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Norman G. Finkelstein. The Holocaust Industry.
Reflections on the Exploitation of Jewish Suffering. London/New
York: Verso Books, 2000. 150 S. . Brit. Pfund 16.- / US-Dollar 23.- (gebunden),
ISBN 1-85984-773-0.
Reviewed by Constantin
Goschler, Institut fuer Geschichtswissenschaften, Humboldt-Universitaet
Berlin .
Bei diesem Buch des New Yorker Politologieprofessors, der bislang vor allem durch scharfe Kritik an der israelischen Palaestinapolitik und an Goldhagen bekannt geworden war, handelt es sich eigentlich um einen grossen Essay, der nicht auf eigenen Quellenstudien beruht. Vielmehr greift er auf einige bereits vorliegende Arbeiten zurueck, vor allem auf Peter Novicks 1998 erschienene Studie "The Holocaust in American Life".[1] Dort wurden viele der von Finkelstein vorgebrachten Punkte bereits in differenzierter Weise vorgebracht und vor allem auch durch gruendliche Recherchen gestuetzt. Finkelstein markiert jedoch selbst eine fundamentale Differenz zu Novick: Dessen zentrale analytische Kategorie sei "Erinnerung", deren aktuelle akademische Karriere er scharf kritisiert. Demgegenueber vertritt er selbst die in der neueren historiographischen Debatte in den Hintergrund gedraengten "robusten" Kategorien der "Macht", der "Interessen" und der "Ideologie". Dies verweist auf ein paradoxes Phaenomen: Waehrend in den Geschichtswissenschaften in den letzten Jahren viel ueber den "linguistic turn" geredet wurde, kann man Finkelstein, den Schueler und Freund Noam Chomskys (dem Papst der modernen Linguistik), aehnlich wie diesen im Hinblick auf Politik einem weniger symbolischen als 'realistischen' Verstaendnis zuordnen: Sprache drueckt dann sozusagen unmittelbar aus, was Akteure intendieren, und dies lasse sich auch unmittelbar interpretieren. Dabei sind sich Finkelstein und Chomsky zugleich inhaltlich besonders in der Verurteilung der israelischen Palaestina-Politik einig. Das Buch Finkelsteins ist Teil einer seit einiger Zeit gefuehrten intellektuellen Debatte zur Rolle der Juden in der amerikanischen Gesellschaft. Aus ihrem Ursprungskontext geloest koennten die dort ausgebreiteten Thesen allerdings auch ganz andere Bedeutung erhalten, und deshalb ist es keine sehr gewagte Vorhersage, dass Anfang naechsten Jahres, wenn dieses Buch trotz heftiger Proteste von juedischer Seite in deutscher Uebersetzung im Piper-Verlag erscheinen wird, in Deutschland eine neue oeffentliche Debatte entstehen wird. Bis jetzt wurde dieses Buch dort hauptsaechlich auf dem Wege der indirekten Vermittlung durch professionelle intellektuelle Torwaechter bekannt, die in der Regel eine ablehnende Haltung einnahmen. Die selbstaendige Lektuere durch historische Laien wird dagegen vermutlich zu oeffentlichen Lesarten fuehren, die denen der auf historische Differenzierung bedachten Historiker zuwiderlaufen. Wird die professionelle Reaktion dann am Ende wieder wie bei Goldhagen darauf hinaus laufen, dass hier jemand zwar richtige Fragen gestellt, aber unzureichende oder gar unredliche Antworten gegeben habe? Und wird sich die Oeffentlichkeit damit zufrieden geben? Versuchen wir also, Finkelsteins Fragen und Antworten kurz zusammenzufassen. Im ersten Kapitel vertritt er die These, dass die amerikanisch-juedischen Eliten nach dem Krieg den nationalsozialistischen Judenmord zunaechst aus dem oeffentlichen Diskurs verdraengt haetten. Die diesem Beschweigen zugrundeliegende Gefangenschaft in der doppelten Loyalitaet zwischen den USA und Israel sei erst zerbrochen, nachdem Israel seit dem Junikrieg 1967 zum Vorposten der USA im Nahen Osten aufgestiegen sei. Nunmehr haetten die amerikanisch-juedischen Eliten den "Holocaust" - im Sinne eines historischen Narrativs - erfunden: Dieser diente, so Finkelstein, als ein wichtiges Instrument, um die Politik Israels gegenueber den Palaestinensern, aber auch die im Zuge ihres erfolgreichen gesellschaftlichen Aufstieges politisch nach rechts gewanderten und sich zunehmend gegen weniger erfolgreiche Minderheiten abgrenzenden amerikanischen Juden gegen jegliche Kritik zu immunisieren. Damit weist er zunaechst auf ein Phaenomen hin, dass sich in ganz unterschiedlichen Laendern feststellen laesst: dass die Erinnerung an die nationalsozialistischen Verbrechen nicht einer einfachen Kurve des Vergessens folgt, sondern im Gegenteil scheinbar mit wachsendem zeitlichen Abstand vom Ereignis immer dominanter wurde. Auch der Vorwurf, politische Interessen spielten eine wichtige Rolle fuer die forcierte Vergegenwaertigung der Erinnerung, ist nicht neu. Die Frage ist also, wie ueberzeugend Finkelstein sein Argument zu begruenden vermag. Und hier erscheint der an ihn herangetragene Vorwurf, dass er eine Verschwoerungstheorie vertrete, allerdings sehr stichhaltig. Verkuerzt gesagt argumentiert er nach dem Muster: "Wem nuetzt es?". Seine Antwort lautet ebenso verkuerzt: der "Holocaust-Industrie". Zwar steckt in diesem funktionalen Argument eine richtige Beobachtung - doch kann er damit noch lange nicht erklaeren, auf welche Weise der Holocaust seit den 1970er Jahren zu der diskursiven Bedeutung in der amerikanischen (und spaeter auch in der deutschen) Oeffentlichkeit kam, die eine solche Funktionalisierung ueberhaupt erst ermoeglichte. Finkelsteins Erklaerungsrahmen erweist sich als extrem eng. Nicht allein, dass er sozusagen auf eine ideologische Verschwoerung von oben konzentriert ist, darueber hinaus ist er auch extrem amerikano-zentrisch. Dabei uebertreibt er vor allem den Einfluss der amerikanischen Juden auf die US-Politik. Dass aber selbst eine auf die USA konzentrierte Erklaerung differenzierter sein kann, zeigte schon Novick, der fuer die Entstehung des Holocaust-Diskurses seit den 1970ern eine Art Marktmodell anwendet und ein kompliziertes Wechselspiel von Angebot und Nachfrage nach spezifischen gesellschaftlichen Sinndeutungen zugrundelegt. Eine angemessene Erklaerung muss darueber hinaus aber auch in Betracht ziehen, auf welche Weise es in anderen Laendern, vor allem in Deutschland, zu der erst seit den 1980er Jahren einsetzenden verstaerkten Beschaeftigung mit dem Holocaust kam.[2] Eine Bruecke bildet dabei moeglicherweise die in dieser Zeit auch in Deutschland einsetzende "Viktimisierung" der politischen Kultur, d. h. die Entpolitisierung von Konflikten mit Hilfe der Selbst- bzw. Fremddeklaration als "Opfer".[3] Die zweite These dieses Buches behauptet, dass im Zuge der "Sakralisierung des Holocaust" (Peter Novick) zwei Dogmen in den Mittelpunkt gerueckt seien: erstens das der historischen Einzigartigkeit des nationalsozialistischen Judenmordes und zweitens die Behauptung des ewigen Judenhasses auf Seiten der Nichtjuden. Auf diese Weise sei die urspruenglich universalistische Botschaft, die auch die juedischen Organisationen nach dem Krieg mit dem nationalsozialistischen Judenmord verknuepft haetten, auf eine Begruendung der einzigartigen Bedrohung der Juden eingeschraenkt worden, aus der die juedische Einzigartigkeit abgeleitet werde. Der Weg fuehrt fuer Finkelstein sozusagen von Bruno Bettelheims universalistischer Botschaft zu Elie Wiesels Verkuendung der Einzigartigkeit und Irrationalitaet des Holocaust und schliesslich zu Daniel J. Goldhagens These des ewigen Judenhasses als Wurzel des Holocaust. Dies gipfelt fuer ihn in der intensiven Memoralisierung des Holocaust in der amerikanischen politischen Kultur, mit der die weitgehende Ausblendung anderer Opfer nationalsozialistischer Verbrechen kontrastiere (ganz zu schweigen von den Opfern amerikanischer "Grossverbrechen" wie der Sklaverei und der Ausrottung der amerikanischen Ureinwohner). Dies verweist m. E. auf aktuelle Veraenderungen der Bedeutung der These von der "Einmaligkeit" des nationalsozialistischen Genozids an den Juden: Neben der Erschuetterung unserer Selbstsicherheit durch neue Voelkermorde in naechster Naehe ist ein wichtiger Aspekt, dass die Forschung der letzten Jahre unser Bild des nationalsozialistischen Judenmords veraendert hat: Kurz gesagt ist die Gleichung Holocaust = Auschwitz, die als Symbol massenhaften, arbeitsteiligen, anonymen und industrialisierten Toetens galt, weniger absolut geworden. Die Forschungen der letzten Jahre zeigten nicht allein, dass das 'industriell' betriebene Toeten zuerst an Geisteskranken erprobt wurde, sondern hoben vor allem den Umfang des sozusagen 'manufakturmaessigen' Toetens hervor, mit dem Millionen von Juden, aber auch andere Menschengruppen vor allem im Osten ermordet wurden. Damit verbunden wurden Opfer wie Taeter ploetzlich wieder individuelle Gestalten, waehrend sie zwischenzeitig in den Debatten ueber die "Ambivalenzen der Moderne" gaenzlich verloren gegangen waren. An diesem Punkt tauchte aber auch die alte Kontroverse zwischen einer universalistischen Deutung, wie sie Christopher Browing vertrat, und einer Deutung, welche die Einzigartigkeit des Genozids an den Juden durch das Motiv des ewigen Judenhasses zu bewahren hoffte, wie es Goldhagen unternahm, wieder auf. Finkelstein stellt sich dezidiert auf die universalistische Position, was gewiss legitim ist. Deshalb gingen seine Kritiker an diesem Punkt insgesamt gesehen am mildesten mit Finkelstein um, spricht er doch hier in der Tat wunde Punkte an. So kritisierte auch Ulrich Herbert die "Reduktion des Judenmords auf ein quasi religioeses, unverstehbares Ereignis, die Verkitschung der Ereignisse, aber auch die Reduktion des Genozids auf ein feuilletonistisches Dauergeplauder", wie es in den USA und Deutschland taeglich zu beobachten sei.[4] Doch sprachen dies vor Finkelstein auch schon andere deutlich aus, und zwar ohne den notorisch denunziatorischen Unterton, den er anschlaegt, wenn er etwa haemisch die Hoehe von Vortragshonoraren oder aehnlichen Einkuenften von Akteuren der sogenannten "Holocaust-Industrie" aufzaehlt. Liesse man sich auf diese Argumentation ein, muesste man ihn selbst schliesslich auch dazu zaehlen: Immerhin liegt sein Buch unter den 5171 gegenwaertig bei Amazon.com zum Thema "Holocaust" lieferbaren Titeln gegenwaertig auf Rang drei. (Auf Platz eins liegt Martin Goldsmith, The Inextinguishable Symphony: A True Story of Music and Love in Nazi Germany.) Fuer Finkelstein sind jedoch diese materiellen Aspekte ganz wesentlich. So lautet seine dritte These, die sich mit der Frage der materiellen Entschaedigung der verfolgten Juden beschaeftigt, dass sich die sogenannte "Holocaust-Industrie" (hier von ihm im wesentlichen mit der Jewish Claims Conference bzw. dem World Jewish Congress gleichgesetzt) eines "doppelten Abkassierens" schuldig gemacht habe. Dazu sei zugleich der Begriff des "Holocaust survivors" inflationiert worden. Die deutsche, aber juengst auch die Schweizer Regierung seien dabei selbst zum Opfer eines schamlosen Abkassierens unter Vorspiegelung falscher Tatsachen geworden. Mehr noch, Finkelstein wirft der Jewish Claims Conference auch die Veruntreuung der erhaltenen Mittel vor. Diese seien anstatt an die ueberlebenden Opfer an juedische Gemeinden in der arabischen Welt geleitet worden und haetten die juedische Emigration aus Osteuropa nach Israel erleichtert. Auch das juengst mit der Bundesrepublik geschlossene Abkommen zur Einrichtung einer mit 10 Milliarden DM dotierten Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft" bezeichnet Finkelstein als Ergebnis solcher wirtschaftlicher Erpressung. Auch hier liesse sich der Finger leicht wieder in die schon mehrfach erwaehnte Wunde legen: Ungenauigkeiten im Detail und aggressive Polemik praegen auch diesen Absatz. Wieder fleddert Finkelstein einige Standardwerke der Literatur und bastelt die passenden Stellen als Belege in seine eigene Argumentation ein. Doch haette ihn eine gruendliche Lektuere vor einem grundsaetzlichen Missverstaendnis bewahren koennen: Finkelstein argumentiert mit den Interessen der juedischen Ueberlebenden, die er den als intrigenhaft gebrandmarkten Versuchen vor allem der Jewish Claims Conference gegenueberstellt, die erhaltenen Gelder zum Wiederaufbau juedischer Gemeinden zu verwenden. Dabei uebersieht er, dass schon Jahre vor Kriegsende auf juedischer Seite ein Konflikt darueber entstand, wer der legitime Erbe des juedischen Vermoegens sein sollte. Diese Frage stellte sich vor allem deshalb, weil oft ganze Familien ermordet worden waren (was nach deutschem Recht zur Folge gehabt haette, dass der Staat als Erbe eingetreten waere, was natuerlich nicht akzeptabel war.) Deshalb durchzog das Konzept einer juedischen kollektiven Erbenschaft von Anfang an die Entschaedigungsdiskussion. Dabei setzte sich in der innerjuedischen Auseinandersetzung bald eine enge Verknuepfung mit zionistischen Interessen durch, und dies scheint letztlich der Punkt zu sein, an dem sich Finkelstein stoert. Zugleich ignoriert er neben vielem anderen, dass die Jewish Claims Conference in der Entschaedigungsfrage mehrfach auch als "Eisbrecher" zum Vorteil anderer Verfolgtengruppen agierte. Gerade bei der Auseinandersetzung mit der Frage der materiellen Entschaedigung zeigt sich damit sein reduzierter Zugriff, der alle Probleme auf einen Erklaerungsaspekt reduziert: auf den Bereicherungs- und Machtwillen amerikanischer, juedischer Organisationen. Solche monokausalen Erklaerungen besitzen aufgrund der ihnen eigentuemlichen Widerspruchsfreiheit einen suggestiven Reiz. Doch sind sie intellektuell ungenuegend - und mitunter auch gefaehrlich. Finkelstein verteidigte sich juengst vehement gegen den Vorwurf seiner zahlreichen Kritiker, mit seinen verschwoerungstheoretischen Erklaerungen Anstiftung zum Antisemitismus zu betreiben: Man duerfe nicht den Boten zum Schuldigen machen, sondern muesse den skrupellosen Machenschaften der "Holocaust-Industrie" das Handwerk legen, die mit ihrer masslosen Bereicherungssucht zur Wiederbelebung antisemitischer Stereotypen vom raffgierigen Judentum in der Welt beitruegen.[5] Dieser "Haltet-den-Dieb"-Ruf lastet jedoch nicht nur die Verantwortung fuer den Antisemitismus den Juden auf, sondern laeuft letztlich auch auf eine Logik hinaus, wonach die einstmals von den Nationalsozialisten verfolgten Gruppen doch bitteschoen nicht allzu dreist auftreten sollten, da sonst vielleicht doch noch einmal die alten Vorurteile erinnert werden koennten, die dereinst eben jener Verfolgung zugrunde gelegen hatten. Um es nochmals zusammenzufassen: Finkelsteins radikalisiert Fragen und Ergebnisse der vorliegenden Forschung in einer Weise, die zu einer Emotionalisierung und Polarisierung der Diskussion fuehrt. Auf diese Weise verleiht er einer wichtigen Debatte groessere Aufmerksamkeit, wenngleich seine Vorgehensweise die Beteiligten sozusagen in die Graeben zwingt, aus denen nun oftmals mehr geschossen als argumentiert wird. Diese doppelte Wirkung markiert etwa ein juengst erschienener Artikel in der amerikanischen, konservativ-juedischen Intellektuellenzeitschrift "Commentary", der sich in aeusserst kritisch mit der aggressiven Kommerzialisierung der Holocaust-Entschaedigungen befasste - und sich zugleich von Finkelstein heftig distanzierte.[6] Im Vorfeld des letzten Historikertages wurde eine oeffentliche Debatte dieses Buches damit zurueckgewiesen, dass hier kein genuin deutsches Problem beruehrt sei. Vielleicht verbirgt sich in diesem Thema aber doch auch ein wichtiger Anstoss zur Selbstreflexion der deutschen Historiker, die sich gerne als "Zunft" bezeichnen: Welche Rolle spielen diese fuer die Kommerzialisierung des Holocaust, an der sie, zumal in Zeiten wachsenden Drucks zur Beschaffung von Drittmitteln, gegenwaertig kraeftig partizipieren? Vielleicht waere ja diese Frage ebenso interessant wie die nach der Nutzung von Karrierechancen durch unsere 'Grossvaeter' in den 1930er Jahren. Anmerkungen [1]. Peter Novick, The Holocaust in American Life, Boston u. New York 1999. [2]. Ulrich Herbert, Vorschnelle Begeisterung. Ein kritikwuerdiges Buch, eine nuetzliche Provokation: Ueber die Thesen Norman Finkelsteins, in: Sueddeutsche Zeitung vom 18.8.2000. [3]. Vgl. dazu Novick, Holocaust in American Life; sowie Slavoj Zizek, Du sollst Dir Bilder machen! Der Holocaust zwischen Schweigen und Lachen, in: Sueddeutsche Zeitung vom 31.8.2000. [4] Herbert, Vorschnelle Begeisterung. [5]. Norman Finkelstein, Der Bote ist der Schuldige. Verschwoerungstheorien oder Tabubruch? Eine Erwiderung an meine Kritiker, in: Sueddeutsche Zeitung vom 9.9.2000. [6]. Gabriel Schoenfeld, Holocaust Reparations - A Growing Scandal, in: Commentary, Sept. 2000.
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