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H-NET BOOK REVIEW
Published by H-Soz-u-Kult@h-net.msu.edu (May, 2000)
David Clay Large.  Hitlers Muenchen. Aufstieg und Fall der
Hauptstadt der Bewegung, Aus dem Englischen von Karl Heinz Siber.
Muenchen: Beck, 1998. 515 S.  DM 49,90 (taschenbuch), ISBN
3-406-44195-5.
Reviewed for H-Soz-u-Kult by Claus-Christian W. Szejnmann
<ccws1@leicester.ac.uk>, Lecturer in Modern European History,
University of Leicester, UK
Hitler fuehlte sich in Muenchen wohl, ja schwaermte von der
Isarmetropole.  In "Mein Kampf" schrieb er, dass er mehr an Muenchen
hing "als an irgendeinem anderen Flecken Erde auf dieser Welt".[1]
Nachdem Hitler als Vierundzwanzigjaehriger im Mai 1913 von Wien nach
Muenchen uebersiedelte, blieb sein Leben bis zu seinem Tod eng mit
der Geschichte der Stadt verknuepft. Er formulierte hier erstmals
seine Weltanschauung, entdeckte hier sein Talent als Redner, wurde
Mitglied der "Deutschen Arbeiterpartei" (spaeter NSDAP) und
versuchte 1923 die Macht im Reich zu ergreifen. Hier entstand der
"Fuehrermythos" um ihn; von hier aus breitete sich die NSDAP in ganz
Deutschland aus und selbst nach 1933 blieb Muenchen das Zentrum der
nationalsozialistischen Bewegung.
Natuerlich nimmt der Themenkomplex, warum gerade Muenchen zur Wiege
und Metropole der Nationalsozialisten wurde, einen wichtigen
Stellenwert in der neuen Deutschen Geschichte ein und ist somit auch
schon in vielen Studien untersucht worden. David Clay Large erhebt
auch nicht den Anspruch, Forschungsluecken zu fuellen, sondern
verspricht einen neuen Blickwinkel und seine Interpretation (18).
Laut Large haben traditionelle Studien Muenchens Rolle in der
Geschichte des Nationalsozialismus vor allem mit dem Trauma der
Revolution und Raeterepublik 1918-1919 assoziiert ("ohne Eisner kein
Hitler", 160). Nach dieser Interpretation grub sich diese Episode
"so tief in das Bewusstsein der Muenchner Mittelschicht ein, dass
diese fuer die antimarxistische Ideologie der Nationalsozialisten
hoechst empfaenglich wurde" (18).  Large sieht die Wurzeln des
nationalsozialistischen Erfolgs dagegen in den drei oder vier
Jahrzehnten vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges, dem sogenannten
"goldenen Zeitalter"  Muenchens. Auch wenn in vielen Publikationen
mit aehnlichem Thema diese Periode viel zu kurz kommt [2], muss hier
allerdings angemerkt werden, dass andere Autoren auch schon
dahingehend argumentiert haben. Beispielsweise konzentrierte sich
Hermann Wilhelms Studie "Dichter, Denker, Fememoerder" auf das
rechtsradikale Milieu in Muenchen von der Jahrhundertwende bis 1921;
und Karl-Ludwig Ay verwies ausdruecklich auf die tieferliegenden
Ursachen der politischen Rahmenbedingungen fuer den Austieg Hitlers
in Muenchen.[3]
Das erste Viertel des Buches blickt hinter die Fassade von Muenchen,
das sich zu dieser Zeit "einen Ruf als die toleranteste,
buergerfreundlichste und heiterste Stadt Deutschlands erworben
hatte" (10).  Dieser Ruf basierte nicht zuletzt auf Muenchens
beruehmtestem Wirtschaftsgut: seinem Bier.  Bierkeller luden aber
nicht nur zur Geselligkeit ein, sondern waren auch zunehmend
Schauplaetze von Schlaegereien und Tumulten, in denen die Masskruege
nach ideologischen Wortgefechten zu gefaehrlichen Waffen
umfunktioniert wurden. Hier offenbarte sich "eine Zeit
verschaerfender sozialer Disharmonien und wachsender politischer
Spannungen" (20).  Auch in der gefeierten Muenchner Kultur des Fin
de Siecle entdeckt Large "einen zutiefst problematischen Aspekt, was
die von ihr hinterlassene ideologische Erbschaft betraf" (18).  Hier
prallten Werke der Moderne, z.B. in Form der Malerei des Blauen
Reiters, mit einer "Kritik der kosmopolitischen Modernitaet und des
politischen Liberalismus" zusammen.  Letzteres war das
"protofaschistische Kulturerbe", was "die Hitler-Bewegung mit der
kulturellen Identitaet und Geschichte Muenchens"  verband (19).
Large gelingt eine faszinierende Beschreibung der Konflikte und
Antagonismen, die Muenchen vor dem Ersten Weltkrieg plagten. Das
vielleicht aufschlussreichste Kapitel handelt von Schwabing, "der
Heimat der deutschen Boheme". Hier lebte beispielsweise Graefin
Franziska zu Reventlow, mit ihrem kuriosen "Gemisch aus
fortschrittlichem und reaktionaerem Gedankengut" (50).  Auf der
einen Seite war die "Koenigin von Schwabing" durch ihre ungebundene
Lebensfuehrung und ihrem Bekenntnis zur "freien Liebe", trotz eines
unehelichen Kindes, eine Ikone der Frauenbewegung. Auf der anderen
Seite verachtete sie ihre Geschlechtsgenossinnen, die um das
Frauenwahlrecht kaempften, fand Politik nutzlos und war der
Ueberzeugung, "dass der beste Platz fuer eine Frau das Bett sei"
(56). Von Schwabing aus nahm aber auch die legendaere
Monatszeitschrift "Simplicissimus" das preussische Establishment und
die bayerische Rueckstaendigkeit aufs Korn. Gleichzeitig trat der
"Simpl" aber fuer aggressive Ideale der Nation ein und schwelgte in
Klischees ueber das Judentum. Laut Large fuehrte die obskure
Beimischung von Rassismus, Engstirnigkeit und Heldenanbetung der
Bohemekultur in der Isarstadt nicht zuletzt dazu, dass Berlin
Muenchen als Zentrum der deutschen Avantgarde abloeste (70-71).
Larges Argument, dass Entwicklungen in der Muenchner Gesellschaft
vor dem Ersten Weltkrieg den Naehrboden vorbereiteten, fuer das, was
sich anschliessend abspielte, ueberzeugt. In der anschliessenden
Diskussion ueber den Krieg und die Revolution, die das "Klima des
Hasses und der Angst"  verschaerften (162), haette man sich
allerdings eine praezisere Beschreibung gewuenscht, wieso sich hier
eine hochexplosive Masse bildete.  Anders ausgedrueckt, eine
schaerfere Analyse der Alltagserfahrungen und Aengste der Arbeiter,
Angestellten und Besitzer der zahlreichen kleinen und mittleren
Betriebe, deren wirtschaftliche Existenz durch den Krieg und die
Inflation vernichtet wurde, fehlt. Larges Erklaerung, wieso sich
ausgerechnet die Nationalsozialisten an die Spitze der Meute setzen
konnten, folgt weithin akzeptiertem Muster. Einmal war da Hitlers
Talent als Redner. Zum anderen waere Hitler "ohne die Unterstuetzung
seiner Freunde hoechstwahrscheinlich ein zweitrangiger
Bierkellerprophet geblieben" (194). Seine Freunde gaben ihm wichtige
Impulse, um eine kohaerente Weltanschauung aufzubauen, ausserdem
oeffneten sie ihm die Tueren zu wichtigen Gesellschaftskreisen.
Nicht zuletzt bewegten sich die Nazis voellig selbstverstaendlich in
den buergerlichen Kreisen Muenchens, weil das foederal eingestellte
Bayern im Konflikt mit dem zentralistischen Reich besonders
konservative und nationalistische Zuege annahm.
Die Zeit der Stabilisierung enthaelt, neben einer Behandlung der
stagnierenden NSDAP, interessante Beobachtungen ueber das breite
Spektrum und die gemeinsame Vorgehensweise des
national-konservativen Milieus in Muenchen. Beispielsweise wurde
"Wedekinds Stueck 'Die Buechse der Pandora' abgesetzt, nachdem sich
den Protesten der Nazis die Polizei, die Kirche und die BVP
angeschlossen hatten" (265).
Wenn eine Periode in dem Buch einfach zu kurz kommt, ist es die Zeit
und Atmosphaere zwischen 1929 und 1932, die Jahre der
Wirtschaftskrise, des Zusammenbruchs der Weimarer Republik und des
dramatischen Aufstiegs der NSDAP. Vergeblich sucht der Leser nach
Erklaerungen, wieso die Muenchner NSDAP am Ende der Republik in
Wahlen verhaeltnismaessig schlecht abschnitt (Hitlers Partei erhielt
selbst in den Reichstagswahlen am 5. Maerz 1933 "nur" 37,8 Prozent
der Stimmen, waehrend ihr nationaler Durchschnitt bei 43,9 lag) oder
warum die Nationalsozialisten einige Milieus erobern konnten, andere
aber nicht.  In diesem Teil kommt die groesste Schwaeche der Studie
am deutlichsten zum Vorschein. Waehrend sie naemlich das spezifische
Milieu von Schwabing so ausgezeichnet beschreibt ("Hitlers
Muenchen"), erfaehrt der Leser fast nichts ueber das "andere"
Muenchen vor 1933: nichts ueber andere Stadtteile, vor allem aber
auch nichts ueber die hoechst interessanten und bedeutenden
sozialistischen und katholischen Milieus. Dies mag zu dem Eindruck
beitragen, dass, nachdem der Autor seine These von den tiefsitzenden
Wurzeln des Nationalsozialismus ueberzeugend praesentiert hat, dem
Werk in gewisser Hinsicht gerade dafuer ein Argument fehlt.
Larges Analyse von Muenchen waehrend der Nationalsozialistischen
Diktatur, das sich der Titel "Hauptstadt der Bewegung" und
"Hauptstadt der Deutschen Kunst" erfreute, deckt eine Fuelle von
interessanten Aspekten ab, so die Beitraege ueber das
Konzentrationslager Dachau ("Dachau is net fuer d' Gaens' baut
wor'n") und ueber die "Nacht der langen Messer", bei der Muenchen
und Umgebung eine zentrale Rolle spielten. Zudem folgen
aussagekraeftige Teilkapitel ueber das, womit man die Isarstadt im
Dritten Reich assoziiert. Beispielsweise den Kult zur jaehrlichen
Feier des Hitlerputsches, Ausstellungen im "Haus der deutschen
Kunst", aber auch Hitlers haeufige Aufenthalte in seiner Muenchener
Privatwohnung, von wo aus er seine Lieblingsrestaurants besuchte,
endlos ueber Kunst und Architektur schwadronierte und sich mit
grandiosen, aber unverwirklicht gebliebenen architektonischen
Plaenen fuer die Stadt befasste. "Der Schoene Schein des Dritten
Reiches" wird eindrucksvoll von den Reaktionen der meisten
auslaendischen Besuchern dokumentiert, die selbst noch im Jahre 1937
mit Muenchen die scheinbar grenzenlose Festlaune der Bewohner
verbanden und nicht die brutale Wirklichkeit Dachaus (358).
Obwohl laut Large der Unterschied zu anderen Staedten waehrend des
zweiten Weltkrieges verblasst (391) - beispielsweise war auch die
Muenchener Bevoelkerung ab November 1940 von immer mehr Unheil
anrichtenden Luftangriffen betroffen - geht der Autor im Folgenden
auf eine Reihe von Ereignissen ein, die man doch nur mit Muenchens
spezifischer Geschichte erklaeren kann. So wurden die Grenzen des
totalitaeren Machtanspruches der Nationalsozialisten, aber auch die
insgesamt viel zu wenig ausgenutzten Potentiale einer wirkungsvollen
Verweigerung gegenueber dem Nationalsozialismus, in der
Landesmetropole des katholischen Bayerns teilweise offen deutlich.
Als Gauleiter Adolf Wagner es wagte, am 23.  April 1941 durch Erlass
anzuordnen, die Kruzifixe in den Klassenzimmern der Muenchner
Schulen durch "zeitgemaesse Bilder" zu ersetzen, ging ein solcher
Aufschrei durch die bayerische Bevoelkerung, dass Hitler persoenlich
den Befehl gab, die Massnahme rueckgaengig zu machen.
In einem sehr interessanten Epilog zieht Large ein
nuechtern-zynisches Fazit ueber die Entwicklung der Isarstadt seit
dem Ende des Zweiten Weltkrieges.  Danach wurde Muenchen nur wieder
gross, "weil die Stadt es verstand, die Erinnerung an ihre zentrale
Rolle im Dritten Reich zu verdraengen." (438)  Schon als US-Soldaten
Ende April 1945 in die Stadt einmarschierten, flatterten ploetzlich
Tausende weissblauer Fahnen aus den Fenstern, als wollten die Leute
sagen: "Das hier ist Bayern, nicht Deutschland." (433)
Bevor wir zu einem ueberaus lobenden Fazit kommen, sollten noch
einige Aspekte genannt werden, die dem Rezensenten
verbesserungsfaehig erscheinen.  Da das Buch die Muenchner
Gesellschaft oftmals aus der Sichtweise von Prominenten beschreibt,
wird nicht selten der Blickwinkel von anderen Gesellschaftsgruppen,
wie die von Frauen, dem "kleinen Mann" und verschiedenen
Generationen vermisst. Generell haette man sich mehr Vergleiche
gewuenscht, zumindest Ansaetze einer Gegenueberstellung Muenchens
mit seinem Umland und Vergleiche mit anderen deutschen Staedten.
Dies haette Besonderheiten und Gemeinsamkeiten herauskristallisiert
und die Untersuchung in die allgemeine Diskussion ueber die Wurzeln,
den Erfolg und die Grenzen des Nationalsozialismus eingebettet. So
begruessenswert die Behandlung einer langen Zeitspanne ist, es
scheint dies teilweise auf Kosten einer nuancierteren Analyse
gegangen zu sein. In der Besprechung der 12 Jahre dauernden
nationalsozialistischen Diktatur haette beispielsweise das komplexe
Geflecht von Zustimmung, Ablehnung und Gleichgueltigkeit von
einzelnen Muenchener Buergern gegenueber dem Nationalsozialismus
deutlicher zur Geltung kommen koennen.
Insgesamt ist Large aber zweifellos eine sehr eindrucksvolle Studie
gelungen, die vor allem von Nicht-Experten geschaetzt werden wird.
Hier schreibt jemand, der seine weitgefaecherten Kenntnisse in
scharfsinnige, lebendige und oft humorvolle Geschichtsschreibung
umsetzt (dafuer darf man wohl auch den Uebersetzer
beglueckwuenschen). Wenige Werke, die diesen langen Zeitraum
problematischer deutscher Geschichte behandeln, vermitteln solch
eine Fuelle von Einsichten und Ueberblicken in Form einer so guten
Lektuere.
Anmerkungen
[1].  Adolf Hitler: _Mein Kampf_, Muenchen 1941, S. 138. Zitiert aus
Large, Hitlers Muenchen, S. 75.
[2] . Das wohl ausfuehrlichste Werk ueber diesen Themenbereich
widmet der Zeit vor 1914 gerade 5 der 487 Seiten. Siehe Muenchner
Stadtmuseum (Hrsg.), Muenchen - 'Hauptstadt der Bewegung', Muenchen
1993 (Publikation zur Ausstellung im Muenchner Stadtmuseum, 22.
Oktober bis 27. Maerz 1994).
[3]. Hermann Wilhelm:  _Dichter, Denker, Fememoerder.
Rechtsradikalismus und Antisemitismus in Muenchen von der
Jahrhundertwende bis 1921_, Berlin 1989;  Karl-Ludwig Ay:  Von der
Raeterepublik zur Ordnungszelle Bayern. Die politischen
Rahmenbedingungen fuer den Aufstieg Hitlers in Muenchen, in:  Bjoern
Mensing und Friedrich Prinz (Hrsg.): _Irrlicht im leuchtenden
Muenchen?  Der Nationalsozialismus in der "Hauptstadt der
Bewegung"_, Regensburg 1991.

 

Document compiled by Dr S D Stein
Last update 10/05/2000
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