... zur Entscheidung unterbreitet werden...« (Reichsgesetzblatt 1925, Teil II, Seite 995.)

Im Jahre 1926 wurden von Deutschland Schieds- und Vermittlungsabkommen mit den Niederlanden und Dänemark eingegangen und zwischen Deutschland und Luxemburg im Jahre 1929.

Nichtangriffsverträge mit Dänemark und Rußland wurden von Deutschland im Jahre 1939 unterzeichnet.