|
Durch einen Artikel von Fritjof Meyer über die Zahl der Opfer von Auschwitz wurde eine Kontroverse ausgelöst, die beim THHP dokumentiert wird. Die Artikel und Beiträge dieser Dokumentation geben keine Stellungnahmen des THHP wieder, sondern die der jeweiligen Autoren. Der folgende Artikel wurde erstmals veröffentlicht in IDGR-Website. 27.1.2004 und erscheint nun mit Genehmigung der Autoren in THHP-Website "Unglaubhaft, nicht vorstellbar"Wie der Judenmord zur Glaubensfrage wirdvon Albrecht Kolthoff In der Kontroverse um Fritjof Meyers "Osteuropa"-Artikel hatte nach einiger Zeit eine fachwissenschaftliche Antwort aus der Feder von Franciszek Piper die Thesen des "Spiegel"-Redakteurs gerade gerückt. Es vergingen nur wenige Tage, bis Meyer eine umfängliche Replik herausgab. Leider ist dieser Replik eine gewisse Eile beim Verfassen anzumerken; ebenso ist der Verzicht auf Quellen-Nachweise ein schwerer Mangel, der es an vielen Stellen kaum möglich macht, auf die zahlreichen Detailbehauptungen angemessen einzugehen. Der nonchalante Hinweis, auf Fußnoten werde verzichtet, "da die Quellen bekannt sind", nimmt der Replik von vornherein viel von einer Chance, als Bestandteil einer wissenschaftlichen Debatte wahrgenommen zu werden und verweist sie in eine Grauzone, die leider an eine deutlich wahrnehmbare Braunzone grenzt, in der Meyers Thesen enthusiastisch aufgenommen werden. Dafür kann Fritjof Meyer nichts, wie es scheint; gegen Beifall aus unerwünschter Ecke ist niemand gefeit. Dennoch lohnt sich auch ein genauerer Blick auf die Umstände der Debatte, doch zunächst sollen die Inhalte im Mittelpunkt stehen. Die wesentlichen FragenDie gesamte Kontroverse leidet an einer wenig strukturierten Darlegung, worum es eigentlich geht und wie es nachgewiesen werden soll. Meyer führte eine Reihe von Aspekten an, die zwar über einige Seiten hin ausgebreitet werden, aber eine stringente und strukturierte Argumentation vermissen lassen. Der Eindruck drängt sich auf, dass ein Arsenal von Details geöffnet wurde, wobei jedes dieser Details gewissermaßen ein Tropfen eines Stromes sein soll, der zur Erosion des Massivs der "Geschichtsforschung" beitragen soll, die zwar einen "Forschungsstand" aufweise (den Meyer ja gerade angreift), andererseits aber "das Thema Auschwitz als Forschungsobjekt nicht akzeptiert" habe[1] und nun eben durch Außenseiter (wie den im letzten Jahr verstorbenen Jean-Claude Pressac und Meyer) auf Trab gebracht werden müsse. Aus der Hamburger Redaktion wurde versprochen, erstmalig lasse sich nun "genauer errechnen, wieviel Menschen in Auschwitz ermordet wurden"[2] . An dieser Stelle soll nicht versucht werden, auf jedes Detail der Meyer'schen "Replik" einzugehen; eine Reihe von weiteren Aspekten dieser "Replik" wird in einem gesonderten Artikel ausführlich behandelt. Wichtig scheint dagegen zunächst, die wesentlichen Argumentationslinien herauszuarbeiten, die im Wust der Faktenflut unterzugehen drohen. In seinem ursprünglichen Artikel kam Meyer zu diesen zentralen Ergebnis-Aussagen:
Beim Versuch, im Strom der Details die wesentlichen Fragen zu identifizieren, stellten sich zwei Komplexe als zentrale Argumentationslinien heraus:
Beide Komplexe hatte Piper ausführlich behandelt; darüber hinaus hatte er zu einer Reihe der von Meyer angeführten Details Stellung genommen. Leider muss man jedoch feststellen, dass Meyer in seiner Replik auf die zentrale Argumentation Pipers nicht eingeht; indem er statt dessen weiter sein Detail-Arsenal sprudeln lässt, vermeidet er die Auseinandersetzung mit den wesentlichen Fragen. Die Kapazität der KrematorienFranciszek Piper hatte unmissverständlich klar gemacht, dass der Ansatz über die Krematorien-Kapazität fehl gehen muss. Bezeichnenderweise kritisierte Piper die Verwendung dieser Methodik von verschiedenen Seiten, bei denen "das von der sowjetischen Kommission verwendete Schätzungsverfahren bis auf den heutigen Tag Zustimmung findet, sowohl bei denen, die an dieser Zahl festhalten oder sie gar erhöhen, als auch bei jenen, die sich für eine Herabsetzung aussprechen"[3]. Piper führt zwei zentrale Argumente für die Unzuverlässigkeit der Kapazitäts-Methodik an[4]:
Nun hätte Meyer auf diese beiden Argumente eingehen müssen; er hätte darlegen müssen
Beides hat Meyer in seiner Replik nicht getan, er ist Antworten auf die zentralen Argumente schuldig geblieben. Die Zahl der DeportiertenMeyer hatte vor allem zwei Gruppen von nach Auschwitz-Birkenau deportierten Juden im Auge, für die er nachweisen wollte, dass die Zahlen in der Forschung wesentlich überhöht angegeben würden:
Meyer hatte sich als zentrale Quelle für seine reduzierten Zahlen im wesentlichen auf das "Kalendarium"[5] von Danuta Czech gestützt, in dem in Form einer Chronik Angaben über die in Auschwitz eingetroffenen Transporte gemacht werden, dagegen hatte er andere Quellen für Deportationszahlen verworfen. Pipers wesentliche Argumente lauteten:
Auf beide Argumente ist Meyer in seiner Replik nicht eingegangen. Des weiteren hatte Meyer eine wesentlich höhere Zahl für die Deportierten angegeben, die zwar nach Auschwitz deportiert, von dort aus aber in andere Lager überstellt wurden und daher bei der Ermittlung der Opferzahlen von der Zahl der Deportierten abgezogen werden müssen. In der Forschung waren dafür Angaben zwischen 210.000 und 225.000 genannt worden[7]; Meyer dagegen zählte zu dieser Zahl noch 110.000 ungarische Juden hinzu, die in andere Lager überstellt worden seien. Piper hatte nachgewiesen, dass die in andere Lager überstellten ungarischen Juden (deren Zahl im übrigen mit 110.000 mehrfach überhöht sei) bereits in dieser zuerst genannten Zahl enthalten seien; Meyer hatte demnach in seiner "Bilanz" 110.000 zuviel Überlebende veranschlagt. Auch darauf ist Meyer in seiner Replik nicht eingegangen, sondern beharrt schlicht darauf: "225000 Häftlinge und 110000 aus Ungarn wurden in andere Lager überstellt", ohne auch nur den Versuch zu machen, dafür einen Nachweis zu erbringen. Selektive QuellenEs fällt durchgehend auf, dass Meyer seine Quellen äußerst selektiv verwendet: er benutzt diejenigen Angaben, die in sein vorgefertigtes Bild passen, dagegen werden Angaben, die dieses Bild stören würden, ohne weitere Argumentation als unzutreffend verworfen oder schlichtweg ignoriert bzw. unterschlagen. So verwendet er fälschlich das "Kalendarium" als erschöpfende Quelle, solange es um Zahlen von eingelieferten Deportierten geht, wie am Beispiel der Ungarn-Aktion deutlich wurde; auf den Einwand, die Angaben des "Kalendariums" dazu könnten gar nicht als definitive Aussage verwendet werden, ging Meyer in seiner Replik auf Piper nicht ein. Noch deutlicher wird Meyers unredlicher Umgang mit Quellen bei der Frage der ungarischen Deportierten. Die in der Forschung bekannte Gesamtzahl von insgesamt etwa 430.000 Deportierten, die aus einer Reihe von ungarischen und deutschen Dokumenten hervorgeht, hatte er in dem "Osteuropa"-Artikel ohne Weiteres als "wohl übertriebene[...] Meldungen der ungarischen Polizei"[8] abgetan. Als Zahl der Deportationszüge erscheinen bei ihm anhand einer Zählung auf Grundlage des "Kalendariums" 60 Züge, die aus den ungarischen und deutschen Dokumenten bekannte Zahl von etwa 140 Zügen wurde von Meyer als "nach einer zweifelhaften Unterlage"[9] abgefertigt. Auch in seiner "Replik" blieb Meyer bei dem untauglichen Versuch, die Zahl der Deportationszüge (und damit der Deportierten) anhand des "Kalendariums" zu ermitteln: "Ich berufe mich [...] schlicht auf den von Czech notierten Eingang von Transporten."[10] Ohne jeden weiteren Nachweis behauptet Meyer dann: "Die etwa doppelt so hohen Zahlen des deutschen Diplomaten Veesenmayer stammen von der ungarischen Polizei, die ihre Gründe für Übertreibungen hatten." Die Bemerkung über die "zweifelhafte Unterlage" verdient eine nähere Betrachtung. Meyer bezog sich dabei auf ein Dokument, das von Götz Aly und Christian Gerlach in ihrem Buch über die Ungarn-Aktion[11] mehrfach zitiert bzw. als Argumentationsgrundlage verwendet wurde. Es handelt sich um eine Liste mit der Bezeichnung "Zusammenstellung der in der Zeit vom 16.V. bis 20.9. 1944 im Konzentrationslager Auschwitz II Birkenau eingetroffenen Transporte/Maenner/", die allerdings nur als im August 1945 (und damit nach Kriegsende) erstellte Abschrift vorlag. Aly und Gerlach räumten selbst ein, diese von Gerlach im Yad-Vashem-Archiv gefundene Liste habe eine "zweifelhafte Überlieferung"[12], dennoch hielten sie das Dokument für echt und damit die enthaltenen Angaben für zuverlässig, weil sie mit anderen, bereits bekannten Dokumenten übereinstimmten. Ergebnisse einer künftigen Quellenkritik dahingestellt, gehen aus diesem Dokument jedenfalls verschiedene Dinge hervor. Zum einen enthält es eine Gesamtzahl der Deportationen (Deportationszüge), zum anderen lesen Gerlach und Aly daraus eine Zahl derjenigen ungarischen Deportierten ab, die nicht umgehend in Auschwitz-Birkenau ermordet, sondern zur Arbeit ausgesondert wurden. (Diese Schlussfolgerung bedarf ebenfalls weiterer Diskussion; zum Zwecke dieser Auseinandersetzung mit Meyer sei sie jedoch zunächst nicht weiter hinterfragt.) Gerlach /Aly schreiben mehrfach - und das mit Bezug auf das genannte Dokument - von "etwa 430.000" ungarischen Juden, die nach Auschwitz deportiert wurden[13], von "insgesamt 141" Deportationszügen im Zeitraum 16. Mai bis 11. Juli 1944[14]. Dann schreiben sie - wiederum mit Bezug auf das genannte Dokument - dass die "Gesamtzahl der vorläufig von der Ermordung Ausgenommenen bei etwa 110.000 Menschen"[15] gelegen haben dürfe; eine spekulative Schlussfolgerung, die sicherlich weiterer kritischer Diskussion bedarf, jedoch bei der vorsichtigen Ausdrucksweise gewagt, aber nicht unzulässig ist. Fritjof Meyer kennt das Buch von Gerlach und Aly, denn er zitiert mehrfach daraus und bezieht sich dabei auch auf das genannte Dokument. Wie geht Meyer damit um? Man kann es nicht anders als schizophren nennen. In dem Augenblick, wo es um die Gesamtzahl der Deportationen geht, die dort mit 141 beziffert wird, ist das Dokument für Meyer eine "zweifelhafte Unterlage"[16]; in dem Augenblick jedoch, wo es um die Zahl der von der Ermordung Ausgenommenen (110.000) geht, wird das selbe Dokument zur nicht hinterfragbaren Quelle geadelt und als Teil einer Veröffentlichung mit der "ersten gründlichen Darstellung des Arbeitseinsatzes"[17] zitiert. Auch in seiner "Replik" hält Meyer daran fest: "Für die Überstellung von 110000 Juden aus Ungarn in andere Konzentrationslager nenne ich in erster Linie Gerlach/Aly als Quelle", wobei Meyer noch das Detail entgeht, dass Gerlach/Aly eben nicht von (in andere Lager) "Überstellten" geschrieben hatten, sondern von "vorläufig von der Ermordung Ausgenommenen". Wie immer diese schizophrene Behandlung der Quellen zustande gekommen sein mag, ob durch selektive Wahrnehmung eines auf ein bestimmtes Erkenntnis-Ziel geeichten Intellekts oder durch schlichte Schlamperei - im Ergebnis bleibt ein Geschichtsrevisionismus, der nicht erst bei der Bewertung der Tatsachen in die Irre geht, sondern bereits bei der Darstellung der Fakten scheitert. Geschichtsrevisionismus und HolocaustleugnungMan kommt nicht umhin, auf das Verhältnis des Autors Meyer zu Geschichtsrevisionismus und Holocaustleugnung einzugehen. Es steht außer Frage, dass Meyer revisionistische Thesen vertritt, mit denen wesentliche Bestandteile des Forschungsstandes in Frage gestellt und revidiert werden sollen; neben der Frage der Opferzahl von Auschwitz hat Meyer in seiner "Replik" auch angekündigt, er sei in der Lage, eine "gesonderte Untersuchung der Deportierten aus Ungarn" zu veröffentlichen, in der er nachweisen könne, dass die Zahl von etwa 430.000 deportierten ungarischen Juden tatsächlich nur etwa die Hälfte betragen habe. Darüber hinaus vertritt Meyer - wie in der detaillierten Untersuchung seiner "Replik" deutlich wird - eine grundlegende Umwertung der Fakten, indem er behauptet, die Judenvernichtung sei nicht aus Rassenhass erfolgt, sondern habe nur arbeitsunfähigen Juden gegolten und sei damit "wirtschaftlichen Interessen" entsprungen. Die Judenvernichtung unterscheide sich nicht wesentlich von der Ermordung von Geisteskranken und Behinderten, von Kriegsgefangenen, schwerverwundeten Soldaten oder Bombenopfern; schließlich hätte Hitler sogar vorgehabt, das deutsche Volk umkommen zu lassen so wie die arbeitsunfähigen Juden. Geschichtsrevisionismus ist allerdings, wenn auch vielleicht nicht tägliches Brot, so doch gängiges und legitimes Vorhaben und Vorgehen von Historikern. Neue Erkenntnisse bedingen die Revision alter Gewissheiten. Gäbe es keinen Revisionismus, gäbe es keinen Erkenntnisfortschritt. Um etwas völlig Anderes handelt es sich bei Holocaust-Leugnern, die völlig zu Unrecht für sich den Begriff "Revisionisten" reklamieren. Die langjährige Auseinandersetzung mit der Holocaustleugnung hat gezeigt, dass deren Vertreter durch die Bank von einer ideologischen Motivation getrieben sind, die im Kern den historischen Nationalsozialismus rehabilitieren und ihn als denkbare politische Alternative etablieren will. Tatsächlich stellen Holocaustleugner eine totalitäre Sekte dar, die einem obersten Glaubensgrundsatz folgen, der ihr Weltbild prägt und das gesamte Leben der Sekten-Angehörigen durchzieht; darin sind sie durchaus UFO-Gläubigen oder Scientologen ähnlich. Entsprechend dem Streben nach Weißwaschen des Nationalsozialismus ist Holocaustleugnern ein zugrunde liegender Antisemitismus zu eigen, der sich in einer zwanghaften Beschäftigung mit dem Judentum und dessen eigener Schuld an der (eigentlich ja nach eigener Verlautbarung gar nicht stattgefundenen) Vernichtung äußert. Nur der Glaube allein reicht jedoch nicht, jedenfalls für die Intelligenteren unter ihnen, und daher wird - wie auch bei UFO-Forschern und Scientologen - ein ganzes pseudowissenschaftliches Gebäude errichtet, in dem dem ersten Anschein nach mit den gleichen Instrumenten hantiert wird wie in der wissenschaftlichen Forschung. Veröffentlichungen, Zeitschriften, Essays, Fußnoten - es wird eine Mimikry betrieben, die in sich eine gewisse Schizophrenie trägt: Es wird ja gerade die Wissenschaft bekämpft, die nach dem Glauben der Sektenanhänger "gekauft" oder "korrupt" ist oder von "zionistischen Agenten" betrieben wird; gleichzeitig wird jedoch versucht, diese Wissenschaft nachzuäffen und sich an ihre Stelle zu setzen. Fritjof Meyer hat offenbar eine andere Sichtweise: für ihn sind Holocaustleugner zwar "unwürdige Werkzeuge", aber sie haben dennoch "sehr emsig Details gesammelt"[18]. Offenbar war das für Meyer Grund genug, nicht nur die Produkte von Holocaustleugnern zu zitieren und damit als wissenschaftlicher Erkenntnis förderlich einzuführen, sondern sich auch auf einen Dialog mit Holocaustleugnern einzulassen und sie als Gesprächspartner einer Forschungsdebatte zu akzeptieren. So hatte er nach Angaben von Germar Rudolf, einem "Cheftheoretiker" der Holocaustleugner-Community und in der Bundesrepublik wegen Volksverhetzung verurteilt, mit diesem einen Gedankenaustausch über Meyers Artikel und eine Auseinandersetzung Rudolfs damit[19]. Dagegen ist für Meyer der "massenhafte [..] Gasmord in den Krematoriumskellern" nichts anderes als "Propaganda [...] sowjetischer Observanz"[20]. Das ist nun allerdings ein Satz, mit dem man sich bei Holocaustleugnern gut als Gesprächspartner für einen Gedankenaustausch einführen kann; vollkommen ungeeignet ist er als Ausgangspunkt für eine wissenschaftliche Befassung mit dem Thema. Meyer macht in seiner "Replik" deutlich, dass er sich offenbar gut auskennt in der Literatur der Holocaustleugner. Mehr noch: an einigen Stellen übernimmt er deren Argumentation. So baut er etwa eine "Sequenz" von Ereignissen auf, die im Zuge einer Vergasungsaktion in den Gaskammern der Krematorien von Auschwitz-Birkenau notwendigerweise abgelaufen sein müsse, die er in drei Schritte aufgliedert, die von Zeugen beobachtet werden konnten:
Wenn nun ein Zeuge, so Meyer, nur einen einzelnen dieser drei Schritte habe beobachten können, so könne jeweils eine Erklärung gefunden werden, die nicht auf den Massenmord durch Giftgas hinweise. So könne etwa das Einschütten von Gift "einer Entwesung von Kleidern oder auch Fleckfiebertoten gedient haben"[21]. Diese Erklärungsversuche der Harmlosigkeit der Gaskammern sind nun allerdings bestens aus der holocaustleugnenden Literatur bekannt. Dass sie erstens keinerlei faktische Grundlage haben, sondern nichts als Spekulation darstellen, und dass sie zweitens ziemlichen Unfug darstellen (wozu sollten "Fleckfiebertote" in einem Leichenkeller von Ungeziefer befreit werden?), scheint Meyer bei der Übernahme dieser Holocaustleugner-Ausflüchte nicht gestört zu haben. (Die Entlausung von durch Krankheit Verstorbenen hatte schon Irving in seinem Prozess erfolglos zu etablieren versucht.) Auch beim "Eintritt in die Entkleidungskeller" sieht Meyer wie schon verschiedene Holocaustleugner eine harmlose Variante: er "ließe an eine Desinfektion denken", denn "echte Brausen und Entwesungsöfen waren in den Krematorien installiert worden". Davon stimmt nun gar nichts. In den Gaskammern waren Brausekopf-Attrappen angebracht; was Meyer in diesem Zusammenhang mit "Entwesungsöfen" meint, bleibt unverständlich. In den Gaskammern waren jedenfalls keine Öfen angebracht. Für eine der vorgeschlagenen Alternativ-Erklärungen muss Meyer sich schon entscheiden: Wurde da etwa geduscht, während von oben SS-Leute Gift einstreuten, um Kleidung und/oder Leichen zu entlausen? Beide Erklärungsversuche für die Gaskammern sind von Holocaustleugnern bekannt; dazu kommen noch die auch von Meyer strapazierten "Luftschutzkeller". Das Problem besteht allerdings darin, dass sich für diese Hirngeburten keinerlei Nachweise finden lassen (außer in der eigenen Phantasie) und dass man sich damit schnellstens in Widersprüche verwickelt. Auch der Vorbehalt, nur die komplette und lückenlose Beobachtung sämtlicher mit einer Vergasungsaktion verbundenen Vorgänge könne als glaubwürdiger Zeugenbericht anerkannt werden, ist bestens bekannt. Absurder Unfug bleibt er trotzdem, denn komplexe Vorgänge, so wie es auch die Menschenvergasung in Auschwitz-Birkenau einer war, zeichnen sich ja gerade durch arbeitsteilige Organisation aus - insbesondere, wenn gerade durch diese Arbeitsteilung umfassende Kenntnis verhindert werden soll. Die Transport-Begleitmannschaften mussten das Lager verlassen, nachdem sie ihre Züge an die Rampe gefahren hatten; die SS-Männer an der Rampe übergaben die Opfer nach der Selektion an ein Transportkommando, bei den Krematorien wurden sie von Stamm-Mannschaften übernommen. Nach diesem Muster könnte man die Produktion von Automobilen als unmöglich erklären, denn es gibt wohl kaum einen Zeugen, der sämtliche Schritte und Vorgänge dieses komplexen Ereignisses lückenlos verfolgt hat. Eine Erklärung für die zahlreichen Zeugenberichte über den Gasmord in den Krematorien von Auschwitz-Birkenau und für die fehlenden Zeugenaussagen für Duschen, Leichen-Entlausungen oder Luftschutzkeller lässt sich nur konstruieren, wenn man Zeugenverschwörung und Erpressung von Geständnissen gigantischen Ausmaßes annimmt. Den Schritt hat Meyer allerdings noch vor sich. In seiner "Replik" erscheinen dann auch Formulierungen, die Aufschluss über die Motivation des Autors Meyer geben können, sich dieser in seiner Sicht andauernden sowjetischen Kriegspropaganda zu stellen: wenn die "horrende Zahl" (die ursprüngliche Vier-Millionen-Zahl der sowjetischen Untersuchungskommission) als "'Keule' (Walser) gegen das deutsche Tätervolk" gebrandmarkt wird, wenn der aus Rassenhass begangene Judenmord "eine nicht vorstellbare und nicht belegbare Phantasmagorie" ist, wenn selbst der heutige Forschungsstand eine "irritierend unglaubhafte Millionenzahl" ist, dann wird deutlich, dass die "Vergangenheit, die nicht vergehen will" (um den von Meyer als "respektablen Geschichtsphilosophen" bezeichneten Ernst Nolte zu paraphrasieren) für Fritjof Meyer zur Glaubensfrage geworden ist. Niemand ist gezwungen, sich den aus Rassenhass begangenen Völkermord vorstellen zu können oder bestimmte Dimensionen des Völkermords zu glauben; historische Forschung ist jedoch keine Vorstellungs- oder Glaubensfrage. Bei Meyer wird allerdings ein negativer Glaube zum Ausgangspunkt für seine Uminterpretation der Geschichte; wie gezeigt werden konnte, bedeutet solche Geschichtsrevision jedoch nicht nur eine Umwertung der Fakten, sondern setzt Verfälschung der Fakten selbst voraus. Es werden Wille und Absicht deutlich, die Tatsachen wegzuerklären, die Realität so weit zu biegen, bis sie in das Schema des eigenen Glaubens oder Unglaubens passt. So wie Meyer sich rhetorisch bei Walser und Hohmann bedient, so zeigt auch die detaillierte inhaltliche Analyse der Meyer'schen Thesen (siehe dazu den gesonderten Artikel), dass sie wenig originell sind: Er bedient sich in seinen Alternativerklärungen zum Massenmord in den Gaskammern der Krematorien von Auschwitz-Birkenau vorwiegend aus dem Fundus der Holocaustleugner. Meyer ist kein Holocaust-Leugner, denn er streitet ja nicht ab, dass auch viele Juden von den Nazis umgebracht wurden - er benutzt nur die Argumentoide von Holocaustleugnern. Ihm geht es auch nicht nur um Auschwitz, wie an seiner Ankündigung deutlich wird, als nächstes die Ungarn-Deportationen revidieren zu wollen. Verloren gehen bei Fritjof Meyer allerdings Absicht und Versuch der Nationalsozialisten, die europäischen Juden vollständig auszurotten, und zwar aus dem Grunde, weil sie Juden waren: bei ihm wurden die Juden "gemäß der Aktion 14f13" ermordet. Antisemitismus und Rassenhass kommen da als Triebkraft nicht mehr vor. Wie sehr dabei die Perspektiven und Maßstäbe ins Bodenlose verrutschen, wird deutlich, wenn der Mord an den europäischen Juden bei Meyer zum Mord an einer Gruppe von Arbeitsunfähigen unter vielen anderen solchen Gruppen von Arbeitsunfähigen wird und schließlich sogar zu einer Zwischenetappe auf dem Weg zur Auslöschung des deutschen Volkes, die der wahnsinnige Diktator am Ende vorgehabt habe. Diese Auslöschung hat aber bekanntlich nicht stattgefunden; statt dessen hat das deutsche Volk lange unter der Keule gelitten und nun muss es erlaubt sein, der Feindpropaganda entgegen zu treten, und wenn es mit der Erfindung von "Stop-Befehlen" ist. Sven Felix Kellerhoff hatte in seinem Artikel in der "Welt" geschrieben, Meyer habe den Holocaust-Leugnern "den kleinen Finger gereicht"[22]. Jetzt haben sie ihn in der Hand, denn er hat sich durch die Wahl seiner Argumente selbst dort hinein begeben.. Dass manche Holocaustleugner bei diesem Diskurs zwischen Grau- und Braunzone das eine oder andere kleine Zugeständnis machen, wessen Meyer sich in seiner "Replik" rühmt, ist taktischen Erwägungen zuzuschreiben: Mit Speck fängt man Mäuse. Anmerkungen:
Die Kontroverse um Fritjof Meyers Artikel in "Osteuropa" | ||||
Last modified: October 15, 2006
|