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Schlußfolgerung.

Bis zu der am 30. Juni 1934 einsetzenden Säuberung war die SA zu einem großen Teile eine aus Raufbolden und Draufgängern zusammengesetzte Gruppe, die an den Nazi-Ausschreitungen jener Zeit teilnahmen. Es ist jedoch nicht dargetan worden, daß diese Roheitsakte Teil eines besonderen Planes zur Führung eines Angriffskrieges waren, und der Gerichtshof ist daher nicht der Meinung, daß diese Tätigkeit verbrecherisch im Sinne des Statuts war. Nach der Säuberung war die SA auf den Stand einer unbedeutenden Nazi-Anhängergruppe zurückgegangen. Obwohl in besonderen Fällen einige SA-Einheiten für die Begehung von Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit eingesetzt wurden, kann nicht gesagt werden, daß ihre Mitglieder im allgemeinen an solchen verbrecherischen Handlungen teilnahmen oder auch nur davon wußten. Aus diesen Gründen sieht der Gerichtshof davon ab, die SA als eine im Sinn des Artikels 9 des Statuts verbrecherische Organisation zu erklären.

Die Reichsregierung.

Die Anklagevertretung bezeichnet die Reichsregierung als verbrecherische Organisation, die nach dem 30. Januar 1933 aus den Mitgliedern des gewöhnlichen Kabinetts, aus den Mitgliedern des Ministerrats für die Reichsverteidigung und aus den Mitgliedern des Geheimen Staatsrates18 bestand. Der Gerichtshof ist der Ansicht, daß die Reichsregierung aus zwei Gründen nicht als verbrecherisch erklärt werden soll:

1. da nicht dargetan ist, daß sie nach 1937 jemals in Wirklichkeit als Gruppe oder Organisation tätig gewesen ist;

2. da die hier beschuldigte Personengruppe so klein ist, daß gegen ihre Mitglieder ohne weiteres Einzelverfahren geführt werden können, ohne daß eine Erklärung, wonach die Regierung, deren Mitglieder sie gewesen sind, verbrecherisch war, erforderlich wäre.

Was den ersten Grund für unsere Entscheidung betrifft, so muß bemerkt werden, daß von jenem Zeitpunkt an, der als Beginn des Bestehens einer Verschwörung zur Unternehmung eines Angriffskrieges angesehen werden kann, die Reichsregierung keine Körperschaft mit Regierungsfunktionen mehr bildete, sondern lediglich eine der absoluten Kontrolle Hitlers unterliegende Mehrheit von Verwaltungsbeamten war. Nach 1937 hielt die Reichsregierung nicht eine einzige Sitzung mehr ab, sondern die Gesetze wurden im Namen eines oder mehrerer Mitglieder der Regierung verkündet. Der Geheime Staatsrat19 ist überhaupt nie zusammengetreten. Eine Anzahl der Regierungsmitglieder war zweifellos an der Verschwörung zur Führung eines Angriffskrieges beteiligt; doch waren sie als Einzelpersonen darein verwickelt, und es besteht kein Beweis dafür, daß die Regierung als Gruppe oder Organisation irgendeinen Anteil an diesen Verbrechen nahm. Man wird sich daran erinnern, daß, als Hitler die Mitteilung von den Zielen seines verbrecherischen Angriffs auf der Hoßbach-Konferenz machte, er diese Erklärung nicht vor der Regierung machte, und daß die Regierung in diesem Punkte nicht befragt wurde, sondern daß im Gegenteil die Mitteilung einer kleinen Gruppe gegenüber im geheimen gemacht wurde, auf die sich Hitler bei der Führung seines Krieges notwendigerweise stützen mußte. In gleicher Weise wurde die Invasion Polens nicht durch einen Regierungsbefehl angeordnet. Im Gegenteil: der Angeklagte Schacht bezeugt, daß er die Invasion durch einen an den Oberbefehlshaber der Armee20 gerichteten Protest aufzuhalten suchte, mit der Begründung nämlich, daß Hitlers Befehl eine Verletzung der Verfassung darstellte, da er nicht von der Regierung genehmigt war.

Es ist jedoch offensichtlich, daß verschiedene Gesetze, die zu Handlungen ermächtigten und die nach dem Statut verbrecherisch sind, unter den Mitgliedern der Reichsregierung in Umlauf gesetzt und von jenen Mitgliedern, deren Verwaltungszweige betroffen waren, unterzeichnet wurden. Damit ist jedoch nicht bewiesen, daß die Reichsregierung nach 1937 sich jemals tatsächlich als Organisation betätigt hat.

Was den zweiten Grund betrifft, so ist es klar, daß jene Mitglieder der Reichsregierung, die sich eines Verbrechens schuldig gemacht haben, zur Verantwortung gezogen werden müssen; und eine Anzahl von ihnen steht jetzt auch vor diesem Gerichtshof. Die Zahl der Mitglieder dieser Gruppe wird auf 48 geschätzt, von denen 8 tot sind und 17 jetzt vor Gericht stehen, so daß im Höchstfall 23 verbleiben, für die die Erklärung von Bedeutung sein könnte. Alle anderen, die schuldig sind, sollen vor Gericht gestellt werden; es wäre aber nichts für die Beschleunigung oder Erleichterung ihrer Prozesse gewonnen, wenn die Reichsregierung als verbrecherische Organisation erklärt würde. Dort, wo eine Organisation mit großer Mitgliederzahl zu solchen Zwecken verwendet wurde, macht eine Erklärung es überflüssig, ihren verbrecherischen Charakter im Zuge späterer Prozesse festzustellen, die gegen ihre der Teilnahme an ihren verbrecherischen Zwecken durch die Tatsache ihrer Mitgliedschaft angeklagten Mitglieder geführt werden, und man spart so Zeit und Mühe. Ein derartiger Vorteil besteht jedoch nicht im Falle einer kleinen Gruppe, wie es die Reichsregierung ist.