Anklageschrift.
I. Die Vereinigten Staaten von Amerika, die Französische Republik, das Vereinigte Königreich von Großbritannien und Nordirland und die Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken haben die Unterzeichneten, Robert H. Jackson, François de Menthon, Hartley Shawcross und R. A. Rudenko, rechtmäßig zu Vertretern ihrer Regierungen zum Zweck der Untersuchung der Beschuldigungen gegen die Hauptkriegsverbrecher und zu deren Verfolgung bestellt. In Ausführung der Londoner Vereinbarung vom 8. August 1945 und des dieser beigefügten Statuts des Gerichtshofs, beschuldigen die obengenannten Regierungen der Verbrechen gegen den Frieden, der Verbrechen gegen das Kriegsrecht und der Verbrechen gegen die Humanität in dem im folgenden erörterten Sinn und eines gemeinsamen Planes und einer Verschwörung zur Begehung dieser Verbrechen, wie diese in dem Statut des Gerichtshofes definiert sind, und klagen dementsprechend wegen der weiter unten aufgeführten Punkte an: Hermann Wilhelm Göring, Rudolf Heß, Joachim von Ribbentrop, Robert Ley, Wilhelm Keitel, Ernst Kaltenbrunner, Alfred Rosenberg, Hans Frank, Wilhelm Frick, Julius Streicher, Walter Funk, Hjalmar Schacht, Gustav Krupp von Bohlen und Halbach, Karl Dönitz, Erich Raeder, Baldur von Schirach, Fritz Sauckel, Alfred Jodl, Martin Bormann, Franz von Papen, Arthur Seyß-Inquart, Albert Speer, Constantin von Neurath und Hans Fritzsche, und zwar als Einzelperson sowie als Mitglieder aller oder einiger der unten genannten Gruppen und Organisationen.
II. Die folgenden – inzwischen aufgelösten – Gruppen und Organisationen sind wegen der Wege und Mittel für die Erreichung ihrer Zwecke im Zusammenhang mit der Verurteilung derjenigen Angeklagten, die ihre Mitglieder waren, als verbrecherisch zu erklären: Die Reichsregierung, das Korps der Politischen Leiter der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei, die Schutzstaffeln der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (allgemein bekannt als »SS«) einschließlich des Sicherheitsdienstes (allgemein bekannt als »SD«), die Geheime Staatspolizei (allgemein bekannt als »Gestapo«), die Sturmabteilungen der NSDAP (allgemein bekannt als »SA«) und der Generalstab und das Oberkommando der Wehrmacht. Die Identität der obengenannten Gruppen und Organisationen und die Zugehörigkeit zu ihnen wird später im Anhang B begrifflich genauer definiert.
Anklagepunkt eins – gemeinsamer Plan oder Verschwörung.
(Artikel 6, insbesondere Artikel 6 (a) des Statuts.)
III. Feststellung des Verbrechens. Alle Angeklagten haben mit verschiedenen anderen Personen während eines Zeitraums von Jahren vor dem 8. Mai 1945 als Führer, Organisatoren, Anstifter und Mittäter an der Ausarbeitung oder Ausführung eines gemeinsamen Planes oder Verschwörung teilgenommen, die darauf abzielte oder mit sich brachte, die Begehung von Verbrechen gegen den Frieden, gegen das Kriegsrecht und gegen die Humanität, wie sie in dem Statut dieses Gerichtshofs definiert sind, entsprechend den Vorschriften des Statuts, jeder einzelne verantwortlich für seine eigenen Handlungen, wie auch für alle Handlungen, die von irgend jemanden in Ausführung eines solchen Planes und einer solchen Verschwörung begangen worden sind. Der gemeinsame Plan oder die Verschwörung stellte insofern die Begehung von Verbrechen gegen den Frieden dar, als die Angeklagten Angriffskriege planten, vorbereiteten, entfesselten und führten, die gleichzeitig Kriege unter Verletzung internationaler Verträge, Vereinbarungen und Zusicherungen waren. In der Entwicklung und im Verlaufe des gemeinsamen Planes oder Verschwörung wurden Kriegsverbrechen dadurch begangen, daß die Angeklagten rücksichtslose Kriege gegen Länder und deren Bevölkerung unter Verletzung der Kriegsregeln und Bräuche planten und führten. Zu diesen Verletzungen der Kriegsregeln gehörten als typische und systematisch angewandte Mittel: die Ermordung, Mißhandlung und Verschleppung der Zivilbevölkerung der besetzten Gebiete zum Zweck der Sklavenarbeit und für andere Zwecke, die Ermordung und Mißhandlung von Kriegsgefangenen und von Personen auf hoher See, die Verhaftung und Tötung von Geiseln, die Plünderung privaten und öffentlichen Eigentums, die mutwillige Vernichtung von großen und kleinen Städten und Dörfern, Verwüstungen, die durch keine militärische Notwendigkeit geboten waren. Der gemeinsame Plan oder die Verschwörung hatte zum Ziel, und die Angeklagten beschlossen und begingen Verbrechen gegen die Humanität in Deutschland und den besetzten Gebieten, wobei sie als typische und systematisch angewandte Mittel verwandten: die Ermordung, Vernichtung, Versklavung, Verschleppung und andere unmenschliche Akte gegen die Zivilbevölkerung vor und während des Krieges, und die Verfolgung aus politischen, rassischen und religiösen Gründen in Ausführung des Planes für die Vorbereitung und Führung von Angriffs- oder ungesetzlichen Kriegen, wobei viele solche Handlungen und Akte der Verfolgung Verletzungen des inländischen Rechtes der Länder darstellten, in denen sie begangen wurden.
IV. Einzelheiten des Wesens und der Entwicklung des gemeinsamen Planes der Verschwörung.