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H-NET BOOK REVIEW

Published by H-Soz-u-Kult@h-net.msu.edu (March, 2000)

Gerhard Weinberg. _Eine Welt in Waffen. Die globale Geschichte des Zweiten Weltkriegs_. Stuttgart: DVA, 1995. DM 128,00 (gebunden), ISBN 3-412-05000-7.

Reviewed for H-Soz-u-Kult by Stefan Scheil

Historisches Institut der Universitaet Karlsruhe

Dieses Buch verschafft sich schon beim blossen Ansehen Respekt. 1174 dichtbedruckte Seiten wuerden den Leser auch dann beeindrucken, wenn ihm Gerhard L. Weinberg nicht schon aus etlichen anderen Untersuchungen und damit als einer der besten Kenner der Materie und inhaltsschwerer Autor bekannt sein wuerde. Sechzehn Jahre hat er nun an diesem Buch geschrieben, das 1994 unter dem Titel "World at Arms, A Global History of World War II" erschienen ist und seit 1995 in Deutscher Uebersetzung vorliegt. Nun besteht an Handbuechern und Gesamtdarstellungen des Zweiten Weltkriegs nicht gerade ein Mangel und so stellt sich denn die Frage, was Weinberg an den vorliegenden Darstellungen so vermisst hat, dass er sie um eine eigene ergaenzen musste. Der Untertitel deutet es an: Eine "globale" Geschichte des Zweiten Weltkriegs soll hier vorgelegt werden.

Man sollte meinen, dass alle Abhandlungen ueber den "Welt"- Krieg prinzipiell eine globale Perspektive beinhalten, aber tatsaechlich weist Weinberg hier doch auf eine erstaunliche Luecke der Geschichtsschreibung hin. Die Interdependenz der Kriegsschauplaetze ist bisher wenig behandelt und kaum je systematisch untersucht worden - schon gar nicht in einer Gesamtdarstellung. Das hatte Gruende, die zunaechst in den Schwierigkeiten einer einheitlichen Zusammenfassung der langen Kette von jenen Gewaltaktionen zu suchen sind, die wir im allgemeinen unter dem Begriff "Zweiten Weltkrieg" subsummieren. Es gibt hier einen deutlichen Widerspruch zwischen dem oeffentlichen Gebrauch des Begriffs und den Diskussionen innerhalb Geschichtswissenschaft, wo seine exakte Eingrenzung immer wieder umstritten war.

So ist verschiedentlich die Ansicht geaeussert worden, der Weltkrieg beginne mit der Aufloesung der Nachkriegsordnung aufgrund der immer mehr um sich greifenden internationalen Missachtung der Vertraege von Versailles und Washington und also eigentlich mit dem japanischen Einmarsch in die Mandschurei im Jahr 1931. Als direkte Folge dieses Vorgehens wurde bekanntlich in England der Grundsatz aufgegeben, man muesse innerhalb der naechsten zehn Jahre mit keinem grossen Krieg rechnen. Dann werden der japanische Angriff auf China 1937 als Beginn der Weltkriegs genannt, mit Sicherheit am haeufigsten der 1. September 1939, das Datum des deutschen Angriffs auf Polen, dann das Jahr 1941 mit dem Kriegseintritt der USA und UdSSR und dem Ende des "Last European War" (John Lukacs). A.J.P. Taylor machte sogar den 5. Juni 1944, den Tag der Invasion in der Normandie, als Beginn des wirklichen Weltkriegs aus. Es liegt also sehr im Standpunkt des Betrachters, welches Datum er waehlt und seine Wahl resultiert aus den Praemissen, unter denen man den Zweiten Weltkrieg sieht: Als eine Strukturkrise des Staatensystems, einen Krieg zwischen Imperialisten, einen "Weltbuergerkrieg der Ideologien", einen irrationalen Aufstand eitler Diktatoren oder eine im wesentlichen militaerische Auseinandersetzung, die sich - einmal entfesselt - nach eigenen Gesetzen entwickelte.

Weinberg waehlt nun aus all diesen Daten und Perspektiven - leider ohne allzu umfangreiche Begruendung - im wesentlichen folgende aus: der Weltkrieg sei am 1. September 1939 ausgebrochen, er sei am Anfang eine "Inszenierung" Hitlers gewesen und er entwickelte als militaerische Auseinandersetzung schnell "seine eigene Dynamik" (S. 12). Andere Erklaerungsmuster klammert er aus und zitiert als Erlaeuterung demonstrativ aus dem Vorwort seiner eigenen zweibaendigen Geschichte der nationalsozialistischen Aussenpolitik "Unabhaengig von den Zielen, Rivalitaeten und Ideologien, die das Verhaeltnis zwischen den Grossmaechten in den zwanziger Jahren und dreissiger Jahren praegten" (S.11) sei der Krieg eine Folge der deutschen Politik gewesen. Damit sind wesentliche Vorentscheidungen getroffen, deren Folgen sich durch die ganze Darstellung ziehen - nicht unbedingt zu ihrem Vorteil, muss man leider sagen.

Denn Weinberg verbaut sich durch dieses Vorgehen schon im Ansatz sein eigenes Anliegen. Das trifft zunaechst die postulierte Wechselwirkung zwischen den Kontinenten. Wenn der deutsche Angriff auf Polen allein fuer einen "Weltkrieg" verantwortlich sein soll, den die japanischen (und die italienischen) Aktionen zuvor nicht ausloesen konnten, dann war dieser Weltkrieg natuerlich eine zutiefst europaeische Angelegenheit. Dieser eurozentrische Standpunkt macht die anderen Ereignisse vom Geschehen in Europa abhaengig und von wirklicher globaler Interdependenz kann unter solchen Vorzeichen keine Rede sein. Weinberg hat es wohl auch deshalb schwer, solche Wechselwirkungen im Auge zu behalten und sie als roten Faden in seine Darstellung einzubauen. Im Grunde beschraenkt er sich dabei auf einige marginale und bloss militaerische Zusammenhaenge wie den Transfer von fuenf deutschen U-Booten nach Japan oder die bereits im Vorwort erwaehnte Reise eines militanten indischen Widerstandskaempfers von Berlin nach Burma, um dort gegen britische Truppen zu kaempfen. Das wichtigste Ereignis in diesem Kontext duerfte die Verlegung russischer Truppen von Ostasien nach Europa im Fruehherbst 1941 gewesen sein, als Folge der japanischen Entscheidung fuer einen Krieg gegen die USA.

Das ist zu wenig, um den Anspruch einer globalen Perspektive wirklich einloesen zu koennen, und so bleibt nach der Lektuere ein gewisses Bedauern in dieser Hinsicht zurueck, das auch durch die ansonsten detailreiche und umfassende Darstellung der militaerischen Operationen und allgemeinen strategischen Ueberlegungen aller Seiten nicht ganz aufgehoben wird. Dies alles hat man doch schon an anderer Stelle gelesen (auch bei Weinberg selbst) und es bleiben Zweifel, ob sich Weinberg mit einem abschliessenden und zusammenfassenden Extrakt einer lebenslangen Forschungsarbeit in dieser Form einen Gefallen getan hat. Weniger haette mehr sein koennen und eine Beschraenkung etwa auf einige Fallstudien zu nachweisbaren Wechselwirkungen zwischen dem asiatischen und dem europaeischen Krieg haette seine These besser illustriert, die auf diese Weise reichlich verwaessert, an manchen Stellen geradezu in ihr Gegenteil verkehrt wird.

Ein gutes Beispiel dafuer ist etwa Weinbergs Schilderung von Hitlers Motiven fuer den Krieg gegen Russland. Seine Interpretation enthaelt keinen Zweifel daran, dass die Entscheidung fuer das "Unternehmen Barbarossa" die Folge von Hitlers ideologischen Dispositionen, der strategischen Gesamtlage und zunehmenden deutsch-sowjetischen Spannungen waehrend des Jahres 1940 war und damit eine ureuropaeische Angelegenheit zwischen Russland und Deutschland. Von einer Wechselwirkung mit anderen Kriegsschauplaetzen ist keine Rede. Wenn es sie gegeben haette, so haette sie auch eher negativ auf diesen Entschluss wirken muessen, denn Japan schloss bekanntlich gerade 1940 einen Nichtangriffspakt mit der UdSSR - mit der Absicht, sich daran zu halten.

In einem Buch dieses Umfangs lassen sich Fehler und wohl auch Inkonsistenzen nicht vermeiden. Zwei davon seien hier erwaehnt, da Weinberg selbst ausdruecklich um solche Kritik gebeten hat:

"Hitler hielt auch weiterhin die Vereinigten Staaten nicht fuer wichtig", schreibt Weinberg mit Blick auf das Jahr 1940 (S.173). Das ist zum einen ein von der Forschung mittlerweile revidiertes Urteil, ein Prozess, an dem Weinberg selbst seinen Anteil hatte. Schliesslich ist er der Herausgeber von Hitlers zweiten Buch, in dem Hitler von der "drohenden Ueberwaeltigung der Welt durch die amerikanische Union" geschrieben hatte und seine eigene Politik - auch seinen Rassismus - als Antwort auf dieses Problem interpretiert wissen wollte. [1] Zum anderen widerspricht Weinberg hier seiner eigenen Darstellung dieses Jahres an anderer Stelle, wo er viel ueber die Aktivitaeten deutscher Agenten in den USA zu berichten weiss. Mit allen Mitteln wollte das NS-Regime Franklin D. Roosevelts Wiederwahl verhindern, nach der man mit Sicherheit den Eintritt Amerikas in den Krieg erwartete, den man in Berlin durchaus fuerchtete.

"Auf wirtschaftlichem Gebiet setzten die Russen ihre Kooperation fort; sie lieferten grosse Mengen wichtiger Rohstoffe. Schwierigkeiten machten nur die Deutschen bei den versprochenen Lieferungen zur Bezahlung der Rohstoffe." (S. 222) Auch dies im Blick auf das Jahr 1940 ausgesprochene Urteil ist mittlerweile ueberholt und ging immer an der Realitaet der spannungsreichen deutsch-russischen Beziehungen nach dem Nichtangriffspakt vorbei. Die russischen Lieferungen waren im Fruehjahr 1940 phasenweise eingestellt worden und blieben auch nach Wiederaufnahme hinter den vereinbarten Mengen zurueck.

Zum Schluss noch eine Bemerkung zur Arbeit des Verlags: Auch wenn dies Buch ein Standardwerk ist, das sich nicht nur an die Fachwelt, sondern auch an interessierte Laien wenden soll, haette an der Ausstattung nicht so gespart werden duerfen. Der bibliographische Essay am Ende kann eine eigene Bibliographie nicht ersetzen, da sich alle Angaben zur verwendeten Literatur auf diese Weise in den Anmerkungen verstecken und durch kein Register zu finden sind. Der Text selbst laesst sich ebenfalls durch das angebotene Register in keiner Weise erschliessen, da entscheidende politische Ereignisse nicht erwaehnt werden. Das "Hossbach-Protokoll" taucht ebensowenig auf, wie der "Antikomintern-Pakt", der "Dreimaechtepakt" und der "Stahlpakt". Begriffe wie Faschismus, Nationalsozialismus, oder gar Antisemitismus sucht man ebenfalls vergeblich. So bleibt der Eindruck nach der Lektuere zwiespaeltig. Der grossen Gesamtleistung und der teilweise glaenzenden Darstellung stehen konzeptionelle Schwaechen und manche bestreitbare Aussagen gegenueber.

Anmerkung

[1]. Weinberg, G.L. (Hrsg.): Hitlers Zweites Buch, Stuttgart 1962, S. 218.

Document compiled by Dr S D Stein
Last update 21/03/00
Stuart.Stein@uwe.ac.uk
©S D Stein

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