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Hubert Speckner. In der Gewalt des Feindes. Kriegsgefangenenlager in der "Ostmark" 1939 bis 1945. Kriegsfolgen-Forschung 3. München und Wien: R. Oldenbourg Verlag, 2003. 352 S. Tabellen, Karten, Abbildungen, Bibliographische Angaben, Index. EUR 49,00 (gebunden), ISBN 3-486-56713-6.

Reviewed by Andreas Hilger, Abteilung für Osteuropäische Geschichte des Historischen Seminars der Universität zu Köln.
Published by HABSBURG (June, 2003)

Nationalsozialistische Kriegsgefangenenpolitik in der

Von ungefähr 80 Millionen Soldaten, die im Zweiten Weltkrieg zum Einsatz kamen, gerieten rund 35 Millionen in Kriegsgefangenschaft. Dieses Massenereignis hat in allen nationalen Geschichtsschreibungen einen Niederschlag gefunden: In Deutschland stand dabei das Schicksal der eigenen Gefangenen in ausländischem, und hier besonders in sowjetischem Gewahrsam im Mittelpunkt. Dagegen fand das Schicksal alliierter Gefangener in Deutschland bis in die siebziger Jahre hinein weitaus weniger Aufmerksamkeit. Hier waren und sind es wiederum die sowjetischen Gefangenen, denen sich die Mehrheit der Forschungsarbeiten widmet.

In Österreich haben die Kriegsgefangenen des Zweiten Weltkriegs erst mit erheblicher Verzögerung, im Grunde erst seit Beginn der 90er Jahre, das Interesse der Forschung wecken können; auch hier spielen die Gefangenen der Ostfront eine wesentliche Rolle.[1] In beiden Ländern wird die neuere Forschung durch thematische und methodische Neuansätze einer insgesamt belebten internationalen Kriegsgefangenenforschung mit beeinflusst. Dazu gehören beispielsweise die Hinwendung zu langfristigen Auswirkungen von Gefangenschaft auf Nachkriegsgesellschaften wie komparatistische Untersuchungen. Zugleich erweitern Regional- und Lokalstudien sukzessive den Kenntnisstand.[2]

Hubert Speckners Untersuchung über Kriegsgefangenenlager des Dritten Reichs im heutigen Österreich kann gleich mehrere der genannten Ansätze verfolgen. Die Konzentration auf die beiden Wehrkreise XVII (Wien) und XVIII (Salzburg) ermöglicht umfangreiche Detailstudien auf teilweiser exzeptioneller Quellenlage: Nur für den Wehrkreis XVII sind die Akten des Kommandeurs der Kriegsgefangenen recht vollständig überliefert, und für den Wehrkreis XVIII stehen die Unterlagen des Wehrkreisarztes für Kriegsgefangene zur Verfügung.

Aufgrund der Belegungspolitik wendet sich die Studie daneben der Behandlung von Kriegsgefangenen aller Nationalitäten zu. Zu Recht kritisiert Speckner in diesem Zusammenhang die bisherige völlige Vernachlässigung slowakischer, rumänischer oder bulgarischer--zu ergänzen wären serbischer--Kriegsgefangener in deutschem Gewahrsam in der Forschung; auf Grund der Quellen- und Literaturlage kann er sich allerdings auch selbst nicht ausgiebig diesem Thema widmen.

Speckner beschränkt sich im Wesentlichen auf die--bei diversen Reorganisationen--insgesamt neun Mannschafts- und fünf Offizierslager des Gebiets, deren erste bereits im Oktober 1939 eingerichtet wurden. Zu den Lagern der "Ostmark" zählten mit den Stalag XVII A Kaisersteinbruch und Stalag XVII B Gneixendorf zwei der zeitweilig größten Kriegsgefangenenlager im ganzen Reich. Gneixendorf war zudem mit seinen beispielsweise polnischen, französischen, sowjetischen und amerikanischen Gefangenen eines der wenigen multinationalen Lager der Wehrmacht.

Das größte Kontingent beider Wehrkreise stellten französische Kriegsgefangene, gefolgt von, je nach Lager, Rotarmisten, Serben, Briten oder Italienern. Die höchste Belegung der Lager wurde mit über 200.000 Gefangenen in der ersten Jahreshälfte 1944 erreicht. Noch im Winter 1944/1945 befanden sich mit rund 180.000 Gefangenen siebeneinhalb Prozent aller Kriegsgefangenen in deutschem Gewahrsam in der Ostmark. Im Durchschnitt standen über 80 Prozent der Gefangenen im Arbeitseinsatz. Genaue Angaben über die verstorbenen Kriegsgefangenen lassen sich heute nicht mehr ermitteln; insofern sind die Lager der Ostmark einmal mehr ein Spiegelbild der Lager des 3. Reichs.

Auf der Grundlage von teilweise erhaltenen Totenbüchern und früheren Schätzungen, die die Rote Armee anhand der Lagerfriedhöfe anstellte, kommt Speckner auf eine Untergrenze von 23.039 Menschen--fast zehn Prozent--, die ihre Gefangenschaft in den Lagern auf österreichischem Gebiet nicht überlebten. Unter ihnen waren 22.121 Angehörige der Roten Armee, aber nur sieben der US- Streitkräfte--die Opfer des KZ Mauthausen und vieler Arbeitskommandos sind in diesen Berechnungen noch gar nicht enthalten.

Angesichts der sowjetischen Verluste und auf Grund der unvollständigen Datenbasis scheinen generelle Aussagen über eine insgesamt bessere Behandlung von Gefangenen, die sie im Vergleich zum Altreich in der "Ostmark" erfahren haben sollen, problematisch. Speckner führt dies auf eine nicht weiter beschriebene "österreichische Grundhaltung" und Lernprozesse der Bevölkerung im Umgang vor allem mit den gefangenen sowjetischen Arbeitskräften zurück (S. 212, 327). Gerade dieser partielle Bewusstseinswandel durch ein näheres Kennenlernen lässt sich aber für das gesamte Reichsgebiet nachweisen.[3] Er erfasste weder im Reich noch speziell in der "Ostmark" die ganze Bevölkerung. So belegen einzelne Kapitel der Untersuchung Speckners die aktive Unterstützung nationalsozialistischer Kriegsgefangenenpolitik durch andere Teile der Bevölkerung. Ebenso wenig lässt sich die Wehrmacht von rassenideologisch durchtränkten und verbrecherischen Maßnahmen der Partei- und Reichsspitzen separieren; der Darstellung Speckners hätte man hier bei der Vielzahl der beigebrachten Belege etwas mehr Eindeutigkeit im Ausdruck gewünscht (S. 24). Unabhängig davon kann man sich im Übrigen des Eindrucks nicht erwehren, dass das Lektorat recht nachlässig durchgeführt wurde.

Nach einer sehr knappen Einführung und einem zu kurzen Überblick über das allgemeine Kriegsgefangenenwesen im Deutschen Reich, dessen Kargheit zahlreiche beteiligte und interessierte Dienststellen und Behörden zum Opfer fallen, kommt Speckner zur Situation in den Kriegsgefangenenlagern. Die Beschreibung von Organisation, Unterbringung, Bewachung, Versorgung, Postverkehr oder Wirken der Schutzmächte, von Fluchtversuchen und ihrer Bestrafung sowie die Schilderung des Verhältnisses von Gefangenen zur Bevölkerung und des Endes der Gefangenschaft machen in ihrer Ausführlichkeit und Eindringlichkeit die Stärken des Buchs aus; sie werden ergänzt durch eine Skizzierung des Arbeitseinsatzes und Ausführungen über den Widerstand von Kriegsgefangenen. In den sehr detaillierten Schilderungen finden sich zudem zahlreiche Schlaglichter etwa über das Verhältnis der verschiedenen Nationalitäten zueinander, die ein eigenes Unterkapitel wert gewesen wären.

Ein letzter Abschnitt ist einer komprimierten Beschreibung der einzelnen Lager in den beiden Wehrkreisen gewidmet. Neben den bereits erwähnten Stammlagern zählten hierzu auch ein Heimkehrerlager für jugoslavische Gefangene und ein Lager für zivilinternierte Amerikaner und Briten. Die Einzelbeschreibungen greifen zwangsläufig Kernthemen der allgemeinen Darstellung wieder auf: Die scheinbare Doppelung ermöglicht aber die notwendige Spezifizierung, um unterschiedliche Einflussfaktoren und Komponenten einer Gefangenschaft herauszuarbeiten. Der gesamte Kernteil belegt einmal mehr die rassenideologische Dimension deutscher Kriegsgefangenenpolitik, die sich in allen Bereichen des Gefangenenlebens bemerkbar machte.

Die Ausnutzung der kriegsgefangenen Arbeitskraft stellte das zweite große Thema deutscher Gefangenenpolitik dar. Vor diesem Hintergrund trug gegenüber westlichen Gefangenen zugleich der "mutual hostage factor"[4] oder die Angst von militärischen und zivilen Funktionsträgern vor persönlicher Verantwortung zu einer differenzierten und schon von daher völkerrechtswidrigen Behandlung bei: Französische Gefangene, die ohne Rückhalt der Heimat waren, standen im Stalag XVII B Gneixendorf Klagen ihrer amerikanischen Schicksalsgenossen manches Mal nur verständnislos gegenüber, denn diese erhielten eine Vielzahl von Paketlieferungen und mussten als Unteroffiziere nicht arbeiten. Auf der anderen Seite lässt sich im deutsch-britischen Verhältnis hinsichtlich der Kriegsgefangenen eine Politik der Nadelstiche konstatieren, bei der es um die Auslegung einzelner Normen und die gegenseitige Gewährung bzw. Abschaffung von Vergünstigungen für Kriegsgefangene ging.

Die Beschreibungen von verdreckten Lagereinrichtungen, überfüllten Baracken und Notständen in der Versorgung machen eindringlich klar, dass trotz aller völkerrechtlichen Normen und internationaler Kontrollen das Leben auch westlicher Kriegsgefangener sehr hart, mitunter unerträglich sein konnte. Die zahlreichen Berichte und Schilderungen von Heimkehrern, die zu verschiedenen Zeiten und aus unterschiedlichen Anlässen erstellt wurden, bieten daher auch für diese Gefangenengruppen ein gutes Gegenstück zu deutschen Verlautbarungen und Befehlen. Die Heimkehreraussagen werden von Berichten der inspizierenden Schutzmacht- und Rot-Kreuz- Delegationen gestützt.[5] Trotzdem genossen--abgesehen von italienischen Militärinternierten ab 1943--alle Westgefangenen eine ungleich bessere Behandlung, als sie Soldaten aus Südost- und Osteuropa erwarten konnten.

Unter den östlichen Gefangenen trafen es die polnischen, ab Juni 1941 die sowjetischen Kriegsgefangenen am schlechtesten: Speckner bringt eine Vielzahl erschütternder Beispiele über Grausamkeiten gegenüber Rotarmisten und liefert hierdurch zugleich neue Materialien für die noch junge Täterforschung. Auf der anderen Seite lassen sich auch hier Hilfen und Zuwendungen der Zivilbevölkerung oder der Wachmannschaften selber belegen, in denen sich erneut die ganze Bandbreite zwischen bewusstem Widerstand, Renitenz oder einer als selbstverständlich empfundenen Aufrechterhaltung von Moral und Anstand im Leben unter einer Diktatur widerspiegeln. Im Ganzen wurde die nationalsozialistische Vernichtungs- und Ausbeutungspolitik indes auch in der "Ostmark" vollstreckt.

Speckner präsentiert zahlreiche Details und Beschreibungen wichtiger Aspekte der Kriegsgefangenschaft im Dritten Reich und vermittelt auf der Basis umfassender Archivstudien wesentliche Einblicke in diesen Bereich nationalsozialistischer Kriegs-, Wirtschafts- und Vernichtungspolitik. Die Beschränkung auf die reinen Kriegsgefangenenlager der beiden Wehrbezirke und die bewusste Ausklammerung bzw. darstellerische Reduzierung anderer Bereiche deutscher Kriegsgefangenenpolitik--wie der Einweisung von Gefangenen in KZ oder des Arbeitseinsatzes--lässt die Studie aber nahezu zwangsläufig als etwas unvollständig erscheinen. Das schlägt sich in zahlreichen--nicht immer nachvollziehbaren--Vermutungen und Konjunktiven des Verfassers und auch im Literaturverzeichnis nieder. Hier fehlen gerade zur Geschichte sowjetischer Kriegsgefangener im Deutschen Reich entsprechende Arbeiten.[6] So vermisst der Leser mitunter eine durchdringende Analyse der beschriebenen Befunde, vor allem aber eine überzeugende Einordnung der Ergebnisse über die Lager in der Ostmark in den "großdeutschen" Gesamtkomplex.

Mit Recht unterstreicht Speckner die schweren Völkerrechtsverletzungen in der Behandlung der Kriegsgefangenen durch das Deutsche Reich. Doch schon die Diskussion der "ostmärkischen" Besonderheiten der Kriegsgefangenenbehandlung ist, wie bereits ausgeführt, wenig befriedigend. Darüber hinaus hätten viele Betrachtungen im Rahmen der Lager- und Organisationsbeschreibungen guten Anlass geboten, auf das komplexe Geflecht von ideologischen Überzeugungen, internationalen Erwägungen, wirtschaftlichen Gründen, militärischen Entwicklungen oder Traditionen sowie bürokratischen Interessen in der Kriegsgefangenenpolitik einzugehen. Die Möglichkeiten einer Regionalstudie, ermittelte Befunde auf ihre Exemplarität zu befragen und die Gründe der Besonderheiten zu untersuchen, bleiben so manches Mal ungenutzt. Von daher hinterlässt die Lektüre ein zwiespältiges Gefühl: Die Studie bietet mehr als eine Darstellung der Struktur der "ostmärkischen" Lager, aber weniger als ihre umfassende "Geschichte" (S. 7, 18).

Anmerkungen:

[1]. Zur Forschungsentwicklung vgl. Rüdiger Overmans, Ein Silberstreif am Forschungshorizont. Veröffentlichungen zur Geschichte der Kriegsgefangenschaft, ders. (Hrsg.), "In der Hand des Feindes. Kriegsgefangenschaft von der Antike bis zum Zweiten Weltkrieg" (Köln et al.: Böhlau, 1999), S. 483-506.

[2]. U.a. Robert G. Moeller, "War Stories. The Search for a Usable Past in the Federal Republic of Germany". Berkeley: Univ. of California Press, 2001; Barbara Stelzl-Marx, "Zwischen Fiktion und Zeitzeugenschaft. Amerikanische und sowjetische Kriegsgefangene im Stalag XVII B Krems-Gneixendorf:". Buchreihe zu den Arbeiten aus Anglistik und Amerikanistik 16, Tübingen: Narr, 2000; Günter Bischof et al. (Hrsg.), "Kriegsgefangenschaft im Zweiten Weltkrieg. Eine vergleichende Perspektive". Ternitz-Pottschach: Höller, 1999.

[3]. Marlis G. Steinert, "Hitlers Krieg und die Deutschen. Stimmung und Haltung der deutschen Bevölkerung im Zweiten Weltkrieg". Veröffentlichung des Institut Universitaire de Hautes Etudes Internationales Genf, Düsseldorf: Econ-Verlag, 1970; engl. Ausgabe, "Hitler's War and the Germans: Public Mood and Attitude during the Second World War. Athens: Ohio Univ. Press, 1977.

[4]. S. P. MacKenzie, The Treatment of Prisoners of War in World War II, "Journal of Modern History". 66 (1994), S. 487-520, hier S. 496.

[5]. Der Herausgeber der Reihe, Stefan Karner, hat in seinem Vorwort weitere Arbeiten aus der Perspektive der Lagerinsassen in Aussicht gestellt.

[6]. Reinhard Otto, "Wehrmacht, Gestapo und sowjetische Kriegsgefangene im deutschen Reichsgebiet 1941/1942". Schriftenreihe der Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 77, München: Oldenbourg, 1998; Jörg Osterloh, "Sowjetische Kriegsgefangene 1941-1945 im Spiegel nationaler und internationaler Untersuchungen. Forschungsbericht und Bibliographie". Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung, Berichte und Studien 3, Dresden: Hannah-Arendt-Inst. für Totalitarismusforschung, 1995.

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Last update 04/02/04 06:10:49
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