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Durch einen Artikel von Fritjof Meyer über die Zahl der Opfer von Auschwitz wurde eine Kontroverse ausgelöst, die beim THHP dokumentiert wird. Die Artikel und Beiträge dieser Dokumentation geben keine Stellungnahmen des THHP wieder, sondern die der jeweiligen Autoren. Der folgende Artikel wurde erstmals veröffentlicht in IDGR-Website. 25.11.2003 und erscheint nun mit Genehmigung der Autoren in THHP-Website Editorische Bemerkung: Der Artikel wurde anhand der englischen Übersetzung des im Original auf Polnisch erschienenen Artikels von Franciszek Piper verfasst, um zum einen das umfangreiche Material zusammenzufassen und zum anderen einen Zugang zu der Kritik an Meyers Thesen in deutscher Sprache zu ermöglichen. Im Dezember 2003 erschien dann auf der Website des Auschwitz-Museums auch eine deutsche Übersetzung des Piper-Artikels; beide Fassungen sind von hier aus verlinkt. Kapazitäten klein gerechnetEin amateurhafter Versuch der Relativierung von Auschwitz und sein Scheiternvon Albrecht Kolthoff Mit dem Ende des Dritten Reiches wurden zahlreiche Orte des nationalsozialistischen Massenmordes zu Synonymen für die organisierte Barbarei. Von Anfang an hatte Auschwitz eine herausragende Stellung: in dieses Lager wurden zivile wie Kriegsgefangene aus Polen und der Sowjetunion sowie Zigeuner aus einer Reihe von Ländern eingeliefert und schließlich als größte Gruppe Juden aus dem gesamten Herrschaftsbereich des Dritten Reichs deportiert; aus diesem Konzentrations- und Vernichtungslager wurden Berichte über den laufenden Massenmord herausgebracht, die noch während des Krieges die Alliierten erreichten. Seit der Befreiung des Lagers Anfang 1945 wurde mehrfach versucht, die Zahl der Todesopfer festzustellen. Aufzeichnungen der Lagerleitung oder der SS waren nicht verfügbar, und so war man auf andere, indirekte Nachweise angewiesen. Der letzte Stand der Forschung wurde in deutscher Sprache 1993 mit der Untersuchung "Die Zahl der Opfer von Auschwitz" von Franciszek Piper veröffentlicht[1]. Piper, seit 1965 Mitarbeiter und derzeitiger Leiter der historischen Forschungsabteilung am Staatlichen Auschwitz-Museum, kam in seiner Untersuchung zu dem Ergebnis, dass in Auschwitz von insgesamt 1,3 Millionen Deportierten mindestens 1,1 Millionen ermordet sowie durch Hunger, Misshandlungen und Krankheiten umgebracht wurden, von diesen Todesopfern waren etwa 960.000 Juden. Auschwitz ist auch für Holocaustleugner ein Angelpunkt ihrer Bemühungen gewesen, die Vernichtung der europäischen Juden zu leugnen, sie zu minimieren und die Opfer etwa zu Folgen von bedauernswerten, aber unbeabsichtigten Mängeln zu erklären (z.B. der schlechten sanitären Verhältnisse). Ungeachtet der Tatsachen, dass Auschwitz wie kein anderes Vernichtungslager erforscht wurde, dass in einer Reihe von Prozessen in Polen und Deutschland Angehörige des Lagerpersonals die Mordtaten gestanden, dass der Massenmord durch Dokumente und Zeugenaussagen vielhundertfach belegt ist, wird von den "Revisionisten" mit einer Flut von pseudowissenschaftlichen Veröffentlichungen bestritten, dass in Auschwitz-Birkenau der organisierte Massenmord mit Gaskammern durchgeführt wurde. Vor diesem Hintergrund erschien im Mai 2002 in der deutschen Fachzeitschrift "Osteuropa" ein Artikel von Fritjof Meyer[2], der den Anspruch erhob, einen wesentlichen Beitrag zur Ermittlung der Opferzahlen zu leisten; die entsprechende Diskussion habe in den vergangenen Jahren "bislang zu keinem Resultat geführt" (Meyer, S. 639). Meyer kam zu dem Ergebnis, dass in Auschwitz "eine halbe Million Menschen ermordet wurden, davon etwa 356 000 im Gas" (ebd.). Meyer, ein langjähriger leitender Redakteur des Nachrichtenmagazins "Der Spiegel", hatte laut eigener Angabe in einem Schreiben an das Auschwitz-Museum den Artikel ursprünglich im "Spiegel" veröffentlichen wollen, wo er jedoch abgelehnt wurde; offenbar hatte Meyer den Artikel dann in einer den formalen Kriterien einer Fachpublikation genügenden Form in der Fachzeitschrift "Osteuropa" unterbringen können, deren Redakteur Meyer selbst jahrelang gewesen war und der er seit Jahrzehnten als Autor verbunden ist. Der Artikel fand weder in der allgemeinen noch in der Fachöffentlichkeit nennenswerte Resonanz; in der Tageszeitung "Die Welt" erschien eine Besprechung von Sven-Felix Kellerhoff[3], in der Meyer als "neuer Kronzeuge" für "Holocaust-Leugner und Auschwitz-Relativierer" bezeichnet wurde; Kellerhoff bescheinigte Meyer dennoch, als "ehrenwerter Mann" unbeabsichtigt den rechtsradikalen "Geschichtsrevisionisten" den Finger gereicht zu haben. Tatsächlich wurde Meyers Artikel in der Folgezeit zu einem beliebten Propagandamittel dieser Gruppe; einige dieser rechtsextremen Holocaustleugner stellten sogar aus propagandistischen Gründen Strafanzeige gegen Meyer wegen Volksverhetzung. Dahinter steckte die Absicht, durch die Abweisung solcher Strafanzeigen einen Freibrief für die rechtsextremistisch motivierte Auschwitz-Relativierung zu erlangen. Angesichts der nicht vorhandenen öffentlichen Resonanz in der Forschung gab es jedoch bisher keine inhaltliche Auseinandersetzung mit Meyers Thesen. Diese Lücke hat nun Franciszek Piper mit einem wichtigen Aufsatz geschlossen, der auf der Webseite des Auschwitz-Museums erschien.[4] Die folgende Zusammenfassung der wesentlichen Argumente Pipers (die an einigen Stellen durch weitere Hinweise erweitert wurde) wird zeigen, dass die Bewertung Kellerhoffs richtig ist, sofern sie Meyers Artikel als Wasser auf die Mühlen rechtsextremistischer Holocaustleugner wertet; die Frage nach der intellektuellen Redlichkeit des "Osteuropa"-Autors wird sich jedoch nach der Lektüre des Piper-Artikels neu stellen müssen. Die grundsätzliche Methodik der Ermittlung von OpferzahlenDie erste Abschätzung der Opferzahlen überhaupt wurde durch eine sowjetische Untersuchungskommission vorgenommen, die ihre Arbeit unmittelbar nach der Befreiung des Lagers Auschwitz aufnahm; die Ergebnisse wurden dann bereits im Nürnberger Prozess vor dem Internationalen Militärtribunal eingebracht. Die sowjetische Kommission stützte sich dabei in erster Linie auf eine Berechnung der Kapazität der Krematorien[5] und deren Betriebszeit; nach einem prozentualen Abschlag für Stillstandszeiten kam sie auf eine Kapazität der Krematorien von 4 Millionen Leichen. Diese Kapazität wurde dann gleichgesetzt mit der Zahl der tatsächlich verbrannten Leichen. Die Zahl von vier Millionen sollte dann - obwohl sie weder im Nürnberger Prozess noch im Warschauer Prozess gegen Höß eindeutig bestätigt wurde - für Jahrzehnte in Polen und allen anderen Ostblockstaaten als verbindliche Angabe weiter verwendet werden; westliche Forschungen kamen dagegen schon früh zu wesentlich niedrigeren Angaben, so wie auch Rudolf Höß in seinen in der Krakauer Haft verfassten "Autobiographischen Aufzeichnungen" zu einer wesentlich niedrigeren Schätzung kam (1,13 Millionen).[6] Ebenfalls auf die Krematoriumskapazität stützte sich Jean-Claude Pressac, der akribisch Unterlagen zu den baulichen Planungen und Details der Krematorien recherchiert und ausgewertet hatte; diese Arbeit Pressacs an den Bauunterlagen wird auch von Piper anerkannt. Pressac kam in seinen Veröffentlichungen auf eine Gesamtzahl der Toten von 631.000 - 711.000[7], wobei er sich auch auf andere Gesichtspunkte als die Krematoriumskapazität bezog, und widersprach damit der bereits genannten Untersuchung von Piper (Zahl der Opfer, 1993). Auf Pressac wiederum bezieht sich auch wiederholt Meyer in seinem Artikel in "Osteuropa". Wie schon die sowjetische Untersuchungskommission und Pressac schlug er den Weg ein, über die Ermittlung der Krematorienkapazität und der Betriebszeit die Gesamtzahl der Toten ermitteln zu wollen. Noch 1993 erschien in Polen eine Veröffentlichung (Trochanowski), die ebenfalls anhand dieser Methodik wieder zu den längst überholten Angaben der sowjetischen Untersuchungskommission zurückkehrte und zu einer Summe von 4.351.000 Toten kam. Piper weist in seinem Artikel jedoch nach, dass dieser Weg in die Irre gehen muss. Die Kapazität der Krematorien war nie ein begrenzender Faktor für die Zahl der in Auschwitz Umgekommenen, denn zu verschiedenen Zeiten wurden in großer Zahl Leichen auf Scheiterhaufen oder in Gruben unter freiem Himmel verbrannt. Auch die tatsächlich erreichte Betriebszeit der Krematorien bzw. die tatsächlich erreichte Auslastung der Krematorien kann nicht als begrenzender Faktor herangezogen werden, weil zu diesen Umständen keine verlässlichen Daten vorliegen. Daher ist schon der Ansatz jener Untersuchungen wie der sowjetischen Kommission oder Meyers völlig unbrauchbar, um zu zuverlässigen Ergebnissen zu kommen. Piper stützt sich dagegen bei seinen Untersuchungen auf die verfügbaren Unterlagen über die Deportationen nach bzw. Einlieferungen in Auschwitz und der Änderungen der Häftlingszahlen, also der Zugänge und Abgänge, entweder durch Tod in Auschwitz oder Überstellung in andere Lager; mangels eines besseren Begriffs mag man von einer ansonsten eher unpassend wirkenden "Populationsstatistik" des Lagers sprechen. Diese Ermittlung der Opferzahlen vermeidet die methodischen Fehlerquellen, die sich auftun, wenn die Krematorienkapazität und die Betriebszeit der Krematorien in den Vordergrund gestellt wird. Weiterhin kann Piper nachweisen, dass die Kapazität der Krematorien sehr wohl groß genug war, um die durch die Populationsstatistik ermittelten Opferzahlen technisch zu bewältigen. Damit sind Meyers Überlegungen aber schon auf dieser grundlegenden methodischen Ebene als irrelevant anzusehen. Darüber hinaus offenbart eine weitere Analyse des Meyer-Artikels jedoch weitere schwerst wiegende Fehler, unbegründete Behauptungen und schlichte Erfindungen. Meyers "neue Quellen"Die Forschung zu Auschwitz hat sich im Laufe der Jahrzehnte auf Tausende von Dokumenten, Aufzeichnungen, Zeugenberichten und anderes Material stützen können. Meyers Artikel - der ja immerhin eine wesentliche Revision der bisherigen Erkenntnisse annonciert - stützt sich erstaunlicherweise auf gerade zwei Quellen, aufgrund derer - in Verbindung mit angeblich "weithin unbeachtet gebliebenen Unterlagen über die in dieses Lager Eingelieferten" - er nun meint, die Zahl der in Auschwitz Ermordeten "genauer errechnen" zu können. Diese vorgeblichen "Schlüsseldokumente" wurden in einem Buch von Robert Jan van Pelt zitiert, das dieser im Nachlauf des Londoner Irving-Prozesses schrieb[8]. Der "Revisionist" David Irving hatte ein Verleumdungsverfahren gegen die amerikanische Historikerin Deborah Lipstadt und ihren Verlag Penguin wegen einiger pointierter Aussagen über Irving in einem Buch von Lipstadt über Holocaustleugner angestrengt. Van Pelt erarbeitete für die Verteidigung von Lipstadt und Penguin ein umfangreiches Gutachten über Auschwitz, das er später in erweiterter Form als Buch veröffentlichte. Irving verlor den Prozess; der Richter kam in seinem Urteil zu dem Spruch, "no objective, fair-minded historian would have serious cause to doubt that there were gas chambers at Auschwitz and that they were operated on a substantial scale to kill hundreds of thousands of Jews"[9] (kein objektiver, aufrichtiger Historiker würde ernsthaften Grund zum Zweifel haben, dass es in Auschwitz Gaskammern gab und dass sie in einer beträchtlichen Größenordnung zur Tötung von Hunderttausenden von Juden betrieben wurden). Meyer bezog sich zum einen auf ein Schreiben der Firma Topf & Söhne (Erfurt), die die Krematorien in Auschwitz-Birkenau errichtete, an die Zentralbauleitung der SS Auschwitz, zum andern auf eine Aussage des früheren Lagerkommandanten Rudolf Höß aus der Verhandlung vor dem Warschauer Gericht 1947. Beide Quellen sind jedoch in keiner Weise geeignet, eine Revision des Forschungsstandes zu der Zahl der Opfer von Auschwitz zu erzwingen, wie Piper in überzeugender Weise nachweisen kann. Das Schreiben von Topf & Söhne, verfasst von deren Ingenieur Kurt Prüfer, bezieht sich auf die Kapazität der Krematorien in Auschwitz-Birkenau. Die Aussage von Höß bezieht sich auf eine andere Kenngröße, nämlich die durchschnittliche Betriebsdauer der Krematorien pro Tag. Das Topf & Söhne-DokumentIn diesem Schreiben des Krematoriums-Herstellers an die SS-Zentralbauleitung Auschwitz wurden von dem Ingenieur Prüfer Kapazitäten der vier Krematorien in Auschwitz-Birkenau genannt. Demnach sollten in den beiden größeren Krematorien I und II täglich je 800, in den beiden kleineren Krematorien III und IV täglich je 400 Leichen verbrannt werden, zusammen also 2.400 pro Tag. Diesem Schreiben steht jedoch ein anderes Schreiben der SS-Zentralbauleitung Auschwitz, unterzeichnet von deren Leiter Bischoff, an das Wirtschafts- und Verwaltungshauptamt (WVHA) der SS gegenüber, in dem deutlich andere Zahlen genannt wurden: Hier waren für die Krematorien I und II je 1.440 Leichen und für die Krematorien III und IV je 768 Leichen pro Tag angegeben worden. Wie passen diese beiden Dokumente zusammen und welche Angaben sind zutreffend? Meyer hatte darauf eine klare Antwort: Für ihn war das Prüfer-Schreiben mit den niedrigeren Angaben stichhaltiger. Dazu führte er als entscheidendes Argument an, dieses Schreiben sei ja "neun Wochen nach Bischoffs Schreiben und nach Fertigstellung der Krematorien, mithin aufgrund der ersten Betriebsergebnisse"[10] erstellt worden. Das Prüfer-Schreiben ist jedoch auf den 8. September 1942 datiert, das Schreiben von Bischoff auf den 28. Juni 1943. Tatsächlich entstand also das Prüfer-Schreiben etwa neun Monate vor dem Bischoff-Schreiben (nicht "neun Wochen nach" ihm, wie Meyer behauptet) und tatsächlich wurde das Prüfer-Schreiben vor Fertigstellung der Krematorien erstellt und das Bischoff-Schreiben nach Fertigstellung und damit aufgrund erster Betriebsergebnisse. Meyer hat schlicht die Jahreszahlen verwechselt; obwohl er sie in dem Aufsatz korrekt abdruckt, hatte er anscheinend nur "Juni" und "September" im Auge und übersah, dass das Prüfer-Schreiben im Jahr zuvor erstellt worden war. Damit ist natürlich auch seine Argumentation hinfällig, die im Prüfer-Schreiben genannte niedrigere Kapazität der Krematorien sei als maßgeblich anzunehmen, weil "aufgrund der ersten Betriebsergebnisse" ermittelt. Franciszek Piper kann des Weiteren detailliert nachweisen, dass die im Bischoff-Schreiben genannte Kapazität tatsächlich erreicht werden konnte. Einen weiteren Fehler beging Meyer, indem er die von Prüfer genannten Kapazitäten auf eine tägliche Betriebszeit von 24 Stunden bezog. Tatsächlich hatte sich jedoch die Firma Topf & Söhne in ihren Kalkulationen auf eine tägliche Betriebszeit von 12 Stunden bezogen, wie Piper nachweisen kann. Damit erreicht Meyer eine Halbierung der Krematoriumskapazität, die nicht von den Dokumenten gedeckt ist. Die Höß-AussageDie Aussage des ehemaligen Lagerkommandanten Rudolf Höß im Warschauer Prozess, auf die sich Meyer bezog, lautete: "Nach acht oder zehn Stunden Betrieb waren die Krematorien für eine weitere Benutzung unbrauchbar. Es war unmöglich, sie fortlaufend in Betrieb zu halten." Darauf basierend nahm Meyer eine durchschnittliche tägliche Benutzungsdauer von neun Stunden an und rechnete die tägliche Kapazität - die er als den bereits oben dargestellten nicht zutreffenden Schätzwert von Prüfer annahm - entsprechend herunter. Tatsächlich sind die Krematorien jedoch, wie Piper nachweisen kann, wenn notwendig zu bestimmten Zeiten rund um die Uhr in Betrieb gewesen. Insbesondere war dies der Fall bei den beiden großen Vernichtungsaktionen der ungarischen Juden und der Juden aus Lodz (Polen) im Jahre 1944. Belege dafür finden sich in den Aufstellungen der bei den Krematorien eingesetzten Arbeitskräfte, die mit "Heizern" und "Holzabladern" in Tag- und Nachtschicht betrieben wurden ("Heizer" waren die Gefangenen aus den jüdischen Sonderkommandos, die an den Krematoriumsöfen eingesetzt wurden, "Holzablader" wurden am Krematorium IV eingesetzt, bei dem zusätzlich zu den Krematorien Leichen in offenen Gruben verbrannt wurden)[11]. Auch der von Meyer als Beleg für einen neunstündigen täglichen Betrieb der Krematorien angeführte Höß sagte selbst bei einem Verhör 1947 vor dem Obersten Nationalen Tribunal in Warschau aus, dass die Krematorien zu bestimmten Zeiten rund um die Uhr betrieben wurden: "Sie waren immer Tag und Nacht in Betrieb, wenn solche Aktionen durchgeführt wurden. Bei diesen Aktionen, die stets 4, 6 und 8 Wochen dauerten, waren die Krematorien ununterbrochen in Betrieb. Einzelne Krematorien, die ausgebessert werden mussten, waren jedoch mehrmals stillgelegt."[12] Damit ist Meyers Annahme eines durchgängig neunstündigen täglichen Betriebs unhaltbar und kann nicht als begrenzender Faktor in eine Kapazitätsberechnung eingeführt werden. Weitere Faktoren der KapazitätsberechnungMeyer verwendet in seinem Artikel noch weitere Annahmen, die die Kapazität der Krematorien begrenzen würden. So gibt er bestimmte Anzahlen von Tagen an, für die die einzelnen Krematorien insgesamt in Betrieb waren (z.B.: Krematorium I: 509 Tage, Krematorium III: 50 Tage). Piper kann - ebenfalls anhand von Aufstellungen der Arbeitskräfte - nachweisen, dass diese Annahmen von Meyer unfundiert sind. In Zeiträumen, zu denen laut Meyer Krematorien nicht in Benutzung waren, waren sehr wohl erhebliche Zahlen von "Heizern" an diesen Krematorien im Einsatz. Tatsächlich hat Meyer diese Angaben der Krematoriums-Betriebstage nicht im Einzelnen nachgewiesen, sondern er hat sie einfach von einem Aufsatz der Holocaustleugner Mattogno und Deana übernommen[13]. Dieser Aufsatz erschien in einer von einem "Ernst Gauss" herausgegebenen Anthologie; tatsächlich handelt es sich bei "Ernst Gauss" um ein Pseudonym des in Deutschland wegen Volksverhetzung verurteilten Germar Rudolf. Des Weiteren ging Meyer von einer Verbrennungszeit von anderthalb Stunden pro Leiche aus, um zu seinen Kapazitätsangaben zu gelangen; er schreibt selbst dazu, dass diese Zeit "für die würdige Einäscherung einer Leiche zwecks Gewinnung ausschließlich ihrer Asche konzipiert war"[14]. Eben diese Bedingung der "würdigen Einäscherung" wurde aber in Auschwitz nicht eingehalten. Die Leichen wurden - wie zahlreiche Aussagen belegen - nicht vollständig verbrannt; die verbliebenen unverbrannten Knochenreste mussten von Angehörigen der Sonderkommandos zerstampft werden. Damit betrug die Verbrennungszeit (bei einer gleichzeitigen Beschickung mit drei Leichen pro Verbrennungsmuffel) nur noch etwa 30 Minuten, wie aus Aussagen der Sonderkommando-Angehörigen Tauber (er gab eine halbe Stunde an) und Dragon (15 - 20 Minuten) und des Lagerkommandanten Höß (20 Minuten) hervorgeht. Diese Aussagen waren Meyer als Quellen bekannt, er hat es jedoch vorgezogen, diese Angaben zu ignorieren und kam daher zu einer Kapazität, die nur ein Drittel der tatsächlich erreichten Kapazität beträgt. Wie man Kapazitäten klein rechnetMeyer hat damit in mehreren Schritten die Kapazität der Krematorien systematisch heruntergerechnet:
Noch nicht einmal berücksichtigt sind in dieser Übersicht die Reduzierungen durch die unfundierte Begrenzung der gesamten Laufzeit der Krematorien (Anzahl der Betriebstage). Weitere Reduzierungen der Gesamtzahl der eingeäscherten Leichen nahm Meyer vor, indem er
Für das Stammlager-Krematorium gibt Meyer eine Zahl von 12.000 an und beruft sich dabei auf Pressac, Die Krematorien von Auschwitz (S. 195). An der angegebenen Stelle ist jedoch von einer solchen Angabe nichts zu finden. Diese Zahl ist eine Erfindung Meyers. Tatsächlich wurden im Stammlager-Krematorium nach Piper etwa dreimal so viel Leichen verbrannt. Die Zahl der auf Scheiterhaufen eingeäscherten Leichen wird von Meyer kurzerhand auf 50.000 herabgesetzt, und zwar unter Berufung auf Pressac (S. 73). Hier stimmt zwar der Bezug auf Pressac, dafür aber kann dieser Autor nicht ein einziges Argument für eine solche Herabsetzung anbieten, sodass diese Angabe völlig willkürlich erfolgt. Piper kommt in der Zusammenfassung von Meyers Äußerungen zu den Krematoriumskapazitäten zu einem vernichtenden Urteil. Die Angaben über die Betriebstage der Krematorien sind völlig spekulativ; an verschiedenen Stellen behauptet er Dinge, die von den Quellen in keiner Weise gedeckt werden sind; er zieht Schlüsse auf kontrafaktischer Grundlage (wie im Falle des Prüfer-Schreibens). Die Zahl der nach Auschwitz DeportiertenNeben der Behauptung, aufgrund der beschränkten Krematoriumskapazität sei nur maximal die Hälfte der von der Forschung festgestellten Opferzahl möglich gewesen, setzt Meyer auch zu einer Reduzierung der Zahl der nach Auschwitz Deportierten an. Diese Reduzierung bezieht sich vor allem auf
Zu der "Ungarn-Aktion" schrieb Meyer: "Das Schicksal der aus Ungarn Deportierten 1944 bedarf einer eigenen Untersuchung"[15]. Eine solche Untersuchung liegt als Standardwerk seit vierzig Jahren vor[16]. Da dieses Werk von Braham durchgängig auch in der von Meyer zitierten Literatur verwendet wird, sollte ihm zumindest die Existenz bekannt gewesen sein. Meyer hielt es offenbar entweder für irrelevant oder er hielt es nicht für nötig, die Nichtverwendung zu begründen. Stattdessen stützte sich Meyer weitgehend auf das "Kalendarium" von Danuta Czech[17]. In diesem Werk werden auf chronologischer Basis unter anderem Zugänge, Abgänge und Ermordungen in Auschwitz aufgeführt. Meyers Verwendung dieses Werks krankt jedoch an einem Manko: Czech kann nicht den Anspruch erheben und erhebt ihn auch nicht, diese wesentlichen Daten vollständig aufzuführen. Die Autorin schrieb in ihrer Einleitung: "Für die hiermit vorgelegte Neubearbeitung konnte die Verfasserin das "Kalendarium" erheblich erweitern. Angesichts der gezielten Dokumentenvernichtung durch die SS in der letzten Phase des Lagers vor der Befreiung ist sich die Verfasserin jedoch bewußt, daß es nicht möglich war, alle Vorgänge im KL Auschwitz zu rekonstruieren. Es läßt sich nicht ausschließen, daß in Zukunft noch Quellen zugänglich werden, die weitere Fragen der Geschichte des Lagers zu klären erlauben."[18] Daher kann die Verwendung von Zahlenangaben aufgrund von Additionen von Einträgen des "Kalendarium" nicht zu zuverlässigen Ergebnissen führen. Meyer kommt - unter Berufung auf Czech - auf eine Zahl von 60 Deportationszügen aus Ungarn, die in Auschwitz eintrafen[19]. Jeder Zug transportierte 3.000 Deportierte, womit Meyer zu einer Gesamtzahl von 180.000 Deportierten kommt. Meyer verwechselt hier die Zahl der Einträge im Kalendarium (die Zahl der Tage, an denen Deportationszüge ankamen) mit der Zahl der Züge (diesen Fehler hatte vor ihm bereits Pressac begangen). Im Kalendarium sind für 60 Tage Einträge vorhanden; tatsächlich fuhren aber täglich bis zu vier Züge von Ungarn nach Auschwitz, wie es bereits Wochen vorher auf einer "Fahrplan-Konferenz" der SS mit Vertretern der Reichsbahn beschlossen worden war. Insgesamt fuhren 141 Züge von Ungarn nach Auschwitz; diese Angabe verwirft Meyer völlig ohne Begründung als "zweifelhaft", obwohl sie durch verschiedene Unterlagen nachgewiesen ist, wie auch aus der von Meyer verwendeten Literatur hervorgeht. Vorhandene Unterlagen - so vor allem die Telegramme des deutschen Botschafters in Budapest, Veesenmayer, nennen explizit die Zahl der Deportierten; so berichtete Veesenmayer am 11. Juli 1944 über 437.402 Deportierte. Sehr ähnliche Zahlen der ungarischen Polizei wurden von Meyer ohne weitere Begründung als "wohl übertrieben[...]" hingestellt. Diese in der Forschung seit langem bekannten Zahlen wurden von Meyer schlichtweg ignoriert; damit reduzierte er die Zahl der aus Ungarn nach Auschwitz Deportierten um etwa 265.000. Unter dieser Voraussetzung kam Meyer dann zunächst zu der Angabe, dass 110.000 ungarische Juden von Auschwitz dann in andere Lager überstellt worden seien. Unter anderem stützte er sich dabei auf Andrzej Strzelecki[20]. Wie Piper nachweist, bezog sich Strzelecki mit dieser Zahl jedoch auf alle jüdischen Gefangenen und nicht nur auf die ungarischen Juden. Des weiteren bedeutete Strzeleckis Ausdruck "gingen... durch das Lager Birkenau" keineswegs, dass diese Häftlinge das Lager verlassen hätten, sondern dass sie als arbeitsfähig selektiert worden waren und sich so im Lager befanden statt direkt zu den Gaskammern geschickt zu werden. Nach Piper wurde tatsächlich eine Anzahl dieser Häftlinge zu anderen Lagern überstellt, aber die Mehrheit starb im Lager oder wurde ermordet. In der Folge kam Meyer zu der Angabe, dass "nach Czech [...] wahrscheinlich 40 564 Menschen allein im Monat Oktober 1944 im Gas getötet" worden seien (gemeint sind ungarische Juden). Eine solche Angabe ist jedoch bei Czech nicht zu finden. Diese Zahl ist eine Erfindung Meyers. Damit wäre nach Meyer nur etwa ein Viertel der von ihm behaupteten Zahl der ungarischen Deportierten bzw. ein Zehntel der tatsächlichen Zahl der ungarischen Deportierten in den Gaskammern gestorben. In eben jener Quelle, dem "Kalendarium", die Meyer für seine "Berechnung" der Anzahl der Züge benutzt, ist ständig davon die Rede, dass der Mord in den Gaskammern nach der Selektion von Arbeitsfähigen der Normalfall war ("Die übrigen Menschen werden in den Gaskammern getötet"). Dieser Massenmord ist durch zahllose Zeugenaussagen seit langem bekannt und belegt. Meyer überging diese Nachweise mit Ignoranz. Die Zahl der aus Polen deportierten Juden wurde bereits früher von Piper mit 300.000 angegeben[21]; Meyer nennt diese Angabe ohne jede Begründung "wahrscheinlich weit überhöht"[22]. Auch hier kann Piper nachweisen, dass Meyer einige Deportationstransporte schlicht nicht berücksichtigt hat. Die BilanzZusätzlich zu dem bisher Beschriebenen führt Piper noch eine Reihe von Fehlern und Irrtümern in Meyers Artikel auf, die keinen anderen Eindruck erlauben, als dass Meyer mit dem Thema der Judenvernichtung im Allgemeinen und Auschwitz im Besonderen alles andere als vertraut ist. So wirft er etwa die "Aktion 14f13", die eine Fortführung der "Euthanasie-Aktion" in den Konzentrationslagern war, mit dem Judenmord in den Vernichtungslagern der "Aktion Reinhard" (Belzec, Sobibor, Treblinka) durcheinander. Bisher konnte schon gezeigt werden, dass Meyer unsauber arbeitete, ihm ungenehme Fakten unterschlug, nicht belegte und nicht belegbare Behauptungen aufstellte und Spekulationen anstellte sowie in einigen Fällen Angaben erfunden hat. Anerkannte Standardliteratur (Wellers, Hilberg, Braham) überging Meyer kommentarlos, dafür stützte er sich an verschiedenen Stellen auf den Holocaust leugnende Literatur. Piper schreibt zu Meyers Vorgehen: "Derartige Versuche sind von revisionistischen Historikern oftmals unternommen worden. Und das geschieht keineswegs zufällig." Damit bleibt Piper hart unterhalb der Grenze, Meyer selbst dieser Gruppe von Geschichtsfälschern zuzurechnen. Manchmal verstecken sich Bekenntnisse jedoch in Fußnoten. In einer Fußnote machte Meyer seine Sichtweise und Bewertung des Massenmordes in Auschwitz deutlich, die ihn auf Tuchfühlung mit Holocaustleugnern wie David Irving bringen: "Da die Geschichtsforschung aus einsehbaren, aber unzulässigen Gründen das Thema Auschwitz als Forschungsobjekt nicht akzeptiert hat, drängte sich die Propaganda auf das unbestellte Feld; jene sowjetischer Observanz beherrscht noch immer weithin die öffentliche Meinung, zum Beispiel mit der Totenzahl von vier Millionen, dem Mord an über 400 000 aus Ungarn Deportierten oder auch dem massenhaften Gasmord in den Krematoriumskellern."[23] Die Totenzahl von vier Millionen ist in der Forschung seit langem eine erledigte Angelegenheit; dass Meyer sie als aktuelles Problem in der "öffentlichen Meinung" aufwirft, kann nichts mit der Forschung, sondern allenfalls mit ihrer Vermittlung zu tun haben. Dass Meyer hingegen die Ermordung der ungarischen Juden und die Tatsache des massenhaften Gasmordes in den Krematoriumskellern als "Propaganda sowjetischer Observanz" hinstellt, kann mit keinem wie auch immer gearteten forscherischen Dissens oder einer Fehlinterpretation der Quellen erklärt werden. Offenbar ging es Meyer darum, die bisherige Forschung zu Auschwitz - mit Ausnahme der "Ergebnisse" der von ihm als "Denkanstoß" gebend und als Gewährsleute für Detailangaben anerkannten Auschwitzleugner - als unbrauchbare "sowjetische Propaganda" zu denunzieren. Der "Spiegel" hatte gut daran getan, dieses Machwerk seines Leitenden Redakteurs für eine Veröffentlichung abzulehnen; ob auch die aktuelle publizistische Tätigkeit des Fritjof Meyer für den "Spiegel" solcher Akribie unterworfen ist, mag dahingestellt bleiben. Dass es nach der Ablehnung durch den "Spiegel" (wo es gewiss in einer sehr viel mehr journalistisch aufbereiteten Fassung erschienen wäre) zu einer Veröffentlichung in einer respektablen Fachzeitschrift kam, wird dieser Publikation gewiss keine Lorbeeren eintragen können. Anmerkungen:
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