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James E. Young. Formen des Erinnerns.
Gedenkstätten des Holocaust. Wien: Passagen Verlag, 1997. 504 S. Bibliographie.
DM 98.00 (Gebunden), ISBN 3-85165-174X.
Reviewed by Jan-Holger
Kirsch, Universität Bielefeld.
Ausgehend von der theoretischen Praemisse, dass eine rein dokumentarische Abbildbarkeit des Holocaust eine Illusion sei, fragt der Verfasser nach der narrativen Matrix der Denkmaeler und Gedenkstaetten. Sein literaturwissenschaftlich geschultes Interesse gilt den politischen Implikationen der historischen Repraesentation, d.h. dem "Gebrauch und Missbrauch offiziell gepraegter Erinnerung" (S. 20). Denkmalssetzungen sind fuer Young ebenso sehr Signale des versuchten Loeschens wie des Erinnerns von Geschichte. Indem sie bestimmte Inhalte der Vergangenheit hervorheben, schliessen sie andere aus. Um solche (Re-)Konstruktionen im einzelnen aufzuspueren, betrachtet der Autor einen formalaesthetischen Zugriff als methodisch unzureichend. Vielmehr sei es erforderlich, den Blick auf die Entstehungsprozesse und Kommunikationsbedingungen der Gedenkstaetten zu erweitern, also nach ihrer "Biographie" und nach der Interaktion mit den Betrachtern zu fragen (S. 14, S. 41-46). Den Begriff der "Gedenkstaette" (memorial) gebraucht Young moeglichst allgemein; neben "Denkmaelern" im engeren Sinne (monuments) fasst er darunter auch Archive, Museen, Gedenktage und weitere Manifestationen des kulturellen Gedaechtnisses. Young konkretisiert diese Vorueberlegungen, indem er fuer Deutschland, Polen, Israel und die USA die jeweiligen Narrative des Holocaust darstellt. (Ein Abschnitt ueber Oesterreich ist dem deutschen Kontext zugeordnet.) Dem Detailkenner der Einzelfaelle werden die Beschreibungen wenig Neues bieten, doch rechtfertigt es der Erkenntnisgewinn der Zusammenschau allemal, manches Bekannte unter einer einheitlichen Perspektive zu buendeln. Fuer Deutschland schildert Young die Schwierigkeit symbolischer Formen, die nach 1945 in kritischer Abgrenzung auf den Nationalsozialismus verweisen mussten. Waehrend Denkmaeler fuer gewoehnlich einen positiven Vergangenheitsbezug auf Dauer stellen, werden in Deutschland seit etwa 15 Jahren kuenstlerische Konzepte erprobt, die als "Gegen-Monumente" die Erinnerung selbst problematisieren und sich als Konstruktionen zu erkennen geben. Arbeiten von Jochen Gerz, Alfred Hrdlicka, Norbert Radermacher und Horst Hoheisel dienen Young als Beispiele fuer die zurueckgewonnene Vitalitaet der Denkmalskunst. Den bisweilen selbstquaelerischen Diskurs sieht er als notwendigen Teil einer (Wieder)-Aneignung von Geschichte, die auf vordergruendige Sinngebungen verzichtet. Die Reflexivitaet des deutschen Erinnerns ist jedoch eine noch recht junge Entwicklung, wie Young anhand des Umgangs mit ehemaligen Staetten des NS- Terrors verdeutlicht. So folgte der KZ-Befreiung in Dachau ein fast zwanzigjaehriges bewusstes Vergessen. Auch nach der Einweihung von Museum und Mahnmal im Jahr 1965 blieb der Stellenwert der bayerischen Gedenkstaette prekaer. Es bedurfte erst langwieriger Auseinandersetzungen, bis die Schicksale der unterschiedlichen Verfolgtengruppen in das populaere Geschichtsbild von der 'Hitlerzeit' eingingen. Eine moeglichst undifferenzierte Sicht der 'Opfer des Krieges und der Gewaltherrschaft' erlaubte es den Deutschen, entscheidende Teile der belastenden Vergangenheit von sich fernzuhalten. Fuer das vormalige Gestapo-Gelaende in der Mitte Berlins zeigt Young, wie spaet und konfliktreich der Prozess einer kritischen Spurensuche in Gang kam. Dabei vertritt er die - inzwischen bereits zu einem Gemeinplatz geronnene--These, dass eine fortgesetzte Denkmalsdebatte selbst das beste Denkmal sei (S. 127). Die Oesterreicher waren laut Young nach 1945 "mehr als bereit, den Deutschen die schmutzige Erinnerungsarbeit zu ueberlassen" (S. 143). Mit kritischer Stossrichtung beschreibt er, wie der kuenstlerisch gestaltete Skulpturengarten in Mauthausen das fruehere Lager zu einer "Mahnmal-Idylle" verformt habe. Immerhin war Mauthausen aber einer der wenigen Gedenkorte, wo ueberhaupt an die Gewalttaten der NS-Zeit erinnert wurde. Bekanntlich war die staatstragende Opfermythologie in Oesterreich noch zaehlebiger und ausgepraegter als in Deutschland. Fuer die Denkmalskunst brachte erst die Grazer Freiluftausstellung "Bezugspunkte 38/88" als Teil des "Bedenkjahrs" 1988 einen konzeptionellen Neuansatz. Wie umstritten dies war, zeigte der rechtsradikale Brandanschlag auf eine Installation des Kuenstlers Hans Haacke. Als weitere Denkmalskontroverse erlaeutert Young die Entstehungsgeschichte von Alfred Hrdlickas "Monument gegen Krieg und Faschismus" auf dem Wiener Albertinaplatz. Ganz anderen politischen Rahmenbedingungen war die Holocaust-Erinnerung im sozialistischen Polen unterworfen. Vor allem anhand der Beispiele Majdanek und Auschwitz-Birkenau arbeitet Young das Spannungsverhaeltnis von polnischer und juedischer Erinnerung heraus. Die dominante Perspektive war ein nationalpolnisches Martyrium, dem das Gedenken an Verfolgung und Ermordung der Juden lange Zeit nachgeordnet war. Der Holocaust wurde von staatlichen Instanzen "in erster Linie als Symbol fuer die Verwuestung der Polen selbst" gedeutet (S. 181). Die Gedenkpolitik versuchte aus der Akzentuierung des politischen Widerstands konkrete Gegenwartsappelle abzuleiten. Durch den Umbruch von 1989 sind die Geschichtsbilder inzwischen offener diskutierbar, doch zeigt die aktuelle Kontroverse um die Aufstellung von Kreuzen in Auschwitz, wie heftig polnisch-katholische und polnisch-juedische Erinnerungsansprueche bis heute aufeinandertreffen. Vielleicht die staerkste Detailanalyse des Buchs liefert Young mit seiner Beschreibung von Nathan Rapoports Warschauer Ghetto-Monument. Zum fuenften Jahrestag des juedischen Aufstands 1948 errichtet, fiel das Denkmal noch in eine Phase, in der juedische und nationalpolnische Erinnerung koexistieren konnten. Die in Hebraeisch, Jiddisch und Polnisch angebrachte Inschrift widmete das Monument ausdruecklich dem 'juedischen Volk', was die kommunistischen Machthaber jedoch mit wachsendem Unmut betrachteten. Der polnische Staat hielt an diesem Gedaechtnisort vor allem deshalb fest, um oppositionellen historischen Erzaehlweisen entgegenzutreten. So wurde das Denkmal durch die Besuche Willy Brandts, Jimmy Carters, Papst Johannes Pauls II. und anderer zu einer international bekannten Ikone. In Yad Vashem wurde es nachgebaut (in Teilen auch in den USA), erhielt dort aber eine andere nationale Praegung. An diesem Beispiel kann Young seine Grundthese belegen, dass ein solches Kunstwerk mit dem raeumlichen und zeitlichen Kontext auch den Bedeutungsgehalt veraendert. Das vorherrschende Deutungsmuster des israelischen Erinnerns lautet nach Young "Schoah, Revolte, Einwanderung und Wiedergeburt" (S. 338). In den Denkmaelern und Museen der Kibbuzim ist das Leiden und Sterben nur insofern erinnerungswuerdig, als es sich zu aktivem Widerstand uminterpretieren laesst. Darueber hinaus dokumentiert der Autor, wie die Geschichte der Gedenkstaette Yad Vashem als "Nationalschrein" (S. 327) die Geschichte des Staates Israel widerspiegelt und dessen Zivilreligion symbolisch objektiviert. Nicht zufaellig wurde das Zentralmonument "Saeule des Heldentums" kurz nach dem Jom-Kippur-Krieg errichtet. In dieser erst seit kurzem problematisierten Sicht[3] ist es auch folgerichtig, dass der Gedenktag Jom Haschoa unter anderem mit einer offiziellen Waffenparade in Yad Vashem begangen wird. Young mahnt in diesem Zusammenhang an, gegenueber dem Vereinheitlichungsdruck der kollektiven Erinnerung den Bedeutungspluralismus der individuellen Erinnerungen zu staerken (S. 371). Dass jedoch das betont freiheitliche Gedenken ebenfalls ideologische Zuege annehmen kann, weist Young mit Beispielen aus den USA nach. Dort besteht zwangslaeufig eine groessere Distanz zum historischen Geschehen, die durch die 'Amerikanisierung' des Holocaust ueberwunden werden muss. So war schon kurz nach dem Zweiten Weltkrieg die Deutung anzutreffen, die europaeischen Juden seien als Maertyrer 'in the cause of human liberty' umgekommen. Das gemeinsame Erinnern an die Befreiung von 1945 bildete eine Klammer zwischen den in den USA wohnenden Holocaust-Ueberlebenden und den frueheren amerikanischen Soldaten. Ein Denkmal Nathan Rapoports, das die amerikanische Armee als Friedensbringer imaginiert, wurde in Sichtweite zur Freiheitsstatue errichtet. Das US-Holocaust Memorial Museum befindet sich in unmittelbarer Naehe zu den Monumenten Washingtons und Jeffersons--der Besuch soll den Stolz auf die amerikanischen Gruendungsideale bekraeftigen. Staerker als in Deutschland, Polen und Israel wird in den USA die universale menschenrechtliche Verpflichtung betont, die sich aus dem Holocaust ergebe. Dies schliesst freilich nicht aus, dass es gerade in Amerika zu einer politischen Instrumentalisierung kommt. James E. Young hat einen instruktiven Reisebericht vorgelegt, an dem sich jede kuenftige Forschungsarbeit zu symbolischen Formen der Holocaust- Erinnerung messen lassen muss. Das reichhaltige Fotomaterial--zum grossen Teil vom Autor selbst aufgenommen--hat zudem mehr als nur illustrative Funktion. Die Abbildungen fuehren die Argumentation fort, indem sie etwa die Rezeptionsrituale heutiger Touristen zeigen. Youngs Kompendium ist wohlweislich nicht als Rezeptbuch zu verstehen, mit dessen Hilfe die Aporien der Erinnerungskultur zu ueberwinden waeren. So legt sich der Autor nicht fest, ob eine gegenstaendlich-konkrete oder eine abstrakte Denkmalsgestaltung vorzuziehen sei. Vielmehr macht er klar, dass eine derartige Frage nicht losgeloest vom jeweiligen raeumlichen und zeitlichen Kontext diskutiert werden sollte. Die Praeferenz des Autors gilt Gedenkstaetten, die auf den Dialog mit dem Betrachter setzen (S. 18). Ungeachtet des positiven Gesamteindrucks ist freilich auf methodische und inhaltliche Schwachstellen der Studie hinzuweisen. Nach der theoretisch reflektierten Einleitung fehlen Young bei der konkreten Darstellung die leitenden Hinsichten und analytischen Kategorien. Dass der Umgang mit Gedenkstaetten fuer politische Vereinnahmungen anfaellig ist, zeigt der Autor sehr nachdruecklich. Diese Erkenntnis ist aber wenig ueberraschend und sollte eher weitere Fragen aufwerfen: Existieren laenderuebergreifende Gemeinsamkeiten, die etwa durch den wachsenden Zeitabstand zum Geschehen bedingt sind? Welche Mechanismen koennen dazu beitragen, dass es unter den national spezifischen Ausgangsbedingungen einer politischen Kultur zu einem Wandel von Geschichtsbildern kommt? Gibt es einen aesthetischen 'Eigen-Sinn', der sich gegenueber der politisch gewuenschten Eindeutigkeit zu behaupten vermag? Welche Chancen und Schwierigkeiten fuer das heutige Gedenken ergeben sich aus dem Verhaeltnis originaler Relikte und spaeterer Monumente?[4] So berechtigt zudem Youngs Kritik an formalaesthetischen Ansaetzen sein duerfte, so bedauerlich ist sein weitgehender Verzicht auf kunsthistorische Perspektiven. Stoerend macht sich schliesslich bemerkbar, dass er keinen expliziten Vergleich der Fallstudien vornimmt und dass selbst eine Zusammenfassung fehlt. Bei genauerer Lektuere zeigt sich, dass das Theoriedefizit in den empirischen Teilen zu beliebigen, wenn nicht gar falschen Werturteilen fuehrt. So schreibt Young ueber die Umgestaltung der Gedenkstaette Buchenwald nach 1989/90: "Das erweiterte Erinnerungsspektrum in Buchenwald beinhaltet nun Stalins Gewaltherrschaft ebenso wie die Hitlers. Buchenwald ist somit ein Ort, an dem Deutsche sowohl durch die Nazis als auch durch die Kommunisten zu Opfern wurden. Sobald man die Museumsanlagen auf den neuesten Stand gebracht hat, kann Buchenwald zur nationalen Gedenkstaette fuer das neue Deutschland werden, so wie einst fuer die DDR. Mit der Einbeziehung weiterer deutscher Opfer in seine Gedaechtnislandschaft geht Deutschlands Normalisierung zuegig voran." (S. 125) Wer ueber die dortige Gedenkstaettenarbeit informiert ist, weiss jedoch, dass sich die Verantwortlichen kompetent dafuer einsetzen, gerade dies zu verhindern. Ein weiterer Komplex der Kritik, der indes nicht dem Autor anzulasten ist, betrifft die editorischen Maengel des Buchs. Im Gegensatz zur englischen Ausgabe enthaelt die deutsche Fassung kein Register. Die Bibliographie wurde seit dem ersten Erscheinen nicht aktualisiert, so dass zahlreiche einschlaegige Neuerscheinungen fehlen.[5] Haeufig werden Namen falsch angegeben (z.B. S. 128: "Stressenmann-Strasse" statt Stresemannstrasse; S. 128 und oefter: "Walter-Gropius-Bau" statt Martin-Gropius-Bau; S. 133: "Weizaecker" statt Weizsaecker u.v.m.). Dies ist um so misslicher, als die Schreibweise in der englischen Ausgabe meist korrekt ist. Auch auf die im Deutschen noetige Einfuegung von Umlauten hat offenbar niemand geachtet: Der auf S. 151 gemeinte Bildhauer heisst Rueckriem und nicht "Ruckriem", der auf S. 469 zitierte Historiker heisst Ruerup und nicht "Rurup". Derartige Fehler moegen Marginalien sein, doch werden sie zum ausgesprochenen Aergernis, wenn sie in einem nicht ganz billigen Band gehaeuft auftreten. Youngs Grundannahme von der Perspektivengebundenheit und Prozessualitaet des Holocaust-Gedenkens hat sich inzwischen auch in der nichtwissenschaftlichen Publizistik durchgesetzt. Schon deshalb wird sein Buch ein Standardwerk bleiben. Methodisch reflektierte Laendervergleiche, die Youngs Ueberlegungen weiterfuehren, sind aber sehr zu wuenschen. Anmerkungen: [1]. James E. Young, Writing and Rewriting the Holocaust. Narrative and Consequences of Interpretation, Bloomington/Indianapolis 1988, S. 172; dt. Ausg.: Beschreiben des Holocaust. Darstellung und Folgen der Interpretation, Frankfurt a.M. 1992, Tb.-Ausg. 1997. [2]. Engl. Erstausg.: James E. Young, The Texture of Memory. Holocaust Memorials and Meaning, New Haven/London 1993. Vgl. ausserdem ders. (Hg.), Mahnmale des Holocaust. Motive, Rituale und Staetten des Gedenkens , Muenchen 1994. [3]. Vgl. Moshe Zuckermann, Zweierlei Holocaust. Der Holocaust in den politischen Kulturen Israels und Deutschlands , Goettingen 1998, mit Hinweisen auf innerisraelische Kritiker. [4]. Vgl. dazu jetzt Detlef Hoffmann (Hg.), Das Gedaechtnis der Dinge. KZ- Relikte und KZ-Denkmaeler 1945-1995, Frankfurt a.M./New York 1998 (Wiss. Reihe des Fritz-Bauer-Instituts Bd. 4). [5]. Hier sei nur verwiesen auf Ulrike Puvogel/Martin Stankowski, Gedenkstaetten fuer die Opfer des Nationalsozialismus. Eine Dokumentation, 2., ueberarb. Aufl. Bonn 1995; Peter Reichel, Politik mit der Erinnerung. Gedaechtnisorte im Streit um die nationalsozialistische Vergangenheit, Muenchen/Wien 1995; Tom Segev, Die siebte Million. Der Holocaust und Israels Politik der Erinnerung, Reinbek b.H. 1995. |