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Robert S. Wistrich. Hitler und der Holocaust. Kleine Weltgeschichte. Berlin: Berliner Taschenbuch Verlag, 2003. 414 S. Bibliographische Angaben und Index. EUR 9.90 (broschiert), ISBN 3-442-76120-4.

Reviewed by Stefan Scheil, Historisches Institut, Universität Karlsruhe.
Published by H-Soz-u-Kult (November, 2003)

Um es gleich zu sagen: Der in Jerusalem und Harvard lehrende Antisemitismusforscher Robert Wistrich hat eine ebenso souveräne wie kritikwürdige Darstellung des Mordes an den europäischen Juden vorgelegt. Vor zwei Jahren in London erschienen, liegt sie nun in deutscher Übersetzung vor. Der--aus dem englischen übernommene--Titel ist allerdings ein wenig irreführend. Denn obwohl auch die Fragen nach Hitler und seiner Beziehung zum Holocaust behandelt werden und Wistrich etwa die diesbezüglichen Thesen von Christian Gerlach zurückweist,[1] ist die vorliegende Arbeit nicht in erster Linie eine Untersuchung über Hitlers persönliche Motive für den Genozid oder die weiterhin diskutierte Frage, ob überhaupt oder wann genau Hitler den Mord ausdrücklich befohlen hat. Wistrichs Anliegen ist deutlich umfassender. Der Autor liefert nicht weniger als eine kurze Gesamtdarstellung und dazu eine Gesamt-Interpretation des Holocaust.

Die Studie teilt sich in zwei Abschnitte. Wistrich beginnt mit vier chronologisch orientierten Kapiteln, in denen er von den Ursprüngen antisemitischen Denkens im Mittelalter, über dessen Geschichte im Deutschland der Wilhelminischen und der Weimarer Zeit bis hin zu den ersten Verfolgungsmaßnahmen der Nationalsozialisten und der schließlichen "Endlösung" eine Darstellung der Judenfeindschaft bis hin zur Mordbereitschaft und dem Mord selbst gibt. Angeschlossen sind vier weitere Kapitel, die unter dem Stichwort "Kreuz und Hakenkreuz", die Rolle der katholischen Kirche in diesem Drama beschreiben oder unter "Kollaboration innerhalb Europas" die geistigen Voraussetzungen für den fehlenden Widerstand gegen und die partielle Mitarbeit am Holocaust in Ländern wie Polen untersuchen. Warum Auschwitz nicht bombardiert wurde und andere dringende Fragen an die Westmächte werden in erkennbarer Anlehnung an Richard Breitman in "Großbritannien, Amerika und der Holocaust" gestellt,[2] während der "Holocaust und die Moderne" eine abschließende Betrachtung darstellt, bei der sich Wistrich unter anderem mit den Thesen von Götz Aly und Susanne Heim auseinandersetzt, die dem Verbrechen eine ökonomische Dimension zugewiesen haben.[3] Wistrich weist dies letztlich ebenso zurück wie die bekannten Thesen von Daniel Goldhagen über den besonderen eliminatorischen Antisemitismus der Deutschen. Überhaupt entwickelt er in der Darstellung und Auseinandersetzung mit der einschlägigen Literatur eine durchaus eigene Position. Er betont drei Punkte in besonderem Maß. Da sei zum einen die Einzigartigkeit des Holocaust, nicht wegen seiner Opferzahlen, sondern wegen des damit verbundenen zivilisatorischen Bruchs.

Da sei zum zweiten die europäische Dimension des Verbrechens, denn der Holocaust war, wie Wistrich zusammenfaßt, "ein paneuropäisches Ereignis, zu dem es nicht hätte kommen können, wenn nicht in den späten dreißiger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts Millionen von Europäern ein Ende der uralten jüdischen Präsenz in ihrer Mitte hätten sehen wollen. Besonders stark ausgeprägt war dieser Konsens in den Ländern des östlichen Zentraleuropa, wo die Mehrzahl der Juden lebte und noch ihre nationalen Besonderheiten und ihre kulturellen Eigenarten bewahrte. Aber auch in Westeuropa und in Amerika zeigte sich ... ein wachsender Antisemitismus, (der) die Bereitschaft britischer und amerikanischer Entscheidungsträger, während des Holocaust wesentliche Rettungsbemühungen zu Gunsten der europäischen Juden zu unternehmen, negativ beeinflussen (sollte)" (S. 16f.). Wie schon in früheren Darstellungen, deutet Wistrich die jüdische Gemeinschaft als universell von Feinden umgeben und zeigt vor diesem Hintergrund den eliminatorischen Antisemitismus nicht als spezifisch deutschen, sondern als allgemein westlich-europäischen.

Daran schließt sich der dritte Punkt an, den der Autor abschließend hervorhebt. Der Holocaust hat für ihn eindeutig eine religiöse Komponente, und er zitiert zustimmend Hyam Macoby, daß er "eine unmittelbare Auswirkung jahrhundertelanger christlicher Lehrtätigkeit" gewesen sei. Der Holocaust erscheint hier als christliches Verbrechen, eine "moderne Version eines christlichen heiligen Krieges", begangen allerdings von einem "neuheidnischen" politischen System, wie Wistrich gleichzeitig schreibt, das ein "totalitär-nihilistischer Angriff auf die Ethik des Christentums" gewesen sei.(S. 333) Spätestens hier tauchen daher überdeutlich Fragezeichen auf, denn so recht schlüssig wirkt diese Beschreibung einfach nicht, die den Nationalsozialismus sowohl als radikale Absage, wie als logische Fortsetzung des Christentums sieht. Hitler habe sich als "germanischer Krieger-'Christus' ausgegeben" (S. 333). Das ist eine Deutung, die vor einiger Zeit auch Claus-Ekkehard Bärsch favorisiert hat.[4] Sie wirft die Frage auf, ob hier nicht dem Appell an die "Vorsehung" und dem häufigen Gebrauch christlich-abendländischer Metaphern durch die Nationalsozialisten eine überzogene Bedeutung zugewiesen wird. Das wird weiter kontrovers diskutiert werden, tut dem positiven Gesamturteil über die Studie allerdings nur wenig Abbruch. Für eine Neuauflage unbedingt zu korrigieren wären jedoch die teilweise grotesk falsch gezeichneten Karten im Anhang und das Fehlen eines Sachregisters."

Anmerkungen:

[1]. Gerlach, Christian, Die Wannsee-Konferenz, in: WerkstattGeschichte 18, 1997, S. 29 f.

[2]. Breitman, Richard: Staatsgeheimnisse, Die Verbrechen der Nazis - von den Alliierten toleriert, München 1999.

[3]. Aly, Götz; Heim, Susanne: Vordenker der Vernichtung, Hamburg 1991.

[4]. Bärsch, Claus-Ekkehard: Die politische Religion des Nationalsozialismus, München 2002.

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