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 H-NET BOOK REVIEWPublished by H-Soz-u-Kult@h-net.msu.edu
        (November, 1999)
 
 George L. Mosse.  The Fascist Revolution. Toward a General Theory
 of Fascism.  New York: Howard Fertig 1999. xviii + 230 S.
 Bibliographie.  $35.00, ISBN: 0-86527-432-0.
 
 Rezensiert fuer H-Soz-u-Kult von Jens Hacke
 jens.hacke@rz.hu-berlin.de
        Institut fuer Geschichtswissenschaften,
 Humboldt-Universitaet zu Berlin
 
 Der amerikanische Historiker George Mosse muss fuer den
 deutschsprachigen Raum nicht erst entdeckt werden, denn seine nun
 schon klassischen Werke ueber die "voelkische Revolution", die
 "Geschichte des Rassismus in Europa" oder ueber die
 "Nationalisierung der Massen" erreichten hierzulande alle
 Taschenbuchauflagen.[1] Es ueberrascht
        zunaechst, dass sich fuer
 keines der genannten Buecher ein Rezensent im repraesentativen Organ
 der deutschen Historikerschaft, der Historischen Zeitschrift, fand.
 Mosses Arbeiten koennen wahrscheinlich aus einem triftigen Grund
 klassisch genannt werden: weil sie auf eine selbstbewusste Weise
 unzeitgemaess waren und oftmals Trends vorwegnahmen, die erst
 spaeter die deutsche Historiographie dominierten. Thematisierte
 Mosse Festkultur und nationale Selbstinszenierung im 19. und 20.
 Jahrhundert schon seit Anfang der 70er Jahre, so geschah dies in
 Deutschland mit mindestens einem Jahrzehnt Verzoegerung. In Zeiten
 politik- und sozialgeschichtlicher Dominanz wirkte jemand wie Mosse,
 der die Faschismen als kulturelle Bewegungen verstehen wollte,
 seltsam fremd.
 
 Noch kurz vor seinem Tod im Januar 1999 hat der 80jaehrige einen
 Band mit dem (zu) viel versprechenden Titel "The Fascist
        Revolution.
 Toward a General Theory of Fascism" zusammengestellt und
 eingeleitet, der eine Sammlung von zehn verschiedenen Essays zum
 europaeischen Faschismus beinhaltet. Die Arbeiten in dem
 vorliegenden Band entstanden zwischen 1961 und 1996 und sind
 allesamt schon in Zeitschriften und Sammelwerken veroeffentlicht
 worden. Wie Ernst Nolte in seiner Habilitationsschrift "Der
 Faschismus in seiner Epoche"  konzentriert sich Mosse auf den
 Nationalsozialismus, den italienischen Faschismus und - kursorisch -
 auf die Action franpaise.[2] Damit widmet sich
        der Historiker noch
 einmal dem Phaenomen des Faschismus, das ihn zeit seines Lebens
 nicht nur professionell beschaeftigt, sondern auch ganz existentiell
 bestimmt hat, denn Mosse musste, als Sohn des bekannten Berliner
 Verlegers Hans Lachmann-Mosse, 1933 aus Deutschland emigrieren.
 Gemeinsam mit Fritz Stern und Peter Gay gehoerte er der bedeutenden
 Generation von amerikanischen Historikern an, die aus der
 traumatischen Erfahrung, im "Dritten Reich"  nicht mehr
        juedische
 Deutsche sein zu duerfen, zum kultur- und ideengeschichtlichen
 Verstaendnis des Weges in den "Fuehrerstaat"  wesentlich
        beigetragen
 haben.[3]
 
 Mosses Konzept einer Kulturgeschichte setzt einen breiten, sich auf
 alle Lebensbereiche erstreckenden Kulturbegriff voraus.
 Kulturgeschichtsschreibung handelt in seinem Sinne allgemein von den
 "Perzeptionen" der Menschen und davon, wie diese Wahrnehmungen
        und
 Auffassungen - auch durch die Politik - geformt und in Anspruch
 genommen werden (XI). Diese Sicht korrespondiert mit der
 faschistischen, sehr umfassenden Lesart des Begriffes, denn in der
 faschistischen Ideologie galt Kultur, so Mosse, allgemein als
 "proper attitude toward life" - eine Haltung, die den Glauben
        an den
 Fuehrer, Arbeitsethos und Disziplin, aber auch Heimatverbundenheit
 und einen Sinn fuer Kunst einschloss (12).
 
 Indem Mosse den Faschismus als "nationalistische Revolution mit
 eigener Ideologie und eigenen Zielen" (XI) versteht [4],
        kann er
 erstens sowohl Revolutionen von links als auch von rechts fuer
 grundsaetzlich moeglich und vergleichbar erklaeren und zweitens eine
 generelle Definition mitliefern: Revolution ist dann die "kraftvolle
 Neuordnung der Gesellschaft im Licht einer projizierten Utopie"
 (XII). Mosse uebt deutliche Kritik an dem (freilich nicht mehr allzu
 verbreiteten) Modell einer "guten Revolution" und weist
        zurecht
 darauf hin, dass die faschistischen Bewegungen im Gegensatz zum
 Bolschewismus nicht erst durch einen Buergerkrieg an die Macht
 kommen mussten. In Italien wie auch in Deutschland sicherte sich
 eine neue Elite die Herrschaft vielmehr mit modernen "Methoden der
 Massenmobilisierung und - lenkung" (6).
 
 Weder sozialoekonomische noch normative Schranken behindern Mosses
 Begriff von der faschistischen Revolution, deren Selbstwahrnehmung
 und -darstellung als "kulturelle Bewegung" Mosses
 Untersuchungsparadigma begruenden: "Jede vergleichende Studie muss
 auf einer Analyse der kulturellen Uebereinstimmungen und
 Unterschiede basieren", weil die sozialen und oekonomischen
 Vorstellungen nicht nur international, sondern schon innerhalb jeder
 faschistischen Partei erheblich variierten (12). Die langjaehrigen
 Kontroversen um Faschismus- und Totalitarismustheorien werden somit
 groesstenteils ignoriert. Darin liegen - um es vorwegzunehmen -
 Vorzuege und Nachteile zugleich. Insofern fuehrt der Untertitel
 (gleichzeitig Thema des ersten Essays) in die Irre, denn es kann
 keine Rede von einer Annaeherung an eine anwendungsorientierte
 Theorie des Faschismus sein. Die wichtigsten der hier versammelten
 Arbeiten behandeln die Bereiche "Faschistische Aesthetik und
 Gesellschaft" (45-54), "Rassismus und Nationalismus"
        (55-68), "Der
 Faschismus und die Franzoesische Revolution" (69-93), "Der
 Faschismus und die Intellektuellen" (95-116), "Der Faschismus
        und
 die Avantgarde" (137-156).
 
 Im Vergleich zeigen sich fuer Italien und Deutschland im Zeitalter
 des Faschismus kongruente Erscheinungen, die seit der Franzoesischen
 Revolution die Nationalisierung und Mobilisierung der Massen
 bewirken. Hier wie dort wurden die Leitmotive des Nationalismus
 sowie Rituale und Kulte der nationalen Selbstinszenierung
 uebernommen: die Idee des einheitlichen nationalen Willens,
 Militarismus und Uniformierung, Totenkult, Jugend- und
 Schoenheitskult. Gleichermassen hingen der Nationalsozialismus und
 der italienische Faschismus der Vorstellung von der Schaffung eines
 neuen Menschen an, und den totalen Anspruch faschistischer bzw.
 nationalsozialistischer Doktrin leitet Mosse ideengeschichtlich vom
 Nationalismus - hier dem Jakobinismus - her. Insbesondere der
 jeweilige Bezug auf die Franzoesische Revolution zeigt fuer Mosse
 ein Unterscheidungsmerkmal des Nationalsozialismus, der durch seine
 rassistische und antisemitische Fixierung zu einer radikalen
 Absetzung von 1789 gelangte; die Revolution war aus
 nationalsozialistischer Sicht von Juden und Freimaurern initiiert
 worden und besass damit "materialistischen" und "liberalistischen"
 Charakter. In den romanischen Laendern sah man dies auch auf der
 radikalen Rechten differenzierter und suchte vielmehr, bei
 Bewunderung der revolutionaeren Kraft von 1789 die eigenen Ideale
 "realistischer" umzusetzen, wobei ebenso auf Erziehung gesetzt
        und
 jegliche "rassische" Zuechtungsvisionen fehlten (88- 93).
 
 Die feste Verankerung des Nationalsozialismus im voelkischen Denken
 und seine spezifische Verwandtschaft mit den Auslaeufern des
 deutschen Idealismus und Irrationalismus bedingten seine besondere
 Provinzialitaet. Hitler erreichte nie die Attraktivitaet fuer
 intellektuelle Eliten, die Mussolini anfaenglich durch seine
 Offenheit gegenueber Zeitstroemungen wie dem Futurismus und dem
 Expressionismus zueigen war. In Italien verhinderten "roemische und
 katholische Traditionen" eine radikale Entgleisung in den
 Provinzialimus des voelkischen Denkens (145).
 
 Das Dilemma der Intellektuellen, die sich dem Faschismus
 verschrieben hatten, laesst sich wiederum generell beschreiben.
 Elitaere Vorstellungen brachen sich haeufig mit der realisierten
 "Gleichheit" innerhalb der "Masse" im faschistischen
        Staat. Die
 Etablierung neuer kultureller Werte scheiterte angesichts des
 schnell dominierenden kleinbuergerlichen Massengeschmacks. So stellt
 Mosse fest: "Der Bauer, der den heroischen Prototyp im Faschismus
 abgab, war kein Nietzscheanischer Prometheus, sondern stellte sich
 als bequemer Bourgeois heraus." (115) Die Konsequenz dieser
 "bourgeois anti- bourgeois revolution" (149) war, dass
        Faschisten
 und Nationalsozialisten zwar den Anspruch auf eine "geistige
 Umwaelzung" erhoben, "die durch die Schaffung eines neuen
        Menschen
 die Nation und die Welt erneuern wuerde", sie jedoch in
        Wirklichkeit
 in "middle-class values" verfangen blieben (116). Nun koennte
        man
 einwenden, dass sich dieses Auseinanderklaffen von aesthetischem
 Ideal und ernuechternder Wirklichkeit auch dort finden laesst, wo
 die "Herrschaft der Arbeiterklasse" errichtet werden sollte.
 Wichtiger erscheint es jedoch, die Grenzen von Mosses Modell der
 faschistischen Revolution kenntlich zu machen, dessen Staerke vor
 allem darin liegt, die faschistischen Revolutionen als
 Bewusstseinsphaenomene deutlich zu machen. Was koennen diese anderes
 sein als selbsterzeugter Mythos von Bewegung, wenn der utopische
 kulturelle, gesellschaftliche und politische Anspruch immer weit
 hinter den bewusst verschleiernden Zielvorstellungen zurueckblieb?
 
 Mosse scheint seine eigenen Befunde zu relativieren, wenn er selbst
 an einer Stelle davon spricht, dass man eher von "faschistischer
 Dynamik" (51) sprechen sollte als von Revolution - eine Bezeichnung,
 die als wissenschaftlicher Begriff ohnehin wenig nuetzt.
 Problematischer wirkt Mosses unzureichende begriffliche
 Differenzierung zwischen Faschismus und Nationalsozialismus, die
 z.T. synonym gebraucht, manchmal aber auch unterschieden werden.
 Dies liesse sich deutlich besser ausserhalb des
 kulturell-aesthetischen Bereiches klaeren, und Mosses Ansatz
 verharmlost hier wahrscheinlich in puncto Dynamik, Effizienz und
 Radikalismus deutliche Unterschiede, die in seiner Betrachtungsweise
 nicht greifbar sind.
 
 Insgesamt bietet dieser Sammelband dem Leser die wesentlichen und
 wiederkehrenden Thesen Mosses sehr praegnant dar und kann somit als
 griffige Einfuehrung in das Lebenswerk dieses aussergewoehnlichen
 Gelehrten dienen, der seine Zeitzeugenschaft und die daraus
 resultierende persoenliche Erfahrung nie verheimlicht hat: "I
 remember how, in the 1930s, even in the midst of our antifascist
 engagement, we could only laugh at Mussolini's posturing, and his
 gestures [...] without attempting to understand its true import or
 considering whether a fascist aesthetic could have played a crucial
 role in its appeal. As historians we were not accustomed to give
 aesthetics much weight as over against economic or social forces. We
 failed to see that the fascist aesthetic itself reflected the needs
 and hopes of contemporary society, that what we brushed aside as the
 so-called superstructure was in reality the means through which most
 people grasped the fascist message, transforming politics into a
 civic religion." (46) Den Ursachen dieses Irrtums hat sich Mosse
        auf
 faszinierende Weise wissenschaftlich gewidmet und damit neue
 Herangehensweisen eroeffnet.
 
 Anmerkungen:
 
 [1].  George L. Mosse, _Die voelkische
        Revolution. Ueber die
 geistigen Wurzeln des Nationalsozialismus_, Frankfurt 1991; ders
 _Die Geschichte des Rassismus in Europa_, Frankfurt/M. 1990; ders.:
 _Die Nationalisierung der Massen. Politische Symbolik und
 Massenbewegungen von den Befreiungskriegen bis zum Dritten Reich_,
 Frankfurt/M. / New York 1993.
 
 [2].  Ernst Nolte: _Der Faschismus in seiner
        Epoche, 9. Aufl.
 Muenchen 1995. "Eine umfassende Analyse des europaeischen
 Faschismus" leistet Stanley G. Payne: _A History of Fascism
 1914-1945_, Madison 1995.
 
 [3].  Zu Mosse siehe insbesondere Steven E.
        Aschheim: "George Mosse
 at 80. A Critical Laudatio", JCH 34 (1999), 295-312; und ferner die
 sehr persoenliche Wuerdigung von Anson Rabinbach:  "George L.
        Mosse
 1919-1999. An Appreciation,"  CEH 32 (1999), 331-336.
 
 [4].  Alle in dieser Rezension auf Deutsch
        wiedergegebenen Zitate
 aus dem besprochenen Buch wurden von mir uebersetzt, J.H..
 
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