Schlußfolgerung.
Der Gerichtshof erklärt Dönitz nicht schuldig nach Punkt Eins der Anklage, jedoch schuldig nach Punkt Zwei und Drei.
Raeder.
Raeder ist unter Punkt Eins, Zwei und Drei angeklagt. Im Jahre 1928 wurde er Chef der Marineleitung und im Jahre 1935 Oberbefehlshaber der Kriegsmarine (OKM); im Jahre 1939 wurde er von Hitler zum Großadmiral ernannt. Er gehörte dem Reichsverteidigungsrat an. Am 30. Januar 1943 wurde er auf eigenen Wunsch durch Dönitz ersetzt, und er erhielt den Titularrang Admiralinspekteur der Marine.
Verbrechen gegen den Frieden.
Während der 15 Jahre seiner Befehlsführung baute Raeder die deutsche Marine auf und leitete sie; er übernimmt volle Verantwortung bis zu seinem Rücktritt im Jahre 1943. Er gibt zu, daß die Marine den Versailler Vertrag verletzte, besteht aber darauf, daß es »die Ehrensache eines jeden Mannes« war, dies zu tun, und behauptet, daß die Verletzungen meistenteils unbedeutend waren, und daß Deutschland weniger als die ihm zustehende Stärke baute. Diese Verletzungen, sowie die des englisch-deutschen Flottenabkommens vom Jahre 1935 sind schon an einer anderen Stelle dieses Urteils behandelt worden.
Raeder empfing am 24. Juni 1937 durch von Blomberg die Weisung, die Sondervorbereitungen für einen Krieg gegen Österreich forderte. Er war einer der fünf Führer, die bei der Hoßbach-Besprechung am 5. November 1937 zugegen waren. Er behauptet, daß Hitler durch diese Konferenz das Heer nur zu einer schnelleren Aufrüstung anspornen wollte, besteht darauf, daß er des Glaubens war, daß die österreichische und die tschechoslowakische Frage friedlich gelöst werden würden, wie es auch geschah, und verweist auf das neue Flottenabkommen mit England, das gerade unterzeichnet worden war. Es seien ihm keine Befehle für eine Beschleunigung des U-Bootbaues zugegangen, was bedeutete, daß Hitler keinen Krieg plante.
Raeder erhielt Weisungen bezüglich des »Falles Grün« und solche über den »Fall Weiß«, die mit der des 3. April 1939 ihren Anfang nahmen; die letztere gab der Marine die Anweisung, das Heer durch das Eingreifen von der See aus zu unterstützen. Er war auch einer der wenigen Hauptführer, die bei der Konferenz vom 23. Mai 1939 anwesend waren. Er war ferner bei der Befehlserteilung am 22. August 1939 auf dem Obersalzberg zugegen.
Der Gedanke der Invasion Norwegens entstand zuerst in Raeders Hirn und nicht in dem Hitlers. Obwohl Hitler, wie aus seiner Weisung vom Oktober 1939 hervorgeht, wünschte, Skandinavien neutral zu halten, unterzog die Marine die Vorteile der dortigen Flottenstützpunkte schon im Oktober einer Prüfung. Admiral Carls schlug ursprünglich Raeder die begehrenswerten Aussichten der Gewinnung von Stützpunkten in Norwegen vor. Ein Fragebogen vom 3. Oktober 1939, der die Ansichten über die Erwünschtheit solcher Stützpunkte forderte, machte in der Seekriegsleitung (SKL) die Runde. Am 10. Oktober besprach Raeder diese Angelegenheit mit Hitler; die Eintragung in seinem Kriegstagebuch für diesen Tag besagt, daß Hitler beabsichtigte, diese Angelegenheit in Erwägung zu ziehen. Einige Monate später sprach Hitler zu Raeder, Quisling, Keitel und Jodl, das Oberkommando der Wehrmacht (OKW) begann mit seiner Planung, und die Seekriegsleitung arbeitete mit OKW-Stabsoffizieren zusammen. Raeder erhielt Keitels Weisung für Norwegen am 27. Januar 1940 und die darauffolgende Weisung vom 1. März, die von Hitler unterschrieben war.
Raeder verteidigt seine Handlungen mit der Begründung, daß sie Schachzüge waren, um den Engländern zuvorzukommen.30 Es ist unnötig, noch einmal diesen Einwand zu diskutieren, der vom Gerichtshof bereits eingehend mit dem Ergebnis behandelt worden ist, daß die deutsche Invasion Norwegens und Dänemarks eine Angriffskriegshandlung war. In einem Schreiben an die Marine führte Raeder aus: »Die Kampfhandlungen der Marine bei der Besetzung Norwegens werden für alle Zeiten der große Beitrag der Marine zu diesem Kriege bleiben.«
Raeder empfing die Weisungen einschließlich der unzähligen Aufschübe für Angriff im Westen. Bei einer Konferenz mit Hitler am 18. März 1941 drängte er auf die Besetzung ganz Griechenlands. Er behauptet, daß dies nur geschehen sei, nachdem die Engländer eine Landung vorgenommen hatten und Hitler den Angriff befohlen hatte, und weist darauf hin, daß die Marine nicht an Griechenland interessiert war. Er empfing Hitlers Weisung über Jugoslawien.
Raeder versuchte, Hitler von einem Angriffsunternehmen gegen die UdSSR abzubringen. Im September 1940 drängte er Hitler zu einer Angriffspolitik im Mittelmeer als Ersatz31 für einen Angriff auf Rußland. Am 14. November 1940 drängte er auf einen Krieg gegen England »als unseren Hauptgegner« und die Fortsetzung des Unterseeboot- und Marineflugzeugbaues. Aufzeichnungen der deutschen Seekriegsleitung zufolge brachte er »schwerwiegende Einwendungen gegen den russischen Feldzug vor der Niederlage Englands« zum Ausdruck. Er behauptet, daß seine Einwendungen auf der Verletzung des Nichtangriffspaktes sowie strategischen Gründen aufgebaut gewesen seien. Nachdem jedoch der Entschluß einmal gefaßt war, gab er sechs Tage vor dem Angriff auf die Sowjetunion seine Einwilligung zu Angriffen auf russische Unterseeboote in der Ostsee innerhalb eines festgesetzten Warnungsgebietes und verteidigt diese Maßnahmen mit der Begründung, daß diese Unterseeboote die deutschen Unternehmungen »ausspionieren« wollten.
Dieses Beweismaterial zeigt klar, daß Raeder an der Planung und Führung eines Angriffskrieges teilnahm.